Heinrich Smidt
Meeresstille und hohe See
Heinrich Smidt

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Der Kaper.

Zu Pillau geschah es um das Jahr 1656. War dazumal eine regsame Zeit in den preußischen Landen! Hatten sich früher im Oberland, im Sammland und wo sonst der schwarze Adler horstete, vielerlei herausnehmen dürfen. Die Herren von der Ritterschaft und die freien Bürger hörten die Ermahnungen der kurfürstlichen Kammermeister geduldig oder ungeduldig an, je nachdem ihnen der Kopf stand, und hernach taten sie, was ihnen beliebte, wollten keine geworbenen Truppen im Lande haben, sondern die eigenen Bewohner sollten es mit Leib und Leben schützen. Aber wenn der Pole oder sonst ein Feind sich an der Grenze blicken ließ, blieben des Landes Kinder daheim und dachten: »Laßt den gestrengen Herrn in Berlin nur selbst sorgen, das ist ein tapferer Mann.« Kam darauf eine Botschaft von dorther, daß sie den Beutel ziehen sollten, damit die nötigen Kriegskosten zusammenkämen, schlichen sie achselzuckend beiseite und es gab Ausflüchte über Ausflüchte.

Das ward anders, als Herr Georg Wilhelm das Zeitliche segnete und den Kurhut vererbte auf seinen Sohn Friedrich Wilhelm, den bald Freund und Feind den Großen Kurfürsten nannte. Zwar blieben sie noch immer aufsässig genug und hatten das große Wort; doch taten sie meistens des Fürsten Willen und man konnte spüren, daß ein Herr im Lande walte.

Seit mehreren Wochen war es bei allen Bewohnern in Pillau zur Gewißheit geworden, daß es ehestens etwas Absonderliches geben werde. Es klang freilich unglaublich und wollte keinem anfänglich recht einleuchten; aber sie mußten sich endlich fügen. Es hieß, der Kurfürst lasse sich mit der Herrschaft zu Lande nicht mehr begnügen, sondern wolle es auch zur See versuchen, und es denen von Holland, Dänemark und Schweden gleichtun. Hatten erst weidlich darüber gelacht hinter den Bierkrügen und die Weisen hatten mit den Köpfen geschüttelt oder die Hände seufzend über den Bauch gefaltet, je nachdem, was sie aber bei dem Lachen nebenher noch insgeheim dachten, das schluckten sie mit dem Bier wohlweislich hinunter, weil sie es sich nicht zu sagen getrauten.

Bald war es aber mehr als Spaß. Der kurfürstliche Oberst Johann Hille, welcher zugleich ein seebefahrener Mann und ein unerschrockener Soldat war, wurde zum Kommandanten des ersten kurbrandenburgischen Kriegsschiffes ernannt, der »Clevesche Lindenbaum« geheißen, welches sechzehn Stücke führte. Wie vom Himmel gefallen, war dies Schiff plötzlich vor dem Hafen von Pillau erschienen. Kein Mensch wußte, woher es gekommen. Als eines Morgens die Sonne den Hafen beleuchtete, lag es dicht davor mit geöffneten Geschützpforten, eine tüchtige Mannschaft auf dem Decke, mit blendend weißen Segeln an den Rahen und dem kurbrandenburgischen roten Adler an der Gaffel.

Nun gab es ein Flüstern und Zischeln und Köpfezusammenstecken. Woher kommt das Schiff? Was will es hier? Wohin wird es gehen? Und was soll es draußen in der See? Müßiges Volk, welches sich in jeder Hafenstadt den geschlagenen Tag am Wasser herumtreibt, suchte sich an die Mannschaft zu drängen, wenn etliche von derselben zu Lande kamen und begehrten gute Kameradschaft zu machen. Aber diese hatten entweder strenge Order oder sie mochten sich nicht mit den Tagedieben abgeben, und antworteten kurz, sie wüßten von nichts. An den Herrn Kommandanten aber, wenn er vom Bord an das Land ging oder zurück, wagten sie sich nicht zu wenden, denn dieser sah zu ernst und strenge darein. Und selbst in der Herrenstube, wo er manchmal einen frischen Trunk begehrte, scheuten sich die angesehenen Bürger, ihn um den eigentlichen Zweck des Orlogschiffes zu befragen, weil es bekannt geworden, wie er einem jungen Königsberger Patrizier, der etwas mit dem Maule vorweg gewesen, zur Antwort gab: Kurfürstliche Durchlaucht habe ihm zu schweigen befohlen und dasselbe empfehle er ihm auch.

Da traf es sich eines Abends, als die Sonne sich stark neigte und einen Scheideblick durch die Fenster warf, der in den blanken Krügen widerspiegelte, daß zwei Männer, die miteinander über die schweren Zeitläufte einen weisen Diskurs geführt hatten, sich bei dem Eintritt eines Dritten unterbrachen, indem der eine sagte:

»Was wissen wir? Aber da kommt der Herr Kammermeister Siegfried, der über diese Dinge genau unterrichtet sein muß, und uns, wenn er sonst will, mit Bestimmtheit sagen kann, was all das Geheimtun in unserm Städtlein zu bedeuten hat.«

Der Kammermeister legte mit aller Gemütsruhe seinen Regenmantel ab, hing Hut und Stock säuberlich an den Nagel und rückte die Perücke zurecht. Dann setzte er sich zu den beiden Herren, mit denen er von lange her befreundet war, an den Tisch und sagte nachdenklich:

»Ihr meint das Schiff mit seinen sechzehn Geschützröhren, das allen guten Pillauern zum Schrecken sich plötzlich in diesen Hafen hinein verirrt hat? Wer nur selbst etwas wüßte. Aber das wird ja alles so kachiert und sekretiert, daß man nicht das geringste erfährt.«

»Gelt, Herr Kammermeister, Ihr wollt nur nicht mit der Sprache heraus, sonst wäre es Euch ein Leichtes. Liegt ja alles offen vor Euch da.«

»Offen ist in dieser Angelegenheit nichts als meine Kassa,« seufzte Herr Siegfried. »Weil jeder so oft und so viel exigieret, daß kaum eine Gelegenheit ist, sie nur unterweilen zu schließen. Dagegen arriviert es ihr nimmer, daß sie auch nur mit einem baren Gulden bereichert wird.«

»Ja, das kennt man bei euch Herrn. Hohe kurfürstliche Kammer hat auf Nachfrage nie einen Groschen. Und doch weiß sie . . . Aber da kommt, wenn ich mich nicht irre, einer Eurer Sekretarien. Er hat sich schon dreimal verneigt, ehe er sich über die Schwelle wagte, und macht ein gar pfiffiges Gesicht. Gelt, Gevatter Kammermeister, der bringt uns den gewünschten Aufschluß.«

Der Kammermeister hatte sich umgewendet und sah einen der Kanzlisten, der ihm zunickte, aber den Mund nicht zu öffnen wagte.

»Warum dringt man hier ein? Was will man? Hat es so große Not, daß man mir die nötigste Rekreation mißgönnt?«

»Halten zu Gnaden, Euer Gestrengen,« sagte jener mit den Achseln zuckend und abwehrend. »Würde mich nicht unterstanden haben, hierher zu kommen auf die Herrenstube; allein eine hochwichtige Person verlangen expreß nach dem Herrn Kammermeister.«

»Und wenn es der Derfflinger oder der Sparr in eigener Person wären.«

»Die sind es aber nicht.«

»Oder meinetwegen des Kurfürsten Durchlaucht selbst!« sagte der Kammermeister, sich brüstend.

»Noch minder sind es Seine Hochfürstliche Gnaden, so sich in der Kammermeisterei befinden.«

»Man räsonniere nicht. Wer ist da?«

»Es sind der Herr Oberst Johann Hille, der das große Kanonenschiff befehligt. Er geht in der Kanzlei mit großen Schritten auf und ab und hat begehrt, Euch allsogleich zu sprechen. Allsogleich und in des drei Teufels Namen, befehlen der Herr Oberst, und ich bin gelaufen, was ich konnte, um Euch das anzusagen.«

»Denken solche Herren, daß man nichts anderes zu tun hat, als stets zu ihren Diensten zu sein?« sagte der Kammermeister, blutrot vor Zorn, und warf die Nase hoch, als schere er sich nicht so viel um den Obersten, stülpte aber doch den Hut auf den Kopf, vergaß in aller Hast den Regenmantel und rannte mit einem mürrischen guten Abend davon.

»Das bedeutet etwas!« sagte einer der zurückgebliebenen Bürger und sein Nachbar winkte den Kanzlisten zu sich.

»Sagt uns doch unbeschwert, Herr Kanzellar.« – Es war warm draußen und ein kühler Trunk nicht zu verachten. – »Darf ich Euch meinen Krug anbieten?«

»Der Herr ist gar zu gütig!« entgegnete jener und langte zu mit linkischer Hast.

»Erlaubt eine Frage,« sagte der Bürger. »Des Herrn Obersten Gnaden ist also auf der Kammermeisterei? Habt Ihr nicht gehört, Herr . . . Hansel! Noch einen Krug für den Herrn Kanzellar . . . Woher weht eigentlich der Wind?«

»Gerade Nord-Nord-West, Herr!«

»Ihr Spaßvogel. Das meine ich nicht. Da ist ein frischer Krug. Wohl bekomm er Euch. Nun, was meint Ihr dazu? Ein feiner Trunk. Der arme Kammermeister muß das jetzt entbehren. Was kann der Oberst zu so später Abendzeit noch wollen? Was soll es geben?«

Der Kanzlist machte ein gar wichtiges Gesicht, trank sein Bier mit aller Gemütlichkeit bis auf den letzten Tropfen, sah sich darauf nach allen Seiten um, ob auch ein dritter da sei, der ihn verraten könne, beugte sich zu dem horchenden Bürger herab, flüsterte diesem zu: »Kaperbriefe!« und eilte spornstreichs hinter seinem Herrn drein.

Kaperbriefe!

Das Wort war wie ein Donner auf das Haupt des friedlichen Bürgers herabgefahren. Er hatte auch ein Galiot draußen mit allerlei guten Dingen, als indischen Gewürzen und feinen Stoffen beladen, von denen er einen erklecklichen Gewinn hoffte. Und nun Kaperbriefe.

»Dieser Kurfürst ist zum Ruin des Landes auf die Welt gekommen!« brummte er ingrimmig vor sich hin und sprang auf, denn das Bier war ihm versalzen. Er ging in großer Aufregung nach Hause, die sich noch beträchtlich erhöhte, weil seine erhitzte Phantasie die bedrohlichen Kaperschiffe, die der Feind zur Revanche ausrüsten könne, nach allen Richtungen hin auf dem Straßenpflaster vor sich hertanzen sah.

In der Kajüte des »Cleveschen Lindenbaums« saß an der inmitten derselben am Boden festgesurrten Tafel der Artillerieoberst und erste kurbrandenburgische Kapitän zur See Johann Hille. Die vor ihm liegenden Karten schob er beiseite, sah hinauf zu dem Kompaß, der zu seinem Haupte hing und trommelte ungeduldig gegen die Lehne des Stuhls. Der Schreiber, der an dem Ende der Tafel seinen Platz hatte und wohl wußte, daß diese schlimmen Zeichen ihm galten, tunkte die Feder statt in die Tinte in den Streusand und machte ein großes P für ein kleines, was man sich damals überhaupt nicht übel nahm und sprang dann auf, einen vollgeschriebenen Bogen vor dem Kapitän niederlegend. Zu derselben Zeit trat der erste Offizier des Schiffes ein.

Der Kapitän-Oberst sah die Schrift an und rief dem Schreiber zu:

»Kein Wort kommt von dem allen über Eure Lippen, sonst . . .«

Der Schreiber legte die Hand auf das Herz, verbeugte sich tief und verschwand.

Der erste Offizier sah dem Tintenkleckser mit einem Blicke unaussprechlicher Verachtung nach, schenkte seinem Obersten dafür, daß er sich mit solchem Volke abgeben müsse, einen Blick des Mitleids und harrte geduldig, was jener sagen würde.

»Leutnant Lamm,« sprach Herr Johann Hille – nach einer Pause. »Hier ist Arbeit vollauf. Es ist Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht strikter Befehl, daß die Flagge mit dem roten Adler sich jetzt vor aller Welt als Kriegsflagge in offener See zeigen soll.«

»Endlich!« rief der Leutnant. »Haltet es mir zugute, Kapitän, daß ich von hier nicht hergehörenden Dingen schwatze, aber mir schlägt ordentlich das Herz, daß es endlich losgehen soll.«

»Verschießt Euer Pulver nicht zur unrechten Zeit, alter Maat. Ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Ja, wenn die Sache so, wie Seine Kurfürstliche Durchlaucht sie begonnen haben, auch zu Ende geführt würde, dann möchte es hingehen. Aber, da reden die Berliner Geheimräte, die von dem Salzwasser nichts wissen, als daß der Dorsch darin umherschwimmt, schon jetzt darein. Sie meinen dies und das, bis der Herr verdrießlich wird und den haltlos gewordenen Plunder beiseite wirft.«

»Wie lautet denn, mit Verlaub, eigentlich die Order?« fragte Leutnant Lamm mit offenem Munde.

»Da liegt das kurfürstliche Edikt. Sollen, Wind und Wetter dienend, sogleich den Anker lichten und den Kurs auf Kolberg segeln, um unsere Ladung dort abzusetzen. Diese Ladung, wißt Ihr, ist ein purer Vorwand, um dort hinkommen zu können und einzuladen, was hier an Waffen und Munition für den kurfürstlichen Dienst nottut. Wer weiß, wieviel davon tauglich ist für 'nen ordentlichen Krieg, da die Berliner Perücken das Aussuchen gehabt haben. Aber das geht uns nichts an. Nun heißt es weiter: Wenn wir draußen fremdherrlichen Schiffen begegnen, zum Beispiel die von dem Orlog der Herrn Generalstaaten, dann sollen wir Miene machen, als wollten wir den Flaggensalut zuerst geben; eigentlich aber sollen wir abwarten, ob sie uns mit ihrem Gruße nicht zuvorkommen und dann wieder salutieren. Rühren sie aber die Flaggenleine nicht an, dann sollen wir es auch nur bleiben lassen.«

»Bleiben lassen!« brummte der Leutnant, in Gedanken seinem Kapitän folgend, vor sich in den Bart.

»Wozu nutzt dieser Schein?« fuhr jener fort. »Können wir nicht gleich grob genug sein und sagen: Wenn ihr uns nicht zuerst grüßen wollt, wir wollen es gewiß nicht, und somit hole euch der Teufel. Sind Brandenburg und Preußen nicht ebensoviel wert, als so ein paar zusammengebackene Generalstaaten? Der Kurfürst, denke ich, kann mit seinen Generalen mehr Staat machen als diese Holländer, die sonst ganz tüchtige Seeleute sind, mit den ihrigen.«

»Werde mich während meiner Wache strikte an die kurfürstliche Order halten,« sagte der Leutnant, die Hand an die Mütze legend.

»Das ist auch Eure Schuldigkeit!« fuhr der Kapitän auf und sagte dann gelassener: »Bleibt Euch übrigens unbenommen, Euch zu ärgern, daß wir uns drehen und wenden und jedenfalls zuerst salutieren sollen, wenn uns Dänen und Schweden, Engländer und Franzosen und andere königliche Kriegsfahrzeuge begegnen. Wozu das? Der rote Adler kann so gut eine Krone auf dem Kopfe tragen als der dänische Löwe, und brandenburgische Kurfürsten sind ganz aus dem markigen Holze . . . Aber es soll einmal sein, und ich schärfe es Euch ein, Leutnant Lamm, daß Ihr buchstäblich nach der erhaltenen Order verfahrt.«

»Mit allem schuldigen Respekt!« sagte der Leutnant und legte abermals die Hand an die Mütze.

»Nun kommt noch ein Einfall, der nur unter einer bocksteifen Perücke ausgebrütet ward, aber zur See den Teufel nichts wert ist. Wenn die fremden Orlogschiffe den ›Cleveschen Lindenbaum‹ nicht als Kriegsfahrzeug anerkennen wollen, sagt das Papier, sollen wir ihnen auf jede Weise, wie das zur See angänglich, zu verstehen geben, daß dies ein Schiff seiner Kurfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg ist, dessen Kriegsflagge sich zum ersten Male in der Ostsee zeigt.«

»Donnerwetter!« brach der Leutnant los, legte aber gleich darauf die Hand wieder an die Mütze und sagte: »Nichts für ungut, Kapitän.«

»Legt Euch keinen Zwang an, Leutnant. Wollen sie nicht auf der See den roten Adler respektieren, vor dessen Klauen sie doch auf dem Lande zittern und beben? Wüßte schon ein Mittel, ihnen den Respekt dafür unfehlbar beizubringen. Käme so ein englischer oder französischer Windbeutel daher und wollte nicht zu gleicher Zeit mit uns den Salut wechseln, ließ ich die Bramsegel streichen, damit der Topp klar würde, dann, die Flagge dicht unter dem Knopf, scharf auf seine Breitseite losgesteuert und . . .«

»Feuer am Backbord und am Steuerbord!« fiel Leutnant Lamm ein, der mit beiden Armen jede Bewegung des Kapitäns nachgeahmt hatte.

»Nein, Leutnant, das geht nicht. Aber ich würde dicht an seinem Luf (Windseite) hinstreichen und wenn er dann zuerst anfinge – ohne daß man ihm eine Veranlassung gibt und ganz aus freien Stücken – dann sollten sie sehen, daß der rote Adler nicht bloß Flügel, sondern auch Krallen und einen scharfen Schnabel hat. Bei alledem, Leutnant Lamm, ist es nicht gut, wenn Offiziere über kurfürstliche Befehle ein loses Maul haben. Geschieht das auf dem Halbdeck, was soll erst vor dem Fockmaste geschehen? Also behaltet Eure Weisheit für Euch, und sagt mir, ob Ihr Euch in der Stadt nach einigen tüchtigen Kerlen umgesehen habt?«

»Habe, Kapitän. Und einen der besten habe ich gleich mit zur Stelle gebracht. Lehnt am Treppengeländer auf dem Kajütsgange, wißt Ihr. Soll es jetzt losgehen?«

»Freilich soll es. Aber nicht offen, sondern auf Berlinische Weise und mit vielen Zeremonien. Da möchte man . . .«

Der Leutnant sah den Kapitän erwartungsvoll an und streckte schon wieder die Arme aus. Aber der Kapitän zog die seinigen zurück und sagte:

»Wie der Kurs angegeben wird, soll man steuern, keinen Viertelstrich zu Luf oder Lee, und ginge es dem Teufel geradesweges in den Rachen. Laßt den Mann kommen.«

»Zu Befehl, Kapitän!« sagte der Leutnant und ging hinaus.

Gleich darauf trat ein Mann in die Kajüte. Es war eine jener Gestalten, wie sie an den Küsten einer unserer beiden deutschen Meere oft gesehen werden, mittelgroß, kräftig und mit blitzenden Augen. Unbeholfen an der fasten Wall, flink wie ein Eichhörnchen in die Wanten (Masttaue) hinauf. In einer Minute vom Deck bis zum Brammast; Kerle mit einem wettergebräunten Gesicht von Furchen durchzogen, mit einigem Anfluge von Kupfer auf den Backen und einigen Silberfäden im buschigen Bart.

»Behaltene Reise, Kapitän, und eine schmucke Kühlte (Wind) allezeit, was soll es geben?«

»Das muß ich von Euch hören, Mann. Was habt Ihr zu geben?«

»Ein Schiff mit starken Rippen und sechs Geschützen. Tüchtiges Volk mit markigen Knochen am Bord, voll Lust zum neuen Gewerbe. Zuletzt mich selbst, was zwar nicht viel ist, aber für den kurfürstlichen Kaperdienst gerade ausreicht.«

»Wer hat Euch denn gesagt, daß hier von Kaperei die Rede ist?«

»Nicht?« entgegnete jener und wandte sich der Tür zu. »Dann wünsche ich Euch eine gute Rüst.«

»Wartet doch!« rief der Kapitän. »Seid Ihr so kurz angebunden?«

»Kurz wie ein Tauend. Also gebt ein Ende nach und sagt, daß gekapert werden soll.«

»Gut denn. Ihr könnt einen Kaperbrief haben. Aber nur auf Danziger Gut.«

»Das ist mir gerade recht. Ich liebe dies Danzig.«

»Was Ihr kapert, davon geht der zehnte Teil in die Kasse des Kurfürsten.«

»Wie es Kapergebrauch ist.«

»Das andere bleibt Euch und Euren Leuten. Ihr lebt auf Eure Kosten und ranzioniert Euch selbst. Wenn Ihr klug seid, bleibt Ihr unverletzt; laßt Ihr Euch fangen, werdet Ihr aufgeknüpft.«

»Alles nach Seerecht!« antwortete der Mann gleichgültig.

»Wann könnt Ihr in See gehen?«

»Alllstunds, wenn es sein muß. Sonst in zwei Etmal (Zeit von Mittag zu Mittag) aufs höchste.«

»Je eher, je besser. Laßt mich Eure Bürgschaft sehen.«

Der fremde Seemann legte einige Papiere auf die Tafel und blieb dann unbeweglich stehen.

»Das genügt,« sagte der Kapitän nach einer Pause. »Diese Papiere bleiben natürlich in meinem Gewahrsam. Dafür stelle ich Euch den verlangten Kaperbrief aus. Welchen Namen soll ich hineinschreiben?«

»Danziger Totenkopf!« sagte der Seemann und seine Augen leuchteten.

»Schiffsname vermutlich?«

»Das Schiff und sein Führer sind eins. Sie heißen mitsammen der ›Danziger Totenkopf‹. Schreibt es nur hin, wenn es gefällig. Wann ist es Euch genehm, bei mir an Bord zu kommen und nachzusehen, daß alles nach Kapergebrauch vorhanden ist?«

»Morgen früh um neun Uhr.«

»Will zur Minute parat sein, Euch abzuholen.«

»Habt Ihr mir sonst noch etwas wegen Lebens und Sterbens zu vertrauen?«

»Wüßte nicht. Mein Volk ist los und ledig und kümmert sich wenig um die faste Wall. Wenn der ›Danziger Totenkopf‹ draufgeht . . . Er ist bezahlt, Herr, und es hat niemand eines Pfennigs Wert daran zu fordern. Ehe er aber draufgeht, wird er sich wehren, so gut er kann. Also, morgen früh um neun. Gute Rüst.«

Der Kaper ging.

Das war ein Flüstern und Winken, ein Kommen und Gehen, ein Fragen und Antworten am Strande, als nun plötzlich statt des einen bewaffneten Fahrzeuges deren zwei vor Pillau ankerten. Die Bürger wollten jetzt erst recht viel wissen, der Kammermeister wußte noch weniger zu sagen und der Kanzlist hatte nichts mehr zu verraten. Von dem zuletzt angelangten Schiffe, dessen Rumpf ganz schwarz gestrichen und das ohne jedes Abzeichen war, stieß ein Boot ab, das zum »Cleveschen Lindenbaum« hinüberruderte. Der Kapitän-Oberst fuhr in seiner Staatsschaluppe nach dem fremden Fahrzeuge, welches nach dem vornehmen Besuche sogleich die Anker lichtete und in See ging. Ein Etmal später setzte der »Clevesche Lindenbaum« seinen Kurs nach Colberg.

Es ist auf hoher See. Ringsumher die weite, grüne Fläche, die ruhelose, ewig schwankende, in deren tiefem Schoße alles ruht. Hügel und Täler rauschen und brausen aneinander vorüber, steigend und sinkend, in stetem Wechsel bald so, bald anders, und doch in diesem endlosen Wechsel immer dasselbe.

Ein breitgebauchtes dreimastiges Galiotschiff taucht aus den Wellen auf. Seine Toppsegel stehen stramm bei dem Winde. Eine Flagge ist nicht aufgehißt, weder am großen Topp, noch an der Gaffel. In dem fußlangen Wimpel ist das Danziger Stadtwappen gewirkt, aber so klein, daß es niemand von unten her zu erkennen vermag.

Drei Männer stehen bei der Kajütstreppe zusammen. Es sind die beiden Schiffsoffiziere und der Eigentümer der Ladung. Johannes Hansen heißt der letztere. Zu Dänemark geboren, in frühester Jugend nach Danzig verschlagen, hat er sich dort festgesetzt. Das Glück brachte ihn empor. Er gehörte zu den reichsten Handelsherren der Stadt. Die stolzen Patrizier betrachteten den Emporkömmling mit vornehmem Achselzucken. Ihn kümmerte es nicht, sondern er suchte eifrig sein Gut zu mehren. Endlich schloß er sich an einen älteren Mann von gleicher Gesinnung und heiratete dessen einzige Tochter. Es war eben ein Geschäft, das zwischen den beiden Männern abgeschlossen wurde. Die junge Frau lebte ein freudenloses Jahr an der Seite des aufgezwungenen Gatten, dann gebar sie ihm eine Tochter und starb. Ihr Tod kümmerte den herzlosen Mann wenig. Unzufriedenen Blickes sah er auf die Tochter. Ein Sohn hätte sein Gut nicht bloß erben, er hätte es auch mehren und den Namen Johannes Hansen zum ersten in Danzig machen können. Durch die Tochter konnte er höchstens mit einem vornehmen Patrizierhause verwandt werden. Da er auf nichts weiteres rechnen durfte, ging all sein Trachten dahin. Margarete vermißte die rosige Heimat eines glücklichen Kindes, aber sie erhielt dafür eine glänzende Erziehung. Alle jungen Männer sagten, sie sei das schönste Mädchen der Stadt. Die Armen und Kranken schwuren auf das Evangelium, Jungfrau Margarete sei ein Engel in Menschengestalt. Ohne daß sie es wußte, hatte sie einen Schwarm von Anbetern jedes Alters und jeden Standes um sich versammelt. Bei vielen half der Reichtum des Vaters die Reize der Tochter um das Doppelte erhöhen. Herr Johannes Hansen schaute finster drein. Es schmeichelte wohl seinem Stolze, aber von all den Leuten, die nach der Hand seines Kindes strebten, war ihm keiner recht und er wies sie mit schneidender Kälte zurück. Es mußte besser kommen.

Da fand sich ein Landsmann ein. Ein Däne von den Inseln, aber kein Kopenhagener Kind. Gesund an Leib und Seele, markig und stark, wie der Grund seines Eilandes, und doch freundlich wie die grünen Buchen, die sich darüber wölben. Er hieß Haraldsen und war Seemann im königlichen Orlog. Da die Flotte gute Tage hatte, machte er es wie viele und übernahm die Führung eines Kauffahrers. So kam er nach Danzig und in das Haus des reichen Handelsherrn, und dieser gestattete, um der Landsmannschaft willen, was er wenigen erlaubte. Der junge Schiffer durfte bei ihm verkehren nach Herzenslust. Sonst gab er gar nicht acht auf ihn.

Desto mehr tat es Margarete. Sie fand Gefallen an dem jungen, kecken Seemann, der vor Übermut sprudelte und doch so schön Maß zu halten wußte, wenn sie das bittende Auge auf ihn richtete. Es dauerte nicht lange, da wußte die ganze Danziger Jugend schon, was die beiden eigentlich selbst nicht wußten: daß sie sich liebten. Alle Patriziersöhne kreuzten und segneten sich und machten ihre Glossen. Sie wetteten schon miteinander, was Johannes Hansen zu dem allen sagen werde, bevor Haraldsen und Margarete nur daran dachten, daß sie selbst dem Vater etwas zu sagen hätten. Unterdessen schlugen die Flammen immer höher und die Massen kamen in Fluß. Verschrobene alte Jungfern und zurückgesetzte alte Basen, die gewöhnlich das Geschäft übernehmen, jedes junge Liebesglück zu stören, fanden sich auch hier mit dem Scheine des Mitleids ein. Sie beklagten, wenn sie mit Margareten allein waren, daß der hartherzige, geldstolze Vater sich ihrer Herzensneigung, die doch so lieb und schuldlos sei, widersetzen werde; wieder unter vier Augen mit Johannes Hansen, bedauerten sie diesen, daß seine Tochter so wenig Stolz besitze, daß sie sich an einen hergelaufenen Matrosenkerl wegwerfe. Gleich darauf stand alles in lichten Flammen, Haraldsen ward mit harten Worten verabschiedet. Margarete erhielt den Befehl, bei Strafe des Fluches nicht weiter an ihn zu denken und sich gefaßt zu machen, mit nächstem einen Mann zu heiraten, für den der Vater sie bestimmen werde. Dieser Machtspruch rollte wie ein dumpfer Donner durch das Haus. Die alten Hexen flogen erschreckt, aber dennoch innerlich zufrieden, auseinander und bald ward kein Vespersüppchen in Danzig gegessen, bei welcher diese Geschichte nicht als angenehmes Zubrot verspeist wurde.

Haraldsen blieb gelassen. Es war ihm gelungen, die Geliebte noch einmal zu sprechen und beide schieden erleichterten Herzens, fest entschlossen, ihr Gelübde unverbrüchlich zu halten. Johannes Hansen grollte mit dem Seemann, der seine feingesponnenen Pläne kreuzte, und suchte ihm zu schaden, wie er konnte. Haraldsen fühlte den Alp, der immer schwerer auf ihm lastete und dessen er sich nicht erwehren konnte. Er suchte für sein Schiff eine Ladung und vermochte keine zu finden. Über die von ihm an die Stadt gebrachten Güter erhoben sich seltsame Gerüchte. Der eine wollte an Maß und Gewicht gekürzt sein, während ein anderer das Erhandelte weit unter dem gezahlten Preise fand. Wenig von dem, was man angeblich auf Treue und Glauben erstanden, kam unbemäkelt davon. Der ganze Artushof war davon erfüllt, und man wurde einig mit sich, daß es am besten sei, jede weitere Verbindung mit einem Manne abzubrechen, von dem selbst sein Landsmann, der ehrenwerte Johannes Hansen mit Achselzucken spreche. Seit jenem Tage blieb Haraldsen auf seinem Platze im Artushofe allein und wie stark auch manchmal das Gedränge war, er wurde nicht dadurch belästigt. Er rieb sich den Kopf und konnte es nicht begreifen. Er stampfte unwillig mit dem Fuße und die Vorübergehenden sahen ihn kopfschüttelnd oder achselzuckend an. Er trat den Leuten, mit denen er sonst harmlos verkehrte, in den Weg, aber sie wichen seinen Fragen mit einer verlegenen Entschuldigung aus. Endlich sagte einer: »Wenn ich an Eurer Stelle wäre, segelte ich heim und ginge anderswo, als bei Patriziertöchtern auf die Freite.« Da schoß es blendend vor ihm nieder. Er brach in ein gellendes Gelächter aus und schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirn; dann aber sammelte er seine Gedanken und ging allen Ernstes mit sich zu Rate.

Johannes Hansen war draußen auf seinem Landsitze. Inmitten der bewaldeten Hügel, die sich scharfkantig in die See hinausschieben, lag das freundlich eingerichtete Haus, wo er seinen Reichtum in aller Behaglichkeit genoß. Die Gesellschaft hatte lange getafelt und erging sich zur Erholung in den schattigen Gängen des nahen Wäldchens. Da trat plötzlich unter einer dichten Baumgruppe Haraldsen vor den Vater hin, der vor dem unerwartet Erscheinenden zurückfuhr.

Das Zusammentreffen war heiß. Johannes Hansen stolz und hochfahrend, behandelte den Seemann mit der ausgezeichnetsten Verachtung und schalt ihn einen Zudringlichen, der sich wiederholt eindränge, obgleich man ihm mehrfach die Tür gewiesen. Haraldsen blieb treu dem sich gegebenen Worte, kalt und ruhig. Er sagte dem Alten ins Gesicht, daß er seinen Ruf untergraben, und verlangte von ihm die Wiederherstellung seiner Ehre. Jener lachte ihm höhnend in das Gesicht, ein Wort jagte das andere und Haraldsen war nahe daran, seine Fassung zu verlieren, als Johannes Hansen einige seiner Gäste herbeirief, welche von dem lauten Wortwechsel angezogen, sich neugierig näherten.

»Habe seither nicht glauben wollen,« rief er den Kommenden entgegen, »was man mir von diesem Herren Nachteiliges gesagt hat. Nun aber habe ich den vollgültigen Beweis dafür in Händen. Drängt sich in mein Eigentum, das ihm verboten ist, und droht mit Brand und Mord, wenn ich ihm nicht seine verlorene Ehre herstelle. Bitte Euch, werte Herren! Kann ich seine Ehre herstellen, die er selbst leichtsinnig preisgegeben hat?«

»Lächerlich! Höchst lächerlich!« riefen die Herren dazwischen.

»Und das sage ich Euch, guter Freund!« eiferte Johannes Hansen. »Versucht es nicht wieder, mir in den Weg zu treten, oder es nimmt kein gutes Ende. Rate Euch vielmehr, daß Ihr Danzig versegelt, sobald Ihr könnt, sonst ladet Ihr Euch noch eine Untersuchung auf den Hals und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir Euch nicht so fest machten, daß Ihr den Kopf nie wieder aus der Schlinge zieht.«

»Ihr seid ein armseliger Mensch, Johannes Hansen,« entgegnete Haraldsen in großer Erregung. »Gott und ich wissen, daß Ihr wenig Ursache habt, Euch zu überheben. Auf Laland und Falster erzählen sich jung und alt, wie Ihr Eure Laufbahn damit begonnen habt, mit Schmugglern und Strandläufern gemeinschaftliche Sache zu machen.«

»Er lügt! Er lügt!« rief Johannes Hansen, vor Angst und Zorn an allen Gliedern zitternd, und einer der anwesenden Gäste sagte:

»Laßt Euch das nicht kümmern, edler Herr. Es ist nur natürlich, daß ein Mann, der solcher Dinge fähig ist, wie man Herrn Haraldsen Schuld gibt, auch das Gewerbe eines Lügners treibt. Sich zum Schaden, versteht sich, denn hätte er bis heute noch einen Schein des Rechtes für sich gehabt, in diesem Augenblicke wäre derselbe unwiederbringlich erloschen.«

»Es ist gut,« sagte Haraldsen mit einem Male ganz kalt. »Ich habe ertragen, was menschenmöglich ist. Fordert Ihr mich obenein heraus? Ich nehme den Kampf an. Wehren will ich mich, so gut ich kann, und lasse nicht eher ab, bis einer von uns am Boden liegt.«

Er war fort, rasch, wie er gekommen. Keiner sah ihn in Danzig wieder. Anfangs gedachte noch jemand seiner, bald achselzuckend, bald bedauernd. Aber bald darauf verdrängte ein neues Ereignis die letzte Erinnerung an den dänischen Schiffer. Johannes Hansen hatte Unglück zur See. Wie ein Sturmwind flog die Kunde davon durch die Stadt. Das Bedauern war allgemein. Viele kamen und boten, um sich dem großen Handelsherrn angenehm zu beweisen, Hilfe an, von der sie wußten, daß sie doch zurückgewiesen würde. Johannes Hansen widerstand diesem ersten Schlage mit kalter Gelassenheit.

Aber die bösen Gerüchte wiederholten sich. Ein holländisches Schiff war mit einer wertvollen Ladung gescheitert am Skager Rack. Ein Fluitschiff sank mit Mann und Maus im Norden von England. Mit der Rache hatte sich das Unglück verbündet, den bisherigen Liebling des Glückes von seiner Höhe herabzustoßen. Schon fing man an, hier und dort, wo sich die Kaufmannschaft zusammenfand, den Namen Johannes Hansen mit ängstlicher Vorsicht zu erwähnen, oder ihn ganz zu vermeiden. Der Ton stimmte sich seltsam herab, wenn er unerwartet an eine Gruppe herantrat. Seine Hilfe bot keiner mehr an, denn jetzt konnte sie angenommen werden. Die Vorsichtigeren fingen sogar an, die an sie ergangenen Einladungen des Kaufmanns außer acht zu lassen. Da tauchte ein neues Gerücht auf, weit schrecklicher als die ersten. Eines Tages fand man an der Haustür des Johannes Hansen einen gemalten Totenkopf. Einer der Markthelfer, der ihn zuerst erblickte, wäre schier vor Schrecken eine Leiche geworden. Drei Tage darauf lief die Nachricht ein, daß ein Barkschiff des Herrn Johannes Hansen auf offener See von einem Kaper aufgebracht worden und daß dieser eine schwarze Flagge mit einem weißen Totenkopf geführt habe.

Ein Kaper auf der See. Ganz Danzig geriet in Aufruhr. Man wollte Himmel und Erde in Bewegung setzen, um diesen Frevel zu rächen. Man wollte, daß Kaiser und Reich zu den Waffen griffen, um einen Kreuzzug, wie einst gegen den Erbfeind der Christenheit, gegen diesen Kaper zu unternehmen. Aber die Kriegsfurie durchbrauste das Vaterland und kümmerte sich blutwenig um den Pfeffersack der Danziger Krämerschaft. Da fand sich eines Morgens auf offenem Markt ein Anschlag des Inhalts:

»Der Totenkopf auf See hat es auf die Danziger abgesehen, aber vorzugsweise auf einen. Je mehr die andern sich von ihm fernhalten, je weniger haben sie zu fürchten.«

Neuer Schrecken, aber auch neuer Zorn. Um so ungestümer, je machtloser er war. Johannes Hansen verzweifelte. Er hatte seine letzten Kräfte daran gesetzt, um dem ihm drohenden Verhängnisse zu entgehen. Margarete war einem alten steinreichen Manne, der sich in ihre Schönheit vergaffte, zur Beute geworden. Keine Bitten, keine Tränen halfen. Sie wurde mit dem Verhaßten vermählt. Seit jenem Tage siechte sie hin. Sein Kind hatte Johannes Hansen verloren; einen Bundesgenossen hatte er gewonnen. Getragen von der Geldmasse des Schwiegersohnes betrat er den alten Weg mit dem alten Vertrauen. Vergebens. Der Totenkopf hielt gute Wacht. Was jener mit neuem Mute geschaffen, fiel ihm auf offener See als Beute zu.

Scheu gemacht durch diesen ersten Versuch, wollte der Gatte Margaretens von keinem zweiten wissen. Er zog sich trotz Bitten, Beteuerungen und Drohungen zurück. Die Härte, womit der Vater das Herz seines Kindes brach, rächte sich. Margarete war gleichgültig für alles und merkte es kaum, wie ihr Eheherr täglich mürrischer ward und etwas von einer Bettlerdirne zwischen den Zähnen murmelte, mit der er getraut sei und die auch ihn bald an den Bettelstab bringen werde, wenn er nicht ein Einsehen habe.

Und dahin hätte es kommen können, wenn er dem Drängen des sonst so stolzen Johannes Hansen nachgegeben hätte. Einmal vom Unglück mit starker Hand aus der rechten Bahn geschleudert, konnte dieser den früheren Halt nicht wiederfinden. Er schwankte unaufhaltsam weiter und verwickelte sich in abenteuerliche Unternehmungen.

Jetzt hatte er das letzte zusammengerafft. Er fand einen Schiffer, der sein Gut an Bord nahm, um mit ihm, nach damaligem Handelsgebrauch, von Hafen zu Hafen zu steuern, bis sich ihm ein vorteilhafter Markt darbot. Das ist das dreimastige Galiotschiff auf hoher See, mit dem Danziger Stadtwappen in dem Wimpel am großen Topp.

Die drei Männer stehen noch zusammen unfern der Kajütskappe auf dem Halbdeck. Aber sie sprechen nicht miteinander. Einer von ihnen ist der Kapitän. Er gibt seinem Offizier einige Befehle für den Dienst und setzt dann den gewohnten Gang auf der Steuerbordsseite des Halbdecks fort. Der Offizier kehrt zu seinem Besteck zurück und der Kaufmann bleibt allein; allein mit den qualvollen Erinnerungen an seine gefallene Größe, seiner geschwundenen Herrlichkeit und den trügerischen Träumen von der Wiederkehr des Verlorenen. Dazwischen erscheint ihm die bleiche abgehärmte Gestalt Margaretens. Ihr verlöschendes Auge bohrt sich tief in seine Brust.

Da tauchte ein Segel am Horizont auf. Kaum hatte es der Kaufherr gesehen, als sein Herz hörbar klopfte. In jenen Tagen war es schlimm haußen auf dem blauen Wasser. Die Kaper fingen bereits an, in größerer Anzahl zu schwärmen, sah man eine Mastenspitze im Luf (Windseite), vor dem Buge (vordere Rundung des Schiffskörpers) oder hinter dem Spiegel (Hinterseite des Schiffes), wußte keiner, ob sich ein Freund nahe oder ein Feind. Der kleinste Kauffahrer hatte seine Waffen, um sein Vermögen und sein Leben gegen den Angreifer zu verteidigen, solange es gehen wollte.

»Klar an die Geschütze!« rief der Kapitän, als er den Segler vor sich gewahrte. »Haltet alles zum Gefecht bereit.«

Der Kaufmann hörte es und stürzte erbleichend zu dem Kapitän:

»Ist es ein Kaper?«

»Weiß nicht. Ich tue eben meine Schuldigkeit.«

Eine Stunde verging. Die Schiffe kamen sich näher. Das Galiotschiff mußte aushalten, wollte es seinen rechten Kurs nicht ganz und gar drangeben. Der Kapitän beobachtete den rasch Heransegelnden mit großer Aufmerksamkeit:

»Ein tüchtiger Segler. Allzuscharf und vierkant im Takelwerk, um für den Frachtdienst zu taugen. Sollte meinen, es ist ein Orlogsmann (Kriegsschiff).«

Er setzte sein Sehrohr ab und wartete einen Augenblick, dem drängenden Kaufmann kurzweg zurufend:

»Zum Teufel, macht es wie ich und wartet es ab!«

Der Offizier des Schiffs, welcher mit besonders guten Augen gesegnet war, hatte im Vormars den neuen Ankömmling scharf geprüft. Jetzt rief er zu Deck:

»Orlogsmann voraus!«

»Welche Flagge?«

»Kurbrandenburg!«

»Seid Ihr toll? Welche Flagge, sagt Ihr?«

»Kurbrandenburg. Ein roter Adler im weißen Felde.«

»Wer hörte jemals, daß der rote Adler von der Gaffel eines Kanonenschiffes abwehte? Wascht Eure Augen mit Salzwasser.«

Der Offizier erwiderte nichts. Er sah noch einmal scharf hin, dann verließ er seinen Platz und begab sich nach dem Halbdeck. Der Kapitän hatte unterdessen sein Rohr wieder ausgelegt und setzte es nach einer Weile ab:

»Kurbrandenburg zur See!« sagte er mit einem tiefen Atemzuge. »Es kommt eine neue Zeit.«

»Ehe wir ausliefen, sagte ich Euch, daß sie im Anzuge sei,« antwortete der Offizier. »Aber ich predigte tauben Ohren. Habe einen Vetter, der auf der Kammermeisterei in Königsberg arbeitet, und für einen Krug Bier so viel durcheinander schwatzt, als das Ohr eines Neugierigen nur immer zu fassen vermag.«

»Kurbrandenburg zur See,« sprach der Kaufmann den Offizieren mechanisch nach. »Der Kurfürst hat einen Zahn auf uns Danziger. Es kann ein schlimmer Besuch werden.«

»Meine nicht, wir führen die dänische Flagge, holla, Bootsmann! Den Wimpel zu Deck und den Danebrog an die Flaggenleine. Habt Ihr kein Umdenken, zum Teufel? Zieht die Kugeln aus den Geschützen und setzt dafür einen doppelten Pfropfen auf, damit es besser knallt, von wegen des Saluts.«

Die Befehle wurden vollzogen. Der Wimpel mit dem verräterischen Wappen schwebte zu Deck und fand seinen Platz in dem verborgensten Winkel der Steuermannskammer. Die dänische Flagge lag, fertig zum hissen, auf der Galerie und die Lunte bei den Geschützen.

Jetzt war das Orlogsschiff nahe genug. Die kurfürstliche Flagge wehte weit aus und ein Schuß forderte den Kauffahrer auf, beizudrehen.

Alsbald flogen die Marssegel back und die Untersegel wurden aufgezogen. Das Schiff trieb über Steuer. Die Flagge stieg bis an die Gaffel. Als der Kauffahrer dem Orlogsmann gegenüberlag, senkte er die Flagge dreimal und gab den Ehrensalut aus seinem Geschütz. Der Kurbrandenburger dankte mit einem Schuß für den erwiesenen Respekt und ein Offizier rief durch ein Sprachrohr herüber:

»Wie heißt das Schiff?«

»Emanuel von Kopenhagen.«

»Woher und wohin?«

»Von Riga nach London.«

»Papiere an Bord bringen.«

Da half kein Singen und kein Beten. Der Orlogsmann auf offener See mit Flagge und Wimpel unterhandelt nicht; er befiehlt. Fluchend ward die Jolle gestrichen und der Kapitän des Danziger Galiots ging mit den dänischen Papieren an Lord des kurbrandenburgischen Kanonenschiffes. Es war der »Clevesche Lindenbaum«, dessen Führer sich früher weidlich geärgert, als er die Order empfing, den fremden Schiffen die Anwesenheit einer brandenburgischen Kriegsflagge zu verkünden. Er hatte sich für dieses Mal seines Amtes wohl entledigt.

Die Untersuchung war genau. Der Kapitän des Orlogs wog jedes Wort. Als er alles vernommen, sagte er zu seinem ersten Offizier:

»Ich traue keinem Papier in solcher Zeit. Fahrt Ihr an Bord und lugt scharf aus. Wenn Ihr das geringste Verdächtige wittert, kümmern wir uns wenig um die neutrale Flagge und bringen ihn auf.«

Das Orlogsboot und die Jolle des Kauffahrers fuhren nach dem letzteren zurück. Alles ward auf das strengste untersucht. Johannes Hansen, mehr tot als lebendig, antwortete auf alle an ihn gerichteten Fragen, und der Offizier sagte:

»Es ist gut. Ihr könnt weiter steuern. Macht nicht ein so ärgerliches Gesicht und dankt Gott, daß Ihr so gnädig davon kommt. Seemolest ist in Tagen wie die jetzigen an der Zeit.«

Er fuhr ab. Johannes Hansen atmete leicht auf, als er das Orlogsboot hinter dem Spiegel verschwinden sah. Der Offizier stattete dem Kapitän Bericht ab und schloß:

»Nicht das kleinste Tau, woran man sich hätte halten können, schlenkerte in der Luft. Alles glatt und vierkant. Und doch schien hinter den dummen Gesichtern etwas zu stecken, was wie Spitzbüberei aussah. Möchte raten, sich nicht allzuweit aus seinem Kielwasser zu entfernen.«

»Wollen es!« sagte der Kapitän, »laßt die Staatsflagge einziehen und gebt Order am Steuer. Wenn ich einen der hochmütigen Danziger als gute Prise einbringen könnte, ich gebe etwas darum.«

Es war eine seltsame Nacht gewesen am Bord des Danziger Galiot. Die Mannschaft zur Koje ersehnte den Schlaf nach dem mühsamen Tage und die Mannschaft auf Deck verrichtete mechanisch ihr Werk. Aber Johannes Hansen konnte nicht eine Minute auf derselben Stelle ausdauern. Es war, als ob der Orlogsmann alle seine Ruhe mit sich weggenommen hätte. Bald war er oben, bald unten, nach allem verlangend und nichts gebrauchend, jedes beginnend und keines ausrichtend, ein geschäftiger Müßiggänger. Die Matrosen lachten über ihn, und der wachthabende Offizier mahnte ihn mit nicht allzu höflichen Worten, seine Koje zu suchen.

»Wäre mir wie Koje,« brummte der Handelsherr. »Wer schließt die Augen, wenn Kanonenschiffe ihn umschwärmen wie Mücken im Sonnenschein? Seht dorthin! Ist er das nicht wieder?«

»Narrenspossen. Ein schwaches Seeblinken. Und dort und überall. Meint Ihr, daß aus jeder Welle ein Kaper auftaucht?«

»Und es ist doch nicht geheuer!« brummte jener und verschwand in der Kajüte.

Aber nicht auf lange. Kaum dämmerte der erste Strahl im Osten, als er schon wieder zum Vorschein kam. Die See, von einer schwachen Brise leicht gekräuselt, glänzte im rosigen Lichte. Der »Clevesche Lindenbaum«, der mit scharfer Kühlte rasch fortbrauste, war weit vom Kielwasser der Galiot. Reine See überall. Nur das Bugspriet zeigte auf einen schwarzen Punkt voraus, der so unbestimmt war, daß ihn keiner hätte deuten können, wenn man überhaupt darauf geachtet. Johannes Hansen fand ihn endlich auf und wies kopfschüttelnd darauf hin. Der Offizier wandte ihm ärgerlich den Rücken und ging, um nach seinem Besteck zu sehen.

Einige Zeit verstrich. Die Brise frischte auf zum Heil des »Cleveschen Lindenbaums«, der das Kielwasser des Galiots verloren hatte. Die Hähne in den Hühnerhocken fingen laut an zu krähen. Der Schiffshund verließ gähnend seine Matte, die zwischen den Bootsklammern lag und warf einen lüsternen Blick nach der Kambüse, worin das Feuer hell aufleuchtete. Der Bootsmann warf die Logge (Instrument zur Messung der Geschwindigkeit des Schiffs) aus und die Halbmatrosen, die nach dem schadhaften Tauwerk sahen, kehrten von den Toppen zu Deck. Der Koch zog die hölzernen Bänke näher zu den dampfenden Töpfen und sein Maat begann die Schiffsglocke zu läuten, »Schaffen unten und oben!« rief er, als der letzte Ton verhallte und die Mannschaft verschwand unter Deck, mit dem behaglichen Gefühl, den in der frischen Morgenluft geschärften Hunger zu stillen.

Es war ein Stilleben auf See.

Der schwarze Punkt hatte sich indessen vergrößert. Der Segelmacher meinte, er sei anzusehen, wie der Mantel eines Leichenträgers, der sich im Winde aufblähe. Ein lustiger Halbmatrose sagte, wenn es eine Wolke wäre, müßte sie dichter sein, als eine Bergenopzoomer Regenjacke, und er möchte sie sich wohl um die Schultern schlagen. Der Bootsmann, der von einer solchen Verweichlichung nichts wissen wollte, gab ihm einen Schlag auf den Rücken und sagte:

»Jede Wolke bringt ein Donnerwetter mit und das kommt dir selbst über den Hals, du Heide.«

Alles Volk auf der Back schlug ein lautes Gelächter auf. Der Halbmatrose lief voller Ärger und Scham nach dem Mitteldeck, rannte den Kaufmann fast über den Haufen und sagte diesem:

»Die Wolke da vorn kommt zum Platzen und es gibt ein Donnerwetter.«

»Ich habe es wohl gedacht!« antwortete dieser und lief nach dem Halbdeck. Aber der Ernst, der hier unter den Offizieren herrschte, hielt ihn ab, sie mit neuen Befürchtungen zu stören. Der schwarze Punkt vor dem Buge war der Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit. Aber es war kein unscheinbarer Punkt mehr, sondern eine dichte Masse, wie der Rumpf eines Schiffes und zwei Masten ragten aus demselben hervor. Ein unbestimmtes Etwas sagte jedem, es sei gut getan, diesem Unbekannten, der jeden Vorteil des Windes für sich hatte, aus dem Kurs zu steuern. Aber alle Versuche scheiterten. Man lugte scharf aus nach dem neuen Segler, der sich mit überraschender Schnelle näherte, und jeder Bewegung, die das schwerfällige Galiot machte, mit unheimlicher Hast folgte.

Johannes Hansen sah vor sich nieder. Er wagte es nicht mehr, den Blick über die Wasserfläche hinschweifen zu lassen, weil das erschreckende Phantom ihm in immer klareren Umrissen entgegentrat. Er saß auf der Bank mit halbgeschlossenen Augen und finstere Bilder jagten vor ihm auf und nieder, als er plötzlich von einem dumpf heranrollenden Donner aus seinem Brüten aufgeschreckt wurde.

»Den Danebrog nach oben!« schallte der Kommandoruf des Kapitäns. »Wen, zum Donner, haben wir hier?«

Es sollte nicht lange zweifelhaft bleiben. Unter der Last aller seiner Linnen schoß das fremde Fahrzeug heran. Die Mannschaft des Galiots schrie laut auf und alle Gesichter erbleichten. Ein scharfer Schuß aus dem vordersten Geschütz forderte zum Beidrehen auf und von der Spitze des feindlichen Mastes wehte eine schwarze Flagge mit dem weißen Totenkopfe.

»Hilf, Herr und Heiland!« schrie der Kaufmann entsetzt und seine Knie brachen zusammen. »Das ist der Totenkopf, den eine verruchte Hand an meine Tür gezeichnet hat.«

»Streicht die Segel!« schallte es von dem Deck des Kapers herüber.

»Zum Teufel mit Eurer unsinnigen Forderung!« flog die Antwort zurück. »Seht Ihr nicht die dänische Flagge an meiner Gaffel? Wie dürft Ihr Euch unterstehen, mich aufzuhalten?«

»Es fährt in so schwerer Zeit viel Gesindel unter neutraler Flagge. Darum streicht die Segel und kommt mit Euern Papieren an Bord oder ich brenne Euch so lange auf den Pelz, bis Eure Breitseiten aussehen wie ein Heringsnetz.«

Der Kauffahrer zögerte und richtete einen fragenden Blick auf seine Offiziere. Ihre wenigen Geschütze geringen Kalibers waren den schweren Stücken des Kapers nicht gewachsen. Johannes Hansen bat und flehte, man möge dem verfluchten Totenkopf aus dem Wege fahren und sich nicht mutwillig in den Rachen des Teufels begeben. Der Kaper, der einige Augenblicke vergeblich auf Antwort gewartet hatte, rief hinüber:

»Antwort oder ich brenne los.«

Es blieb keine Wahl. Der Führer des Galiots winkte und während man die Jolle aussetzte, holte er die Papiere. Einige tüchtige Ruderschläge brachten ihn dem Kaper seitlängs. Der Danziger Totenkopf empfing ihn mit gerunzelter Stirn und nahm die Papiere in Empfang, die er sogleich genau durchsuchte. Als er damit fertig war, schob er sie in seine Tasche und sagte:

»Laßt Euch ein anderes Mal nicht doppelt nötigen, ehe Ihr Euch zu gehorchen bequemt, sonst wird man es Euch eintränken. Eure Papiere sind anscheinend richtig, aber ehe ich sie Euch zurückgeben kann, muß ich mich erst überzeugen, ob sich alles so verhält, als es hier angegeben ist. Bis das geschehen, bleibt Ihr hier.«

Der Galiotmann gewahrte jetzt erst, daß man seine Jollmannschaft hatte zu Deck kommen lassen und diese mit den Kapergasten bemannt hatte. Zu diesen stieg der Totenkopf hinab und fuhr nach dem Galiot hinüber.

Mit klopfendem Herzen sah der Kaufmann die Jolle zurückkommen. Er glaubte, es sei der Kapitän und harrte der Entscheidung. Als er seinen Irrtum gewahrte, wankte er mit zitternden Knien der Kajüte zu. Eine furchtbare Ahnung preßte ihm das Herz zusammen.

Von vier seiner Männer begleitet, die bis an die Zähne bewaffnet waren, stieg der Kaper zu Deck.

»Euer Kapitän ist bei mir wohl behütet, während ich hier nachsehe, ob alles so ist, wie es sein soll!« rief er dem Offizier zu, der ihm am Fallreep entgegentrat. »Denke, Ihr werdet keine Umstände machen, was für mich und Euch am besten ist. Holla, Falkauge! Wo bist du?«

Einer der Kaper, ein flinker Junge mit hellen Augen, trat heran.

»Der Bursche sieht durch ein zölliges Brett, wenn Ihr es auch mit einer doppelten Persenning (geteertes Segeltuch) umwickelt!« sagte der Totenkopf zu dem Offizier. »Frisch, mein Junge, schaue dich um und gib Bescheid.«

Falkauge tauchte in das Zwischendeck hinab. Der Kaperführer selbst begab sich in die Kajüte und befahl dem Offizier, ihm zu folgen. Sein Auge war überall. Er entrollte die Karte und blickte mit großer Aufmerksamkeit in das Schiffsjournal, als Falkauge, die Hände auf dem Rücken, eintrat.

»Hast was gefunden, Junge?«

»Eine lange Kugel.«

»Eine lange Kugel!« lachte der Kaper. »Wie sieht so ein Ding aus?«

»So!« rief Falkauge und hielt die Hand hoch, worin sich ein Knäuel von zusammengerolltem Zeuge befand.

Der Offizier erbleichte. Der Kaper, der es bemerkte, riß das Zeug an sich und der Wimpel mit dem Danziger Stadtwappen rollte auseinander.

Der Kaper schlug ein helles Gelächter auf. Unheimliche Glut blitzte aus seinen Augen.

»Was bedeutet das?« rief er mit donnernder Stimme. »Wo das steckte, liegt mehr. He! Falkauge! Luge schärfer aus.«

Längst war der Junge draußen. Umsonst versuchte es der Kaper, den Offizier zum Reden zu bewegen. »Ich verkehre nicht mit Euresgleichen,« sagte er mit aufgeworfenen Lippen. »Seid Ihr Räuber, handelt als solcher und sucht nicht noch einen Schein des Rechts.«

»Ihr habt wenig Grund, ein so unüberlegtes Wort zu sagen,« antwortete grollend der Kaper. »Ihr von Danzig nicht. Und am wenigsten, wenn der Totenkopf erscheint, um mit Euch abzurechnen.«

Falkauge kam zurück und zog den widerstrebenden Kaufmann hinter sich her:

»Den Wimpel habt Ihr, jetzt bringe ich das Schiff dazu.«

Er stieß den Alten noch ein paar Schritte vorwärts und lief dann zu Deck, als wisse er, daß nun alles gefunden sei. Johannes Hansen wagte es nicht, den Kaper anzusehen und stand, wie am Boden festgewurzelt. Der Kaper sah ihn einen Augenblick prüfend an. Das Blut schoß ihm ins Gesicht und gleich darauf erbleichte er. Erst nach einer Pause sagte er in großer Erregtheit zu dem Offizier:

»Laßt mich mit diesem Manne allein.«

Die beiden standen sich gegenüber. Der Kaper weidete sich eine Minute an der Angst seines Opfers, dann sprach er:

»Johannes Hansen, sieh mich an.«

Der Ton dieser Stimme flog wie ein jäher Stich in das Herz des Kaufmanns. Er wagte es, sein Gesicht vom Boden zu erheben und starrte den Kaper an:

»O Jesus! Haraldsen!«

Er ward ohnmächtig. Der Kaper faßte ihn und warf ihn auf die Kajütsbank. Mühsam erholte sich Johannes Hansen, schrak fieberfröstelnd zusammen und sprach vor sich hin:

»Ich bin ruiniert. Ich bin ein Bettler.«

»Ein Lump bist du!« rief Haraldsen. »Ein Lump, der selbst in dieser Stunde keinen andern Gedanken hat, als sein Geld und Gut. Weißt du, was du mir tatest, und worüber ich mit dir abzurechnen habe? Wir wollen eine scharfe Bilanz ziehen und es soll dir keines Guldens Wert geschenkt werden. Jetzt lasse ich dich allein. Das Leben nimmst du dir nicht. Dazu bist du zu feige. Wenn ich dich erst am Bord meines Totenkopfes habe, finden wir bessere Zeit, um unser letztes Geschäft mitsammen abzutun. Holla! Deck ahoi! Bringt diesen Gesellen zu Boot.«

Er stieg die Kajütstreppe hinauf.

In Danzig war große Aufregung. Die See galt für unsicher überall. Die brandenburgischen Kaper waren der Schrecken der Stadt. Man machte Vorschläge, beriet und beschloß und verwarf das Beschlossene wieder, ohne etwas Besseres zu finden. Alle Lust war verstummt, zu keiner Festlichkeit versammelten sich mehr frohe Menschen und mancher wälzte sich den größten Teil der Nacht schlaflos auf seinem Lager.

An Margareten ging dies alles spurlos vorüber. Ihr junges Leben war, kaum daß es sich entfaltete, erbarmungslos von dem herben Geschick vernichtet. Dem Geliebten ihrer Wahl entrissen, an einen eigensinnigen alten Mann gekettet, der sie als eine ihm aufgebürdete Last betrachtete, lebte sie in stillster Zurückgezogenheit. Sie ward unempfindlich gegen die Schmähungen, womit ihr Gatte in seinem Unmut ihren abwesenden Vater überhäufte und erwiderte nichts, wenn er sie mit rohen Worten kränkte. Nur einmal, als er ihr mit kaltem Spotte zurief, es sei doch schade, daß sie nicht mit dem großsprecherischen Haraldsen davongelaufen, dann brauchte sie sich jetzt nicht über ihn zu ärgern, flammte es in ihren Augen wie Wetterleuchten und es sah aus, als wollte die langverhaltene Wut sich Bahn brechen. Aber sie bezwang sich und ging schweigend hinaus. Ihr Gatte lachte in seiner rohen Weise hinter ihr her und fuhr einen seiner Kontorleute an, der in die Stube trat.

»Wenn es Euch nicht genehm ist, kann ich auch wieder gehen,« sagte dieser kurz. »Glaubte Euch einen Dienst zu erweisen, wenn ich Euch meldete, daß sich Euer Schwiegervater heute mittag auf dem Artushofe hat blicken lassen.«

»Was? Der Johannes Hansen? Das bedeutet nichts Gutes. Er bringt Unglück über unsere Stadt.«

»Wohl möglich,« fuhr jener fort. »Es war schon gestern ein Gerücht im Umlauf – Ihr müßt es ja gehört haben – daß das Galiot, womit Euer Schwiegervater von hier versegelte, als gute Prise nach Pillau aufgebracht ist. Ein kurbrandenburgischer Orlogsmann hat es dort binnen gelotst.«

»Die Pest über Kurbrandenburg! Was gibt es weiter zu melden?«

»Habe es lange gesagt, daß die Kaper uns Danzigern tüchtige Schlappen beibringen werden. Das Ereignis mit Eurem Schwiegervater ist die erste bedeutende, und um sie uns zu melden, kommt er selbst mit schlotternden Knien und eingefallenen Backen. Er sah aus wie ein Bild des Erbarmens und sprach einen nach dem andern an. Allein keiner wollte etwas mit ihm zu schaffen haben und er stand allein mitten in der Menge.«

Es war, wie der Handelsdiener sagte. Jeder hatte Furcht, daß er seinem Kredit schaden könne, wenn er mit einem Menschen bekannt tat, von dem man wußte, daß er nach dem letzten fehlgeschlagenen Unternehmen ein Bettler sei. Eine brennende Träne trat ihm in die Augen und er murmelte vor sich hin:

»So tat ich dem Haraldsen und dies ist seine Abrechnung.«

Die Glocke schlug und die Menschen verliefen sich allmählich. Da trat ein Mann zu dem Verlassenen und sagte:

»Ihr könnt heute hier nichts mehr schaffen. Die Stunde ist vorüber. Wollt Ihr nicht mit mir kommen?«

Johannes Hansen ging gedankenlos mit dem Fremden, der ihm die Hand bot wie ein wohlwollender Freund. Dieser wohnte in einem Seitengäßchen. Als er mit seinem Gaste in die niedrige Stube trat, sagte er:

»Nehmet damit vorlieb. Ich bin Euer ehemaliger Buchhalter Bandler, den Ihr einst im Zorn entließet, weil er für den unglücklichen Haraldsen ein begütigendes Wort sprach. Armer Herr. Euer Eifer machte Euch blind und führte Euch ins Verderben.«

Das war zuviel für den von seiner Höhe herabgestürzten Mann. Die hochmütige Geringschätzung der Gleichgestellten hätte er verschmerzen können; aber daß ein ehemaliger Diener, den er aus seinem Hause gewiesen, ihm zum barmherzigen Samariter wurde, war zu viel. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte bitterlich.

So trieb er es zwei Tage lang. Sein gutmütiger Wirt trug ihm alles zu, was er bedurfte und versuchte umsonst zu trösten. Endlich am dritten Tage gegen Abend trocknete er seine Tränen, griff nach dem Hute und sagte:

»Ich danke Euch, Bandler. Ihr sammelt feurige Kohlen auf mein Haupt und ich stehe beschämt vor Euch. Aber Ihr tatet mehr an mir, als Ihr gewollt. Ihr brachtet mich zur Erkenntnis meiner selbst und ich weiß, welchen Weg ich fortan gehen muß. Seid unbesorgt um mich. Ihr werdet erfahren, daß ich mich zurechtzufinden weiß. Wir sehen uns bald wieder.«

Es war bereits spät geworden und Margaretens Gatte sehnte sich nach seinem Schlafgemache, als es an der Tür klopfte und der Hausdiener einen Mann meldete, der notwendig gleich mit ihm sprechen müsse.

Der Alte sah sich unwillkürlich nach Margareten um, die an der gewohnten Stelle saß, ohne die geringste Teilnahme zu verraten und sagte:

»Zur nachtschlafenden Zeit nehme ich keine Besuche an. Er soll morgen wiederkommen.«

»Nein, nein! Ich muß Euch heute noch sprechen,« rief eine Stimme und der eben Gemeldete trat ein.

Margarete schreckte bei dem Ton dieser Stimme zusammen. Sie sah unwillkürlich auf und in das gramzerstörte Antlitz ihres Vaters.

»Dachte ich es doch!« rief der Gatte, »daß dies ein Komplott sei, mich zu überrumpeln. Auf diese Weise versucht Ihr es also, in mein Haus zu dringen, und mein Weib hat natürlich die Hand dabei im Spiel. Schade nur, daß es Euch nicht gelingt und man Euch schon die Wege weisen wird. Euch aber, holdselige Hausfrau, werde ich noch ganz besonders meine Meinung sagen.«

»Sprecht nicht weiter!« unterbrach ihn Johannes Hansen mit solcher Festigkeit im Ton, daß jener unwillkürlich schwieg. »Ich komme nicht, um mit Euch zu verkehren, oder Euch, wie Ihr meint, anzubetteln.«

»Aber Ihr bringt auch nichts. Nichts, um die große Schuld zu verringern, die Ihr noch bei mir zu stehen habt.«

»Es ist eine von den mir auferlegten Strafen, daß ich dies hören und dazu schweigen muß. Ich erschien bei Euch, um einige Worte mit meiner Tochter zu sprechen, und Ihr habt kein Recht, mir das zu wehren.«

»Aber nur in meiner Gegenwart.«

»Vermögt Ihr anzuhören, was ich zu sagen habe, will ich es Euch nicht wehren. Margarete, mein Kind, ich will mit dir reden.«

Johannes Hansen ging zu seiner Tochter, die sich zitternd erhob.

»Ich will mein Herz vor dir ausschütten. Wohl weiß ich, daß ich deine Liebe weggeworfen und meine Rechte auf dich an jenen Mann verkauft habe. Aber ich rufe dein Mitleid an, und du wirst es mir nicht verweigern.«

»Ich höre alles, was Ihr sagt!« antwortete Margarete mit leisem Beben.

»Als ich mein Letztes zusammengerafft und verloren hatte, kam ich zurück. Ich mußte. Ein Mann, den ich einst in Verzweiflung jagte, bannte mich hierher, um ein gleiches Los zu dulden. Auf dem Platze meiner ehemaligen Größe sollte ich also, ein Bild des Erbarmens, erscheinen. Ich stand da, keines Wortes mächtig. Sie wiesen mich von sich, alle, die sich früher tief vor mir gebückt hatten. Mein Kopf brannte, meine Gedanken gingen in der Irre. Da ergriff ein frommer Samariter meine Hand und übte Barmherzigkeit. Unter seinem Dache habe ich die Ruhe des Gemütes gefunden und den Weg erkannt, den ich jetzt betreten will. Ehe ich das vermag, muß es klar werden zwischen uns beiden. Ich habe dein junges Leben zerstört, Margarete. Den Mann, den du liebtest, habe ich von deinem Herzen gerissen und diesen selbst in ein großes Elend gestürzt, um meinen beleidigten Stolz zu rächen. Er ging mit einem furchtbaren Schwur und hat das Gelübde seiner Rache gehalten. Aber, das wollte ich eigentlich nicht sagen. Ach, Margarete, Kind; du mußt Geduld haben mit mir. Mein alter Kopf ist schwach.«

Die junge, bleiche Frau streckte die Hand nach ihm aus, die er rasch ergriff und an sich drückte.

»Ich will Danzig verlassen und es nie wieder betreten,« fuhr er fort. »Irgendwo wird sich ein Ort finden, wo ich mein Haupt in Frieden niederlegen kann. Ehe ich das aber vermag, mußt du die schwerste Last von meinem Herzen nehmen.«

»Sagt mir, was ich tun soll,« sprach Margarete. »O, hättet Ihr es in früheren Tagen der Mühe wert erachtet, mir Euer Herz zu öffnen und in das meine zu blicken, es wäre wohl nie eine Unzufriedenheit zwischen uns entstanden.«

»Du hast mir deine Hand gereicht. Laß sie ein Unterpfand des Friedens sein. Ich habe dir meine Schuld bekannt und bereue von Herzen, was ich getan. Verzeihe mir, Margarete. Könnte ich nur ein Zehnteil dessen mit meinem Herzblut auslöschen, ich gäbe es willig hin. Sage mir, daß du keinen Groll hegst und . . .«

»Nicht weiter, Vater!« rief Margarete lebhaft und eine helle Röte flog über ihr bleiches Gesicht. »Gott sei gepriesen, der dies alles an dir und mir getan hat. Er bricht die Eisrinde, die dein Herz umschloß, er läßt dich menschlich empfinden und ich habe, was ich in den Tagen des äußeren Schimmers entbehrte, ich habe einen Vater, der einen Händedruck, eine Träne für sein armes vereinsamtes Kind hat.«

Sie brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus und warf sich an seine Brust.

»Das ist zuviel für mich!« rief Johannes Hansen in lauter Herzensfreudigkeit. »Nun scheide ich getrost und beginne meine Wanderung.«

»Aber nicht allein. Hast du mir dein Herz geöffnet und gibst mir den Vater wieder, weiß ich, was meine Pflicht erheischt. Ich trenne mich nicht von dir. Mein Arm soll dich leiten, meine Hand für dich schaffen. Wir gehen miteinander, bis der Tod uns trennt.«

»Vortrefflich!« sagte ihr Mann. »Und das alles wird in meiner Gegenwart beredet, als ob ich nicht mehr in der Welt wäre.«

Margarete wandte sich zu ihm und sagte:

»Als ich den Fuß über Eure Schwelle setzte, habe ich jeder Freude entsagt. Seit das Unglück meinen Vater heimsuchte, habt Ihr mich mit Härte behandelt, und jedes Wort, das Ihr an mich richtetet, enthielt einen Vorwurf oder eine Kränkung. Hundertmal habt Ihr gesagt, ich wäre Euch eine Last, die Ihr gern abschütteln möchtet. Ich war so niedergebeugt durch alles Leid, daß ich nicht die Kraft hatte, eine so entehrende Kette zu zerreißen. Nun aber ist mir mit der neuen Pflicht der neue Mut zurückgegeben, und ich sage mich von Euch los.«

»Und Ihr glaubt, ich willigte ein?«

»Ich will nichts mit mir hinwegnehmen. Keinen Anspruch, welcher Art es sei, erhebe ich gegen Euch. Wenn ich Euer Haus verlassen habe, soll es für Euch sein, als wäre ich begraben. Wollt Ihr öffentlich das Band lösen, das uns verknüpfte, ich bin dazu bereit.«

»Wenn ich es täte,« sagte jener, innerlich froh, daß jetzt ohne sein Zutun geschah, was er längst gewollt und nur um der Leute willen nicht gewagt hatte. »In der ersten Zeit, wißt Ihr, als ich bei Eurem Vater um Euch warb, stellte ich ein Dokument aus – es war eine Schwachheit, aber ich tat es, obgleich das Dokument bestimmt, daß, wenn ich mich jemals von Euch trennte, so oder so, auf welche Weise es immer geschehe, ich gehalten sein solle, Euch ein Wittum zu sichern, das den vierten Teil meines Vermögens beträgt. Wenn Ihr nun geht . . .«

»Behaltet Euer Geld, ohne welches Ihr bettelarm seid. Ich trage kein Verlangen danach. Wollt Ihr darin willigen, daß ich meinen Vater begleiten und nicht hierher zurückkehren darf, soll jenes Papier noch heute abend in Euern Händen sein.«

»Margarete, mein Kind! Mein teures, geliebtes Kind! Wie tief beugst du mich und richtest mich zugleich so tröstend auf.«

Sie hielten sich fest umschlungen.

Mit wachsender Freude hörte der grämelnde Alte die Worte Margaretens. Aber es regte sich doch ein leises Gefühl von Scham in ihm, das ihn hinderte, seines Herzens Meinung offen auszusprechen, darum entgegnete er zögernd:

»Wir wollen sehen, was zu tun ist. So, das begreife ich wohl, kann es am Ende nicht fortgehen, und wenig Freude möchte ich unter meinem Dache haben, wenn es eine Frau schirmte, die es für das Glück ihres Lebens erklärt, weit von mir entfernt zu sein. Eine Nacht werdet Ihr wohl noch in meinem Hause verleben können. Sehe ich dann morgen, bei ruhigem Blute, daß es Euch ernst ist mit dem, was Ihr soeben sagtet, läßt sich weiter darüber reden. Herr Johannes Hansen, habt eine geruhsame Nacht.«

Vater und Tochter trennten sich mit einem stummen Händedruck. Der erstere atmete leicht auf, als er über die ungastliche Schwelle seines Schwiegersohnes in die stille Nacht hinaustrat.

Eine geraume Zeit war seit jenem Auftritt vergangen. Die Kriegswirren hatten sich immer mehr verwickelt. Der Seemolest wurde unerträglich und bei allen Gelegenheiten war der »Danziger Totenkopf« voran.

Zu Pillau am Hafen war abermals eine lustige Bewegung. Der »Clevesche Lindenbaum« war von seiner Fahrt nach Colberg heimgekehrt und löschte allerlei Kriegsbedarf. Die Mannschaft war so eifrig damit beschäftigt, daß sie das Herannahen eines zweiten Kanonenschiffes erst gewahrte, als es innerhalb des Bereiches ihrer Geschütze lag.

Der erste Offizier stampfte mit dem Fuße und schalt mit allem Volk an Bord, daß keiner die Augen aufgeknöpft habe, während es ihm doch besonders obgelegen hätte, ein wachsames Auge zu haben. Sein Zorn verstummte indessen, als er bei genauerer Prüfung den »Danziger Totenkopf« erkannte und der Führer desselben sich an Bord des Orlogschiffes begab, um sich zu melden.

»Und nun denke ich, Herr!« sagte er, als dies geschehen, »ist die See für einige Zeit reingefegt. Ich kann in Ruhe den alten Rumpf kalfatern (verdichten) und meinem Volke gönnen, daß es die zerschlagenen Knochen heilt; denn ich muß Euch sagen, daß sie es uns nicht immer so leicht machten, wie die Herren von der Danziger Galiot, die mit vollen Segeln in die Brandung liefen, wie die Maus in die Falle, wenn sie den Speck riecht. Der vornehme Danziger Patrizier soll sich hierher geflüchtet haben und Holz hacken, Steine karren oder sonst eine ehrsame Hantierung treiben. Der ›Totenkopf‹ will seine Geschütze zu Lande bringen und den alten Rumpf kielholen (umlegen) und stellt sich für diese Zeit unter den Schutz des ›Cleveschen Lindenbaums‹. Habt guten Tag, Herr.«

Der Kaper fuhr zu Lande. Sein munterer Schiffsjunge sprang ihm entgegen.

»He, Falkauge! Hast dein Gewerbe ausgerichtet?«

»Habe es,« sagte der Bube. »Kaut an der Feder und kritzelt damit auf das Papier.«

»Schreiberknecht!« brummte Haraldsen vor sich hin. »So und so viel Buchstaben für 'n Stück Brot. Er ist weit genug herunter, denke ich.«

Er folgte dem Buben, der den Weg nach der Kammermeisterei einschlug.

Hier war es, wo Johannes Hansen nach vielen Mühen und Sorgen einen Platz gefunden hatte. Die Herren von der Kammer nahmen sonst nur junge, rüstige Leute, denen sie ein tüchtiges Tagewerk aufladen konnten. Aber es war gerade Mangel an Arbeitern und des Schreibens ist von jeher viel gewesen in der Welt.

Die Tagelöhner hinter den Schreibpulten machen es nicht besser, als die Tagelöhner auf dem Bau. Wenn die Glocke schlägt, werfen sie die Feder hin und tun keinen Strich mehr. Die Herren Kanzellare und ihre Hilfsschreiber schritten die Gasse entlang, ein mächtiges Aktenstück unter dem Arm, das als ein öffentliches Zeichen ihres häuslichen Fleißes dienen sollte. Johannes Hansen folgte ihnen und trat bald darauf in die wohnliche Stube, wo Margarete ihn mit kindlicher Herzlichkeit empfing. Als beide ihr einfaches Mahl verzehrt hatten und Johannes Hansen sein müdes Haupt in die Hand sinken ließ, verschwand Margarete leichten Schrittes aus der Stube.

Es war eine geraume Zeit still gewesen und der alte Herr schlug mit einem leisen Seufzer die Augen auf, als der Kaper unerwartet eintrat. Er betrachtete den ehemals so stolzen Kaufmann mit Hohn und fragte:

»Nun, Johannes Hansen, habe ich mein Wort gehalten?«

»Ich habe nicht geglaubt, daß ich dich wiedersehen sollte,« entgegnete jener. »Sei es. Du hast mit demselben Maße gemessen, womit ich dir maß. Wie ich dich einst von meiner Schwelle zurückwies, so stießest du mich in das dichteste Marktgewühl meiner ehemaligen Heimat, und alle, die sich sonst ehrerbietig vor mir neigten, kehrten mir stolz den Rücken zu. Diese Demütigung war mir die schmerzlichste. Sie ist überwunden und alles vorbei.«

»Meinst du?« rief Haraldsen dazwischen.

»Es ist vorbei. Du wolltest mich tief beugen und es mißlang dir. Mit meinem Glücke starb auch mein böser Sinn. Was mich traf, ist nur eine gerechte Vergeltung. Das habe ich vor dir voraus. Du hast deine Lust daran, dich an dem Unglück zu weiden und knirschest nun vor Zorn, weil du mich nicht verzweifeln siehst.«

»Du sollst doch verzweifeln. Glaube nicht, daß du so wohlfeilen Kaufes davonkommst. Du hast mir nicht nur Geld und Gut, du hast mir auch das Glück meines Herzens gestohlen.«

»Arme Margarete!« sprach der Vater. »Es war der schwärzeste Tag meines Lebens.«

»Ich bin gekommen, mit dir abzurechnen und will nicht gehen, bis ich vollständig befriedigt bin. Du hast dein Kind deinem Stolze geopfert. Ich will die Ärmste rächen, wie ich mich rächte. Ich erhebe die Hand zum Schwur . . .«

»Senke sie wieder, ehe der Herr sie faßt!« sagte Margarete, die zwischen ihn und den Vater trat.

»Margarete!« rief der Kaper.

»Du hast mir nicht Wort gehalten, Haraldsen!« fuhr sie fort. »Du wolltest meiner wert bleiben, und nicht ruhen, bis wir vereint wären. Das habe ich geglaubt und dieser Glaube war der einzige Trost in der Zeit meines Kummers. Du hast den Zorn durch den Zorn, die Rache durch die Rache bekämpft und bist erlegen.«

»Und das höre ich von dir? Für deine zertretene Jugend, für deine gemordeten Hoffnungen wollte ich Ersatz haben.«

»Während du den Fluch säetest, haben wir Segen geerntet. Im Unglück erschloß sich mir des Vaters Herz. Was ich in den früheren Tagen des Glanzes entbehrte, habe ich hier gefunden, seine Liebe. Du hast mit all deinem Zorn zwei Glückliche gemacht. Wird es noch nicht hell in deiner Seele?«

Haraldsen stand da, das Auge am Boden festgewurzelt. Aber es gab sich eine mächtige Bewegung in seinem Innern kund und er fuhr mit der Hand nach dem Herzen. Dann aber richtete er sich auf, sah in das Angesicht der Geliebten und sagte:

»So bist du glücklich?«

»Ich bin es. Und wenn ich noch einen Wunsch im Herzen trage, ist es der, daß du danach trachtest, es auch zu sein.«

Er antwortete nichts, sondern wandte sich nach einer Pause zu Johannes Hansen:

»Sie hat meinen festen Entschluß wankend gemacht. Ich vergesse den Eid, den ich geschworen und lasse mein Werk liegen, ehe ich es vollendet. Mehr vermag ich nicht. Fortan hast du nichts mehr von mir zu befürchten.«

Haraldsen entfernte sich. Johannes Hansen war tief erschüttert. Margarete sah dem Scheidenden mit klopfendem Herzen nach. Einmal machte sie eine rasche Bewegung, als wollte sie ihm nacheilen, ihn zurückhalten. Aber sie vermochte es nicht, und warf sich, von ihren Gefühlen überwältigt, in die Arme ihres Vaters.

Es war eine geraume Zeit verstrichen. Die Kriegsverhältnisse hatten sich geändert. Die Waffen ruhten. Die See war frei. Der »Clevesche Lindenbaum« lag abgetakelt in dem Hafen von Pillau und sein Führer hatte die Kommandantschaft von Pillau wieder übernommen. Der Danziger Totenkopf war ganz verschwunden; nirgends wo hatte man was von ihm gehört. Eines Morgens, als Johannes Hansen sich eben an sein mühsames Tagewerk begeben wollte, trat unerwartet der alte, ehrliche Bandler bei ihm ein.

»Laßt Euch meine Gegenwart nicht erschrecken, bester Herr. Ich bin der Überbringer einer guten Botschaft.«

Johannes Hansen sah den ehemaligen Diener und treuen Freund mit einem ungläubigen Lächeln an.

»Es ist eine schlimme Zeit,« meinte Bandler. »Aber Treue und Glauben sind doch nicht ganz verschwunden. Ich bringe dafür einen Beweis. Ihr erinnert Euch des vermittelten Lieferungsgeschäfts mit dem Hause Scerdzen in Warschau, wobei Ihr mit großen Summen beteiligt wart? Der Sturz jenes Hauses war der erste harte Schlag, der Euch traf. Nun, Herr, die Inhaber jener Firma haben sich wieder aufgerafft. Sie erfüllen ihre früheren Verpflichtungen so viel wie möglich, und ich bin als ihr Sachwalter beauftragt, Euch die Summe von zwanzigtausend brandenburgischen Gulden anzubieten.«

Selten sprach sich der Übergang vom stillen Kummer zum lauten Jubel beredter aus, als in dieser Stunde. Als alle ruhiger geworden, sagte Bandler:

»Ich hafte mit meinem Kopf für die Wahrheit meiner Worte. Die genannte Summe liegt in Danzig für Euch bereit. Auch ist Hoffnung vorhanden, Euer Haus zurückzuerhalten. Ihr sollt unter Eurem eignen Dache leben. Das letztere habe ich zustande gebracht, weiteres sage ich Euch später. Macht Euch nun von Euren hiesigen Verhältnissen los, damit wir sofort abreisen können.«

Das letztere war bald geschehen und am folgenden Tage erklärte Johannes Hansen, es stehe der Abreise nichts mehr im Wege. Bandler hatte für ein Schiff gesorgt und man ging noch spät abends an Bord, weil in der ersten Morgenfrühe die Abreise vor sich gehen sollte. Als der Anker gelichtet war und die Segel sich füllten, betraten die Passagiere das Verdeck. Johannes Hansen schrie auf, als er auf dem Schiffe den ihm so verhängnisvollen Kaper und in dem Manne neben dem Steuer Haraldsen erkannte.

Dieser reichte ihm die Hand und sagte:

»Dies ist der Totenkopf von Danzig und Ihr seid zum zweiten Male an seinem Bord. Doch ist die Flagge mit dem bösen Wahrzeichen verschwunden.«

Er deutete auf die Gaffel, von welcher aber die Flagge der Stadt Danzig lustig wehte.

»Eure Galioten wurden als gute Prisen aufgebracht und daran ist nichts zu ändern,« fuhr Haraldsen fort. »wenn Ihr aber den Anteil, der mir zufiel, dem beifügt, was Bandler Euch rettete, seid Ihr von jeder Not enthoben. Und nun ich Euch das mitgeteilt habe, ist mir leicht ums Herz. Was sagt Ihr, Margarete?«

Margarete antwortete nichts. Aber die helle Freude, die aus ihren Augen strahlte und die Verwirrung, mit welcher sie ihm beide Hände hinreichte, waren beredter als alle Worte.

»Die Schuldbriefe sind zerrissen hier und überall!« rief Haraldsen. »Das Besteck ist in Ordnung und wir setzen von heute an einen neuen Kurs, frische Brise und eine behaltene Reise allezeit.«

Sie reichten sich laut aufjubelnd die Hände und als die Mannschaft das Halbdeck so guter Dinge sah, stimmte sie, ohne zu wissen, weshalb, mit lautem Rufe ein, während das Schiff im raschen Laufe durch die Salzflut hinschoß.


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