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Eingang.

Die heitre Sonne des Pfingstsonntages im Jahre des HErrn 13.. sank hinter die rebenbepflanzten Berge, welche von Westen her das liebliche Thal einschließen, in dem die stattlichen Gebäude der wohlbekannten Cisterzienser-Abtei Maulbronn sich erheben. Eben war der Vespergottesdienst mit dem Magnificat beschlossen, das heute nicht nur von den Brüdern im Chor, sondern auch von dem zahlreich versammelten Volke im vorderen Theile der Kirche gesungen worden war. Nur Bruder Diether ließ das Örglein noch nicht schweigen, vor dem er saß, und drückte die breiten Tasten durch kräftige Schläge nieder, daß sich langhallende Töne hören ließen, während das Gotteshaus sich leerte.

»Wie, schon All' hinaus?« sagte er, als er, nach kurzer Weile sich umwendend, den ganzen Raum unten verlassen fand. »Sie haben halt Eil' heut,« setzte er hinzu, »das Volk will des milden Maien genießen unter der Linde, und die Confratres sind dem Refectorio am Pfingstabend auch nicht feind. So wollen wir denn des Tönens genug sein lassen, uns mit dem Paternoster segnen und von hinnen gehn!«

Während er bedächtig die Treppe herniederstieg, welche vom Orgelchor in's Schiff führte, schritten die Mönche bereits nach Gefallen einzeln oder zu mehreren gesellt dem Klostergarten zu oder wohin sonst einem Jeden sein Sinn stand; denn nach Gewohnheit ward St. Bernhards Regel heut nicht eben ängstlich befolgt und Abt Rothad war zu keiner Zeit der Mann, von dem ein straffes Anziehen derselben zu besorgen war. So war es denn auch bald im Kreuzgang einsam, der sich an die Kirche gegen Mitternacht anschließt und im Viereck einen Friedhof umgibt, der doch schon damals mehr einem mit Bäumen und Gesträuch wohlbepflanzten Gärtlein glich.

Als Diether aus der nördlichen niederen Kirchenpforte in die kunstreich gewölbten Gänge trat, däuchte ihn die abendliche Stille, die ihn so mailich und freundlich anwehte, keineswegs unwillkommen, sondern wie er langsam daherschritt und immer wieder zwischen den Pfeilern still stehend zum blauklaren Himmel emporblickte und vor sich auf die Pracht der Blüthen im frischen Grün, da war's, als leuchtete die Lenzwonne auch aus seinen dunklen Augen, so froh schauten sie darein, und als fühlte seine Brust mit der Jugend des Jahres auch die Jugend des Herzens wieder, so freudig und kräftig hob sie sich. Dicht neben ihm aus dem Gebüsch erscholl die Stimme einer Nachtigall. Er blieb stehen und lauschte. Ihm schien's, als wäre das die Seele dieses Maiabends, die wollte all' ihre reine und himmlische Freude ihm mit zu empfinden geben. Sie schwieg. Aber als nach kurzer Weile ihre Töne wieder erklangen, lang gezogen und klagend, da tauchten sie auch seine Seele in sanfte Schwermuth und seine Gedanken wurden wie mit freundlichem Zwange rückwärts gezogen; und wie um ihn her die Dämmerung ihre ersten Schatten breitete, versank auch vor seinem inneren Auge die Gegenwart allgemach und Blüthenduft und Abendstille trieben ihn der Erinnerung längst vergangener Tage zu. So stößt ein Kahn sanft vom beschatteten Ufer ab und gleitet auf kaum bewegter Fluth dem Eilande zu, das dem Schiffer sonnig entgegenwinkt! –

Leise hatte er sich niedergelassen auf die steinerne Brüstung. Ein Hauch der Abendluft rauschte durch den Garten und wehte wie kleine Sterne weiße Blüthen des Flieders ihm auf Haupt und Gewand. Er blickte auf, als wollt' er Jemand suchen, und »Irmela« klang es wie im Traume von seinen Lippen. Der Name hallte wieder von den Pfeilern drüben. Er horchte auf wie freudig erschrocken; aber gleich darauf, sich besinnend, sah er lächelnd auf seinen Blüthenschmuck und verharrte schweigend, in sich versunken. –

Da weckten ihn geräuschvolle Schritte; sie kamen von der vorderen Thür, die in die westliche Seite des Kreuzganges führt. Er wandte sich um und sah zwei junge Gesellen munter herbeieilen. Sie grüßten ihn fröhlich und auch er hieß sie von Herzensgrund willkommen; war er doch den Beiden von ganzer Seele zugethan, wie das Alter an der wohlgezogenen Jugend seine Lust hat und wie der Lehrer seine Schüler liebt, an denen seine Arbeit nicht umsonst ist. »Vater, Meister!« rief der Eine, »Zürnet uns nicht, daß wir heute so spät erst nach Euch Nachfrage thun. Mußten wir doch gewärtig sein, hätten es auch wohl verdienet, Euer heut gar nicht mehr ansichtig zu werden. Aber der wonnigliche Lenztag lockte uns in's Freie und so streiften wir durch Wald und Feld, bis der Abend hereinbrach.«

»Wollten doch auch des Fiedlers Heiner neue Weisen mit anhören, der sich in Hohenklingen auf dem Wiesenplan vernehmen ließ, fiel der Andere ein, »aber als er zum Tanz aufspielte den Dörflern, da war es hier Rupert nicht, der nicht mit mir von dannen wollte und wieder Rupert nicht, der hernach mit des Klosterbauern flachszöpfiger Jutta daherschwenkte.«

»Scherze nur!« unterbrach ihn der Gemeinte. »Es brauchte wenig Überredungskunst, um Dir das Verweilen lieb zu machen. O, Meister! haltet solches Geschwätz unserer Thorheit zu gut. Wir hätten zeitiger bei Euch einsprechen sollen. Ihr waret einsam!«

»Daß Ihr junges Volk Euch doch so gern für unentbehrlich haltet uns Alten!« versetzte Diether mit freundlichem Ernst. »Wüßtet Ihr, welch' treffliche Gesellschaft ich gehabt habe, da Ihr kamt, so hättet Ihr sicher mich darum geneidet.«

»Wer war denn bei Euch?« fragten die Beiden. »Wir sahen Niemanden!«

»Eine Fraue und gar holde«.

»Wie heißt sie?«

»Erinnerung! – Sie hat mich sanft bei der Hand genommen und gern bin ich ihr gefolgt.«

»So weiß ich auch, Vater«, sprach Waltram, Ruperts Geselle, »was Euch so bewegt, daß Stimme, Auge und Gebärde davon zeugen. Das kommt von den Gedanken, die inwendig in Euch Erinnerung lebendig gemacht hat. Möcht' es Euch doch gefallen, auch uns davon zu erzählen. Der Abend ist warm und still der Ort.«

»Wohl, ich will's thun!« erwiederte Diether willfahrend. »Und wie Ihr just mich also angetroffen habt, so soll zu Euch mein Mund sich aufthun von dem, was Erinnerung mir gewiesen und wovon ich bis diesen Tag geschwiegen. Kommt! und laßt uns niedersitzen, wo dort die Halle sich um den Steinbrunnen wölbt. – Aber ob ich's wohl werde so kurzweilig machen, wie Heiner seine Aventiuren?« fragte er scherzend zu Rupert gewandt, als sie sich setzten.

»Ist's eine Aventiure?«

»So mögt Ihr sie wohl heißen!«

»Dann gebt ihr einen Namen!«

»Irmela!« sagte Diether nach kurzem Bedenken, »das soll ihr Name sein.«

Diethers Geschichte,
von ihm selbst erzählt.


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