Friedrich Spielhagen
Die Dorfcoquette
Friedrich Spielhagen

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Ich schlief in dieser Nacht wenig; die böse Geschichte, in der ich, wahrlich nicht aus freien Stücken, eine so verantwortliche Rolle spielte, ging mir fortwährend im Kopfe herum. Was sollte ich mit Bertha machen? Sie fortschicken, sie ihrem Schicksal überlassen? – aber, großer Gott, ein schönes leichtsinniges Mädchen, das hilflos in die Welt hinausgestoßen wird, welchem Schicksal geht es entgegen! Und dann, war ich nicht auch mit Schuld daran, daß sie so geworden war! Wenn ich sie nie ihrem Stande bis zu einem gewissen Grade entfremdet, sie das Bauernmädchen gelassen hätte, als welches ich sie vor sechs Jahren fand – sie wäre ruhig ihren Weg gegangen, hätte sich in ihrer dunkeln Existenz glücklich gefühlt. Nun war sie in eine schiefe Stellung hineingedrängt, die gerade ihr verderblich werden mußte. Nein – ich durfte meine Hand nicht von ihr ziehen, wie sehr sie auch die Theilnahme, ja, ich darf sagen die Liebe, die ich für sie gefühlt, verscherzt hatte.

Aber auf der andern Seite, konnte ich nach dem, was geschehen war, ihre Verbindung mit Konrad befürworten? Daß sie für den Augenblick unter der Last ihres Selbstbewußtseins sehr geschmeidig sein und zu Allem Ja sagen würde, war anzunehmen; aber welchen Werth hatte ein solches Ja! und wie lange würde bei dem Manne die Leidenschaft, die ihn jetzt verblendete und ihn so heiß nach einem Glück verlangen ließ, dessen Werth ihm doch offenbar schon sehr fraglich geworden war, vorhalten? War es nicht das Beste für alle Theile, daß man einen Strich durch die Rechnung machte, die so schlecht stimmte? und sollte man Konrad, wenn man ihm vernünftig zuredete, nicht davon überzeugen können? Gewiß! er war ja, trotz seiner Störrigkeit, Alles in Allem, ein guter, vernünftiger Mensch, und ohne Zweifel hatte ich einen großen Einfluß auf ihn, ich mußte diesen Einfluß geltend machen.

Damit schlief ich gegen Morgen beruhigt ein, ohne zu ahnen, daß noch derselbe Tag mir beweisen würde, wie gröblich ich mich verrechnet.

Ich hatte für diesen Tag meinem Onkel einen Besuch zugesagt und eilte um so mehr, mein Versprechen zu erfüllen, als der alte Herr sich mir in der letzten Zeit vielfach mit Rath und That dienstbar erwiesen und ich gerade jetzt in der Lage war, einen guten Rath gebrauchen zu können. So ließ ich nach Tische anspannen; ich wollte zugleich die Gelegenheit benutzen, auf dem Vorwerk, über das ich doch fahren mußte, mit Konrad zu sprechen.

Ich war in großer Verlegenheit gewesen, wie ich, ohne Bertha ganz preiszugeben, Konrad zureden könnte, von dem Mädchen zu lassen, aber der sonderbare Mann mußte mir von dem Gesicht ablesen, was in meinem Innern vorging. Ja, ja, sagte er, wie als Antwort auf eine bestimmte Frage, während ich noch, ohne zu wissen, wie ich beginnen sollte, stumm vor ihm saß. Ich habe viel Geduld gehabt, jetzt muß dem Dinge ein Ende werden.

Da ich ihn so vorbereitet fand und so ruhig sprechen hörte, glaubte ich ihm meine eigentliche Meinung sagen zu dürfen. – Das ist Alles wohl wahr, gnädige Frau, erwiederte er, aber ich bin ihr nicht nachgelaufen, so soll sie mich auch nicht fortjagen dürfen wie einen Hund. – Er biß die Zähne übereinander, der finstere Dämon, der Gewalt über ihn hatte, schaute ihm bereits aus den blitzenden Augen. – Das ist keine Liebe, rief ich erschrocken, das ist eitel Stolz und Hoffart; das ist Unverstand und Wahnsinn. Wenn Sie durchaus keine Vernunft annehmen wollen, werde ich mich auf Bertha's Seite stellen und sie vor Ihnen in Sicherheit bringen.

Er blickte mich wild und trotzig an; ich war ernstlich erzürnt, wandte ihm den Rücken und schritt nach dem Wagen, der angespannt vor dem Hause hielt. Er kam hinter mir her; als ich schon im Wagen saß, ergriff er in dem Augenblick, als die Pferde anzogen, den Saum meines Kleides und drückte ehrfurchtsvoll einen Kuß darauf.

Ich werde aus dem Menschen nie klug werden, sagte ich zu mir selbst, und so sagte ich eine Stunde später zu meinem Onkel.

Der alte Herr schüttelte den Kopf und erwiederte: Das habe ich schon hundert und tausendmal in ähnlichen Fällen gesagt: wir tappen bei den Leuten so oft im Dunkeln, weil ihre Handlungen aus Seelenzuständen und Stimmungen resultiren, in denen wir uns vielleicht nie befunden haben und die uns deshalb inkommensurabel sind. Weißt Du, was in der Seele des Bettlers vorgeht, der da eben auf den Hof kommt und von meinem Pluto verbellt wird? weiß ich es? wir Beide haben in unserm Leben nicht gebettelt, und selbst die Hunde haben uns respectirt. Bei Deinem Protégé ist es nur zu begreiflich, wenn er anders ist als andere Leute. Der Mensch mag von Natur kein schlechtes Herz haben, aber nachdem sie ihn zehn Jahre lang molestirt und chicanirt, hat sich eine harte Rinde um das weiche Herz gesetzt, wie eine Hornhaut um die zarten Kinderhände, und nun kommen wir und meinen, so ein molestirtes und chicanirtes Herz müsse gerade so klopfen wie das unsere. Du wunderst Dich, daß er nicht von dem Mädchen lassen will, das ihm doch offenbar nicht treu ist. Aber nun nimm einmal Folgendes: Der Mensch hat, sei es aus einer dunklen Pietät, aus naivem Gehorsam gegen früh eingesogene Lehren, sei es aus einem mehr oder weniger klaren Rechtsbewußtsein – die Hände rein erhalten von fremdem Gut in all' seinem Elend, bei den tausend und abertausend Versuchungen, die auf ihn eingestürmt sind. Er weiß, was es heißt: entbehren; er möchte gar zu gern wissen, was es heißt: besitzen. Er glaubt sich dem langersehnten Ziele nahe, glaubt das Mädchen sein nennen zu dürfen. Nun aber soll sie auch sein werden, trotz Himmel und Hölle. Der läßt nicht wieder los, darauf gehe ich jede Wette ein. Und was die Treulosigkeit anbetrifft, darüber haben diese Menschen ihre besonderen Begriffe. Was unter uns eine Trennung für immer nothwendig herbeiführen würde, das macht bei ihnen oft eine Tracht Schläge wieder gut. Für die Bertha wäre es vielleicht sehr vortheilhaft gewesen, wenn sie zur rechten Zeit einmal die schwere Faust ihres Bräutigams gefühlt hätte; das würde sie zur Raison gebracht und unliebsame Weiterungen verhindert haben.

Der Onkel und ich hatten noch manches Geschäftliche miteinander zu besprechen; es war ziemlich spät geworden, als ich mich verabschiedete. Ich ging diesmal nicht, wie wohl sonst, heiter von ihm; die Art, wie der alte Skeptiker über die Sache gesprochen, die mir so sehr am Herzen lag, hatte mich verstimmt und beunruhigt zu gleicher Zeit. Die schöne Bertha mit Schlägen von ihrem Bräutigam gezüchtigt – welch ein abscheuliches Bild! nein! viel eher würde er ihr das Leben selber rauben.

Und während mir diese Gedanken durch die Seele gingen, erfaßte mich eine Angst, die ich nicht bewältigen konnte, wie sehr ich mich auch deshalb schalt. Ich war einen halben Tag von Hause fortgewesen, was konnte unterdessen nicht geschehen sein! Ich hieß den Kutscher so schnell als möglich fahren. Die Pferde griffen mächtig aus; in sausender Eile flog der leichte offene Wagen unter den Chausseebäumen, die im Nachtwinde nickten, dahin; wir rasselten durch das stille Dorf; wir hielten vor dem Hause. An den Fenstern oben werden Lichter hin und her getragen, ein Haufen dunkler Gestalten, der unter den großen Bäumen gestanden und nach den Fenstern hinaufgeschaut hat, drängt sich neugierig-scheu an den Wagen heran. Die alte Haushälterin schiebt den Diener bei Seite und hilft mir heraus.

Was ist geschehen? frage ich mit einer Stimme, die sich vergebens bemüht, fest zu sein.

Was nun geschehen war, ist später so oft durchgesprochen worden, ich habe die Zeugen so genau abgehört, die Hauptbetheiligten haben mir früher oder später eine so offene Beichte abgelegt, daß ich es Ihnen erzählen kann, als wäre ich selbst in jedem Moment zugegen gewesen, als hätte ich selbst Alles mit durchlebt, durchlitten.

Konrad war, nachdem ich ihn verlassen, in einem Zustand, der an Wahnsinn grenzte, zurückgeblieben. Die Gewalt, die sich der seltsame Mann hatte anthun müssen, die Leidenschaft, die sein Herz erfüllt, nicht vor der Herrin zum Ausbruch kommen zu lassen, treibt ihn jetzt, als hätte er einen Mord auf der Seele, durch die Felder. Und er hat einen Mord auf der Seele, im Gedanken hat er seine Geliebte schon getödtet. An den, der sie ihm abspänstig gemacht, denkt er kaum. Er hat die instinctive Ueberzeugung, daß der Mann ganz gleichgiltig ist, daß es auch ein Anderer hätte sein können, daß es ihr wankelmüthiges, treuloses Herz ist, was ihn verrathen hat; daß er dies Herz zum Stillstehen bringen muß, wenn er selbst Ruhe haben will.

So kommt er an den Bach; er setzt sich auf den steilen Rand unter die flüsternden Pappeln und starrt in das Wasser, wie es zu seinen Füßen sich in Wirbeln dreht und dreht, und ein paar Schritt weiter hinter der hohlen Weide, deren Wurzeln schon bloßgelegt sind, in mächtigem Zuge glatt herumschießt. Er hat im vergangenen Herbst mit geholfen, als der Bach abgelassen wurde und an den tieferen Stellen sich die Fische sammelten, bis man sie mit Händen greifen konnte. Diese war eine der tiefsten, zwölf Fuß und darüber. Wer sich einen Stein um den Hals bände und da hinabstürzte, der könnte lange liegen, und das wäre ja wohl das einfachste Mittel, um selber zur Ruhe zu kommen.

Nein, nein, er würde keine Ruhe in seinem nassen Grabe haben, nicht einmal der Körper, den sie über kurz oder lang ja doch finden müßten, geschweige denn die Seele, die, wie der Pastor in der Kirche sagt, nicht sterben kann. Und so eine Seele kann die Augen nicht mehr schließen und ihr Leid verschlafen, sondern muß immer wachen, Tag und Nacht und Nacht und Tag, und keine Mauer und keine Thür hält sie ab, sondern er ist immer bei ihr und sieht ihre Treulosigkeit und kann keine Hand ausstrecken, sie bei der weißen Kehle zu fassen und zu erwürgen.

Und zum andern Male tödtet er sie in Gedanken; er packt nach ihr und schüttelt krampfhaft die starken Arme, als er in die leere Luft greift.

Er springt empor, er will vor sich selbst, vor den Schreckensbildern fliehen, die sein kochendes Hirn heraufbeschwört. Er eilt über die nahe Brücke in den Wald, durch den Wald, bis wo auf der andern Seite ihm ein Blick auf die Berge wird. Sie winken so blau im glanzlosen Licht des sinkenden Tages zu ihm herüber – wenn er in die Welt hineinliefe, so weit ihn seine Füße trügen! Wie weit? nicht zehn Meilen, dann greifen die Gensdarmen den heimathlosen Vagabunden wieder auf und liefern ihn in das Polizeigefängniß ab zu Wasser und Brod – den unverbesserlichen Taugenichts! Und während man ihn mit Wasser und Brod tractirt, oder im Winterwetter auf der grundlosen Landstraße über die Grenze schafft –– welch schöne Zeit hat sie da, mit ihrem Buhlen zu kosen und über den häßlichen Konrad zu lachen, der auch einmal geglaubt hat, er werde die schöne Bertha heirathen! Nein, er kann nicht von hier fort; hier, zum ersten Male in seinem Leben, hat man ihn nicht wie einen Hund behandelt, hier hat er eine gütige Herrschaft gefunden, hier hat er arbeiten können nach Herzenslust, und Dank und Lohn für seine Arbeit gehabt. Er kann das elende Leben nicht von neuem beginnen; ist es hier zu Ende, ist's überall zu Ende, aber für ihn und für sie; sie müssen eben beide sterben.

Muß es denn sein? kann es denn sein? wie soll er es vollbringen?

Es zieht ihm die schwankende Erinnerung an eine Scene aus seiner frühesten Kinderzeit durch den Sinn: wie er in einem Gärtchen gestanden, unter hohen, hohen Blumen, auf die golden die Sonne schien, und hat ein Käferchen gehabt, das ist auf der obern Fläche seiner Hand immer ängstlich umhergelaufen. Da ist ein alter, alter Mann in weißen Haaren – es mag sein Urgroßvater gewesen sein – zu ihm getreten und hat ihm ein Kreuzlein gezeigt, das ist dem Käferchen auf dem Rücken gezeichnet gewesen, und der alte Mann hat gesagt: das Kreuzlein bedeutet, daß der Herr gestorben ist für Mensch und Thier und für das kleinste Würmchen, das auf der Erde kriecht, und darum soll der Mensch keinen Menschen quälen und auch kein Thier und keinen Wurm, sonst fangen des Herrn Wunden wieder an zu bluten, und er sagt's Gott dem Vater, und Gott der Vater straft den Missethäter. Da hat der Knabe das Käferchen auf die nächste Blume gesetzt und hat niemals wieder muthwillig auch nur das kleinste Würmchen geschädigt, und nun – Herr Gott im Himmel droben, was habe ich dir gethan, daß du mich so verfolgst!

Er wirft sich auf die Erde; er rauft das junge Gras, weint und betet, daß Gott den bittern Kelch möge an ihm vorübergehen lassen, daß er ihn erleuchten möge in seiner Leidensnacht; daß er ihm der Engel einen schicke, der ihm sage, wie er sich retten könne aus seiner grimmen Noth.

Da falle ich ihm ein. Mein Weg heimwärts führt an der Stelle vorbei; über den Hügel, der in einiger Entfernung vor ihm aufsteigt und dessen platter Rücken scharf gegen den Abendhimmel abschneidet, muß ich kommen. Ein Zeichen soll ihm sagen, ob Gott ihn erhört. Weiter abwärts, zwischen Wald und Hügel auf der Wiese, weidet der Schäfer seine Heerde; die Thiere ziehen sich langsam nach dem tiefern Grunde, es kann noch eine halbe Stunde dauern, bis das letzte verschwunden ist, – wenn der Wagen während der Zeit über den Hügel kommt, soll ich sein guter Engel sein; er will mir die fürchterlichen Gedanken beichten, die seine Seele umnachten; er will sein Schicksal in meine Hände legen; was ich ihn thun heiße, das will er thun.

Die Heerde wird immer kleiner, immer mehr Schafe verschwinden hinter dem Walde; er betet heiß und heißer und schaut nach dem Weg über den Hügel und dann wieder nach den Schafen; nur wenige sind zurück; jetzt nur noch eins – wenn ich nun nicht komme, ist er verloren. Da sieht er, wie der Hund das zurückgebliebene Schaf wegtreibt, daß es in Galopp der andern Heerde nachspringt. Die Wiese ist leer, der Himmel hat ihn nicht erhört: sein guter Engel ist nicht erschienen.

So mag der Teufel sein Spiel haben!

Er ruft es laut, indem er sich von den Knieen erhebt. Da erscheint auf dem Hügel nicht der Wagen, den er erhofft, sondern eine einzelne Menschengestalt, schier übernatürlich groß, wie sie jetzt auf dem obersten Rande dahinschreitet, so daß sie sich dunkel von dem hellen Abendhimmel abhebt und nun langsam den Hügel herabkommt, querfeldein auf Konrad zu.

Ein Grausen befällt ihn, es ist die Anne-Kathrin, das verrufenste Weib im Dorf; die hat ihm nicht Gott, die hat ihm der Teufel geschickt, aber sie kommt ihm gerade recht; die Anne-Kathrin weiß mehr, als sie von Gotteswegen wissen darf; sie hat ihm im vorigen Herbst, als der Grauschimmel verschlagen war, ein paar Pillen verkauft, die haben dem Thiere alsbald wieder aufgeholfen; und ihn selbst hat sie bei der Gelegenheit gegen die wüthenden Kopfschmerzen einen Thee trinken lassen, da ist's nach ein paar Tagen wieder gut gewesen. Er hat's ungern genug gethan damals, und nur für den Herrn, dessen Lieblingspferd der Grauschimmel war, und daß er den Thee getrunken, hat ihn hernach noch lange gereut; es ist ihm immer gewesen, als ob die Alte ihn mit dem widerlichen Trank vergiftet, trotzdem sie ihn von seinen Schmerzen curirt. Seitdem ist er der Alten aus dem Wege gegangen, wo er irgend konnte, und wo er ihr nicht hat ausweichen können, hat er wenigstens auf die Seite geblickt.

Das thut er heute nicht; heute läßt er sie gerade auf sich zukommen und starrt sie mit weit aufgerissenen Augen an.

Guten Abend, junger Bursch! sagt die Alte, indem sie stehen bleibt, sich mit der linken Hand auf ihren Stock stützend und mit der rechten häßlich in der Luft wackelnd.

Ihr habt mir damals geholfen, sagt Konrad.

Und ich will Dir auch wieder helfen, unterbricht ihn die Alte; komm nur mit, wir können's unterwegs besprechen, wenn Du Dich nicht fürchtest, mit der Anne-Kathrin durch den Wald zu gehen.

Ich fürchte mich vor dem Teufel nicht, sagt Konrad.

Die Alte kichert und hüstelt und wackelt mit dem Kopfe und wackelt mit den beiden Händen, die sie jetzt zusammen auf den Stock gelegt hat, und kichert immerfort vor sich hin und hüstelt und spricht: darfst auch nicht, mein Sohn; wer um solch ein Teufelsmädchen freit, darf sich vor dem Teufel nicht fürchten.

Ihr habt mir's angethan, mit dem verfluchten Trank, schreit Konrad, indem er das Weib an der Schulter packt.

Die Alte weiß am besten, wie unsinnig diese Beschuldigung ist, aber ein jeder Zuwachs zu dem schlimmen Ruf, in welchem sie steht und von welchem sie lebt, ist ihr hoch willkommen. Sie sieht also dem Wüthenden frech in die Augen und sagt: Ei freilich hab ich's, aber was thut man nicht einem so hübschen Mädchen zu Gefallen; sie war ja ganz närrisch in Dich verliebt –

Und jetzt –

Ist sie's in einen Andern, ich weiß, ich weiß, alle Welt weiß es; aber das kommt davon, wenn ein junger Bursch so stolz ist und eine alte Frau, die es gut mit ihm meint, wie einen Hund behandelt und ihr die alten Knochen so durcheinander schüttelt.

Konrad läßt schnell die Alte los; sie nimmt ihren Stock in die Rechte und fängt an, auf den Wald, der nur wenige Schritte entfernt ist, zuzugehen. Konrad bleibt dicht hinter ihr. Ihr müßt mir wieder helfen, murmelt er. Die Alte antwortet nicht und geht weiter. Ihr müßt mir helfen, sagt Konrad noch einmal. Die Alte thut, als hätte sie nichts gehört.

Sie sind in den Wald gelangt; unter den hohen Bäumen, die im Abendwinde rauschen, dunkelt es bereits; von dem kahlen Wipfel einer absterbenden Eiche krächzt eine Krähe; ein Hase läuft, von links kommend, über den Weg.

Ich will Euch meine Seligkeit verschreiben, sagt Konrad.

Die Alte wendet sich plötzlich um.

Da müßt' ich doch erst das Angeld sehen, ehe ich das glaubte; aber so ein Bursch will seine Seligkeit verschreiben und kann sich nicht einmal von einem Thaler trennen.

Zufällig hat Konrad einen harten Thaler in der Tasche, er nimmt das Geld hervor und giebt's der Alten; es fährt ihm durch alle Glieder, als er ihre kalte, knöcherne Hand berührt und ihr dazu in die triefenden Augen sieht; er weiß, daß der Pact damit geschlossen ist, aber er hat nicht geprahlt: er fürchtet sich vor dem Teufel nicht.

Was soll ich thun? fragt er mit heiserer Stimme.

Eigentlich dürft' ich's nicht sagen, erwiedert die Alte, indem sie das Geldstück in ihre große Tasche gleiten läßt; die Bertha verdient nicht, daß ich ihr so einen braven Mann verschaffe, sie hat mich, als sie noch ein kleiner Balg war und neben mir wohnte, immer geneckt und Hexe hinter mir her geschrieen, und das letzte Mal hat sie mich schlecht bezahlt; aber das wirst Du ja wieder gut machen, und was thut man nicht einem solchen hübschen Burschen zu Gefallen.

Konrad lacht bitter. Wenn ich hübsch wäre, sagt er; ja, wenn ich hübsch wäre!

Ja, ja, sagt die Alte, aber das thut nichts, ganz und gar nichts; man kann jedes Mädchen toll vor Liebe machen, und daß sie Einem nachläuft wie ein richtiger Hund, der nicht weggeht, man mag ihn treten und schlagen wie man will. Ja, das kann man.

Konrad ist vor ihr stehen geblieben; er starrt sie mit weitgeöffneten Augen und Mund an; er spricht kein Wort. Welches auch der fürchterliche Zauber sein mag – nur wissen will er's, um es ausführen zu können, es sei auch, was es sei.

Die Alte hat sich auf einen Baumstumpf am Wege gesetzt und wühlt mit ihrem Stocke im Sande; Konrad steht vor ihr, die Alte spricht:

Wenn man um ein hübsches Jüngferchen freit und sie hat allzu feine Ohren und hört auf Jeden, der ihr in den Wurf kommt, so muß der Liebhaber, der erhört sein will, den Andern zuvorkommen und dem Jüngferchen die Ohren stutzen.

Die Alte schweigt, Konrad regt sich nicht; er sagt kein Wort, die Alte fährt fort:

Er muß aber dazu ein Messer nehmen, damit noch kein Thier getödtet und an dem auch sonst kein Tröpflein Blut geklebt und das er auf der Sohle seines linken Stiefels scharf gewetzt hat; das muß er nehmen, und ihr begegnen in der Zeit, wenn der Mond zunimmt, und muß ihr, während er sie herzt und küßt, ein Schnittchen in jedes Ohr machen, tief genug, daß das Blut über die ganze Klinge läuft. Dann muß er das Messer nehmen und es in ein Kohlblatt schlagen, an dem noch keine Raupe gefressen hat, und in derselben Nacht noch muß er es an einem Kreuzweg einscharren, drei Fuß tief, und muß sich gegen Abend wenden und dreimal sprechen: Hilf! und sich gegen Morgen wenden und wieder dreimal sprechen: Hilf! dann wird ihm geholfen werden und er ein liebes Weibchen haben, das zärtlich ist am Abend und am Morgen. – Soll ich es Dir noch einmal sagen?

Nein, ich hab's behalten, erwiedert Konrad und wendet sich zu gehen. Die Alte bleibt auf dem Baumstumpf sitzen und freut sich, während sie dem Enteilenden nachschaut, in ihrem bösen Herzen der Rache, welche sie an dem schnippischen Ding, der Bertha, die sie immer gehaßt hat, nehmen wird, und betrachtet dann wieder wohlgefällig den harten Thaler. Sie hat ihren Spruch gar gut gesagt. Eins oder das Andre vergißt er doch; und wo soll er jetzt im Frühjahr das Kohlblatt hernehmen! Läßt er's aber weg, so bindet der Zauber nicht, und sie hat ihren Thaler redlich verdient. Auf jeden Fall hat sie ihre Rache, die süße Rache!

Unterdessen streift Konrad durch den dunkelnden Wald. Sein Gehirn ist von all dem Denken und Grübeln, von all der Raserei und Verzweiflung und von dem, was er nun zuletzt durchgemacht, ganz zerrüttet. Er will sich den Spruch der Alten noch einmal hersagen: er vermag es nicht. Er blickt empor zur Sichel des zunehmenden Mondes, die golden durch die Zweige glänzt. Der Mond hat in dem Spruch der Alten auch eine Rolle gespielt, er erinnert sich nicht mehr, welche. Ohne zu wissen, wie er dazu gekommen ist, hält er plötzlich das große Einschlagemesser, das er beständig in der Tasche trägt, aufgeklappt in der Hand. Die blanke Klinge blitzt auf in einem Strahl des Mondes, und wie ein Blitz zuckt es durch Konrad's umdunkelte Seele. Der Griff liegt so fest in seiner starken Hand, als wären Griff und Hand eins. Ja, ja das Messer ist es, das gute, scharfe Messer, das andere, was die alte Hexe gesagt, ist alles nur dummer Hokus-Pokus. Ein Schnittchen in's Ohr! ja wohl! das würde was Rechtes helfen; ein Schnittchen thut's wohl nicht; aber ein Schnitt, ein einziger, tüchtiger Schnitt und noch einer und –

Der Unglückliche lacht gell auf, und dann überfällt ihn plötzlich ein seltsamer Schauder; er stößt mit dem Messer vor sich weg in die Luft, als wolle oder könne er sich dadurch den Versucher vom Leibe halten; aber – so oder so – der Versucher will nicht weichen; das fürchterliche Bild, das er einmal heraufbeschworen, will nicht verschwinden. Die Zunge klebt ihm am Gaumen, er schluckt mühsam, als ob er das Blut tränke, das er von ihrem weißen Halse herunter rieseln sieht. Wie ihr das wohl ließe! sie hat so feine, kleine, weiße Ohren, wie Kinderohren! und sie ist so eitel darauf! sie streicht das glänzende braune Haar immer sorgsam an den Schläfen hinauf, daß nur ja die weißen Ohren frei bleiben. Es würde schauderhaft aussehen, nicht für ihn! Was ist es ihm, ob sie Ohren hat, oder nicht, so lange ihre blauen Augen lachen und ihr rother Mund – so lange sich ihr Busen hebt und senkt, – so lange Athem ist in ihrer Brust, so lange sie lebt! – aber für die Andern, für den Herrn von Treche, der ihr dann doch wenigstens nicht in die kleinen weißen Ohren flüstern kann, daß sie die Schönste, die Allerschönste sei, daß er sie lieb habe! o! so lieb! und daß er sie heirathen und zur gnädigen Frau machen wolle! Heirathen! – Und wieder lacht er gell auf! Heirathen! ja wohl! Der wird sie dann nicht heirathen, der nicht, und Keiner sonst, Keiner, Keiner! Dann ist sie für ihn, ganz allein für ihn, für ihn einzig auf der weiten Welt.

Er ist, während so der Tropfen Höllenfeuer, den die Alte in sein Herz gespritzt, von der Gluth seiner Seele genährt, zur wilden Flamme auflodert, immerfort vor sich hin gerannt, ohne zu wissen, wo er sich befindet oder wohin ihn seine Füße tragen, wie in einem wüsten Traum. Plötzlich steht er an dem Graben, der hinter dem Teichgarten wegfließt. Drüben ist die Gartenmauer und in der Mauer die Pforte. Er weiß, sie ist nicht verschlossen; der Gärtner, der aus dem Graben Wasser für seine Beete schöpft, findet es bequemer, sie nicht zu verschließen; auch führt kein Steg hinüber. Konrad hat in diesem Garten im Anfang, als ihm noch keine bestimmte Arbeit zugetheilt war, und er bald hier, bald dort mit zugriff, Bertha zuerst gesehen. Später haben sie hier, wohin sie, – er aus dem Wiesengarten, der an die Ställe grenzt, sie, die den Gartenschlüssel in Verwahrung hatte, – leicht und heimlich gelangen konnten, ihre Zusammenkünfte gehabt, in denen sie ihm tausend und tausendmal unter heißen Küssen ihre Liebe geschworen – und jetzt! Mit einem mächtigen Sprunge ist er über dem Graben; er drückt die Pforte auf, er schleicht in dem schmalen Gange zwischen der Mauer und den Fliederbüschen, die eben die ersten Blätter zu treiben beginnen, hinaus. Mit aller Macht überkommt ihn die Erinnerung an einen Abend im vergangenen Spätherbst – den letzten, wo er sie hier in den Armen gehabt an dem kleinen verfallenen Pavillon in der Ecke, zu dem die morsche Treppe hinaufführt. Sein Herz klopft zum Zerspringen, da muß er sie heute wiedersehen und – da sieht er sie!

Sie sitzt auf der Treppe und lacht zu einem Manne empor, der neben ihr steht und sich jetzt zu ihr herabbeugt. Er nestelt an ihrem Kopf, an ihren Haaren; sie wehrt ihn lachend ab und läßt es sich dann doch gefallen, daß er ihr ein Geschmeide, nachdem er es vor ihren Augen hat spielen lassen, in den Ohren befestigt.

In Konrad's Ohren saust es, seine Schläfe schmerzen ihn, als wollten sie springen, seine Augen glühen, seine Zunge, seine Lippen sind wie verdorrt, er schnappt nach Athem; im nächsten Moment steht er vor der kosenden Gruppe, die, als sie ihn erblickt, voller Entsetzen auseinander fährt. Den Verführer packen, ihn auf die Erde schleudern, ihn, als er sich erhebt und auf ihn eindringt, mit einem Faustschlage nochmals fällen, ist für den starken, wüthenden Mann das Werk von ein paar Augenblicken. Der übel zugerichtete Feigling wagt keinen neuen Angriff. Er erhebt sich zitternd und läuft, laut um Hilfe rufend, so schnell ihn seine Füße tragen können, aus dem Garten, ohne sich nur einmal nach dem armen Mädchen umzusehen, das in der Gewalt des Unsinnigen zurückbleibt.

Sie steht noch immer auf den Treppenstufen; der Schrecken hat ihre Glieder gelähmt. Sie starrt den Mann an, den sie so schändlich verrathen, und versucht mit bleichen, zitternden Lippen zu lächeln. Ihr Lächeln ist sonst sehr süß, jetzt ist es nur ein häßliches Grinsen. Er erkennt sie kaum, so sehr hat die Angst sie entstellt. Die Mondsichel blickt über die hohe Gartenmauer, und zugleich fällt sein Blick auf die Ohrringe, die ihr der Verführer noch eben eingehängt hat. Thu' das fort, schreit er sie an; um Gottes Barmherzigkeit willen: thu' das fort! Sie weiß erst gar nicht, was er von ihr verlangt; als sie es begreift, hebt sie die Hände, aber sie sinken ihr kraftlos herab; wieder lächelt sie ihn mit dem gespenstischen Lächeln von vorhin an. So muß es sein! ruft er mit fürchterlicher Stimme, indem er sie zugleich mit rauher Hand ergreift. Die Todesangst giebt ihr die Besinnung, giebt ihr die Kraft zurück. Sie springt auf und will fliehen; er reißt sie an sich; das Messer blitzt ihr vor den Augen; das ist das Letzte, was sie noch sieht; sie fühlt einen brennenden Schmerz, fühlt, wie ihr das Blut an den Wangen, an dem Hals herunterrieselt, die Sinne schwinden ihr.

Unterdessen hat Herr von Treche auf dem Hofe Lärm gemacht. Es ist die Zeit, wann nach Vollendung der Arbeit gerade viel Knechte und Tagelöhner auf dem Hofe versammelt sind. Er schreit ihnen entgegen: im Teichgarten laufe der Konrad umher, der habe ihn und die Bertha ermorden wollen. Konrad ist wegen seiner Strenge und Redlichkeit bei Allen verhaßt; eine Gelegenheit, sich an ihm zu rächen, kommt ihnen sehr gelegen. Sie ergreifen als Waffen, was ihnen zuerst in die Hände kommt: Stangen, Dreschflegel, Heugabeln, die Weiber schließen sich an; so ziehen sie nach dem Garten. Kaum haben sie, indem Einer den Andern vorschiebt, ein paar Schritte unter den hohen Bäumen gethan, als ihnen Konrad mit dem Mädchen in den Armen entgegen kommt. Mörder! Mörder! schreien sie ihn an, und wollen ihn ergreifen. Er überläßt das Mädchen ein paar Frauen, die sich herandrängen, tritt dann schnell zurück und droht, Jeden, der sich ihm nähere, mit dem Messer, das er über dem Kopf schwingt, zu erstechen. Niemand will sein Leben daran setzen, am wenigsten Herr von Treche, obgleich er am lautesten schreit. Konrad, der sie unentschlossen sieht, wendet sich und ist alsbald unter den Bäumen, in den Büschen verschwunden. Man verfolgt ihn nicht, Alles drängt sich um Bertha, die sich ein wenig zu regen beginnt und also jedenfalls nicht todt ist, zum innigsten Bedauern der Anwesenden, die sich auf das Schrecklichste gefaßt gemacht haben und nun um das tragische Finale so jämmerlich betrogen werden. Doch ist es nur eine Stimme, daß sie noch in dieser Nacht sterben werde. So trägt man sie in's Haus, wo die alte Haushälterin sie in Empfang nimmt und auf ihr Zimmer bringen läßt. Man wäscht das Blut ab, das noch immer aus den Wunden strömt, jammert und ringt die Hände über die grausame Verstümmelung, die an dem schönen Mädchen verübt ist, und vergißt dabei ganz, in die Stadt nach dem Arzt zu schicken.

Dafür ist man draußen um so geschäftiger; man schämt sich, daß man den Bösewicht so leichten Kaufes hat davon kommen lassen. Möglicherweise ist er noch in einem der Gärten versteckt; jedenfalls verlohnt es sich, da man doch einmal beisammen ist, eine Jagd in großem Stil anzustellen. Man bewaffnet sich kriegerischer, als es vorher in der Eile möglich war, man zündet die Laternen an, man nimmt den Hofhund von der Kette; auch mein großer Neufundländer, der mich ausnahmsweise nicht begleitet hat, muß an dem Zuge Theil nehmen. Herr von Treche wird, als man eben aufbrechen will, vermißt. Man hat nicht bemerkt, daß er sich schon vor einer halben Stunde in den Stall geschlichen, sein Pferd gesattelt, zur Hinterthür hinausgezogen hat, aufgesessen und in toller Eile davongeritten ist. Man sucht, man ruft, und entschließt sich endlich, da Suchen und Rufen vergeblich ist, ohne den schnurrbärtigen Helden das Wagestück zu beginnen. Der Haufe zieht in den Garten, man läßt die Hunde los, schlägt auf die Büsche, zertritt die Beete und kehrt nach einer Stunde zurück, wenn auch ohne den Verbrecher, doch in dem süßen Bewußtsein, eine schwere Pflicht mit Selbstaufopferung erfüllt zu haben.

So standen die Dinge, als ich ankam. Mein Gemüth war unterwegs durch die bestimmte Furcht möglicher Schrecknisse, die mich bei der Heimkehr erwarteten, so verdüstert gewesen, daß mich die Wirklichkeit verhältnißmäßig ruhig ließ. Ueberdies war es für die Herrin einfach schicklich, in solcher Lage unter so vielen kopflosen Menschen den Kopf oben zu behalten. Ich hieß die Leute auseinandergehen, es sei für den Augenblick für sie nichts mehr zu thun; dann schrieb ich, noch in den Reisekleidern, ein Billet an den Arzt und ein paar Zeilen an meinen Onkel und befahl, daß zwei reitende Boten sich sofort auf den Weg machten. Das Alles war in wenigen Minuten geschehen, dann folgte ich der Haushälterin in das Zimmer, wohin man das arme Mädchen getragen hatte. Auch hier waren erst drei oder vier unnütze Klageweiber zu vertreiben, bis ich an das Bett, auf dem die Unglückliche noch in ihren Kleidern lag, gelangen konnte.

Ich glaubte auf Alles gefaßt zu sein, dennoch vermochte ich nicht, einen Schrei des Entsetzens zu unterdrücken, als ich den ungeschickten Verband, den man angelegt hatte, entfernte. Wäre das Mädchen wirklich ermordet worden und hätte ich jetzt vor ihrer Leiche gestanden, ich weiß nicht, ob mein Entsetzen größer gewesen wäre. Hier war etwas Unbegreifliches, Unfaßliches, für meine Empfindung unsäglich Grauenhaftes. Den Leib tödten, weil man sonst nicht an die Seele, die uns beleidigt hat, kommen kann oder kommen zu können glaubt, das hätte ich verstehen, nachfühlen können; aber den Leib verstümmeln, diesen schönen Kopf für immer zu einer Carricatur machen – ich würde vergeblich versuchen, Ihnen meine Empörung zu schildern. Ich war beinahe außer mir; ich wiederholte mir immerfort: das ist nicht die That eines von der Leidenschaft Ueberwältigten, das ist das Werk eines Teufels.

Und wer war dieser Teufel? der Mann, auf dessen Redlichkeit ich so fest vertraut hatte, der mir hundert Beweise seiner Bravheit, seines Opfermuthes, seiner Anhänglichkeit gegeben, dem ich noch vor wenigen Stunden, wenn es hätte sein müssen, mich selbst, meine Kinder anvertraut haben würde – mich schauderte vor den entsetzlichen Tiefen des Menschenherzens, die sich hier plötzlich dem schwindelnden Blick aufschlossen; aber Abscheu war doch die herrschende Empfindung, tiefster Abscheu vor dem Thäter und seiner That, und Mitleid, innigstes Mitleid mit seinem unglücklichen Opfer, das noch immer nicht wieder zur Besinnung gekommen war und jetzt im Wundfieber zu lachen und abgerissene Strophen aus ihren Lieblingsliedern zu singen begann.

Ihr Zustand, den ich bis dahin für nicht absolut gefährlich gehalten hatte, begann mich zu ängstigen, dabei konnte der Doctor im besten Falle vor zwei Stunden nicht eintreffen. Wie angenehm war ich deshalb überrascht, als ich jetzt einen Wagen vorfahren hörte und eine Minute später der so sehnlichst Erwartete in's Zimmer trat. Er ließ sich in seiner mir längst bekannten Weise nicht weiter auf Fragen ein, sondern trat sofort an's Bett und begann seine Untersuchung. Ich sah ihn wiederholt den Kopf schütteln. Es ist lebensgefährlich? fragte ich leise. – O nein, das nicht, erwiederte er, und fuhr ruhig in seiner Arbeit fort, legte den Verband an, traf die nöthigen Anordnungen, und sagte, daß jetzt vorläufig nichts weiter zu thun sei.

Wir gingen hinaus. Er wiederholte seine Versicherung, daß eigentliche Gefahr nicht vorhanden, es müßten denn besonders ungünstige Verhältnisse, die er aber keineswegs befürchte, eintreten. Das Fieber sei jetzt sehr stark, werde aber bald nachlassen; um Bertha's Schönheit sei es freilich für immer geschehen. Zuletzt fragte er, wonach mancher Andere zuerst gefragt haben würde: wie denn dies Alles so gekommen? Ich erzählte ihm, was ich wußte. – Das ist kurios, das ist kurios, darüber muß man sich wirklich wundern, wiederholte er einmal über das andere; und wissen Sie denn, wem wir's zu verdanken haben, daß ich so früh gekommen bin? demselben Manne, der das arme Mädchen in diesen Zustand gebracht hat. – Unmöglich! rief ich. – Und doch ist es so, fuhr er fort. Vor zwei Stunden werde ich in der Ressource vom Taroktisch weggeholt. Draußen halte ein Reiter, sagt mir der Kellner, der mich selbst zu sprechen wünsche. Ich gehe hinaus. Neben einem Pferde, das, wie ich beim Scheine der Laterne sehe, mit Schaum bedeckt ist und dessen Weichen fliegen, steht Konrad. – Was giebt's, Konrad? – Sie müssen sofort kommen. – Aber was giebt es denn? – Ich kann es nicht sagen, aber Sie müssen sofort kommen. – Die gnädige Frau? eines von den Kindern? – Nein, die Bertha . . damit sitzt er schon wieder im Sattel. Ja, mein Gott, sage ich; aber da giebt er dem Pferde die Sporen, und fort geht's im Galopp die Straße hinab. Ich machte, daß ich nach Hause und in den Wagen kam, es mußte wohl Gefahr im Verzuge sein, wenn sich der Konrad, den ich als einen so vernünftigen, kaltblütigen Menschen kannte, so toll geberden konnte. Freilich, dacht' ich, er ist der Bräutigam des Mädchens – wenn ich dies hätte ahnen können! Aber jetzt will ich noch einmal nach unserer Patientin sehen. Sie müssen sich unbedingt zur Ruhe begeben; Sie können gar nichts mehr helfen; ich stehe Ihnen für Alles.

Damit verließ er mich; ich dachte natürlich nicht daran, zu Bett zu gehen; ich erwartete den Onkel, dessen Wagen dann auch alsbald in den Hof rollte. – Nun, habe ich's nicht gesagt, rief er noch im Hereintreten, das Bauernvolk, ja das Bauernvolk! mit dem lasse man sich nur ein, und man wird bald erfahren, daß zwei mal zwei nicht vier, sondern fünf oder, der Himmel mag wissen, was ist. Wo steckt denn der Hallunke? Und in tausend Stücke hat er das arme Mädchen zerschnitten?

Ich erzählte dem alten Herrn, den der verwirrte Bericht, welchen er von meinem Boten empfangen, denn doch etwas aus seiner gewöhnlichen satirischen Stimmung aufgeschreckt hatte, wie die Sachen liegen. Er ließ mich kaum zu Ende reden. – Da siehst Du's, rief er; schneidet dem Mädchen die Ohren ab, oder halb ab, was weiß ich! Welcher vernünftige Mensch würde wohl je auf einen so verrückten Gedanken kommen! aber – unterbrach er sich, indem er dabei den Finger an die große Habichtsnase legte – so dumm ist der Einfall nicht, ja, wenn man's recht überlegt, eigentlich sehr pfiffig, sehr gescheidt. Das Mädchen hat nicht hören wollen, nun, denkt er, dann soll sie fühlen. Sie hat sich immer wunder wie viel auf ihr hübsches Mäskchen eingebildet, sie hat es überall zu Markte getragen, das soll sie nun wohl bleiben lassen, und kann heilfroh sein, wenn ich sie hinterher noch nehme. Nun, nun, ich weiß, was Du sagen willst. Wir sind aufgeregt, wir sind empört, wir sind moralisch und ästhetisch beleidigt, wir glauben uns in die dunkelsten Zeiten des Mittelalters zurückversetzt; und darüber vergessen wir das Nothwendigste, das heißt, den Verbrecher zur gerechten Strafe zu ziehen, und vor Allem erst einmal dingfest zu machen, denn darin sind wir doch immer noch wie die alten, ehrlichen Spießbürger von Nürnberg, und hängen Keinen, bevor wir ihn haben.

Hatten mir die leichtfertigen Worte des alten Herrn wirklich wehe gethan, so war ich jetzt, als er alles Ernstes entschlossen schien, Konrad womöglich zur Haft zu bringen, heftig erschrocken. In diesem Augenblicke fühlte ich wieder lebhaft, wie hoch der Mann in meiner Achtung gestanden hatte; der Gedanke, ihn als Verbrecher vor mir, ihn den Gerichten ausgeliefert zu sehen, machte mein Herz klopfen. Ich legte dem Onkel, der zur Thür hinaus wollte, die Hand auf den Arm: er ist immer sehr gut gegen die Kinder gewesen, sagte ich; er hat an meines Gatten Sterbebett mit mir gestanden – Und schneidet jetzt einem armen Mädchen, die das Unglück hat, einen Anderen liebenswürdiger zu finden, die Ohren ab und wird ihr das nächste Mal den Kopf abschneiden! – Nein, nein! fuhr der alte Herr fort, nur keine Sentimentalitäten diesen Leuten gegenüber! Das fehlte noch, daß wir einen so desperaten Menschen auf freien Füßen ließen, da muß ein Exempel statuirt werden, sonst wäre bald Niemand mehr seines Lebens sicher.

Damit eilte er hinaus. Ich bekenne, daß ich da in heiße Thränen ausbrach und die folgende Stunde in einer fieberhaften Unruhe verbrachte. Endlich kam der Onkel mit den Leuten zurück. Sie hatten das Vorwerk abgesucht und wohl das Pferd, das Konrad auf dem Wege nach dem Doctor geritten, im Stalle vorgefunden, aber weder dort, noch im Hause, noch irgendwo sonst den Reiter. Ein Knecht hatte ausgesagt, er habe gesehen, daß Konrad das Thier gesattelt, und daß, als er nach anderthalb Stunden wiedergekommen, es selbst in den Stall gezogen und abgerieben habe. Dann sei er in's Haus gegangen und nach einigen Minuten wieder in den Stall gekommen, habe, wie er es immer zu thun gepflegt, die Runde gemacht, ihm (dem Knecht) aufgetragen, heute Nacht besonders sorgsam zu sein, da er selbst noch einmal fort müsse. Darauf sei er in der That fortgegangen, und, was den Knecht sehr gewundert, querfeldein in der Richtung nach dem Walde.

Da wollen wir morgen weiter suchen, sagte der Onkel, und nun bitte ich dringend um mein Bett.

Er ging zur Ruhe, und auch der Doctor legte sich schlafen, nachdem er mich noch einmal versichert, daß es mit Bertha schlechterdings keine Gefahr habe. Gott sei Dank! sagte ich, und bei mir selbst sprach ich: Und Gott sei Dank, daß sie ihn nicht gefunden haben!


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