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Neuntes Capitel.

Entscheidung.

Wenn im Frühling die schwanken Birkenzweige im ersten Grün erprangen, wenn der laue Hauch der Luft die glänzenden Hüllen von den schwellenden Blattknospen der Buchen und Linden streift, wenn die Blumen aus dem Grase dringen und überall wieder das Leben sich regt und schmückt: dann ist solcher Anblick wohl für jeglichen Menschen, der sein genießt, eine Ursach zur Freude, und, sein Muth sei froh oder traurig, ihm sei wohl oder weh, so vernimmt er in solchem Walten Gottes zur Frühlingszeit einen Ruf, sein Herz zu stärken und jede gute Hoffnung aufschweben zu lassen, wäre sie auch oft schon zu Boden gestoßen und gar flügellahm worden. Anders, acht' ich, ist's im Herbst, wenn der Schmuck der Erde allgemach vergeht und von Tag zu Tag die Gärten leerer, die Wiesen fahler und die Wälder kahler werden. Davon mögen die Menschen, je nachdem es ihnen um's Herz ist, leicht oder schwer, einen gar verschiednen Muth gewinnen. Es kann sich ganz lustig ansehen, wie so ein gelbes Blatt nach dem andern vom Baum gelöst und tanzend vom Winde hinweggeführt wird, wenn die Früchte sicher eingethan sind, die der Baum gegeben hat, und dem Genieß aufbehalten; auch weiß sonder Zweifel das Auge des Hoffnungsvollen am sich entblätternden Baume überall die Knospen wahrzunehmen, darin Blätter und Blüthen wohl verwahrt sind schon für's kommende Jahr. Ja, wem daheim der warme Herd in die Mitte der Seinen winkt und zu willkommener Ruhe nach gethaner Arbeit: wie gern mag der sich von den rauhen Herbststürmen hinein scheuchen lassen! Kürzlich: wem die Wurzeln seines Lebensbaumes noch fest und kräftig genug in der Erde haften, Nahrung daraus zu ziehen, wer da im Stamm inwendig noch den Saft aufsteigen weiß: der ersieht auch im Winter nur den Vortraum und Stärkungsschlaf für Leben und Lust des kommenden Lenzes und mag die kalte Hand, die das Laub entstreift, mit Freuden begrüßen. – Aber für die Meisten freilich hält der Herbst, wenn er dem Winter die Bahn macht, eitel Leichensermone; denn unter den Menschen, so zum Nachsinnen über sich gekommen sind, wozu Frau Unglück weit besser anleitet, als ihre ungleiche Zwillingsschwester, sind, wie ich sorge, viel mehrere, welche von der Zukunft hienieden lieber zu wenig hoffen, als zu viel und darum die Trauerlieder des sinkenden Jahres überleicht verstehen und nachsingen.

Dazu war wohl auch ich weidlich geschickt geworden nach meiner Gefangennahme, seit ich wieder in's Kloster zurückgebracht war, allda des Ausgangs meiner Sache zu harren. Zwar nur wenige Monate waren seitdem verstrichen. Aber als ich aus meiner Zelle, die mir zur Büßung abseits von denen der Brüder angewiesen war, in den grauen Novembertag hinaussah, drückten seine tiefhangenden Wolken schier auf mein Herz, und der Wind, der durch die kahlen Äste des Nußbaumes vor meinem Fenster fuhr, seufzte, als wollt' er mir helfen trauern und klagen.

Wie manchen Tag hatt' ich schon vom nämlichen Schemel, den Ellenbogen auf dem Tisch vor mir gestützt, durch dies kleine Fenster hinausgesehen nach dem Nußbaum und dem Himmel, so viel davon zu erblicken war; denn sonst war die Welt meinen Augen versperrt. –

Wenn ich früher ihn betrachtet hatte, wie er so mächtig aus dem Zwinger emporstrebte, hatt' ich nicht gedacht, wie sehr ich's ihm einstmal noch danken würde, daß er also hoch gewachsen war, so hoch, daß er mit seinem Wipfel auch über das kleine Fenster der einsamen Zelle hinausragte, deren Bewohner nun ich war. – Wie doch heute sonderlich die Äste stöhnten, wenn der Wind sie schüttelte und, ihre Zähigkeit erprobend, sie gegen einander schlug; wie knarrend die dürren Zweige zerbrachen, und wie ängstlich die wenigen gelben Blätter, die noch am Gezweige saßen, sich hin und wieder wendeten, so oft ein Windstoß sie erfaßte, als sträubten sie sich gegen ihn und riefen um Hilfe! –

Es war doch Alles umsonst; eins nach dem Andern ward abgerissen und wie zum Hohn wild durch die Luft geführt, oder es sank zitternd zur Erde nieder – eins nach dem andern! – Schon konnt' ich die übrigen an den Fingern meiner Hände zählen – dort eins – dort eins – und dort eins!

Ob wohl auch sie heute würden abgelöst und der Baum ganz kahl werden? –

Ach, es war heut ein traurig Ding um ihn und den Himmel dahinter! –

Als ich zuerst hier in diese Zelle hereingeführt und hinter mir die Thür verschlossen ward, daß ich allein wäre (wie war ich's gewohnt geworden seitdem!) mein Sinnen und Denken abzuziehen vom eitlen Wesen der Welt und nur auf meine Schuld zu lenken und heilsame Büßung: wie winkte mir da durch's Fenster das dichtbelaubte Gezweig so freundlich entgegen! Schwellende Früchte, zu Trauben gesellt, schauten daraus hervor, und blitzendes Licht vom blauen Himmel her spielte zwischen den grünglänzenden Blättern. –

Das war zur Johanniszeit, am Tage, nachdem ich in's Kloster auf Erfordern des Abtes und mit Bewilligung des Bischofs war zurückgeführt worden. Ich war in den Capitelsaal gebracht, allwo der ganze Convent sich versammelt hatte, daß ich vor den Abt gestellt würde, mein Urtheil zu empfahen, wie mit mir zu handeln wäre im Kloster. Denn obgleich meine Erledigung zurück in den weltlichen Stand allerdinge nach dem Spruch derer, denen die Entscheidung unterstünde, zu erharren wäre, so hätte ich doch meine Untugend und all' das Ärgerniß, so ich gegeben, als dem Cisterzienser Orden zugehörig, verübt, und müßte daher gemäß der heiligen Observanz und St. Bernard's Regel zum Heil meiner Seele, zur Befestigung der Guten, zur Stärkung der Schwachen, zur Warnung der Sichern mit mir gethan werden.

Solches Alles ward mir vor den Brüdern im Capitel von Abt Albrecht verkündigt, der dazu eine Rede that, die mir recht das Heimlichste meines Herzens vor Augen kehrte, daß ich sah, wie schwarzer Farbe es war; denn er war gewaltig in Worten. Er nannte den Tag, da er von meiner Sünde hätte hören müssen, den traurigsten von allen, seit ihm der Abtstab in die Hand gegeben wäre; er beschrieb meinen Sinn, wie schlimm geartet er wäre und unwerth, daß ich all' sein Vertrauen, das er zu mir gekehrt, und seine gute Meinung so gröblich zu Muthwillen und Verübung loser Narretheidinge gemißbraucht hätte; er sagte auch: wenn der Herr und Weltenrichter schon den unnützen Knecht in die äußerste Finsterniß und in die schrecklichen Höllenschlünde verweisen wolle, darum daß der Schalk mit dem einigen ihm verliehenen Centner nicht gewuchert habe, welche Qual werde sich der verdienen, welcher hohe und edle Gaben, so er von Gott empfangen, dazu verwende, daß er damit unsers Herrn und seiner heiligen Kirche Ehre, statt sie zu erbauen, kränke und ganz niederlege!

Darnach fragt' er mich, ob ich etwas zu sagen hätte, so sollte mir das verstattet sein.

»Würdiger Vater!« sagt' ich da. »Es ist Alles wahr, deß Ihr mich zeiht. Ich habe schwer gesündigt wider Gott, wider Euch, wider den heiligen Orden. Aber so wahr ich Euch und dem würdigen Convent hier von der ewigen Dreifaltigkeit beständige Genüge erwünsche, so gewißlich kann ich Gott im heiligen Stande nicht länger dienen, habe nur ein Verlangen, mich zum ritterlichen Leben zu schicken, und bitt' Euch demüthig: Helfet mir dazu!«

Durch solche Worte, sagte wieder der Abt, erfände sich's desto gewisser, wie völlig mein Herz geblendet wäre. Darauf ward ich dem Frater poenitentiarius zugewiesen, daß er die geistlichen Büßungen, so mir aufzulegen, leiten und in Allem meiner armen Seele rathen möchte, die Bosheit auszuziehen und Gnade zu gewinnen.

Der hatte denn auch das Amt, so er überkommen, an mir mit allem Eifer angegriffen. Einsamkeit, Casteiung und allerlei Plage sollte meinen Sinn ändern, dazu stetes Gespräch mit ihm von heiligen Dingen und von Verachtung der Welt. War ich nicht manchen Tag hinunter in die Geißelkammer geführt worden, auch dazu aus dem Schlaf geweckt, allda das Miserere zu singen und Schläge zu leiden?

Doch wiewohl mir meine große Fehle, damit ich mich verschuldet hatte, leid war, so blieb doch mein Muth und Wille hinausgerichtet, wie anfangs, und die himmlischen Dinge, die mich hinwegziehen sollten von allem weltlichen Trachten, erlangten diese Gewalt nicht über mich. Ja, wenn oft unter den Geißelschlägen mein Rücken rünstig ward und ich dennoch ihnen stille hielt und nicht zuckte; wenn ich jegliche Pein, mit Wachen und Fasten mir auferlegt, williglich trug und nicht murrte, so wähnte mein Beichtiger wohl, es wäre die wahre Zerknirschung und herzliche Reue, die mich so harte Buße demüthig tragen lehrte: aber es stund viel anders mit mir. Ich hätte das Schwerste auf mich genommen in dem Gedanken, der mir auch all' dies Ungemach leicht machte: daß ich es litte, weil ich mich gefangen gegeben für sie, für die Maid, die mir allzeit im Sinne lag, deren Bild in aller Pön mir winkte.

O, welche Gewalt hat doch eine starke Hoffnung über des Menschen Herz! Sie ist allgegenwärtig, wie das Sonnenlicht. All' unser Denken und Thun, Mühe und Plage, Leid und Noth durchleuchtet sie; sie durchsüßet die Bitterniß und durchblümet selber die Wüstenei, die wir durchwandern müssen.

So hab' auch ich's erfahren in jenen Tagen.

Wie oft, wenn ich einsam in der Zelle weilte, brachte mir die gewisse Hoffnung, der Tag der Befreiung würde erscheinen, Stärkung und Trost! Wie malte sie mir mit dem Sonnenstrahle, der an der Wand zitterte, lichte Bilder hin von Aventiuren, Ehren und ritterlichen Thaten, von Freiheit und Wiedersehen! Wie hört' ich ihr Flüstern im Rauschen des Nußbaumes, wenn der sanfte Wind das Laub bewegte!

Mit jedem Tage stieg diese Hoffnung; denn jeder brachte ihre Erfüllung näher.

Mit Fleiß achtete ich auf die grünen Früchte, die mir der Nußbaum durch's Fenster zeigte, wie sie allgemach größer wurden. »Eure Schaale ist bitter«, sprach ich oft, »und selber dem Anblick wird sie unhold mit der Zeit. Aber drinnen hegt sie wohlverwahrt den süßen Kern; die Hülle springt, und er tritt an's Licht. So tragen auch diese Tage, deren Bitterkeit ich schmecken muß, in ihrem Schooße für mich die köstliche Frucht der ersehnten Freiheit; noch ist sie mir verborgen, aber unmerklich reift sie heran.«

Doch ach! eine Woche nach der anderen war herumgegangen, und noch immer hört ich nichts davon, daß draußen meiner gedacht ward. Jeglichen Morgen sah ich klopfenden Herzens in meines Beichtigers Angesicht, prüfend, ob er die erhoffte Nachricht mir nicht zu verkünden hätte. Aber er schwieg davon, und der neue Tag schwand gleich dem vorigen.

So einförmig giengen die Tage hin, so geräuschlos schlich die Zeit durch Wochen und Monate, daß ich ihrer Zahl und Menge, wie viel ihrer waren, gar nicht Acht hatte. Aber wohl sah ich, wie die Nüsse sich aus ihren Hülsen schälten, vom Baume fielen und die leeren Schalen zurückließen; wie die Blätter sich entfärbten und das Geäst allgemach lichter ward; wie dann der Himmel, der da hindurch blickte, als durch ein immer weiter sich öffnendes Gegitter, öfters trüb schien und seltener in blauer Klarheit glänzte. Ich sah, wie das Sonnenlicht immer später meine Zelle besuchte, immer schmaler darin seine goldenen Streifen zog und nimmer bälder daraus verschwand.

Wenn auf trübe Tage wieder ein sonnenheiterer folgte, hatte ich schier mit Ungeduld geharrt, den Schein zu sehen, ob er wohl merklich würde zurückgewichen sein gegen das letzte Mal, da er an der Wand geglänzt; und als es geschah, daß ich wahrnahm, wie die Sonne meine Zelle nicht mehr erreichte und den letzten Scheideblick des Jahres herein geschickt hatte in meine Einsamkeit: da war eine große Traurigkeit über mich gekommen, als sollt' ich auch den güldnen Träumen von Erledigung und Freiheit den Abschied geben.

Aber ich hatt' es nicht vermocht, ich hatte um so sehnlicher gehofft und war nicht müde darin geworden, wie auch die Blätter immer zahlreicher fielen und die kahlen Zweige schmucklos zu mir herein starrten. – –

Wie mit Fleiß ich an dies Alles heut' zurückdachte am stürmischen Novembertage, als ich zum grauen Himmel hinaussah, und wie die letzten Blätter sich wehrten wider den Wind, der sie zauste, und half ihnen doch Alles nichts!

Nein, es half auch mir nichts: mein Hoffen und Sorgen, Zagen, Wünschen und Ungeduld! – Wenn es der Weltenherr so beschlossen hätte, daß mein Leben und die Welt draußen immer geschieden blieben von einander! Wenn das Gelübde meiner Mutter, da die Gottesminne ihre Liebe zu mir bezwang und durchklärte und sie mich der frommen Hut des Klosters übergab, gewißlich ach, mit heißen Gebeten! im Himmel versiegelt ward!

Aber konnte das sein? Wäre mir dann die Einfalt und der Frieden meiner Jugend so verwirrt durch Lust und Weh der Welt, durch das Eindringen ihrer Süße und Herbe in mein unerprobtes Herz? Wären dann jene Versuchungen an mich herangedrungen, um welcher willen, daß ich vor ihnen geborgen bliebe, ich hieher gebracht worden war an diese Stätte geschützten Friedens?

Doch wie? Durft' ich mich unterwinden und all' dies, was mich abwendig gemacht hatte dem heil'gen Stande, ansehen als von dem waltenden Gott so gefügt? War es nicht vielmehr der Dünkel und Wahn meines unberathenen Herzens, eigenwilliges Entweichen vom Wege, der mir verordnet war? O, dann war es ein unmächtiges Ankämpfen, ein schuldvoller Ungehorsam. Und dies sehnliche Verlangen in mir nach Ehre, Freude und Glück der Welt, nur darnach? nein! auch nach ihren Kämpfen, Mühen und Schmerzen: sagte es nicht noch jeden Augenblick Ja! zu der Hoffahrt und Eitelkeit meiner Seele, bedrohte es mich nicht mit immerwährender Unseligkeit, so der Spruch fiele, daß ich im Kloster bleiben müßte? Dann wäre mir die Erde vergällt und für die Ewigkeit meine Seele der finsteren Schaar zugeordnet. –

Ich erschrak vor solchen Gedanken! Ich sah hinweg vom Fenster und lenkte meinen Blick auf das Buch, so vor mir aufgeschlagen war. Es waren S. Anselmi Betrachtungen. Mein Beichtiger hatte mir das Buch hereingegeben zu heilsamem Nachdenken. Täglich mußt' ich ein Stück darin lesen und auf sein Befragen davon Rechenschaft thun, ob ich die Meinung recht verstanden hätte. Ich that es; aber meine Seele war nicht dabei. Heute zum ersten Mal kehrt' ich allen Eifer dazu. Ich las von dem Meere des Verderbens, welches wäre die Tiefe weltlichen Begehrens, und vom bodenlosen Schlamme der fleischlichen Lüste; ich las von dem Elend dieses Lebens: wie es gliche einem finstren Thale, in seinem Grunde voll Martern; darüber eine einzige Brücke, sehr lang, aber nur eines Fußes breit; über diese so schmale, so hohe, so gefährliche Brücke gehen müssen, mit verbundnen Augen, also daß man seine Schritte nicht sehen kann, mit rücklings gefesselten Händen: so in Furcht und Ängsten des Herzens schweben: Das wäre dieses Leben. Ich las vom Tode, wie er alle Schönheit der Gestalt verderbt und die zarten Glieder der Verwesung und den Würmern überantwortet; vom Grauen der Sterbestunde, von den Schrecken des jüngsten Tages.

Solches Alles las ich, wie es in der ersten Meditatio des heiligen Lehrers zu finden ist. Davon überkam mein Gemüth große Pein. Denn wenn ich es untersuchte, so erfand ich doch darin die Abkehr von dem vergänglichen Weltwesen nicht erwirkt, noch das Verlangen nach der himmlischen Freude entzündet; sondern daß ich frei würde und ein wackerer Held, der Ehren erwürbe Brun zum Trost und Irmela zur Freude: das war all' mein Verhoffen und mein Begehr, wie vorhin.

Da schickt' ich mich an, zu Gott zu rufen, daß Er mir die Verachtung der Welt in die Seele senken möchte und die völlige Gelassenheit, aber unvermerkt ward solch' Gebet zur Bitte, die Stunde meiner Losgebung möchte bald erscheinen – und Beides zusammen konnte doch nicht bestehen.

So hub ich denn in also zweifellichem Wahn meine Augen auf und sah hinaus, wie ich zuvor gethan hatte. Der Wind fuhr noch immer durch die Zweige und schüttelte sie. Hatte er denn schon alle Blätter nun davon geführt, alle? – Nein, eines hieng noch fest, ein einziges. Ich faßt' es in's Auge und blieb daran haften mit meinem Blick, wie es ohne Aufhören auf und nieder und zu den Seiten flatterte und doch nicht abriß. – »Du willst, guter Baum,« sagt' ich, »das Einzige, was Dir vom sommerlichen Schmuck geblieben ist, nicht lassen; also auch ich nicht die Hoffnung von daher. Aber das Jahr ist spät und wie lang' kann Dein Widerstand noch dauern – und meiner?«

Aus solcher trübseligen Betrachtung erweckte mich ein Klopfen an der Thüre. Die kleine Öffnung in ihrer Mitte, deren Thürlein aufgethan ward, ließ eine Hand sehen, die ein Papier in die Zelle fallen ließ. Als ich es aufnahm, war schon die Hand wieder zurückgezogen und die Öffnung verschlossen.

Es war ein Brief, erbrochen und durch den Abt mir überschickt – ein Brief, mir von Brun geschrieben aus Rom. Wie froh erschrak ich, als ich den Namen las, und wie faßt' ich jeglich Wort, das da geschrieben stund, zu Herzen!

Gewißlich entsänn' ich mich seines Scheidewortes an mich. Ihm wär' es allzeit lebendig im Herzen geblieben, und Anderes hätt' er nicht erstrebt, als daß er mir Befreiung erwürbe und mich in das Erbe seines Namens und seiner Güter setzte. Er hätte manchen Gang darum gethan und auch Graf Eberhard – ich kennte doch Adelbert aus Bruno's Geschichte? – – wäre ihm eifrig zur Seite gestanden. Auch andere seiner Freunde aus jungen Jahren hätten sich für ihn eingelegt und selber ihm zur Hoffnung verholfen, daß er Land und Leute, so er einst besessen, wiederum zu Handen erhielte. Aber es hätte sich erwiesen, daß geistliche Rechte wider ihn wären.

Und nun ließ er mich wissen, daß meine Mutter nach altem Brauch mich feierlich dem Kloster und geistlichem Orden übergeben, daß der Priester aus ihrer Hand mich auf den Hochaltar genommen und als ein Opfer und süßen Geruch dem Himmelskaiser geweiht hätte. Da wäre die Stola um des Knäbleins Arm von ihm geschlungen worden und meine Mutter hätte alle heiligen Gelübde, vom Priester ihr vorgesprochen, für mich vollbracht. Auch wäre darüber eine Urkund nach allem Erforderniß in der Abtei niedergelegt. Auf solches Alles hätte sich der Bischof berufen, und zu ihm hätten die höchsten Oberen des Cisterzienserordens gestanden. – Darum hätt' er sich aufgemacht und wäre gen Rom gezogen, dort beim heiligen Stuhl für mich zu bitten; aber man hätte ihn schlecht an die Entscheidung des Bischofs und des Ordens gewiesen, darnach müßte der Spruch gefällt werden.

Ob ich ihn wohl zu lieben angefangen hätte, als das Kind den Vater soll? Ob ich mir wohl fürbilden könnte, wie selig ihm die Stunde gewesen, da er mich gefunden und wie er seitdem nichts wüßte, als mein Bestes zu suchen? – Dann sollt' ich nicht wider Gott fechten, den Frieden meiner Seele in Acht nehmen und mich in's Kloster ergeben. Ich sollte nicht hinaustrachten um seinetwillen, denn er hätte aller Dinge beschlossen, daß wir unser Angesicht nicht mehr sähen. Es wäre besser so. Er hätte ja eine Weile gedacht, der hehre Christ hätte seine Buße angenommen und wollte sein brauchen, Freude für seinen Sohn zu säen und ihm die Wege durch die wirre Welt zu ebnen, in denen er selber sich verloren. Unterweilen hätt' er auch einen hellen Traum gehabt, als möcht' er Joconda wiederfinden. Aber sie wäre, wie er erkundet hätte, schon lange in Frieden, wohin dies zeitliche Jammerwesen nicht reichte, und um mich wär' er solches Glückes nicht würdig erfunden. Darum wollt' er von Stund' an seine Buße vollenden und die göttliche Güte unablässig bitten, daß sie meine Seele von allem irdischen Dichten reinigte und ganz ausleerte von jeglichem Verlangen, das doch nicht erfüllt werden könnte, bis mein inwendiger Geist ganz stille würde und offen für die Süße der himmlischen Liebe. Weil er denn bedächte, daß das Band, so mich mit ihm verknüpfte, mich sonderlich stark hinauszöge in die Welt, so hielte er es für wohlgethan, auch dies Gott aufzuopfern, daß ich mich leichter losmachte und, was ich aufgeben müßte, desto minder schätzte. »So scheide ich denn«, so beschloß der Brief, »mein herzgeliebter Sohn, hiemit von Dir, nicht nach dem Herzen und nicht für ewig. Unser kleines Leben ist wie ein Rauch; meines ist bald verschwunden. Denke, daß es heut geschieht! – Die ewige Dreifaltigkeit nehme Deiner in Gnaden wahr, sie enthebe Dich aller Wirrsal und gebe Dir Freude und Frieden! Das ist mein Segen. Fahr wohl! –

Mein Sohn, bitte für mich!

Gegeben in Rom in St. Augustini Kloster.
Bruno.«

Als ich ausgelesen hatte, entfiel der Brief meinen Händen und meine Arme sanken schlaff herab. »Fahr wohl, fahr wohl!« rief es mir nach. »Fahr wohl, mein Vater! fahr wohl jede süße Hoffnung; fahr ewig wohl!« In dumpfem Klageton hört' ich's so; aber ich fühlte, wenn ich's ausspräche, so müßt' ich's hinausschreien, und ich verharrte im Schweigen. Denn in allzugroßem Weh mißgönnt sich der Mensch auch den Trost der lauten Klage. –

Eine starke Windsbraut, die mit klatschendem Regen gegen das Fenster fuhr, schreckte mich auf und riß meinen Blick empor. Die Äste schlugen gegen die Scheiben, also daß sie erklirrten, und das letzte Blatt, von seinem Zweige geschieden, wirbelte durch die Luft; eine kleine Weile ward es umhergetrieben, dann entschwand es meinen Blicken.

»Fahr wohl, fahr wohl!«

Da quoll ein Dunkel auf um mich her, als wollten Wellen eines Meeres mich verschlingen, und die Sinne vergiengen mir. – Als ich mich wiederum besann, fand ich mich auf der Diele liegend; der kurze Tag war herum und die Zelle ganz finster. Vom Himmel und vom Nußbaum war nichts mehr zu sehen, nur der Wind gieng draußen wie vorhin, und so oft er die Äste gegen das Fenster bog, hört ich's noch immer rufen: »Fahr wohl, fahr wohl.«

Ich weiß nicht, wie lange dies währte, als es geschah, daß an der Thür der Riegel zurückgeschoben ward und gleich darauf Einer aus dem Convent, nicht der meiner Pönitenz vorgeordnet war, mit Licht in meine Zelle trat.

So geschlagen ich war in jener Stunde vor großem Leide, wollt' ich doch nicht, daß Solches im Convent offenbar würde; ich hatte mich also aufgerafft und trat dem, der mich heimsuchte, so gelassenen Angesichts entgegen, wie ich's vermochte.

Der aber sprach, mich betrachtend: »Diether, wie siehst Du verhärmet aus! Fasse Muth in's Herz; leichtlich wirst Du bald wieder froh. Denn so erfindet sich's unselten im Leben, daß die besten Tage die bösesten ablösen.«

Darnach sagt' er mir, daß Abt Albrecht ihn geschickt hätte, mich allsogleich vor ihn zu führen, und, wie sich's ansähe, hätte der für mich wichtige Zeitung.

Als ich in des Abtes Gemach trat, saß der, wie er pflegte in Stunden der Muße, im hohen Gestühl, vor sich ein Buch zu heiliger Betrachtung und gelehrtem Fleiß oder, wenn es mit Bildwerk geziert war, auch zu lustsamer Beschauung bestimmt. Doch er hatte das Ansehen nicht, als ob er heute sein Nachdenken da hinein tief versenkt hätte. Denn kaum erblickt' er mich, als er mich näher winkte, eine kleine Weile prüfend seine Augen auf mir ruhen ließ, seinen Mund aufthat und folgendermaßen anhub:

»Wir haben Dir eben heute, Diether, einen Brief zugehändigt, der billigermaßen Dein Gemüth beschwert und in Traurigkeit gesetzt hat. Denn darinnen ist Dir kund geworden, daß Du Deines Vaters Angesicht nicht mehr sehen sollst in dieser Zeitlichkeit.« –

Als ich diese Worte hörte, fühlte ich die Trübniß, die mich vorhin überwältigt hatte, wiederkehren, und wiewohl ich mich gedachte fest zu machen, konnt ich's nicht wehren, daß meinen Augen vor übergroßem Leide Zähren entflossen.

»Ja, gewißlich«, sprach er weiter, als er solches wahrnahm, »ist davon Deine Seele hochbewegt; und wir nehmen noch sonst ein Verständiger, sogethane Trauer Dir nicht für Übel; denn kindliche Liebe ist göttlicher Schöpfung, und Fleisch und Blut thun nach ihrem Willen. Doch, Diether, ich verhoffe, die ernstlichen Ermahnungen aus theurem väterlichem Munde, auch die Erkenntniß Deines eigenen Herzens und deß, was ihm das Beste ist, dazu Du mit allem Fleiß angehalten worden bist, werden Dir geholfen haben, jene Traurigkeit zu überwinden, die eitle Herzen unter sich bringt, denen der Welt Lust versagt ist, darnach sie vergeblich trachten. Ich verhoffe, Du siehest fürder diese Abtei, in der Du auferzogen bist, nicht als ein Gefängniß an, sondern bedenkest wohl, daß Du allhie nicht allein der Seele Heil am ungefährdetsten erwirken, sondern Gott mit der edlen Kunst, deren Vermögen Er Dir verliehen hat, am würdigsten dienen magst. – Daß in dem Allen Dein Sinn erprobt werde, dazu ist Dir zur Stunde Gelegenheit geboten.«

Ich horchte auf bei diesen Worten und sah ihm mit großer Erwartung zu, als er eine Schrift, die er zur Seite liegen hatte, in die Hand nahm und entfaltete.

»Wir haben eben heute Briefe empfangen«, sagt' er dabei, »Deine Sache angehend, welche darthun, daß die, so zuvörderst das Urtheil darüber zu fällen haben, anderen Sinnes worden sind, wie es mit Dir zu halten sei, als es sich zuvor anließ. Auf dringendes Ansuchen des Bischofs, dem unsere Abtei untersteht, hat das General-Capitel unseres Ordens neuerdings verwilligt, daß unser Convent Dich losgebe, und Dich des Gelübdes, einst für Dich gethan, entbinde.«

Als ich diese Worte hörte, überkam mich eine Freude, als dränge ein heller Sonnenstrahl plötzlich in mein von Traurigkeit ganz überschattetes Gemüth.

»So soll ich frei sein, ehrwürdiger Vater?« fragt' ich mit Pochen meines Herzens. »Ist es das, was Ihr sagtet – frei?«

Ihm war aus der Hast, mit der ich Solches redete, die Unruhe meiner Seele wohl offenbar. Mit Verwunderung und auch, als hätt' er weiseren Sinn mir zugetraut, sah er mich an und gab mir weiter Bescheid: »Auch soll von dem liegenden Gute, einstmals Deinem Stamme zugehörig, auf Verwendung der bischöflichen Gnade und mächtiger Freunde so viel durch Lehenshand Dir wiederum zufallen, als zur ziemlichen Erhaltung ritterlichen Standes für nöthig erachtet wird; wie Solches die Schriften hier besagen und urkunden.«

»So bin ich nicht fürder hier zu bleiben gehalten?« fragt' ich wieder; denn mir war's nicht anders, als träumt' ich nur.

»Allein Deine Wahl, Diether!« sprach der Abt, »bestimmen forthin Dein Bleiben oder Gehen. Möge Gott, Jüngling, Dich dazu erleuchten, daß Du Dich recht berathest.«

Da konnt' ich mich nicht länger enthalten, eilte auf ihn zu und, vor ihm auf die Kniee fallend, ergriff ich mit Ungestüm seine Hände, küßte sie und sprach: »Dank, dank, lieber Vater, für die Kunde, die mir von Euch geworden ist! Sie macht mich wieder lebendig. Ein schwerer Muth war über mich gekommen, als sollt' ich solcher Märe nimmer froh werden.«

»So steht Dein Wunsch und Wille noch allerdinge hinweg von uns?« fragt' er mit Strenge und doch auch, als lebte, da ich so beweglich und nahe zu ihm redete, etwas von seiner früheren Gütigkeit gegen mich wieder auf in ihm. »Nur Freude schafft Dir dies, auch nachdem Du die Worte Deines Vaters, Herrn Bruno's, vernommen?«

»Ehrwürdiger Vater!« erwiedert' ich, indem ich's wagte und seine Kniee umfaßte. »Immer spende die göttliche Gnade den Lohn Euch überschwänglich für alle Treue, die Ihr an mir gethan habt, und Gott mit seinem Frieden sei eines Jeglichen Geleitsmann ewiglich, so viel allhier Eurem Hirtenstabe unterstehen: aber mich leidet's in dieser Abgeschiedenheit nicht länger, und mein inniges Trachten ist noch zur Stunde, wie es vorhin war, hinaus.«

»Und doch«, sprach Albrecht wieder, »magst Du leichtlich in der weiten Welt Dich einsamer und verlassener finden, als hier, wo Du so Vielen vertraut bist. Denn bedenk' es wohl: Dein Vater harret Dein nicht, und an welchem Ort er weilet, ist Dir verborgen!«

»Noch ist ein Ruf«, sagt' ich wieder, »dem ich folgen muß. O, zürnet nicht über das, was ich sage: aber begehrete Herr Bruno zur Stunde selber von mir, daß ich bliebe; so lange die Freiheit zu bleiben oder zu gehen in meine Wahl gelegt ist, könnt' ich ihm nicht gehorsamen. Nein, ich könnte und würde nicht!«

Als ich ausgeredet hatte, erhub sich Herr Albrecht mit finstrem Angesicht, hieß mich gehen und selber mit meinem eitlen Dünken mich berathen.

So von ihm hinweggewiesen zu werden, gieng mir schwer ein. Darum bat ich ihn und sprach:

»Nicht so, ehrwürdiger Vater! nicht so heißt mich von Euch geh'n! Gebt mir ein Wort der Verzeihung und des Segens mit!« »Ich sorge wohl«, sprach er wieder mit großem Ernst, »die Stunde wird kommen, darin Dir Beides hoch noth sein wird. Möge sie nicht zu schmerzlich für Dich sein! Alsdann wirst du unsern Segen nicht vergeblich suchen. Wisse das, Diether, und geh!«

Auf diese Worte, die er mit strenger Gebärde begleitete, durft' ich nichts erwiedern. Ich verneigte mich vor ihm und gieng.

Was nun im Convent und allerorten in der Abtei für ein Fragen entstund, und wie groß das Aufsehen war, als es ruchbar ward, daß ich auszöge für immer; wie Manche mich da berathen wollten, mahnen und warnen, Andere es nicht hehl hatten, daß sie mich neideten, so Viele auch eine herzliche Neigung zu mir kund thaten und sich mühten, zur Letze mir zu zeigen, daß ich ihnen lieb war; wie sich da, als ich Abschied nahm, Freud und Leid an der Hand hatten und ganz dicht zu einander gesellet waren: von dem Allen gedenk' ich nichts zu vermelden. Denn wer selber einmal eine Stätte hinter sich gelassen hat, der er gewohnet war und die er nicht wiederum zu betreten gedachte, der kann sich leichtlich fürbilden, wie es sich zutrug mit meinem Urlaub nach Maulbronn. Ihm ist auch nicht noth zu sagen, wie mir dabei um's Herze war. Denn er weiß, daß solche Scheidestunden auch für den Menschen, der mit allem Verlangen nach der Ferne strebt, etwas von jenen sanften und feierlichen Schauern in sich hegen, dergleichen auch in der letzten Scheidestunde die gottminnende Seele durchzittern mögen, wenn sie mit Freuden zum Himmel eilt und doch zugleich mit doppelter Inbrunst liebt und segnet, was ihr auf Erden theuer war.


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