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Meicke, der Teufel.

Rundum standen die Berge, schwarzblau, wie sie im Frühjahre immer sind. Darüber lag der Himmel, schwer und düster. Nur ein roter Strich schwamm über den Gipfeln und verlor sich allmählich in der Höh, in Streifen und in rauchendem Dunst.

In der Mitte des Landes . . . . . es schwang sich in Hügeln hinan, es stolperte in Thäler und Schluchten, es stieß in breiten, massigen Höhenrücken aufwärts zu den schwarzblauen Bergen und dem dunstlosen Streifen darüber . . . . . in der Mitte des Landes, zwischen den Städten, auf dem Felde, das in der Nacktheit brauner Aecker sich hindehnte, saß er am Grabenrand, wühlte sich mit der schmutzigen Rechten in seinem Bart und wischte dann den Speichel aus seinen Mundwinkeln an die Beine.

Rechts vor ihm lief die Chaussee hinaus, links lief sie hinaus, gerade wie ein Deichselbaum. Dann wendete sie sich hier, wie dort mit einem Ruck von der Richtung ab. An jedem Knie stand ein Kreuz. Und die beiden Erlöser sahen sich ins Gesicht. Sie sahen sich sinnend an mit der milden Miene grübelnder Weisheit.

Die Bilder des Heilandes sind nicht tot. Sie können sich bewegen und haben Macht. Manchmal, in der Nacht, werden sie lebendig. Dann steigen sie herab von ihrem Martholz, breiten die Arme aus und wandeln segnend über das Feld. Beim ersten Hahnschrei kehren sie wieder zurück in ihre Qual zwischen Himmel und Erde.

Von diesen stillen Gängen, welche nur Sonntagskinder sehen können, erhält das Feld seine Früchte, der Himmel den Regen und guten Wind, die Straße ihre Sicherheit. Darum knallen auch nur sündhafte Fuhrleute vor einem Kreuze. Die guten aber putzen den Daumen der rechten Hand an ihrer Lederhose ab, machen damit ein Kreuz, fahren vorbei und pfeifen, wenn sie ein Stück fort sind, weil sie wissen, daß das Unglück jetzt keinen Fug mehr an sie habe.

Wenzel hats auch gemacht wie die guten Fuhrleute, sitzt nun zwischen den beiden Erlösern und wartet, was sich ereignen werde.

Der Heiland rechts sinnt und thut nichts.

Der Heiland links sinnt und ist unschlüssig.

Er schlägt mit der flachen Hand ermunternd aufs Knie und sieht die Kreuze an, eines nach dem andern, zaghaft aber lange.

Der Hund auf der Straße, vor dem zweirädrigen Sandkarren springt bei dem Laut auf und blickt seinen Herrn durch die überhängenden Brauen groß an.

»Lee dich, Meicke, se senn so nie ees met n ander, wies met ons warn sol.«

Meicke wirft einen prüfenden Blick auf den Karren, rollt das Weiß seiner Augen hin und her, legt sich dann wieder nieder, schiebt die Schnauze unter den Hinterschenkel und schläft ein.

Girräck! Girräck!

Aus den verfallenen Wasserfurchen der Sturzäcker schwirrt der Liebesschrei eines Rebhahns.

Fern drei schwarze Flecken auf dem Felde, Bauernbüsche. In dem weißlichen Dunst der Weite lehnt gelangweilt ein Kirchturm.

Wenzel gähnt.

Darnach räuspert er sich ungeduldig. Aber es ereignet sich nichts und er verfällt in Sinnen: . . . . . . . . . . das ist lange her. – –

Die Aerzte des Krankenhauses von Lemberg ließen ihn gehen, denn sie behaupteten, er sei gesund, ganz gesund. Er aber stieß zornig das krummgekeilte Bein auf den Boden. Das sollte heißen: Nennt ihr das gesund?

Sie zuckten die Achseln: den Brettschneidern geht es am Ende nicht anders. Warum läßt man sich das Klotz übers Bein gehen. Da ist nichts zu machen.

Voll Haß sah er sie so lange an, bis seine Augäpfel brannten, fluchte laut und ging eilig in eine Schenke. Dort kaufte er sich Branntwein.

Darauf ward er mutig und wanderte der deutschen Grenze zu. Aber als das Geld weg war, hörte auch sein Mut auf. Er stürzte, besinnungslos vor Entkräftung, in einen Graben am Wege.

Als er aufwachte, lag ein großes Stück schwarzen Brotes neben seinem Kopfe und ein schwarzer, häßlicher Hund saß zu seinen Füßen. Seine Haare waren borstig, lang und an manchen Stellen von Schmutz zu Klumpen zusammengebacken. An seiner Oberlippe stand ein stachlicher Schnurrbart, so daß seine Schnauze noch plumper erschien, als sie ohnedies war. Die Vorderläufe waren an den Ellenbogen nach außen gedreht.

‚Eigentlich ist es Unsinn, daß ich erwacht bin', das war der erste Gedanke, der sich in Wenzels Kopfe klar zusammenschob.

Aber der Hund sah ihn mit seinen großen, braunen Augen so weich an.

Darum vergab er sich sein Wiedererwachen, setzte sich auf den Rand und begann, das Brot zu verzehren, das irgend eine mitleidige Hand neben ihn gelegt hatte. Das dauert lange, denn vor Erschlaffung und Niedergeschlagenheit vermochte er den Unterkiefer nur mit Anstrengung zu bewegen.

Er kaute an dem Brote herum, bis er müde war.

Dann lockte er das häßliche Tier heran, das bis jetzt dagesessen hatte, ohne sich zu rühren.

Der Hund kam langsam, geduckt, scheu. Nach langem Zögern nahm er den dargereichten Brocken behutsam mit den Lippen. Dabei wedelte er dankbar mit dem Schwanze.

Wenzel sann:

»Der Hund ist wie du; nur daß du eine Heimat hast und der . . . . der . . . . wen hat der? – wer weiß, vielleicht ist es gar toll . . . . aber die Augen, die braunen, sprechenden Augen.«

Da fuhr ein Wagen vorüber. Zwei trunkene Bauern saßen darauf. Der eine knallte mit der Peitsche, der andere fluchte und sang. Dieser sah zu ihm herüber und schrie: »Brüderchen, was fütterst du den Teufel?«

Wahrhaftig, daran hatte er noch nicht gedacht. Der Böse kommt manchmal in Gestalt eines Hundes.

Aber wozu sollte sich der Teufel die Mühe geben? Seine Seele gehörte ihm ja doch.

Vielleicht aber ist es doch besser! – – und er sah sich um, wohin er den Hund jagen sollte.

In der Richtung, welcher er mit seinen Blicken folgte, guckten Strohdächer aus Laubkronen.

Dort war der Hund her, dort war seine Heimat. So brauchte er das Scheusal nicht fortzujagen.

Denn – warum, das wußte er nicht – er fühlte es, daß er den Hund nicht schlagen konnte.

Darum stand er auf und ging.

Im Dorfe würde sich das Tier schon verlieren.

Aber, als er die Hütten im Rücken hatte und sich umsah, bemerkte er, daß der Hubd noch hinter ihm her trotte, den Kopf gesenkt und seine Krallen schlugen knackend auf die Steine.

Wenzel schrie und schlug mit dem Stecken auf die Straße, um ihn zu verjagen. Aber all sein Bemühen hatte keinen andern Erfolg, als daß der Hund auf die Wiese sprang, sich dort hinsetzte und leise winselte.

Da that es ihm leid, und weil er sich erinnerte, daß er eigentlich niemand auf der weiten Welt habe, rief er den Köter herbei, um ihn zu streicheln.

Doch der kam nicht mehr heran.

Allein, als Wenzel wieder weiterschritt, folgte ihm der Hund von ferne.

Eben kam er auf dem Rücken eines niedrigen Hügels an.

Drunten, weit in der Ebene, wälzte sich ein Fluß. Daran ging ein Mann hin und her. Ueber seinem Haupte blitzte etwas hell wie Silber. Ein Grenzaufseher!

Drüben, über dem rauchenden Wasser, fern, lag seine Heimat, ein neues Leben.

Da werde ich wieder schlafen, wie sichs gehört – warum nicht gar in einem Bett?! – –

Ueber den Hügel herauf kamen zwei Knaben gelaufen, ein großer, schwarzhaariger vorn, ein kleiner, blonder hinter ihm. Der hatte ein großes Stück Brot in der Hand und schrie, weil er den Großen nicht einholen konnte.

Die Augen der Knaben blitzten, ihre Wangen glühten; wie flink waren ihre Beinchen! ihre nackten Füßchen klatschten eilig auf den Weg.

. . . . . vorbei waren sie.

Wenn ein Leben so laufen könnte, bergauf, mit lachenden Augen und strotzenden Wangen! – –

Plötzlich schrillt hinter ihm ein verzweifelter Schrei aus Kindermund.

Jäh fährt sein Kopf herum.

Da liegt das blonde, runde Knäblein auf dem Wege. Der schwarze, borstige Hund steht über ihm und fletscht die Zähne.

Das Kind ist verloren! – Der Hund ist toll!

»Verflucht! . . . . . schuch! – – – – – Aas!« –

Das Biest läßt ab und schlendert gemütlich in den Graben, das Brot des Kleinen im Fang.

Der Junge ist aufgesprungen und rennt dem großen nach, der, starr vor Schrecken, dem Vorfall von Ferne zugesehen hatte. Nun fallen sie sich um den Hals, drehen sich dann um und rufen nach dem Hunde hin: »Meicke!«

Was ist das, sein Name oder ein Schimpfwort?

Teufel – – – Meicke . . . .

Kopfschüttelnd kehrt sich Wenzel um.

Weit draußen schimmert der Fluß. Durch den weißen Dunst gleißt und lockt es in den bunten Farben des vollen Sommers.

Seine Heimat – – – – ein neues Leben! – Wahrhaftig, ein neues Leben! – Hol der Teufel den Schnaps, die Menscher, das Spiel . . . . nun, nun kommt es anders.

Wenn er nur erst über dem großen Wasser wäre! Vorsichtig, jede Bodenfalte benutzend, schleicht er hinunter, dem Gesträuch des Ufers zu, hinter ihm der Hund, weit entfernt, aber beständig.

Nach einer aufreibenden Stunde ist er drunten angelangt, legt sich in einen dichten Haselstrauch und schläft ein.

In der Nacht erwacht er.

Der Fluß rauscht lauter.

Die Sterne blitzen scharf, viel tausend.

Ja warum bin ich hier, fährt es in ängstlicher Neugier in ihm auf, und was rauscht?

Er wendet den Kopf und sieht sinnend in das Gewirr der schwarzen Stämme und Stangen um sich.

Satan! – so leuchtet Phosphor im Dunkel, zwei blaugrüne Punkte, regungslos beieinander! –

Meicke! – – Meicke! – –

Ein leises weiches Winseln antwortet.

Das Gras raschelt verschlafen.

Die leuchtenden Punkte schieben sich, ruckweise schwankend, näher.

Endlich stößt eine kalte Nase an seine Hand.

»Armes Luder, also heeßt'de doch Meicke! Nu miß mer doch vo nander. Zu em Laba, wies etz kemmt brauch ich kenn Teifel.«

Aber er nimmt den borstigen Kopf doch zwischen die Hände und drückt ihn herzlich und Wärme quillt in ihm auf.

»Adje Meicke!« – –

Dann stößt er ihn mit dem Fuße von sich.

Darnach steht er auf, sieht scharf nach allen Seiten, schiebt sich vor, horcht, schleicht weiter, langsam von Stamm zu Stamm.

So einem Grenzer sitzt die blaue Bohne oft verflucht locker im Rohr.

Also!

Nicht wegen seiner, aber das neue Leben! Er käme drum und stürbe mit einem Geschmack im Munde, dumpf wie Jauche.

Da! – – – – zu seinen Füßen rollt das Wasser.

Vor allem, schärft er sich noch einmal ein, indem er seinen ausgezogenen Rock mit einer Troddel auf seinem Rücken festbindet, vor allem ruhig atmen, ruhig Tempo. Das übrige Gott befohlen . . . . . . . . . . das Wasser schlägt über ihm zusammen.

Alles geht glücklich.

Als die Sonne kommt, sitzt er nackt, zusammengekauert, im dichten Gesträuch. Am Geäst draußen –, im heißen Licht flattert seine nasse Kleidung.

Er hat nichts als den Atem in seiner Brust und die Hoffnung in seiner Seele.

Aber ihm ist so glücklich, so leicht.

Dies Ringen mit den Wassern war seine Taufe, die ihn abgewaschen von dem Schuldbewußtsein.

Draußen, über dem Felde, wirkt die Wärme des Tages und die Luft zittert in ihr.

Leuchtendes Auges starrt er in die Glut, lange, unverwandt.

Schon tanzen schwarze Kugeln vor seinen Blicken; aber er wendet sie nicht weg. Es ist so schön, in's Licht zu sehen.

Die Kugeln drehen sich im Kreise. Wie er die Augen bewegt, so tanzen sie.

Nein, doch nicht . . . . . .

Eine läuft an der Erde hin, auf ihn zu.

Er hebt die Augen hoch, im–mer – hö–her.

Die schwarze Kugel läuf– – –t auf ihn zu.

Die Hand über die Augen! . . . . . ach! . . . . der ist ja . . . . . durchs Wasser? . . . . Unsinn! . . . . . es nutzt alles nichts: Meicke, der Teufel aus Galizien. – –

Die Nase dicht auf dem Boden, jagt er heran, sein Stummelschwanz wackelt.

Mit einem Freudengeheul stürzt er auf ihn zu. Ausgehungert, abgetrieben, stinkend, so heftet er sich an seine Füße.

Das ausgestoßene Leben wacht wieder in ihm auf und legt sich über sein Hoffen, wie Lumpen sich auf Blumen legen.

Es fröstelt ihn – – ein Schluck Branntwein!

Vorsichtig zieht er die Kleider herein. Dann schneidet er sich einen Stock und schreitet dem Dorfe zu, das drüben, mitten im Felde, liegt.

Dort geht er von Thür zu Thür. Man giebt ihm Brot und Geld.

Das Brot teilt er mit Meicke; für das Geld kauft er Schnaps.

Und als er abends trunken im Pferdestall liegt, besucht ihn seine Hoffnung. Er sieht sie an und weint und sein Thränen rinnen in den Koth, auf dem er liegt.

Am Morgen sinkt sein verdorbenes Leben wieder über ihn und macht ihn stumpf.

Meicke weicht nicht mehr von ihm.

So erreicht er zum Anfange des Winters seine Heimat, das arme Rutersdorf, nachdem seine Wanderung ein halbes Jahr gedauert hat. Sein Bruder nimmt ihn auf in dem Verschlage neben der baufälligen Wohnstube, der einzigen der Hütte. Sein Bruder ist älter. Der wacht nicht mehr auf aus seinem traurigen, elenden Leben.

Im Sommer fährt man Sand; im Winter bindet man Besen, wozu man die Ruten stiehlt.

Auf Kartoffeln, Brot und Kaffee langt es.

Manchmal bleibt ein Groschen übrig. Dann machen sich beide ein Vergnügen. Sie berauschen sich, der Bruder aus Schwäche, in einem Wahn, der in seinen verwahrlosten Kopf die Worte Glück und Linderung wirft –, die dann wie ein Paroxismus darin umgehen. –

Ihn treibt die Spannung der Sehnsucht dazu. Denn die Hoffnung ist unsichtbar in ihm geworden. Sie liegt in ihm: ein Brennen, eine Unruhe, eine Unlust, wie Speichel auf der Zunge, den er nicht loskriegen kann. Aber im Rausch steht sie auf und wird groß wie sie immer war, greifbar, sichtbar, verlacht ihn, peitscht und stachelt.

Dann liegt er in seinem Verschlage auf den Lumpen, beißt sich in die Hände, daß sie bluten; schlägt wütend um sich, flucht verzweifelt, alles weil er seine Hoffnung liebt und doch weiß, daß sie am Morgen mit dem Rausch verflogen ist in dem öden Grau seines hilflos elenden Lebens. Alles, was ihm die Sonne davon läßt, ist ein rastloses, immer zweckloses Grübeln nach dem Ausweg. Er findet hundert, tausend, unzählige. Aber eben deswegen ist alles nutzlos.

Wie lange hat er so getastet in ersterbender Sehnsucht. Aber hinauf ist er noch mit nichts gekommen, als dem verzweifelten Blick seines Auges.

Nun steht er wieder vor der unübersteigbaren Mauer mit dem ameisenschnellen Wirbel tanzender Hohlgedanken wie immer, – und sein Elend sieht er so greifbar um sich, daß er das versunkene Haupt schwer heraufhebt. Mit einem in der Runde wandernden Auge bittet er gleichsam die ganze Welt um Hilfe in blöder Ratlosigkeit.

Aber plötzlich springt sein Bewußtsein aus dem Bann trüber Erinnerungen. Es ist doch unnötig, so verloren zu sitzen.

Denn heute, an dem Frühlingsmorgen ist ein Wunder mit ihm geschehen: bei voller Nüchternheit ist die Hoffnung in ihm erwacht.

Alle Wunder kommen von oben, von dem Wesen, vor dem er als unschuldiger Knabe auf den Knieen gelegen hat.

Darum sitzt er auch mitten im Felde, zwischen den Städten, unter dem lieben Himmel. Rechts der Heiland, links der Heiland. Die werden ihm endlich helfen. Aber . . . . . .; längst schlafen die blauen Berge hinter den Abendnebeln! in der regungslosen Luft klingen verwehende Glockentöne. Dann braust es drüben an den drei Waldflecken . . . . der Bahnzug, oder der Wald schläft. –

»Oan warum halft ihr nie? – Seid ihr nie d'Erlieser? – – – weil ich a Loampa bin? – Braucht dr Gude denn en Heiland?« – –

Kalt und langsam steht eine Gewißheit in ihm auf. Die Welt hat ihn vergessen, der Himmel auch. Wenzel wird aber nicht weich. Trotzig, wild greift er ins Gras . . . . . er speit in die Luft . . . . ha ha! – ein verächtliches Lachen.

»Nu is oalle! Wil ichs andersch hoan, muß ichs andersch macha. – Doas andre is Oalbernheet oan Gerede.

Oan ich wils!« vollende er mit drohendem Ernst.

»Meicke!«

Der Karren knarrte.

Wenzel tastete sich hin.

»Du bests?! – Wenn du weg best, verleßt mich ach mei Elende. Wahrhaftig, Meicke heßt Teifel, etz sah ichs.«

Er spannte den Hund aus und nahm ihm das Geschirr ab. Dann packte er ihn an den Haaren des Halses. In seiner Brust erwachte wohl ein Zittern; aber er schluckte es hinunter.

Wollte er Mitleid mit seinem trostlosen Leben haben? – Nein! – Schon sausten erbarmungslose Schläge über den Rücken des Hundes. Der heulte vor Schmerz, er wand sich in seiner Hand. Wenzel merkte nichts, er war sinnlos in Wut und vor Mitleid. Endlich gelang es dem Tier, sich los zu machen. Schreiend entfloh es über die Straße ins Feld. Wenzel lief fluchend hinter ihm her. Bis zur Erschöpfung lief er mit keuchender Brust und drohenden Worten. Nach Atem ringend stand er endlich still und horchte in die Nacht hinaus.

Alles ruhig. –

Nun hatte er seine Schwäche und seine Laster verjagt. Auf keinem Wege sollte sie sich zu ihm zurückfinden. Aber auch der Karren mußte fort, damit nichts mehr ihn an seine Vergangenheit erinnere.

Mit Mühe fand er sich an den Ort zurück, an dem er gesessen. Der Karren stand noch. Er faßte ihn an der Deichsel und schlug ihn auf den Straße in Trümmer. Aus den Rädern trat er die Speichen.

Dann ging er befriedigt seinen Weg.

Als er an das Kreuz kam, das vorhin links von ihm gestanden hatte, grub er seine Hände fester in die Hosentaschen, sah auf die andere Seite und lachte höhnisch: »Got! – Holz oan Gerade, wetter nischt!« –

* * *

Am andern Morgen war er mit seinem Grübeln am Ende.

Er wußte genau, was er thun mußte, erhob sich in seinem Verschlage, schielte mit einem Auge durch einen Ritz in der Wand und rief dann in die Stube:

»Seff!«

»Woos.«

»Ich gieh fatt.«

»Nu, do gieh!«

»Ich komm oaber nemme wieder.«

»So . . . . o . . . .«

Die ausgebrannte, hohle Männerstimme zitterte eine Weile in Staunen, schüttelte sich dann in Fistelhöhe und vollendete: » . . . on Affe!«

Das schien ganz undenkbar. Wer einmal in diesem Verschlage war, mußte auch darin umkommen. Wenzel aber wußte genau, was er thun mußte. Er legte 15 fettige Nickel, seine ganze Barschaft, auf die Bank an der Wand.

»Oof dr Banke liegt mei Geld.«

»Geld! – Geld!« rief es glückselig aus dem Innern der Stube. »Do gieh oach ei Gots Noama, Guste!«

Wahrhaftig, er ging auch.

Die Pflaumenbäume hingen voll Tropfen. Er ging gebückt unter ihnen durch und stand bald darauf im vollen Schein der kommenden Sonne auf dem Wege. Er sah in ihre junge Glut und ein Bild aus seiner Kindheit umfing seine Erwartung. Es war das einzige, aus welchem der Zauber seines Menschenmorgens zu ihm sprach. Die anderen Tage hatte er vergessen, die mit niedergeschlagenen Augen, hungernd und zerlumpt hingegangen waren. Dies eine Bild enthielt seine ganze Kindheit.

Nun neigt es sich im Schimmern der aufgehenden Sonne wieder lebendig in ihn.

– – – – – er war satt von Bettelbrot und machte Augen wie ein glückliches Kind. Das Gras, in dem er saß, war grün, schimmernd grün. Über ihm schliefen die Blüten in den Bäumen und es war, als träume ihnen etwas sehr schönes, denn die Bäckchen ihrer weißen Blätter brannten in Glut. Die Vögel sangen ihnen leise Lieder und das Licht summte unaussprechlich selig dazu. Er aber streichelte das Gras, das weich, weich war, wie Menschenhaar. Und ein rundes Käferlein lief über sein Händchen. Das hob er auf, denn es war rot und hatte schwarze Punkte.

»Kaferla, flieg! – Kaferla, flieg!«

Das runde Käferlein lief an den ausgespreizten Fingern seiner erhobenen Hand emsig auf und nieder und als es an der Spitze des Goldfingers angekommen war, nickte es ein paar mal lustig mit seinem schwarzen Köpfchen, nahm bedächtig seine Glasflügel unter den Decken hervor und flog davon, weit, weit fort ins Pommerland. Heute flog das Käferlein wieder vor ihm her und setzte sich auf das Dach einer Feldgärtnerstelle am Wald.

In diesem Hause wohnte sein neues Leben.

Vor der Thür traf er ein Mädchen. Das war mager und hoch aufgeschossen. Ihr voller Mund war immer geöffnet.

Darin standen lange, weiß-gelbe Zähne. Die großen, wasserblauen Augen gingen umher wie verirrt.

»Wie alt best de, Mariela?«

»Fufzehn Joahr.«

»Soo! – fuf–zehn – Joahr – hm, hm,« und er sah sie eine Weile musternd an und wischte dabei mit dem Zeigefinger der rechten Hand sinnend in den Mundwinkeln. »Fuf–zehn – Joahr –« wiederholte er gedankenvoll.

Marie ward unter dem forschenden Blick des Mannes rot und kehrte ihm den Rücken zu.

»Wo is dn de Mutter?«

»Drinne,« antwortete das Kind über die Achsel.

– – –

»Guda Marja, Stumpn!«

»Gudn Morgn! Na, was brengst du?« das Weib hatte in ihrer Jugend einige Jahre in einem Gasthause gedient und sprach darum einen städtischen Dialekt.

»Gudes Water, oan mich.«

»Gudes Wätter, ja, aber dich? – mir?«

»Weils nie Obnds is.«

»Ich brauch kenn Man iberhaupt nie meh. Wär, wär sagt das hä?« drohend trat sie auf den Mann zu.

»De Mariela.«

»Die! . . «

»Joa, oan ihr Voater, dr ale Kliegel, dan im Krankahause de Leise gefrassa hoan, nachdem du a em sei Wertschaftla gebrocht hoast.« –

»Ich ems Wertschaftl? Seim Kende der Mariela, hot ärs varmacht.«

»Sem, sem Kende? bis ruhig. Stumpn, ich hoas schoan tajelang ein dr Broast oan wenn ich lach, thuts wieh,« und nachdem er sie einige Zeit mit einem malitiösen Lächeln angesehen hatte, fuhr er höhnisch fort: »Jo oan waßthoalbich mußte der gude Voaater, dar de Hosa vo a Benn hargegan hoatt, waßthoalbich mußt a eis Krankahaus, wie a preßthoaft wur?« –

»Weil är enne ansteckende Krankheet hatte.«

»Här uf, här uf, Stumpn, mich zerreßts!« und er brach in ein erzwungen schreiendes Lachen aus, wobei er sich die Seiten hielt.

»Wenzel, Wenzel! Hier is de Thiere! Fir en Lumps hat mein Haus kee Dach!«

»Oaber fir a Hure.«

»Ich?«

»A Moanhure! – – Nä, Stumpn. ich hoa 's nie vergassa, de Nächte do drenne. Viel zwanzig mol bin ich doarchs Fanster ganga, ich oan andre.«

»Du . . . . aber andre . . .«

»Oalle weiß ich! – Woas hoa ich zu verlian? Oaber du! Ich wil de Sperlinge schon lerna, doas Liedla von dr zo senga, bis se dich zum Doarfe naustreiba.«

Die Lippen des kleinen, mageren Weibes flogen und ihre Augen loderten. Dann lachte sie schleichend und scharf und sah dabei Wenzel von der Seite an.

Der erhob sich von dem Tische und trat auf sie zu.

»Do, fiehl mien Arm, do mei Bän. Woas meesnte? Die senn harte zoar Arbt oan zo oallm.«

Das von der Gier ausgemergelte Weib sann einen Augenblick. Dann frug sie lauernd: »Wär scheckt dich här?« –

»Mei Elende.«

»Was gieht mich dei Elende an?«

»Dich? denkst du, ich ga noch Geld wie dr ale Kliegel! Geld derfier, em mich drnoch oazuspein, wenns verbei is?«

Zögernd ging das Weib in die Nebenstube.

Nach einer Weile kam sie wieder und legte einen Thaler auf den Tisch.

»Hier nimm drs un gieh un laß mich zufrieden.«

Wenzel schüttelte stumm mit dem Kopfe.

Das Weib legte noch einen Thaler, noch einen, noch einen zögernd und feilschend hin, als handle es sich um ein Geschäft, das sie durch Zähigkeit möglichst zu ihren Gunsten zu wenden bestrebt sein mußte.

Wenzel lachte entschlossen.

Da bemächtigte sich des Weibes eine heiße Wut. Sie griff nach dem Besen am Ofen, erhob ihn und schrie: »Nu naus, glei naus oder der Bäsen saust of deinen Schädel, daß der de Sinne vergiehn. Ha! nä, mei Wertschaftl, mein sauer derworbnes, jagst du mir nicht durch de Gurgel. Nä, nich ehr bis ich derschlagen da lige!«

Aber kalt lächelnd packte sie Wenzel am Handgelenk und drehte es herum, daß dem Weibe der Besen entfiel.

Bleich, zitternd, mit haßerfüllten Augen sah ihn das Weib an. Vergeblich suchte sie ihre Hand frei zu machen, die in dem Griff des Mannes saß wie in einem Schraubstock.

Es entstand eine tiefe Pause.

Dann atmete Wenzel schwer und der Ausdruck seines Gesichts wandelte sich. Er begann wieder und seine Stimme klang wahrhaftig, einschmeichelnd und dringend: »Tommes, kendsches Weib! Dei Geld hiel der. Kee Groampel vo demm Acker wil ich, kenn Hoalma aus dr Scheine, kee Lode vo dem Vieche. Ich hoa weder Honger noch Doarscht. Oaber Honger oand Doarscht hoa ich noch em andern Laba. Ausm Verschlaje muß ich raus, ronder vo a Lompa. Meicke is weg, de Karre leit zerschlän of dr Stroße. – Nu stieh ich vier dr. Hal mich bein dr; ich wil dei Knecht senn; ich wil arbta vier zwee oan nischt verlang ich. Woas de mir gibst, dodermit bin ich zofriede. Kathrine, komm, gie mr dodruf dei Hand freiwellich.« –

Eine stockende Stille trat ein. Der Schutzgeist des Menschenlasters flog durch den Raum und lächelte. Sein heißer Atem strich über die verlorne Seele des Weibes hin und die alte Sucht erwachte darin.

»Guste, du denkst ich bin noch jung. Nä, wegen dem, es is nich meh netich, wejen dem heirat ich nich.«

»Sol a nie sein. Häß mich wie de wellst, meinswejen denn Schoaffer, denn Arbter, denn Wertschoafter.« Und nach langem Sinnen kam es unwillkürlich aus der Weite seiner fernsten Gedanken:

»Woas warn soal, wärd.«

Das Weib bezog das auf sich und lächelte.

Wenzel hing seine Jacke an die Ofenstange: »Wo isn de Sänse?«

»Im Hause hängt se.«

Darauf verließ er die Stube, ging auf die Wiese und mähte.

Das Weib kochte den Frühkaffe und stellte drei Töpfchen auf den Tisch.

Darnach aßen die drei gemeinsam.

So fing Wenzeln sein neues Leben an.

Er hatte nicht umsonst als Knabe das Käferlein fliegen lassen.

* * *

Aus dem Kopfe Wenzels, aus seinem Leibe brach nun der Fleiß hervor, leidenschaftlich wie ein Rausch. Dieser erschöpfte ihn in der Glut des Sommers; er fror ihn aus im Frost des Waldes beim Holzfahren; er trieb ihn im Handel mit Beeren über die Landstraße, warf ihn von Schenke zu Schenke. Aber seine Kraft schien unerschöpflich in der Ausdauer, sein Kopf voller Schliche und Listen.

Mit Bewunderung und Stolz sah das Weib auf ihn, der er sich aufgedrungen. Wahrhaftig, sie hatte ein gutes Geschäft gemacht mit ihm.

Auf dem Acker wogte das Getreide. In dem Schube der Lade häufte sich das Geld.

Nie sprach er vom Heiraten, nie vom Lohn; nie sagte er das »Guda Obnd!« lallend, wenn er auch noch so spät nach Hause kam.

Einst trug sie ihm heimlich eine Flasche Schnaps vors Bett. Am andern Morgen war der Branntwein samt Flasche verschwunden. Da wurde ihr bange und sie sah ihn mit den flammenden Augen verächtlich an. Er aber schnalzte: »Haha, komm!« nahm eine Schaufel und ging mit ihr in den Garten. Unter einem Baume war der Rasen welk. Dort stieß er die Schaufel in den Boden und hob die Flasche heraus.

»Fahlt a Troppa dervo?«

»Nä, nie! Aber warum vergräbst du se?«

»Asu is mei Suff.«

Er schüttelte die Flasche. Der Schnaps klang gegen das Glas, als ob er lache und funkelte.

Da schloß Wenzel die Augen und schleuderte sie gegen einen Stamm, daß sie schreiend zerbrach.

Ihm war es, als rufe etwas nach ihm und er ging hinzu und schlug die Stücke zu Staub, daß das Lebendige tot sei, was nach ihm schrie.

Seitdem wuchs die Glut in dem Weibe und mit verlangenden Armen griff sie nach seinem Leibe.

* * *

Schau nur nicht den Jahren zu, das macht mutlos. Aber schwinge dich auf sie, sie gehn dir lammfromm im Zügel deiner Pläne. Wie der Reiter, so das Roß.

Wenzel war ein starker, rücksichtsloser, unermüdlicher Reiter. Endlich trabte er durch das Schlafgemach der Frau Stumpf, stieg im Hofe ab, sah das Gebäude entlang und sprach: »Mei Wertschoaftla is eene Krone.«

Da er Frau Stumpf am Fenster sah, rief er ihr barsch zu: »Kathrine, loß de Kiehe raus.«

Das Weib erschien eilig in der Hausthür, stockte aber plötzlich im schnellen Gange, stemmte die eingeknickten Hände gegen die Hüften und erwiderte messerscharf: »Woas sagst de? – Kathrine?« –

»Nu, etwan Fra Stumpn, woas? – ich weeß nie woas dich schendt! – Geh, Kathrine!« –

Man sah, daß sie sich innerlich dagegen wehrte und that es doch. Die Ketten rasselten im Stall, mit krummen Schwänzen sprangen die blanken Kühe auf den Hof. Frau Stumpf aber warf den Thürriegel erbost hin, daß er klingend über das Pflaster hüpfte. Sie hatte ihren Bändiger gefunden. Mit raffiniertem Geschick regierte er sie durch ihren Leib.

Er lächelte überlegen. Sie aber lechzte durch Flüche und Verwünschungen nach ihm. Noch war sie Herrin:

» Mei Kiehe sein wie de Schneck!« –

»Joa, jo, onse Kiehe senn de schinsta weit oan breet.«

»Unse? – unse – meine und der Marielas, ja unse

Wenzel lachte nur. Dann sprach er sicher und selbstverständlich: »De Hersche hoa ich m Weigang Flescher verkaft. Ei acht Taja hult a se.«

Frau Stumpf brach in wilde Schimpfereien aus.

Er zuckte die Achseln gleichgiltig, sprach: »Es bleit derbei;« und ging pfeifend weg.

Abend um Abend schritt er nun lachend an ihrer Schlafkammer vorüber.

Am vierten Abend, als er eben die Bodentreppe zu seiner Kammer emporstieg, erschien Frau Stumpf auf der Thürschwelle.

»Gehst de schlafen, Guste?«

»Jo!«

»Dei Bette werd nie zum wärmsten sein.«

»Mags, ich hoa viel Hetze.«

»Schloaf gesund.«

»Du ach.«

Krachend flog die Thür ins Schloß. Dahinter stand das Weib und schüttelte die Fäuste gegen den Mann:

»O du . . . du! – so ein . . . . ach!«

Aber Wenzel stieg vergnügt weiter, lag eine Weile mit offenen Augen im Bette, die Hände unter den Kopf geschoben, spuckte dann über sich und schlief ein. Dann sah der siebente Abend durchs offene Stubenfenster der Wirtschaft am Walde.

Draußen lag ein schweres Dunkel. Ein schwüler Wind wühlte in den Heuhaufen, denn es war Juni.

Das Talglicht auf dem Tische leuchtete rot und eine lange Kohle ragte über das kümmerliche Flämmchen.

Wenzel lehnte behaglich gegen die Wand, als warte er mit halboffenen Augen auf den Schlaf.

Marie saß auf einem Schemel und blickte mit zagem, bedrücktem Gesicht auf die in ihrem Schoße gefalteten Hände.

Frau Stumpf war bleich. In ihrem mageren Gesichte arbeitete es. Mit kalter Hand spielte sie auf dem Tisch. Sie kämpfte gegen sich, allein umsonst.

»Mariela, geh schlafen;« sagte sie dann aus arbeitenden Brust heraus und wagte nicht, ihre Tochter dabei anzusehen.

Diese schlich hinaus wie ohnmächtig vor Schauern der Scham. Droben vergrub sie sich ins Bett und weinte bis ihre zitternde Seele ruhig geworden im Schlaf.

In der Stube drunten blieb es totenstill.

Die Lider Wenzels waren tiefer über sein lauerndes Auge gesunken.

Frau Stumpf war bleicher geworden.

Sie blickte feindselig in das taumelnde Fünkchen Licht und sog in tiefen Zügen die schwüle, leise wühlende Glut ein, die durch das offene Fenster hereindrang.

Dann stieß sie mit hastigem Griff das Licht aus und stammelte mit trockener, lustschwerer Zunge ins Dunkel: »Warum bin ich dir nich meh gutt genung? – – Verkeef de Hersche – – mach was de willst – – – – – aber – ich – – ich –« die suchenden Arme umschlangen den noch immer Regungslosen.

»Woas wehrste dich erscht?« entgegnete ruhig der Sieger und nahm sie in seine Arme. –

* * *

Ihr kennt das auch – – – – –

Die Erde starrt mit stumpfen Umrissen in die Luft.

Sie liegt regungslos, als fürchte sie sich vor Gespenstern und wagt kaum mit ihren Wäldern zu atmen; nur ihre Wasser klopfen ängstlich durch die Nacht.

Der Himmel, ihre Mutter, ihr Vater.

Er ist stumm über sie gebeugt und blickt mit seinen tiefen, liebevollen Sternenaugen auf sein Kind, das nicht schlafen kann, hüllt es in weiche, graue Betten der Nachtnebel und streicht diese glatt. Das giebt dann einen weichen, traumhaften Luftzug. Man spürt ihn nicht an der Wange, nicht einmal im Auge, man merkt ihn nur an dem schlaftrunknen Regen der gesenkten, müden Blätter des Baumes. Dies Streichen der bekümmerten Mutterhand ging auch über den Leib der Erde in jener Nacht, als die Inbrunst in den Beiden erwachte.

Sie lagen bei einander im Bett und das blauweiße Licht der Nacht ging lautlos durch das offene Fenster ein und als es die beiden sah, zitterte es und flog wieder hinaus.

Aber es kam doch wieder neugierig herein und ging bebend hinaus und sagte es dem ganzen Licht draußen, dessen Keuschheit über der schlafenden Erde lag. Und bald zitterte alles Licht um das Lager der Beiden.

Des Mannes Seele sah mit großen, brennenden Augen hinein.

Des Weibes Seele schielte durch den furchtsamen Spalt bebender Lider.

So erwachte die Inbrunst in der Brust beider. Und sie kniete vor die Seele des Weibes und bat sie weinend mit den reinen Augen ihres Kindes, mit den Händen, an denen noch keine Spuren des Lasters waren: »O Mutter, Mutter!«

Da richtete sich Frau Stumpf auf, stumm, behutsam, langsam. Ihre bloßen, scharfkantigen Arme sanken schlaff und kalt auf die Decke.

Unter der gesenkten Stirn glommen ihre Augen. Die waren sehend geworden. –

Sie schauten was die Inbrunst geschaffen. Denn dieselbe war gewachsen und aus ihrer Seele hinausgegangen in ihr Leben und hatte den Schleier weggezogen, den roten, gleißenden Schleier ihrer Wollust.

So sah das Weib das erste mal mit ihren Augen, das erste mal seit 45 Jahren.

Dort vor ihr, im zitternden, blauweißen Lichte der Nacht lag es: ein Sumpf, der endlos in die Breiten wuchs, müdes stinkendes Wasser, in dem Felder lagen, in voller Frucht ertrunken; Städte, im Bau zu Ruinen geworden . . . . dieser Sumpf floß aus einem Licht, süß wie junger Maisonnenschein, und verschwand draußen in einem Landstreifen, wo kinderhelle Sonnenglut um Knospen hüpfte, die sein Licht tranken und davon aufblühten.

Das Weib sah den Sumpf und wagte in Scheu nichts zu sagen.

Es sah das süße Licht seines Anfangs und seufzte: »Ach, noch eenmal, noch ein allereenziges Mal Kend sein!« –

Es sah das ferne Land: »Mariela, mei armes Mädl.«

Als das Weib das gesehen, sank es um mit dem Gesicht gegen die Wand und weinte; es weinte nicht furchtsam in die Hand, nein, schluchzte laut und bitter.

In Wenzel aber stand die Inbrunst anders auf, als er in das Licht schaute. Seine Seele ward aufgerissen, stürmisch wie im Feuer und auf den Flammen war seine Hoffnung hereingefahren. Wild sah sie sich in seinem Innern um, höhnisch, lächelnd: »Ha, ha! Die Alte! guten Appetit! haha.« –

Fort war sie.

Er sog mit seinen brennenden Augen an der Nacht. Aber die Enteilte kam nicht mehr wieder.

Nur ihr höhnisches, bitterwildes Lachen war geblieben: »Haha!« –

Das schlug wie ein Peitschenhieb über seine Seele hin, daß sie sich unter demselben krümmte in Wut und Aerger. Darum schwor er in sich hinein: »Gutt, a Ende, verflucht, a Ende!« –

Das Weib neben ihm aber weinte, stoßweise, matt, unaufhörlich.

Endlich hielt er es nicht mehr aus.

»Woas flerrst'n – du – ha Stumpn?!« –

»Ich bin krank, krank Gus . . . . Wenzel.«

»Sol ich etwan giehn?«

»Ja, bis schien gebätn . . . gieh oan . . . oan . . .« aber sie brachte es nicht heraus, was sie sagen wollte, denn ihr Schmerz war matt, das aufreißende Bild der Inbrunst verschwunden und langsam floß wieder der gleißende, rote Schleier über ihr ganzes Sein.

Sie streckte die Hände ins Dunkel, erhaschte den Arm des Mannes und drückte ihn heiß.

In der Brust Wenzels aber wühlte das peitschende Lachen seiner Hoffnung.

Rauh drückte er das Weib von sich und fühlte sich in seine Kammer.

* * *

Das Weib aber schlief ein; es war eigentlich kein Schlaf.

Ueber die Gestaltenflucht ihres Innern kam ein grauer, öder Dunst. Sie lag wie im Bann, wie umsponnen von traumhaften Fesseln. Die Gedanken flogen auf und verbanden sich zu absonderlichen Schnörkeln: aus Menschen wurden Häuser, welche gehen konnten; Vogelschwärme verwandelten sich in Wälder, welche sangen. Sie sog den Duft dieser spuckhaften Verwandlungen mit müder, müder Gier ein und es war ihr dabei, als werde ihr Leib von Wellen geschaukelt, ohne Ruck, ohne anzustoßen, sanft, weich.

Und siehe, da war ein Meer über ihr, ein Meer unter ihr. Zwischen diesen war Licht, ein eises, furchtsames Licht, wie es die Dämmerung schafft, wenn das träge Blau der Nacht in die verlöschende Rotglut des Abends fließt.

In diesem Lichte, dessen Horizont rundum flimmernd ins Endlose wuchs, hing oder lag sie und hörte dem einschläfernden Raunen der Meere über und unter ihr zu.

Plötzlich brach aus dem Meere über ihr ein Donner, ein hartes, körperliches Poltern. Das furchtsame Licht, in dem sie lag oder hing, zitterte, wie der Schein flutet, wenn der Wind die Ampel stößt.

Dann lief der Schall mit fliehendem Schritt in das Meer unter ihr und eine Thür darin, die sie bis dahin gar nicht gesehen, flog schreiend, keuchend auf. Durch sie stürzte ein Mädchen in das Licht: die schwarzen Haare aufgelöst, den Leib in der Flucht vorgebeugt, von Angst geschüttelt, die Arme vom Ringen rotfleckig, im Hemd, das ihr halb über die Schulter geglitten. Alle Glieder ein einziger, packender Hilfeschrei. Aber die sinnenden, erbarmungstiefen, betenden Augen des verfolgten Mädchens bändigten doch den Mund, der reden wollte, so daß sich nur die Lippen in Mitleid krümmten. Ein Schauer schüttelte sie. Schweigend hob sie die Arme in die Luft und versank langsam unverwandt mit den großen Augen vorwurfsvoll auf das Weib hinschauend. Dann war alles im leeren Schlaf erloschen.

– – – –

Am andern Morgen sprach Frau Stumpf zu ihrer Tochter: »das war ein komscher Traum.«

»Welcher denn?«

Und sie erzählte ihr denselben.

Das Mädchen ging ans Fenster und sah hinaus.

»Gelt, is das nich komsch? Verleicht, wer weeß, hat er was zu bedeitn.«

Marie preßte ihr schamglühendes Gesicht an die Scheiben und fing an zu weinen.

»Kind'sche Liese, s' is ein Traum, da werd ma weinen.«

»Ach, wejen dem Traum wein ich nie; s' is bloß a so deitlich: das Meer, das Bissel Licht un das arme, arme Mädl, das um Hilfe rufen möchte un nicht reden darf, blos beten, in de Luft, mit nackten Armen.«

Das hatte sie stockend gesprochen und ihre Stimme war oft von dem heißen Weinen im Hauchen aufgelöst worden.

»Na ja, das is ja eben,« sann Frau Stumpf in ratlosem Ernst hin.

»Mutter!« rief das Mädchen und kehrte ihr das Gesicht zu, »Mutter, thätst du mir helfen, wenn ich und ich wär das Mädel?« dann wartete sie mit krankhaft starren Augen und angehaltenem Atem auf Antwort.

»Mariela, ich un auch Wenzel. – Mach keen Gesichte! Wenzel is ein orndtlicher, fleißicher un klujer Mann. Laß mr endlich das mucksch thun geger ihn, sonst leeft er ons noch fort.«

Da ward das Gesicht des Mädchens blaß und traurig. Sie wollte reden; aber was sie sollte, mochte sie nicht und wie sie so gern hätte sprechen mögen, nein, bei dem Gedanken daran ward sie rot. In Verlegenheit stand sie unbeweglich und stieß einen verächtlichen Laut durch die Nase, der Lachen sein sollte.

Da erhob sich im Hofe doppelstimmiges Hundegebell. Schneidendscharf jappende Heullaute wehrten sich gegen rauhes Knurren.

»Ich wär sähn, was is.« Wie wenn sie im Begriff gewesen, etwas Böses zu thun und nun vom Zwang dazu befreit war, so freudig aufatmend, hastig stürzte sie hinaus.

»Warum, warum kann se bloß den Wenzel nich leiden!?« Die Mutter schüttelte noch den Kopf, als Marie schon wieder furchtsam hereinschlüpfte.

»Nach?« frug sie das Mädchen.

»Unse Fipsl liejt ei dr Hitte ofm Stroh un heilt zum Derbarmen; a wil nich raus und sol, denn vir'm Hittl da stieht'r a Hund, schwarz, zottlich, de Schnauze wie ne Kulpe, Aujen grien wie Gift; mit krummen Knochen un fährt immer of de Hitte los, doaß de unse Fipsl vo Angst schier kromm werd. Un wie ich naus komm un wil'm eens mitm Zubersteckn auswinken, fletscht a de Zehne off mich groadnett wie dr Teifel.«

». . . . . wie dr Teifel?« wiederholte zaghaft fragend eine Männerstimme hinter den Beiden.

Wenzel, durch die Hinterthür vom Felde gekommen, war unbemerkt eingetreten und hatte Maries Worte mit angehört.

Eine tiefe Erschlaffung, ein Gefrieren packte ihn. Leer und in bösen Ahnungen verloren, sagte er es mechanisch noch einmal: »wie dr Teifel« und mit tiefer Mutlosigkeit ruhte sein Auge auf Marie.

»Ja,« fuhr die auf in der Glut eines lange verhaltenen Hasses, »ja, Fipsl liejt ei seim Hittl, ihm gehärts, ihm! ihm!! – Und so ein Luder, so ein Remläfer, der de nischt hatt, wie Hunger eim Ranzen und Leise ofm Puckel, der wil a raus dricken . . . . der? . . . . der??«

Der Atem versagte ihr, sie warf die Arme in die Höh und starrte mit großen Augen barmherzig ihre Mutter an.

Wie ein Blitz fuhr in dieser der Traum der Nacht auf. So, gerade so hatte das Mädchen der Nacht auf sie gesehn, mit denselben ratlos mitleidigen Augen. Am Ende war alles überhaupt kein Traum gewesen, das Poltern nicht, das hilfesuchende Mädchen nicht, am . . . . Ende! . . . . und sie bohrte ihren lodernden Blick auf Wenzel ein.

Der aber achtete auf nichts. Regungslos stand er und sah zum Fenster hinaus.

»Rrrrm!«

Das rauhe, tiefe Knurren war wieder da und fuhr dann, wild aufbellend, die winselnden Heullaute an.

Das stach Wenzel in die Brust.

Er fuhr auf; sein Auge rollte . . . »dr Teifel!« – Er stürmte durch die Thür, ohne sie zu schließen. Draußen war er. Der fremde Hund, es war, o Gott! es war Meicke, sprang vor Freude heulend auf ihn zu – sst! – ein Schlag mit dem Stocke! – Wie geworfen floh der Hund, durch den Zaun, daß die Haare flogen, das Blut spritzte, über Gräben, Steinhalden. Hinter ihm Wenzel, fluchend, schreiend, den Stock schwingend, immerzu, ohne Atem, bis zur Erschöpfung wie ehedem.

Mutter und Tochter sahen aus dem Fenster allem zu.

»Wie er matt is . . . . aber er leeft . . . . siehst de nicht? . . . nu is dr Hund iber de huche Mauer. – Er is woll verrickt?? – . . . sieht er nich den Graben derfier? – ha! . . . . er hult aus! . . . . nu? . . . is er drieben? Mariela, allerliebstes Mariela! . . . . is er drieben? Meine Aujen sein schwach, woas?«

Aber das Mädchen war grimmig über die Angst ihrer Mutter: »Was gieht das uns an? Wenn a spetziger Steen eim Graben läg, wär das etwan nie gutt?« und ihr Gesicht war gleichgiltig und kalt.

Aber das Weib zitterte vor Aufregung, wischte an den Fensterscheiben, wischte ihre Augen, rannte auf den Hof und blickte hinunter. Aber Wenzel erschien nicht auf der Höhe der Steinmauermauer. So lag er also im Graben . . . . tot . . . mit gebrochenen Beinen . . . . das jagte das Weib von ihrem Hause fort; über die Felder und Raine und Gräben.

Endlich war sie da. Wo, wo lag er?

Hier, mit der Brust im verzweifelten Sprung an den Rand des tiefen, breiten Grabens geflogen, die Hände krampfhaft ins Gras gegraben, als klimme er noch in der Bewußtlosigkeit, das Gesicht auf der Seite, totblaß. Ein breiter Blutstreifen zog sich von der Stirn durch den graugrünen Rasen.

Das Weib sprang in den Graben, schöpfte mit der zitternden Hand Wasser und träufelte es auf die Wunde, einmal, zweimal, oft in zärtlicher Ausdauer.

Nach langer Zeit begann er zu atmen . . . . noch war sein Auge geschlossen; aber er lächelte; »Ma . . . . Ma . . . Ma« so lallte er glückselig mit halberstorbenen Lippen.

Dann schlug er die Augen auf und mit suchend sehnsüchtigen Blicken wendete er sie. Als er die Alte sah, schloß er sie eilig und eine schmerzliche Enttäuschung verzog sein Gesicht.

»Guste, lieber Guste, hast de was gebrochen?«

Er schüttelte den Kopf und schwieg.

»Hast de dr de Lunge überprescht?«

Er schüttelte den Kopf und eine wilde Ungeduld preßte seinen Mund zusammen. Sein Atem stand, kein Glied bebte, wie tot. –

Plötzlich sprang er auf. Es drehte sich alles. »Verflucht, das schmerzte!« Aber er biß die Zähne zusammen und lachte: »So do stieh ich! oan dr Teifel, wie de Mariela säte, is doch weg!«

»Un Gott sei Dank! laß mich a mal an dein Kopp fiehlen, Armer, du, Guste . . . .«

»Äh!« wehrte er sie ärgerlich ab.

Sie stiegen wieder mit einander zum Hofe empor.

* * *

Wenzels Glaube an die Verwirklichung seiner Pläne war erschüttert, seitdem Meicke sich auf dem Hofe wieder gezeigt hatte. An dessen Stelle kam eine geheime Furcht, eine Unrast in ihn. Manchmal saß er lange in der Stube auf einem Flecke und sann mit starren Augen, um dann mit einem Lachen aufzuspringen, einem höhnischen Lachen, wie es die Hoffnung in seine Seele geschrieen hatte, als sie ihn das letzte Mal besuchte in jener Nacht mit dem zitternden Lichte.

Aber er lachte die Beklemmung nicht fort und die verschwundene Hoffnung nicht mehr herbei.

Sie war noch da, aber er kannte sie nicht mehr wieder. Ihre Gestalt war verändert. Sie trug die Formen Marielas und rang gegen ihn. Er streckte tausend Gedanken nach ihr aus, tausend Gedanken, verzagende, schwache, aber inbrünstige und heiße. Nie aber schlangen sie sich in einander und tanzten, zu einer Kette verbunden, in seiner Seele. Nein, sie standen auf, wie wirre Haufen von Wandervögeln, sahen ihn mit ihren verlangenden Augen an und ehe er sie ordentlich erkannt, verflogen sie im Grau seines Kummers.

»Bis dohar, is ganga oan nu solls oalle senn? Nu soll ich giehn, wejer em Hunde? – Es is, oals wenn mr die Lärche a Kop lar gebellt hätt, de Kurasche aus'm Leibe, doaß ich lieje, lar oan ausgenumma wie henderm Verschlaje.« – So sprach er in sich hinein, wenn er unterm Dache sich in seinem Bette herumwälzte, dessen Decke auf ihm brannte.

Dann lag er wohl stundenlang ganz still und horchte hinaus in die Nacht. Er hatte das Bodenfenster aufgemacht, daß jedes Geräusch zu ihm hereindringe. Einst kam es wieder, das rauhe Knurren.

Er hatte darauf gewartet, um ein Ende zu machen.

Nun hörte er es, verhielt es ihm den Atem.

Leise zog er den bereit liegenden Knüppel unter dem Bett hervor, schlich die Treppe hinunter und stürzte, einen Fluch schreiend, ins Freie.

Aber Meicke mußte das Knarren des zurückgleitenden Riegels gehört haben, denn Wenzel sah ihn wie einen Schatten und konnte ihm nur den Knüttel nachwerfen, ohne ihn zu treffen.

Der nächtliche Besuch des treuen Tieres wiederholte sich nun öfter. Aber nie traf Wenzel den Hund, mochte er es noch so schlau anstellen. Wenn er dann, von einem solchen nächtlichen Ausfall ärgerlich zurückgekehrt, wieder im Bett lag, hörte er aus der Ferne klägliches Geheul erschallen. Es war, als schrie sein Elend nach ihm und schauernd zog er die Decke über seine Ohren, um es nicht zu hören. Aber er nahm es doch mit allen Sinnen wahr; und immer war es Meicke, durch den das Verzagen über sein Inneres kam. – –

* * *

Er ruhte auf der harten Bank eines Straßengasthauses bei einem Glase Bier aus.

»Du host en guda Hund,« trat die Wirtin zu ihm heran, »wenn a ach nie hibsch is.«

Mit Anstrengung verbarg er seinen Schrecken und lächelte qualvoll: »Jo! jo! – haha!« und sah zum Fenster hinaus.

Wahrhaftig, das stand das »Luder« draußen vor dem Pferde und sah mit seinen großen, braunen Augen sehnsüchtig an demselben hinauf. Dann ging er rund um den Wagen mit langsam-glücklichen Schritten.

Ein Mann schritt vorüber. Sogleich fletschte der Hund drohend die Zähne. Darauf leckte er dem Gaul voll Zärtlichkeit den Schmutz von den Fesselhaaren.

»Host de a Gewähre?« frug Wenzel tonlos.

»Zu woas n?«

»Weg muß doas Aas, ich war noch Unannehmlichkeit ufbrenga mit m. Kees derf virm Wäne borbei; glei beißt a.«

»Nä, oan wenn ich eens hätt, zu dam gewiß nie.«

Dann lief er hinaus. Aber der Hund war schon verschwunden. Wie rasend fuhr er von dannen. Aber als er im nächsten Gasthaus angekommen war und nach einer Weile wieder durchs Fenster sah, lag ein schwarzer, besudelter Ballen unter dem Geviert des Wagens: Meicke! abgetrieben, zum Skelett abgemagert, die Zunge hing aus seinem Maule und zitterte lechzend.

Er floh, aber den Hund ward er nicht los!

Wenn er im Walde von der Arbeit aufsah, bemerkte er ihn fern zwischen den Stämmen durchs Beerkraut schleichen.

Im Felde tauchte er plötzlich aus einem weit abliegenden Graben auf, stutzte eine Weile, legte schmerzlich den Kopf auf die Seite und blickte sehnsüchtig einen Augenblick nach ihm hin. Darauf verschwand er in einem reifen Saatfelde. Lange sah man die Aehren wogen. Die Bewegung lief bis in die Mitte. Dann war alles wieder regungslos.

Die Glut zitterte wieder einsam über der weiten Fläche, wie seine Seele bebte unter dem Lasten einer brennenden Angst.

Das Mädchen, um deren Besitz er so litt, sah ihn leer von der Seite an. Er fühlte es, ein kalter Haß lag in diesen Augen.

Ha! warum war er ein Esel gewesen in seiner Inbrunst, im zitternden Lichte, daß sie geflohen war?

Hätte er nicht warten können, bis die Mutter sie ihm in die Arme führte?

Was, äh, was lag ihm überhaupt an dem Mädel? Nichts! Ohne sie Eigentümer der Wirtschaft werden! Mit einem Stoß vor die Brust hätte er sie auf die Landstraße geworfen. Aber, das war ja Wahnsinn! –

Er mußte das Mädchen sich geneigt machen. Wie das geschehen sollte, konnte er nicht heraus bekommen. Sein Fleiß, seine Anstelligkeit, seine Gabe lebhafter drastischer Erzählung, nichts hatte bisher genutzt. Als sie ein Kind war, hatte er sie übersehen. Nun zählte sie 18 Jahre und haßte ihn. Warum? – Sie sah in ihm den, der er war: den Räuber des häuslichen Glücks, den Zerstörer ihres Rufes; jenen, der das Heiligste besudelte, was ein Kind in seinem Herzen trägt, das Bild der Mutter. Allein sie war zu keusch, die sittliche Verkommenheit ihrer Mutter auch nur zu ahnen. Nur ein großes, grenzenloses Mitleid, das war ihr Abscheu. Im Fieber ihres blutjungen, heißen Grames hatte sie sich geschworen, lieber zu sterben, als Wenzel zu gestatten, sie auch nur zu berühren.

So waren die Tiefen der traumhaften Welt, die in dem Busen ihrer Jugend blühte, Wenzel verschlossen.

Er sah sich einer Macht gegenüber, der er nicht gewachsen war, da er sie nicht verstand. Liebe läßt sich nur durch Liebe erkämpfen.

Diese aber war ihm kaum mehr als ein tierischer Aktus.

Gewalt half nichts. Wie auch sollte er sie anwenden?

O, dies verfluchte Kind!

Und grübelnd arbeitete er; grübelnd schlief er; grübelnd saß er in Gesellschaft: alles war umsonst!

Diese Ohnmacht zerfraß wie ein Gift das Gefüge seines Innern. Sein Fleiß erlahmte; seine Ehrlichkeit empfand er als Zwang; seine Sorge für das Wohl der Frau Stumpf als eine tölpelhafte Dummheit.

Ruhlos umkreiste ihn der Hund. Er folgte nicht nur seinen Schritten; er lief hinter seinen Gedanken her; sein Bellen zerriß ihm jeden Plan; vor seinen Augen verkroch sich jeder Entschluß; er hetzte seine Willenskraft bis zur vollständigen Erschlaffung ab.

Endlich traf ein, was er schon lange gefürchtet hatte.

Der klare Herbst stand am Himmel und es war Haferernte. Auf den Stoppeln der Roggenfelder wehten die Spitzenschleier des Altweibersommers; über den Weiten lag wie eine regungslose Goldstaubwolke das Licht des Septembers.

Wenzel stand hemdärmlig auf einem fast ganz abgeernteten Haferfelde, dessen eine Langseite bis an die Chaussee reichte. Die Arme auf den Kreuzbalken eines eingestoßenen Rechens gelegt, sah er einem geladenen Erntewagen nach, der langsam der Scheuer zu schwankte. Neben demselben schritt Frau Stumpf und wehte von Zeit zu Zeit mit der Peitsche, dahinter, bedachtsam im Gleise, ging das Mädchen.

Er sollte, so war es bestimmt worden, noch schnell die wenigen Garben zusammentragen und dann eilig nachkommen, um beim Abladen des Wagens behilflich zu sein.

Mit Unlust hatte er den ganzen Tag gearbeitet. Nun kam es ihm vor, als sei das ein ganz fremder Wagen den er dort sah, ein fremdes Feld auf dem er stand, als seien das fremde Leute, denen er umsonst arbeitete.

Schon oft waren ihm solche Gedanken gekommen; aber er hatte sie nie Gewalt über sich gewinnen lassen. Mit kecker Faust vertrieb sie stets sein Mut: »Holla, oals Knecht gieh ich a mol ei de Kerche oan oals Herr komm ich wieder heem.«

Aber dieser Ausruf war immer zaghafter geworden. Heute schwieg er ganz und mit bitterer Miene sah er dem Wagen nach, der im Lichtstaub der Ferne verschwamm.

In seinem Innern gebar sich ein Gähnen, die dumpfe Schlaffheit des Mutlosen, das planlose Hinlullen einer Seele, die sich selbst verloren giebt.

Alles abgeernet in seinem Leben, wie das Feld auf dem er stand! Andere fuhren die letzten Früchte seines Fleißes in ihre Scheuern, ihm blieben keimlose wurzeltote Stoppeln. Ha, was hatte er davon, daß man ihm mit mehr Achtung entgegentrat, da er einen ganzen Rock trug? Das war nichts, als ein eintöniges, zweckloses Hintraben.

»Hul oals der Teifel!« Er trat den Rechen nieder, daß seine Zinken dumpf in den Boden schlugen, griff in die Westentasche, um sich zu vergewissern, ob er noch Geld bei sich trage, schob seine Mütze schief, hing sich die Jacke auf die linke Achsel und schritt pfeifend der Chaussee zu.

Gut, heute wollte er, nach drei Jahren das erste mal wieder sehen, ob ihm der Schnaps noch schmecke.

Drunten an der Scheuerecke stand Frau Stumpf und schrie nach ihm. Er lachte über die »Hexe« und schlenderte unbeirrt weiter.

Das Weib rief lauter, daß es klang wie das Krähen eines heiseren Hahnes,

»Kickricki«, höhnte er, »du best a Hahnla, ale Pletsche; oaber oam liebsta krehst de Obends, oan der Marja, ja der Marja . . . .«

Ein alter Mann humpelte ihm entgegen. Der schleppte einen Karren hinter sich her und redete knurrend mit sich selbst, wie Einsame und Verkommene es immer thun.

»Nu, Grieger, Aler, wie giehts?«

»Der Angeredete schrak zusammen. Dann kroch sein Blick schüchtern an dem Frager empor. Da erkannte er ihn.

»Nä, Jesses, Maria oan Joseph, best, best dus? – Ja, du, du kannst freen. Oaber ich . . . . nuch, mir giehts, wie a Schuta, naberm Wege: a jedes trett of mir rem. – Kee Brut, kee Geld, kee Holz, Kälde in a Knocha oan alle Klunkern ofm Leibe, Do getraut man sich nie zo freen: wie giehts. Du weßts woll nemme, wies ons armen Teifan gieht. Du host dich neigefrassa ei a Speck, wie a Maus.«

»Nu ja, mir giehts woll, oan Geld hots . . . . haha . . . sieh oach Aler . . .« er ließ seine Münzen auf der flachen Hand vor den gierigen, trockenen Augen des Mannes funkeln.

Nun er innerlich von seinem Ziele geschieden war, fühlte er das Bedürfnis, prahlerisch mit andern darüber zu sprechen.

»Gelt, a su is, glupsch muß ma sein, tänzan, sich bieja, a Rock drehn, wie dr Wend pfeft. Griejer, so a orndlicher Moan is dr a elender Moan. Ihr arma Luder weßt goar nie, wie frei ihr seid.«

»Wenzel, siehch oach, doas verstieh ich dr nie. Doas mag woll bloß ei enn komma, wenn ma soat ist. Larer Maja, Larer Kop.« Er schüttelte in stummer Trauer den Kopf. Dann ward seine Stimme tastend.

»Wenzel, wellst mr, siehch oach, ich bin ganz . . . du weßt woll, ma friert inwendig . . . . gib mr a solches, weißes Dengla do« und zaghaft deutete er auf einen Zehnpfennig, »ich hoa heite noch keen verschluckt.«

»Do nim dr oan griß mr oalle.«

»Dank schien, dank schien, warsch ausrechta, jo, jo!« darauf humpelte er davon; aber es ging schneller, er hatte Eile.

Das Leben, dem sich Wenzel in die Arme zu werfen im Begriff stand, war in seiner abschreckendsten Gestalt, einem alten Säufer, warnend vor ihm erschienen. Allein er hatte keinen Stolz, keinen Willen, kein Ehrgefühl, keine Hoffnung mehr, er war ein Verlorener. Gleichgiltig ging er unter den Bäumen der Chaussee dahin.

Der Wind rüttele in ihnen und die ersten welken Blätter fielen auf seine Schultern.

»Jo jo, s werd wieder Herbst«, dachte er und ging gleichmütig der Schenke zu.

* * *

Wenzel wußte, daß seine Herrschaft auf dem Hofe zuende war. Aber er löste den Griff nicht, mit welchem er die Alte an sich gefesselt hielt. Freiwillig, das stand fest, ging er nicht. Nur der Gewalt wollte er weichen. Aber dann, man sollte nur kommen, er würde ihnen weisen, was für gesunde Zähne er habe. Und das Eseln und Buckeln, das Schaffen bis spät in die Nacht hörte auf. Er ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Dann stieg er aus dem Bett und frühstückte gemächlich. Die Arbeit verrichtete er zum Zeitvertreib. Am liebsten fuhr er auf dem Wagen umher, kaufte und verkaufte, was ihm vorkam. Den Verdienst und noch etwas darüber schüttete er, anstatt in die Lade der Alten, in seine Tasche. Als Frau Stumpf sich drüber verwunderte, zuckte er mit den Achseln und meinte: »Jach, de andern hoan mrsch oabgeguckt oan macha mrsch etz anoch; do mählts halt schwächer.« –

Nie war er um eine Ausflucht verlegen, sein Treiben zu entschuldigen. Kam er spät aus dem Gasthause heim, so hatte er auf säumige Schuldner so lange warten müssen. War er trunken, was nun auch öfter vorkam, dann hatten ihm die anderen unbemerkt Schnaps ins Bier gegossen und er fluchte lallend über die Lumpen.

Bald faullenzte er bis zum Mittage, verlangte besseres Essen, da er alles verdiene und kleidete sich wie ein Städter. Frau Stumpf sah voll Aerger die Veränderung im Wesen ihres Kebsmannes. Da dieser aber so raffiniert war, die Wollust in ihr rege zu halten, so fügte sie sich, wenn auch mit Unbehagen und suchte zu ihrem Troste nach Entschuldigungen für sein Treiben.

Sie brauchte diese nicht nur zu ihrem Frieden, sondern auch zur Beruhigung ihrer Tochter, deren Mißvergnügen mit der loddrigen Wirtschaft sich immer schroffer und beißender äußerte.

»Siehch och, Mariela, man muß de Geduld nie verliern. Denk bloß, was ich mir die Jahre, wo Wenzel da is, erspart hab, 500 Thaler langen lange nie. De Mannesleite sein halt aus am andern Sticke geschnitzt wie mir. Se habn manchmal a tomb Fleckl. Wenn, uns is dernach verbei, da sein se wieder forsch und fleißig wie sonste.«

»Ja, ja, das vom tomm'a Fleckl das wil ich nie streiten; aber s hat ach Weibsbilder, die, scheint mirs, ganz verwirrt sein.«

Bitter lachend ging sie weg und Thränen stürzten aus ihren Augen.

* * *

Einst kam Wenzel gegen Abend heim, eine Flinte auf seinem Rücken und Meicke neben ihm, scheu an sein Bein geschmiegt.

Mutter und Tochter sahen sprachlos, erstaunt zu ihm empor. Die Alte fand zuerst Worte: »Na was sol denn das wieder sein?« und deutete auf die Flinte.

»Nuch«, platzte Wenzel lachend heraus, »ich gieh hald etzt of a Oastand.«

»Jaaa! zu was is denn das gutt?« frug der verhaltene Grimm weiter.

»Nuch, wellst du dr etwan de Soote ganz frassa lon. Siehch dr sche oa, wie a Berschte stieht se do. Oan zom Friehjoahre hoan se de Riehe oan Hoasa de Hälfte gefrassa, oan woas se nie zwenga zertrampeln se. Do is do s eefachste, ma knoollt se weg.«

Frau Stumpf sah ihn an und da es ihrer Eitelkeit schmeichelte, daß ihr »Wirtschafter« es wagte, wie ein »Großpauer« auf die Jagd zu gehen, war sie still und begnügte sich, etwas von einem »verrückten Kerle« zu murmeln.

Marie hatte mit zu Boden glimmenden Augen und angehaltenem Atem der Verhandlung zugehört. Als sie nun ihre Mutter schweigen hörte und aufschauend, noch Befriedigung auf ihrem Gesichte lesen mußte, verlor sie jede Beherrschung ihres Hasses, sprang auf, griff einen Besen und stürzte sich auf Meicke, der, die Zähne fletschend nach der Thür retirierte:

»Is das Luder auch wieder da?«

»A Basm weg, dr Hund bleibt do, dar is meine!«

»Der Hund? – do blein? – raus! – der starr ja vir Leisen!« und mutig hieb das zornige Mädchen auf das Tier ein, das an diesem wildfremden Orte seinen Mut nicht fand, sondern mit dem Kopf gegen die Wand, im Thürwinkel stand und reichlich niedersausenden Schläge mit ängstlichem Knurren beantwortete.

In grimmiger Unentschlossenheit sah Wenzel eine Weile zu, dann aber schrie er, bleich vor Wut: »Nu is genug! So a treies Tier, a su haun. Weg, oder ich hetze.«

Aber das Mädchen hörte nicht.

»Meicke, alla . . . faß! . . . faß!!« Heulend fährt er herum, schnell wie der Blitz und wühlt seinen plumpen Kopf in die Kleider seiner Peinigerin, daß es reißt und platzt.

Die Weiber schreien vor Schreck auf und Wenzel pfeift den Hund ab. Dieser kommt sofort herbei und stellt sich neben ihn. Seine Augen funkeln grün, die Haare stehen auf seinem Rücken steif wie Borsten, kampfbereit wendet er den Kopf von der Mutter zur Tochter und wieder zurück.

So stehen die beiden Eindringlinge in offener Feindseligkeit den Besitzern des Hauses gegenüber. –

Bohrend und kalkbleich im Gesichte, schaut Marie, furchtsam in die Ecke hinter den Tisch gedrückt, zu Boden. Dann hebt sie die Augen in unendlich qualvoller Demut und sieht die Mutter an, lange, stumm, bitter.

Die aber wagt, im Bann des Mannes stehend nichts zu sagen.

»Is das noch unse Haus . . . du . . . du . . . du . . .?« haucht das arme Mädchen mit versagender Stimme, die ruckweise unter dem aufquellenden Schmerze erstirbt.

Dann reift ihr die Scham die Hände vor die Augen – so eilt sie hinaus.

* * *

Der Hund blieb also da, weil, wie Wenzel der allzugläubigen Alten auseinander gesetzt hatte, er zur Jagd notwendig sei. »Denn a Jäger ohne Hund is wie a Fisch ohne Schwanz.«

Er folgte seinem Herrn auf Schritt und Tritt, lag nachts vor dessen Kammer und trabte auf Handelsfahrten geschickt zwischen den Vorderrädern des Wagens.

Nie mehr sah man Wenzel ohne den Hund, dessen Verstand und Treue er nicht genug loben konnte. Wie er aber dazu gekommen war, sich seiner wieder anzunehmen – sagte er niemand. Das war so zugegangen:

Der Rausch hatte ihn aus dem Gasthaus auf die Straße geschleudert. Unsicher, wankend war er dahingegangen, seiner Wohnung zu. Seine Beine summten plötzlich stark, immer stärker. Sie werden schwer, immer schwerer. Er erhebt sie nicht mehr und stürzt quer über den Weg hin, im Fall schon schlafend. Plötzlich fühlt er sich gerissen. An seinem Arm zerrt es, gellend heult's ihm in die Ohren. Nun fühlt er einen Stich im Arme. Da fährt er auf. Wo ist er? Winselnd zieht ein schwarzer Hund seinen Fang aus dem Muskel des Oberarmes. Er will fluchen. Auf einmal kollerts im harten Wege; ein Donnern, Rasseln rollt näher, daß alles zittert. Der Schreck reißt ihm den Kopf herauf. Zwei Lichter flackern droben vor ihm . . . . . Teufel, ein Wagen! . . . . die Pferde schnauben! . . . . ein wilder Seitensprung in Todesangst . . . kopfüber stürzt er in den Graben und ist gerettet.

Sein Rausch ist wie weggeblasen. Der Hund aber leckt ihm das Blut von der Hand, das aus der Wunde des Armes herabträufelt.

Da reißt er den häßlichen Kopf zu sich herauf und drückt einen heißen Kuß in die stinkenden Zotteln. Es ist die inbrünstige Abbitte für alles, was er ihm angethan.

Nie mehr kommt er von seinen Fersen weg, denn er hat ihm ja das Leben gerettet. – –

* * *

Darnach fiel der Winter aus dem toten Himmel auf die tote Erde.

Er stürzte herunter wie ein Wüterich, in jeder Faust einen Sturm. Und als er die beiden Fäuste öffnete und die Stürme frei ließ, da schien die Welt verloren:

Peitschende, beißende Schneewolken gingen nieder, die Wälder donnerten, die Schindeldächer knarrten, die schutzlosen Sträucher auf dem Felde lagen vor ihm auf den Knieen und flehten ihn um Gnade an; die mitleidigen Sterne aber schlossen vor Grauen ihre schönen, tiefen Augen als das Unwetter losbrach.

Am andern Morgen, als die kranke Sonne mühsam und fröstelnd aufstand und das Unheil sah, das ihrer lieben Erde über Nacht geschehen, ward ihr Gesicht noch bleicher. Die Leute aber sprachen: »Heite wils goar nie Marja warn.« – Ja, nun kam die Folge jener langen, öden Dämmerungen, die sich Wintertage nennen. Brach ja das Licht einmal voll über die lastenden Berge, über die weite Ebene, so schlossen die Menschen die Augen, denn der frierende Sonnenschein that ihnen wehe.

Aufatmend kehren die Leute solchen Tagen den Rücken und flüchten durch die niedrigen Thüren an den warmen Ofen in das schummrige Licht der Stuben. Dort reden sie mit leiser, schläfriger Stimme von ihrem Hoffen zu einander.

Frau Stumpf und Marie saßen an einem solchen Abende auch am Tisch, und man sah ihren Mienen das Behagen an, allein zu sein.

Die Alte saß an der Wand und schliß Federn, Marie, ihr gegenüber, strickte.

Mehrere mal ließ das Mädchen den Strickstrumpf sinken und blickte ihre Mutter an, wie man in ein Buch sinnt, das einen unverständlichen Inhalt hat.

Die Mutter aber senkte die Augen vor dem Blick und zupfte eifriger an den Federn.

Dann ward ihr das Schauen des Mädchens unbequem und sie sagte, ohne aufzublicken: »Was siehst'n immerfort riber of mich!«

»Ach, ich sann bloß.«

»Was du?«

»Wie lange werd'n dr Wenter dauern?«

»Nu, a zeitliches Frihjahr macht nen kurzn Wenter.«

»Gellock, Mutter, wenn de Leite a Wenter machen mißten, da wär keener.«

»Nu . . . . nä . . .«

»Hast du a Wenter gerne: man sieht nischt, kenn Himmel, kee Sonne, kee Grin, kee Blimel . . . . un man kan sich nie helfn, wenns em ach noch a su bange thut . . . hast du a Wenter gerne?«

»Nä, Mariela . . . . näha . . .«

»Oh, ich hattn a mal gerne. Und wenn der Schnie kam, warsch, as wenns sang ei mem Härze . . . aber etze, ich säh of keen Schnie, ei keen Pusch, wenn er ach noch a su schien is vom Oaraume.

Bloß wie ich n kommen härte vergangne Nacht, daß das Gesärre krachte virm Soarme, da wur mir a su Angst, a su Angst, ich kans gar nie sän . . . . . un ich dochte immer bloß: nä, wenn dich där Wend nehm, un triech dich fat, weit, a su weit, daß de a Schnieberg nie meh sähst. Das docht' ich un, ich weß nie, das gieht den ganze Tag mit mr . . . . . un verlett mich nie, das »fat iber alle Berge«.« –

»Ja, du mächst giehn, aach ohne mich?«

»Nä, Mutter, ohne dich nie. Aber du thust mr a su läd, ach liebstes Mitterla, Mitterla,« und sie warf sich der Mutter weinend an den Hals. Die aber erschauerte unter der Umarmung wie unter einer Anklage.

»Gieh, gieh! du stößt mr de Federn under einander. – – – – Ich weß nie, was iber dich kemmt?!« und zitternd schob sie ihre Tochter von sich.

Traurig ging das Mädchen an seinen Platz.

Es sah starr auf ihr Strickzeug. Die Thränen liefen stumm über ihre Wangen und verstohlen wischte sie dieselben mit eiligen Fingern ab.

Das Feuer schluchzte im Ofen. Dann war es, als wimmere etwas.

»Der Feiermann sengt! – – Was bedett das Mutter, Glecke oder Unglecke?«

»Ich weß nie,«

»Das soll eene arme Seele senn, die sich nie hälfn kan, un a su häßlich thutt, daß sich de Leite derbarmen über sie.«

»Här uf, Mädl, s werd em andlich weech.«

So rührte das Kind, denn ein Kind war es, trotz seiner 18 Jahre, mit traumhaften Worten rastlos an der mütterlichen Seele, so daß sich das Weib verachtete in ihrem Herzen.

Als habe Marie die Gedanken ihres Innern gelesen, begann sie:

»Wo a su lange bleit?«

»Nu, a werd ofm Oastande senn.«

»Derschisst sich da nie mancher aus Versähn?«

»Ach nu . . . . aber, das is Unglecke.«

»A Unglecke? . . . . verleicht sang dr Feiermann daswejn vrhinn su erbärmlich.«

Wenn es wäre, wenn sie ihn nicht mehr sähe, den sie in schmerzvoller Wollust, zornröchelnder Brunst verfluchte, dann, oh, dann würde alles noch einmal gut! –

Das dachte die Mutter; nein, es kam über sie wie ein weinendes, heißes Gebet, daß sie schwieg und ihre Tochter mit sehnsuchtsgroßen Augen ansah.

»Horch, Fipsl bellt; etz kemmt a!«

»Wie spät ist n?«

»Halb zwelfe.«

»Halb zwelfe«, wiederholte die Mutter grimmig.

Auf das pfeifende Bellen des kleinen Wächters draußen fuhr das bekannte, tiefe Knurren los.

Zwischen dem Hundegebell hörte man schiebende, taumelnde Schritte. Tastend griff es an der Wand unter den Fenstern hin. Nun hielt es an der Thür. Dann stieß und arbeitete es daran herum.

Frau Stumpf stand auf, um zu öffnen.

»Mutter!« –

Das Mädchen sagte das eine Wort, nur das eine, aber mit einem solchen Abscheu, so schwer, daß das Weib aus der Hypnose der Wollust erwachte und willig auf ihren Platz zurückkehrte. Dort saß sie regungslos und wagte nicht mehr, ihre Augen emporzuheben.

Indeß war die Thür aufgeflogen.

Wenzel fluchte und lachte durcheinander.

Vor dem Eingange der Stube hielt er.

»Hier Meicke, komm her. Hier bin ich Herr. War dich oariehrt, den schieß ich iber a Haufa, ha ha, verfl . . .«

Dann war es eine Weile ganz still. Er überlegte offenbar, ob er in die Stube gehen solle, oder nicht und entschied sich nach einigem Besinnen für das letztere.

»Wie sprecht dr Hund, Meicke, wie . . . . wie . . . wie!! . . . sprecht . . . dr Hun . . . d?«

Das Tier bellte scharf.

»Holla, aler Karle! doas hoan mr goar nie netich, nä, mir braucha nie neigehn, mir senn de Herrn, ich oan du, denn mr hoan Kurasche, haha!«

Dann polterte er die Stiege empor.

Frau Stumpf zitterte und es war, als krümme sich ihre Seele vor dem Auge der Tochter, das breit und klar auf ihr ruhte.

Aber ihr Mund brachte kein Wort hervor, denn sie schämte sich so tief, so tief.

Darauf reichten sich die beiden zum »Gute Nachtgruß« die Hände.

Keines sprach ein Wort.

Der Druck ihrer Finger war welk, kalt und hoffnungslos.

* * *

So legte sich Frau Stumpf schlafen, so stand sie auf: in Hoffnungslosigkeit.

Nach Tagen war es ein Grauen. Wie mit abgewandtem Auge sah ihr Sinnen auf ihr Verhältnis zu Wenzel.

Sie scheute sich, scharf richtend daran zu rühren. Denn in der Ferne ihrer verkümmerten Seele saß drohend eine Furcht.

Und wenn sie sich aufrichtete, das Weib, das von ihrem Laster gepeinigt wurde, und in gerechtem Haß den, nun ja, Lumpen über die Schwelle stieß, dann würde all ihre Vergangenheit aufwachen, alle Sünden, die unter dem Moder immer neuer Vergehungen verscharrt lagen und sie fühlte, daß sie sich mit ihrem ganzen vergangenen Dasein auseinander setzen mußte nach einem neuen Geiste, der in sie gekommen war.

Dazu hatte sie keine Kraft, darum fürchtete sie sich.

Nach und nach war der neue Geist in sie gekommen.

Jene Nacht, da sie die Inbrunst aus dem zitternden, blauen Lichte in sich getrunken, jene Nacht hatte sie Keime geboren. Langsam, unfühlbar war er herangewachsen. Manchmal schien er gestorben, oder ausgewandert zu sein. Dann sog sie mit wachen Augen wieder an den Feuerbrünsten der Wollust. Doch, oft mitten im Stammeln der Sünde, war er wieder da. Sie aber ward sehend. Ihr flutender Leib sank zurück. Das Lallen der Leidenschaft ging in einen wunden Aufschrei über, so daß der Mann erschreckt von ihrem Lager floh und sie allein ließ mit ihrem stoßenden Weinen.

Als ihr Ekel das Herz gesäubert hatte, siedelte sich der neue Geist dauernd darin an und nahm Wohnung daselbst. Wenn dann aus dem Glimmern der wilde Drang steigen wollte; erhob er sich und leise fuhr er mit reiner Schwinge durch sie hin. Und – – sie ließ das Lid über ihren lodernden Blick fallen und die Hand auf ihr schlagendes Herz, bis ihr Atem wieder regelmäßig ging im Zügel klarer Besinnung.

Nach jeder sieghaften Ueberwindung eines solchen Anfalles kam ein immer stärkeres Wohlgefühl über sie, eine stärkere Stille. Ein friedliches Licht wohnte in den Wunden ihrer Seele, daß sie selig lächeln mußte.

»Mutter, wenn de a su lachst, best de gar nie wie a Weib,« sagte dann ihre Tochter zu ihr.

»Wie dn do?« frug sie glücklich.

»Nu, nu, wie sol ich och sän, wie – a – Kend, das des erschte Bliml fendt ei seim Läben, a su beste.«

»Nu da, da,« und sie wandte sich rasch ab und arbeitete weiter mit bebenden Händen, weil sie denken mußte, etwas verloren zu haben, was unendlich schön und süß gewesen sein müsse.

Dann kam sie tagelang davon nicht los und es lag ein Rücksehnen in ihr, ein schweres, wehmutvolles Traumsinnen. Sie hatte etwas Herrliches eingebüßt, ehe sie es besessen. Was es war, konnte sie nicht finden. Nur eine starke, tiefe, dauernde Abneigung gegen Wenzel bildete sich auf geheimnisvolle Weise aus ihrem Grübeln.

Nicht nur aus ihrem Grübeln allein, auch aus der schroffen Weise, wie Marie dem Eindringling entgegentrat, aus ihren harten Worten, ihren verachtungsvollen Blicken. Ja und nach und nach, je öfter sie auf ihre Tochter schaute, besonders, wenn deren große Augen frei lachten in einem friedetiefen, glücklichen Schimmer, ward es wie ein Dämmern in ihr wach, daß jenes Verlorene solche Blicke besessen haben müsse.

Sie ward traurig darüber und mied jede Berührung mit Wenzel; denn sie erkannte, daß das Verhältnis zu ihm das letzte Glied einer Kette sei, mit welcher sie in der zurückliegenden Ferne ihres Lebens jenes Schöne erwürgt hatte.

So ward sie dem Sein wiedergeboren in Gram und Selbstpeinigung, unter Zittern und großem, verschwiegenem Sehnen, aus einem Leben, das von dumpfem Stroh aufgetaumelt, zwischen Gräbern und Winkeln hingeirrt und endlich mit den Ersparnissen des Lasters hierher geflüchtet war, um in Behaglichkeit den Bodenrest aus dem Kelche der Wollust zu genießen.

Das war also der neue Geist, eine Qual, eine schwere, schwarze Wolke um ihre Seele.

Aber draußen, weit, wo die lichtschwachen Umrisse der Inseln ihrer Jugend aufdämmerten, stand es und winkte, stumm, schön, unendlich süß – ein Engel, eine Sonne, ein Frühling, das wußte sie? – und sie breitete die Arme darnach aus über die Sumpfschatten ihres Lebens hinweg.

* * *

Wenzel wußte nicht, was in der Alten vorging. Er sah nur ihr verändertes Wesen.

Wie in der Flucht schob sie nun stets an ihm vorüber. Während der gemeinsamen Mahlzeiten saß sie stumm da, selten selbst mit ihrer Tochter ein Wort wechselnd.

Mit seinen Besuchen in ihrer Schlafkammer war es längst vorbei, und ihre Augen waren immer so still, kalt und sicher, ihr Mund so ernst und wortkarg, daß ihm stets die Lust zu zweideutigen Späßen verging, obgleich seine Schlauheit ihm schon hundertmal geraten hatte, »Oel of de Loampe zo gissa.«

Langsam, aber sicher ward er aus seiner herrischen Stellung in die eines Knechtes gedrängt. Seine Ausschweifungen, die Vernachlässigung der Arbeit, die Schießerei übersah man. Man wollte, das redete ihm sein scharfäugiges Mißtrauen ein, ihn in dem Gefühl der Sicherheit nicht stören, um desto ungehinderter und gründlicher alle Vorbereitungen zur endlichen Scheidung zu treffen. Er sah ja alles, genau zum Greifen: die früher ununterbrochenen Reibereien zwischen Mutter und Tochter hatten ganz aufgehört. Die wirtschaftlichen Maßnahmen wurden zwischen den beiden besprochen. Ihm übertrug man kurz und bestimmt die Ausführungen derselben.

Am 2. Januar, dem »Sterztage«, d.h. Umzugstage der Dienstboten, wurde er von Frau Stumpf ersucht, nach dem Frühstück etwas zu warten. Marie schickte sie hinaus.

Er wollte sich vertraulich auf die Bank neben sie setzen.

»Gieh und setz dich of de Bank nieber; ich muß glei wieder uffstiehn.«

»Wie de wellst!« fügte er sich mit kochendem Lachen.

»Ofs Friehjahre werds vier Jahre, daß de bein mr best,« fuhr sie fort, ohne auf dasselbe zu achten.

Sie sprach schwach, bebend, mit einer zitternden Entschlossenheit.

»Du hast bis etz nischt gekriejt, wie die Kleedung uns Essen. Ich mag das nemme. Denn du bist a . . . techticher, klujer un, un a guder Mensch. Du best mr enne Stetze gewäst . . .«

». . . gewäst . .« wiederholte er und pfiff leise über seine herabhängende Unterlippe.

»Gewäst,« nickte sie bestimmt. »Bettelleite lon sich was schenkn, ich nie. Wellste fr Luhn dableibn is gutt, wenn nie, thutt mrsch leed. Da mußt de halt zom 1. April ziehn.«

Das hatte er nicht erwartet. Er stützte den Kopf auf seine linke Hand, schob sich so ein Stück auf dem Tisch hin und schleifte sein tonloses »du, du doas« in hilflosem Grimm heraus.

Dann sprang er toll auf.

»Meicke!«

Der Hund stellte sich neben ihn.

So trat er vor sie hin, drohend und seine Unterlippe schlotterte.

»Sä mr ees, Kathrine . . .«

»Stumpf«, unterbrach sie ihn.

»Egal! – woas is doas?«

»A Hund,« lachte sie gezwungen.

»Nä, a Luder is! – Denn warum is ees?«

Sie zuckte angstvoll mit den Achseln und sah nach der Thür.

»Werd nischt, haha, doa bleist de.« Eilig riegelte er die Thür zu und kehrte zurück.

»Warum? – soll ich drsch sän? – Weil ich a trata koan, stoßa, of a spein, naus schmeißa, woas ich wil oan nischt derf a macha, nä. Des wejen is a Luder,« und er hat sich gebeugt vor ihr und schüttelt ganz nahe vor ihr sein bleiches Gesicht. Dann schleuderte er sich in die Höhe und lief bis mitten in die Stube, wo er mit einem Ruck stehen blieb, in eine Ecke lachte und nach einigem Sinnen wieder zurückkehrte.

»Wie sprecht dr Hund?«

Es war, als habe sich die Wut des Herrn auf Meicke übertragen. Er sprang auf, fegte mit seinen Hinterläufen scharrend auf den Dielen und gab jenen vibirierend scharfen Laut von sich, der dem Pfeifen einer Flintenkugel gleicht.

Wenzel nickte zufrieden.

»Oan woas is doas?« frug er kalt und tonlos.

Das Weib wagte nicht mehr, sich zu rühren.

»Gellock, do droa host de nie gedocht, nä, nä. Siehst de, ich war drsch sän: Hetz doos Luder oan a zerreßt dich!«

Sie hatte ihn nur allzu gut verstanden und saß wie betäubt da.

»Oan un komm noch a mol oan free mich: Wellste de Luhn? – Doas is, oals wenn ich sprech: Meicke, alla faß!!« –

Der Hund machte ernst, stieg auf den Hinterläufen in die Höh und wartete mit lodernden Augen auf einen zweiten Zuruf, um sich auf das zusammengesunkene Weib stürzen zu können.

Wenzel aber beruhigte ihn liebkosend und ging dann mit starken Schritten aus der Stube, ohne sich noch einmal umzublicken.

* * *

Umsonst!

So kam sie nie über die Trümmerfelder nach der winkenden Ferne.

Keinen Ausweg!

Wie unter der Dumpfheit eines Schlages ging sie hin.

Ihr Denken war ein Schrei.

Unruhig bewegte sie sich umher, voller Geschäftigkeit und doch griff sie nichts mehr recht an.

Vor jeder Arbeit hatte sie die Empfindung, daß sie vorher noch etwas thun müsse.

Verzagend rang sie nach dem Segnenden.

Allein sie fand es doch, nachdem sie wochenlang gewartet hatte.

Hinter der Scheuer war es, wo eine schmale Wiese lag.

Die Mittagssonne schien scharf und der Schnee glitzerte.

Vor ihr stand ein Kasten mit Asche. Sie hatte die Schaufel hineingestoßen und hielt inne, denn ihr fiel wieder ein, daß sie erst etwas thun müsse: und weil sie es wieder nicht herausbekommen konnte, sah sie leer und trübe in den Winter.

Drüber führte die Straße hin; einsam, winterlichöde.

Nur ein Knabe ging darauf.

Er hatte wohl in der Schule nachsitzen müssen und lief darum, daß man das Schulzeug in seinem Holztornister klappern hörte.

Die Wälder bewegten sich nicht. Es war lautlos still. Da hub eine ferne Glocke an zu läuten, rein, süß, lieblich, wie eine kindliche Bitte, eine weiche, schmeichelnde Mahnung. Und andere Glocken, ganz weite mit verschleiertem Laut; ganz nahe, mit schütterndem Schlag, wiederholten, was jene erste gesungen hatte.

Das Knäblein auf dem Wege, wie es die Lüfte mit den Erzzungen der Glocken sprechen hörte, stand still im Lauf, nahm die Mätze ab, versteckte seine Händchen darunter und betete.

Das Weib neben dem Kasten sank auch in die Knie; denn der Geist der Jugend hatte endlich den Weg zu ihr gefunden und ihre Seele gesegnet.

Worauf sie so lange gewartet hatte, das war endlich eingetroffen.

Sie konnte wieder beten.

Nachdem sie eine Weile so träumend hingeschaut, richtete sie sich straff auf und warf in kräftigen Schwüngen die Asche über den glitzernden Schnee, damit aus dem Eise die Blumen des Lenzes erwachsen möchten.

* * *

In glücklicher Stille ging ihr Tag vorüber. Sie war froh, als nach dem Abendbrot Marie gleich das Bett aufsuchte, weil sie sich nicht ganz wohl fühlte. Denn das Weib hatte nun eine Sehnsucht nach sich und wollte allein sein. Aber Wenzel zog sie in allerhand Gespräche, um sie noch länger aufzuhalten. Dabei sah er sie oft so starr an.

Eben wollte sie aufstehn, um an ihm vorbei in den Schlafraum zu huschen, als er sie am Handgelenk faßt und rauh zurückhielt.

»Wart a mol, ich muß dr woas sän.«

Dann sann er eine Weile gegen den Boden, schüttelte ein paar mal den gesenkten Kopf und murmelte etwas Unverständliches.

»Sags un gieh,« drängte das Weib.

»Doas noatz dich a nischt, ree – goar – nischt,« kam es endlich breit, langsam und grimmig-bitter über seine Lippen.

Dann wartete er eine Weile, ohne seine Augen zu erheben.

»Aber das Weib frug nicht und aus tiefem Sinnen heraus, mehr zu sich, sprach er hohl weiter.

»Doas beim Koasta – zoam Mettiche – doarch de Glocka . . . . denn ich trau dr nemme – Wo de giehst bin ich . . . . wo de stiehst, laur ich . . . kee Schrit ohne mich . . . . s Weib kniet, wenn se bat't, dr Moan bleit setza . . . . s is doasselbe, denn doas Inwendige hebt de Hände ei de Hieh . . . . . s is doasselbe oan noatzt nischt, goar nischt – nischt.!«

Sein peinigender Atem rauschte in eine lange Stille.

»Meicke, komm!«

Der tiefe Ernst der Stimme bedrückte den Hund so sehr, daß er auf dem Bauch herbeikroch.

»Kathrine fiehl do a Recka, de Bäne, de Riba.« Mit Widerstreben that es das Weib.

»Siehch, oalls zerschlän, kroamm, narbich . . . oh, wie hot dar ausgesahn!«

Und wilder werdend: »Oan mei Hände hoan a gepackt, gewergt, geboja zoam Brecha . . . . ich wollde a Ende macha met mem Elende, met a Menschern, m Schnoapse – – –

Gebat't hoa ich, gebat't hoa ich zoa jem druba, groade wie du – – –.« Dann wies er auf den Hund:

»A fluch ei de Nacht, a heilte oan verschwoand – – – wie leichte woar mr doa, wie leichte! –

Denn doas ist kee Hund, doas is a Teifel, oalls woas der Mensch verflucha muß, wenns m gutt giehn sol, is dar Hund, mei Unglecke . . . . hach! –

Oober siehste de, doas noatzt doch oalls nischt, doas Hände iberm Koppe zusammaschlon, nischt – goar – nischt! – da stieht a wieder oan sieht mich oa – oan oalls is aus mr wieder raus, woas de ei em labt, wie dr Vojel ei der Loft . . . oalls, oalls. –

Oan doas sät a Moan, a Bam . . . du oaber best wie a Schwippla . . . .

Gieh oan bat, s noatzt nischt, nischt, nischt . . .« und während er das Wort dreimal sprach, ließ er sie los und wankte, ohne den Kopf zu erheben, hinaus.

Dem Weib kam es vor als sei er zusammengeschrumpft.

* * *

Dieses Vorkommnis würgte ihre Hoffnung bis zur Besinnungslosigkeit.

Sie saß in der Kirche . . . . sie kniete vor dem Bildstock im Walde, vor dem Kreuz auf dem Felde – – – – sie sprach durch das Gitter des Beichtstuhles mit bleicher, zitternder Lippe: – –

Die Glocken klangen; der Wald rauschte feierlich; das Gewölk des Himmels neigte sich ihr gnädig; die freundliche Stimme des Paters verhieß ihr Vergebung . . . . . . . . . . und . . . es war doch umsonst.

Sie brachte es nicht vor den Ohren weg, aus der Seele heraus, jenes verzweiflungsvolle, hohle: nischt, nischt, nischt.

Umsonst: – – –

* * *

Indessen ward es draußen Frühjahr.

Das Weib sah es nicht eher bis die Staare auf den Bäumen sangen und ging durch den jungen Sonnenschein mit ihrem alten Kummer. –

Aber Marie jubelte in das Licht.

Denn in ihr war ein anderer Frühling aufgewacht.

Ihre sonst so leeren Augen leuchteten lebendig. Aber wenn sie in dem tiefen Dämmern des Abends vorsichtig wieder hereinschlich in die Stube aus den Schatten des Gartens, dann glommen sie Feuer und ihre Lippe war feucht und schwellend rot vom heimlichen Trank erster Liebe.

Doch die Mutter ward nichts gewahr.

Bloß einmal fiel ihr der Schimmer in den Augen ihrer Tochter auf. Sie blieb stehen und träumte in das reine Licht hinein und dachte in tiefer Wehmut an das Schöne, das sie verloren, ehe sie es besessen.

Denn ausgemergelt von der Lust des Fleisches, abgehetzt von einem gierenden Willen, hatte sie die Kraft zur reinlichen Scheidung verloren und wandelte an der Grenze des Guten, eine Somnambule der Reinheit.

Ein Paar Augen aber sahen hell, weil sie durch das Brennglas der Eifersucht alles betrachteten.

Nichts entging ihnen. Sie bemerkten sogar jeden Abend den Schatten eines Mannes fortwandeln aus dem Garten in das mondbeglänzte Feld hinaus und schlossen sich dann fest, weil das kochende Blut in sie schoß, daß sie schmerzten.

Nur ein Paar Augen sahen hell und Wenzel fluchte ihnen, weil es seine eigenen waren und verwünschte alles, was sie sahen.

Aber er konnte es doch nicht ändern. Und wenn er sie aus den Höhlen, unter der arbeitenden Stirn sich herausgerissen hätte, diese glühenden Kohlen, der Zauber wäre nicht zerstört worden, der allabendlich in süßer Heimlichkeit träumte, dort in dem durchsichtigen Schatten der Bäume.

Er ging leise umher, scheu. Seine Sohlen schlürften über den Boden. Er fürchtete, scharf aufzutreten. Der Haß hatte seine Brust mit entschlossenen Anschlägen gefüllt, von denen jeder einer Mine mit trockenem Zunder glich.

Nur ein Funke durfte dahineinfallen, in das vielfach unterwühlte Innere und der Zündstoff entlud sich in wilder That. Doch es war ihm bange vor dem Funken, denn er wußte, dann war es mit allem vorbei, mit allem, auch mit seinem Leben.

Darum ging er so leise, so vorsichtig, um sein wildes Ich nicht zu wecken zu jäh hinstoßendem Aufsprung.

Knirschend riß er Meicke zurück, der treu neben ihm lauerte, unruhig trat und vor Ungeduld winselte, wenn die beiden jungen Menschen im Rausch des Glücks sich leise rührten.

Jeden Abend stahl Wenzel dem davonschleichenden Mädchen sich nach und kauerte hinter dem Holzstoß der Scheuer sich nieder.

Jeden Abend schwor er sich, auf die beiden loszustürmen.

Aber immer lag die Eifersucht dann wie eine fiebernde Betäubung über ihm hin, daß seine Augen nur unter den eingepreßten Lippen unzusammenhängende Worte der Rachsucht murmelten.

An einem Sonntage im Mai entzündete ein Funke die lauernde Glut seines Innern.

Das Essen war eingenommen. Die gereinigten Geschirre standen wieder im Topfbrett. Wenzel war gleich nach eingenommener Mahlzeit auf den Boden gegangen um zu schlafen, wie er, mit einem scharfen Blick nach Marie hin, gesagt hatte. Mutter und Tochter saßen auf der Bank beisammen und thaten, was im Mai das einzige ist, sie schauten hinaus.

Die Fenster standen offen. Sonnenschein, Finkenjubel und Blütenduft quollen herein.

Frau Stumpf fuhr sich über die Stirn, um etwas wegzuwischen aus ihren Gedanken; aber sie blieb doch bleich und bekümmert. Das Mädchen aber atmete heiß dem Glück der Erde draußen entgegen.

»Gieh, Mädl, ich wil a wing ruhn; gieh du ei a Gartn und seng, ich härsch a su gerne, wenn a junges Mädle sengt.« Marie hüpfte hinaus und bald erklang ein einfaches Schullied in die verträumt rauschenden Blütendächer des Baumgartens. Aber nicht lange so riß ihr Lebensschwung die Schranken des Taktes nieder. Die Stimme des Mädchens schwelgte, die Worte des Liedes und sein artig wandelnder Rhythmus wurden zum Jubel, in den sich verlangende Jauchzer mischten. Der Gesang war zu einem Sehnsuchtsruf der Liebe geworden.

Die Mutter in der Stube stützte den Kopf in die Hände und hörte eine Weile zu. Als das Fluten und taktlose Schwelgen begann, ward sie verstimmt: »Was das sein sol? Da werd ja kee Mensch nie gescheit.« – Dann legte sie sich auf die harte Bank, die Hand unter dem Kopfe und ein summender Schlaf begann.

Plötzlich war es ihr, als erhalte sie einen Stoß gegen das Herz. In Angst stockt ihr Atem und mit einem Ruck sitzt sie aufrecht. Die Sonne war schon mehr gegen die Berge hingewandelt und sandte durch das Fenster rechts vom Tische goldene Streifen über die sandbestreute Diele. Eine Weile sah sie erstaunt und verwirrt dem bebendem Lichte zu. Dann ward es ihr eigen, daß sie über so ein Alltägliches verwirrt werde. Indessen, was war doch das gewesen, was sie mit einem Stoß aus dem Schlafe aufgetrieben hatte? Sie befand sich allein in der Stube, was war das . . . . da wird das schlaftrunkene Tappen ihrer Gedanken durch das wilde Gebell Meickes zerrissen. Mit einem Mal ist sie ganz klar, steht auf und geht zum Fenster. Der Hund jagt aus dem Garten herauf, als sei er von jemand vertrieben worden, bleibt stehen, sträubt die Haare seines Rückens, bellt noch einmal und springt dann in großen Sätzen durch die Hausthür, über die Bodenstiege hinauf, daß seine Krallen scharf aufschlagen.

Dort drunten sieht sie ihre Tochter dicht neben einem Burschen stehen. Das Mädchen hat einen Arm auf seine Achsel gelegt und beide schauen in der Richtung hin, welche der Hund genommen hat.

Ihre Gesichter glühen im keuschen Lichte des Maien, daß sie aussehen, wie zwei blühende Blumen. Nun ertönt doppelstimmig, übermütiges Lachen. Dann neigen sie sich gegeneinander und küssen sich, küssen sich, ohne Aufhören als seien sie ganz allein auf der Erde, als sähe niemand ihnen zu.

Ueber ihr wird klirrend das Dachfenster aufgestoßen. Allein sie hört es schon nicht mehr, denn in ihrem Herzen wird das Ferne ihrer Seele, das Goldene und Reine ihrer Sehnsucht gewaltig und wächst und dehnt sich aus über die vertrümmerte Vergangenheit, den Schatten, daß alles Frieden ist im Licht. Das Schöne, was sie verloren, ehe sie es besessen, sie sieht es: die reine Liebe, die Offenbarung, den Gott des Weibes, und faltet die Hände und segnet ihr Fleisch und ihre Seele, auferstanden zu einem neuen Dasein im Leben ihrer Tochter.

O, daß es verschont bliebe von jenem Anderen, jenem gleißenden Fluch, der in allen Lüften schwebt, auf allen Straßen geht, in allen Räumen lauert und die kindsäugige Seele in Fesseln schlägt! – –

Wenn es verschont bliebe davon, ihr Kind! mit allem wollte sie das erkaufen, dem theuersten, was sie nun hat, mit ihrem Leben.

Und wie sie so sinnt, knarrt die Bodentreppe vorsichtig unter schleichendem Schritt.

Wenzel!

Jetzt, gerade jetzt! und er, er? – Wo soll sie hin? und sie weiß in ihrer Verlegenheit nichts Besseres zu thun, als auf den Boden zu knieen. Ueber ihr aber ist das offene Fenster.

Die Schritte schlürfen an der Thür vorüber . . . hinaus . . . . an der Wand hin . . . nun, vor ihr . . . nein, jetzt etwas weiter rechts, halten sie an . . . sie hört alles ganz, ganz deutlich, ja selbst das Sandkorn unter seinen Sohlen knackt ihrem Lauschen so deutlich . . . . wie . . . ein Flintenhahn, den – – – man auf – – – zieht – – Geräuschlos, in einer steinernen Angst wächst sie auf. Da!! – – –

Wenn sie den Arm ausstreckt, kann sie den Flintenlauf packen, der zitternd heraufgehoben wird.

Nun steht er schußfertig, starr, wie angenagelt in der Luft.

Alles ist ihr klar.

Mit jähem griff reißt sie die Mündung des Gewehres herein, gegen ihre Brust.

Der Schuß kracht und lautlos zuckend sinkt sie zurück.

Schritte stürzen fort. Schritte fliegen herbei. Die Thür wird aufgerissen und jammernd wirft sich Marie auf die Daliegende.

»Oach, Mitterla liebstes Mitterla bleib mr – siehch – – siehch oach, – hätt' ich redn kenn – – – nu, etz is komma – oach . . .«

Das Weib öffnet die Augen, starr und fragend, in ängstlicher Muttersorge.

Marie versieht den Blick: »Fat is er, ei a Pusch, mit dr Flinte oan m Hunde, där Verfluchte!«

Draußen donnerte ein Schuß im Walde auf und das Echo kollert nach, wie Schollen, die in ein fertiges Grab fallen.

»Erlöst!« murmelt das Mädchen und ein Schauer schüttelt sie.

Die Mutter schlägt noch einmal die Augen auf und nickt mit dem Kopfe.

Siehch Mutter, oan doas is a, mei Liebster, mei Moan, dei Suhn, bis m gutt, Mutter! . . .«

Der Bursche, der starr dastand, ward rot von ihrem Bekenntnis. Die Tropfen liefen reichlicher über seine Wangen, die harten Hände griffen krampfhaft ineinander und er brachte nichts über seine Lippen, wie ein erstickendes: »Mutter!«

Da schaute sie so selig, so umfangend auf die Beiden und dann lächelt sie noch einmal jenes Lächeln, das sie so jung macht.

Derweil stirbt sie.

* * *

Meicke aber, der Teufel, lief von dem Grabe seines Herrn fort und nachdem er lang umhergeirrt war, heftete er sich einem andern an die Fersen. –


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