Heinrich Smidt
Meeresstille und hohe See
Heinrich Smidt

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Das Dünendorf.

Zwischen den fruchtbaren Marschstrecken der langen und schmalen Küste und der rollenden See liegt in meilenweiter Ausdehnung die weißleuchtende, hochgetürmte Düne. Nur einige allmählich ansteigende Flächen sind sparsam mit Sandhafer bewachsen. Die meisten Gipfel bleiben kahl und die Stürme wirbeln die Staubsäulen bis zu unglaublicher Höhe. Mühsam erklimmt der Wanderer dies schützende Bollwerk und steht inmitten einer Wüste, die nichts Lebendes kennt, als die Bergenten, die in tiefen Höhlen nisten. Hierher kommt niemand, als um Mitternacht der schlaue Schmuggler und der Steuerjäger, der Schritt um Schritt, ein stummer Schatten, mit angelegtem Gewehr seine Spur folgt.

Da plötzlich öffnet sich in dieser »Welt des Sandes« ein Tal. Der Wanderer sieht überrascht ein Dorf mit einigen zwanzig Häusern. Es sind eigentlich nur Hütten, allein sie sind sauber und wohl erhalten. Bäume gedeihen in der rauhen Seeluft nicht; aber vor jeder Haustür ist ein grünes Fleckchen und im Hochsommer schaut aus manchem Rasen ein helles Blumenauge zum sonnigen Himmel auf.

Es ist eine Fischerkolonie, dies in den Dünensand eingeheimte Dorf. Seine Bewohner, abgehärtet in Wind und Wetter, in dem Kampf mit den Elementen erstarkt, haben zur Frühjahrs- und Herbsteszeit manchen halbverlorenen Segler wieder auf den rechten Steuerkurs gebracht. Aber, wenn die andern auch das ihrige erhielten, für sich selbst brachten sie nie etwas vor sich. Sie waren zufrieden, wenn der für den Winter gesammelte Vorrat reichte, bis der neue Frühling neues Leben in die erstarrten Eismassen brachte, die sich zwischen See und Land aufbauten.

Die Hütten lagen in dem von zwei allmählich ansteigenden Höhen gebildeten Talkessel. Nur zwei derselben standen an den entgegengesetzten Enden der Kolonie ein Stück Weges die Anhöhe hinauf und sahen, gleichsam als wären sie die gebietenden Herren, vornehm auf das Dörfchen herab. Und doch waren die Bewohner dieser beiden Hütten gerade die ärmsten. Wie vor ihrer Tür, die ihrer Lage nach den Seestürmen am meisten ausgesetzt war, nie ein Grashalm keimte, so hatte das Glück nie einen Fuß über die Schwelle dieser Tür gesetzt.

Die beiden Männer vom Berge hatten manchen Strauss zur See bestanden und sich bei harter Arbeit aneinander gewöhnt. Die Bewohner des Tales hielten sich streng abgeschlossen. Als jene einst an die eine oder andere Tür klopften, um sich von den heranwachsenden Töchtern eine zum Weibe zu erbitten, wurden sie mit einem Korbe heimgeschickt. Sie blieben unbeweibt. Da sie für niemand zu sorgen hatten, wurde ihnen das wenige, was sie besaßen, noch gleichgültiger. Der Regen sickerte durch das Dach ihrer Hütten. Der Wind strich durch die zerbrochenen Fenster.

Sonst mochte es kaum zwei Männer geben, die in einem so engen Verkehr standen und zugleich so unähnlich an Charakter waren. Hans Blocker von der Westerhöhe war mürrisch, finster, in sich gekehrt. Er haderte mit seinem Geschick und grollte mit der ganzen ihm bekannten Welt. Sah er irgendwo das Feuer auf dem Herde heller brennen oder den Hausmann seinen Vorrat keuchend heranschleppen, wandte er sich fluchend ab oder rief eine Verwünschung hinter ihm her. Die Leute merkten es bald und gaben es ihm tüchtig heim. Wie sollte das Licht in ein so umdüstertes Leben dringen?

Auf der Osthöhe wohnte Broder Jans, ein stiller besonnener Mann. Er hatte keine Ursache, seinem Nachbarn besonders dienstfertig zu sein; aber er war freundlich, grüßte jeden und stand bereitwillig Rede. Er beneidete die Wohlhabenden nicht, sondern sagte nur manchmal kopfschüttelnd, wenn er sein Netz leer aus der See zog:

»Wunderlich! die großen Fische kommen nicht zu dem kleinen Mann und für die kleinen sind die Maschen meines Netzes zu groß.«

Manchmal aber kam es doch vor, daß dieser oder jener Fang gelungener ausfiel. Dann gingen die beiden Höhenbewohner in das nächste Bauerndorf, wo sich immer Aufkäufer fanden, die ihnen ihre Waren abnahmen. So ein Tag war heute gewesen. Sie hatten einige Schillinge in der Tasche, was lange nicht der Fall gewesen war.

Beide waren auf dem Wege zur Schenke, um sich vor dem Heimgange einmal gütlich zu tun. Da traf es sich, daß ein Bauer den Broder Jans im Gespräch aufhielt. Er hatte den armen Dünenfischer bei einer früheren Gelegenheit kennen gelernt und wohl im Gedächtnis behalten. Darum grüßte er ihn jetzt freundlich und meinte, zur Schenke käme er noch frühzeitig genug; er solle nur mit ihm kommen, denn er wolle ihm einen Verdienst nachweisen.

Nach zwei Stunden, als es bereits stark dämmerte, verließ Broder Jans den Bauernhof und ging der Düne zu. An die Schenke dachte er nicht mehr. Die Aussicht auf eine lohnende Arbeit war ihm eröffnet und dann hatte er mit dem Bauer eine reichliche Mahlzeit gehalten, was ihn aber im ganzen fröhlich machte, das waren die guten Eindrücke, die er unter jenem Dache empfangen. Das stille Familienleben hatte ihn angeheimelt. Neidlos, wie er war, sah er das fremde Glück nicht mit giftigen Augen an. Aber eine tiefe Sehnsucht erwachte in seinem Herzen und als er in seine einsame Hütte trat, seufzte er laut.

Hans Blacker war geradesweges zur Schenke gegangen und schimpfte bei seinem Kruge Bier auf den Nachbar, der ihn sitzen lasse. Da er die Zeit nicht hinzubringen wußte, trat er an den nächsten Tisch, wo einige lose Bursche – Strandläufer oder andere Taugenichtse – saßen und doppelten. Nicht lange dauerte es und Hans Blacker saß mitten unter ihnen. Bald waren die wenigen Schillinge hin. Sie reichten nicht einmal, die Trink- und Spielschuld zu decken. Als er dem Wirt nicht gerecht werden konnte, warf ihn dieser, von dem Gelächter der übrigen angefeuert, zum Hause hinaus. In dem Zustande der höchsten Aufregung kam Hans Blacker heim.

Ein furchtbares Unwetter, welches schon während des ganzen Abend gedroht hatte, brach plötzlich los und warf sich mit aller Macht auf die erschrockene See. Der Blitz riß die herabhängenden Wolken auseinander und ließ die See taghell aufleuchten. Der Donner rollte durch die Dünentäler. Von den einschließenden Höhen stürzte der Regen herab.

Wenn der Donner rollt und der Blitz leuchtet, springt der Küstenbewohner von seinem Lager auf und eilt dem Strande zu, wo die See ihm die schäumende Brandung in das Gesicht wirft. Sein geübter Blick erspäht, was jedem Binnenländer ein Rätsel bleiben würde.

Aber in dieser Nacht lag der Schlaf bleiern auf den Bewohnern des Dünendorfes. Es hörte keiner das Heulen des Sturmes, den herabrauschenden Regen, die anbrandende See. Halb erschreckt fuhr wohl einer aus seinem Traumschlaf empor, sank aber gleich darauf, unverständliche Worte murmelnd, auf sein Lager zurück.

Nur auf der Ost- und Westhöhe ward das Unglück gehört. Beide Bewohner derselben waren von den Erlebnissen des Tages zu erregt. Der Schlaf floh vor ihnen. Sie standen vor der geöffneten Tür und schauten erwartungsvoll auf die See. Jeder Augenblick konnte etwas Unerwartetes bringen, das eines entschlossenen Mannes Beistand erforderte.

»Wenn ein Schiff in diesem Sturm an unser Eiland verschlagen würde!« sprach Hans Blacker vor sich hin. »Vielleicht bei der gelben Düne oder da herum. An ein Loskommen wäre nicht zu denken und also ein guter Fang zu machen.«

Hans Blacker dachte an das damals geltende Strandrecht, das eigentlich das schreiendste Unrecht war. Es gab einen gesetzlichen Bergelohn, der dem Gretteten die Haare sträuben machte und in den Kirchen betete man mit Herz und Mund für einen gesegneten Strand.

Der Sturm, so heftig er war, dauerte nicht lange. Bald hatte es abgeweht. Die Wolken verloren sich und der Himmel wurde klar. Wer der wilden Bö entkommen war, fand einen Leitstern, dem er getrost nachsteuern konnte.

»Es ist ein Gang!« sagte Hans Blacker zu sich selbst. »Wenn ich etwas will, muß ich es gleich wollen, bevor sie im Dorfe die Witterung kriegen oder irgendein schäbiger Steuerjäger von drüben heraufkommt. Das Volk hat eine feine Nase. Frisch daran. Ich kenne jede Furt und bin mit Tagssanbruch der gelben Düne seitlängs.«

Er versah sich mit dem Notwendigsten und ging hinab zum Strande, wo sein Boot lag. Vorsichtig steuerte er hart am Ufer entlang, durch die seichten Stellen, oft von der schäumenden Brandung überholt, in steter Gefahr, von einer Welle gefaßt und in die See gerissen zu werden. Endlich kam er bis zu der vorspringenden gelben Düne, unter deren Schutz sein Boot wie in einem Teiche lag. Hier war nirgends etwas zu sehen. Aber der Morgen dämmerte auch kaum.

»Vielleicht da oben!« dachte Hans Blacker, sprang aus seinem Fahrzeuge und stieg die Düne hinan. Oben angelangt, schrie er laut auf. Ein kleines Küstenschiff, halb Schoner, halb Galeas, wie solche in jenen Gewässern häufig gesehen werden, lag, von der Brandung auf die Seite geworfen, in der Nähe des Strandes. Mit Blitzesschnelle war er unten. Da lag auch das gekenterte Boot des gestrandeten Schiffes. Das Ende eines zerrissenen Kabels hing darüber hin. Der kundige Seemann begriff, daß die Mannschaft versucht hatte, eine Verbindung mit dem Schiffe und dem Lande herzustellen. Aber das Kabel riß und das Boot kenterte. Wohin hatte die Flut die Leichen getrieben? Der vor einer Stunde umgesetzte Stromgang hatte sie vielleicht seewärts fortgeschwemmt.

Hans Blacker sah sich nicht weiter danach um. Er dachte kaum daran, ob er es auch tun müsse, sondern hastete sich ab, an Bord zu kommen. Das gekenterte Boot mit den geknickten Rippen war nicht zu flotten. Die Ebbe strömte reichlich ab. Er konnte vielleicht durch die Brandung waten. Das Glück war mit ihm. Der schäumenden See gewohnt, wußte er derselben geschickt auszuweichen und stand bald seitlängs an dem Wrack.

Kaum auf dem Verdeck angelangt, bellte ihn ein Hund an, der mit einem Tau an den Mast gebunden war, damit ihn die See nicht fortspüle. Hans Blacker bekümmerte sich nicht um das Tier und ging geradesweges in die Kajüte.

Ein erschreckender Anblick bot sich dar. Auf dem Boden lag eine weibliche Leiche. Ein morscher Decksbalken, der bei dem heftigen Stoße gebrochen war, hatte ihr im Herabstürzen den Schädel zerschmettert. Einen Augenblick stand er erbleichend vor der Leiche, dann aber wandte er sich ab. Er war, von einer unsichtbaren Macht getrieben, an Bord dieses Schiffes gekommen. Von dem Ausbruche des Sturmes an, bis zu dieser Minute hatte es in seinem Innern gesprochen: »Dein Glück blüht! Greife zu, aber schnell!«

»Und das will ich auch!« antwortete er sich selbst. »Keine Macht soll mich hindern zu nehmen, was sonst andern in die Hände fällt, die nach mir kommen. Das da ist eines von den Fahrzeugen, die mit den nordischen Inseln Handel treiben und wenn sie heimsteuern, ist das Spind ja mit guten Silbertalern gefüllt. Da wäre ich auf einmal all mein Elend los.«

Rasch trat er zu den beiden Pfeilern, zwischen denen der Schrank befindlich ist, worin der Kapitän sein eigenes sowie das ihm anvertraute Geld, die Schiffspapiere und andere wertvolle Gegenstände aufbewahrt. Die Tür war bald gesprengt. Eine reiche Beute lachte ihm entgegen.

Was Hans Blacker auch immer erhoffte, soweit hatte seine Phantasie sich doch nicht verstiegen. Ein großer Beutel mit Talern stand vor seinen Augen. Hinter demselben erblickte er einen zweiten, kleineren, worin er, als er ihn mit zitternden Händen öffnete, eine große Zahl blanker Goldstücke fand.

Es dauerte lange, bis sich seine Aufregung legte; dann aber steckte er das Gold in die weiten Taschen seines Wamses und warf den Sack mit Talern auf die Schultern. Als er hart bei der Leiche vorüberging, schauerte er unwillkürlich zusammen und murmelte, um sein Gewissen zu beschwichtigen: »Wenn ich das da in Sicherheit gebracht habe, will ich sie begraben.«

Er kam glücklich an den Strand zurück. Das Geld konnte er nicht offen durch das Dorf tragen. Die Nachbarn hätten es gesehen und ihm sein Recht daran verkümmert. So beschloß er, den Sack zu vergraben und zur Nachtzeit in Sicherheit zu bringen. Bald war die leichte Arbeit geschehen und als Wahrzeichen wurden einige Steine auf die Stelle gelegt.

Nun dachte Hans Blacker flüchtig daran, an Bord zurückzukehren und die tote Frau abzuholen. Da glitt wie zufällig sein Blick längs der gelben Düne. Auf ihrer Spitze sah er einen Mann stehen. Er erschrak, denn er hielt sich für entdeckt. Aber bald überzeugte er sich, daß jener so stand, daß er ihn gar nicht sehen konnte und schnell und beruhigt sagte er vor sich hin:

»Der da wird auch an Bord gehen und kann statt meiner das Wrack vernichten, um so mehr, als er nichts anderes zu tun findet. Daheim aber können sie sich in acht nehmen. Bis heute haben sie mich mit Füßen getreten, von dieser Stunde an trete ich sie.«

Er kehrte zu seinem Boote zurück und fuhr bis zu dem Landungsplatze im Dorfe. Mit seinen leeren Netzen stieg er fluchend die Westhöhe hinauf. Zwei Männer, die des Weges kamen, sahen sich an und der eine sagte:

»Da kommt Hans Blacker. Ist bei dem Unwetter die Nacht draußen gewesen und hat keine Flosse gefangen. Tut mir eigentlich leid.«

»Was leid!« sagte der zweite. »Solange der Kerl lebt, hat er mit keinem Christenmenschen auch nur das geringste Mitleid gehabt. Warum sollen wir es mit ihm haben? Möchte es Euch auch gar nicht raten, ihm ein freundliches Wort zu sagen. Er würde Euch schön abführen. Ob es heute nacht etwas gegeben hat? Es soll tüchtig gebrieset haben.«

»Meine Alte sagt es!« entgegnete der erstere. »Können uns ja einmal umtun.«

Die beiden Männer beschlossen, sich nach einem Wrack umzusehen, das Hans Blacker schon ausgebeutet hatte und dem jetzt der Mann zuschritt, der auf der Spitze der Düne sichtbar wurde.

Dieser Mann war Broder Jans. Auch er trat in der Nacht vor die Tür hinaus und folgte dem Verlauf des kurzen, aber gewaltigen Unwetters mit kundigem Auge. Sein richtiger Blick zeigte nach der gelben Düne, die sich zu Lande leichter erreichen ließ und da stand er nun. Als Hans Blacker an der Ostkante seinen Schatz vergrub, stieg er, ohne eine Ahnung von dem zu haben, was in seiner Nähe vorging, an der Westkante herab. Er sah das gestrandete Schiff und versuchte, es zu erreichen. Mit einem tiefen Atemzuge betrat er das Deck. Der Hund am Mast winselte ihm entgegen.

»Armes Vieh!« sagte Broder Jans und band ihn los. Der Hund sprang empor; die Zunge hing ihm aus dem Halse.

»Dir fehlt's am besten,« fuhr Broder Jans fort und sah sich nach dem Wasserfasse um. Bald hatte er den Hund getränkt und da ein Fischer sich selten auf eine Schwimmfahrt begibt, ohne mindestens ein Stück Brot in der Tasche zu haben, teilte er seinen Vorrat mit dem hungernden Tier. Erst dann sah er sich näher auf dem Verdeck um, des Hundes nicht achtend, der zur Kajütskappe sprang und als er die Tür eingeklinkt fand, jämmerlich winselte. Als er endlich die Tür öffnete, sprang der Hund heulend die Treppe hinab. Gleich darauf stand Broder Jans vor der erschlagenen Frau. Er begriff, wie alles gekommen war und sagte:

»Das Volk hat das Schiff verlassen, um Hilfe vom Lande zu holen. Dabei sind sie verunglückt. Das ist mir klar. Aber laßt uns weiter sehen.«

Ehe er dies ausführen konnte, sah er, wie der Hund die Leiche verließ und an die Tür kratzte, welche in die anstoßende Kammer führte. Rasch drückte er sie auf und blieb vor Erstaunen mit halboffenem Munde stehen. Von der Decke herab hing eine schwebende Wiege und in derselben lag ein dem Anscheine nach dreijähriges Kind, das die Ärmchen weinend dem Hunde entgegenstreckte, der zu ihm hinaufsprang.

»Das sind seltsame Beutestücke!« dachte Broder Jans. »Aber es ist meine Christenpflicht, zuerst dieses kleine unschuldige Menschenleben zu retten. Wir behalten wohl schmuckes Wetter den Tag über und ich komme mit den Nachbarn zurück, um der toten Frau den letzten Liebesdienst zu erweisen. Erst aber will ich sehen, ob ich nichts von Papieren finde, die zu bergen sind, für den Fall, daß ein Unglück geschieht, während ich weg bin.«

Er trat zu dem Spinde hin, aus welchem Hans Blacker das Geld genommen, und fand zu seiner Verwunderung denselben nicht nur offen, sondern den Inhalt auch durcheinander geworfen, während doch vor dem Beginn der Reise alles so festgezurrt wird, daß es sich nicht verrücken kann. Es mußte schon jemand vor ihm hier gewesen sein. Aber wer? Oder hatte der Schiffer selbst, bevor er von Bord ging, das ihm Unentbehrlichste herausgenommen? Darüber zu grübeln, war jetzt nicht Zeit. Er steckte mehrere Papiere und eine Brieftasche zu sich, nahm das Kind auf den Arm, pfiff dem Hunde und stieg vom Bord in die rauschende See. Der Hund sprang ihm bellend nach.

Das war ein Wundern, als Broder Jans das Dorf betrat. Er erzählte, was geschehen war, und sagte dann, die Gemeinde müsse das Kind bei sich aufnehmen. Als aber einige dies mit barschen Worten von sich wiesen, meinte er, daß er es selbst behalten wolle. Der Herrgott habe es ihm sichtbarlich zugewiesen und er werde es nicht verstoßen. Eine Frau, die hinzugetreten war, sagte:

»Das ist gut gedacht, Nachbar. Gib mir aber einstweilen das Kind. Es weint zum Erbarmen und ich will es tränken. Derweil siehe du zu, welches weitere Strandgut du findest.«

So geschah es. Alles, was im Dorfe an Mannsvolk vorhanden war, ging nach dem Ende des Sandes am Fuße der gelben Düne. Nur von Hans Blacker war nichts zu sehen. Seine Tür blieb verschlossen.

Besonnen gingen die Männer an ihr Werk. Die Flut war im Wachsen und das gestrandete Schiff vom Lande nicht mehr zu erreichen. Darum wurden schnell die Boote geflottet. Ihr erstes Geschäft war, die Leiche an das Land zu bringen. Es gab noch keinen Gottesacker mit der Bezeichnung: »Heimatstätte für Heimatlose«; darum bereiteten sie ein Grab auf einer hochgelegenen Stelle der Düne und als sie die Leiche da hinein legten, sprachen sie ein stilles Gebet. Auf das zugeschüttete Grab legten sie darauf sieben Steine in Form eines Kreuzes. Das ist der fromme Brauch am Strande. Mag auch der nächste Sturm den Dünensand darüber werfen, daß er vor den Augen der Menschen verschwindet, dem Auge Gottes ist das Werk der Barmherzigkeit offenbar.

Von den Kaufmannsgütern, die sich am Bord befanden, vermochte man bis zum Abend nur wenig zu bergen. Als die Sonne unterging, erhob sich der Sturm aufs neue und mit solcher Heftigkeit, daß beim Anbruch des Tages das Fahrzeug zu einem rettungslosen Wrack geworden war.

Die Strandreiter, die unterdessen auch Kunde bekommen, eilten mit dem Strandvogt herbei und das Beutemachen auf eigene Hand hatte ein Ende.

Broder Jans ging in sein einsames Haus auf der Osthöhe zurück, nicht ohne das gerettete Kind mit sich zu nehmen, begleitet von dem Hunde, der sich nicht von ihm trennte. Das Kind war ein schmuckes Mädchen, das nur einzelne unzusammenhängende Worte in einer Sprache zu sagen wußte, die hierorts niemandem verständlich war. Auch die Papiere, die Broder Jans rettete, waren so geschrieben, daß die beiden einzigen Dorfbewohner, die überhaupt lesen konnten, nach einer gewissenhaften Prüfung erklärten, sie verständen nichts davon. Wollte Broder Jans etwas Näheres wissen, möge er den Steuervogt oder den Pastor im Kirchdorfe zu Rate ziehen. Er versprach es auch; aber die nächste Sorge war immer die erste. Gab viel zu schaffen in der Hütte eines armen Mannes, wo statt eines Kostgängers sich plötzlich deren drei einfinden. So wurde die Untersuchung der Papiere immer weiter hinausgeschoben und am Ende gar vergessen.

Aber mit dem Mägdlein war ein Segen in die Hütte des armen Fischers gekommen. Es hatte ein holdseliges Angesicht und die Aeuglein blickten so hell. Die Weiber im Dorfe, die selbst Kinder hatten, rechneten dem Broder Jans seine Tat hoch an. Sie leisteten ihm Vorschub mit Kleidungsstücken und sonstigen Dingen, die einem jungen Kinde nötig sind, und wovon die Männer nichts wissen. Auch den Hausvätern ging es zu Herzen und sie sprangen mit Rat und Tat bei. Als die Kunde von dem Ereignis in das nahe große Dorf kam, wo der Bauer wohnte, der auf den armen Fischer so große Stücke hielt, hatte vollends alle Not ein Ende. Es kamen der Liebesgaben so viele, daß er sie kaum verbrauchen konnte. Was aber die Hauptsache war: die Kundschaft vergrößerte sich und er hatte so vielen Verdienst, daß er bald sein kleines, halbleckes Boot auflegen und an den Kauf eines neuen, seefesten, denken konnte.

So gingen nun die Tage fröhlich hin.

Eine Reihe von Jahren war verstrichen. Das aus dem Schiffbruch gerettete Mägdlein war zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen. Broder Jans nannte sie Heilwig. So hieß seine Mutter und er hatte das hilflose Kind gleich im ersten Augenblicke so lieb gewonnen, daß er es nicht freundlicher zu nennen wußte als mit diesem Namen. Aber Heilwig nahm sich des Hauswesens tüchtig an und brachte im Arbeiten etwas vor sich. Alle Weibsleute mußten es eingestehen.

Herrschte nun in der Hütte auf der Osthöhe ein sich mit dem Laufe der Tage steigendes, friedliches Glück, hatte es sich dagegen unten im Dorfe allmählich gar sehr verändert. Finsteres Unheil senkte sich auf das einsame Dünendorf herab. Und dieses Unglück braute zusammen in der Hütte des Hans Blacker auf der Westhöhe. Er hatte es den Dörflern geschworen, daß er ihnen die Verachtung, die sie ihm bewiesen, heimzahlen wolle, sobald er könne. Und er tat es wie ein rechter Teufel, als ihm die Macht dazu gegeben ward. »Von Haus und Hof sollen sie mir, so wahr ich das Leben habe!« sprach er damals in seinem Grimme, als er noch nicht wußte, wie er diese Worte wahr machen sollte und er wiederholte sie in jener Nacht, als er den am Fuße der gelben Düne vergrabenen, vom Bord der gestrandeten Schoner-Galeas entwendeten Beutel heimbrachte.

Ein paar Tage nach jenem Ereignis begab er sich mit großem Geräusch auf die Reise. Ihm war darum zu tun, daß jedermann erführe, er sei nicht etwa nach dem nächsten Kirchdorfe gewandert, sondern nach der Hafenstadt am Westford. Dahin jage ihn ein Traum der letzten Sonntagsnacht, und man werde schon erleben, daß er das Glück mit sich heimbringe auf die Westerhöhe. Aber dann wolle er von derselben herabkommen, daß alle zittern und beben sollten.

Das erzählten die Leute einander. Und wie es zu geschehen pflegt, malte der zweite das Bild mit grelleren Farben als der erste, und der dritte ging noch einen Pinselstrich weiter als der zweite. So wuchs das Gerücht, bis Hans Blacker heimkam, einen Kittel von dem besten Tuche auf dem Leibe, große Stiefeln an den Füßen und eine nagelneue Pelzmütze auf dem Kopfe; alles Dinge, die man in dem Dünendorfe nur hier und da an hohen Festtagen und auf der Westerhöhe bislang nie sah.

Hans Blacker hatte nichts Eiligeres zu tun, als nach der Schenke zu gehen und sich in seinem Glanze zu zeigen. Als er eintreten wollte, kam Broder Jans gerade vom Strande herauf und der von ihm gerettete Hund sprang bellend vor ihm her. Als das Tier den Hans Blacker erblickte, stellte es sich ihm in den Weg und zeigte ihm grimmig fletschend die Zähne. Das Tier schien den Mann wieder zu kennen, der erbarmungslos an ihm vorüberging, als es an dem Maste festgebunden war.

Broder Jans hatte genug zu tun, den Hund an sich zu locken. Sein früherer Maat sah ihn mit einem grimmigen Blicke an und rief höhnisch:

»Tust dir wohl etwas zugute auf das Beutestück, das du dir von deiner Strandfahrt mitgebracht hast? Aber so hoch du deine Nase auch trägst, ich bringe dich doch herunter von deiner Osthöhe, du Lump!«

»Wenn du über den Lump, den du in dir hast, auch einen noch so feinen Kittel ziehst, ist er darum doch deutlich zu erkennen!« entgegnete Broder Jans und wollte noch ein schweres Wort hinzufügen, da fiel sein Blick auf den Hund, der noch immer unruhig war. Er gedachte des offenen Schrankes am Bord der Schoner-Galeas, worin alles unter- und übereinander lag. Ihm fiel die tote Frau ein und das hilflose Kind in der Kammer. Ihn überlief ein Frösteln. Es schnürte ihm die Kehle zusammen und er vermochte keinen Laut hervorzubringen.

Hans Blacker hatte polternd und scheltend die Schenke betreten, wo ihm nichts gut genug war. Bald nachher erzählte die Wirtin der Nachbarin, Hans Blacker habe drei Nummern geträumt, die er in die Lotterie gesetzt und ein großes Geld darauf gewonnen habe. Ihr Mann sei verschuldet und der Hans Blacker habe ein Gebot auf das ganze Gewesen getan. Viel werde, wenn die Schuld bezahlt sei, nicht übrig bleiben; aber man komme doch von den Gläubigern los und könne an einem andern Orte von vorn anfangen. Als Hans Blacker später nach Hause ging, war er Herr der Schenke und die seitherigen Besitzer mußten andern Tages abziehen. Das hatte er bei dem Kaufe ausgemacht.

Noch waren nicht drei Wochen ins Land gegangen, da besaß der Bewohner der Westerhöhe noch drei andere Gewesen, die der Schenke zunächst lagen. Er hatte den bisherigen Besitzern ihr Eigentum abzuschwatzen gewußt, indem er sie in ihren Vorurteilen bestärkte. Es war nämlich auch bis in diese unwirtlichen Gegenden die Kunde gekommen von dem großen Glücke, das der deutsche Auswanderer mache, wenn er nach Amerika komme. Eine große Anzahl von Hufen des fettesten Bodens würde für einen Spottpreis und ganz abgabenfrei verkauft und wer eine Handvoll Geld mitbringe, der könne mit leichter Mühe ein großes Glück machen. Das gefiel den Leuten, die hier im steten Kampfe mit der See ein mühevolles Dasein fristeten und da ihnen die Aussicht auf ein künftiges Herrenleben eröffnet ward, griffen sie mit beiden Händen zu.

Und wie Hans Blacker es mit dem ersten machte, so tat er es nach und nach mit den übrigen. Man konnte sagen, daß er binnen Jahresfrist Herr des Dorfes ward, denn entweder kaufte er Haus und Land an sich oder er schoß Geld vor und ließ sich eine Verschreibung geben. Die Häuser der Ausgewanderten vermietete er an solche, die als die erste Bedingung geloben mußten, sich nach seinem Gebote zu richten und nichts anderes zu wollen, als was ihm recht sei. Auf diese Weise gewann er eine immer größere Macht im Orte und man konnte sagen, er habe seine Drohung wahr gemacht, alles Volk im Dorfe zu zwingen, ihm dienstbar zu sein.

Nur mit einem vermochte er nichts anzufangen und das war Broder Jans auf der Osthöhe. Darum wuchs sein Groll gegen diesen und er sann Tag und Nacht, wie er ihm ein Bein stelle. Es fiel ihm aber nichts bei und er konnte nichts tun, als in der Schenke seinen Zorn in Bier und Branntwein ertränken. In dieser Schenke ging es wüst her. Sonst ließen die Dorfleute nur an Sonn- und Festtagen oder wenn die See reiches Strandgut lieferte, etwas draufgehen. Jetzt war es anders. Sie hatten nichts mehr zu verlieren und konnten nichts mehr gewinnen. Bei harter Arbeit fristeten sie notdürftig ihr Dasein. Was Wunder, daß sie bei der Flasche Zerstreuung suchten. Da ward getrunken, solange die sauer erworbenen Pfennige reichten oder der Wirt borgen wollte. Dazwischen ward gespielt und das Spiel war der Deckmantel für Lug und Trug. Das gab Anlaß zu harten Worten und empfindlichen Reden. Vom Worte schritt man zur Tat und mancher Abend endete mit einer rohen Schlägerei. Anfangs stemmten sich die Weiber dagegen. Als sie aber sahen, daß ihr Ermahnen nichts fruchtete, gingen sie entweder lamentierend zum Dorfe hinaus oder sie folgten den Männern in die Schenke und ließen es zu Hause gehen, wie es wollte. So stürzte denn der letzte Rest vollends zusammen.

Von all dem Treiben blieb die Osthöhe unberührt. Broder Jans hatte zwar nichts Sonderliches vor sich gebracht, aber er hatte stets einen solchen Verdienst, daß er die drei Pfennige, die einem redlichen Arbeiter zu gönnen sind, immer vorrätig hatte, nämlich den Zehrpfennig, von dem er lebt; den Notpfennig, zu dem er greifen mag, wenn Krankheit oder andere Trübsal ihn an seinem Herde aufsucht, und den Ehrenpfennig, der die Kosten decken muß, wenn ein frohes Ereignis Einkehr bei ihm hält. Ein solcher Tag war nun auf der Osthöhe noch nicht erschienen, aber Broder Jans behielt guten Mut. Er dachte, indem er einen blanken Taler zu dem zweiten in die Pappschachtel legte, die in dem Wandschranke stand: »Macht drei! Man kann nicht wissen, was kommt. Es ist noch nicht aller Tage Abend und was heute nicht ist, geschieht vielleicht morgen.«

Und Broder Jans dachte nicht ohne Grund so. Es gab eines Tages ein eiliges Geschäft für ihn. Ein Bauer, der seines Bootes benötigt war, sandte seinen Sohn auf die Osthöhe. Nun fand der junge Peter Marten zwar den Schiffer nicht zu Hause, aber er traf die Heilwig, über deren Anblick er die ganze Bestellung vergaß, sehr geschämig tat, allgemach dreister ward, und zuletzt ein Langes und Breites schwatzte, was eigentlich niemand verstand, auch die Heilwig nicht. Aber es gefiel ihr gut. Als er ihr zum Abschiede die Hand gab, ward sie über und über rot, und lächelte verlegen, als er hinzusetzte, er werde bald wiederkommen!

»Bald« ist eine längere oder kürzere Frist, je nachdem die Leute sind. Bei Peter Marten dauerte sie drei Tage; das zweitemal noch einen weniger. Stets hatte er ein Gewerbe zu bestellen und stets vergaß er es auszurichten. Und er blieb doch lange genug oben, um sich auf das Vergessene wieder zu besinnen.

Ein wohlhabender Bauernsohn besuchte eines armen Fischers Findelkind. Grund genug, die müßigen Weiber im Dorfe aufzuhetzen, die es der armen Heilwig nicht gönnten, daß sie still und ehrbar in dem Hause ihres Pflegevaters lebte, dieweil sie selbst immer tiefer in Not und Elend versanken. Peter Martens Vater wußte bald von den Gängen seines Sohnes und wetterte das Blaue vom Himmel herunter. Broder Jans aber sagte zu dem Burschen:

»Von heute ab kommst du mir nicht wieder. Dein Vater wird eine Heirat nicht zugeben und daß du auf etwas anderes sinnst, will ich nicht hoffen, sonst schlüge ich dir die Knochen im Leibe entzwei. Du hast hier so viele Gewerbe bestellt, bestelle nun auch das, was ich dir eben sagte, deinem Vater. Das ist dein Bescheid und von morgen ab mußt du dir einbilden, der Weg, der aus deinem Dorfe hier heraufführt, sei durch eine Sturmbö versandet.«

Peter Marten ging traurig davon. Aber er mußte sein Gewerbe richtig bestellt haben, denn der Alte sagte nach einiger Zeit zu seinem Gevattersmann:

»Mein Peter tut mir leid, weil er sich so grämt. Aber die Betteldirne, die noch obendrein ein Findelkind ist, kann ich ihm doch nicht geben. Die ganze Gemeinde käme in Aufstand. Dem Fischer muß ich es aber nachsagen, daß er ein Einsehen hatte. Er wies dem Jungen die Tür und hat sich für alle künftigen Besuche bedankt.«

Mit der Heilung ging es nicht besser als mit dem Peter. Sie schwieg, aber sie grämte sich im stillen. Die Dirne lachte nicht mehr. Die roten Backen bleichten; die Augen standen oft voll Wasser. Ihr Pflegevater grämte sich auch; aber er vermochte es nicht zu ändern und sagte, um sich zu trösten:

»Ich tat meine Pflicht. Wie hätte ich bestehen sollen hier und in der Ewigkeit, wenn die Eltern der Dirne vor mich hintreten und ihr Kind von mir wieder fordern, das der Herrgott in meine Arme legte?«

Wer hätte es gedacht, daß jemand in der Nähe war, der ein Recht hatte, dies anvertraute Gut zurückzufordern?

Von dem Dünendorfe geht es in einem Augenblicke in die große nordische Königsstadt am Sunde, die einer Perle im Golde gleicht. Ein schwerbeladener Kauffahrer steuert an den Hafenbatterien vorüber und legt bei der Zollbude an. Und kaum ist der Verkehr hergestellt, als ein ältlicher Mann mit ergrautem Kopfe an das Land eilt, sich in die Knie wirft, den Erdboden küßt und weinend die Hände zum Gebete faltet. Eine dichte Menschenmenge sammelt sich um ihn.

Der Mann ist einer jener Unglücklichen, die sich auf dem Schiffe eines Staates befanden, welcher mit dem Dei von Tunis und Algier einen Vertrag geschlossen hatte, wodurch ihm gegen einen an die Barbaresken zu zahlenden Tribut gestattet wurde, die Mittellandssee zu befahren. Es gab eine solche Zeit, wo christliche Könige sich demütigten vor den Türken, indem sie mit ihnen solche Verträge schlossen. Diese Zeiten sind, Gott sei Dank, vorüber. Damals bestanden sie noch. Das Schiff, welches keinen Türkenpaß hatte, wurde, wie es in der Seesprache heißt, kondemniert und die Mannschaft sowie die Passagiere auf dem Sklavenmarkt verkauft. Sie trugen dann diese schmachvollen Ketten so lange, bis es der christlichen Barmherzigkeit gelang, sie loszukaufen und ihnen die Freiheit wiederzugeben.

Ein solches trauriges Geschick hatte dieser Mann viele Jahre ertragen. Jetzt ging er zur Freiheit ein. Er ward mit Jubel bewillkommt und von einer großen Menschenmenge nach dem Hause geleitet, welches er früher bewohnte, denn er war in der Königsstadt am Sunde geboren.

Aber, wie hatte sich hier alles verändert. Als der Mann, der Knudson hieß und ein angesehener Handelsmann war, sich von seiner Familie trennte, geschah es, um eine Reise nach der Mittellandsee zu tun, die zwar gefahrvoll, aber auch lohnend war. Knudson tat es, um sich die Möglichkeit zu verschaffen, desto eher in unabhängiger Ruhe nur den Seinen leben zu können. Während seiner Abwesenheit sollte seine Familie auf dem Festlande leben. Um sie sicher dorthin zu bringen, hatte er selber eine Schoner-Galeas befrachtet und dem Schiffer Frau und Kind sowie bedeutende Wertpapiere übergeben. Er selbst brachte die Seinen an Bord und sah sie an der Zollbude abfahren. Tags darauf trat er seine Reise an, die für ihn so verhängnisvoll werden sollte.

Er betrat sein Haus und kannte es nicht wieder. Fremde Menschen wohnten darin, die nichts von ihm wußten. Ein Mann wies ihn achselzuckend an einen Advokaten, der früher die Gerechtsame des verschollenen Knudson vor Gericht aufrecht erhalten haben sollte. Nach vieler Mühe gelang es ihm, mit Hilfe dieses Ehrenmannes, einzelne Trümmer von dem Vermögen zu retten, das ihm gehört hatte. Schwer fiel es ihm auf das Herz, daß in der langen Zeit seiner Abwesenheit sein Weib nicht Schritte getan hatte, von ihm etwas zu erfahren. Mit großem Eifer, aber auch sehr beklommen, machte er sich daran, sich nach ihr zu erkundigen. Seine Verwandten auf dem Festlande wußten nichts. Man antwortete, die Abreise von Knudsons Frau und Kind sei zwar brieflich gemeldet, aber ihre Ankunft wäre nicht erfolgt. Als man lange genug vergeblich gewartet, sei an Frau Knudson nach Kopenhagen geschrieben. Der Brief kam uneröffnet und mit dem Bemerken zurück, daß die Empfängerin sich nicht mehr dort befände.

Jetzt wandte sich Herr Knudson an die Schiffahrts-Kommission und ließ Tag und Stunde der Abreise, sowie die Namen und die Zahl der Mannschaften und Passagiere, nebst dem Bestande der Ladung, womit die Schoner-Galeas »Soroe« befrachtet war, genau feststellen. Mit diesem Dokumente begab er sich nach dem Bestimmungsorte des Schiffes und überzeugte sich, daß es weder zur Zeit, da es möglicherweise eintreffen konnte, noch überhaupt angelangt war. So blieb nun nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß es verunglückt sei. Aber wo?

Von hundert Unglücksfällen zur See erhielt er Kunde. Einer ereignete sich an dieser Stelle, der andere an jener. Auch von einer Schoner-Galeas, die nahezu der gelben Düne geblieben, war die Rede. Näheres konnte nicht angegeben werden, da schon Fischersleute am Bord gewesen wären, bevor die Behörden von dem Fall Kenntnis erhalten hätten. Von den Schiffspapieren sei nichts vorgefunden.

Die gelbe Düne! – dieser Name weckte eine wehmütige Empfindung in der Brust des vielgeprüften Mannes. Mit unsichtbaren Banden zog es ihn dahin.

Im Dünendorfe trieb Hans Blacker sein Unwesen fort. Die Seefahrer erzählen von der harten Behandlung, welche die Neger auf den Plantagen der westindischen Inseln erdulden müssen. Männer, welche die afrikanischen Sklavenketten schleppten, können noch nach Jahrzehnten nicht ohne Tränen von dem Leid erzählen, welches sie ertrugen. Von der Sklaverei in dem Dünendorfe sprach keiner. Sie war eine freiwillig eingegangene.

»Es ist mein!« sagte Hans Blacker zu sich selbst und lachte dabei ingrimmig, denn er hatte niemand, der Freude darüber empfand. Sein Leben bestand darin, wucherische Zinsen einzuziehen, die seine Schuldner ihm zahlen mußten, und die mit harter Grausamkeit erpreßten Taler durch die Gurgel zu jagen. Das trieb er heute wie morgen, bis die Stimme des Gewissens ihn laut mahnend rief. Dann fuhr er von seinem Sitze auf und stürmte ruhelos in den Dünentälern umher, bis er ermattet zusammenbrach.

Broder Jans lebte in gewohnter Weise daheim. Nur Heilwigs Kummer betrübte ihn. Seit der Trennung von dem Geliebten lachte sie nicht mehr. Eben jetzt trat sie zum Vater und meldete mit einiger Erregtheit, daß Peter Martens Vater, der seit kurzem das Amt des Bauernvogts bekleidete, mit einem städtischen Herrn die Osthöhe hinaufsteige. Ihr Gesicht glühte bei dieser Mitteilung und eine Träne glänzte in den schönen Augen. Der Vater hatte es wohl bemerkt. Er sagte ihr ein beruhigendes Wort und ging dann dem unerwarteten Besuche entgegen.

Es war Herr Knudson, der in Begleitung des Bauernvogtes kam, um über die am Steerte der gelben Düne gestrandete Schoner-Galeas Erkundigungen einzuziehen. Broder Jans erzählte ihm, was er wußte, ohne gleich der Leiche und des geretteten Kindes Erwähnung zu tun und fügte hinzu:

»Auch von den Papieren, die an Bord waren, weiß ich. Es war alles, was ich in dem Spinde des Kapitäns fand. Die Tür desselben war erbrochen; es mußte also schon jemand vor mir am Bord gewesen sein.«

»Und wo sind diese Papiere geblieben?« fragte Knudson hastig.

»Die nahm ich mit. Aber, was darin stand, weiß ich nicht, denn ich kann nicht lesen. Verlangt hat sie niemand. Wollte immer damit zum Pastor oder auf das Amt; ward aber von einem Tage zum andern verschoben und zuletzt habe ich sie gar vergessen. Will aber gleich sehen, wo sie geblieben sind.«

Broder Jans kramte in seiner Truhe und brachte ein Paket halb verwitterter Papiere zum Vorschein. Knudson ergriff sie und rief, sie entfaltend:

»Sie sind es! Hier ist der Baubrief der Schoner-Galeas ›Soroe‹, der Meßbrief und die Konnossemente. Und da die Wertpapiere, die ich dem Schiffer anvertraute. Ich hielt sie für verloren und gewinne nun alles wieder durch Euch. Aber, was rede ich viel von Geld und Gut, da mir doch etwas viel Wichtigeres am Herzen liegt.«

Er hielt inne, als fürchte er sich, weiter zu fragen. Der Hund, den Broder Jans vom Wrack gerettet, war herangekrochen. Das Tier war alt geworden und hatte das Springen längst verlernt. Aber es zeigte eine eigentümliche Unruhe und hielt sich nahe an Knudson.

»Das war auch einer von der Besatzung der ›Soroe‹, sagte der Fischer und zeigte auf den Hund, der ein dumpfes Geheul ausstieß. Der Kaufmann betrachtete das Tier aufmerksam und sagte nach einer Pause:

»Herr des Lebens, wenn es nicht gar so wunderbar wäre, würde ich sagen, das ist mein Tiras

Bei diesem Namen richtete sich der Hund hoch auf und bellte laut; dann aber sprang er zu Knudson hin und klammerte sich fest an diesen.

Der Kaufherr konnte seine Rührung kaum bemeistern. Er sah zu dem Fischer auf und sagte:

»Und Ihr wißt nichts von den Passagieren, die am Bord gewesen sind?«

»Ich weiß davon, Herr. Aber weil es Euch so nahe angeht . . .«

»Sagt es nur gerade heraus, Weib und Kind, die am Bord waren, sind tot.«

»Zum Teil ist es, wie Ihr sagt, Herr. Ich fand eine Frau, die von einem herabgestürzten Decksbalken erschlagen ward. Sie hat auf der gelben Düne ein christliches Grab bekommen. Was Ihr aber von einem Kinde sagt; ein Mädchen war es doch, Herr?«

»Ja, ein Mädchen. Johanna hieß sie und war mein einziges Kind. Wo? . . .«

Broder Jans reichte dem Erschütterten die Hand und sagte:

»Ich nannte das gefundene Kind Heilwig nach meiner seligen Mutter und habe sie in Gottesfurcht erzogen. – Wohin, Herr? Faßt Euch. Ihr sollt Euer Kind sehen. Aber ich muß ihr erst ein Wort sagen. Die Heilwig ist zwar ein starkes Mädchen, aber eine solche Kunde möchte ich ihr doch nicht unvorbereitet bringen. Ich will mit ihr sprechen.«

Er tat es. Und als Vater und Tochter sich fest umschlungen hielten, ging er mit dem Bauernvogt hinaus und sagte:

»Ihr habt groß aufgetrumpft, als Euer Sohn um das arme Fischerkind freite, und wolltet von nichts wissen. Was werdet Ihr nun sagen, wenn der reiche Kaufherr dem Sohne des Marschbauern die Wege weist?«

Knudson hatte seine Tochter wieder. Er hatte das Grab seines Weibes besucht und sagte auf dem Rückwege zu dem Fischer:

»Was ich Euch schuldig ward, werde ich wohl nimmer zahlen können; doch findet sich vielleicht ein Ausweg, Euch meine Dankbarkeit zu beweisen. Aber noch eins. Ihr meintet, es sei schon einer vor Euch auf dem Wrack gewesen und das muß sein, denn von dem baren Gelde, das ich dem Kapitän mitgab, habt Ihr nichts gefunden?«

Bares Geld! Wie Schuppen fiel es dem redlichen Fischer von den Augen. Er sah zu der Westerhöhe hinauf und rief, als hatte er eine Eingebung: »Hans Blacker!« Dann aber zog er den Kaufherrn mit sich fort und ging geraume Zeit mit ihm am Strande auf und ab.

In jenen Gegenden wechselten Wind und Wetter oft mit der Stunde. So heute. Dichte Wolkenmassen stiegen auf. Der Sturm brandete; die See wogte. Der Donner hallte in den Dünen wieder; Blitze fuhren zischend herab. Hans Blacker saß in seiner Stube hinter dem vollen Kruge allein. Er war so verhaßt, daß selbst die Strandläufer und Schmuggler nicht mit ihm trinken wollten. Das mehrte seinen Grimm. Schwarze Gedanken reiften allmählich in seinem Hirn. Mit blöden Augen stierte er vor sich hin und entschlummerte mit einem Fluche auf den Lippen.

Da rollte ein langhallender Donner über das Dach seines Hauses hin. Ein Blitzstrahl schlug so dicht vor dem Fenster nieder, daß es in der Stube taghell ward. Dazwischen flammten die Fackeln auf, die man draußen anzündete. Broder Jans mit dem Kaufmann und Bauernvogt waren auf der Westerhöhe erschienen und traten in die Behausung des Hans Blacker.

Aber dieser sah sie nicht. Die Traumbilder, die ihn in seinem wüsten Schlummer ängstigten, dauerten fort. Er konnte die finstern, formlosen Gestalten nicht verjagen. Auch wachend trieben sie mit ihm ihr entsetzenvolles Spiel und er fuhr aufschreiend zusammen, als es ihm in die Ohren gellte:

»Steh auf, Hans Blacker! An der gelben Düne liegt ein Wrack.«

Er stöhnte. In seinen Ohren klang es fort:

»Wir waten mit der Ebbe an Bord. Den Hund lassen wir festgebunden, damit er nicht verrät, was wir in der Kajüte tun.«

»Weg mit dem Hund!« lallte Hans Blacker. »Ich will hinunter.«

Er wälzte sich stöhnend, während es vernehmlich um ihn forttönte:

»Wieviele Goldstücke waren in dem Beutel?«

»Hundert!« antwortete er, auch im Traumschlafe lügend.

»Es waren fünfhundert, Hans Blacker. Und in dem großen Beutel waren tausend Taler, die du auch gestohlen hast.«

»Nein! Nein!« kreischte er hoch emporfahrend und die Stimme rief:

»Nimm dich in acht! Du trittst ja die tote Frau mit Füßen.«

Da brach er zusammen. Er sank in die Knie und sprach mit bebenden Lippen:

»Ich will alles bekennen.«

Die Männer, die herbeigekommen waren, traten vollends ein. Hans Blacker war halb von Sinnen. Der Bauernvogt hatte ein paar handfeste Burschen bei sich, die während der Nacht das Haus bewachen sollten. Als der Gerichtsdiener frühmorgens erschien, fand er Hans Blacker vom Schlage getroffen.

Ein Jahr war vorübergegangen. Der Bauernvogt hatte seinen Hof an den Sohn abgegeben und dieser wirtschaftete mit seiner jungen Frau so vergnügt, daß alle ihre Lust daran hatten. Broder Jans blieb in seiner Hütte, aber er lebte darin in aller Behaglichkeit. Auch Knudson blieb. Die eigentliche Heimat war ihm entfremdet und er liebte sein Kind über alles. Auf der Westerhöhe erhob sich an der Stelle, wo die Hütte des wüsten Hans Blacker stand, ein schmuckes Häuschen, worin der Kaufherr manchen Tag zubrachte und Zeuge des Glückes ward, das über die Bewohner des Dünendorfes gekommen war, seit er die Fesseln brach, womit sie seit vielen Jahren belastet waren. Frohe Gesichter schauten aus den Fenstern und vor den Türen grünten wieder die Rasenplätze, die der Sommer mit duftenden Blumen schmückte.


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