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Elftes Capitel.

Einkehr.

Was ich da empfunden hatte, daran dacht' ich zurück, als ich zum ersten Mal wieder die Gefilde um Maulbronn erblickte, die mir von Kindheit her so vertraut waren. Jeden Bergzug, jedes Thal erkannt' ich wieder, obgleich die frühe Dämmerung stark hereinbrach und Nähe und Ferne in ihre Schatten hüllte. Dennoch wie fremd sah mich Alles an!

Wenn ich so umherspähte, hie eine Stelle zu suchen mit meinen Augen, daran sich eine Erinnerung meiner Kindheit knüpfte, und ich fand sie, und dort wiederum eine: so war mir's nicht anders, als erschräk' ich über die Entdeckung und müßt' ich mir erst ein Herz fassen zu meiner Heimath, mich nicht so sehr an sie, als sie an mich zu gewöhnen.

Es war doch kaum mehr als ein Jahr verstrichen, seit ich hinweggezogen war, auf neuer Bahn das Leben zu versuchen: ich war in dieser Frist weit und fern geschweift, aber hier war kein Wald verhauen, kein Feld bereitet indeß, Alles noch wie weiland – und doch, wie fremd, wie fremd!!

War davon etwan der frische Schnee die Ursach, der heute über das wintermüde Land seine Decke gebreitet hatte, die noch eben jetzt von den niederschwebenden Flocken erhöht ward? Freilich war es heuer das erste Mal, daß ich die Erde in solchem weißen Kleide sah, und immer war mir diese ihre Verwandlung zu Herzen gedrungen: aber diese Höhen und diese Thäler, wie oft hatt' ich sie so gesehen! Was nun im Bilde der Erinnerung mir so gegenwärtig war, warum blickte das so fremd mich an in der Wirklichkeit?!

Schritt ich nicht der Heimath zu, meiner Heimath? – Süßer Name! – Nahte ich mich nicht dem Ziele, deß ich seit Monden begehrte? – Und doch, wo war das freudige Pochen des Herzens, das in der Menschenbrust der Gedanke an Heimkehr weckt und Wiedersehn? Wo das frohe Erjauchzen der Seele, das laut wird, wenn die Wipfel der Bäume auftauchen sollen, unter deren Schatten er die ersten Träume seiner Kindheit träumte, und die Spitzen der Thürme seiner Heimath ihm winken: Willkommen!

Schlich nicht neben der Ungeduld, noch heut unter das Dach der Abtei zu treten, ein seltsames Erbangen eben davor in meine Seele! War es mir nicht lieb, daß mein Weg so einsam war, die Welt ringsum so stille, als wäre sie schlafen gegangen zugleich mit dem Gestirn des Tages, und auch mein Schritt durch den weichen Schnee so geräuschlos, als bliebe mein Kommen dadurch um so gewisser und länger unbemerkt!

Nein, nein! Ich selber war ein Anderer worden, ich selber!

Zwischen dem Diether, der einst hier aufwuchs in Frohsinn und ungestörtem Frieden, der dann erweckt ward zu neuem unbekanntem Genieß und Drang des Lebens, den die Welt hinauszog mit starken Seilen, die sich fest um sein glühend Herze wanden, und zwischen dem, der jetzt durch die stille Dämmerung des Christmondabends schritt: welch' ein Unterschied! Wenn er sich selbst denn so verwandelt hatte, wenn ihm die Welt eine ander Angesicht zeigte: was Wunder, daß auch nun die Heimath ihm verwandelt schien!

Ich strich mit der Hand über meine Stirn – sie war noch glatt; über die Wangen – sie waren rund und frisch; durch mein Haar – es wehte noch lockig und dicht um meine Schläfe. In meinen Gliedern, ich fühlt' es, wohnte noch ungebrochen die Kraft der ersten Jugend.

Aber das Herz und sein Dichten: das war nicht das alte mehr.

»Ach, ihr sanft niederschwebenden Flocken, die ihr so weich jedes zarte Keimlein einbettet, daß seinen linden Schlaf nichts störe; die ihr so geschäftig jetzt jede Spur meiner Schritte zudecket, so ich heute wandle, daß ihrer keine auf diesem Wege zurückbleibt: vermöget Ihr denn nicht auch die Spuren so mancher Stunde aus diesem Herzen zu vertilgen, die ihre Wonnen und ihre Wehen ihm allzutief eingedrückt haben, daß es wieder schlage wie vorhin und wiederum heimisch werde in seiner Heimath?«

Aber wollt' ich das wirklich? Konnt' ich auch nur wünschen, daß Erinnerung, dies ruhelose Kind von Schmerz und Freude, jemals eingewiegt würde durch das Wiegenlied der unermüdlichen Wärterin Zeit? War das die Ruhe, die ich suchte, da ich am Grabe meines Vaters eins mit mir worden war, in die Stille der Stätte heimzukehren, der ich jetzt entgegenschritt?

Und ich gedachte an jene bittre Stunde.

Als ich damals den Verlust so treuer und starker Liebe beweinte, als ich klagte, daß auch diese freudespendende Sonne, die meinem Leben so unerwartet und verheißungsvoll aufgegangen war, in das Dunkel des Grabes sich gesenkt hatte, ach! so bald und eben zu der Zeit, da ich mit so feurigem Sehnen in ihren Strahlen meinen gedrückten Muth zu laben gedachte: da wirkte der gewaltige Schmerz, der mir durch alle Saiten meiner Seele riß, daß jegliche Thatenlust, mich in der großen Welt zu regen, in mir erstarb. Über mich kam das Gefühl grenzenloser Vereinsamung, alle Freude und Wonne der Erde erschien mir als Schein und Traum, all' ihre Lust ein Wahn, all' ihre Hoffnungen Lügen: als das einzig Wirkliche die überall lauernde Larve des Todes, und vom Thun der Menschen das Meiste vergeblich, eitel Alles!

Dennoch war es nicht das dumpfe Verzagen am Leben, noch die furchtsame Flucht vor seinen Übeln und Mühen, auch nicht das Verlangen nach solcher Ruhe, deren der Lebensmüde begehret, wodurch ich in jener Stunde mich zurückgetrieben fühlte in die Heimath. Nein, solche Ruhe sucht' ich nicht.

Zwar jedes Ziel, mit welchem Gunst und Ehre der Welt mir winken konnten, hatte in jener Stunde der Einkehr in mich selbst seinen Schein verloren. Die tiefe Trauer, die Hand des bitteren Todes hatten ihn ausgethan.

Aber siehe! ein ander Ziel war mir in jener Nacht des Grames aufgeleuchtet: hehr, herrlich und heilig! – Ihm nachzutrachten, daran war alles Weh, das ich geschmeckt hatte, keine Hinderung, sondern Weihe und Antrieb war es dazu. Gab es für mich nicht noch ein ander Thun und Wirken als das, so mir nun verleidet war? Hatte mir Gott nicht die Kunst verliehen, was ich im inwendigen Geist hegte, zu bilden und so mich über die Erde zu erheben und des Lebens Noth und dennoch im Herzen die Freude an Gottes Werken zu bewahren?

Da schauten mich die heiligen, stillen Gestalten, so ich unten in St. Franzisci Kirche gesehen, wieder grüßend an; sie sagten mir von einer Welt, von der die sichtbare um uns her mit ihren langen Ängsten und kurzen Freuden nur ein Gleichniß und eine Weissagung ist; von einer Welt, die nur in den Ahnungen und Hoffnungen der fühlenden und guten Menschen lebt, aber aus den Bildern der Meister, die Gott mit Kunst begabt hat, tröstend und ermuthigend zu uns herniederwinkt. In ihr wird kein Leid, das durch ein Menschenherz geht, vergessen, und keine Zähre in der Menschheit Angesicht wird verachtet, aber auch in jeder spiegelt sich ein Strahl himmlischen Trostes, und über alles Weh sieht man den Glast der ewigen Liebe gebreitet.

Und siehe! wie mein Vater in seiner letzten Stunde mich gesehen hatte: nicht hinbrütend in träger Ruhe, sondern erglühend von hohen Träumen, denen in Bild und Ton Gestalt und Leben zu geben die Seele ringt, und in solchem Trachten, dem alle Creatur Gottes dient, in verborgner, bescheidner und stolzer Stille verharrend, unbedürftig der Welt und ihrer Güter: so sah ich mich nun selbst, so wünscht' ich mich zu sehen.

Und ich war in die Knie gesunken und hatte Gott im Himmel gedankt, daß ich also einen Willen, ja eine heilig ernste Freude zu leben und zu wirken wieder gewonnen; ich hatte seine große Güte angefleht, Er möchte in so gethanem Fürsatz mich beständig verharren lassen und unwankend erhalten, daß ich in solchem Dienst all' mein Genügen fände; ich hatte Ihm gelobt, dazu in die Stille und Verborgenheit des Klosters zurückzugehn, wohin nun Sein Walten, wie das letzte Denken meines Vaters und das fromme Gelübde meiner Mutter mich wiesen.

Mit solchem Sinn hatt' ich mich aufgemacht und war aus Welschland wiederum heimgezogen. Ich mied, Denen wieder zu begegnen, die mich kannten; denn ich wußte, Ihrer Viele würden mich von dem Ziele, das ich erwählt hatte, wiederum abzuwenden trachten, als wäre nur von der unmäßigen Traurigkeit mir dazu gerathen; und es war und blieb doch mein fester Wille.

Ich hatte auch, da ich wiederum in Deutschland angelangt war, mein Erbgut aus meinem Besitz entlassen und dabei allen Grundholden, so darauf saßen, eine merkliche Erleichterung in ihren Frohnden und Lasten erwirkt, auch dafür gesorgt, daß ein Stift, das da nahebei gelegen war, für festbenannten jährlichen Schoß und Zins männiglich von meinen Leuten in Alter und Siechthum pflegen mußte und was preßhafte Leute waren, aufnehmen. Desto mehr trugen sie Leide, daß sie meiner als ihres Herrn so geschwind wiederum beraubt werden sollten, und als ich von ihnen Urlaub nahm, wünschten mir Alle Gottes Geleit immerdar, und Manche wehklagten um mein Scheiden mit vielen Thränen; die beiden Fahrenden aber nicht also, denn sie waren mit dem wiederkehrenden Lenz davongezogen und hatten lieber ihr Geding als ihr gewohntes Schweifen missen wollen; doch sicherte ich ihnen ihr Ausgesetztes, daß sie es wiederum erhielten, so sie wiederkehrten. –

So zurückgewendet waren meine Gedanken, da ich zur winterlichen Abendzeit die Gefilde Maulbronns vor mir liegen sah.

Wenn da die wechselnden Erinnerungen auftauchten und im bunten Gedräng an meiner Seele vorüberzogen, konnt' ich mich wundern, daß ich als so sehr ein Anderer heimkehrte, und daß ich deß jetzt beim Anblick der alten Stätten mehr inne ward, als vordem? Doch ich wollte diesen Erinnerungen nicht wehren, mich zu besuchen, auch ferner nicht. Sie Alle sollten mir helfen aussprechen, was das Menschenherz zumeist bewegt und was es über sich hinaushebt; sie sollten haften in meiner Seele, bis sie, gereinigt von allen Schlacken, ein verklärtes Leben wiedergewönnen in den Gebilden meiner Hand.

Sie Alle? Auch die, welche mich in so heitre und hohe Wonnen zurückrief und zugleich in das Nachgefühl so grausamer Enttäuschung? Schwebte nicht jetzt wieder ihr winkend Bild meiner Seele vor, schön wie der Mond und prangend in blühender Jugend, aber auch ernst und nur in Schwermuth lächelnd wie er! »O«, dacht' ich, »so traurigen Blickes sah ich sie nie, und nur der Wahn malt sie mir in diesem Bilde, als fühlte sie noch mit mir das Leid, so ich erfahren, und begleitete mich auf meinen Wegen mit treuem Angedenken, da sie doch ihr eigen Glück erwählt und meiner längst vergessen hat.« Und ich wünscht' ihr alles Gottesheil und setzte mir vor im Geist, in's Künftige nie keinerlei Unmuth zu hegen darum, daß sie mich verstoßen hatte; denn ich fand, ohne solchen Willen hätt' ich keine Ruhe des Gemüths und Frieden zu erhoffen. – Aber ach! dazu war jetzt mein Herz noch nicht geschickt. Es vermochte nicht ihrer zu gedenken ohne ein anderes Weh als das der Trauer und gerieth darüber mit ihm selber in Widerstreit.

»Still«, sprach ich, »die Abgeschiedenheit wird Dich lehren, auch das zu überwinden, und alsdann wird auch diese Erinnerung Dich nicht mehr verwirren.« Aber es war, als spräche eine andere Stimme dazu: »Nein! das wird nicht geschehen.«

Unter solchen Gedanken hatt' ich die Höhe erreicht, von der aus ich die Abtei vor mir liegen sah in der Abenddämmerung: es war derselbe Ort, von wo aus ich einst, als ich zum ersten Mal hinauszog, mich zurück gewendet hatte, auf die Glocken zu lauschen, die zur Matutin riefen.

War das nicht auch Glockenklang, den ich jetzt vernahm? Wie anders däuchte mich der, als ich ihn gewohnt war zu hören! – Gewiß, es rief zur Vesper! Und ich faltete meine Hände, das Ave zu beten. Doch nein! Das war nicht das Geläut, das täglich zur Abendzeit ertönt. Auch dieser Schall war mir nicht unbekannt. Ein Windhauch brachte mir ihn deutlicher zu Ohren. Ja, es war die Sterbeglocke, die gezogen ward. Davon kam eine große Herzensschwere über mich, und als ich vom klagenden Schall geleitet hinabschritt, bat ich die göttliche Erbarmung, doch heut und immer, wenn der Gedanke an Tod und Grab mir allzuscharf durch die Seele schnitte, mein inwendiges Ohr auch den Harfentönen aufzuthun, die um Seinen Thron die lichten Schaaren beständig erklingen lassen, von solchen Himmelsklängen hier im Dunkel nur ein Weniges zu vernehmen, nur ganz leise wie im fernsten Wiederhall!

Der Thorbogen unterm Thurm an der Brücke stund offen, und der Schnee dämpfte meine Schritte, also daß Niemand mich bemerkte, als ich hindurch schritt. Auch im Klosterhof traf ich auf Niemanden; nur des Pförtners Hündlein kam herzugelaufen, hatte mich erkannt und sprang mit kosender Freude an mir in die Höh', wie dieser Thiere Weise ist; aber mein Kommen verrieth es nicht.

Ich trat unter die Halle vor der Kirche, Paradies geheißen, dann linkswärts in den überwölbten Gang und durch die Öffnung, welche in die Kreuzgänge führt, die hier den Friedhof umgeben. Zögernd schritt ich vorwärts, und die nun nahe über mir erdröhnenden Schläge der Glocke erschreckten mich seltsam. Nun sah ich, zwischen den Pfeilern stehend, den überschneiten Friedhof und dort drüben die Brüder, einen gedrängten Haufen.

Es brauchte nicht des dumpfen Geräusches der hinabrollenden Erdschollen, das zwischen dem Rufen der Glocke an mein Ohr schlug, um mir kund zu thun, daß man da einen Leichgang gehalten, die Feier soeben beendet hatte und nun die Gruft zuschaufelte. Sie hatten Alle nur Acht auf ihr traurig Thun, und Ihrer Keiner hatte mein Nahen gewahrt. Auch barg mich das Dunkel des Kreuzgangs. Wo es am tiefsten war, da trat ich hin und sah hinüber. Wie manches Mal hatt' ich als Kind schon diesen Anblick gehabt und da des Rechts genossen, das allein die Kinder mit den Gottesengeln theilen, auch vom Anblick des Todes nicht gestört zu werden in ihrer schuldlos spielenden Freude, weil beide seine bittere Erfahrung nicht kennen. Aber welch' herbes Weh durchzuckte mich heute!

Nun verstummte das Geläute, und die Brüder erhuben nach Gewohnheit den Gesang:

» Flens ego sum genitus, celebrantur funera fletu,
transacta innumeris vita fuit lacrimis,
O miserum mortale genus lacrimabile semper,
quod factum ex cinere est, solvitur in cinerem.
«

(Weinend erblickt ich die Welt, mit Weinen begräbt man die Todten,
Unter viel Thränenerguß schwindet das Leben dahin;
Sterbliches armes Geschlecht, wie bist du beweinenswerth immer!
Was genommen von Staub wandelt sich wieder in Staub.)

Dann ward eine kleine Stille, und der Priester sprach: »Lasset uns beten: Herr, schenke ihr die ewige Ruhe!« Und die Brüder antworteten: »Und das ewige Licht leuchte ihr!«

Darnach hub der Priester wiederum an: »Löse, HErr, die Seele Deiner Dienerin Irmela von allen Banden der Sünde, auf daß sie in der herrlichen Urstände unter Deinen Heiligen und Auserwählten wieder auflebe.« Und der Abt betete: »Leite auch, Herr, unsern Diether an Deiner Hand, und so er erfährt von diesem Begräbniß, so sei's ihm zum Heil und Segen!« Darauf sprachen sie Amen! und wandten sich zu gehen, denn die Finsterniß war hereingebrochen.

Ich wollte hinzueilen, aber die Kraft entgieng mir und ich sank zur Erde.

»Hilf Gott! Diether, armer Diether!« hört' ich rufen, als mir die Sinne wiederkehrten. Da winkte Herr Albrecht den Andern, daß sie von mir abließen, richtete mich auf und leitete mich an das frische Grab.

Daselbst schluchzte ich bitterlich an seinem Halse, und er litt es ganz väterlich.

Droben in seinem Gemach, dahin er mich geleitet hatte, wollt' er nicht leiden, daß ich ihm berichtete von meiner Fahrt und wie es mir damit gerathen wäre, sondern zuvor gab er mir eine Schrift, die wäre für mich bestimmt, sagt' er, sie zu lesen, – tröstete mich mit lindem Wort und ließ mich allein.

Es war die Geschrift von einem guten Pfaffen geschrieben, dem die selige Maid ihre letzte Beichte gethan hatte mit dem Geheiß, so sie verschieden sein würde, solch' ihr Wort mit nach Maulbronn zu geben, daß es mir, wenn es Gott so fügte, zu Handen käme: denn dort wollte sie begraben werden.

»Er soll wissen«, hieß es darin, »daß meine Treue gegen ihn alle Zeit unwankend geblieben ist und ich keine größere Glückseligkeit wußte im Leben, als mit ihm unzertrennlich verbunden zu sein. Aber ich ersah bald, daß das nimmer geschehen würde, sondern daß allerdinge über ihn beschlossen war, in seine Losgebung nicht zu willigen, und daß, was man von meiner Herzensneigung zu ihm gespürt hatte, um so mehr zur Ursach' ward, ihn im Kloster zu behalten. Da war's mir ein großes Leid, wider seinen Willen ihn da verschlossen zu wissen sein Leben lang, und ich willigte in die mir bestimmte Ehe; aber ich begehrte dafür, daß Diether's Losgebung vom Bischof erwirkt würde. Ich wußte, daß ich mich damit von Glück und Freude schiede für immer; aber es war mir ein süßer Trost, mit meinem Leide seine Freiheit zu erwerben. Doch daß ich ihn nie wiedersehen dürfte, noch er je erfahren, durch wen er seine Losgebung erlangte, sondern im Wahn verbleiben, als hätt' ich ihn verstoßen und die Treue gebrochen, daß ich auch gegen den, der mich zum Gemahl erkieste, die Heimlichkeit in meinem Herzen bewahren mußte: dies nagte an meinem Leben allzusehr, und ist Ursach' worden, daß eine andere Hochzeit für mich vorhanden ist, als die, für welche man mich ausersehen hat. Ich danke Gott im Himmel dafür. Die reinste Wonne, so die Erde gibt, hab' ich erfahren; sie kann nur kurz sein. Ich bin zufrieden, abzuscheiden; nur um meinen Ohm ist's mir Leid. Die ewige Dreifaltigkeit mög' ihn trösten!«

»Mein Gebein aber soll an der Stätte der Urstände harren, die Diether's Heimath war. Ihm möge Gott des Lebens Glück bescheren und hernach die ewige Seligkeit. Nie soll ihm die Erinnerung an mich hinderlich an einer Freude sein. – Kommt er aber einst zurück nach Maulbronn, weil die Dörner rauher Wege, die er geführt ward, seine Füße zu hart verletzt haben, so schöpfe er aus diesem meinem letzten Gruß eine Linderung.«

»Einstmals zur Maienzeit, als der Wind unter'm Schall der Nachtigall weiße Blüthen über mich schüttete, wünschtest Du mir, Diether, es möchte nie kein anderer Schnee in die sorglosen Tage meiner Jugend fallen, als dieser. Es ist anders worden mit mir! Aber wenn auch Dir der Winter manchen Schmuck des Lebens verdirbt und Du über allzufrüh verwelkte Blumen trauerst, alsdann denke, daß nicht bloß auf jeden Lenz ein Herbst, sondern auch auf jeden Herbst ein Lenz folget. – Gott und Sein Heer lasse mich den gewinnen, der ewig blüht!«

(Allhier endet Diether's von ihm selbst erzählte Geschichte.)

Beschluß.

Diether schwieg eine Weile, als er mit Erzählen zu Ende war, und auch die beiden jungen Gesellen, die ihm zugehört hatten, wagten nicht, das Wort zu nehmen.

»Das ist nun die Aventiure, die Ihr zu hören begehrtet«, sagte der Alte dann und stund auf vom Steinsitz unter der Halle, als wollt' er hineingehen der Pforte zu.

Es war zum dritten Male in der Pfingstwoche, daß der Abend die Drei um den Steinbrunnen versammelt hatte am Kreuzgang, der im Viereck den Friedhof der Abtei umgibt, und für den Erzähler wie für seine zuhörenden Schüler blieb die abendliche Stille ungestört; denn nur sanft rieselte das Wasser und nur leise rauschten zuweilen die Blüthengebüsche über den Grüften.

Heut hatten sie länger draußen verzogen denn sonst, und als Diether sich anschickte, zu gehen, sah er schon den Silberglanz des Mondenlichts auf dem Dach der Kirche flimmern und in den Garten herabgleiten, wo er die Wipfel eines dichtbelaubten Flieders mit sonderlicher Helle bestrahlte.

Der Alte blieb stehen und richtete dahin seinen Blick.

»Wie heint die Blüthen leuchten!« sprach er vor sich und schritt durch das Gras langsam der Stelle zu.

Nun stund er dicht am überhangenden Gezweig, der würdige Meister, ihm zur Seite gesellt die Jünglinge.

Da zog eine Wolke wie ein goldumsäumter Schleier über des Mondes leuchtend Angesicht, und ein behendes Dunkel flog von ihr her über das Dach der Kirche und beschattete Garten und Kreuzgang.

»Sie ist sogleich vorüber!« sagte Diether und blickte hinauf.

Als der Glanz wiederkehrte, sahen die Drei zu ihren Füßen einen Grabstein, von weißen Blüthen ganz überdeckt.

Der Alte bückte sich bedächtig und strich sie leise mit der Hand zur Seite. Da ward, eingegraben auf dem moosigen Steine, eine Lilie sichtbar und eine Inschrift. Die Augen der Jünglinge hatten sie bald entziffert.

» Irmela virgo«, lasen sie.

Der Alte sprach's nicht nach; doch wandte er seinen Blick nicht weg von den halbverwischten Zeichen.

»Laßt uns gehen«, sagte er dann. »Der Thau fällt kühl und die Nacht ist bald herum.« –

Den Grabstein aber und seine Inschrift findest Du in Maulbronn noch heutigen Tages. –


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