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XI.

Der neue, von Weißfisch herbeigeschaffte Geselle hatte sich am frühen Morgen versprochenermaßen eingefunden und erwies sich als ein fleißiger, bescheidener Mensch, der den Sozialdemokraten, wenn er einer war, glücklicherweise nicht herauskehrte. Leider aber war er noch ein Anfänger und von Natur wenig anstellig, so daß ich, ihm unsere Art und Weise der Arbeit beizubringen, meine liebe Not hatte um so mehr, als Ottos Lehrmethode nur in Kopfschütteln und Seufzen bestand. Dennoch durfte ich hoffen, unsre Lieferung für den Kunzeschen Neubau in der Königsstadt rechtzeitig fertig zu stellen, vorausgesetzt, daß mich mein Arm nicht im Stich ließ, dem ich jetzt mehr als sonst schon zumuten mußte, und der mir manchmal, besonders am Abend nach gethaner Arbeit und fast regelmäßig des Nachts, die empfindlichsten Schmerzen verursachte. Ich fragte auch den Arzt, der zu den kranken Kindern kam, aber er schüttelte den Kopf und meinte, das sei ein Fall für einen Spezialisten. Einen solchen aufzusuchen, hatte ich weder Zeit noch Geld. Das letztere besonders war sehr knapp, nachdem ich meinen letzten Sparpfennig hergegeben, – so knapp, daß ich die Klingel an der Hausthür nicht mehr ohne Herzklopfen hören konnte, in der Furcht, es könnte einer der Gläubiger kommen, die wir noch immer hatten, oder gar Herr Kunze uns seinen Kredit kündigen. Glücklicherweise war der Trau-schau-wem-Mann auf einer Geschäftsreise, von der er erst nächsten Mittwoch zurückerwartet wurde. Bis dahin mußte unsere Lieferung fertig sein, und uns nach Abrechnung des Vorschusses, welchen uns Herr Kunze gemacht, doch noch eine, wenn auch kleine Summe übrig bleiben.

Auch aus dem Hoppschen Lager lauteten die Nachrichten günstig. Die Eltern hatten sich mit Christinens Plänen einverstanden erklärt, nachdem ihnen Lamarque selbst – was ich ihm hoch anrechnete, – einen Besuch gemacht, das Talent seiner Schülerin gerühmt und versichert hatte, dieselbe werde es zweifellos in der neuen Laufbahn zu bedeutenden Erfolgen bringen.

Und ich glaube, in verhältnismäßig kurzer Zeit, fügte Weißfisch, dem ich diese Nachrichten verdankte, hinzu. Sie ist mit ihrer schlanken und doch vollen Gestalt, den regelmäßigen und doch interessanten Zügen, den großen ausdrucksfähigen Augen die richtige Bühnenerscheinung; und das rechte Theaterblut scheint sie auch zu haben. Hatte ich bereits die Ehre zu melden, daß Herr Lamarque sich für den Thomas Münzer von Tag zu Tag womöglich mehr begeistert und entschlossen ist, das Stück noch vor Neujahr herauszubringen?

Nein, sagte ich, und wenn es Ihnen recht ist, Weißfisch, so sprechen Sie vom Thomas Münzer und allem, was damit zusammenhängt, überhaupt nicht.

Weißfisch verbeugte sich.

Er kam jeden Morgen, sich »nach meinen Befehlen zu erkundigen,« und führte die etwa erhaltenen Aufträge – Geschäftsgänge, zu denen ich jetzt keine Zeit hatte, und was dergleichen mehr war – stets mit der größten Umsicht und Gewissenhaftigkeit aus. Auch in der Werkstatt machte er sich durch allerlei Handlangerdienste nützlich, sogar im Hause, wo er der geplagten Frau, die sich nach wie vor ohne Magd behelfen mußte, manche Arbeit abnahm: in der Küche die Rüben, in der Stube die verregneten Fenster putzte, mit den ewigen Wasserlachen mutvoll in den Kampf ging; den kranken Kindern die Zeit durch seine Späße vertrieb, die gesunden zur Schule brachte – alles mit bestem Humor und ohne nach der ersten Unterstützung, die er sich wohl oder übel hatte gefallen lassen müssen, je auch nur die geringste Entschädigung für seine vielen Dienstleistungen von mir anzunehmen.

Der gnädige Herr wird mir meine kleinen Bemühungen später schon mehr als reichlich lohnen; sagte er. Für den Augenblick verdiene ich ein schön Stück Geld durch Rollenabschreiben bei dem X.-Theater – selbstverständlich auf Empfehlung des Herrn Oberregisseurs – eine Arbeit, die ich in ein paar Nachtstunden ganz gut absolviere. Der gnädige Herr erinnert sich: ich schreibe sehr schnell und brauche wenig Schlaf.

So behielt der Mann seinen närrischen Willen. In meinen Augen wenigstens war und blieb es eine Narrheit, sich, wie er, für jemand zu opfern, von dem für den Moment so gar nichts zu haben und für die Zukunft kaum mehr zu hoffen war. Denn wenn er, wie wohl anzunehmen, darauf rechnete, meinen Widerstand dadurch zu brechen, daß er mir in seiner Person gleichsam ein Bild des Glückes, zu welchem er mich verlocken wollte, beständig vor Augen hielt, unterschätzte er eben meinen moralischen Mut, ja bestärkte mich nur in meinem Abscheu vor der goldenen Sklaverei, an die er mich fortwährend erinnerte. Ich hielt es für meine Pflicht, ihm das aufs eindringlichste vorzustellen.

Er hörte es ruhig an und erwiderte: es sei ja möglich, daß ich recht habe, aber er glaube nun einmal an meinen Stern. Ich solle doch diesen Glauben einem armen Menschen lassen, der sonst an weiter nichts im Himmel und auf Erden glaube.

Ueber meinen geschäftlichen und häuslichen Sorgen und Mühen vergingen mehrere Tage, ohne daß ich daran denken konnte, Adele wiederzusehen, geschweige denn den versprochenen Besuch bei den Damen Werin zu machen. Seltsamerweise war es ein Brief von Schlagododro, was mich schließlich wenigstens zu dem letzteren bestimmte.

Dieser Brief war die Antwort auf einen von mir, – ich hatte mir seine augenblickliche Adresse von Christinen verschafft – in welchem ich ihm in trockner, geschäftsmäßiger Kürze die im Leben des Mädchens vorgegangene Veränderung mitteilte; und daß diese Veränderung wesentlich mein Werk sei. Ich hoffe von seiner Ehrenhaftigkeit, daß er keinerlei Versuch machen werde, sich meiner Schützlingin abermals zu nähern und ein Verhältnis wieder anzuknüpfen, unter welchem dieselbe bereits mehr als zu viel gelitten habe. Seine Antwort lautete:

»Liebes Kind, – denn das bist und bleibst Du mir, wie ich für Dich Schlagododro bleibe, wenn Du mich auch Sie und Ulrich schimpfst und überhaupt an mich schreibst, als wäre ich schon ein dutzendmal vorbestraft und hätte neuerdings wieder silberne Löffel gestohlen. Und alles das, weil ich ein hübsches und liebenswürdiges Mädchen hübsch und liebenswürdig gefunden, ihr das gesagt und durch diverse Küsse, die ich auf ihre reizenden Lippen gedrückt, und die sie mir, wenn ich nicht irre, zurückgegeben, besiegelt habe. Ist das ein Verbrechen, so muß ich mich freilich schuldig bekennen. Will auch gar nicht leugnen, daß es mir verteufelt schwer ankommt, nun Urfehde schwören zu sollen, oder aber in Bann und Acht gethan zu werden, wie Du mir mit einer Deutlichkeit androhst, die nichts zu wünschen übrig läßt. Na, Kind, weil Du es bist! Jeder andre, der sich herausnähme, von meiner Ehrenhaftigkeit irgend etwas zu hoffen, auf Deutsch: an meiner Ehrenhaftigkeit einen gelinden Zweifel zu hegen, der sollte die Worte – still, alter Korpsbursch!

Kind, ich kann Dir nicht sagen, wie ich mich über Deinen hölzernen Brief gefreut habe. Wüßte ich noch nicht, wie gut ich Dir geblieben bin, ich wüßte es jetzt. Du glaubst ja in Deiner idealistischen Unschuld gar nicht, wie voll die Welt von Narren und Schurken ist, und kannst deshalb nicht nachempfinden, wie unsereinem, die wir in dieser realen, urgemeinen Welt zu leben verdammt sind, das Herz aufgeht, wenn so ein liebes ehrliches enthusiastisches Gesicht, wie das Deine, nach so langen Jahren wieder in Sicht kommt. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß Du Dich nur die Spur verändert hättest und etwa nicht mehr aus den großen blauen Augen schautest, in die man bis auf den tiefsten Grund sehen konnte, oder Dir Nasenflügel und Lippen nicht mehr zuckten, sobald Dich etwas lebhaft bewegt. Ich – nun, ich bin geworden, was so ein grobsinnlicher Klotz werden mußte, nachdem ihn die einzige Hand, in der er Wachs gewesen sein würde, verworfen hatte. Grüß mir meine tote Liebe, wenn Du sie das nächste Mal wiedersiehst – ich nehme an, daß Ihr Euren alten Verkehr fröhlich aufgenommen habt.

Leider muß ich noch einige Tage in dem elenden Nest ausharren, um mich mit Anstand aus einer Affaire zu ziehen, auf die ich mich niemals hätte einlassen sollen. Ich will mich lieber in der Hölle habilitieren als hier in diesem Schafstall. Dann ist mein erster Weg zu Dir. Thu' mir nur die einzige Liebe und wirf bis dahin den Hobel nicht weg! Ich muß Dich im Schurzfell sehen, damit ich in meiner Sterbestunde etwas habe, worüber ich mich totlachen kann.

Dein alter Schlagododro (trotz alledem!)«

Ja, trotz alledem! Ich fühlte es tief, als ich diesen Brief gelesen, der mich zu gleicher Zeit gerührt und gekränkt, ergötzt und traurig gemacht hatte. Das Kränkende seines Zweifels an der Echtheit meiner Lebensführung, das Ergötzliche der derbkomischen Weise, in welcher er diesem Zweifel Ausdruck gegeben – die verflogen bald; aber die Rührung und die Trauer blieben. Die Rührung über die Unverwüstlichkeit seiner Freundschaft zu mir; die Trauer, daß ein im Grunde so edler Geist, eine so groß angelegte Natur für die demokratische Sache verloren sein sollte, ohne im Kampfe für die entgegengesetzten Feldzeichen auch nur für sich selbst Ruhe und Befriedigung zu finden. So schreibt niemand, der an seine Fahne glaubt. Dann aber brauchte meine, brauchte unsre Sache ihn noch nicht verloren zu geben; dann war er ja vielleicht doch noch zu gewinnen. Die edelgesinnten Menschen glauben schließlich alle an einen Gott. Und hatte sich dieser nur von dem alleinigen Gott gewandt, weil ihn die Priesterin nicht hatte erhören wollen? Aber vielleicht kannte sie die Treue ihres Anbeters nicht; vielleicht rührte sie diese Treue; vielleicht war sie auch nicht mehr die Unnahbare, die sie gewesen, als sie in erster ungebrochener jungfräulich-herber Sprödigkeit ihren Tempeldienst begann.

Wie dem auch sein mochte – ich mußte Maria sehen und sprechen. Der Sonntag hatte mir um Mittag ein paar freie Stunden gebracht. In der Werkstatt hatten wir für heute Schicht gemacht; im Hause stand es soweit gut. Ich eilte, die seltene Muße zu dem Besuche zu benutzen, welcher mir jetzt als eine Pflicht erschien, von der ich kaum begreifen konnte, wie ich sie so lange hatte verabsäumen mögen.


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