Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aphrodite

Aufwachend blinzelt eines Morgens Aphrodite:
«Charis, das war ein schöner Traum! Mir träumt, ich glitte
Halb schwebend und halb schwimmend durch den rosigen Raum,
So sanft wie auf der Schaukel und so leicht wie Flaum.
Sphärengesang umwogte mich und Sternenball,
Um mich zu fangen, zappelten die Götter all.
Plötzlich erschien – wer meinst du, Charis? Rate: wer?»
«Apoll?» «Nein, höher!» «Also Zeus?» «Nein, auch nicht der:
Ananke selbst. Auf einer Kugel ganz von Gold
Kam rittlings er den Sternenweg herabgerollt.
Am Rücken hatt er eine Hotte angeschnallt,
Und statt des Steuers lenkt er mit dem Absatz halt.
Kaum mich erblickt, verneigt er sich und grüsste mich
Und hielt die Kugel an: ‹Steig ein!› Natürlich ich
Ihm in die Hotte, mit den Armen ihn umhalst,
Dann – ‹Platz da! Hupsassa!› – die Welt hinabgewalzt.
Je nach dem Zipfel, dass ich ihn am Barte zog,
Wars gegen Sonne oder Mond, wohin er bog.
Und weil ich ihm die Stirne streichelte manchmal,
Gelang mir, dass ich ihm die Herrscherbinde stahl.
Doch melde, Charis: ist der Morgen spät am Tag?
Und wie verhält sichs mit dem Wetter heute? Sag!»
Charis verkündete: «Noch glänzt im Gras der Tau,
Und wolkenlosen Frühling atmen Feld und Au.»
Ungläubig hörte, zweifelnd, Aphrodite dies.
Doch wie sie nun die Fensterläden dannen stiess,
Prallt ihr von Himmelblau und Blust und Lerchensang
Ein Schwall ins Antlitz, dass es ihr den Odem zwang.
Aufschnellte sie: «Charis, geschwind die Morgenspeise,
Die Schuhe und den Wanderrock!» «Wohin die Reise?»
«Weiss nicht. Hinab ins Tal, nach Erden, in die Ferne,
Wohin der Mut mir zündet und die Augensterne.»
Flink schafften Charis' Hände das Geheischte dar.
Und kaum dass Aphrodite reisefertig war,
Entschlüpfte sie dem Haus. Dann schräg ins Feld behende
Enteilend durch das lerchenjubelnde Gelände,
Gelangt in Bälde sie zum heissen Erdbeersitz
Am äussersten Olymp, am letzten Waldesspitz.

Drei Wege stürzten zwischen harzigen Tannengrotzen
Erdwärts ins Tal hinab auf schwindelhaften Stotzen.
Zwei lagen türweit offen, einer war versperrt
Von einem Holzverschlag, mit Strauchwerk durchgezerrt.
Ein Strohwisch hing dabei, gepfropft auf eine Stange,
Und eine Tafel machte der Versuchung bange
Mit barscher Warnung, die darauf geschrieben stand:
«Achtung! Verbotner Durchgang! Weg ins Menschenland!»
Scheu sah sie um sich, lauschte mit gespanntem Ohr.
Nichts regte sich. Da schlich sie zu dem Strohwisch vor
Und hielt nachdenklich vor der Warnungstafel still.
«Bewahr! Nicht dass ich nach dem Menschenlande will!
Nur frag ich mich, was ein Verbot für Bürgschaft beut,
Ist keine Busse für Umgehung angedräut.»
Dann prüfte sie das Sperrwerk, zog es wider sich
Und stiess es dannen. «Hudelarbeit! Liederlich!
Wer das gezimmert hat, verdiente das Verzeigen.
Da könnte jeder, der da mag, hinübersteigen.
Das glaubt ihr nicht? Ich wills euch gleich beweisen!» Jung!
Die Hände aufgestemmt, und drüben war ihr Schwung.
«Nur gut, dass nicht schon längst ein anderer statt mir
Auf diesen schlauen Einfall kam! Mich wunderts schier.
Ein Glück für euch! Denn einer einmal nur so weit,
So wär ins Menschenland ihm eine Kleinigkeit.
So zeigt mir eine Schranke, nennt ein Hindernis!
Lass sehn!» Und schwenkte in die Felsendüsternis.
Kein Laut, kein Leben um und um, kein Sonnenstrahl,
Nur eines Kuckucks Glockenruf vom tiefen Tal.
«Jetzt, ob man einige zwanzig Schritte oder nicht
Etwa den Weg hinabläuft, fällt nicht ins Gewicht.
Die Umkehr steht ja immer frei.» Gedacht, und sprang
Den schattenkühlen Pfad hinab am Bergeshang.
Hei Wollust! Wieviel köstlicher im Grunde doch
Verbotne Luft als Veilchen oder Rosen roch!
Genesend schlürfte sie mit gierigen Nasenzügen
Der Sünde heimlichsüsses, inniges Vergnügen.
Aus tiefstem Mund, die Hände pressend vor die Brust,
Die Lippen offen, sog sie Abenteuerlust.
Bis der erlabte Atem gab die Stimme frei
Und durch die stummen Hallen trotzt ihr mutiger Schrei.

O Schreck, davor ihr fast das Herzblut stille stand!
Bei einem kurzen Rank um eine steile Wand
Kam ihr von unten, kletternd auf den Ziegenstegen,
Auf seinem Einhorn reitend, plötzlich Pan entgegen.
Rückwärts zu flüchten wars zu spät, und seitwärts glückte
Kein Ausschlupf zwischen Fels und Abgrund. Also drückte
Sie sich an einen Stamm, bis er vorüberzog.
«Schön guten Morgen! Prächtiges Wetter heute!» flog
Ihr Anruf: «Doch Verzeihung, Meister, eine Frage:
Ist dies der richtige Fussweg nach der Erde? Sage!»
Mit klugen Augen schaute Pan ihr ins Gesicht
Und blinzelte ein wenig. Antwort gab er nicht.
Indes das Einhorn, während es vorübertrappte,
Nach hinten schielte und mit beiden Ohren knappte.
Sie aber, um den Schreck ein wenig auszugleichen,
Verhöhnte hinterm Rücken Pan mit spöttischen Zeichen,
Schlug seinen unbequemen Blick sich aus dem Sinn
Und sprang erleichterten Gemüts des Wegs dahin,
Tralli, tralla, gemäss dem Takt der Melodie.
«So mühelos, so herrlich federt ich noch nie!»
Drum also lustig vorwärts, Zeit ist ja genug!
Bis dass mit einmal unvermutet – o Betrug! –
Sie auf ein Bödelein geriet, wo in die keusche
Waldschweigsamkeit von draussen Stimmenlärmgeräusche
Von einem nahen Hause ihr zu Ohren drangen:
Anrufe, Reden, welche durcheinanderklangen.
Umsichtig teilte sie das Buschwerk, zu erfahren,
Welch eine Wohnung ihr gelänge zu gewahren.
Und siehe: hinter einer kleinen, frisch gemähten
Waldwiese war ein Park mit Spiel- und Turngeräten.
Jenseits des Parkes, überm Ulmenwipfelkranz,
Tändelt ein rotes Fähnlein in der Lüfte Tanz.
Ein Giebel sah hervor; am Dachfirst rechts daneben
Lud eine Inschrift ein: «Gasthof zum Menschenleben».
Neulüstern schob den Fuss sie hinterm Waldessaum
Geduckten Nackens, auf den Zehen, atmend kaum,
Dem Haus entlang: ob ihr vielleicht durch eine Lücke
Des Gartens Einsicht in den Gasthofhaushalt glücke.
Jetzt schob sich unterm Dachsims an der Mauerfläche
Ein Wandgemäld in Sicht. «Lass sehen, was es spreche!
Der Maler schildert, scheint mir, wenn ich richtig ahne,
Die Völkerstrasse, wo die lange Karawane
Der Pflanzen und die ungeborne Kreatur
Der Tier und Menschen aus dem Werkhof der Natur
Ungern und zaudernd nach dem Erdentale schreitet,
Von ungeduldigen Engeln links und rechts begleitet ...
Was schiert mich das? Komm, Aphro! Leise! Ziehn wir weiter!»
Ah jetzt! Jetzt kommt das Haus hervor im Tagesheiter.
Die Tür, der Saal, die Küche, ein Altan ist da!
Und dort, o Spass! lebendige Leute, die sie sah:
Kurgäste, welche mit behaglichen Gefühlen
Sich auf der Laube schaukelten in Wackelstühlen,
Bedient von einer abgefeimten Gaunerschar
Von Kellnerinnen, lieblich anzuschauen zwar,
Selbst jung von ferne; freilich stark geschminkt, ich glaube.
Die einen hatten Rosaschleifen in der Haube.
Die andern wasserblaue Bänder vorn am Mieder
Und alle Engelsfittiche von Gansgefieder.
Im Garten kroch ein Trüpplein Kranker auf und nieder,
Gestützt auf Alpenstöcke, welche statt dem Knopf
Am obern Ende wiesen einen Totenkopf!
Indes auf einem alten, gichtischen Klavier
Im Speisesaal, verstimmt und ohne Tasten schier,
Ein beinernes Geripp mit klappernden Akkorden
Sich steifte, falsch im Takt, den Totentanz zu morden.
«Halt! Seh ich recht!? – Nein, Ziegen sinds; der Anschein trog.
Das Einhorn Pans, fast meint ich, tränk am Brunnentrog.»
Gebannten Blicks, ergötzt, vergnügt, von Spott beglückt,
Verfolgte sie vom Walde, hinterm Busch gebückt,
Den spassigen Spuk, so sehr von Wundergier besessen,
Dass sie – «was tust du?» – Beifall klatschte im Vergessen.

Dann trieb sie weiter, talwärts, unterm Haus vorbei,
Durch neuen Wald, ins fremde Land, wohin es sei.
Jetzt ward es lichter, durch die Blätter mehr und mehr
Glitzerten Silberblitze, glänzt ein blaues Meer.
Mit einmal lag vor ihrem Blick die weite Welt:
Äcker und Wiesen, unabsehbar, Feld an Feld.
Und auf den Äckern – also endlich! – Menschen, echte,
Leibhaftige Menschen, ob von bäurischem Geschlechte.
Die einen werkten hinterm Pflug; ein Grüpplein schürfte
Die Krume mit der Egge. «Schade! Wenn man dürfte!
Nichts weiter als ein Grüsschen! Bloss ein Wörtlein sprechen,
Ein einziges bloss! Nur für die Sünde, fürs Erfrechen!
Was meinst du? Oder könnt ich denn, sag selbst, nicht wahr?
Nachdem ich diese weite Fahrt – obs richtig war,
Ob nicht, zählt gleich – nun einmal halb vollbracht, in Ehren
Knapp vor dem Ziel ohn ein Ergebnis wiederkehren?»
Und ehe noch den naseweisen Wunsch gebilligt
Die Überlegung und ihr Wille eingewilligt,
Trat sie mit flinken Schritten keck hinaus ins Freie.
Hoch aus dem grünen Anger, aus der langen Reihe
Der Ackerzeilen, deren flache Niederung
Mählich rainab sich senkte ohne Bodenschwung,
Ragt ihre Grösse, strahlt ihr Götterglanz hervor:
Ein sonniger Leuchter, ein lustwandelnd Meteor.

Sieh dort im Rasen, unter eines Kirschbaums Schatten,
Ein Knäblein, weichgebahrt in einem Bett von Matten.
Dem Mutterauge, das von fern den Liebling hütet,
Wird alle Sorg und Müh mit Strampeln reich vergütet.
Auf spitzen Zehen durch die Ackerbeete stieg
Jetzt Aphrodite, sah dem Knäblein zu und schwieg
Ihm, mit dem Finger drohend, einen langen Blick
Der Warnung: «Männlein, Männlein, lobe dein Geschick!
Nur bloss ein klein Jahrdutzend älter, Gnade dir!
Du gucktest nicht so ungestraft ins Antlitz mir!»
In solcherlei Gedanken sah sie auf und pflückte
Ein Hämpflein Kirschen, die sie ihm ins Fäustchen drückte.
Und weil das Kind, das nur an Milch und Zucker glaubte,
Noch nicht an Früchte, ratlos an den Beeren klaubte,
Entsteinte sie die reifste Kirsche, schob jetzund
Das Fleisch dem Büblein mit dem Finger in den Mund.
Drauf schloss sie ihm mit einem Kuss die Lippen zu
Und sang ein Liedlein: «Weh dir, feines Büblein du!
Der Aphrodite Küsse sind dem Herzen Gift,
Das freundlich schmeckt und langsam wirkt, doch sicher trifft.
Der Liebe bist du nun zeitlebens untertan,
Das Weib mit seinen Reizen ficht dich ewig an.
Von keiner Wollust, keinem Laster unversucht,
Erschwingst du Tugend nicht, dein Sinnen ist verrucht,
Noch Glück und Weisheit, ‹Eitel›, jammert deine Reue,
Und suchst im Jast der Leidenschaft die Ruh aufs neue.
Bis dass der Tiegel leer, das Lämplein ausgebrannt.
Dann lautet deine Grabschrift: ‹Mensch, vom Weib entmannt.›
Was greinst du so? Was bettelst du mit Aug und Armen?
Lass ab! Von Aphrodite hoffe kein Erbarmen!
Weg, Mitleid! Heissa! Herzzerbrechen muss es geben!
Und seis durch Schmach und Schande: Liebe nur heisst leben.»
Dies Liedlein sang sie. Dann, vom eignen Schuldgewissen
Vertrieben, wandte sie den Schritt, der Flucht beflissen.

Argwöhnisch aber hatte längst die treue Wacht
Der Mutter fern im Feld gelauert, von Verdacht
Beschlichen ob dem rätselhaften Lippenspiel
Der Fremden und dem ständigen Weilen ohne Ziel.
Und wie sie jene jetzt geschwind vom Platze rennen
Und fliehen sah, verfolgt von ihres Kindes Flennen:
«Ech, du verwünschte Hexe!» flammt ihr Zornesfeuer,
«Du Unhold!» keifte sie, «du gleissend Ungeheuer
Von einer Riesin! Steh mir Rede, sprich, bekenn:
Was hattest du bei meinem Kind zu schaffen denn?
Was hat dein böser Blick für Zauber ihm gebraut?
Welch Unheil hast du ihm gelispelt und gekaut?»
Und weil ihr Zorn sie nicht erreichte – leider, ach! –
Warf sie nach ihr mit Steinen, schlecht gezielt und schwach.

Jetzt aber stürzte bäurisch Mannsvolk auf den Plan.
Des Kindes Vater, beilbewaffnet, weit voran.
Dem Mannsvolk hielt sie stand, die Hände auf dem Rücken,
Der Macht der Schönheit sicher und der Kraft der Tücken.
Und als der Vater nun, die Waffe wild geschwungen,
Mit schweren Stolpersätzen kam herangesprungen,
Unschlüssig, ob er drohen bloss, ob schlagen will,
Stellte mit dreien Blicken sie den Zornigen still.
Den ersten Blick nach seinen grossen, plumpen Füssen:
Da stemmt er rückwärts und besann sich auf das Grüssen.
Dann in sein wüst Gesicht hob sie den Scharfblick wieder:
Da schlug er peinlich und beschämt die Augen nieder.
Der dritte staunt auf seine Faustgefährlichkeiten:
Da liess er hinterrücks das Beil zu Boden gleiten.
Jetzt, wie er reuig Busse stand, Bücklinge schlotternd,
Das Wort nicht wagend, halbverschluckte Laute stotternd,
Trat sie ihm nahe, mustert ihn und sprach ihm kalt
Das Urteil der Verachtung: «Mensch! warum so alt?»
Drauf kehrte sie die Schultern und entfernte sich.
«Was gabs?» «Was sagte sie?» «Was stehst so jämmerlich?»
Scholls hinter ihr. Spottnamen, grimmige Widerrede.
Dem Trotz kam Hohn. Gekeif vergiftete die Fehde.
Wortstreit hub an mit Wutgebrüll und Flücheschnaufen.
Zum Schluss ein stummes, hasserfülltes, tödlich Raufen.

Inzwischen flüchtete die Schönin querfeldein
Bis an die Ackerrampe überm Wiesenrain.
Dicht unter ihr, behaglich in ein Tal gebettet,
Lagert ein harmlos Städtlein hügelkranzumkettet.
Ein Fluss schlang seinen Silberarm im Kreise krumm
Unter zwei Brücken um das Städtchen halb herum,
Indes am Himmel hoch, als einzige Wolke
Im glastdurchgleissten Blau, von weissem Taubenvolke
Ein Schwarm vorüberflog, vom Saatfeld kehrend wieder,
Und auf die Dächer streuten sie ihr Schneegefieder.
Lüstern beschaute sie den heimatlichen Frieden.
«Wär nur dies eine noch, dies letzte mir beschieden:
Dass ich hinab in dieses kleine Städtchen dürfte,
Mit meinem Blick der Menschen Neuigkeiten schlürfte!
Wem brächt es Leid? Nur einen flüchtigen Zehengang,
Eilends, ohn Aufenthalt, der Häuserflucht entlang,
Über die Brücke unten flugs hinein durchs Tor
Und auf der Gegenbrücke wiederum hervor.
Ich wüsste wahrlich nicht, wieso das jemand kränkte!
Nennt einen Grund, weshalb ich mir den Schmaus nicht schenkte!»
Sie fragte sichs. Und weil vor ihrem Fuss gerade
Vom Hügel hüpften eines Obstgangs lustige Pfade,
So eilte sie ins Tal hinab, dem Städtchen zu,
Und auf die Brücke setzte sie den frevlen Schuh.
Dann unters Tor. Hier hielt sie an, rafft ihr Gewand
Schräg übers Knie zusammen mit gespreizter Hand,
Bog mit gespanntem Blick den Körper vor und lauschte.
Leer schien das Städtchen. Einzig eine Säge rauschte
Durch weiches Föhrenholz, Tonleitern abwärts singend,
Und Scheiter sanken auf das Pflaster, lieblich klingend.
Nun schöpfte sie das Herz voll Mut und Atem. «Auf!»
Und längs den Häusern wagte sie den Zehenlauf;
Leichtfüssig, beides: kühn und zaghaft, ortverwirrt,
Der Hindin gleich, die, aus dem heimischen Wald verirrt,
Sich plötzlich zwischen dunkeln Dächern sieht gefangen,
Und Angstgespenster scheuchen sie und Fluchtverlangen.
So huschte sie in hochbeschwingtem Schwebegang
Der Schattenseite nach, der Mauerzeil entlang,
Trotz banger Eile doch den Mutwill nicht verschmähend
Eifrig durch jede Tür, durch alle Fenster spähend
Und im Vorbeilauf schnuppernd in die Häusergänge,
Ob ihr ein Scherz vielleicht, ein Schabernack gelänge;
Befriedigt, wenn ob ihrer Augen Sonnenspiel
Dem Schmied die Faust, dem Schreiberlein der Stift entfiel.

Doch kann der Feuersäule Schein, wenn Abend nachtet,
Jemals verborgen bleiben oder unbeachtet?
Kann einer Löwin königliche Fremdgestalt
Die Stadt durchschreiten, ohne dass ein Warnruf schallt?
Wo sie vorbeigezogen, wurde hinter ihr
Die Strasse laut und von erregten Leuten wirr.
Erschrockne Stimmen, Fensterklirren, Türenknarren
Und hastigen Volkszusammenlaufes Füssescharren;
Indes vor ihren Schritten, überhangs vom Dach,
Spengler und Schieferdecker schrien das Aufsehn wach.
Von allen Seiten rufts und mahnts und rennt und springt.
Schon sah sie sich von staunendem Geleit umringt –
Da wirbelte vom Dach ein Menschenkörperfall,
Aufs harte Pflaster schlagend, dumpf in grausigem Prall.
Dort häufte sich die Hilfe. Eine Sammlung Jammer
Befreite die Bedrängte aus der lästigen Klammer.
Dem Jammer aber folgten Flüche, Zorngeschrei.
Da bog sie hurtig in ein Gässchen nebenbei,
Die Hühner vor sich scheuchend. Durch die Haustür schnellte
Ein Spitz hervor, der sie mit giftiger Wut verbellte.
Auf einen Stock gestützt, vor Alter krumm und krank,
Humpelt ein Weiblein mühevoll des Wegs im Wank.
Vor Aphroditen schaute sie erschrocken auf,
Wich aus und schlug von hinten mit dem Krückenknauf
Nach ihr; feindselig, doch ohnmächtig. Mittlerweile
War in die Hintergasse schon der Göttin Eile
Heimlich gelangt. Enttäuschung! Denn ein Kinderschwarm,
Nach allen Seiten stiebend, zeterte Alarm.
Zwei Rosse, die vor einem Wagen, plump und schwer,
Im Schlafschritt klapperten gedankenlos daher,
Bäumten, verblüfft von Aphroditens Götterbild,
Sich hoch, warfen das Rist herum und sprengten wild
In blindem Lauf, von toller Todesangst enttragen,
Davon, und rasselnd folgte der entsetzte Wagen.
Langstimmige, hochgetönte Weheklagerufe
Bezeichneten die Spur der schonungslosen Hufe.
Hier wieder von Verwünschungen begrüsst, entwich
Die Schönin – «Augen, sagt, wohin verberg ich mich?» –
Entschlossen in den nächsten Hausgang, und von dort
In einen Hof. Vom Hof zum Garten, und so fort
Die schnelle Winkelreise. Immer frisch sich wendend,
Bald hier, bald dort erschaut, doch stets die Blicke blendend.
Dem Sonnenblitze gleich, im Spiegelglas gefenstert,
Der jetzt im Keller spukt und jetzt am Dach gespenstert.
«Hier bin ich!» neckt sein Spott: du jagst umsonst den Raschen.
Ein jeder sieht ihn, aber keiner kann ihn haschen.
Frechheit! Aus einem Stall rennt ihr ein Bursch entgegen,
Vertierten Blicks, die rohe Faust zum Raub verwegen.
«Knie ab! Bet an! Die Hände hoch! Die Augen zu!»
Er tats unwillentlich. Sie, husch! vorbei im Nu.

Also von Gang zu Gang, durch Gässlein und durch Gassen
Kam sie in eine ernste Strasse weltverlassen.
Kein fragend Auge hier, und die Verfolger ferne.
Sie späht umher. Ihr schien, ein Spässlein tat sie gerne;
Kaum die Gefahr vorüber, kam der Mutwill neu.
Sieh da: auf ihrem Weg ein stattlich Ratsgebäu.
Im Rathaus träumt ein Hof, darin ein Brunnen loff,
Des Wasserguss in ein geräumig Becken troff.
Von nackten Marmornymphen ein bequemes Rudel
Lag auf dem Rand, Trinkschalen reichend nach dem Sprudel,
Indessen auf den leisen Plätscherwasserfall
Ringsum gewölbte Säulengänge überall
Und luftige Labyrinthe freier Treppenstiegen
In farbigem Halblicht feierlich herunterschwiegen.
Drei scharfe, schnelle Diebesblicke schickte scheu
Die Schönin in den Hof und aufwärts ins Gebäu.
Dann flink durchs Gittertor, in eine schattige Ecke
Der Flur. Dort, hinter einem Pfeiler im Verstecke,
Geschwind entkleidet und entschuht, auch ordentlich
Die Kleider und die Schuh geborgen, schwang sie sich
Auftänzelnd in die Nymphengruppe liegend ein,
Bewegungslos, als wäre sie von Marmelstein.
Gesellig gab der starren Jungfern Marmormund
Den Schwesternwillkomm ihr zum Ankunftsgrusse kund:
«Die du in unsre Reihe, Herrin, dich bequemst,
Mit deiner Hoheit unsre Niedlichkeit beschämst,
Wir können nicht, den Ehrfurchtszoll dir darzuzeigen,
Demütig dir zu Füssen auf die Erde steigen,
Denn unsre Glieder sind vom Bann des Steins gezähmt,
Und unsre Liebe, unsre Andacht ist gelähmt.»
Und murmelnden Gesanges aus den sieben Röhren
Liess seine Huldigung der Brunnenkönig hören:
«Die lange Ewigkeit, dass ich durch diese Räume
Von Quellensprudel und von Waldgeflüster träume,
War nie ein Tag wie dieser gnadenvolle Tag,
Da ich der Schönheitswunder schönstes schauen mag.
Und wäre nicht von Mauern mir erwürgt die Kehle,
Mit Eisenzwingen schnöd entmannt der Sturm der Seele,
Wie wollt ich gleich dem Feuerbrand im Windessausen
Dein Lied mit Donnerzungen durch die Lande brausen!
Es ist nicht meine Schuld: drum, Herrliche, vergib!
Mit diesem Zeichen zum Ersatze nimm vorlieb.»
Und sieben Räder siebenfarbiger Regenbogen
Warf er umher, die funkelnd sie im Kreis umflogen.
Und als nach einer Weile nun die Ratsgenossen
Sich plaudernd von den Treppen in den Hof ergossen,
Da hemmten sie verdutzt den Wandel: «Sieh doch! Sieh
Dort eine neue Nymphe! Ei, woher kommt die?»
«Wisst ihr», begann der Schultheiss, «wisst ihr, was ich denk?
Das ist von Gönnerhand ein ungenannt Geschenk.»
Worauf er weidlich den geheimen Schenker pries,
Den Wert der Gabe und des Werkes Witz bewies,
Und wie das Heiligste im Weltenwunderbau,
Auch in der Bildkunst wäre die Gestalt der Frau,
Wenn ohne fremde Zutat, ohne Schmuck und Schminke,
Sie aus des Schöpfers Hand in keuscher Nacktheit blinke.
Beifall belobt ihn: «Wer hier etwas andres täte
Als Andacht spüren und Erhebung zum Gebete,
Der gäb uns seines Herzens Lieblingsstandpunkt kund:
Das heisst im Stall, mit einem Schwein im Hintergrund.»
Inzwischen stieg von oben eine Minderschar,
Die schon von ferne nicht derselben Ansicht war.
Die Nase rümpfend, traten hämisch sie herum
Und steckten sich zum Kunstgericht zusammen: «Hum!
Der Ausdruck ist nicht allzuschlimm, zu leblos nur.»
«Der Arm sitzt falsch.» «Dies Bein läuft wider die Natur.»
«Mir ists zu regelmässig, zu geleckt, zu glatt»,
Brummt einer, der am Buckel einen Höcker hat.
Ein Schläuling aber, den der feine Philipp schupfte,
Netzte den Finger, kam mit seiner Hand und tupfte,
Ob nicht der Marmor etwa sei gemeiner Gips,
Der Göttin auf das Rückgrat einen Kennertips.
Bis dass das Lachen, das ihr durch die Nüstern schnob,
Sie länger nicht verhielt und jubelnd sich erhob.
Darob Entrüstung und Verwirrung. «Ui, Betrug!
Sie lebt!» «Pfui Scham!» «Ich finde Worte nicht genug!»
«Was tust du, Schandweib, hier? Wo kommst du hergetrottet?
In einem Aufzug, welcher Zucht und Anstand spottet?»
Und mächtig rief des Schulzen Tugendwehgeschrei
Nach Hemden und nach Hosen, Stock und Polizei.
Doch wie sie leichten Satzes nun zu Boden sprang
Und hoch, in ihrer ganzen Göttergrösse lang,
Geschritten kam in fürstlichem Titanengang,
Jeder Bewegungszug ein schweigender Gesang,
Als Bote vor ihr her ein Strahlenschimmertanz,
Als ob du schütteltest Kristall im Sonnenglanz,
Erkannten schauernd sie nach diesen Adelsproben
Das Götterblut: «'s ist eine vom Olymp dort oben!»
Und staunend beugten sie ein schuldbewusstes Knie.

Frei unbefangen trat sie herrisch unter sie:
«Ihr Menschenmännlein, lernt, ich bin des ungewohnt,
Dass man mir Aufruhr zinst und mir mit Gaffen lohnt,
Huida! Hinweg mit euren Augen! Dreht euch um!
Und während ich mich kleide, bleibt mir blind und stumm!
Gnade gewähr ich. Aber mein Gebot beherzt!
Blickt einer um sich, hat er meine Gunst verscherzt.»
Zaudernd gehorchten sie, der strengen Majestät
Sich fügend. Gerne hätten sie sich umgedreht.
Doch weil der Nachbar jedenfalls dem Nachbarhaupt
Den Blick nicht gönnte, der ihm selber nicht erlaubt,
Bewachten sie, aus eitel Neid und Missgunst schon,
Jeder die andern alle giftig als Spion.
Damit nur ja kein einzger einen Vorteil holen
Vor andern dürfte, brieten sämtliche auf Kohlen.
So hielten sie, ob zehenzappelnd, das Gebot.
Bösartig aber weidete an ihrer Not
Sich Aphrodite. Und um ihre Pein zu schüren,
Gefiel ihr, ungesehn ein Schauspiel aufzuführen:
Beschrieb mit ihren Beinen frevelhafte Zeichen
Und seufzt und stöhnt und hustete zum Steinerweichen.
Und also mehr des windigen Gaukelspiels die Menge,
Und zog die kurze Arbeit künstlich in die Länge.
Dann, als sie hinter ihrem Rücken endlich gar
Gekleidet und zur Weiterfahrt gerüstet war:
«Ist einer», rief sie, «wenn ihr die Bedingung wüsstet,
Des Mund, nimm an, vielleicht nach meinem Mund gelüstet?»
Und als nun – wie man etwa, die Geduld zu üben,
Gefleckten Schweinchen Semmelbrot und saftige Rüben
Über den Köpfen spiegelt, dass in allen Tönen
Ein grunzend Quieken sich erhebt und bettelnd Stöhnen –
Die gierigen Räte, Feuerpein in jeder Fiber,
Erbärmlich ächzten in verliebtem Bullenfieber:
«Wohlan? Erfahrt denn die Bedingung! Merket auf!
Zuoberst auf der Brunnensäule, hinterm Knauf,
Hab ich ein Hageröslein, das ich heut am Morgen
Im Berg gefunden und im Busen trug, verborgen.
Dem ersten, wer er wäre, dem der Schick gelingt,
Dass er selb Röslein ab dem Brunnenknopf mir bringt,
Gelob ich – weh mir, dass ichs ausgesagt! Verdruss! –
Gelob ich – Schmach mir Schamvergessnen! – einen Kuss!»
Ein Trüpplein Rattenfänger, die am kurzen Strick
Des Jägers straffer Arm auf einen Augenblick,
Die Füsse stemmend, knapp mit Not gezügelt hatte,
Stürzt losgelassen nicht so gierig auf die Ratte,
Wie jetzt der Ratsherrn aufgeregter Freierchor,
Zum Brunnen stürmend, jucks am Becken schnellt empor.
Schwer wars ja nicht, vom Brunnenfuss den niedern, weiten
Nymphengeschmückten Saum des Beckens zu erreiten.
Doch ob den vielen Leibern, die in steifer Zwänge
Den Vorrang sich missgönnten, drückend durchs Gedränge,
Geschah es, dass ein jeder noch so tapfrer Ritt,
Vielseitig umgestossen, platsch ins Wasser glitt.
Und dringlicher als Kuss und Röslein zu erkaufen
Erschien das Kunststück jetzt, nicht völlig zu ersaufen.
Plumps wälzten sich die Rücken im durchwühlten Fass,
Vom Gischt der Sturzflut wurden Hof und Treppen nass.
Falls aber jemals zäherm Mut und besserm Glück
Gediehen war, emporzuklimmen kaum ein Stück,
So zog der Neid ihn rücklings in den Schaum der Schwenke.
Das war kein Brunnen mehr, nenns lieber eine Tränke
Und Pferdeschwemme, eine tollgewordne Spritze.
Und immer wilder wütete des Kampfes Hitze.

Da horch! Von draussen auf der Strasse Hetzgelauf!
Gekreisch, Geheul von einem hässigen Weiberhauf:
«Wo ist die Hexe? Greift sie! Helft sie einzufangen!
Sucht! Sucht! Hier muss sie stecken. Hier kam sie gegangen.»
Entdeckt! Die Flucht versperrt! Da schwenkte sie seitaus,
Im Sprung die Treppen aufwärts ins verwaiste Haus.
Husch, durch die Winkelzüge langer, dunkler Gänge!
Zimmer- und Stubentüren links und rechts die Menge.
Jetzt breites Licht aus einem klaffenden Portal:
Dahinter dämmerte ein leerer Ratsherrnsaal.
Hinein, die Pforte zugeschlagen und verschlossen,
Dann schnell ans Fenster, einen hastigen Blick genossen.
Wohl mir: ein ödes Gässchen, nächstens eine Brücke,
Darüber Berg und Wald und Feld im Sonnenglücke!
Hinter dem Schultheissthron winkt eine Dienertür,
Die trepphinab ins Gässchen, hoff ich, leitet für.
Wart! halt! Dort auf dem Pulte, siehe, liegt ein Buch
Mit einem strengen, obrigkeitlichen Geruch.
Flink in den Thron gesessen, ihren Namenszug
Hineingeschrieben, aber dann – Gefahr! – im Flug
Durchs Hintertürchen eine finstre Treppenreihe
Hinabgeflitzt, und unten durch den Flur ins Freie.
Erst noch das Gässchen auf und ab geguckt – glückzu!
Gebückten Laufes auf die nahe Brücke zu.
Jenseits der Brücke stracks bergan in Korn und Keim,
Durch Sommervögeldörfer und durch Grillenheim.

Pfui Hemmschuh und Belästigung! Ein armer Tropf
Von Buben trottete, die Augen aus dem Kopf,
Ihr, wie ein Hund am Kleide klebend, lechzend nach.
Vergeblich Mahnung, Drohung, die sie ihm versprach.
Er hörte nichts, er spürte nichts: er sah, er sog,
Das Schönheitswunder schlürfend, das ihn nach sich zog.
Jetzt drehte sie sich um, die Augen falsch und böse,
Verrat erfindend, der sie räche und erlöse:
«Büblein, komm her! Willst etwas mir zuliebe tun?»
Heiss flammten seine Wangen, seine Schläfen. «Nun,
So lauf hinab zur Brücke, überschwimm den Fluss!»
Und kaum gesagt, flog er durchs Korn talab im Schuss.
Ein Schulterzuck, dann ohne umzuschauen, kalt,
Eilte sie weiter, auf den Hügel, in den Wald.

Hier ruhte sie, mit sich und ihrem Werk zufrieden.
Bestimmt: das Städtchen hatt ihr wohlgetan, entschieden!
Und bosheitsmunter, mit vergnügtem Siegesträllern
Hüpfte sie Tanzschritt in den grünen Waldeskellern.
Achtung! Was leuchtet dort im Holz? Ein Sonnenfleck?
Doch nein, es rührt sich und vertauscht den Ort. O Schreck!
Mich täuscht kein Augenspiel, mich äfft kein Bild des Wahns:
Dort äst, so wie es leibt und lebt, das Einhorn Pans.
In weitem Bogen um die Haselbüsche wich
Sie seitwärts, stets die Blicke furchtsam hinter sich,
Dem Waldesinnern zu, ins Schwarz der Tannennacht.
Da rührt an ihre Schulter von der Seite sacht
Ein feiner Finger. Wie vom Blitz getroffen zuckte
Ihr Nacken, dass den Kopf sie unwillkürlich duckte.
Und wie sie bebend nun, das Antlitz bleich und fahl,
Den angsterfüllten Frageblick nach oben stahl,
Da prallte sie zurück, entsetzt vom Gegenstoss:
Er selber, Pan, vor ihren Augen ernst und gross.
Die Strafe seiner Denkerstime drohte Fehde,
Und seine strenge Miene heischte: «Steh mir Rede!»
Schon aber war ihr Weibestrotz emporgeschäumt.
Und stolz sich streckend, straffen Leibes, hochgebäumt,
Mit ihrem Schönheitszauber kreuzend seinen Bann,
Warf sie verächtlich ihm das einzige Wort hin: «Mann!»
Drauf lachte sie an ihm vorbei in festem Tritt
Und zog von dannen in gelassnem Siegesschritt.
Kaum aber dass im Rank um eine steinige Wand
Ihr Nacken nicht mehr spürte seiner Blicke Brand,
So stürzte sie ins Dickicht. «Wohinaus entfliehn?»
Schau, über eine Niederung des Waldes schien
Breitrückig des Olympgebirges traulich Dach.
Nach dieser Richtung lenkte sie die Heimfahrt jach.

Schon lichtete zum Buschwald mählich sich der Tann,
Und fleissige Feldgeräusche grüssten dann und wann
Die eilends Strebende von immer nähern Äckern,
Und Peitschenklatschen, Rossewiehern, Ziegenmeckern.
Da horch: welch hastig Füssetrippeln hinter ihr!
Ein mannigfaltig waldeinheimisches Getier
Folgt ihrem Wandel. Vorn, mit prahlendem Geweih,
Auf hohem Gangwerk stelzend, mächtige Hirsche zwei.
Danach Rehböcke, Marder, Hasen, Dächse, Füchse,
Unzählige, als ob es aus dem Boden wüchse.
Und das gesamte Waldbein, friedlich, wie es scheint,
Zu einem einzigen langen Hochzeitszug vereint,
Gab liebedienend Aphrodite das Geleite,
Erst hinter ihr, dann mählich dreister, ihr zur Seite.
Des Stocks entratend, brach sie einen Zweig zur Gerte,
Womit sie je und je dem Überandrang wehrte.
«Obacht, ihr da, auf euer Maul und eure Pfote!»
Sie riefs. Die Gerte sauste und ihr Auge drohte.
Noch gar! O Spass! Jetzt wirds vom Felde her lebendig.
Gebrüll, Gegrunz, Gemuhe nähert sich beständig,
Es trampt im Busch, es knacken Zweig und Äste. Sieh,
Zum Waldgetier wahrhaftig noch das zahme Vieh!
Esel und Gäule, dort ein Schwein, zwei Widder hier,
Auch Hunde zwischenbei, im Hintergrund ein Stier.
Umstellt ersprang sie hurtig eines Felsblocks Stufen,
Der einsam aus dem Boden ragte wie gerufen.
Von dort hoch oben wie ein Standbild auf der Säule
Beherrschte ruhig sie das schmachtende
Aus welchem, je nach eines Rachens Liederkunst,
Ihr Werbung kam gemuht, gewinselt und gegrunzt.
Wenn manchmal sie zum Neck die Gerte pfeifend schwang,
Lief Fauchen und Geknurr die Freierschar entlang;
Doch wenn sie mit den Fingern schnippend zärtlich lockte,
So bäumte sich der ganze Hauf und hüpft und bockte.
Doch Schauder! pfui! Was kommt dort – halt die Nase zu! –
Vom Feld her blähend für ein geiler Odem? Puh!
Welch einem märchenhaften Höllenungeheuer
Sind solche Hauche eigen, solche Düfte teuer?
Und siehe da: im Zottenpelz, gehörnt, gebartet,
Kam wichtigen Schritts ein mächtiger Ziegenbock gestartet.
Erst schielt er etwas, dann bestampft er: «Das bin ich,
Das Horn der Welt, der Schöpfung Blumenkrone. Riech!»
«Schau her», jauchzt Aphroditens Hohn, «gestrenger Pan!
Komm her und sieh dir deinen Zwillingsbruder an!
Nenns Gott, nenns Mensch, nenns Tier: 's ist nur ein andrer Rock
Und neuer Name: innen geilt der gleiche Bock.»
So höhnte sie. Doch nun genug! Die Wollenrücken
Von zweien runden Widdern ungefragt als Brücken
Und Schaukelpferd im Tanz und Schwebeschritt benutzend,
Glitt listig sie vom Stein zur Erde. Kaum zwei Dutzend
Geschwinde Sprünge noch, so sah sie sich im Freien.
Und jetzt im Schnellauf flüchtlings durch die Ackerreihen,
Den Vorsprung nützend, dem Gebirg zu. Jenseits, hüpp!
Über den Hag und Graben glücklich ins Gestrüpp.
Auflachend lauschte sie, wie ferne hinter ihr,
Vom Taumel übermannt, das Vieh in wilder Gier
Auf ihrer Spur sich auf dem Bauch und Rücken wälzte
Und eins das andre neidisch überfiel und pelzte.

Sieh: überm Wald das Gasthoffähnlein! «Gruss dir! Ha!»
In Bälde war sie wiederum dem Bergstutz nah.
«Jetzt tapfer, Aphro! Sammle dich! Der Berg ist hoch.»
Doch während sie vor wenigen kurzen Stunden noch
Beim Morgentau des Pfades schattenkühle Rigen
In Sprung und Tanz hinabgelaufen, fast im Fliegen,
Gelang ihr jetzt am heissen Tag die Wiederkehr
Die steilen Schnecken aufwärts langsam nur und schwer.
Die Beine wollten nicht, der Atem auf die Dauer
Kam nicht mehr nach, und von der leidigen Daimonsmauer,
Die ewig unverringert ihr zu Häupten ragte,
Glitt ihre Hoffnung ab, und Mut und Kraft verzagte.
«Und nirgends eine Bank, ein Sitz, um auszuruhn!
Wer hiess mich Törin diese Unheilstrasse schuhn!»
Die Lippen zuckten, Zähren zitterten bereits.
«Gegrüsst mir! endlich!» Hinterm Busch, abseits
Vom Weg entdeckte sie ein Älplein, felsumkettet,
Als Kanzel überm Abgrund in die Luft gebettet,
Ein Blumenfensterlein im Berg, ein Guckinsblau.
Nach diesem Älplein schwenkte die erfreute Frau.
Jetzt nur ein einziger Gedanke: abgesessen!
Und weiter nichts als ruhen, atmen und vergessen!
Nicht wissen, wie man heisst, nicht fühlen, dass man lebt,
Nicht spüren, dass ein Körper uns am Schleppseil klebt,
Nur at – nur atmen – «Ai, die Zehen! Tun die weh!
Das Daimonsmarterschuhzeug! Fort damit! ade!»
Ha, welche Labsal, dieser laue Lenzeshauch
Um Stirn und Wangen! «Soll der liebe Leib nicht auch
Ihn kosten dürfen? Sagt, laut welchen Rechtes Kraft
Schmachtet mein Bein in Banden, meine Hüft in Haft?
Wofür im Kerker, bitte, muss mein Busen büssen?»
Gesagt, und die Gewänder rauschten ihr zu Füssen,
Im Kreise sie umringend, ein Bewundrungskranz
Vor ihrer Schenkel Schimmer, ihrer Schultern Glanz.
«Wohl mir, jetzt bin ich!» Liess erlöst die Hüllen liegen,
Erhob das Knie, ein kühner Schritt, und überstiegen.

Also freiledig tat sie einen Müssiggang
Rund um das Älplein und dem Aussenbord entlang
Und schaute nach der Tiefe auf den Wälderfall
Den Berg hinab und unten auf die Täler all.
Weit weit am Horizont, im nebelduftigen Grund,
Tat von der Menschenstadt ein hoher Turm sich kund.
Nun stand sie still, und nach dem Turme schaute sie,
Halb in Gedanken, halb im Bild der Phantasie,
Märlein ersinnend, handelnd in der Menschenstadt,
Bis dass zuletzt ihr Geist versagte, satt und matt.
«Wie, wenn wir uns aufs Lager streckten gegenwärtig?
Sieh dort im Gras mein Leibrock, just zum Polster fertig!»
Getan. Und müde, ohne Widerstreben viel,
Ergab sie sich dem Schlummer und dem Traum zum Spiel.
Doch närrisch schien und boshaft, was im Traum sie sah,
Denn manchmal lachte sie im Schlaf und jauchzt etwa.
Doch aus dem Felsentore trat der leise Pan
Auf seinem Einhorn zu der Schlummernden heran.
Als kaum sein Schatten Aphroditens Schläfe traf,
So ächzte sie und richtete sich auf im Schlaf;
Krampfhaft, mit aufgesperrten Augen, die nicht sahen,
Die Mienen angstentsetzt, als wollt ein Schrecknis nahen.
Die Hand erhob er, machte mit den zauberreichen
Gedankenfingern gegen sie geheime Zeichen,
Bis dass er ihren Geist in seine Macht gebannt.
Danach begann er strenge, Blick in Blick gespannt:
«Ich, Pan, der Oberherr der unbewussten Seele,
Ich will von dir, o Aphrodite, und befehle,
Dass du der Lüge samt der Ausflucht dich entschlagest,
Auf meine Frage mir die lautre Wahrheit sagest:
Sag an, du Spötterin, du Mannsverderberin,
Was birgst du hinter deinem windigen Flattersinn?
Ist deine Seele gänzlich kalt und liebeleer,
Ohn ein Bedürfnis, ohne zärtlichen Begehr?
Kennst du kein Fühlen, spürst kein Herz du in der Brust,
Dass Ränkespiel und Mutwill sättigt deine Lust?
Das frag ich dich. Und meinen Willen setz ich zu,
Dass du die Wahrheit mir bekennest, Unweib du»!

Ein Sehnsuchtseufzer, eine Tränenflut verschönte
Die Schläferin, die schluchzend ihm die Antwort stöhnte:
«Weh, dass dein schonungsloser, seelenkundiger Geist,
Was ich mir selbst verschwieg, der Zunge schnöd entreisst!
Wohlan, es sei! Auf deine meuchlerischen Fragen
Werd ich, weil mich dein Wille zwängt, die Wahrheit sagen:
Es ist kein Weib so spröd im weiten Weltenrund,
Das nicht nach Liebe lechzt im tiefsten Herzensgrund.
Ob ihre Hoffart über Mond und Sterne fliege,
Geschiehts, um den zu suchen, dem sie unterliege.
Drum, wenn ich Ärmste allezeit mit Narretei
Die Männer äffe, ach, wie kalt mich friert dabei!
Wie gerne würd ich all den stolzen Staat entfernen,
Kam einer, der mich lehrte Mägdedemut lernen!
Gleich einem Heiland und Erlöser grüsst ich ihn,
Und jauchzend würf ich ihm den Dank zu: knieen, knien!
Hass über dich, grausamer, unbarmherziger Pan!
Was hast du mir, der Niebezwungenen, getan!
Ich, die vor Hermes selber und Apollon nicht
Und nicht vor Zeus' gekröntem Herrscherangesicht
Die Argheit zähme und des Gleichmuts mich enthebe,
Vor deiner Stärke werd ich klein; mir bangt, ich bebe.
In dir begrüss ich unterwürfig meinen Meister.
Die Schönheitskönigin bekennt den Herrn der Geister.
Doch wenig frommt dir, was im Schlaf ich dir gestehe.
Weh dir, wenn ich erwache! Lass dich warnen! Wehe!
Sobald ich wieder spüre meiner Schönheit Wehr,
Weiss meine Herrschsucht, was ich dir gestand, nicht mehr.
Mit allen Tücken, die Natur und Kunst mich lehrten,
Werd ich zum feigen Liebessklaven dich entwerten,
Den Stolz dir rauben, dir dein Selbstgefühl entziehn,
Und ist der Sieg gelungen, mein Triumph gediehn,
Dann werd ich dich verachten, dich von oben hassen,
Dafür, dass du den Sieg mir hast gelingen lassen;
Frohlockend, dass ich es vermocht, den starken Pan
Zu bändigen, verwünschend, dass ich es getan.
Ich muss, mich zwingts: 's ist eine unvernünftige Wut,
Ein Weh, ein Fluch Anankes, mir geheult ins Blut.
Darum, Geliebter, Starker, lass dich warnen: ziehe!
Was immer männlich ist, vor Aphroditen fliehe!»
Schweigend beharrte Pan, den Warnspruch überlegend,
Der Manneskraft bewusst, des Weibes Arglist wägend.
Bedenklich aber hob den Huf das Einhorn, kraute
Sich hinterm Ohr und schielt, als ob ihm hier nicht traute.
Da lächelt Aphrodite, züngelnd aus den Zähnen,
Und wälzte sich im Schlaf mit üppigem Gliederdehnen.
Jetzt vom bewegten Frauenreiz verwirrt, verblendet,
Den Mantel vor den Augen, furchtsam abgewendet,
Verzog er weislich in die Schluft der Felsengasse,
Der starke Zaubrer vor des Weibes Lieb und Hasse.

Und Aphrodite, aus dem Bann entlassen, schlief
Und schlief, den Stundenlauf nicht achtend, lang und tief.
Und als sie endlich fröstelnd sich zum Sitze schnellte,
Glitzert ein Sternenheer am finstern Himmelszelte.
Schwarz klaffte der gespenstische Waldgrund unter ihr,
Ein Käuzchen klagte, fern im Tale brüllt ein Stier.
«Verspätet!!» Tastend Zeug und Schuh herbeigesucht,
Dann – «sput dich, Aphro!» – eilends heimwärts auf die Flucht.
«Doch ist das auch der Weg? Er sah mir anders aus
Heut mittag. Hätt ich etwa mich verirrt? O Graus!
Was raschelt da? War das ein Tier, das nach mir langte?
Ein Zweig? ein Mensch?» Sie fror, sie zitterte; ihr bangte.
Und plötzlich gellte durchs Gebirg ihr Angstgeschrei:
«Zu Hilfe, Freund! Erscheine, starker Pan! Herbei!
Vergiss! Sei milde! o vergib mir! Gnade! Höre!
Ich will mich büssen! Ich bereue, Pan, ich schwöre!
Komm, schilt mich, Teurer! Straf mich mit den strengen Händen!
Nur lass mich einsam nicht im finstern Wald verenden!»
Da wars, als ob vom Felsen strahlend eine Flut
Von Freundschaftsodem sie umwoge, warm und gut.
«Wie? hör ich recht?» – O Wohllaut! Charis' Stimme! Ja! –
«Dank dir, o Pan, für deinen Beistand!» – Und so nah!
Gerettet! – «Gruss dir, Charis!» Küsse viel versetzt
Im Freudesturm; hernach erzählt, gelacht, geschwätzt,
Bis dass die Wucht der überstandnen Nöte all
Sie jählings übernahm in wildem Überschwall
Und unter Schluchzen, Leidgestöhn und Atemkampf
Sie an der Freundin Busen warf ein Tränenkrampf.
Doch als nun Charis' Mund bedauernd, teilnahmsvoll
Liebkosung ihr entbot und Trost und Mitleidszoll,
Enthaltung von den Erdenfahrten ihr empfahl,
Mahnend: «Das war das erste und das letzte Mal»,
Weil ja hier oben alles, was ein Herz bedürfe,
Der gütige Olymp uns in die Schürze würfe –
Da riss aus Charis' Armen Aphrodite sich
Gewaltsam los: «Vernimm, o Charis, höre mich!
Wenn einer käm und würde alle Lustbarkeiten,
Die der Olymp vermag, zu meinen Füssen breiten,
Samt allen Schätzen, und es mir zum Tausche böte:
Ich nähm es nicht für dieses Tages Angst und Nöte!
Und nicht ein letztes Mal ists heut gewesen, nein:
Ein junger Anfang nur, ein schüchtern Vorderbein.
Fortsätzlein hab ich etliche mir aufgespart,
Davor die Welt erstaunen wird, wenn sies gewahrt.
Ich sage dir: es wird geschehn, dass Zeus vor Neid
Erkranken wird ob meiner Überlegenheit.
's ist wahr, man nennt ihn ‹Herr›. Er königt. Meinetwegen.
In Wirklichkeit regier auf Erden Ich hingegen.
Behalt nur Thron und Krönlein: ich erlaub dirs froh!
Du lenkst den Mann beim Kopf, ich zäum ihn anderswo.
Genug davon; das Weitre wirst du gleich erfahren.
Komm jetzt und lass das Trösteln, kannst dein Mitleid sparen!»

Und ungeduldig heimgekehrt in rüstigem Lauf,
Beschied sie Boten zu sich. Diesen lud sie auf:
«Geht hin, und mit Trompetenstoss und Glockenschwang
Posaunt durch den Olymp zwei Nächt und Tage lang:
Ein köstlich Lustspiel und Theater gibts zu schauen
Von heut am dritten Tage vor dem Abendgrauen!
Zu welchem Lustspiel hübsch von Aphroditens Gnaden
Die Völker des Olymp sind sämtlich eingeladen.
Und dieses ist der Inhalt, den das Lustspiel hat:
Das ganze Mannsvolk, hausend in der Menschenstadt,
Soviel sie sind, in einer langen Reihe zwar,
Die Könige im Staat, die Priester im Talar,
Wird Aphrodite, wie man zahme Hündlein führt
Und mit dem Finger lenkt, nachdem die Laune kürt,
Vor den Olymp daher zur Augenweide bringen,
Und Spottgelächter wird euch reichlich wohlgelingen!
Gefällt es jemand, meiner Fahrt sich anzuschliessen,
Des geb ich jedem die Erlaubnis zu geniessen.»

Also befahl die Übermütge. Und die Boten
Verneigten sich und taten, wie ihr Mund geboten.
Doch beides: Lachen und Entsetzen überkam
Das Göttervolk, als diese Botschaft es vernahm.


 << zurück weiter >>