Friedrich Spielhagen
Die Dorfcoquette
Friedrich Spielhagen

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Das Gerücht von Konrad's Attentat hatte sich mit Blitzesschnelle über die Nachbarschaft verbreitet und natürlich in jedem neuen Dorfe eine tollere Gestalt angenommen. Die ganze Gegend war in Aufruhr, die Behörden mischten sich hinein; ich sehnte mich fast nach der eigenen Gerichtsbarkeit zurück, die uns das Jahr vorher abgenommen war. Die Landschaft wurde in allen Richtungen durchstreift, den Verbrecher aufzusuchen; man zog mit Flinten und Hunden in die Wälder, man geberdete sich so albern wie möglich, und erhielt mich dadurch fortwährend in der größten Aufregung.

Kaum weniger peinlich waren für mich die Disputationen des Onkels, der an die Stelle meines weggelaufenen Verwalters getreten war, wie er es ausdrückte, und des Doctors, der alle Tage aus der Stadt kam. Sie stritten sich über Konrad's That, welche Jener in seiner skeptischen Weise psychologisch, und Dieser, ein harter Materialist, physiologisch zu erklären sich bemühte. Der Streit verlief sich oft auf so abstruse Gebiete und wurde meistens so heftig, daß ich froh war, das Zimmer verlassen und nach unserer Patientin sehen zu können.

Die Prognose des Doctors hatte sich als richtig bewährt, das Fieber hatte schon am folgenden Morgen nachgelassen, von einer Gefahr war nicht mehr die Rede. Dafür schien der Seelenzustand des armen Mädchens desto trostloser. Und wie konnte das anders sein! Der eine Liebhaber hatte sich als Barbar, der andere als elender Feigling ausgewiesen, und sie wußte am besten, wer an dem ganzen Unglück schuld war! Dazu die Scham, vor mir nun endlich einmal in ihrer wahren Gestalt zu erscheinen, die Gewißheit, der Gegenstand des Gespräches, vielleicht des Gespöttes für die ganze Nachbarschaft zu sein, zuletzt; und am meisten, die unwiederbringliche Einbuße, die ihre Schönheit erlitten, – ihre vielgepriesene Schönheit, auf die sie so unsäglich stolz gewesen – wahrlich, das waren Leiden, welche empfindlicher sein mußten, als die Schmerzen, die ihr ihre Wunden verursachten. Ich fand es nur zu begreiflich, daß ich sie, so oft ich kam, in Thränen fand, daß sie fast gar nicht sprach, und Niemandem, am wenigsten mir, in's Gesicht zu sehen wagte. Ich ließ sie ruhig gewähren; ein solcher Zustand will eben durchgelitten sein, und was hätte ich ihr auch zum Trost sagen, womit sie freundlich unterhalten können? Etwa von dem Manne sprechen, den sie durch ihr coquettes Augenspiel aus seiner scheuen Zurückhaltung herausgelockt, um ihn hernach durch ihre Treulosigkeit zur Verzweiflung zu treiben, und auf den man jetzt Jagd machte, wie auf ein wildes Thier? oder von dem Andern, der ihr allerdings auf dem halben Wege entgegengekommen sein mochte, der der Leichtsinnigen, Leichtgläubigen die herrlichsten spanischen Schlösser versprochen hatte, und von dem ich jetzt einen Brief erhielt, worin er mich um die Auslieferung seiner Sachen ersuchte (die bereits längst gepackt in seinem Zimmer standen) und sich außerdem in der frivolsten Weise über ein »gewisses Verhältniß« aussprach, »in das er sich freilich, als Cavalier, niemals hätte einlassen sollen«, und von dem er bedauere, daß es für das Mädchen »so unangenehme Consequenzen« gehabt habe.

Sie that mir wahrlich von Herzen leid, dennoch konnte ich nicht anders, als in dem, was sie betroffen, den Finger einer Nemesis erkennen, die hart, aber nicht ganz ungerecht gestraft hatte. Und wiederum, während alle Welt über Konrad's That Zeter schrie und ihn selbst als einen Auswurf der menschlichen Gesellschaft betrachtete, sprach für ihn in meinem Herzen immer vernehmlicher eine Stimme, die ich nicht zum Schweigen zu bringen vermochte und bald nicht mehr zum Schweigen bringen wollte. Erbarmen zu üben, ist ja das schöne Vorrecht von uns Frauen, und obgleich mir natürlich die That selbst noch gleich verabscheuungswerth erschien, so regte sich doch immer stärker das Mitleid mit dem Thäter, der, wenn ich mich nicht gänzlich in ihm getäuscht hatte, zur Zeit sich mindestens ebenso unglücklich fühlte, wie sein Opfer, und vielleicht in demselben Maße unglücklicher, als er eine weitaus tiefere und, wenn Sie wollen, bedeutendere Natur war, bei der die Reue, wenn sie zum Durchbruch kam, nicht weniger fürchterlich sein mußte, als die Leidenschaft, die ihn zur That trieb.

Mit diesem Gedanken trug ich mich, als ich – ich glaube, es war am achten Tage nach der Katastrophe – von meinem Onkel, den die Geschäfte wieder auf sein Gut gerufen hatten, zurückkehrte. Ich hatte den Wagen verlassen, um, da der Abend sehr schön war, den kürzeren Richtweg durch den Wald zu Fuß zurückzulegen. Im Walde war mir wieder eines jener abscheulichen Streifcorps, die mit gespannten Gewehren und langen Stangen auf den Unglücklichen Jagd machten, begegnet. Diesmal hatte sich der Dorfschulze in Person an die Spitze gesetzt. Ein kleiner Bube wollte den Verbrecher am Rande des Waldes gesehen haben. Der Schulze machte mir die unterthänigsten Vorwürfe über meine Tollkühnheit, so allein durch ein Revier zu gehen, wo hinter jedem Baume der Mörder lauern könne. Er wollte mir durchaus mit seiner Mannschaft das Geleit geben und schien sehr verletzt, als ich ihn ersuchte, sich durch mich nicht aufhalten zu lassen.

Der Haufe zog weiter; ich setzte langsam meinen Weg fort, als plötzlich, wie ich eben einen Hohlweg passiert bin, der ziemlich steil aufwärts führt, Konrad vor mir steht. Mein Schrecken war groß; ich konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken. – Fürchten Sie sich nicht, sagte er, indem er einen Schritt zurücktrat. Ich deutete nach der Richtung, in welcher der Haufe gezogen, dessen verworrene Stimmen noch zu uns hinausdrangen. Er begriff sogleich, was ich wollte, denn er warf einen finstern Blick nach jener Seite und sagte: Wenn Sie sich nur nicht vor mir fürchten! – Das thue ich nicht, erwiederte ich. Sie sehen es; aber ich möchte nicht gern, daß man Sie in's Gefängniß würfe, um meiner Kinder willen nicht. – Ja, ja! sagte er.

Er wischte sich mit dem Rücken der Hand über die Augen. Ich sah ihn jetzt erst genauer an. Er war sehr bleich und abgemagert; der starke Bart, den er immer trug, hing ihm in Zotteln um das verwüstete Gesicht; sein dicker Flausrock und die hohen Stiefel zeigten die Spuren von Nächten, die im Walde oder in einsamen Hürden zugebracht sein mochten. Es war wieder der Konrad, der vor drei Jahren auf unserer Schwelle erschienen war und um ein Stück Brod gebeten hatte, das ihn vor dem Verhungern schützen sollte. – Armer, armer Mann! sagte ich unwillkürlich.

Der mitleidige Ton, in dem ich die Worte gesprochen, mußte ihm in die tiefste Seele gedrungen sein. Ein Stöhnen, das mir durch's Herz schnitt, drang aus seiner breiten Brust, die sich krampfhaft hob und senkte; im nächsten Augenblick lag er vor mir auf den Knieen und küßte den Saum meines Kleides zu wiederholten Malen; dann sprang er auf und war alsbald in dem dichten Gehölz, aus dem er herausgetreten war, verschwunden. Ein paar Mal hörte ich die Zweige knacken, gerade wie wenn ein Hirsch in der Flucht durch die Büsche bricht, und nun war Alles still. Ich hätte glauben können, meine aufgeregte Phantasie habe mir die Scene, die ich soeben erlebt, vorgespiegelt.

Die sonderbare Begegnung gab mir viel zu denken; aber ich hütete mich wohl, gegen irgendwen davon zu sprechen. Daß Konrad sich nur so lange in der Gegend aufgehalten und allen Verfolgern getrotzt hatte, um mich noch einmal zu sehen, um mir in seiner Weise zu sagen, wie tief er seine Unthat bereue, war offenbar. Ich hielt mich überzeugt, daß er nun das gefährliche Terrain verlassen habe, und der Erfolg schien mir Recht zu geben. Wenigstens fand man in den folgenden Wochen auch nicht die leiseste Spur von ihm; der Eifer seiner Verfolger erlahmte, man begann bereits gelegentlich von etwas Anderem zu reden.

Unterdessen war auch in der Wirtschaft nach und nach die Ordnung zurückgekehrt. Ein neuer Verwalter war engagirt worden, ein einfacher, bescheidener Mann, der emsig seiner Pflicht oblag und seiner Aufgabe gewachsen schien. Das Vorwerk wurde von hier aus verwaltet, was jetzt nicht mehr so schwierig war, da der Onkel die Güte gehabt hatte, das kostspielige und lästige Gestüt zu übernehmen und auf sein Gut zu überführen. Er kam zuweilen herüber, mir mit Rath und That beizuspringen; ich selbst war viel draußen auf dem Felde, bald im Wagen, bald zu Pferde, und sah nach dem Rechten, oder gab mir wenigstens davon den Anschein, was manchmal auf dasselbe hinauskommt.

Bertha hütete schon längst nicht mehr das Bett; die Wunden waren abgeheilt, aber um ihren Gemüthszustand sah es desto trauriger aus. Noch immer, so oft ich unerwartet zu ihr kam, fand ich sie in Thränen; das Mädchen, welches bei ihr schlief, sagte, daß sie halbe Nächte lang in ihrem Bette sitze und weine. Keine Bitten konnten sie vermögen, das Zimmer zu verlassen, und wenn ich mich über ihr Gebahren zornig stellte, sah sie mich so kläglich an, daß ich sie, wiewohl ungern, gewähren ließ. Ein verwundetes Rebhuhn kann sich nicht ängstlicher in die Ackerfurche drücken, als sich das arme Mädchen den Blicken Aller verbarg; und wenn man dann sich erinnerte, wie sie früher gewesen war: wie keck und zuversichtlich, wie lachlustig und übermüthig, konnten Einem wohl selbst die Thränen in die Augen kommen.

Sie werden es verzeihlich finden, daß ich in solcher Lage auf das Gemüth eines Mädchens, welches bis dahin so ganz in Leichtsinn und Eitelkeit aufgegangen war, mit kleinen und kleinlichen Mitteln zu wirken suchte, ihr zum Beispiel gelegentlich etwas Schmeichelhaftes über ihr gutes Aussehen sagte: daß ihre Augen schöner seien, als je, und daß ihre schlanke Gestalt mir noch zierlicher erscheine. Eines Tages ordnete ich ihr selbst das reiche Haar und arrangirte ihr ein schwarzes Flortuch, welches ich ihr um den Kopf band, so, daß auch nicht die mindeste Spur der grausamen Verstümmelung zu bemerken war. Sie sah in der That ganz reizend aus; ich führte sie mit sanfter Gewalt vor einen Spiegel und fragte sie freundlich, ob sie auch so nicht glaube, sich vor den Leuten sehen lassen zu können? Wie erstaunt war ich, als sie, die noch eben bei meinem sanften Zuspruch gelächelt hatte, jetzt in heftige Thränen ausbrach, mit leidenschaftlicher Dankbarkeit meine Hände küßte und schluchzend versicherte: sie könne nie wieder glücklich werden, und wenn auch kein Mensch wüßte oder je erführe, was mit ihr geschehen sei.

Gieb Acht, sagte der Onkel, dem ich diese Scene mittheilte: es kommt, wie ich gesagt! Sie hat nicht hören wollen, nun hat sie gefühlt. Solche Leute sind wie die Kinder. Ein Kind, das man gezüchtigt hat, ist nicht beleidigt, sondern einfach erschrocken, gedemüthigt, zur Raison gebracht. Das ist ihr Fall. Nächstens wird sie Dir erklären, sie könne nur den Einen lieben, der ihr die Ohren abgeschnitten, oder höchstens den Anderen, dem sie zutraue, daß er ihr im betreffenden Falle auch die Nase abschneiden würde.

Es schien, daß der alte Herr, der stets geneigt war, die ganze Welt für unvernünftig zu erklären, in diesem Falle einmal wieder Recht haben sollte.

Meine Bemühungen hatten wenigstens den Erfolg gehabt, daß Bertha jetzt anfing, sich im Hause mit einiger Freiheit zu bewegen. Eines Tages fand ich sie in einem Raume, der zur Aufbewahrung von allerlei Sachen diente, und wohin auch die wenigen, welche Konrad's Eigenthum gewesen und die er auf seiner Flucht sämmtlich zurückgelassen, gebracht waren. Ich sah, wie sie davor stand, in der Haltung Jemandes, der vor einem geliebten Grabe weint und betet. Da sie mich nicht bemerkt hatte, zog ich mich leise wieder zurück, nicht wenig erstaunt über das, was ich gesehen, und eigentlich außer Stande, es mir zu erklären, wenn ich mich nicht zu der Ansicht des Onkels bekennen wollte: »Diese Menschen seien aus Widersprüchen zusammengesetzt.«

Nicht lange darauf ereignete sich ein Vorfall, der mir gewissermaßen ein Schlüssel zu Konrad's räthselhafter That wurde. Die alte Anne-Kathrin hatte sich in ihrem Hexenhochmuth hier und da gerühmt, daß sie es der Bertha »eingebrockt« habe und daß Andere sich vor ihr hüten möchten, wenn sie nicht wollten, daß sie ihnen ebenso mitspiele. Man hatte Notiz von diesen Reden genommen, ein besonders Kühner hatte die Alte denuncirt, und unser Freund, der Justizrath, der als Untersuchungsrichter in dem Falle fungirte, das dumme, böse Weib wirklich zu einem Geständniß vermocht. Mir war es damals eine förmliche Beruhigung, zu wissen, daß jenes Teuflische in Konrad's That nicht aus ihm selbst stammte, daß es ihm in schlimmer Stunde von einem Satan in Menschengestalt gelehrt war, obgleich ich jetzt etwas anders darüber denke. Ich meine nämlich, daß die Einflüsterung der Alten in diesem Falle nur war, was die Aerzte in der Pathologie, glaube ich, eine Gelegenheitsursache nennen, und Konrad's That mit ihrer ganzen Schwere auf ihn und ihn allein zurückfällt. Damals aber, wie gesagt, war ich anderen Sinnes und hielt es für meine Pflicht, die Entdeckung Bertha mitzutheilen. Sie sah mich mit großen, starren Augen an, die sich während meiner Erzählung mehr als einmal mit Thränen füllten. Als ich zu Ende war, drückte sie ihr Gesicht in die Hände und schluchzte: Gott sei gelobt: ich wußte ja, daß er nicht so schlecht war!

Von diesem Tage wurde ihr Blick freier, ihre Haltung straffer; ihr Auge bekam wieder etwas von dem alten Glanz, wenn es auch nicht mehr so übermüthig wie früher lachte, auch dann nicht, als einige Wochen später Jemand, den sie sonst, ohne zu lachen, kaum ansehen konnte, ihr einstiger Clavierlehrer, unser Pfarradjunct, nun schon seit lange wohlbestallter Pastor, auf den Hof kam, mit breitkrämpigem Hut, den Wanderstab in der Hand, wie es sich für den Nachfolger der Apostel ziemte.

Ich war über diesen Besuch einigermaßen erstaunt; der junge Pfarrer hatte, seitdem er sich vor vier Jahren so tapfer aus den Schlingen zog, die ihm Satan gelegt, nie wieder bei uns sehen lassen und auch sonst jede Begegnung sorgfältig vermieden. Uebrigens hatte er sich nicht eben verändert; er war vielleicht nicht mehr ganz so mager und verblaßt, aber seine Schüchternheit und Unbeholfenheit hatte er auf seiner einsamen Landpfarre bestens conservirt. Jetzt saß er mir auf der Kante des Stuhls, ganz wie in alter Weise, gegenüber, drehte, ganz wie in alter Weise, den unglücklichen breitkrämpigen Hut über den zusammengepreßten spitzen Knieen und starrte mich, den blassen Mund halb geöffnet, durch die runden Brillengläser an, es mir überlassend, wie ich es für schicklich erachten würde, die Unterredung, die er nachgesucht, zu beginnen.

Natürlich that ich meine gesellschaftliche Schuldigkeit und unterhielt, so gut ich konnte, meinen verstäubten Gast, der gelegentlich Ja und Nein, Nein und Ja, wie es paßte, oder auch nicht paßte, dazwischen warf, bis ich endlich, von all den vergeblichen Versuchen erschöpft, mir die Bemerkung erlaubte, es komme mir vor, als ob er irgend etwas auf dem Herzen habe, und es sei vielleicht am Besten, wenn er mir ohne Weiteres den Gegenstand seiner Praeoccupation mittheile. Hier fing der Hut an, sich in einer beängstigend schnellen Weise zu drehen, die großen Füße scharrten hin und her, der kurzgeschorene Kopf begann sich auf und nieder zu bewegen, als wolle er sich im nächsten Augenblick von dem weißen Halstuch ablösen, der große Mund schnappte ein paar Mal nach Athem, und dies war es nun. Er kam, um Bertha zu seinem christlichen Eheweibe zu begehren, mit einem Herzen, aus dem, wie er hoffe, eine vierjahrelange Reue und Buße den letzten Rest irdischer Hoffarth und Eitelkeit getilgt habe. Nun aber, fuhr er fort, und er faltete dabei fromm seine Hände, hat mir der Himmel selbst ein Zeichen gegeben, daß meine Prüfungszeit zu Ende ist. Was mich damals zu der Jungfrau lockte: ihre sündige Schönheit – das ist dahin. Der Himmel, dessen Wege unerforschlich sind, hat sich eines schrecklichen Werkzeugs bedient, um aus dem Wege zu räumen, was uns trennte. Die Hartgeprüfte darf des Hartgeprüften Ehegemahl werden; was sie in den Augen der Andern abscheulich macht, das macht sie mir lieblich; und auch hier wird es heißen, daß der Stein, den die Andern verworfen haben, der Eckstein unseres zeitlichen Glückes und, hoffen wir in Demuth, unserer ewigen Seligkeit geworden ist.

Ich hatte, während der wunderliche Mensch so sprach, durch die Fenster des Gartenzimmers, in dem wir saßen, Bertha in einiger Entfernung zwischen den Beeten gehen sehen. Jetzt wandte sie sich gerade um und kam auf das Haus zugeschritten. Die Mittagssonne schien hell in ihr schönes, von dem dunkeln Flortuch, das sie jetzt beständig trug, herrlich eingerahmtes Gesicht. Ich nahm den Aufgeregten bei der Hand, führte ihn an das Fenster, deutete durch die hohen Blattgewächse nach der Gestalt im Garten und sagte: Glauben Sie wirklich, daß es keine Sünde sei, dieses Mädchen zu lieben?

Die Wirkung meiner einfachen Kriegslist war unbeschreiblich. Er wurde roth, er wurde blaß, er murmelte abgerissene Worte; ich glaube, er nahm, was er sah, für ein Blendwerk der Hölle, für eine neue Versuchung, die er mit kräftigen Gebeten zu beschwören suchte.

Da er wirklich ein guter Mensch war, so jammerte mich seiner, und in Anbetracht, daß er unter den Händen einer klugen Frau sich doch am Ende noch formiren könne, beschloß ich, die Angelegenheit, so lächerlich sie auch schien, ernsthaft zu nehmen. Ich versuchte also, ihm seinen frommen Schrecken auszureden, was wirklich – mir zum Beweise, daß er nicht ganz so albern war, wie er sich gab – einigermaßen gelang. Sein Heil bei Bertha selbst zu versuchen, wie ich ihm rieth, gestattete freilich seine Aengstlichkeit nicht. Ich entließ ihn mit dem Versprechen, Bertha zu sondiren und ihm schriftlich zu melden, ob er seine Bewerbung fortzusetzen oder aufzugeben habe.

Bertha that, was ich freilich erwartet hatte: sie wies den Antrag des Pastors entschieden, ja mit förmlichem Abscheu zurück. – Ich bin ja verlobt, gnädige Frau! sagte sie. – Wenn Du Dich so fühlst, erwiederte ich, bist Du es freilich, sonst nicht; ein Band, das so roh durchschnitten ist, hält nur noch, wenn man es geflissentlich zusammenknüpft; und vielleicht auch dann nicht mehr. Du kannst, was geschehen ist, nie vergessen oder vergeben. Du kannst Deine Hand nie vertrauensvoll in eine Hand legen, an der Dein Blut geklebt hat. Er hat kein Recht mehr an Dir, weder ein ganzes noch ein halbes. Und es scheint mir auch ganz unmöglich, daß er selbst es je wagen könnte, sich Dir wieder zu nähern. Sollte er es aber, so stehst Du unter meinem Schutz; ich werde Dich jetzt besser zu behüten wissen, als damals.

Ich hatte mit Willen so energisch gesprochen, weil ich zu bemerken geglaubt hatte, daß, was sie jetzt zu Konrad zog, viel weniger zu spät erwachte Liebe – die ich überdies unter solchen Umständen für unmöglich hielt – als vielmehr Furcht sei – Furcht vor dem dämonischen Menschen, der sie zu finden wissen würde, wenn sie je versuchen sollte, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. – Bertha räumte das zum Theil ein. – Ja, ich fürchte mich vor ihm, sagte sie; ich weiß auch, daß Niemand mich vor ihm beschützen könnte – auch Sie nicht, gnädige Frau; er ist wie der Blitz. Ich weiß, daß er plötzlich dastehen würde, gleichviel wo: auf dem Felde, zwischen dem Korn, im Walde unter den Bäumen, im Garten, im Dorf, in der Kirche, hier im Zimmer, überall, und daß ich dann vor Schreck sterben würde, auch wenn er mich nicht tödtete. – Du bist ein Feigling, Mädchen! sagte ich. – Ach ja, erwiederte sie: und dann setzte sie leise hinzu: ich wollte nur, ich hätte es früher gewußt, dann wäre dies Alles nicht geschehen, und wir hätten glücklich sein können, anstatt daß ich uns nun Beide so unglücklich gemacht habe.

Schreibe dem Pfaffen ab und richte die Hochzeit für den Andern an, sagte der Onkel, als ich ihm diese Unterredung mittheilte.

Ein Vierteljahr war vergangen, Konrad war und blieb verschollen. Man nahm im Dorf an, daß er nach Amerika geflohen sei. Bertha schüttelte den Kopf; ich fand es ebenfalls unwahrscheinlich. Er hatte ein Verbrechen zu sühnen, und wie ich ihn kannte, mußte das da geschehen, wo es begangen war: auf heimischer Erde, an welche diese elementarische Natur auch ohne dies mit unzerreißbarer Kette gefesselt war. Er hatte mir einmal, als ich ihn fragte, warum er nicht in der Fremde sein Glück versucht habe, geantwortet: ich könnte ebenso gut in's Wasser gesprungen sein.

Da erhalte ich eines Tages einen Brief von meines Gatten Vetter Herbert, den jetzt als Regierungsrath ein etwas reactionärer Duft umgiebt, der aber damals – im Jahre neunundvierzig – als junger Auscultator für Freiheit und Recht eine Schwärmerei entwickelte, zu welcher die Furcht vor dem Examen, die plebejische Liebe zu einem hübschen Bürgermädchen, von welcher die Eltern nichts wissen, und sehr aristokratische Schulden, die sie nicht bezahlen wollten, nicht wenig beitragen mochten. Uebrigens hatte er sich, seine Verzweiflung an der bösen Welt auszutoben und nebenbei seine unnatürlichen Eltern um so empfindlicher zu bestrafen, ein würdiges Feld ausgesucht. Er diente seit dem Frühjahr in der schleswig-holsteinschen Armee. Sein Brief, der, wie immer, die vielaktige Tragikomödie seiner Schulden behandelte, in welcher er mir, ich weiß nicht welche Rolle zuertheilt hatte, war aus dem Lager vor Fridericia datirt. Der Schluß lautete ungefähr so: Uebrigens habe ich hier ein Individuum gefunden, das, nachdem es meinen Namen erfahren, sich bei meiner Escadron hat einstellen lassen und mir seitdem unschätzbare Dienste leistet. Neulich hat er mich bei einem Ausfall, den die Dänen machten und bei dem ich in wirkliche Gefahr gerieth, herausgehauen, daß die ganze Armee davon spricht. Ich habe ihn zum Sergeanten befördert, und er kommt fast nicht mehr von meiner Seite. Er ist der famoseste Reiter, den ich kenne, und dabei der wunderlichste Kerl von der Welt. Ich vermuthe manchmal, daß er seinen Vater erschlagen, oder sonst ein greuliches Verbrechen auf dem Gewissen hat. Zu einem Kameraden hat er einmal geäußert, er sei unserer Familie auf Tod und Leben verpflichtet; ich vermuthe, daß er einer der unzähligen Clienten Ihres verstorbenen Gatten gewesen ist. Er nennt sich Konrad, und Niemand weiß, wie er sonst heißt, oder woher er stammt. Können Sie mir über diesen seltsamen Vogel Auskunft geben?

Ich beantwortete diesen Brief sofort. Konrad's That erwähnte ich natürlich nicht. Ich sagte nur, daß der Mann bei uns gedient habe. Herbert könne sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen; doch möge er vermeiden, den scheuen Menschen durch Fragen vollends einzuschüchtern, am besten werde er thun, sich nicht merken zu lassen, daß wir von seinem Aufenthalt unterrichtet seien. Jedenfalls aber bäte ich dringend, den Mann auf keinen Fall aus den Augen zu verlieren und mir von Zeit zu Zeit über ihn weitere Mittheilung zu machen.

Diese weitere Mittheilung ließ lange auf sich warten. Die Schlacht von Fridericia war geschlagen, der Waffenstillstand war proclamirt. Ich wußte, daß Herbert den Dienst und die Freiheitsschwärmerei quittirt hatte, als reuiger Sohn in die Arme seiner Eltern zurückgekehrt war und auf dem Parquett der Berliner Salons in Frack und weißen Glacés Buße that für seine schleswig-holsteinschen Extravaganzen. Was aber war aus Konrad geworden? Ich schrieb wieder und wieder an Herbert. Endlich kam eine Antwort. Er habe so lange gezögert, da er an mich nicht schreiben könne, ohne die peinlichste Episode seines Lebens zu berühren, an die er sich jetzt, selbst nach so langer Zeit – es waren kaum drei Monate seitdem vergangen! – nur ungern erinnern lasse. Auch hätte er mir am liebsten verschwiegen, was er nun freilich, da ich in ihn dringe, mir in Betreff meines Protégés mitzutheilen gezwungen sei. Der arme Mensch sei in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli gefallen. Er selbst habe ihn mit gespaltenem Schädel vom Pferde sinken sehen, doch sei das Getümmel zu groß gewesen, und er wisse nicht, was aus dem Leichnam geworden. Vermutlich sei er in die Hände der Dänen gefallen.

Dieser Brief stimmte mich sehr ernst. Für den Mann selbst hätte ich mir kein besseres Ende denken können, als den Tod für eine große und gute allgemeine Sache, nachdem er in eigner Sache durch eine That des Wahnsinns seine Ehre so schlimm befleckt hatte. Ja, in diesem Sohne des Volkes, dem niedrig geborenen, unter Kümmernissen aller Art herangewachsenen, in jeder Weise mißhandelten und gehudelten, hatte ein tiefes, starkes Gefühl für Ehre und Recht gelebt, das sich wohl einmal von dem heißen Herzen verwirren lassen, aber niemals und durch nichts auf die Dauer unterdrückt werden konnte. Seine Rechnung war abgeschlossen, und, wenn es nach mir ging, so hatte er seine Schuld reichlich bezahlt. Aber das Mädchen, das er so heiß geliebt? Wie sollte ich ihr die schlimme Kunde mittheilen? In meiner Noth fiel mir ein, es sei trotzdem eine Möglichkeit, daß Konrad noch lebe und daß man die Pflicht habe, gründliche Nachforschungen anzustellen. Ich that es. Ein höherer Offizier in der schleswig-holsteinschen Armee, ein Jugendfreund meines Gatten, an den ich mich wandte, nahm sich der Sache mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit an; aber er war nach einigen Wochen gezwungen, mir die Aussage des Vetters zu bestätigen. Leute, die er abgehört, Kameraden Konrad's, hatten ihn für todt auf dem Kampfplatze gelassen. Er sandte mir sogar die seitdem veröffentlichten Listen, in welchen ein Sergeant, genannt Konrad, Geburtsort unbekannt, als vor Fridericia gefallen aufgeführt war. Ich mußte mich entschließen, Bertha zu sagen, was sie doch einmal erfahren mußte.

Daß sich ihr Herz vollständig gewandelt hatte, daß sie sich fortwährend mit dem Bilde des einst so arg Verschmähten innerlich beschäftigte, wußte ich, dennoch hatte ich nicht geglaubt, der Schlag könne sie so hart treffen. Sie war vollständig außer sich, ihr Jammer zerriß mein Herz. Sie klagte sich an, daß sie ihn in den Tod getrieben habe, daß sie seine Mörderin sei. Ich habe nie wieder einen so wilden Ausbruch der Verzweiflung gesehen, als bei diesem Mädchen, dem ich früher die Fähigkeit jeder tieferen Empfindung abgesprochen hatte. Sie lag auf der Erde, raufte sich das Haar, bat, daß man sie tödten möge; sie war wirklich einige Tage am Rande des Wahnsinns. Plötzlich – an einem Morgen – erschien sie vollständig gefaßt und erklärte, Konrad sei nicht todt. Er sei ihr in der Nacht erschienen, schwer verwundet, aber doch lebend, und wenn dies auch keine Erscheinung, sondern nur ein Traum gewesen sein sollte, so sei er doch auf keinen Fall gestorben. Es sei ja auch ganz unmöglich, daß er gestorben sei.

Ich ließ sie ruhig gewähren und hieß auch die Andern, nicht weiter in sie zu dringen; im Stillen verwundert über die dämonische Gewalt, mit welcher jener seltsame Mann die leichtbewegliche Seele dieses Mädchens, so oder so, in Furcht und Liebe, bis über das Grab hinaus an sich zu fesseln gewußt hatte. Der Onkel brummte: der Mensch sah immer aus wie ein Vampyr. Unser Einer glaubt nicht an Vampyre; die Leute aus dem Volke verstehen sich besser darauf.

Der Onkel mochte das leichtsinnige Wort auch gegen Andere ausgesprochen haben. In Kurzem galt es überall in der Runde für eine ausgemachte Thatsache, daß der Konrad Krüger, der im schleswig-holsteinschen Kriege getödtet sein solle, schon um deswegen gar nicht habe getödtet werden können, weil er überhaupt nie gelebt habe, sondern ein Golem gewesen sei, der sich von Zeit zu Zeit mit warmem Menschenblut auffrische. Die arme Bertha wisse davon ein Wort mitzusprechen; sie habe das Ungeheuer gezeichnet. Und wenn man sie eines Morgens todt im Bette finde, so werde man auch wohl, ohne lange zu suchen, wissen, wer ihr Blut und ihre Seele geholt habe.

Das ist schändliches, gotteslästerliches Geschwätz, sagte der neue Verwalter. Man muß dem armen Mädchen zeigen, daß nicht alle Menschen so unsinnig und schlecht sind; sie muß ja sonst in ihren jungen Jahren an der Welt verzweifeln.

Der brave Mann nahm sich die Sache der von den Leuten scheu Gemiedenen sehr zu Herzen. Er trug sich einige Wochen mit den verschiedensten Mitteln, dem Mädchen Ehre und Reputation, wie er sich ausdrückte, wieder zu verschaffen. Endlich glaubte er das einfachste aufgefunden zu haben, und ging hin und fragte, ob sie sein Weib werden wolle? Herr Müller war ein stattlicher Mann, etwas hölzern und plump, aber durchaus brav und nicht ohne Vermögen. Die Partie war in jeder Beziehung annehmbar, und wer sich so, wie er, über das Vorurtheil der Menge wegsetzen konnte, bewies schon dadurch allein, daß er Herz und Kopf auf dem rechten Flecke hatte. Bertha erkannte das Alles auch vollständig an, wies aber den Antrag mit großer Entschiedenheit zurück. Und wenn Konrad todt wäre, sagte sie, ich würde keinen Andern heirathen; ich würde ja keine ruhige Minute haben.

Dabei blickte sie so seltsam und sprach so geheimnißvoll, als stände Jemand hinter ihr, der nicht hören dürfe, was sie sage, und vor dem sie doch keine Geheimnisse haben könne. Glaubte sie auch an die Vampyrsage? es blieb kaum eine andere Annahme übrig. So viel war sicher: für sie lebte Konrad; für sie handelte es sich nur darum: wann er zurückkäme. Unterdessen bereitete sie sich nach bestem Gewissen darauf vor, indem sie, eins nach dem andern, die hübschen Kleider bei Seite that, an welche sie nun schon so lange Jahre gewöhnt war, und sich dafür solche vom einfachsten Schnitt und Stoff zurecht machte. Auch das schwarze Flortuch, das ich ihr selber arrangirt hatte, bat sie mich, mit einem aus Wolle vertauschen zu dürfen. So werde ich ihm besser gefallen, sagte sie; ich muß mich ja meines Putzes schämen, wenn ich seine Sachen ansehe.

Diese Sachen betrachtete sie als heilige Reliquien, sie säuberte und putzte beständig daran und ließ sie eines Tages in einen andern Raum bringen, da es in dem, wo sie bisher gelegen, zu feucht und zu kalt sei. Sie sprach es nicht aus, aber ich bin überzeugt, es war dabei ein Aberglaube im Spiel; vielleicht, daß es Konrad, wo er auch immer sei, weniger kalt habe, wenn seine zurückgebliebenen Kleider in einem warmen Zimmer aufbewahrt würden.

Armes Kind, dachte ich, Dein Bräutigam liegt da oben in der dänischen Erde, und die Erde ist nun hart gefroren und die Schneeflocken wirbeln darüber hin und hüllen ihn und Alle, die mit ihm gefallen, in ein spätes Leichentuch!

Und so trat ich an einem hellkalten Januarnachmittag vor die Hausthür, nach den Kindern zu sehen, die, in ihre Pelzchen gehüllt, seit einer Stunde auf dem Hofe spielten. Ich hatte im Zimmer ihren lauten Jubel gehört, und sie deshalb länger als sonst wohl draußen gelassen. Plötzlich waren sie still geworden; und das hatte mich aufgeschreckt.

Da standen sie in einiger Entfernung um einen Bettler, der eben auf den Hof gekommen sein mochte. Der Diener hatte die Kinder allein gelassen; der Mann sah nichts weniger als vertrauenerweckend aus, ich ging mit raschen Schritten auf die Gruppe zu, schon von ferne die Kinder bei Namen rufend. Sie kamen nicht, ich sah, daß Ada, die sonst die Schüchternheit selbst war, den fremden Mann bei der Hand festhielt und sich augenscheinlich Mühe gab, ihn nach dem Hause hin zu ziehen, während Emilie und Otto jetzt voraus sprangen: Mama! Mama! er ist wieder da; er will uns wieder ein Vogelbauerchen machen; er will mich wieder auf dem Pony reiten lassen!

War es möglich? war dieser Mann in dem schäbigen Soldatenmantel, dieser elende einarmige Krüppel, dem Krankheit und Hunger aus dem verwüsteten, fürchterlich entstellten Gesichte blickten, – war das wirklich Konrad?

Und wie ich noch, vor Schrecken wie festgebannt, dastehe, kommt eine Gestalt, die gleich nach mir aus der Hausthür getreten war, an mir vorüber und stürzt mit einem wilden Freudenschrei dem Krüppel an die Brust, der sie mit seinem einen Arm umfängt und sein bärtiges Haupt weinend auf ihre Schulter sinken läßt.

Meine Geschichte ist aus, denn, wenn ich Ihnen erzählen wollte, wie sich der kühne Mann aus der dänischen Gefangenschaft gerettet, wie er auf dem weiten Wege hierher mehr als einmal vor Krankheit und Schwäche liegen geblieben ist und zu sterben geglaubt und sich dann immer wieder aufgerafft und endlich bis zu uns geschleppt hat, um aus meinem, um aus Bertha's Munde zu hören, daß ihm die Blutschuld, die er in einer Stunde des Wahnsinns auf sich geladen, nun vergeben sei – wollte ich Ihnen das Alles erzählen, würde ich heute Abend nicht mehr zu Ende kommen. Im Dorf hat man dem Konrad seine That nicht vergessen, aber man findet es zweckmäßig, beide Augen zuzudrücken, denn er ist auf dem Bauernhof, den er sich im Anfang mit meinem Gelde gekauft, durch eisernen Fleiß, weise Sparsamkeit und sein großes ökonomisches Talent einer der wohlhabensten Leute im Dorfe geworden, der eine bedeutende Ackerwirthschaft musterhaft verwaltet und an dessen Thür kein Nothleidender je vergebens pocht. Die Gerichte haben ihn unbehelligt gelassen; wo kein Kläger ist, ist eben auch kein Richter. Bertha hat am wenigsten Ursache, sich über ihn zu beklagen. Er liebt sie noch, nachdem ihnen sechs schöne Kinder erblüht sind, mit der ganzen Leidenschaft seiner starken, wilden Seele. Sie ist vollkommen glücklich, und wenn der Dämon der Eifersucht in ihm sich wieder einmal aufbäumt – was allerdings von Zeit zu Zeit noch geschieht – dann hebt sie die Arme gleichzeitig und führt die Hände in einer eigentümlichen, unendlich anmuthigen Weise nach den Seiten des Kopfes, so daß sie mit den Fingerspitzen das schwarze Tuch, das sie stets trägt, rechts und links berührt. Ich selbst habe die Geste einmal gesehen und die Wirkung beobachtet, die sie auf den Mann ausübt. Eine tiefe Gluth schoß in sein Gesicht; er beugte das Haupt und wollte sich entfernen, als seine Frau ihm nacheilte, ihn mit den Armen umschlang und mit einem herzlichen Kuß die so schnell herbeigeführte Versöhnung besiegelte. –

Die muntere Gesellschaft um den runden Tisch war, während die verehrte Frau also erzählte, stiller und stiller geworden. Einer nach dem Andern war aufgestanden und leise herangetreten, zuletzt hatten sich Alle, aufmerksam horchend, um sie gruppirt. Jetzt, als die Erzählerin schwieg, ging eine Bewegung durch die Gruppe; der lange Lieutenant von Prinzhelm seufzte tief und sagte. Auf Ehre, ein süßes Weib, ein famoses Weib, wenn sie auch jedesmal grausam stolz und spröde thut; aber der Mensch, der Konrad, ist, trotz Allem, was Sie ihm nachrühmen, ein sündhaft häßlicher und ganz desperater Kerl, und sein kleines reizendes Weib hat mir immer in der Seele leid gethan. Sie haben ihn viel zu milde behandelt, gnädige Frau; wahrhaftig, das haben Sie.

Das müssen Sie nun schon der Mama zu gute halten, sagte Otto lachend. Sie macht es mit allen Menschen gerade, wie sie es mit uns Kindern machte, wenn wir unartig waren. Erst wollte sie zornig sein und eine Strafpredigt halten, und dann besann sie sich und dachte: die armen Dinger! das will sich doch austoben! und gab uns einen Kuß und ließ uns wieder laufen.

Ja, ja, sagt Emilie; Mama ist eine unverbesserliche Idealistin.

Und sie hat auch diesmal, wie gewöhnlich, allzu rosa gemalt, meinte Ada.

Die Dame hatte, in ihren Fauteuil zurückgelehnt und, mit den guten, geistvollen Augen von Einem der Sprechenden zum Andern blickend, ruhig dagesessen. Jetzt wandte sie den Kopf ein wenig zu mir und sagte mit schalkhaftem Lächeln: Hören Sie wohl! das ist die Strafe für meine Vermessenheit! Ich habe Euch Poeten getadelt, daß Ihr die Wahrheit nicht sagen mögt; jetzt machen mir meine eigenen Kinder denselben Vorwurf. Nehmen Sie um Himmelswillen die Farben nicht noch heller, wenn Sie – und das können Sie ja doch nicht lassen – die Geschichte weiter erzählen.

Ich werde sie, mit Ihrer gütigen Erlaubnis, genau so weiter erzählen, wie ich sie von Ihnen gehört habe, sagte ich.

 
Ende.


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