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Drittes Capitel.

Irrfahrt.

Des andern Tages früh, da ich mich wieder auf den Weg machte, wollte mich Brun doch nicht allein ziehen lassen, sondern er geleitete mich eine gute Strecke. Das that er, nicht bloß, weil er besorgte, ich möchte aus der Irre, in die ich gestern gerathen war, die rechte Straße allein nicht wieder finden, sondern auch, daß ich an ihm einen Schutz hätte gegen Fährlichkeiten. »Denn«, sagt' er, »hier herum ist das Wegelagern nicht selten, und wer sicher durchziehen will und ungekränkt an Hab und Leben, der sollt's, wenn er nicht selbst wohl bewehrt ist, nicht wagen ohne Geleit. Da und dort auf den Bergen ragen stolze Burgen, drin hausen gestrenge Ritter, wie man sie heißt, die aber das Rauben treiben wie ihr Handwerk.«

»Ich hab' wohl wenig zu fürchten, Brun«, sagt' ich gutes Muthes, »daß mich dieser kampflichen Gesellen einer anrenne, der ich unbeschwert von Gut und Habe meines Weges ziehe. Was sollte man an mir armem Klösterling gewinnen, so man mich fienge?«

»Man könnt' Dich doch für einen Andern halten, als Du bist, Diether, wie auch ich Dich mißkannte, als Du mich ansprachst. – Daß ich da so rauh mit Dir fuhr,« setzte er freundlich hinzu, »muß Dich nicht irren: es war aus guter Meinung geschehen. Denn sieh, so schlimm ist heutzutage die Welt, daß auch ein Einsiedel sein löblich Thun mit großer Vorsicht und Heimlichkeit betreiben muß, als hätte er dabei ein bös Gewissen. Weil ich nämlich, was sich hier in Wald und Bergen zuträgt, und das Gehen und Kommen der Herren, ihr Liegen und Kriegen, Frieden und Fehde gut genug erkunde, so bin ich den redlichen Leuten, die hierdurch in Frieden fahren wollen, gern zu Rath und Warnung bereit. Sie kennen mich wohl auch und haben mich erprobt. So werd' ich oft beschickt, daß man mich fragt, ob's wohl stehe im Gebirg oder nicht. Aber ich darf Keinem trauen, der mir nicht Bürgschaft gibt, daß er sicher ist und kein Schelm, von den Geiern hier herum abgesandt, die mir längst auf der Lauer sind.«

»So habt Ihr auch an mir Euch als Helfer und Berather treulich bewiesen und meinen armen Dank wohl verdient«, sagte ich, indem ich seine Hand ergriff, »und nimmer werd' ich Euer vergessen.«

Da schlug er ein, sah mich gar gütig an und sagte: »Ist das Dein Ernst, Diether, so hab' Du allerwege ein Vertrauen zu mir. Es mag sich wohl fügen, daß es Dir eine Freud' ist oder ein Trost, zu denken, es lebe Einer, der Dir von Herzen gern diente, weil er Dir von Herzen gern das Beste gönnt – hauset er auch gleich einsam und hat nicht Macht, Gut, noch Ehre in der Welt. Vielleicht ist's Dir dann lieb, den Weg zu wissen, der durch den Wald fern zu St. Wigbert führt, und Du verlangst, sein Kirchlein Dir winken zu sehen und in der Klause Deinen getreuen Eckhart, den alten Brun. – Nun, Jüngling, fahr' wohl! Die Landstraße, die da entlang sich zieht, heißt uns scheiden. Aber in aller Ferne bleibt's dabei: Brun gedenkt und, willst Du zu ihm, harret Dein immerdar.«

Ich wollt' ihm nochmals danken zum Abschied, aber er wollt's nicht haben, drückte mir liebreich und herzhaft die Hand und gieng.

Ich sah ihm nach, bis er hinter den Tannen des Waldpfades verschwunden war, der ihn in seine Siedelei zurückleitete.

Dann gieng auch ich wohlgemuth meine Straße. –

Ob wohl am jüngsten Tage, wenn zum Endegerichte die Bücher werden aufgeschlagen werden, darin eines Jeglichen Thun beschrieben ist, welcherlei es gewesen ist bei Leibesleben, die Tage und Zeiten auch werden leere Blätter weisen, an die wir uns wenig erinnern, weil uns darin nichts Sonderliches begegnet ist, und dahingegen die, an denen unsere Gedanken vor andern haften und unseres Herzens Sinn, auch dort werden mit großen Buchstaben eingezeichnet sein? Dem hab' ich manchmal nachgesonnen, und unsere Vernunft muß wohl also schließen. Und doch kann es leichtlich anders sein; denn ich achte, oft ohne daß wir's merken und spüren, nimmt unser Herz ein Saatkörnlein auf, das unvermerkt Wurzel darinne treibt, und dessen Frucht, bitter oder süße, unser ewiges Schicksal entscheidet. Hinwieder mag von hoher Lust und tiefem Leid, darin unser Herz gestanden hat, daß es durch's ganze Leben deß nicht vergißt so lang' es schlägt, keine Spur uns nachfolgen in die zukünftige Welt, wie man dem Wasser des stillen Gebirgsee's nichts ansieht von dem Gebraus des Sturzbaches, der ihn nährt.

Solcher Betrachtungen zu gedenken, dazu bewegt mich die Erinnerung an das, was mir weiter auf meiner Wanderschaft begegnete. Sie gieng auch in einem solchen Wechsel hin zwischen dem, was man schnell vergißt und was fest in der Seele haftet. So trug sich mir in den zween nächsten Tagen, nachdem ich von Brun geschieden, nichts Sonderliches zu, und schon hoffte ich in Tagesfrist in Heidelberg zu sein, allwo ich eine Weile zur Rast in Herberge bei den Benedictiner Brüdern liegen sollte. Aber gar unerwartet und plötzlich wurde ich von meinem Ziele abgelenkt, und wie das geschah, das steht noch so deutlich vor meiner Seele, als hätt' ich's gestern erlebt.

Der Tag war trüb', und ein kalter Wind trieb mir feinen Regen in's Angesicht. Ich hüllte mich dichter in mein langes Gewand und beförderte meinen Gang. Da hörte ich hinter mir Schritte wie von Nacheilenden und ward gewahr, daß sie mir schleunig näher kamen. Ich wandte mich und erblickte ein gar seltsames Paar: zween Gesellen, von denen Jeder für sich verwunderlich genug anzusehen war, noch mehr aber, wenn man ihn zugleich mit seinem Gespons betrachtete. Denn die Beiden hielten sich in Allem das Widerspiel. War der Eine lang und fast dünn, von schwarzem Haar, das tief auf die Schultern fiel, und schmalen Wangen, so war der Andere gar kurz und wohl bei Leib', und das runde Haupt mit ganz rothem Kraushaar saß ihm dicht auf dem breiten Nacken. Nicht minder war die Tracht, in der sie daherzogen, sonderbarlich anzusehen. Der Lange trug einen knappen, blauen Rock mit silberglänzenden großen Knöpfen, der kaum bis unter die Hüften reichte, mit buntfarbigen Schleifen hin und wieder ausgeziert. Auf dem Scheitel saß ihm eine Kappe von gleicher Farbe mit langem Federschmuck, von Wind und Wetter übel zerzaust. Seine Hosen aber waren gelb und eng anliegend; an der Seite hieng ihm ein kurzes Schwert, wie die Bauern tragen, wenn sie bewehrt sind. Der Kleine hingegen trug einen großen, braunen Hut mit so mächtiger Krempe, als wär's der vom wilden Jäger selber, und seine kurze Gestalt erschien noch breiter durch einen dunkelrothen, faltenreichen Mantel, der ihm vom Halse bis zu den Knieen herunterhieng.

Wie ich die Beiden mit steigender Verwunderung betrachtete, hatten sie mich bald eingeholt. Der Kurze Schwenkte mir zum Gruß seinen Hut entgegen und rief:

»Ja, wohlgethan, daß Ihr bleibt stehn!«

Darauf setzte der Andere ein:

»Selb dreie wöll'n wir fürder gehn.«

Damit waren sie mir zur Seite, und ich fand mich in ihrer Mitte wandelnd, als wären sie mir Geleitsmänner. Vielleicht sahen sie mir's an, daß ich bedenklich war über ihre Gesellschaft und halb entschlossen, mich ihrer so oder so zu erwehren. Darum war sonderlich der Kleine geschäftig, Wechselrede in Gang zu bringen. Ich war zu arglos und, was ich an meinen beiden Gefährten sah und von ihnen erfuhr, mir zu neu, daß Ihre Begleitung mir nicht erträglich und nicht auch bald erwünscht gewesen wäre.

»Ihr seid gewiß ein heilig Mann«,

sagte der Kleine, und sah wie prüfend zu mir auf.

»Man sieht's an Euerm Kleid Euch an.«

»Ja«, erwiederte ich, »einem heiligen Stande gehöre ich an und bin dem Kloster zugesprochen.«

Da versetzte der mit dem blauen Rock gar ernsthaft:

»Ein selig Leben ist Euch beschieden,
Voll guter Sicherheit und Frieden,«

und sprach das in einem Ton, als hätt' er solch Glück aus eigener Erfahrung wenig erprobt.

Sogleich rief ihm der Andere zu, als wollt' er ihn trösten:

»Was mancher Mann zumeist begehrt,
Wenn er's erlangt, hält er's nicht werth.«

Dann wandte er sich zu mir und sagte: »Mein Geselle da hat die Regenlaune; allemal, wenn's unhold Wetter gibt, ist er so.

Scheint aber erst die Sonne frei,

Dann singt er and're Melodei!

Nicht, Bruder? Ah, ob er's wohl kann auf Saitenspiel?«

Damit strich er mit der Gerte, die er in der Hand hatte, hinter mir vorbei seinem Gesellen auf den Rücken, und ich hörte die Saiten einer Fiedel erklingen, die da, wie ich nun merkte, wohl eingehüllt am Bande hieng.

»Mißschaffen ist dein Scherz und Schimpf!«

murrte ärgerlich der Gestrichene; aber der Andre lachte dazu und rief:

»Ei, nimm ihn auf mit Gunst und Glimpf!«

»Ich denke«, sagte ich da, »weil Ihr von mir erkundet habt, welcherlei Stande ich angehöre, so hab' ich wohl auch ein Recht, nach dem Eurigen zu fragen. Doch das ist nicht noth; denn wiewohl ich mich wenig auf der Welt Brauch und ihre Sitten verstehe, so fehl' ich gewiß nicht der Wahrheit, wenn ich dafür halte, daß Ihr fahrende Spielleute seid. Aus den gereimten Sprüchen und der Fiedel schließ' ich das.«

»O, wohlgerathen«, rief lustig der Kleine, »ist Euch das Studium logices. Euer Syllogismus ist demantfest. Und doch traft Ihr nicht haarscharf das Ziel. Fahrende sind wir, das ist wahr, aber Spielende nicht zumal, das gieng Euch fehl'. Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; wer die Fiedel trägt, der ist der edlen Sang- und Klangkunst Adept.

Der Tannhäuser wird er genannt,
Ich aber Klingsohr von Ungarland.«

»Und was ist Eure Kunst?« fragt' ich ihn.

Da blinzelte er mich mit den Augen schlauen Blickes an, sah dann in den grauen Himmel und spitzte den Mund, als besänn' er sich, ob er mir eine gerade Antwort geben sollte. Darauf blieb er plötzlich stehen und schien zu horchen. Der Andere that desgleichen und fragte:

»Sag', Bruder, hörst du ichtes was?«

worauf Klingsohr nach kurzer Weil':

»Nein, nichts! – Doch laßt uns eilen baß.«

»Ja«, fuhr er im Gehen zu mir fort, indem er ausschritt, was seine kurzen Beine vermochten, »die Kunst, die ich übe, ist eine hohe Kunst und eine nützliche Kunst und hat viel' Liebhaber im Volk. 'S ist aber auch eine gefährliche Kunst und wird arg befehdet von den Hochgelahrten. Eure Heiligen und Scholastici zählen sie nicht unter die sieben freien Künste. Ich möcht' ihrer auch gern ledig sein. Aber was hilft's! Jeder Vogel muß bei seinem Liede bleiben. Frau Aventiure ist mir nicht günstig gewesen und hat zu sagen und singen mich nicht gelehrt, wie den da.«

»Aber Ihr reimet doch, als wäret Ihr Worte zu stellen wohl geübt?«

»Macht der Gewohnheit und Freundschaft! Des Tannhäusers edle Gabe ist mir ein wenig zu Gut gekommen. Wenn man die Singekunst so liebt, wie ich, da muß die Gesellschaft solchen Meisters wohl Etwas nütze sein.

Was ich vermag, das ist allein
Von seiner Kunst ein Wiederschein.

Doch Ihr habt«, setzte er hinzu, »in Eurem Brevier von solchen Dingen allen nichts gefunden und begehrt ihrer nicht.«

»Da ist denn die Reihe des Fehlens an Euch gekommen, Meister Klingsohr!« sagt' ich munter, »denn auch ich übe eine Kunst, und mit all' meinem Denken trag' ich Lust zu ihr.«

Da sahen mich Beide verwundert an und Klingsohr fragte: »Welche ist's?«

»Zwar sollt' ich dem Klingsohr nicht offenbaren, was er mir hehlt«, erwiederte ich. »Doch will ich's sagen: Zum Tannhäuser dem Singer hat Diether der Maler sich gesellt.«

»So wohl uns, daß wir uns trafen!« rief Klingsohr, streckte mir seine Hand entgegen, und der Tannhäuser reichte mir seine. »Wir drei gehören zusammen, ob Kutte, Wams oder Mantel; wir sind eines Ordens. He, Bruder Tannhäuser, nimm Deine Fiedel und streich eins auf!«

Der aber sagte:

»In Regen und Wind des Fiedelns pflegen,
Heißt unterm Schnee nach Veiglein fegen.«

»Wohl«, rief da der Kurze, »so will ich ein neu Lied singen von den drei jungen Gesellen, die sie in Augsburg henken wollten, wie sie zusammen entrannen und hernach in England der eine Bischof, der andere« –

»Sagt mir doch lieber«, unterbrach ich ihn, »was Eure Kunst sei!«

»Warum sollt' ich's nicht«, erwiederte er, wenn's Euch, Malbruder, zu wissen lieb ist? Kennt Ihr die schwarze Magia?«

»Alle guten Geister!« rief ich und schlug ein Kreuz. »Das ist ja eine Teufelskunst!«

»Die treib' ich ja auch nicht«, rief das Männlein und lachte unbändig. »Sie ist ja durch kaiserlich und päpstlich Recht verpönt und vermaledeit. Der weißen Magia bin ich ein Jünger.«

Wie ich ihn fragend und befremdet ansah, fuhr er fort: »Das nimmt Euch Wunder, daß ein Biedermann die weiße Magia bekennt, und Albertus Magnus ist doch durch sie hoch zu Ehren gekommen? Macht das den Unterschied, daß ich Jedermann, Bürger und Bauer und Knecht und Magd, wer's begehrt, die Wohlthaten meiner Kunst erweise? Hätt' ich nur die Instrumenta und wäre in jungen Jahren länger hinter's Latein gesessen – ich wollt' Euch einen redenden Kopf machen, der sollt' Euch noch weit andere Geheimnisse sagen, als Albertus' seiner.«

»Dann thätest Du besser«, spottete der Tannhäuser, »Du ließest den Kopf und schüfest uns einen Wintergarten, wie der Kölner Meister, mit warmer Sommerluft. Aber Deine weiße Meisterschaft läßt uns noch im Aprilen frieren.«

»Ei«, sagte gekränkt der Kleine, »Dir wär's doch in keinem Wege recht zu machen. Hast Du nicht warm gesessen bei der Frau Venus? Und doch hat Du's nicht behagt im Hörselberg.«

»Ach, Narrethei!« rief der Tannhäuser, »samt Deiner Frau Venus und Hörselberg! Wollt' lieber, ich hätte jetzo was Gares zu kosten und was Wärmendes auf dem Leib.« Dabei schüttelt' er sich verdrießlich die Tropfen von der Mütze ab.

»Frau Nachtigall, hat sie keine Speis',
Schweigt oder singt nach Spatzenweis'.«

Er dauerte mich und ich sagte: »Mir ist's gar leid, daß Ihr nicht besser vor'm Unwetter bewahrt seid. Wie wohl thut mir doch heut' mein langes Wollenkleid!«

»Oh!« sagt' er und sah es fast begehrlich an,

»Im warmen Kleid und sichern Nest
Den Mönchen Gott nichts mangeln läßt.«

»Freilich«, hub wieder der Kleine an, »fahrende Meister müssen sich alles Glückwechsels versehen: gestern willkommen und heut' schabab. Da heißt's oft:

Duck Dich Hännsl, laß übergahn!
Unwetter will seinen Willen han!

Sprich auch diesen Spruch jetzt, Gutgesell! Da hilft nichts Anderes. Denn zum Wärmenden auf Deinen Leib ist hier kein Rath;

Aber Gares zu kosten, das mag wohl sein,
Hab' auch nicht die Meinung, mich zu kastei'n.

Wir wollen eine Mahlzeit halten, die lecker ist, und St. Bernhardt selber wird mir die Gutthat danken, die ich an seinem Jünger thue. Wir sind auf der Wanderung gebrüdert und haben Alles gemein. Seid erst bei Klingsohr zu Gast und dann gebt Acht, ob seine Kunst Dank verdient!«

»Ist's Eure Magie, die uns letzen wird?« fragt' ich ihn.

»Gewißlich sie«, rief er lachend, »und immer die weiße! Gleich sollt Ihr deß gewahr werden.«

Nun führte der Weg an einem verlassenen Steinbruch vorbei, der manche Wölbung darbot, wo man vor Wind und Regen wohl gesichert war. Da hatte auch alsbald Klingsohr die zum Lager geschickteste erkürt und hieß uns folgen. Als wir angelangt waren, sprang er auf einen Stein, der da lag, und sagte im Befehlston:

»Nun kommt herfür aus Eurer Haft!
Sollt Euch nicht mehr verstecken.
Beweist Eure edle Kraft und Saft!
Wir wollen schmecken und schlecken.«

Damit hockte er etwas von seinem Rücken, das schier einem gewaltigen Buckel geglichen hatte, und langte drei Gänse hervor, die an ihren Hälsen zusammengebunden waren, wie man pflegt, wenn man sie geschlachtet zu Markte bringt. »Sind Sie nicht weiß«, fragte er mich vergnügt, »wie die Kunst, die sie mir eingebracht? Und fett dazu! Sie drückten mich schier, daß ich nicht mehr ausschreiten konnte. Aber harret! Eine soll's nicht mehr thun, 's müßte denn im Magen sein.«

Darauf macht' er sich an's Küchenwerk und nahm uns dabei ganz weidlich in seinen Dienst. Während er die Gans rupfte und zum Braten bereitete, mußte ihm sein Geselle Handreichung thun, der auch, wie ich sah, in solchen Dingen wohl geübt war. Ich ward ausgeschickt, indeß zum Feuer Holz herbei zu holen. Dazu gab mir der Tannhäuser sein breites Schwert, und weil ringsum der Wald dicht war, so hatt' ich nach kurzer Weile zum Brennen genug herzutragen. Der Singmeister hatte bald ein Feuer angezündet, und die Flamme schlug hell empor. Sie verbreitete in unserem Winkel eine willkommene Wärme und sollte unsern durchnäßten Kleidern zu Gute kommen. Klingsohr und ich spreiteten unsere Mäntel und der Spielmann sein Wams vor der Gluth zum Trocknen aus und rückten selber an ihr zusammen so nah, als wir konnten. Es war mir lustig den Beiden zuzuschauen, mit welchem Eifer sie zurüsteten. Bald war der Magus mit der Gans zu Stand, daß sie zum Braten fertig war. »Hier noch das Leberlein und hier die Zwiebel (er nahm sie aus seinem Ranzen) selbander hinein«, sagt' er; »jetzt geschwind Nadel und Zwirn, – so ist's gethan; – nun kann sie rösten.« Damit schürte er das Feuer, wie er's haben wollte.

»Das ist auch eine feine Meisterschaft, die Ihr versteht«, sagt' ich lobend.

»Was nützte sie, wenn ich sie nicht üben könnte!« gab er zur Antwort. »An des heiligen römischen Reiches Truchseß selber wäre sein Amt verloren, trügen nicht Jäger und Metzger und Bauer und Müller ihm die Küche voll.«

»O«, sagt' ich scherzend, »ich merke wohl, Ihr wollt nur Eure magischen Künste ausstreichen, und wahr ist's, das hätt' ich nie gedacht, daß sie Gänse an den Spieß zu bringen vermag. Aber nun seh' ich's mit eigenen Augen.«

»Ja, und sollt's schmecken mit eigener Zunge, das ist die Hauptsach'. Euer Heiliger muß sich freuen, wie man Euer auf der Wanderung pflegt.«

»Mein Treu«, rief da der Fiedler dazwischen und wandte, wie der Andere ihn anwies, die Gans um, die schon ganz lieblich zu duften sich anschickte. »Eine Schand' ist's, wenn ich gedenke, wie unmild dahingegen die Singekunst heuer gelohnet wird. Man will unser nicht mehr in Klöstern und Burgen, und die Städter, seit sie reich werden, fangen selbst an, gar zierlich und fürnehm zu singen, und weil sie's umsonst herklimpern, verachten sie uns aus Geiz; bleibt nur das gemeine Volk für uns, sperrt's Maul auf, weint und lacht, wie man's haben will, das ist Alles!«

»Drum auch«, sagte der Kleine, »sollst Du Dich gesegnen, daß wir zusammen fahren. Sind wir nicht noch immer ehrlich verbrüdert gewesen?

Sei's Gans oder Ferkel, sei's Huhn oder Hahn,
Zusammen wird Alles und Jedes verthan!

Jetzt wend' sie um!« Und frohmüthig rieb er sich die Hände.

»Wie aber vermögt Ihr's denn«, fragt' ich wieder, »Eure magische Kunst so in Ehren und gutem Lohn zu erhalten, daß sie Euch Beiden zuträgt?«

»Sie hieße nicht Magia, wenn sie nicht Geheimniß wäre. Euch, geistlicher Kunstbruder, sei's genug, daß Ihr wisset: die weiße ist unverboten und gibt ehrliche Nahrung.« Dabei blinzelte er wieder gar listig mit den Augen mich an und lachte. »Nur den Spruch merkt Euch wohl:

Wer sich der Welt gelieben will,
Muß halten ihrem Treiben still;
Denn will er wider ihre Art,
So macht er bald allein die Fahrt.

Und jetzo, Bruder«, ermunterte er seinen Gesellen, »derweil der Braten schmort und die Kleider trocknen, nimm die Fiedel zur Hand und spiel'!«

Da langte der Fiedler seine Geige her, stimmte die Saiten und ließ dann den Bogen über dieselben springen, daß die Töne wie Funken heraussprühten. Darnach hub er auch an zu singen ein Lied, das zu der fröhlichen Weise wohl stimmte; aber ernst und traurig gieng es hernach, und schwermüthig endete es also:

»Auf den Bergen zergieng der Schnee,
Die Brünnlein, sie rieseln ohn' Ende:
O Vater und Mutter, Ihr seht mich nimmermeh',
Muß sterben im Elende. –
Gottes Wille, der muß ergehn.«

Noch einmal holt' er dazu aus seiner Fiedel lauten und wilden Klang hervor, als wär's ein Wehgeschrei. Dann verhallten seine Töne langsam und leise. Ich war der Singekunst Freund immer gewesen und hatte der Sequenzen und Leisen Kraft in der Kirche oft an mir erfahren. Aber dieses Fiedlers Gewalt über meine Seele war anderer Art. Seines Spieles Lust wie Leid ergriffen mich gleich sehr, aber sie verwirrten mich auch. Es war nicht die gewohnte Bahn, auf die sein Spiel mich zog, und doch erweckte es in mir einen Wiederhall – ich wußt' mir nicht zu deuten, wie? –

»Heb' aber an, Bruder!« rief da Klingsohr, »leg nicht weg die Fiedel. Hast da unserem geistlichen Gast schier das Herz im Leib' umgekehrt mit Deinem Lied, wie ich merke. Noch eins! Und eine Weise, die sanfter eingeht!« Der Andere stimmte seine Fiedel wieder zurecht, und jetzt giengen seine Töne ebenen Weg. Dies war sein Lied:

»Des Herzens Schwere zu verjagen,
Gab ich es ganz der Minne hin;
Hört' ich doch viel die Meister sagen
Von ihr als Leidverleiderin.

Da hub sich's an in mir zu lenzen;
Doch schwand die Sälde allzujach, –
Denn ach, von allen bunten Kränzen
Blieb nur der Dorn im Herzen nach.

So mißgerieth mir all' mein Wähnen,
Und was ich wollt', gedieh mir schlecht.
Erst hochgemuth sein, dann in Thränen:
Das ist der Minne altes Recht.«

»'S ist auch in dem noch was vom Regenwetter«, meinte Klingsohr. »Und doch bist Du unter Dach und überm Feuer brät die Gans. Wohlan thu sie her! Ist sie nicht bräunlich und schön?« Und er betrachtete sie wohlgefällig.

Plötzlich sah er auf. »Das ist nicht des Windes Geräusch«, murmelte er bedenklich. »Ihr seid jung und behend, Bruder Diether. Springt dort hinan, wo der Ausblick offen ist auf den Weg, den wir kamen, und schaut, was sich naht.«

Was sollt' ich mich bedenken? Ich klomm mit Eil' die Höhe hinan, die er mir angezeigt hatte. Als ich oben war, sah ich hinter der nächsten Windung des Weges einen reisigen Haufen herankommen. Spieße und Hellebarden konnt' ich wohl erkennen. Das rief ich den Beiden zu und schickte mich an hinabzusteigen. Schon aber hört' ich sie unten sich tummeln, und bevor ich noch die Hälfte des Weges zurück war, kamen sie eilig hervor und liefen grad über den Weg dem Tannenwald zu, wo er besonders dicht stund, als suchten sie dort eine Bergung. Fast lustig war es anzusehen, wie sie all' ihr Geräth zusammengerafft hatten, Jeder, was ihm die Hände gefaßt, wie sie auch die zwo Gänse nicht vergessen, die der Kleine hinter sich her zog. Aber wie ward mir zu Sinne, als ich den Fiedler sah mit meiner Kutte von dannen rennen! Das schuf mir große Noth. »He, Freunde!« rief ich ihnen nach, »was soll das? Was fliehet Ihr? Harret doch, daß ich mein Kleid anthue!« Und mit höchster Eil' stieg ich hinab. Aber sie hörten nicht, noch hemmten sie ihre Flucht, und ich erkannte, daß es mir ganz unmöglich wäre, sie einzuholen. Denn mein Weg war behindert durch's Gestein, der ihrige nicht. Da gerieth ich außer mir; denn ich sah, daß sie unredlich handelten mit mir, und schrie aus allem Vermögen: »So wollet Ihr treulos entlaufen, unehrliche Gesellen! Raubt mir mein Kleid, Schelme und Unbiedermänner, die Ihr seid?«

Sie aber hielten nicht an, als bis sie den Waldsaum erreicht hatten. Da blieben sie stehen, und, indem der Große meinen Rock anlegte, rief der Kleine mir zu:

»O Freund, gedenk' der Sanftmuth Gebot!
Fürwahr uns zwingt wahrhafte Noth.
Wir sind um's Mahl mit einand' betrogen,
Von unserm Unstern fortgezogen.
Laßt Euch die Kutte nicht gereu'n!
Sie wird den Fiedler baß erfreu'n.«

Der aber fügte hinzu:

»Ich laß Euch mein blaues Wams zurück,
Es bring' Euch mehr als dem Fiedler Glück!«

Darauf sah ich den Magus dem Singer die Gänse aufhocken und hört' ihn noch sagen:

»Sollt' ich die Gänslein liegen lân?
Mein' Treu, das wär' nicht wohlgethan!«

Er lupfte mir noch seinen Hut zum Abschied, und im nächsten Augenblick waren sie behend in den Wald gedrungen und meinen Augen verschwunden.

Da stund ich, verlassener Diether, nun in großer Betrübniß, betrogen, beraubt, in der Fremde, schalt meinem Unbedacht und war meiner Reise gram. Aber was half Zürnen und Klagen! Frieren überkam mich in meinem Leinen unter dem kalten Himmel. Die Noth zwang mich unter das steinerne Überdach zurück; das Feuer brannte noch. Voll Unmuth stieß ich die Gluth auseinander. Die verlöschende Flamme mahnte mich daran, daß ich in dieser Einsamkeit nicht bleiben könnte und eilen müßte, ehe der Abend käme. Unmöglich aber konnte ich ohne Kleid durch den Regen hinaus. Da lag das blaue Wams; ich durfte nicht zaudern und that es an. Mir war's, als verwunderte sich Stein und Baum selbst über mich und ich würde doch nicht bedauert, sondern Fink und Meise und Alles, was im Walde lebte, müßte mich verlachen. Das machte mich noch unwirscher in meinem Gemüth. So trat ich hinaus und hatte nie ein solches Mißfallen an mir selber.

Ehe ich noch wenige Schritte gethan hatte, hört' ich hinter mir lautes Gelärm. Die Reisigen waren herangekommen.

»Wohl dran, Gesellen! Hier ist der Vögel einer. Fangt ihn geschwind! Daß er uns nicht entwische, dafür will ich wohl sorgen, so wahr ich Peter Krummholz bin, der Bäckerzunft Obermeister?«

Der so mit schriller Stimme schrie, daß ihm schier der Odem ausgieng, saß auf einem Gaul, was wohl nothweise geschah. Denn er war so gar fett, daß ihn gewißlich seine Füße nicht bis hieher getragen hätten. Neben und hinter ihm giengen etwa zwölf Fußknechte mit Eisenhauben. Etlichen fehlten auch Schilde nicht.

»Thut nicht so übel«, rief ich da, »daß Ihr einen Unschuldigen angreifet! Ich bin nicht der, für den Ihr mich anseht, hab' weder Euch noch sonst Keinem ein Leid zugefügt.«

Ich wollte ihnen noch ferner zureden, aber der auf dem Rosse schrie noch viel ungeberdiger denn zuvor die Seinen an:

»Wohl dran, Gesellen, sage ich! Fangt mir den losen Buben! Ich kenn' ihn wohl wieder am blauen Wams und dem schwarzen Langhaar. Wohl dran, sag' ich noch einmal! Eine Kanne gut Bier Jeglichem, und wer ihn zuerst angreift, zwo!«

Wie er sie so muthig auf mich hetzte und ihrer zween oder drei mit vorgehaltenen Spießen auf mich drangen, als wär' ich ein schändlich Wild, da überkam mich ein Grimm und meinen Sehnen wuchs die Kraft. Mit mächtigem Prall stieß ich auf den Ersten, der auf mich einwollte, daß er zurücktaumelte, und sprang an den Andern vorbei, die sich deß nicht versahen, zurück zu unserer Feuerstätte, wo ich noch des Fiedlers Schwert liegen wußte. Ich griff es auf, faßt' es fest und schrie ganz außer mir: »Heran denn, wen's lüstet, seinen Lohn an mir zu verdienen!«

Daß ich mich mit einem Gewaffen zur Wehr setzen würde, hatte sich Keiner befahren, und so stunden sie einen Augenblick unentschlossen, wie sie ihr Werk angreifen sollten. Da gedacht' ich, durch sie hindurchzudringen und zu entrinnen. Des Einen Spieß hielt mich auf. Ich schlug ihn seitwärts und überrannte den Mann. Aber der Stoß eines Anderen traf mir den linken Arm und gab mir heftigen Schmerz. Alsbald rannten sie Alle wider mich zusammen und es ward ein groß Getümmel. Ihr Meister tobte mit bösen Worten und scharfem Kreischen, wie von Sinnen, indeß ich mich mit meinem Eisen wehrte, wild um mich schlagend. Denn so viel ich von mir wußte, wollt' ich eher mein Leben lassen, als mich in ihre Hände geben. So wär' mir's auch allerdinge ergangen bei der Übermacht meiner Feinde, und weil ich so ganz ungeübt war zu streiten, wenn nicht Gott mit mir ein Anderes beschlossen hätte.

Denn von Ungefähr trug sich's gewißlich nicht zu, daß just zu dieser Zeit drei Reiter den Weg geritten kamen von der Richtung, nach der meine Fahrt gieng. Es war ein rittermäßig angethaner Herr und zween Knechte. Diese mochten von ihm, da er unseres Streitens ansichtig geworden war, vorausgeschickt sein, denn sie sprengten, ohne daß Einer vor Eifer und Gedrang ihr Nahen wahrgenommen hatte, weil aller Blicke und Gebärden auf mich gerichtet waren, mit höchster Eil' und ungedacht in den Haufen meiner Widersacher mitten hinein, daß männiglich vor ihnen zurückwich.

»Städter sind's, Helmbold«, sagte der Eine zum Anderen und rief dann: »Seid Ihr so unbescheiden oder so erhitzt gegen einander, daß Ihr es wagen dürft, unserm gnädigen Herrn den Weg zu verlegen mit Eurem Hadern?«

Da schrieen sie zumal, der Eine dies, der Andere das, indem sie auf mich wiesen, und schlugen auf's Neue auf mich ein.

»Gebt Ruhe alsogleich!« geboten die Beiden da drohend, ritten durch sie hindurch nahe an mich heran und schirmten mich so vor ihrer Wuth.

Als dergestalt Niemand an mich durfte, ward der Bäckermeister ganz unsinnig auf seinem Roß und that des Tobens und Scheltens um so mehr. Aber es währte nur eine kleine Weile, da kam der Ritter selbst heran, ein ältlicher Herr, der etwas gebückt, aber noch gar fest im Sattel saß.

»Bei Gottes Thron!« rief er und sah Krummholz und seinen Troß mit Staunen an, »das sind Leute aus Waibstadt, das ist der ehrsamen Bäckerzunft Obermeister!«

»Peter Krummholz, edler Herr«, antwortete der, sich verneigend, »bei dem Ihr vor drei Jahren, als Ihr durch Waibstadt gen Basel zogt, zur Herberge gelegen.«

»Wo mir Euer Töchterlein, – heißt sie nicht Bärbel? – den Willkomm credenzte; ich entsinne mich deß wohl. Aber wie geschieht das, daß Ihr hier auf meinem Grunde zu Felde liegt und wider Gesetz und Recht den Frieden brechet? Hat nicht auch Eure Stadt mir in die Hand gelobt, ihre Streitsachen gütlich zu vertragen, auch dieselben an mich zu bringen, ob sie nicht beizulegen? Und nun find' ich, nachdem ich wenige Zeit von dannen gewesen, daheim wieder den alten Hader, und auf offener Landstraße am helllichten Tage!« Und unmuths schlug er sich auf die Hüfte.

»Keine Streitsache ist es, Ew. Gnaden«, erwiederte der Bürger, sich rechtfertigend, »unter uns oder mit unsern Nachbarn entstanden, um die wir allhier bewehrt von Euch angetroffen werden, sondern ein Schelmenstück, uns und gemeiner Sicherheit zum Schaden zugefügt. Das begehren wir zu richten.«

Ehe er fortfuhr, weil die Luft ihm ausgegangen, rief ich, noch immer im Zorn: »Ohne Urtheil und Spruch oder einige Ursach' haben sie mich ganz Schuldlosen wie einen Schächer überfallen. Ich bitte aber Euer Gnaden durch Gottes Marter, daß Ihr zur Beweisung meiner Sache mich hören wollet; denn dieser da weiß auf jeglich Wort, das ich ihm sage, nichts Anderes, als mit Wüthen und Toben auf mich zu hetzen, so er doch fürgibt, gemeiner Sicherheit zu dienen.«

Ich wollte weiter reden, aber heftig brach der Bäckermeister wieder los: »O wie listig der lose Bube plaudert! Das ist seine ausbündige Kunst, sich mit Worten zu schmücken; aber sie soll, will's Gott! nun am Längsten geschadet haben! – Euer Gnaden kennet meine Tochter, das Bärbel; hat Euch credenzet vor drei Jahren, eine feine Dirne und mein einzig Kind. Sie hab' ich am letzten Andreastage des Schultheißen Sohne verlobt, Mathias Kaulfuß, einem tugendhaften Jüngling. Vor vier Tagen haben wir den Brautleuten die Hochzeit ausgerichtet und dieselbige gestern mit einem Freudenmahl zu beschließen gedacht. Denn unsere Freundschaft ist groß, und um des Schultheißen willen war der Stadtobrigkeit und um meinetwillen der Bäckerinnung Ehr' und Ansehen höchst nöthig zu wahren. Doch Ihr müßt wissen, edler Herr, in unserer Stadt ist von Alters her leider zwischen den Bäckern und Metzgern viel Verdrieß und Hinderung, welches Alles aber als Nichts zu rechnen ist gegen die Feindschaft, die nun um sich gefressen. Denn Heinrich Häsener, des Metzgergewerkes Obermeister, hat öftermalen bei mir um's Bärbel für seinen Sohn werben lassen, auch öffentlich geprahlt, ich müßt' sie ihm geben. Wie er's nun nicht erlangte, auch nicht hindern konnte, daß Bärbel des Schultheißen Schwiegertochter ward, da hat er sich hoch vermessen, er wolle uns mit seinem Anhang die Hochzeit verderben. Darum mußten wir beweisen, daß wir auch trotz den Metzgern etwas vermöchten.«

»Macht's kurz, Meister!« unterbrach ihn der Ritter. »Was geht Eure Hochzeit diesen Handel hier auf der Straße an?«

»Sehr viel, Euer Gnaden! Gebt nur Acht! Denn wie Häsener und sein Anhang uns in allen Stücken den Widerpart hielt, so kommt' er doch dem Zulauf bei uns und der Ehre, die wir einlegten, im Geringsten Nichts abbrechen. Denn wir hatten die Stadt-Zinkenisten, daß sie pfiffen und bliesen bei der Heimholung und in meinem Haus; so hatten sie sich die Stadtpfeifer von Bischofsheim verschrieben. Mit denen zogen sie den Unsern nach und ließen sie gegen meinem Hause über in der Metzger Gesellenstube aufspielen, so oft unsere Zinkenisten mit Blasen anhuben. Aber die Pfeifer stunden bald ab, denn sie sahen, daß sie gegen unsere Zinkenisten Nichts vermochten, sondern jedesmal übertönt wurden. Gewißlich auch wären die Metzger endlich zum Gelach geworden der ganzen Stadt, denn sie konnten mir nicht einen Hochzeitsgast abwendig machen. Aber gestern hat der üble Teufel, der an jeglichem Tuck seine Freud' hat, zwei fahrende Landstreicher dahergeführt, den Gauch da und seinen Gesellen; die haben ihnen das Spiel gewonnen. – O wartet ein klein wenig, Ew. Gnaden«, fuhr er aufgeregt fort und entknöpfte seinen Brustlatz, »mir versetzt es schier die Luft, wenn ich daran gedenke, aber ich will's Euch ganz nach der Wahrheit berichten.«

»Das sei Euch gespart, Meister!« rief ihm der Ritter ungeduldig zu. »Wenngleich man Euch die Hochzeit verdorben hat, könnt Ihr doch darum Keinen wollen kampflich anrennen und schlagen, wie Ihr thut.«

»Das ist mir wohl wissend«, fuhr der Bäcker fort, hier stehen meine zünftigen Gesellen alle, die sollen mir bezeugen, ob ich ein Einiges aufbringe, das nicht nach der Wahrheit ist! Sind nicht die zween fahrenden losen Leute auf den Markt gestanden gestern unter der Metzger Geleite und haben mit ihrem losen Wesen schier Alt und Jung nach sich gezogen? Der Eine nannte sich Klingsohr, mit Zauberspruch, Arzeneiung und Teufelskunst, der brauchte kündlich Höllenlist. Der Andere nannte sich Tannhäuser, strich die Fiedel so ausbündig und wußte zu singen und zu sagen, was die Leute gern hören, von Walther, König Rother, vom hörnenen Siegfried und allen Mären, die doch nicht zur Gottseligkeit, noch zu ehrsamer Kunstübung dienen. Das ist der da im blauen Rock! Ist nicht zu ihm Abends, als kaum der Brauttrunk umgegangen war nach dem Schmaus, das junge Volk allsammt hinüber gewichen in der Metzger Gesellenstube, wohin Häsener sie genöthigt hatte, und konnte gar der Umtanz der Hochzeiter nicht gesprungen werden, wie es doch Brauch ist, weil bei uns nur die Alten sitzen geblieben waren auf der Bank und auch die nicht Alle! Und gar trübselig und des Ärgers voll war uns der Hochzeit Ende schon in früher Nachtstunde; die drüben aber hatten der Kurzweil und des Springens kein Ende bei dieses Buben losen Künsten. Denn ein Gauch ist er, wie der Andere, sag' ich, und ein Dieb. Während der Fiedler Aller Ohren und Sinne auf sich lenkte, da hat er dem Teufelskünstler Raum geschafft zu seinen Schelmenstücken. Sagt, meine Gesellen, sind nicht heute Morgen alle drei Gänse aus meinem Stalle weg gewesen, die ich den Winter über gefüttert? Hat nicht Catherin, die Magd, bekannt, sie selbst habe den Klingsohr in den Hof hinter die Küch' geführt, weil er fürgegeben, er wolle ihr da für ihren ungetreuen Liebsten die Nestel knüpfen? Er ist entwischt, aber seinen Diebsgesellen haben wir durch gutes Glück gefunden. Da steht er überführt, und seine Straf' soll Andern, will's Gott, ein Exempel sein.«

Als ich des Beleidigten und Bestohlenen Rede hörte, erschrak ich über die Maßen sehr, und meine Wuth wich großer Besorgniß; denn ich sah, daß mein Kleid, das Feuer und des Mahles Zurüstung, meine wagende Gegenwehr, Alles wider mich zeugte, und es entfiel mir mein Herz, da ich daran gedachte, daß mir des Abtes Schrift und Brief, wodurch ich mir freilich hätte leichtlich Glauben verschaffen können, samt der Kutte geraubt waren.

Wohl mochte mir der Ritter ansehen, wie verstürzt ich war, als er mich hart anredete:

»Du bist also der Tannhäuser?«

»Gewißlich, Herr, das ist mein Name nicht; Diether bin ich genannt«, antwortet' ich ihm mit wenig kecklicher Stimme.

»Freilich bist Du so wenig der Tannhäuser selber, wie Dein Gefährte der Klingsohr«, sagt' er. »Aber Du bist es doch, der sich vom Volke also heißen läßt?«

»Ja, er!« riefen die Anderen zumal.

»Du bist es, der die alten Mären von Siegfried und den ruhmeswerthen Helden zu sagen so wohl verstanden?«

Wieder bezeugten sie, es wäre Alles wahr, was der Obermeister von mir berichtet hätte.

»Genug denn des Säumens!« sprach der Ritter und befahl seinen Knechten, mich zu binden und zwischen ihren Rossen von dannen zu führen.

»Ihr, ehrsamer Meister«, sagt' er zu Krummholz, »zieht in Frieden heim mit Euren Leuten; den fahrenden Spielmann will ich bei mir in Gewahrsam halten, ihn zu richten, wie ihm nach den Rechten kaiserlicher Majestät für seine begangene Untugend gebührt. Und Ihr, noch der Schultheiß, sorget nicht, daß es nicht nach Strenge geschehe. Der Bärbel bringt meinen Gruß! – Euch Allen freundlichen Dienst und des reichen Gottes Geleit!«

Der Obermeister wagt' ihm nicht zu widerreden. – Sie reichten sich die Hände und schieden. Der Ritter hieß seine Knechte eilen und ritt gemach voraus. Sie hatten bald meine Hände auf den Rücken gebunden und trieben mich zwischen sich her. Die Städter blieben noch an der Stätte, zu verschnaufen, ehe sie die Rückfahrt anhüben. »Gedenkt Eures Verspruchs«, hört' ich noch die Gesellen zum Meister sagen, der erwiederte: »Zwar es hat ihn Keiner gegriffen, doch das Bier sollt Ihr haben, denn heut' bleibt die Zunft noch lange zusammen!«

Mit der Weile war der Abend hereingebrochen, aber er hatte den wehenden Wind nicht zur Ruhe gebracht. Wundersam gestaltet flogen die Wolken über uns, den Mond verbergend und von seinem Glanze röthlich umsäumt. Schwere Tropfen schüttelten die rauschenden Buchen, die den Waldweg überhiengen, den wir eingeschlagen hatten. Er war moosig und von Baumwurzeln behindert, die, wenn ich sie vor mir sah, Schlangen glichen, darüber hin sich windend. Schweigend zogen wir hindannen, und ich hätte gute Muße gehabt, des Weiteren über mein Geschick nachzudenken, und wie ich mich fürder am besten verhielte. Aber ich vermochte nicht, meinen Gedanken zu gebieten; ich war wie mir selbst entfremdet. Ich betrachtete genau die gebräunten Angesichter der beiden Reiter, ihre Eisenhauben, Brünnen und die Falten ihrer wehenden Mäntel. Ich horchte auf das Schnauben der Rosse, deren feuchten Odem ich an meinen Wangen fühlte, auf das Geknirsch ihrer Gebisse, auf das Gestampf ihrer Hufen. An das, was ich vor wenigen Stunden gethan und erlebt hatte, gedacht' ich nicht, auch nicht, was mir ferner zu erleiden vorhanden wäre. Nur als der Mond klar durch die Wolken trat und mir hell in's Angesicht leuchtete desselben Glanzes, den er mir so oft durch's kleine Fenster in meine Zelle gesendet hatte, wenn ich nicht schlafen konnte, da gedacht' ich, ob auch wohl in der weiten Christenheit Jemand zu finden wäre, der in dieser Stunde so sorgenhaften und elenden Herzens zu ihm aufblickte, als der hier gefangen durch die Nacht getrieben ward, und fast wie ein Schrecken überkam's mich, daß ich das selber war, Diether von Maulbronn.


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