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Auf Fischfang

Eine Finkenwärder Geschichte

Unten am Stack standen mehrere Jungen mit einem Fernrohr und schauten immer aufmerksam die Elbe hinunter, ob nicht ein Ewer aufkommen wollte. Endlich rief Jürgen, der älteste: »Tweihunnersöben! Dat is Wend.« Und in Hast lief die kleine Liese, die harrend auf dem Deich gestanden hatte, um es der Frau Wend zu melden. Die übrigen Mädchen rannten mit Gekreisch hinunter zu den Jungen.

»Is noch keen weder up komen?« fragte Lisbeth. Sie möchte gar zu gern ihren Groschen haben, denn sie war die nächste.

»Jo, 'n Torfewer,« antwortete Jochen, ein Junge mit roten borstigen Haaren und einem Paar funkelnden Augen.

Lisbeth drehte sich nach ihm um und schwang ihre fleischige Hand, die weder Falten noch Blasen zeigte. »Du kriegst glieks een mit de verwinde Hand, dat du up'n Rücken to liggen kummst.« Sie lachte selbst dabei, denn sie wußte recht gut, daß sie ihre Worte nie wahr machen konnte.

»Nee,« sagte Hugo, der ruhigste und 82 ordentlichste unter den Jungen, der immer etwas befangen war, wenn er mit Lisbeth sprach. »Nee, nu ward woll keen mehr kamen, wi hebt all Stauwoter.«

Jürgen warf sich ins Gras und versuchte »in de pralle Sünn to kieken«. Doch da ihm Tränen aufstiegen, drehte er sich um und schwamm im Gras, mit den Stiefelspitzen in den Boden schlagend. »Weet ji wat Nees?« Neckend blinzelte er mit seinen kleinen Augen Regine an, die grade vor ihm im Gras saß.

»Regine, du gläuwst dat wall nich?«

»Jä, warüm schüll ick dat nich glöben, du hest dat jo noch nich vertelld.«

»Ick kann inglisch snacken,« platzte er heraus.

Da kicherten alle.

»Lacht ji man to. Schall ick juch mal wat up inglisch vertelln?«

»Jo, jo,« tönte es vergnügt von allen Seiten durcheinander.

»Na, denn paßt 'mol up.« Er griff nach seiner Mütze und sprang auf.

»Nu hört mal to: Neulich war ich in Hamburg un da kommt mir da nu son'n besoff'nen Engelsmann in die Quere, und fällt immer von ein' Seite auf die andre. Kiek mol, so hett he datt mokt.« Die Mütze im Nacken, die Hände in den Hosentaschen, torkelte Jürgen hin und her, immer ein Bein über 83 das andere setzend. Über seine Lippen kam es dabei undeutlich: » plagny man, plagny girls, plagny street...« »Na, un nu bi lütten, bi lütten kummt he so sehr an de Gas und fallt perdautsch in't Kellerlock. Wie dat neegen Unglück käm de Wirt rut un nehm uns'n Engelsmann bi denn Slafittchen, und schimpft mörderisch: › You old plagny boy, you‹ fall runner in my Kellerlock and breek kaput all mien Finsterschieben, betohl you me, or ick hau you blau Kittoog!‹«

Alle hielten sich die kleinen Bäuche vor Lachen. Regine wischte sich sogar ein paar Tränen von den Backen.

Hugo war nicht für solche Kindereien. Er hatte das Fernrohr schon wieder aufgenommen und sah abwärts.

»Wann is dien Vadder noh buten gohn?« fragte er sinnend Regine.

»Hm – iehrgestern.«

»Nee, denn kann he dat nich sien; ick kann de Nummer ok noch nich richtig seihn.«

Alle waren plötzlich ernst geworden und beobachteten gespannt Hugo, der das Rohr auf Jürgens Schulter gelegt hatte und aufmerksam durchschaute.

»Dat oll dwatsche Ding driwt ok so verdwaß – jo he mutt dat sien – he kummt in 'ne Slep . . .«

Traurig sahen sich alle einander an. Sie 84 wußten, was es bedeutet, wenn ein Fischer, statt nach acht Tagen, schon so bald zurückkam. Da war allemal etwas passiert.

Um die beiden Schwestern Liese und Regine scharte sich gleich alles. »Nehmt juch dat man nich glieks to Harten. Is noch gor nich geseggt, dat he 'n Unglück hatt het. Seggt man de Mutter noch nichs.« So trösteten und rieten sie durcheinander. Den beiden war das Weinen nahe; wortlos kletterten sie den Damm hinauf, umschlangen sich gegenseitig und dicht aneinander gedrängt, die Blicke schweigend zu Boden gewandt, schritten sie heim, auf dem Deich entlang. Die anderen hinter ihnen her, leise zusammen tuschelnd und immer wieder den Fischerewer beobachtend, der unterdes immer näher kam. –

Regine blieb auf der Diele des kleinen Hauses dicht am Deich. Liese trat leise zu ihrer Mutter ein und legte schweigend den Groschen auf die Nähmaschine.

»Na, wat hest du denn? Du mokst ja enn Gesicht, als wenn di de Düwel bi hellichten Dag begegnet wär!«

Liese antwortete nicht; sie atmete kurz. Viel fehlte nicht, da brach sie in Weinen aus. Ihre Mutter wurde aufmerksam.

»Segg dat rut: Keen het di denn Groschen geben?« 85

»Suse Wendsch.«

»Is dat ok wohr?«

Liese begann bitterlich zu weinen. Da ward die Mutter weich.

»Nu, Deern, so segg doch, wat di fehlen deiht?«

»Vadder kummt op,« brachte Liese unter Schluchzen heraus.

Das war für die Frau ein Schlag ins Gesicht. »Wannier? Dat ebbt doch all lang.«

»'n Sleper bringt em rinner.«

»Wat seggst du?« Die Mutter warf das Kleid auf den Boden, an dem sie gearbeitet hatte, und lief vor die Tür. Da standen all die Kinder zusammen. »Ah,« meinte Hugo, »veel kann em nich passiert sien, denn he geiht ja nah Alt'na rop, dor möt he doch Fisch hebben.« Doch das brachte die Frau nicht zur Ruhe. Sie sah mit bloßem Auge, daß es der Ewer ihres Mannes war, der von einem Dampfer im Schlepptau grade am Finkenwärder Loch vorüberfuhr. Da schrak sie heftig zusammen; am Bord fehlten die Netze, Luken und der Besahnmast war durchgebrochen.

Regine hatte das schon früher bemerkt. Sie ging zur Mutter, legte ihre beiden Arme um den Leib und drückte den Kopf gegen ihre Brust. »Mutter, Mutter, lewe Mutter!«

»Ach, du lewe Tied! wat giwt nu?« seufzte die Frau auf. Da machte sie Regine los. »Du 86 bliwst mit de Lütt hier; ick will na Hamburg fohr'n, ick holl't nich mehr ut.« Schnell lief sie ins Haus, um sich Mantel und Tuch umzuschlagen; gleich war sie wieder da und kam noch eben mit dem am Stack liegenden Raddampfer »Courier«.

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Die Sonne war im Verschwinden; rotglühend, goldig spielten ihre letzten Strahlen auf den tanzenden, schäumenden Wellen der Elbe. Der schwere Ponton der St. Pauli-Landungsbrücke bewegte sich auf und ab. Die lauten, ohrenbetäubenden Hammerschläge drüben auf der Werft von Blohm & Voß waren schon verstummt. Nur vereinzelt tutete ein kleiner Schleppdampfer, der die aufspritzenden, rauschenden Fluten mit seltener Geschwindigkeit durcheilte.

Näher kam der Dampfer »Stade«, von einer Lusttour nach Harburg zurückkehrend, lauter, deutlicher klang das Lied übers Wasser herüber: »So scheiden wir mit Sang und Klang . . .« Dann zogen die fröhlichen Ausflügler ihre Taschentücher hervor und winkten ihren auf der Brücke stehenden Angehörigen zu. »Hurra! Hurra!« scholl es von beiden Seiten.

Zur gleichen Zeit bewegte sich von der Straße 87 ein trauriger Zug: vier Männer trugen einen schlichten, schwarzen Sarg. Sie kamen mit langsamen, gleichmäßigen Schritten über die Brücke. Doch auf dem Ponton brachte sie das ruhelose Schaukeln aus dem Takt; unwillkürlich griffen sie auch mit der zweiten Hand zu. Der kleine Raddampfer»Courier« verschwand fast neben dem hohen Ponton. Fast senkrecht mußten die Männer den Sarg hinunter gleiten lassen. Wie er krachend auf Deck aufstieß, brach die weinende Frau, die immer hinter dem Sarge hergegangen war, mit lautem Aufschrei zusammen und stützend geleitete man sie hinunter. Neben dem Sarge brach sie abermals in die Kniee. Laut weinend und schluchzend ließ sie dumpf ihr Haupt darauf fallen, und war bestrebt, sich mit beiden Händen die Ohren zu verstopfen . . .

Der Harburger Dampfer hatte unterdes angelegt und nun zum Schluß spielte die Kapelle auf der Kommandobrücke: »Deutschland, Deutschland über alles«. Mehr denn fünfhundert Kehlen stimmten ein.

Unter diesen Klängen setzte sich der kleine Dampfer mit der Leiche des Fischers Mewes fauchend und pustend in Bewegung. 88

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Dort hinter dem großen, grauen Eisschuppen, auf der Dradenau befand sich ein Werftplatz. Fischerewer und Kutter lagen auf den Helgen.

Dicht am Ufer lag der alte Fischerewer. Tief hatte sich der Kiel in den Schlamm eingewühlt, aber auf der schrägen Fläche war er schließlich doch umgesunken und lag nun, nach der Mitte des Grabens zu, auf der Seite. Er war gänzlich abgetakelt, keine Luken, keine Taue, überhaupt nichts Loses befand sich an Bord. Das Deck war dicht mit Schilf belegt, damit es in der Sonne nicht gänzlich austrockne.

Da bemerkte ich auch den Knecht über den Deich kommen. Einen derben Krückstock in der Rechten, humpelte er heran.

»Guten Tag, Hinnick!« rief ich ihm zu.

»Goden Dag ok! Ick mutt mi dat oll Undeert doch noch 'nmal ankieken.«

»Nun? Geht's etwas besser?«

»Na, dat muß ja nu man gehn. Ich bün gestern erst vom Seemannskrankenhaus gekommen. – Ah, dat wär ok een harde Tour!«

»Ja, der Seefischer hat einen schweren Beruf. Doch dies ist einer der schlimmsten Fälle, oft kommt das nicht vor.«

»Von de slimmsten, junger Mann? Von Schippbrüch, wo wie öberhaupt Nahricht von hebbt, 89 dat sünd nie de slimmsten, von so'n giwt keen Gott uns Nahricht.«

Er kam ebenfalls an Bord und besah sinnend den Ewer. »Nee, nee, du olle Kasten hest doran keen Schuld, beder har't ok keen Kutter utholn . . .«

Er setzte sich nach einer Weile platt auf Deck und stemmte die Füße gegen den Rand.

»Wie kam es denn, daß man den Fischer mit seinem besten Anzug in der Koje tot auffand?«

»Ja, ja! Keen har dat dacht, as wie so vergnögt nerden dol seilten? Wir hatten grad 'n feinen Westenwind, der olle Kasten war ornlich weder jung un hewt sick aus'n Wasser, ganz stolz, wenn 'nmal sonn' Welle ankam. De Fischer – weer ok noch nich öller as ick – der lacht nu vergnögt, un meint so: ›Mit sonn' Fohrt kun'n wi ok mal 'n ersten Pries gewin'n‹. – Den ersten Tag war's auf See auch noch schön, guten West, grad' so, daß wir immer in schlanke Fahrt fischen konnten. Aber 'n nächsten Tag, mit de Sonn' kam ein richtiger Sturm auf. – Na, de wär nich slecht! – Die Wellen gingen hoch und uns' alter Ewer immer wie 'n Proppen obenauf. Nee, nee, he let sick nich ünner kriegen! – Er danzt jümmer; aber der Storm macht' auch in der Takelag' ein' feine Pfeifmusik, daß da Ein' wohl nach danzen konnt. – Mänichmal weert, als quiekten junge Ratten, und denn, als ob de Orgel in'e Kark speelen däh. Und 90 wenn er nu so von ein' Well auf die and're fiel, denn knackt der alte Kasten, als hätt' er sich 'n paar Rippen gebrochen. Abers, he höll sick doch fuchtig!«

Eine ganze Weile schaute er nachdenklich auf den Ewer und seine Hand spielte im Schilf. Mehrere Male schüttelte er leicht mit dem Kopf.

». . . Wir hatten unse Seils gerefft un mußten unser Netz einholen, wenn's uns nich verloren gehn sollt'. Das is denn bei son'n Storm jümmers 'ne gräßlich Sook. Ich stand da hinten am Steuer un hatt' meine liebe Not, das Ding in 'n Richt to hollen, denn die Well'n werfen das man so, immer von ein' Seite auf die and're. Das Netz hoch winden, da mußt' ich aber nu doch mit helfen. Ich setz' den Swengel fest un geh mit an die Winde. Lütt-Hinnick, uns' Koch, uns' Jung – Se kenn' em jawoll? – na, de trög dat Tau dörch, ick op de een, un Fischer Mews op de anner Sied vun de Winn'. Wir mußten nu unse ganze Kraft brauchen, und alle Augenblick uns mal verpusten.«

Er schwieg wieder eine Weile.

»Denn käm't. Keen har dat dacht! Wir hatten nämlich das Netz schon 'n gut Stück heraus, un es ging schon 'n bischen gauer. Nu wer't keen schönen Drohm miehr; nee, de wer nich schön! Wir wollten recht noch 'n paarmal schnell 'rumdrehn un uns denn wieder mal verpusten. Aber bi dat so 91 Snellrümdreihn sleiht de Stopper t'rüch, wi kunn't nich holl'n, dat Nett seilt dahl, Lütt-Hinnick un ick kugelten uns up Deck, aber der Fischer kreeg noch een'n Slag in'n Nacken vun den t'rüchsusenden Dreiher, dat he man glieks so bieliggen bleew – Na, wi hülpen em op un as he sick so an'n Grotmast höl, dunn summelt he so: ›Ick hew g'nog‹.

›O wat!‹ segg ick: ›goh he man dol und wasch sick denn Kopp 'n bitten mit Spriet.‹

›Helpt all nichs mehr,‹ grummelt he noch för sick henn, gung aber doch in sien Koje. – Eben stand ich nu wieder am Steuer, da kommt Lütt-Hinnick un seggt, daß das Netz verlor'n ist un die vör'ste Luk' öber Bord gohn wör. ›Na,‹ segg ick to em, ›denn lot uns man de Lappens bargen.‹ Ick sett dat Stüer fast, un wi fierten dat Grotseil dohl. Dat is nu nich so leicht beim Storm, dat kost't ein orrendlich Stück Arbeit, die Tau'n waren so steif un klammig, die Sleifen so fest zugezogen . . . genog: wi harn uns' leew Not, dat Seil an Bord to holen, jümmer trög uns de Storm dat weder ut de Han'n. Sließlich gung't doch, un so got, as dat nu gohn wull, wür't 'n bitten tosom bünzelt. Knapp daß wir damit fertig sünd, da kommt auch der Fischer wieder aus seiner Koje. Dunn wuß' ick all glieks, wat los wär. Er hatt' sich gewaschen un sein Sonntagszeug angezogen. Lütt-Hinnick verfiehrt sick nich slecht, he kreeg 'n blassen Schreck, 92 wür meist so utseihn as de Fischer. De holl sick man jümmers an de Tau'n fast, alleen stohn kunn he all nich mehr.

›Adschüs Hinnick,‹ sagt er noch so zu mir un drückt mir die Hand. ›Wenn du an Land kummst, denn greut man mien Fro un mien Kinner, ick war se woll nich weder to seihn kriegen.‹« –

Der Knecht legte sich über Bord und sah auf den grauen, geborstenen Schlick. Es hatte zu fluten begonnen. Mit leisem Geräusch, kleine, weiße Schaumbläschen aufwerfend, drang das Wasser in die Gräben.

»Ich hätt' ihm ja gern noch 'n Wort gesagt, aber dat bleew mi in de Kehl besteeken. – Ich drück nur seine Hand un kukt' in die See. Zu Lütt-Hinnick sagt' er da noch: ›Wenn du mal eens in de Kark geihst, denn be'e för mi mit‹. Denn ging er wieder runter in die Koje. Dor hett he denn Dod ruhig afteuwt – sien Loger wor nich een bitten verrammelt.«

Er wischte sich mit einem großen roten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Erst nach einer ganzen Weile begann er wieder.

». . . Je, dat is nu so, man weet nicht, is dat würklich wohr, oder hew ick dat bloß dröhmt? – oder mi inbild't? Der Fischer glaubt' ganz fest, er mußt' sterben, legt sich hin und stirbt, bloß weil er's sich eingebildet hat. Nu heißt's woll: Der ist 93 tot! Nu, das is: er snackt nich mehr mit uns. Nu dat deiht son'n Dodigen ok nich. – Tum Deubel aber, ut nichs wart nichs! Son'n Minsch is aber doch wat, wat wart denn ut em? – Wat is Dod? wat is Leben? Nichs is't! een wie't annere! Wi dröhmt alles blot. Son'n Minsch dröhmt sien Leben, wokt op, un wie seggt, he is dod. Wer de Drohm slecht, is dat Opwaken got, wier he got, is dat Opwaken grusig. – – Na, um dorop t'rüch to komen. – Als nu der Fischer weg war, schickt' ich Lütt-Hinnick nach vorn, um die Fock runter zu fier'n. Eben is der gegang'n, da seh' ich nu da hinter mir auch schon son'n Undeert ankamen, solche Sturzsee mein' ich. Willst Lütt-Hinnick doch Bescheid sagen, denk' ich, und setz' das Steuer fest. Da kömmt das Ding aber schon an. Ich ruf' nu so laut, as ich kann: ›Hinnick, kiek ut!‹ Dor seilt's ok all öber Bord. Noch eben konnt' ich die Nullschien fassen, sünst har's mi mitnahm'n. Vons Schaukeln reißt sich nu auch noch der Steuerswengel los, un grad, als ich zugreifen will, da neiht he mi gegen dat Been, dat mi Hür'n und Seih'n vergung. – Perdansch föhl ick henn, opstohn kunn ick nich mehr, – – Ich dreh mich nu, daß ich mit 'n Rücken platt aufs Deck zu liegen komm' und halt' den Steuerswengel mit beide Hände umfaßt. ›Hinnick! Hinnick!‹ ruf' ich nu so doll, als ich kann, aber der Storm is noch doller geworden, 94 der läßt mein Rufen gar nich aufkommen. Dat hult un brummt in't Takelwark, de Schoten wär'n losreeten un flögen hen und her, de natten Tau'n klatschen gegen de Masten un de Planken breuken und knackten, as wull de oll Kasten in 'ne Grund gohn.

Aber he höl de Ohrn doch stief. – Denn nahm ich nu noch einmal all mein bischen Kraft zusammen, un ruf wieder: ›Hinnick! Hinnick!‹ Aber nichs let sick hörn, nichs let sick seihn. Nu wußt' ick, woran ick wier – ick wär alleen. – So lag ich nu, das Gesicht nach oben, un sah de düstern Wolken so dicht öber die Masten hengehn, as wollten sie die Windfahn' von de Spitz holen, die sick in einemfurt hin und her dreiht; und darbei piept s', als ob sie schreien tat as son'n lütt Kind. Dunn dacht' ick an Lütt-Hinnick, de sick viellicht in grod deselbe Minut mit dat Soltwater aftofen deh . . . Na, helpen kunn ick em ja nich. – Denken mag ick all nich daran. Das is nich wahr! segg ick mi ümmer: mi hett dat blot dröhmt. Ich weiß ja auch nich, ob ich nur würklich hier sitz oder dod bin un nu weiter träum'. Wer weiß denn, was der Fischer jetzt träumt? Zwischen uns sehn wir ihn nich, un doch snacken wir viellicht all mit ihm in seinem Traum. Wi dröhmt, he is dod, worüm kann he nich dröhmen, dat he lewt? Es is nich wahr, dat ich auf See drewen hew, auf dies'n alten Kasten, mit'n 95 tweies Bein, de Fischer dod in de Koj' und kein' lebendige Seel' an Bord as ick. So mutterseelenallein lag ich auf Deck von dies'n Ewer, der all seine Netten, seine Hütt' un die Luken verlor'n hat, un mit'n gebroch'n Besahnmast noch ümmer hin un her gekeilt wird, da is dat doch ganz gewiß, daß in de nächste Minut der Dod kamen mußt'. Un er is gekommen! Ja, ja, he is komen! segg ick. Bie 'n Harten föt he mi toerst an, das war ganz kalt in mien Bost, un denn fühl' ich's ganz dütlich, wie's ümmer höger kam. Ganz sacht slickt sick dat bie mi in. Dann war ich nich mehr auf See, mir wurd' so licht, so woll. Das war nich mehr das harte Deck, worop ick lag, das war so week und schaukelt so schön, immer höger drägt et mi, bis ich mit'n Kopf in'ne Wolken verswin'n däh . . . un dat summt alls um mi rum . . . Dat mutt de Dod west sien!« –

Er saß still und blickte stumm vor sich hin. Seine durchfurchten Mienen schienen zu verraten, daß sich der tiefe Seelenkampf noch einmal in seinem Innern abspielte. Mir war's, als müßt' ich ihm Worte des Mitleids, des Trostes sagen, und doch schien mir alles so gewöhnlich, trivial, inhaltlos, was ich ihm sagen konnte. Bitterer Lebensernst sprach aus seinem trotzigen, wetterharten Gesicht, und der Mann wollte träumen. Endlich fiel mir Descartes ein. 96

»Hinnick, Sie denken doch jetzt darüber nach, ob Sie geträumt haben oder ob es Wahrheit ist. Sie denken! Also müssen Sie doch existieren. Daß Sie wirklich sind, daran werden Sie doch nicht zweifeln.«

»Hm – denken – hm, denk ick denn mit de Hann? mit de Feut? oder ok nur mit'n Kopp? Mit dat bitten Gripps, dat wi im Kopp hebt? – Ja, etwas muß woll da sein, sunst kunn'n wi ja auch nich träumen. – Nee, nu soll ich hier so ruhig sitten auf demselben Ewer, mit dem ich in die Wolken rinner fahren bin? wo mir schon so licht war und woll un ich kein Glied mehr fühlte? Un nu soll dat een wohr sien und dat anner ok? –Nee, een is ganz gewiß nich wohr! – viellicht is beides nich wohr. – As ick denn Dokt'r fragen deh, wi ick denn herkam wär', dunn meent he, 'n Kohlendamper har denn Ewer driewend up See fun'n, un em rinner slept. Dat hett ja wieder nichs Wunnerliches an sick; aber wat sünd öberhaupt anner Lüd? Doch blot mien Drohmgestalten, un wat se spreekt, kummt all ut mi selbst. – Alls wat achter uns ligt, is Drohm, wat vör uns ligt, is Dod, un wat wi sünd, is – nichs!«

Still träumte er vor sich hin. Ich wagte ihn nicht zu stören. Der war nicht mehr zu überzeugen, er hatte sich zu tief in Zweifel hineingewühlt. Für ihn hat René Descartes seine mühsam 97 aufgebauten Grundlagen der Philosophie umsonst geschrieben.

Eine ganze Weile saßen wir stumm nebeneinander. Dann hörte ich ein leises Rauschen im dichten Laubwerk der drei mächtigen, weit über den Strom hinaus hängenden Weiden. Jetzt knirschte ein Boot auf dem Grund, es polterten Riemen.

»Hallo, Lina, nu sitt wi op 'n Grund. Wi bliewt hier sitten, bit wi flott ward, dat Water löpt ja op.«

Ich bog mich etwas vor und durch eine kleine Lücke im Geäst erkannte ich Lina Brandt und Joch'n Meisterknecht in einem Fischerboot. Sie mußten uns nicht bemerkt haben. Joch'n legte sich über Bord, um zu sehen, ob das Wasser nach vornehin noch flacher werde.

»Dat könt wi ruhig afteuwen, dat wart nich lang dur'n.«

Nach meinem Gefühl hatte er aber unzweifelhaft das Boot mit Absicht in dies lauschige Versteck getrieben.

Als er über das erste Sitzbrett stieg, um sich neben Lina zu setzen, erhob diese die Hand gegen ihn: »Nee, bliew du man vörn, un ick bliew hier achter up 'e Plicht sitten. Sünst warst du mi to driest.«

»Ah wo, hew di man nich so, büst doch keen 98 Zierpopp.« Er setzte sich dicht neben sie und legte seinen Arm um ihren Leib.

»Nee, nee,« sprang Lina auf, »denn aber nich anfaten. Du büst ok so unnasch hüt.«

Er stand gleich neben ihr und ließ nicht ab. »Wat denn, unnasch! Kumm, Lin, kumm, sie nich gnadderig.«

Beide Arme legte er um sie und preßte sie fest an sich, und heiß drückte er seine Lippen gegen ihr Gesicht.

. . . Ob die nun wohl an ihrem körperlichen Sein zweifelten? Gewiß nicht! Sie würden lachen, wenn man ihnen sagte, daß sie träumen.

Sollte nicht etwa des Fischers Frau, für die er zu sorgen, sie zu trösten sich vorgenommen, den Knecht einmal an die Wahrhaftigkeit seiner Existenz glauben machen? – – –

. . . Heute weiß ich's: sie hat ihn überzeugt!

 

 

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