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Jan Blaufink

Ein Sohn ohne Mutter.

Auf der Neptunswerft war es, die sich längs der Elbe hin am Grasbrook ausdehnte. Ein tiefblauer Himmel lachte auf dieselbe herab und weiße Herbstfäden schwammen m den seltsamsten Windungen darüber hin.

Ein reges Leben herrschte daselbst. Zwei Barkschiffe, bis zum Ablaufen fertig, lagen nebeneinander, und die Arbeiter legten die letzte Hand an ihr Werk. An der entgegengesetzten Seite streckten sie den Kiel zu einer umfänglichen Brigg und in der Mitte stand eine holländische Kuff auf dem Stapel, die mit einer neuen Spiekerhaut versehen wurde.

Es ging stark auf Mittag. Hier und da drehte sich ein Kopf rückwärts, um zu sehen, ob die Schnur der großen Glocke, die am Eingange der Werft hing, noch nicht gelöst und der Mittag eingeläutet werde. Von ferne her kamen einige Frauen mit verhüllten Körben, die ihren Männern die Mittagskost brachten, um ihnen das Hin- und Herlaufen zu ersparen.

Unter diesen war eine, alt an Jahren und mit einem Gesicht so grimmig, daß man sich schier davor fürchten mochte. Sie hatte für einige ledige Gesellen das Essen zu besorgen und trug es täglich mit Schelten und Brummen an den bestimmten Ort. Das war die alte Möller, welche von niemandem wohlgelitten war und bei jeder Gelegenheit von den andern Weibern geneckt und gehänselt wurde.

»Sage Sie doch, Frau Möllern, warum Sie heute die beiden schweren Körbe allein schleppt?« fragte eine ziemlich laut, mit anscheinender Gutmütigkeit. »Wo hat Sie denn Ihren Sohn, den Jan, der Ihr sonst so treulich hilft?«

»Habe keinen Sohn!« brummte die Möllern.

»Ja, das konnte ich selbst wissen, daß ein solcher Knirps, wie der Jan, nicht Ihr Sohn sein kann. Ihren Enkel meine ich.«

»Habe keinen Enkel!« brummte Jene weiter.

»Keinen Enkel hat sie? Erbarme sich! Mieken, hast du es gehört? Und du auch, Dorte? die Möllern hat keinen Enkel! Ja, was ist denn der Jan für einer, der bei Ihr wohnt, solange ich denken kann und dem alle seine dummen Streiche straflos hingegangen sind, aus Respekt für die Großmutter, die nun gar keine Großmutter ist.«

Mieken und Dorte, die zu Zeugen aufgerufen waren, drückten ebenfalls ihr Erstaunen aus und die erstere fragte querfeldein:

»Wer ist der Jan denn eigentlich?«

»Ein Kostkind!« platzte die Möllern heraus und ein Zucken um die Mundwinkel deutete an, daß es nun mit ihrer Geduld am Ende sei. »Ein Kostkind, für das ich in der letzten Zeit nur selten ein paar Schillinge und seit einem Jahre gar nichts erhielt. Darum habe ich den Tunichtgut, der mir stets ein Dorn im Fleische war, fortgejagt und darum trage ich meine Körbe allein. Nun wißt ihr es und wer nun noch etwas fragt, dem werde ich auf eine andere Art antworten. Versteht Sie das, Jungfer Naseweis?«

Damit schritt sie keuchend vorwärts, der Werft zu, wo das Läuten begann, welches die Eßstunde andeutete. Von den Gerüsten huschte es die Leitern herab und die ganze Werft glich einem bunten Ameisenhaufen, der hin und herschwankte, wie ein loses Segel, das auf- und niederbauscht, wenn der Wind es von der Seite anrührt. Die meisten der Gesellen rannten durch die Pforte nach ihrer Wohnung oder nach der nächsten Garküche, die andern suchten ihre Frauen und Töchter aus, welche mit den dampfenden Töpfen bereitstanden und ihre Vorräte auskramten. Frau Möller sammelte die ihrigen, reichte brummend jedem seinen Anteil und setzte sich dann zur Seite, um das Ende der Mahlzeit abzuwarten.

»Ein Hurra für eine Schüssel voll Erbsenbrei!« rief ein frisch aufgeschossener Bursche. »Wo hat Sie meinen Löffel, Mutter Möller?«

»Hier ist eine fünfzähnige Gabel!« antwortete sie, die Hand aufhebend. »Die wird es auch tun. Unterstehe dich nicht, meinen Körben zu nahe zu kommen.«

»Gestern habe ich sie noch getragen und heute will Sie mich schlagen, weil ich daran rühre? Ist denn das Ihr Ernst, was Sie mir heute morgen sagte und will Sie mir nichts zu essen geben?«

Der Junge stand dicht vor ihr. Es war ein schmucker Bursche mit hellen blauen Augen und frischen roten Backen. Die blonden Haare fielen in natürlichen Locken auf die Schultern herab. Auf seinem Gesicht lag eine Mischung von Furcht und Zorn, als er die Worte ausstieß:

»Bekomme ich noch immer nicht?«

»Nicht eher,« fiel die Möllern ein, »als bis dein Herr Vater oder deine Frau Mutter das Kostgeld bezahlen, was sie mir seit Jahr und Tag schulden und auch dann noch nicht, weil ich einem solchen Taugenichts keine Herberge mehr gebe.«

»Warum spricht Sie von Vater und Mutter, damit die Leute über mich lachen, da Sie weiß, daß ich keines von beiden habe? Sie hat mich bei sich, solange ich denken kann. Ich habe arbeiten müssen von früh bis spät. Ich bin gescholten und gestoßen den langen geschlagenen Tag und habe nichts anderes zu essen bekommen, als was die andern nicht mehr wollten. Und nun will Sie mich einen Taugenichts schelten vor den Leuten und mich verspotten lassen, weil ich ein armer Waisenknabe bin? Gnade Ihr Gott, wenn Sie das tue! Ich habe schon manchen Bösewichtern, die mir etwas anhaben wollten, ein Bein gestellt; es kann auch an Sie kommen.«

»Hilfe! Hilfe!« schrie die Möllern und zog sich hinter einen der großen Gangspille zurück. »Der Taugenichts will mich umbringen!«

Die ganze Tischgesellschaft der Möller geriet in Aufruhr. Andre mischten sich darein. Die Mieken und die Dorle sorgten für Succurs. Wie ein Hagelwetter fuhr es auf den armen Jungen herab, der vor dem wachsenden Lärmen wie betäubt stand und mit den Händen die Ohren zuhielt. Einer der Gesellen schrie über die andern hinaus, indem er den Jungen schüttelte:

»Nimm deine Füße in die Hand, und mache, daß du fortkommst! Seit man es geduldet hat, daß du hierher kommst und Gänge tun kannst, wofür du deine Bezahlung erhieltest, bist du auch der Störenfried auf der Werft gewesen. Ich weiß davon ein Lied zu singen.«

»Ich auch! Ich auch!« rief es von mehreren Seiten und so wurden nun eine Menge der tollsten Geschichten erzählt, die, wären sie sämtlich wahr, den Jan zu einem Vagabunden ersten Ranges gestempelt haben würden.

»Ihr lügt das alles miteinander!« rief Jan und ein paar heiße Tränen liefen ihm die Backen herab. »Alle lügt ihr, aber der Klaus und der Matthes am meisten. Euch beiden will ich es gedenken, darauf mögt ihr euch verlassen. Ihr hattet stets einen Zahn auf mich, und den breche ich euch aus.«

Mit diesen Worten sprang er auf den Rücken des Matthes, enterte von diesem aus die breiten Schultern des Klaus, daß die Zöpfe der beiden Gesellen beträchtlich wackelten, sprang mitten in die auf einen Haufen gedrängten Weiber, die schreiend auseinanderfuhren, und war in dem Gewühl spurlos verschwunden.

Es dauerte einige Zeit, bevor die hochgehenden Wellen sich beruhigten. Endlich löste sich die dichtgedrängte Gruppe auf und der Klaus sagte zum Matthes:

»Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit, die Augen zu schließen. Laß uns eilen, den gewohnten Platz in dem alten Bretterschuppen zu suchen, bevor uns andere zuvorkommen.«

»Das tut not!« entgegnete der Matthes dem Klaus. »Die Schulter brennt wie Feuer. Ich glaube, der Satan, der Jan, hat mich in der Wut gebissen.«

»Beiße ihn wieder!« sagte Klaus, indem sie den Bretterschuppen betraten. »An Gelegenheit wird es nicht fehlen.«

Beide streckten sich nebeneinander hin, so nahe, daß ihre Häupter sich fast berührten, und schlossen die Augen.

Gleich darauf erschien in dem Schuppen der dritte Mann. Es war Jan, der fleißig umherspähte. Seine Backen waren noch lebhafter gerötet; seine Augen leuchteten heller als sonst. Er ging den Schläfern so nahe, als er nur vermochte. In der Hand hielt er ein Kabelgarn, worin sich eine Schlinge befand. Geräuschlos duckte er sich bei ihnen nieder und verharrte einige Minuten regungslos an ihrer Seite. Dann erhob er sich und verschwand aus dem Schuppen eben so schnell und unhörbar, als er denselben betrat. Er hatte es so eilig, daß er fast den Werftmeister über den Haufen gerannt hätte. Dieser wich unwillkürlich zurück und sagte dann drohend:

»Von dir hört man saubere Geschichten! Daß du es nur weißt! Deines Bleibens ist hier nicht länger. Der Baas gibt dir den Laufpaß und morgen darfst du nicht wieder hierher kommen.«

»Es ist gut!« sagte Jan nach einer Pause. »Dachte wohl, daß es so kommen würde, denn auf einen armen Jungen regnet alles Unheil herab, während eines reichen Mannes Sohn für seine Schelmenstreiche noch belobt wird. Ihr habt mich auch immer gehänselt und mir die paar Späne mißgönnt, die ich abends nach Hause trug. Aber ich will Böses mit Gutem vergelten und Euch vor einem Unglück warnen, das Euch bedroht! Der Klaus und der Matthes ...«

»Sind sie betrunken?« fuhr der Werftmeister ihn an.

»Ich habe ihnen keinen Branntwein geholt!« entgegnete Jan kurz ab. »Aber sie sitzen dort im Schuppen beieinander und sprechen von Rebellion und daß sie die ganze Werft um Mitternacht mit Pechfackeln beleuchten wollen, so hell, daß die Leute in Harburg glauben sollen, es sei Mittag.«

»Alle Donnerwetter!« platzte der Werftmeister heraus. Er steuerte dem Schuppen zu, so schnell er konnte, und fuhr die beiden Schläfer, die sich eben zu ermuntern begannen, an:

»Matthes! Klaus! Wollt ihr Tagediebe vom Boden auf! Wie weit seid ihr mit eurer Mordbrennerei?«

Jan stand hinter dem Werkmeister und schrie fortwährend: »Rebellion!«

Was in der Nähe war, eilte herbei und fragte nach der Revolte.

»Hollah! Ahoi!« antworteten die Schläfer, indem sie die Augen aufschlugen und Miene machten, sich zu erheben. Aber in demselben Moment fuhren sie mit den Köpfen zusammen und fielen rücklings wieder um.

Eine ganze Tonleiter von Flüchen und Verwünschungen quoll aus den ungewaschenen Mäulern der beiden noch schlaftrunkenen Gesellen, die sich balgten und umwälzten, ohne nur im Geringsten voneinander loskommen zu können. Die Zuschauer brachen in ein lautes Gelächter aus und der Werftmeister, der sich zu ihnen herabbeugte, rief, sich die Seiten haltend:

»Da hat ihnen jemand die Zöpfe zusammengebunden! Gehe einer zu ihnen und mache sie voneinander los. Wer Teufels hat diesen tollen Streich ausgebrütet?«

Einer der Lehrburschen hatte mit Hilfe seiner spitzen Finger und eines Messers den gordischen Knoten gelöst, nicht ohne den sauber gedrehten Zöpfen einige erhebliche Wunden beizubringen. Mit lauten Verwünschungen sprangen die beiden, welche der Gegenstand des allgemeinen Gelächters waren, vom Boden auf und schrieen:

»Das hat der Jan getan!«

»Der Jan! der Jan!« hallte es im Echo wider. »Wo ist er?«

Und alle Hände streckten sich nach ihm aus.

Aber dieser befand sich längst aus dem Bereiche derselben. Mit der Gewandtheit eines Seiltänzers erkletterte er einen der hohen Sägeblöcke, balanzierte auf demselben und rief herunter:

»Wer denn sonst? Habt ihr nicht gesagt, wer mit Ehren die Werft verlassen will, muß erst sein Meisterstück machen? Da habt ihr meins. Zwei Querköpfe habe ich zu einem zusammengeschweißt. Daß ihr sie wieder trennt, ist euer Schaden, nicht der meinige. Ein Hurra für die Neptunswerft! Mich sieht sie nicht wieder. Kopf weg!«

Mit dem letzten Ausruf sprang er von dem Sägebock hinunter mitten in den Schwarm der tobenden Lehrburschen. Die junge Brut fühlte einige Sympathien für den Tollkopf und ließ ihn durchschlüpfen. Einer derselben steckte ihm sogar ein Stück schwarzes Brot in die Hand, das er sich zur Vespermahlzeit beiseite legte, und erst als Jan einen ziemlichen Vorsprung hatte, flogen sie tobend und schreiend hinter ihm drein.

Jan ging seines Weges. Er wußte nicht, wohin? Es war ihm auch einerlei. Ihm fehlte die Stelle, wo er sein Haupt niederlegen; ihm fehlte der Bissen, womit er sich sättigen konnte. Nur der blaue Himmel über ihm war sein Dach und die Wasserfluten der Elbe standen ihm frei zum unbeschränkten Gebrauch.

Der Hunger bewältigte den armen Jungen, der nicht aus den Fleischtöpfen der alten Möller hatte schöpfen dürfen. Da gedachte er des Stückes Schwarzbrot, was man ihm im Gedränge zusteckte, und hastig fuhr er damit nach dem Munde.

»Ach bitte, bitte! Mich hungert so sehr!« sprach eine weinerliche Stimme neben ihm. »Bitte! Bitte!«

Jan sah sich um und gewahrte ein kleines Mädchen, das auf einem Stein am Wege saß und bitterlich weinte. Sie war nur notdürftig bekleidet und zitterte vor Frost und Hunger.

»Ich habe selbst nichts!« sprach Jan kurzab und ging weiter; aber in demselben Augenblicke kehrte er wieder um, bückte sich zu dem Kinde nieder und sagte:

»Einen Bissen will ich dir wohl abgeben; das andere brauche ich selbst.«

Er steckte dem Kinde ein Stück von dem Brote in den Mund, das spurlos verschwand. Ihm folgte ein zweites und drittes. Das Kind hörte zu weinen auf. Es lächelte seinen Wohltäter an und sagte, in die Hände klatschend:

»Mehr! Mehr!«

»Mehr habe ich nicht,« sagte Jan mit einem wehmütigen Lächeln. »Es hat gerade ausgereicht, dich satt zu machen. Ob sich aber einer findet, der mir die Bissen ungezählt in den Mund steckt, ist nicht zu hoffen.«

Das kleine Schauspiel hatte einen Zuschauer gehabt. Einen stattlichen Herrn, der von den Werften kam und nach dem Tor zuschritt. Es war der Baas von der Neptunswerft, der den ganzen Vorgang mit dem Jan kannte und selbst befohlen hatte, daß derselbe entfernt werden sollte.

»Ein durchtriebener Taugenichts und doch solcher Tat fähig!« sprach er vor sich hin. »Hm! Ist mir leid. Aber Wort ist Wort und ich kann es den Leuten gegenüber nicht zurücknehmen. Jan! He! Jan!«

Jan erkannte den Baas an der Stimme und konnte eine Anwandlung von Furcht nicht unterdrücken. Aber rasch schüttelte er sie von sich ab und sagte:

»Ihr habt mich von Eurer Werft gejagt und mir nichts mehr zu befehlen.«

»Ich will dir auch nichts befehlen; ich will dich Lügen strafen.«

»Das könnt Ihr nicht, denn ich lüge nie!«

»Du hast eben gesagt, es wird sich keiner finden, der dir die Bissen ungezählt in den Mund steckt. Ich will dir jemand zeigen, der es tut.«

Ein Schimmer der Freude flog über das Gesicht des hungernden Knaben. Er folgte dem Baas, der auf eines der kleinen einstöckigen Häuser zuging, dessen Besitzer eine Herberge und eine Garküche für ledige Zimmergesellen hielt. Mit der Mütze in der Hand kam der Wirt dem reichen Baas entgegen und fragte nach dessen Befehlen.

»Da bringe ich einen Burschen, den ich von meiner Werft habe entlassen müssen.«

»Das ist der tolle Jan!« sagte achselzuckend der Inhaber der Garküche. »Der wird wohl noch von zehn anderen Stellen weggejagt werden.«

»Ihr werdet ihn bei Euch aufnehmen und ihn verköstigen. Acht Tage lang kann er für meine Rechnung bei Euch bleiben und der Werftmeister soll Euch den Betrag auszahlen. Binnen dieser Frist mag er sich umtun und zusehen, ob er ein ordentlicher Kerl werden, oder am Wege verkommen will.«

Jan wollte sich in Danksagungen ergießen, allein der Baas wehrte ihn ab und sagte im Weitergehen:

»Führe dich fortan gut auf und werde ein tüchtiger Kerl, das ist der beste Dank, den du mir sagen kannst.«

»Das will ich!« rief Jan ihm nach und wandte sich dann an den Wirt:

»Nun, Vater Pfingstmeier, das ist wohl das erste Mal, daß ich die Füße unter Euern Tisch stecken darf? Dafür sollt Ihr aber auch Euer Wunder erleben.«

»Das glaube ich!« entgegnete jener, und folgte dem voraneilenden Burschen mit einem Seufzer in das Haus.

*

Der weitere Schauplatz, auf welchem dieses Drama sich entwickelt, bot einen Anblick dar, von welchem die Gegenwart keine Ahnung hat. Der große Neumarkt war bei weitem noch nicht bebaut. Zwischen den einzelnen Häusern lagen wüste Stellen, teilweise als Gartenland benutzt. Von der Mitte des Platzes aus ging ein Heerweg, der nach dem Innern der Stadt führte und der, weil er mit großen Steinen gepflastert war, der alte Steinweg hieß. Nach der entgegengesetzten Richtung hatte man einen zweiten Heerweg angelegt, der sich bis mach Altona hinzog und der neue Steinweg genannt wurde.

Drei Merkwürdigkeiten zeichneten diesen Platz aus. Die erste war ein großer hölzerner Glockenturm, worin während des Baues der Michaeliskirche die Glocken derselben hingen. Die zweite war ein hohes, spitzgiebeliges Haus mit düstern Mauern und einer schwarzen Figur über dem Eingange. Dies deutete an, daß es die Apotheke zum schwarzen Mohrian sei, welche zugleich die erste in der ganzen Stadt war.

Das dritte war eine große, hölzerne Bude, welche im Norden des Marktes, unfern von dem Heerwege stand. In demselben befand sich ein geräumiges Theater, auf welchem die vielbekannte Veltheimsche Truppe viermal in der Woche eine jener seltsamen dramatischen Ungeheuer zur Welt brachte, die mit dem Bajazeth und dem Tamerlan begannen und mit dem Arlequin und der Colombine endeten.

An einem dieser Tage hatte der Prinzipal dieser Truppe die allgemeine Aufmerksamkeit besonders erregt, indem derselbe ein Festspiel geschrieben hatte, welches den Titel führte: »Das triumphierende Hamburg, oder der Friedensengel, welcher die Hammonia bekränzt, einem hochedlen Rat zu Ehren in Verse gebracht und mit angenehmen Melodien versehen. Auch mit absonderlichen Transparenten und reichen Anzügen ausgeziert.«

»Das muß ich sehen!« sagte ein Vorübergehender zu seinem Begleiter, der den prunkenden Anschlagzettel gelesen hatte. »Das triumphierende Hamburg! Nun das versteht sich! Hamburg spielt immer den Trumpf aus!«

»Nimm nur den Mund nicht so voll und stehe andern Leuten nicht im Wege!« fiel sein Begleiter ein und zog ihn auf die Seite. »Dir brennen auch wohl wieder die Vierschillingsstücke in der Tasche, daß du sie den Komödianten hinwerfen willst? Wenn es deine Frau hört ...!«

»Die braucht nichts davon zu wissen. Sie ist aus Sankt Georg gebürtig und hat für das triumphierende Hamburg kein Herz. Die Sankt Georger sind alle so. Gewöhnliche Butenminschen. Allein ...«

Das weitere verhallte im Gedränge.

Ein Trupp Winkeljungen stürmte heran. Er nahm die halbe Breite des Platzes ein. Die Knaben hatten sich bei der Hand gefaßt und bildeten eine vielfach gegliederte Kette, die alles mit sich fortriß, was ihr auf ihrer Wanderung in den Weg kam. Alle schrien auf, die mit in den Strom hineingerissen wurden, am meisten die alten Mütterchen und hilflosen Mädchen. Aber je lauter ihr Geschrei, um so betäubender wurde der Lärm der Winkeljungen. Sie stürmten gegen die große Theaterbude an. als gälte es, dieselbe im Sturm zu nehmen und das triumphierende Hamburg, welches eben auf den schwankenden Brettern erbaut wurde, in die äußerste Gefahr zu bringen.

Eine einfach gekleidete Frau, welche der Richtung nach von dem Krayenkamp herunterkam, befand sich, als die ringelnde Schlange eine Wendung nach der entgegengesetzten Richtung machte, in der augenscheinlichsten Gefahr, über den Haufen gerannt zu werden. Sie sah sich nach allen Seiten ängstlich um und suchte vergeblich, sich dem drohenden Verhängnis zu entziehen.

Es war eine ältliche Frau. Das Gesicht erschien bleich, aber von unbeschreiblicher Anmut. Um die Lippen zeigte sich ein Zug wehmütiger Trauer. Ein Vorübergehender, im Rücken der fort und fort vibrierenden Schlange, erkannte sie und rief ihr zu:

»Frau Rosmarin, nehme Sie sich in acht, werteste Kollegin! Mache Sie eine desperate Wendung.«

Es war ein Mitglied dir ehrsamen Veltheimschen Truppe, der sich eben zur Probe nach der hölzernen Bude begab, welcher seiner Kollegin, die sich zum gleichen Zwecke einfand, die gutgemeinte Warnung zurief.

Aber diese Warnung fruchtete wenig und Frau Rosmarin wäre der züngelnden Schlange zum Opfer gefallen, wenn nicht zwei Glieder derselben hinterrücks von kräftigen Händen ergriffen und niedergeworfen worden wären. Durch dies entschlossene Manöver wurde die Kette in zwei Hälften gesprengt und fiel nach beiden Seiten hin auseinander.

Frau Rosmarin, welche, kurz vor dem bedrohlichen Umsturz, die Straße frei vor sich liegen sah, nickte dem jungen Burschen, der diese Tat wagte, freundlich zu, und sagte:

»Danke dir, mein Söhnchen! Du hast mir einen guten Dienst geleistet, den ich dir gern lohnen möchte.«

Sie machte Miene, in den Beutel von halbverschossenem roten Wollenzeuge zu greifen, der an ihrem Arm hing, allein errötend ließ sie davon ab. Sie mochte sich zur rechten Zeit erinnern, daß sie ihrer Hand eine vergebliche Arbeit zumutete, denn die Gage war nur gering und der Zahltag des Direktors nicht stets im voraus bestimmt.

»Dafür nehme ich nichts!« rief der Bursche der Frau Rosmarin nach, die sich nochmals nach ihm umblickte und ihm freundlich zunickte.

»Was für ein lieber Knabe ist das!« sagte sie im Weitergehen. »Mir ging bei dem Anblick ordentlich das Herz auf. Ich hätte ihn nach seinem Namen fragen sollen; ich will es noch ...«

Aber als sie diesen Entschluß faßte, war es zu spät, ihn auszuführen. Die tobenden Jungen hatten den Retter aus Gefahr von allen Seiten eingeschlossen und machten keine Miene, ihn sobald der Haft zu entlassen.

Die Lage des kecken Jungen war anfangs keine unbedenkliche. Allein die Unerschrockenheit, die er zeigte und die Raschheit, womit er jedes wüste Wort mit noch einem wüsteren zurückschlug, erwarb ihm Freunde, die sich offen zu ihm schlugen, als er empört ausrief:

»Pah! Zwanzig über einen, das ist Hundeart. Da klaffen auch ihrer drei oder vier hinter einer verstürmten Katze her. Aber einer gegen einen! Mann gegen Mann, ist echter Straßenjungen Art, sonst würde sich wohl einer unter euch finden, der den Mut hätte, mit mir es zu wagen.«

Es fand sich ein solcher; so wie ein zweiter und dritter. Als der vierte, tüchtig zerzaust, auf dem Steinpflaster lag, brach die ganze Schar in ein lautes Freudengeschrei aus und rief ihm zu:

»Genug! Genug! Du kannst bei uns bleiben und sollst dabei sein, wenn wir mit denen von den Vorsetzen und vom Stubenhuk her zusammenstoßen. Davon soll keiner ohne blaue Augen und geschwollene Nase heimkommen.«

Der Bursche mit dem muntern Blick und den flinken Händen befand sich inmitten einer lustigen Kameradschaft, die ihre Zärtlichkeit durch vielfache Stöße und Püffe an den Tag legte. Jeder sprach mit ihm, jeder wollte eine Antwort, bis zuletzt einer fragte:

»Wie heißt du denn?«

»Jan!« war die Antwort.

»Jan!« entgegnete jener. »Ich heiße auch Jan, aber noch etwas dazu. Jan Bremer heiße ich, wie mein Vater und der da heißt Jan Lorenzen: Und du, wie heißt du?«

»Jan Thiemer!« sagte der Gefragte.

»Und du? Und du?«

Es kamen noch ein paar andere Jans zum Vorschein und die Aufforderung, seinen Zunamen zu nennen, erging an den zuerst Befragten aufs neue.

Er schwieg betroffen und ward blutrot im Gesicht. Von dem Augenblicke an, da er denken konnte, bis zu dieser Minute war er Jan genannt worden. Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, daß er auch noch einen andern Namen haben müsse. Die alte Möllern, die täglich mit ihm schalt und zankte, war mit diesem Namen zufrieden gewesen. Auf der Werft hatte keiner nach einem andern verlangt. Auch Vater Pfingstmeier, der Schenkwirt, bei dem ihn der Baas von der Neptunswerft unterbrachte, verlangte keine nähere Bezeichnung, sondern hatte ihm beim Fortgehen zugerufen:

»Jan! Jan! Morgen wird das Kostgeld für dich zuletzt bezahlt; also sieh zu, daß du dich heute irgendwo unterbringst, sonst geht es dir schlecht!«

So war Jan von dem Grasbrook weg und in die Stadt gegangen, um zu suchen, was er selbst nicht recht wußte. Statt dessen fand er eine Menge ungewisser Kameraden und vermißte etwas, was er bis zu dieser Stunde nicht entbehrt hatte: einen Namen.

Das bedenkliche Schweigen fiel allgemein auf. Die Straßenjungen, die vor keinem tollen Streiche zurückbebten, sahen ihn von der Seite an, und mehrere Vollbärtige zogen sich unwillkürlich zurück. Sie schauten sich gegenseitig an und sahen erwartungsvoll auf, als einer fragte:

»Hast du denn keinen andern Namen, als diesen einen?«

»Nein,« entgegnete er, und ein leises Fürchten kam über ihn. »Einen andern habe ich nicht. «

»Wer ist denn dein Vater?« fragten die Knaben.

»Ich habe keinen Vater!« sagte Jan tonlos und mit niedergeschlagenen Augen. »Die alte Frau Möller ...«

»Ist sie deine Mutter?« unterbrach ihn jemand.

»Ich war ihr Kostkind,« gab Jan zur Antwort. »Aber das bin ich nun auch nicht mehr.«

»Dann bist du gar nichts!« sagte einer der Kecksten in der Schar, »und kannst auch nichts werden, denn kein Meister nimmt einen Jungen in die Lehre, der nicht von rechtlichen Eltern geboren ist.«

Jan zitterte. Die hellen Tränen stürzten ihm aus den Augen.

Dieser Auftritt machte einem sonst ziemlich zaghaften Buben Mut und er fragte, sich dem Weinenden nähernd:

»Wo bist du denn eigentlich her? Hat dich der Storch aus der Elbe gefischt, oder bist du geradeswegs vom Himmel heruntergefallen?«

Da stockten die Tränen, da hob sich das gesenkte Auge. Die Adern schwollen an und den unverschämten Frager schüttelnd, daß ihm der Atem verging, rief er mit einem Tone, wie man ihn von einem Burschen seines Alters nicht zu hören vermutete:

»Wenn du das noch ein Mal sagst, bringe ich dich um!«

»Laßt ihn gehen!« sagte einer. »Wir wollen ihn nicht unter uns haben. Da er keinen Namen hat, kommt er nirgends an und die Werkstätten haben Frieden vor ihm. Er kann Stadtsoldat werden.«

»Oder Komödiant!« rief ein anderer. »Das ist, wie mein Vater sagt, verkommenes und verdorbenes Volk, das keinen Namen hat und keinen braucht. Hörst du, Jan Kostkind? Geh in die Holzbude und lasse dich anwerben.«

Fort waren sie, wie vom Winde weggeblasen. Jan sah ihnen nach und näherte sich darauf unwillkürlich der Holzbude, ohne zu wissen, was er dort wollte. Er stand davor, beide Hände in den Taschen und gaffte sie an.

*

Auf dem Theater selbst, über welches sich das Dach der Holzbude wölbte, herrschte eine augenblickliche Verlegenheit. In der Hauptszene des triumphierenden Hamburgs war ein massenhaftes Volksgedränge vorgeschrieben, allein die Zahl der vorhandenen Statisten war so gering, daß auch der umsichtigste Regisseur nicht vermocht hätte, die Vorschrift des Dichters in Ausführung zu bringen. In diesem kritischen Moment flog ein zündender Gedanke durch das Gehirn des Direktors. Er sandte seinen Theatermeister und dessen Gehilfen auf die Straße, die umherstreifenden großen und kleinen Müßiggänger aufzufordern, unter dem Versprechen eines freien Entrees die Rolle eines begeisterten Hamburgers zu spielen. Gesegnet war der Erfolg und ein toller Schwarm halb verlumpter, halb verwegener Gesellen tobte mit einem ohrenbetäubenden Geschrei auf den Brettern umher. Keine noch so raffinierter Regie, kein noch so erfahrener Garderobenmeister hätte einen in allen Beziehungen ausdrucksvolleren Pöbelhaufen abrichten und einkleiden können, als ihn hier der Zufall wie von selbst in Szene setzte.

Die Abendstunde brach an. Die große Glocke in dem Holzgerüste neben der Theaterbude verkündete die fünfte Stunde. Das war der Anfang der Vorstellung, die sich um einige Minuten verzögerte, weil das schaulustige Publikum im Zuströmen begriffen und die Ruhe in dem Zuschauerraum noch lange nicht hergestellt war.

Frau Rosmarin, welche die Göttin Hammonia vorzustellen hatte, erschien in einem langen weißen Gewande. Ein goldschimmerndes Diadem schmückte die Stirn und auf der Brust prangte das Wappen der Stadt. Nicht zufrieden mit diesen originellsten aller Götter-Attributen, näherte sich ihr der Requisitenmeister und drückte ihr mit einem vielsagenden Blick einen Merkurstab in die Hand, um dadurch anzudeuten, daß Merkur der Gott der Kaufleute sei und er daher seinen Stab der Frau Hammonia gern als ein gebietendes Zepter überreiche.

Unter den freiwillig und unfreiwillig zum Komödiantenspiel Entbotenen war auch Jan. Wie ein Träumender ging er, wohin man ihn schob. Die Dämmerung, welche auf der Bühne und hinter den Kulissen herrschte, übten eine seltsame Herrschaft über ihn aus. Die mannigfachen hier und dort angebrachten Verzierungen und Transparente erweckten in ihm die wunderbarsten Vorstellungen. Alles war ihm fremd und nur mit einer gewissen Scheu näherte er sich den ihm unbekannten Gegenständen.

Da wurde es lichter auf der Szene. Der Hintergrund der Bühne, bis dahin finster, glänzte hell und Jan schrie laut vor Entzücken. Auf den papiernen Wellen wiegte sich das Modell eines großen Dreimasters. Mit leuchtenden Augen musterte er den ihm wohlbekannten Gegenstand. Aber eben so rasch umwölkte sich die Stirn und mit dem Rufe: »Der Wimpel ist unklar!« war er am Bord und begann den großen Mast zu erklettern.

Das leicht zusammengezimmerte Modell geriet in ein bedenkliches Schwanken. Der Theatermeister schrie um Hilfe und warf dem kecken Burschen die zusammengeballte Mütze nach. Der Zimmergesell, welcher dies Kunstwerk geschaffen, schwur, dem Enterer den Hals umzudrehn, während der Direktor mit seiner Donnerstimme befahl, den Vorhang nicht eher aufzuziehen, bis der Skandal beseitigt sei. Aber zu spät. Das Zeichen war gegeben und das versammelte Publikum sah den mit Flaggen verzierten Dreimaster, dessen Großmast ein strammer Schiffsjunge bevölkerte, was einen anwesenden Steuermann zu der Bemerkung veranlaßte, daß das Schiff wohl mit Nächstem in See gehen werde.

Mit großem Wohlbehagen blieb Jan auf seinem Platze. Der Wimpel konnte nicht geklart werden, denn es war kein natürlicher, sondern ein gemalter, den die Unkenntnis des Künstlers in diese schiefe Stellung brachte. Jans Augen waren überall und wenn die auf den Brettern versammelte Menge ein Hurra anstimmte, erklang sein Rufen über alle andern hinaus.

Da nahte die Katastrophe. Frau Rosmarin hatte das triumphierende Hamburg dreimal hochleben lassen und sollte nun das Schiff zur bevorstehenden Glücksfahrt einsegnen. Jan sah, wie sie sich ihm näherte und es deuchte ihm, als habe er eine Erscheinung. Das Gesicht war ihm bekannt und doch erinnerte er sich nicht, daß er es vorhin auf der Straße gesehen hatte.

Plötzlich verbreitete sich ein heller Schein. Es war die Glorie, welche die Hammonia bei ihrem Segenswerke umstrahlen sollte, und der Haupttreffer des Abends. Das Publikum jubelte auf und klatschte Beifall, als die Katastrophe eintrat. Der Beleuchtungsapparat ward nicht sorgfältig genug gehandhabt. Der wehende Schleier der Hammonia fing Feuer und ein Ruf des Entsetzens füllte das Haus. Kreischend stoben die Mitspielenden auseinander, um nicht auch von der Flamme erfaßt zu werden. Hammonia schwebte in der äußersten Gefahr.

»Hurra!« rief Jan und rutschte am Mast herab. Von dem Gerüst auf die Bretter, den brennenden Schleier ergreifen und abreißen, die Funken austreten und einen in der Nähe stehenden Eimer Wasser darüber ausgießen, war nur ein Moment. Er hielt die zitternde Frau in seinen Armen, die ihn freundlich anblickte und leise sagte:

»Schon zum zweiten Male hilfst du mir heute, du liebes Kind! Habe Dank! Tausend Dank!«

Das triumphierende Hamburg endete ohne ein erleuchtetes Schlußtableau. Die Zuschauer verliefen sich, als der Direktor seine Entschuldigung angebracht und versichert hatte, daß die betreffende Künstlerin unverletzt sei. Dann aber näherte er sich der Gruppe und sagte, dem Knaben auf die Schulter klopfend:

»Brav, mein Söhnchen. Du sollst bedankt sein, und wenn du morgen wieder vorsprichst, will ich es dir gedenken.«

Frau Rosmarin sagte nichts. Aber sie küßte den Knaben und weinte still vor sich hin.

Jan war draußen. Er wußte nicht, wo er sein Haupt niederlegen sollte, aber sein Herz schlug mächtig und die ganze Welt war sein.

*

Eine Mutter ohne Sohn.

Frau Rosmarin war an jenem Abend in großer Aufregung heimgegangen. Nur mit Anstrengung gelang es ihr, die steilen und schmalen Treppen zu ersteigen.

Direktor Veltheim, der geistreiche Erfinder des triumphierenden Hamburgs, hatte die auch jetzt noch nicht erloschene Gewohnheit, von seinen Mitgliedern vieles zu fordern und ihnen möglichst wenig zu gewähren. Die Gage erlaubte den Schauspielern nicht, ein eigenes Quartier zu beziehen. Sie sahen sich genötigt, wie man es in Hamburg nennt, bei jemandem einzuwohnen.

Frau Rosmarin herbergte bei einer alten Näherin vier Treppen hoch, in einem finsteren, winkligen Hause. War die Wohnung selbst schon unheimlich, wurde sie es durch die Wirtin noch mehr. Es war eine alte schweigsame Person, die mürrisch und abergläubisch war und über deren Zunge selten oder nie ein heiteres Wort schlüpfte. Wenige hätten bei derselben Stand gehalten, allein Frau Rosmarin kam mit ihr aus. Das düstere Wesen derselben harmonierte vielmehr mit ihrer eigenen Stimmung und es fand zwischen beiden eine gewisse Sympathie statt, die sich besonders kund gab, wenn die Wirtin, die düster brennende Lampe vor sich, am Tische saß und ein verbrauchtes Spiel Karten aus der Tasche zog.

»Was will Sie beginnen, Jungfer Mewes?« fragte die Rosmarin, die sich nahe dem Herde gesetzt hatte, auf welchem ein Torffeuer glimmte, welches eine notdürftige Wärme um sich verbreitete. Das Wetter hatte sich gegen den Abend auffällig verändert. Regenwolken hingen dicht und schwer herab und der Sturm flog heulend um die hohen und spitzen Giebel, daß sie leicht erzitterten und Funken und Asche von dem Herde aufwirbelten, wenn der Wind in den Schlot hinabfuhr.

»Was will Sie beginnen, Jungfer Mewes?« wiederholte die Schauspielerin, als auf ihre Frage keine Antwort erfolgte. »Sie soll mir nicht wahrsagen, heute nicht. Ich kann nichts hören in meinem aufgeregten Zustande. Hört Sie mich? Sie soll nicht!«

Es schien fast in dem Ton zu liegen, womit diese Worte gesprochen wurden, als sollten sie das Gegenteil von dem bedeuten, was sie ausdrückten. Ihre Augen hefteten sich fest auf die Karten und Unruhe im ganzen Körper deutete an, daß sie den Augenblick nicht erwarten könne, wo die Weissagung beginne. Allein Jungfer Mewes ließ sich nicht stören. Sie wandte die Augen nicht von der obersten Karte ab, als ob sie aus derselben etwas ganz Absonderliches lesen wollte, und hielt die Lippen fest verschlossen, als fürchte sie, daß ein unbedachtes Wort denselben zur Unzeit entschlüpfen könne.

»Sie weiß nicht, was mir geschehen ist!« sagte nach einer weiteren Pause die Schauspielerin. »Die Flamme faßte nach mir und ich war nahe daran, zu verbrennen.«

»Hier ist auch ein Feuer,« sagte Jungfer Mewes, eine Karte umschlagend, »aber das Feuer verwandelt sich in eitel Gold.«

»Gold!« wiederholte die Schauspielerin. »Hätte ich es, ich würde meinen Rettungsengel damit schmücken! Hört Sie es, Jungfer Mewes? Meinen Engel, der vom Himmel herabkam, um mich dem Feuertode zu entreißen.«

»Das habe ich Ihr schon vor acht Tagen prophezeit, daß Sie noch einmal lichterloh brennen würde. Damals lachte Sie laut auf und ich warf die Karten hin, weil Ihr Unglaube mich erboste, sonst hätte ich den Engel auch noch gefunden!«

»Das liebe Kind! Ich weiß wohl, daß es kein rechter Engel war, allein ich nenne ihn so. Was für treue Augen hatte er! Und diese Ringellocken! Jungfer Mewes, die Augen gingen mir über, als ich ihn an mich zog und sein Herz schlagen hörte.«

»Still!« gebot die Wahrsagerin. »Hier ist ein Engel. Sieht Sie diesen Buben? Aber er wird groß und stark. Er geht an Bord eines Schiffes und fährt über das öde Wasser, weit weg, dahin, wo der Welt Ende ist.«

»Lasse Sie ihn fahren, so weit er kann. Ich sehe ihn doch leibhaftig vor mir stehen.«

Jungfer Mewes stocherte die Lampe auf, damit sie heller brenne, legte eine Karte neben die andere und schüttelte stillschweigend den Kopf. Plötzlich schrie sie laut:

»Da ist er wieder!«

»Wer?« fragte die Schauspielerin aufschreckend.

»Der Engel. Er ist schon ganz nahe bei Ihr. Aber der kleine Engel ist ein stattlicher Herr geworden und hat einen bunten, gestickten Rock an.«

Frau Rosmarin lächelte schmerzlich: »Wenn das Glück mit ihm ist, wird er nicht in mein Haus treten. Das ist immer vor meiner Schwelle umgekehrt.«

»Diesmal kommt er,« sagte Jungfer Mewes zuversichtlich. »Und er kommt nicht allein, sondern er bringt Ihr etwas mit.«

»Und was wäre das?«

»Einen Liebhaber!« entgegnete die Wahrsagerin rasch. »Einen stattlichen, vornehmen Herrn. Und einen Brautschatz schleppt er hinter sich her, der flimmert und glänzt, daß einem das Herz im Leibe lacht.«

»Die Karten lügen!« rief die Schauspielerin aufspringend. »Ins Feuer mit ihnen!«

Sie streckte die Hand danach aus, allein Jungfer Mewes umkrallte sie so fest mit den Fingern, daß man ihr dieselben nicht zu entreißen vermochte. Dabei wurde sie gar ingrimmig und sich der Schauspielerin gegenüberstellend, die Arme in die Seiten gestemmt, sagte sie giftig:

»Das ist nun zum zweiten Male, daß Sie mein Spiel stört und mir diesen Schatz rauben will. Wenn es zum dritten Male geschieht, kündige ich Ihr den Vertrag und lasse sie ziehen. Sie mag dann sehen, wo Sie für wenige Schillinge Kost und Herberge findet. Das Schauspielervolk tut immer so stolz und aufgeblasen, als ob es etwas Rechtes wäre, und es gibt sich doch kein ehrlicher Christenmensch mit ihnen ab. Wo will Sie denn hin, wenn ich Ihr die Tür verschließe?«

Frau Rosmarin empfand die Wahrheit dieser Worte und es fiel ihr schwer aufs Herz, daß die Erzürnte die ausgestoßene Drohung zur Wahrheit machen könne. Zugleich fühlte sie die Demütigung, von den Launen einer zänkischen alten Jungfer abhängig zu sein und ein Gefühl der Bitterkeit bemächtigte sich ihrer. Aber sie bekämpfte die aufsteigende Wallung und der Jungfer Mewes die Hand reichend, sagte sie:

»Trage Sie es mir nicht nach. Ich werde mich für die Zukunft besser beherrschen.«

»Das rate ich Ihr, um Ihrer selbst willen. Wenn man nicht die Macht hat, aufzutrumpfen, muß man auch nicht den Willen dazu haben.«

»Sie würde milder sein, wenn Sie wüßte, wie sehr dieses Herz gequält und gefoltert ist und was ich litt und duldete bis zur gegenwärtigen Stunde. Ich muß ihm Luft schaffen von Zeit zu Zeit, wenn es nicht zerspringen und die namenlosen Qualen bis in das Unendliche mehren soll.«

»Dann werfe Sie die Last von sich, welche Sie drückt. Das Geheimnis weckt die Neugier, aber keine Teilnahme. Sie hat schon oft solche Worte ausgestoßen, allein wenn man fragte nach dem Warum und Weshalb, ist sie stumm geworden und hat nicht mehr Laute von sich gegeben als der hölzerne Tisch da, der doch noch knarrt und pfeift, wenn man an das wackelige Gestell rüttelt. Schweige Sie also ganz und gar, oder mache Sie den Mund rechtschaffen auf und lasse Sie hören, warum Ihr Herz beklemmt ist und nicht zum Schweigen gebracht werden kann.«

»Ja, ich will reden!« entgegnete Frau Rosmarin rasch. »Ich habe noch nie so sehr danach geschmachtet, mir durch Worte Luft zu machen, als in dieser Stunde. Sie soll mich hören und erfahren, wie die frische Maienblüte zur trauernden Rosmarin geworden ist.«

Es war die geeignete Stimmung für eine Mitteilung solcher Art. Der Sturm steigerte sich und warf die schweren Regentropfen klirrend gegen die kleinen Scheiben. Die Dachsparren stöhnten unter der Wucht des heulenden Nordwest und klirrend flogen die losgerissenen Dachziegel auf das Straßenpflaster herab.

Die beiden Frauengestalten rückten nahe aneinander. Jungfer Mewes schob die Karten in die Tasche, schlang die Hände ineinander und saß unbeweglich auf ihrem Stuhl. Die Schauspielerin sprach, und in der einsamen Dachstube entwickelte sich nach und nach Wort für Wort und Szene um Szene, die ganze Komödie des Pfarrers von dem Augenblicke an, da die Maienblüte darin zuerst den Schauplatz beschritt, bis zu der Katastrophe, da Frau Janna Straußin mit ihr die Kellertreppe hinabstieg.

Jungfer Mewes hatte aufmerksam zugehört. Sie schauerte und indem sie sich fester in ihre wollene Schaube wickelte, sprach sie:

»Das ist eine rechte Komödiantengeschichte. Aber da unten in dem Keller hat Sie es doch nicht lange ausgehalten? Wie ist Sie nur herausgekommen und wieviel Zeit war seitdem verstrichen?«

»Weiß ich es?« sagte Frau Rosmarin, und alle Schrecken, welche sie in jener furchtbaren Zeit ausgestanden, bebten in dem Ton ihrer Stimme wider.

Die Fenster klirrten ärger als vorher. Jungfer Mewes schauerte zusammen und sprach:

»Es ist wie am jüngsten Gericht!«

»Die Hölle war es, das jüngste Gericht kam später!« entgegnete die Schauspielerin. »Als die Janna Straußin meinen Arm mit ihren eisernen Fingern umkrallte und die Kellertreppe hinunterzerrte, glaubte ich schon zu sterben. Gott war nicht so barmherzig, mir diese Gnade zu gewähren. Ich mußte leben; leben und büßen. Das rief sie mir zu, als sie mich in das dunkle Loch stieß und die Tür hinter mir ins Schloß warf.«

»Wie lange ich dort gelegen, ehe mir die Besinnung wiederkam, ich weiß es nicht. Ich schrie vor Angst und Entsetzen laut auf, aber keiner hörte mich, oder wollte mich hören. Ich jammerte und klagte, bis mir die Stimme versagte und ich willenlos verstummte. Oben, so hoch, daß meine Hand es nicht erreichen konnte, war eine Oeffnung, durch welche ein schwaches Dämmerlicht drang, wenn es gerade Tag war. Aber der Wind pfiff hindurch und blies mich mit seinem kalten Hauche an. Durch einen Schieber in der Tür wurde mir Brot und Wasser gereicht. Wie oft, weiß ich nicht; aber für einen Tag war es zu lang. Wenn neuer Vorrat kam, war der alte längst verzehrt und Hunger und Durst quälten mich noch mehr, als der Frost. Und doch fror mich sehr, denn ich hatte nur dürftiges Stroh zum Lager. Meine Kleidung war auf der langen Wanderung zerrissen und keine Decke hatten sie mir hingelegt, um die erstarrten Glieder darin zu hüllen. Da einmal, als der Schieber in der Tür sich öffnete und der Wasserkrug hineingereicht wurde, überwand ich mich und rief um Erbarmen. Bisher war mein Kerkermeister stumm gewesen. Nie vernahm ich einen Ton. Auch jetzt folgte keine Antwort, sondern nur ein heiseres Lachen, das mir durch Mark und Beine fuhr. Ich kannte dieses Lachen. Es gehörte der Altmagd Martha, einer der Bauernmägde, die voll Grimm für mich erfüllt war und mich haßte, weil ich einmal im jugendlichen Uebermut sie um ihrer Häßlichkeit willen verspottete. Ich, die schöne Christine, nannte das Scheusal einen häßlichen Drachen. Ich nannte sie einen Mistkäfer, der sich auf eine Rose zu setzen wagte. Sie trug es mir nach und jenes Lachen sagte mir, daß sie es noch nicht vergessen hatte. Jetzt schwand die letzte Hoffnung. Ich bat Gott um die Gnade, mich sterben zu lassen. Ich wollte keine Freiheit, kein Leben, nur den Tod.«

»Ich fühle es mit Ihr, daß man in solcher Lage nach dem Tode rufen kann!« sagte Jungfer Mewes bewegt.

»Mit Seelenangst rief ich den Tod, allein er kam nicht. Vielmehr regte sich ein neues, junges Leben in mir. Ich will es Ihr nicht beschreiben, was ich nun empfand. Ich kann es auch nicht, denn ich erinnere mich an nichts, was in jenen entsetzlichen Stunden mit mir vorging. Ich weiß nur, daß ich aus einem dumpfen Traum zu unsäglichen Schmerzen aufschreckte und ein neugebornes Kindlein in meinen Händen hielt.«

»Allmächtiger Gott!« schrie Jungfer Mewes auf.

»Das rief ich auch und war nahe daran, den Verstand zu verlieren, als das arme Geschöpf schrie und mit seinen Klagetönen mein Herz zerriß. Wüste Gedanken erwachten, vor denen ich erbebte. Da rüttelte es an der Tür und die widerliche Stimme der Altmagd fragte: »Was ist da drinnen los, Sie garstige Person?« Es war um die Zeit, da man mir mein Brot und meinen Wasserkrug zu bringen pflegte und sie hatte bei dem Oeffnen des Schiebers das Wimmern des Kindes vernommen. Ich rang nach einer Antwort; umsonst. Die Worte wollten nicht über die Zunge. Sie wartete auch meine Antwort gar nicht ab, sondern entfernte sich, so schnell sie konnte, nicht langsam und gemessen, wie sonst geschah, um mich mit ihrem schlürfenden Gang zu höhnen; denn so lange ich sie hörte, regte sich immer etwas, wie ein banges Hoffen in mir, sie könne umkehren und mich erlösen. Erst wenn es wieder ganz still war, kehrte die düstere Verzweiflung zurück.«

Jungfer Mewes sagte nichts. Aber die Furcht malte sich in ihren Zügen und mit Beben sah sie auf die bleiche Frau am Herdfeuer.

»Nun weiß ich nichts Gewisses mehr,« fuhr jene nach einer Pause fort. »Ich erinnere mich nur noch dunkel, daß es um mich summte, wie ein verworrenes Gespräch, doch habe ich kein Wort davon behalten. Ich habe es vor meinen trüben Augen flimmern sehen, wie Licht, allein es schwand wie ein Blitz und war dann dunkler als zuvor. Als ich mein Bewußtsein wieder erhielt, fand ich mich auf einem Bette wieder. Es war derselbe dunkle Keller, in welchem ich atmete, allein die Barmherzigkeit hatte mir dies Lager gegönnt und ich war von dieser einen Wohltat so erfüllt, daß ich meine Peiniger segnete. Aber mit dem Bewußtsein kehrte auch die Erinnerung wieder und mit dem Schrei: »Mein Kind! Mein Kind!« stürzte ich gegen die Tür. Hatte mein Kerkermeister auf diesen Schrei gewartet oder war es Zufall, daß sie gerade gegenwärtig war. Die Martha beantwortete mein verzweiflungsvolles Rufen mit ihrem teuflischen Lachen und sagte: »Dein Kind ist dir genommen und soll in der Furcht des Herrn, in Gebet und Armut auferzogen werden, um die Sünden der Mutter. Du wirst es niemals wiedersehen.«

»Das ist schrecklich! Was hat Sie Aermste erdulden müssen!«

»Keine Zunge mag es verkünden, auch die meinige nicht. Die Schreckensworte jenes Weibes klingen noch immer in meinem Herzen wider. Es waren zugleich die letzten, welche ich von ihr vernahm. Auch weiß ich sonst nichts von mir zu sagen. Ich war stumpf geworden und vermochte nichts zu denken, noch zu tun. So gewohnt war ich meine tödliche Einsamkeit, daß ich vor Schreck zusammenfuhr, als eines Tages der Schieber sich öffnete und eine Stimme, die mir fremd erklang, rief: »Ist noch ein lebendes Wesen hier, oder komme ich zu spät?«

»Der Rettungsengel!« rief Jungfer Mewes laut auf.

»Die böse Martha war plötzlich gestorben. Der Schlag hatte sie gerührt. Sie hatte eine Verwandte in das Haus gebracht und sie unter Vorspiegelung großen Lohnes zu ihrer Gehilfin abgerichtet. Die junge Dirne war schlau und gelangte in den Besitz des Geheimnisses. Ihr redliches Herz empörte sich, allein sie schwieg, um desto sicherer einer Unglücklichen beizustehen. Da trat der Todesfall ein und mein entsetzliches Los wendete sich. Die junge Magd setzte sich zu mir nieder und erzählte mir alles. Sie brachte mir nahrhafte Speise und trug mir alte Kleider zu, um meine Blöße zu decken. Ich küßte weinend ihre Hände und fragte mit unterdrücktem Schluchzen nach meinem Kinde. Sie wußte nichts davon. Es war wieder die alte Nacht. Da öffnete sich nach einiger Zeit die Tür meines Gefängnisses. Meine Retterin erschien und flüsterte mir zu: »Die Stunde der Vergeltung bricht an. Eure Muhme, die Frau Janna Straußin ringt mit dem Tode, aber sie kann nicht sterben. Das böse Gewissen martert sie. Geht hinauf zu ihr und predigt ihr Buße. Der Weg ist frei.« Ich erhob mich und stand auf meinen Füßen. Sie schmerzten, so wenig waren sie gewöhnt, die geringe Last zu tragen. Auf der Treppe war die Lampe stehen geblieben. Ich folgte ihrem Schimmer und stieg mit unsäglicher Mühe hinauf. Als das volle Licht des Tages meine Augen traf, stand ich, wie geblendet. Ich erkannte die große Diele, an deren Ende die Schenkstube lag, wo die Biergäste verkehrten. Mein Erscheinen rief ein allgemeines Erschrecken hervor. Man floh vor mir und weckte mit wüstem Geschrei die Aufmerksamkeit der andern. Keiner wagte es, mich anzurühren, allein mit einer Mischung von Furcht und Neugier folgten sie mir, als ich die Treppe hinaufging. Ich hatte mich wiedergefunden und wußte, wohin ich mich wenden müsse, um zu meiner Quälerin zu gelangen. Die Magd, welche mir zur Freiheit verholfen, stand vor ihrer Tür. Sie öffnete diese und entfernte sich, ohne die Leute, welche mir gefolgt waren, zurückzuweisen. Da lag das böse Weib, bleich, abgezehrt, vom Fieber geschüttelt. Die Krankheit hatte den bösen Zug, der ihr Inneres widerspiegelte, nicht aus dem Gesicht getilgt; er trat nur noch schärfer hervor. Sie fuhr bei meinem Eintritt auf und rief:

»Wer ist da?«

»Ich bin es! Christine Ramke, deines jüngern Bruders Kind, die du verderbt hast und die jetzt erscheint, um Rechenschaft zu fordern.«

»Hilfe! Hilfe!« schrie sie laut auf.

»Hier ist niemand, der dir zu Hilfe kommt,« entgegnete ich. »Dein Verbrechen ist so groß, daß keiner Erbarmen mit dir hat und dir eine helfende Hand reicht.«

»Willst du mich töten?« fragte sie erschreckt und hüllte sich in ihre Decke.

»Ich will dich anklagen vor Gott und Menschen, daß du mir ein ganzes Leben gestohlen hast und mich in dunkler Haft gefangen hieltest, ich weiß nicht, wie lange. Du hast mich in der Blüte der Jugend gemordet, hast mir ein ganzes reiches Leben gestohlen und das Pfand einer Ehe, die du gewaltsam trenntest, von meinem Herzen gerissen.«

Frau Janna Straußin seufzte schwer und suchte sich mit Gewalt aufzurichten, oder doch ihr Gesicht von mir abzuwenden, allein es wollte ihr nicht gelingen. Sie stierte mich mit ihren glanzlosen Augen an und ich rief ihr zu:

»Wo hast du meinen Gatten hingelockt und in welcher Hölle schmachtet er? Sage es, damit ich eile, ihn daraus zu erlösen.«

Sie blieb stumm. Der Schrecken der ersten Ueberraschung wich und die Heimtücke, die dieses Weib erfüllte, malte sich auf ihrem Gesicht:

»Dein Buhle ist tot!« rief sie mir zu. »Erst wenn du ihm folgst, ist die Familienschande begraben.«

Mir aber war es, als rufe eine Stimme laut und vernehmlich in mir: »Dein Kind! Unglückliche Mutter, wo ist dein Kind!« Und diese Worte mit steigender Angst wiederholend, stürzte ich mich auf das mich in meinem Jammer höhnende Weib, ich faßte sie mit beiden Händen und wiederholte den Ruf: »Wo ist mein Kind? Wo hast du es gelassen?«

Sie stöhnte unter meinem Druck. Die Hausleute, welche mir folgten, fürchteten das Entsetzlichste. Sie rissen uns auseinander. Meine Kraft, die ich im vorhergehenden Augenblick auf das Aeußerste anspannte, verließ mich. Machtlos sanken die Arme herab und mit ermattender Stimme sprach ich:

»Weib! Vor Gott und Menschen beschwöre ich dich, ende diese Pein! Willst du mir sagen, wo mein Kind ist?«

»Nein!« gab sie zur Antwort. »Nein!«

Und mit diesen Worten fiel sie zurück. Mit diesen Worten schwand auch meine Besinnung.«

»Helf Gott!« stöhnte Jungfer Mewes und versuchte umsonst, die verlöschende Lampe wieder aufzustochern. «Macht ein Ende mit dieser gräßlichen Geschichte.«

»Sie ist am Ende!« sagte die Schauspielerin. »Ich lag bewußtlos am Boden. Als ich meine Besinnung wieder erhielt, erfuhr ich, daß ich nach dem Hospital zum heiligen Geist gebracht wurde. Die Körperkräfte kehrten allmählich zurück. Der Doktor erklärte mich für genesen und ich wurde entlassen. Meine Füße trugen mich wieder, allein mein Geist war gebrochen und es dauerte lange, ehe ich eines klaren Gedankens fähig wurde.«

»Lasse Sie mich das Feuer anfachen, Frau!« sagte Jungfer Mewes. »Mir wird bange in dieser Finsternis.«

Der Schwefelfaden fing Feuer an den glimmenden Funken in der Zunderbüchse. Eine Hand voll Hobelspäne flammte hell auf und warf einen rötlichen Schimmer auf das bleiche Gesicht der Schauspielerin. Diese sprach vor sich hin:

»Die frische Maienblüte ist zum welken Rosmarin geworden. Ich konnte keine Wiedervergeltung üben, denn als ich zum Bewußtsein erwachte, war jenes böse Weib gestorben und begraben. Lachende Erben saßen in ihrem und meines Oheim Lorenz Häusern und schwelgten in dem ihnen zugefallenen Gut. Sie lachten über mich und meine Ansprüche. Sie schlugen mir die Tür vor der Nase zu und die Gerichte wiesen mich mit meiner Klage ab, denn ich konnte nichts beweisen. Ich sei gesund, hatte der Doktor im Hospital gesagt, als er mich gehen hieß. Der Blinde! Ich war kränker als jemals und erduldete Schmerzen, von denen ich vorher keine Ahnung hatte. Trostlos irrte ich auf der Straße umher. Ich hätte mitten in meiner reichen Vaterstadt verhungern müssen, wenn nicht ein mitleidiger Schauspieler sich meiner in meinem Elend angenommen hätte. Er bot mir ein Obdach und nahm mich mit zu der Truppe, welcher er angehörte. Und mit ihm bin ich zuletzt hierher gelangt und atme in der Heimat unter meinen Landsleuten, von denen niemand weiß, wer ich bin, als nur Sie allein.«

Frau Rosmarin verstummte. Der Kopf senkte sich auf die Brust herab. Die Augen schlossen sich. Der Schlaf bewältigte sie unwillkürlich.

»Ich will ihr einen warmen Trunk bereiten,« sagte die Jungfer Mewes zu sich selbst. »Die Aermste! Was sie ausgestanden haben muß. Und wie sie das alles vorzubringen weiß. Ich wäre nicht imstande, das so zu erzählen.«

Mit der Schale voll dampfenden Warmbiers stand sie vor der sich eben Ermunternden und nötigte mit gutgemeinter Hast zum Genuß:

»Sie muß gleich zur Probe. Es ist spät geworden und ich weiß, Sie läßt nicht gerne auf sich warten. Wird Ihr auch übel vermerkt von dem Direktor.«

Frau Rosmarin leerte die Schale, welche sie mit einigen Dankesworten zurückgab und eilte nach dem Theater, wo eine Probe angesagt war. Sie erschien ziemlich früh und von den Kollegen war noch niemand anwesend. Aber Jan, der am Abend vorher die glimmenden Funken austrat und vielleicht ein großes Unglück verhinderte, tummelte sich bereits auf dem neuen Schauplatz umher und ließ sich von einem gutmütigen Theaterarbeiter alle ihm unbekannten Dinge erklären. Frau Rosmarin erblickte den Knaben und rief ihn zu sich. Mit seinen hellen, lachenden Augen sah er zu ihr auf:

»Ich darf hier bleiben. Der Mann im braunen Rock mit den großen gelben Knöpfen hat es gesagt.«

Ein Theaterarbeiter trat herzu und sagte ergänzend: »Herr Direktor Veltheim will dem Jungen, der uns gestern vor einem Unglück bewahrte, die Kost geben und ihn auf dem Boden schlafen lassen. Dafür soll er uns zur Hand gehen.«

»Ja!« rief Jan. »Und Komödienspielen soll ich auch. Hurra! Das wird eine lustige Geschichte werden. Auf dem Kopf stehen kann ich schon!«

Und im Fluge sich drehend, schoß er drei Purzelbäume hintereinander.

»Das ist gut, mein Söhnchen!« sagte Frau Rosmarin, als sie den Knaben glücklich zum Stehen gebracht hatte. »Ich werde dich dann oft sehen und für die Dienste danken, die du mir leistetest. Ich mag nicht daran denken, was ohne dich aus mir geworden wäre.«

»Ich sollte Sie doch nicht verbrennen lassen?« fuhr Jan auf. »Mir hat es nichts geschadet und das bißchen Haut, welches hier abgeschrammt ist, wird schon wieder wachsen.«

Frau Rosmarin ergriff seine Hand und entdeckte eine nicht unerhebliche Verletzung. Sie nahm ihr Taschentuch, um ihn zu verbinden. Er schien es gern zu haben und sagte freundlich:

»Das tut mir wohl. Hier ist es besser, als heute Nacht auf der Straße.«

Die Schauspielerin gedachte des entsetzlichen Wetters zur Nacht und fragte erschrocken:

»Du warst draußen?«

»Wo denn sonst? das Tor war geschlossen und nach dem Grasbrook in die Herberge konnte ich nicht mehr. Als es regnete, hockte ich unter einem Kellerschauer und als es Tag wurde, ging ich hierher, wo ich nun bleibe, bis sie mich nicht mehr haben wollen.«

»Ich werde dich gerne hier sehen!« sagte Frau Rosmarin. »Sind denn aber die Deinigen damit zufrieden?«

»Die Meinigen?« fragte Jan und sah sie mit seinen großen Augen an. »Was sind das für welche?«

»Was sind das für welche?« wiederholte sie unwillkürlich. »Du armes Kind weißt nicht ... So hast du denn keinen Vater und keine Mutter?«

»Ich bin ganz allein!« entgegnete Jan. »Die alte Möllern will mich nicht mehr und meine Zeit in Vater Pfingstmeiers Schenke ist heute auch abgelaufen. Nun habe ich niemand.«

»Du bist eine Waise,« sprach sie. »Eine Waise, wie ich es war. Aber du bist doch frei und schmachtest nicht in Ketten und Banden.«

»Nein, gebunden hat mich keiner. Sollte es nur einer probieren, dem wollte ich ...«

Er nahm eine drohende Stellung an. Frau Rosmarin sah ihn lächelnd an und sagte:

»Von einem Bande kannst du dich immer halten lassen. Es ist das Band der Dankbarkeit, welches mich an dich fesselt. Du hast keine Mutter; ich bin ein armes, kinderloses Weib. An dieser Brust soll dir ein neues Leben erblühen.«

Sie zog ihn an sich. Jan schlang seine Arme um sie und sagte leise:

»Ach Gott! Ach Gott! Ich weiß nicht, was es ist, aber mir quellen die Tränen aus den Augen. Halte Sie mich fest; ich will bei Ihr bleiben und alles tun, was Sie haben will.«

Sie legte ihre Hand segnend auf sein Haupt.

*

Ein blauer Mohrenkönig.

Das alte Jahr war geschieden; das neue brach an. Es brachte einen gelinden Frost, der mit der Stunde wuchs und die Elbe mit Eis belegte, so daß man bald von Harburg bis nach den Vorsetzen und vom Grasbook bis nach Blankenese trocknen Fußes über den Strom setzen konnte, bis endlich eine breite Fahrstraße sich bildete, auf welcher die Schlitten hin und her flogen und die schwer beladenen Frachtwagen ihren Paßgang antraten.

»Nun kommen die heiligen drei Könige!« sagte ein Moorburger Milchbauer, der neben seinem Nachbar herging. Die schwere Tracht lastete auf der Schulter, woran die rotangestrichenen Milcheimer hingen. »Gewiß kommt solches Volk auch zu uns herüber. Sie haben es dieses Jahr leicht, denn die Elbe ist fest.«

»Wenn sie auf meinen Hof kommen,« gab verdrießlich der Nachbar zur Antwort, »schlage ich ihnen die Tür vor der Nase zu und hetze den Hund auf sie. Sultan, faß!«

»Laß den Sultan nur still liegen; sie sind noch nicht da!« sprach der erste. »Du bist immer vorweg und gibst nachher klein bei. Es sind doch schnackische Jungen, wenn sie von Haus zu Haus ziehen und singen:

›Die heiligen drei Könige mit ihrem Stern,
Sie essen und trinken, aber zahlen nicht gern!‹«

»Das muß wahr sein, hineinschlingen können diese Burschen, was ihnen vor die Augen kommt, und wenn sie endlich satt sind, wollen sie noch ein Stück mit auf die Reise haben. Und wäre es damit noch getan. Aber das Umhertreiben führt zum Müßiggang und hernach wird ein Cord Detjens daraus.«

»Cord Detjens? Was ist das für einer?«

»Er war eines stillen Mannes Sohn aus Moorwerder, der nach Hamburg zu einem Schlächter in die Lehre kam. Statt bei seinem Handwerk zu bleiben, legte er sich auf die liederliche Seite, spielte bald den Balthasar, bald den Kaspar, als ob es so sein müßte, und kam nach und nach so herunter, daß er ein ganz gemeiner Trunkenbold ward. Sie nannten ihn einen Branntweinschlauch und alle Welt bekreuzte und segnete sich, als es hieß, der Cord Detjens ist bei lebendigem Leibe verbrannt und nichts als eine Handvoll Asche von ihm übrig geblieben.«

»Gott bewahre uns in Gnaden, was erzählst du für schreckliche Geschichten. Auf dem Rückwege gehe ich allein, oder hänge mich an die Metta Schlütersch; die hechelt doch nur die Alten durch und läßt die Kinder in Ruhe. Man sieht und hört doch gleich, daß du nichts Kleines zu Hause hast.«

Die Männer trennten sich, als sie die Landungsbrücke am Grasbrook erreichten, und gingen hierhin, dorthin.

Es war lebhaft auf den Straßen. Die Sonne stand im Mittag und die Geschäfte des Tages waren im vollen Gange. Auch auf dem großen Neumarkt wogte es die beiden Steinwege entlang und mehrere Knaben, die sich dort umhertrieben, hatten nicht so freien Spielraum, als sie sonst sich denselben wünschen mochten. Auf einen Platz zusammengedrängt, standen sie, einen Kreis bildend, und schienen ernste Beratungen zu pflegen.

»Das ist nun ausgemacht!« sagte einer von ihnen, »daß wir wieder die heiligen drei Könige vorstellen und in der Stadt umherziehen.«

»Ja! Ja! Das ist ausgemacht!«

»Gut! Und jeder muß dabei etwas vorstellen. Jan Thiemer, du kriegst den König Melchior.«

»Den kriege ich. Die goldene Papierkrone habe ich noch vom vorigen Jahr und aus der Mutter ihrer bunten Schürze mache ich mir einen Mantel.«

»Und ich bin der Balthasar,« sagte Jan Bremer. »Balthasar trägt das Zepter und ich will damit tüchtig um mich hauen! Wer will Kaspar sein?«

»Ich! Ich!« riefen mehrere Stimmen.

»Einer ist genug. Jan Lorenzen, du hast zuerst geschrien: Ich! Du sollst den Stern tragen und in der Mitte gehen, aber du mußt dir das Gesicht auch schön schwarz färben.«

»Nein, das tue ich nicht! Meine Mutter leidet es nicht und der Vater würde mir tüchtig den Kopf waschen, wenn ich es dennoch täte. Bleibt ihr nur für euch; ich gehe zu den andern.«

Jan Lorenzen lief davon. Die Krone des König Kaspar wurde ausgeboten samt dem Stern, allein keiner wollte sie. Es hatte sein Mißliches mit dem schwarzen Gesicht. Wenn der Spieler seiner Sache nicht gewiß war, wurde er selbst gehänselt, statt andere zu hänseln und sein Rücken mußte für die Zeche einstehen.

Der Leiter dieser Beratung wollte schier verzweifeln ob all der Fehlschläge und rief desperat:

»Weiß denn keiner einen Kaspar aufzufinden?«

»Ich weiß einen!« hieß es.

»Wen weißt du?«

»Jan, das Kostkind!« war die Antwort.

Die meisten erinnerten sich vom Herbst her des Genossen, der ihre Schlangenketten zerriß, und den sie fortjagten, weil er keinen andern Namen hatte als Jan.

»Den Komödiantenjungen?«

»Der keinen Namen hat?«

»Er kriegt ja einen und heißt dann Jan Kaspar. Nehmt ihn nur. So ein Komödiantenjunge ist es gewohnt, Püffe zu kriegen. Auch kann er sonst tüchtige Faxen machen und bringt die Leute so zum Lachen, daß sie uns einen Schilling extra geben.«

Die Uebrigen willigten zögernd ein. Als sie endlich einig waren, den Jan bei sich aufzunehmen, fiel ihnen plötzlich ein, ob der Junge denn auch von ihnen aufgenommen sein wollte. Daran hatte noch keiner gedacht.

Zwei wurden abgeordnet. Sie erhielten Befehl, mit List in die große Bude zu dringen und den Jan herbeizuschaffen.

Ueberraschend schnell fanden die Ueberbringer einer königlichen Würde und Bürde ihren Kandidaten und trugen ihm ihre Wünsche vor. Jan hörte sie gelassen an und sagte darauf:

»Ihr habt mich geschlagen und gestoßen und mich verhöhnt, wenn ihr mich von weitem saht, weil ich ein armer Junge bin, der keine Eltern hat. Jetzt, wo ihr mich brauchen könnt, seid ihr freundlich und wißt nicht, was ihr sagen sollt, um mir nach dem Munde zu reden. Nun wäre es meine Sache, aufzutrumpfen und euch die Wege zu weisen. Aber ich will es nicht tun, sondern euch zeigen, was ich hier bei den Komödianten gelernt habe. Einen König will ich euch spielen, der sich gewaschen hat, wenn auch das Gesicht schwarz ist. Morgen früh, wenn es draußen auf dem Holzgerüste neun schlägt, komme ich zu euch heraus.«

Damit entfernten sich die Abgesandten und meldeten, daß alles in Ordnung sei, wobei sie jedoch verschwiegen, daß der Jan sie tüchtig abtrumpfte, bevor er die dargebotene Würde annahm.

»Morgen früh um neun!« hieß es, und diesen Worten folgte der Aufbruch.

*

Frau Rosmarin saß in dem Verschlage, den man in dem Veltheimschen Theater die allgemeine Garderobe nannte, und machte sich mit Jan zu schaffen.

»Stehe doch still, Junge!« rief sie ihm zu, dem vor Ungeduld die Sohlen unter den Füßen brannten. »Ich werde ja nicht fertig, wenn du nicht ruhig bist.«

»Ja, Mütterchen!« entgegnete er. »Jetzt darf ich doch sagen, Mütterchen? Es ist keiner hier, der es hört und über Euch und mich lacht.«

»Du darfst es auch sagen, wenn jemand da ist, der es hört, Söhnchen,« entgegnete sie. »Ich frage nichts darnach, wenn sie über mich lachen. Mir tut es wohl, wenn du mit deiner lieben Stimme das Wort aussprichst. So, mein Junge! Nun bist du fertig. Ei, wie schaust du prächtig darein und was für ein schmucker Herr König bist du geworden. Die andern werden dich nicht auslachen, wenn du so vor ihnen erscheinst. Sie werden die Köpfe zusammenstecken und dich beneiden. Da hängt ein Spiegel. Laufe hin und schaue hinein.«

Jan tat, wie ihm geheißen wurde. Er sah voll Staunen die Verwandlung, die mit ihm vorgefallen war, fiel dem Mütterchen um den Hals und eilte fort mit dem Rufe:

»Das müssen die Jungens draußen sehen! Sie warten schon auf mich!«

»Du mußt noch erst dein Gesicht färben!« rief Frau Rosmarin ihm nach.

»Das kann nachher geschehen!« entgegnete er, rückgewendet. »Erst sollen sie mich sehen.«

Die Frau sah ihm mit einem freundlichen Lächeln nach. In ihrem Herzen ging etwas vor; sie wußte nicht zu sagen, was. Aber es begann mächtig zu schlagen und eine Träne glänzte in ihren Augen:

»So habe ich nun doch etwas, woran ich mich hängen kann: Ein armes, verlassenes Kind, das ich in meine Arme schließe und über ihn alle Liebe ausgieße, deren ich fähig bin. Arm und verlassen, wie jenes Kind in der Welt umherirrt, dem ich das Leben gab, wenn die grausamen Räuber es nicht getötet haben. Christine, sei barmherzig gegen dich selbst und gib dich nicht wieder diesen entsetzlichen Träumen hin. Du bist nicht mehr allein und hast Pflichten gegen ein unglückliches Geschöpf, das sich mit kindlichem Vertrauen an dich schließt.«

Jan kehrte von der Straße zurück und rief mit großer Freude:

»Mütterchen, da bin ich! Sie haben mich angesehen und laut aufgeschrien. Einige schauten mich auch mit neidischen Augen an, voraus der Jan Thiemer, der den König mit der Krone macht, und lange nicht so hübsch aussteht wie ich. Wir wollen gleich anfangen, und ich will mir nur noch das Gesicht bemalen. Zuerst laufen wir den alten Steinweg ab und dann lassen wir uns beim Graskeller sehen.«

»Gut, mein Söhnchen. Ich habe mein Versprechen gehalten und dir beigestanden. Jetzt gehe ich nach Hause, um meine neue Rolle zu lernen. Gehe du in die Rumpelkammer zu dem guten alten Tamm. Ich habe ihm schon Bescheid gesagt und er wird dir beim Malen behilflich sein.«

»Ja, Mütterchen, das will ich tun. Komme gut nach Hause und nimm dich auf der dunklen Treppe in acht. Vater Tamm! Wo ist Vater Tamm?«

»Hier bin ich. Jungchen! Haben sie dich zum Mohrenkönig gepreßt? Eigentlich könntest du bleiben wie du bist; denn dein Gesicht ist schmutzig genug. Da in dem Topf ist noch ein Restchen schwarzer Farbe. Es ist doch schwarz, denke ich. Oder nimm den Topf, der daneben steht. Das muß auch schwarz sein. Es ist hier so dunkel, daß man kaum die Hand vor Augen sieht, und in der Finsternis soll man eigentlich kein Menschengesicht anstreichen. Wir aber machen aus der Not eine Tugend. Steh still, Junge; ich tue dir nicht weh.«

»Auf einen Puff kommt es nicht an,« sagte Jan. »Ich habe deren in meinem Leben genug bekommen. Aber still stehen kann ich nicht. Es kribbelt mir in den Fußsohlen. Sind wir nun fertig?«

»Ja, ja! Laß uns nun hinausgehen an das Tageslicht und sehen, was wir für Arbeit gemacht haben.«

Der Alte trat, mit dem Jungen an der Hand, auf den lichten Raum der Bühne. Ein Theaterarbeiter, der mitten im Wege stand, schlug die Hände zusammen und rief:

»Vater Tamm! Was habt Ihr aus dem Jungen gemacht?«

»Einen schwarzen Mohrian!« entgegnete dieser. »Er kommt direkt aus dem Morgenland.«

»Das ist kein Mohrian, das ist ein blau gesottener Karpfen, Vater Tamm. Geht doch nur in die Garderobe, wo der Spiegel hängt, damit der Junge sieht, was aus ihm geworden ist.«

»Meiner Seele,« sagte Vater Tamm. »Echtes Kornblumenblau. Da muß einer die Töpfe ohne mein Wissen umgestellt haben.«

»Daß es schwarze Menschen gibt, wissen wir, denn es kommen Mohrians genug nach Hamburg,« entgegnete der Theaterarbeiter. »Mein Vetter, der zur See gefahren ist, erzählt, in Amerika gäbe es auch rote, wiewohl ich es nicht recht glauben kann. Aber von blauen Menschen habe ich niemals ein Sterbenswort gehört.«

»Ich auch nicht!« sagte Vater Tamm. »Wir wollen es wieder abkratzen und beim Tageslicht weiter malen. Komm, Jungchen!«

»Nein!« rief dieser. »Ich darf sie nicht länger warten lassen! Hört Ihr nicht, wie sie nach mir rufen und gegen die Tür schlagen? Wenn ich nicht gleich gehe, kommen sie herein und es gibt allerlei Ungelegenheiten. Schwarz oder Blau! Darauf kommt es nicht an. Hurra, Jungens, ich komme! Und meine Verse weiß ich auch.«

Die Kameraden standen bereit, ihn zu empfangen. Die erste Erscheinung wirkte drastisch. Sie standen mit aufgesperrten Mäulern da und sahen auf den blau angestrichenen Mohrenkönig wie auf ein Wundertier.

»Nun, kennt Ihr mich nicht?« fragte Jan. »Hier habe ich auch den goldenen Stern, und es kann gleich losgehen.«

»Du bist ja blau!« rief einer.

»Es hat lange genug schwarze Mohrians gegeben, es kann auch einmal ein blauer daran kommen!« rief Jan. »Was liegt daran? Wir sind doch

Die drei Weisen aus dem Morgenland,
Balthasar, Melchior und Kaspar genannt!«

Der Zug ordnete sich. Die drei Weisen mit Krone, Szepter und Stern schritten gravitätisch einher. Eine Kohorte von Jungen stürmte voraus; eine zweite hinterher. Die großen Zuschauer standen seitwärts. Von diesen sagte einer, auf Jan deutend:

»Gevatter, wie nennt man die Sorte von Vögeln?«

»Es ist eine neue Spezies und man könnte sie Blaufinken nennen!« war die Antwort.

Was entginge dem Ohr eines echten Hamburger Winkeljungen? Das Wort »Blaufink« stieg wie eine Leuchtkugel vor ihnen auf und »Blaufink! Blaufink!« rief es im hundertstimmigen Chor durch die Straßen.

»Blaufink!« wiederholte Jan vor sich hin. »Sie sind dabei, mir einen Namen zu geben. Ich wollte lieber, ich hätte einen von Vaters wegen, wie die anderen. Was wird Frau Rosmarin dazu sagen?«

Grübelnd ging er weiter im Zuge.

*

In den niedrig gelegenen Straßen von Hamburg, die alle an die Elbe grenzen, ist stets ein reges Leben. Das war so von den grauen Tagen an, da das segensreiche Muttergottesbild in der Schartorkapelle »Santa Maria to'm Schare« stand, bis zur gegenwärtigen Stunde. Darum siedelten sich hier allermeist solche Leute an, die mit dem Schiffsverkehr zu tun hatten; nicht nur die Schiffer selbst, sondern auch die Kontorleute, die Ankerschmiede, die Blockdreher und andere Gewerker, die von der Schiffahrt leben, bis zum Segelmacher abwärts und weiter. Aber auch die Händler wohnen hier, in deren Läden es aussieht, als wäre ein ganzer bunter Jahrmarkt in diesen einzigen Raum zusammengedrängt. Dort trifft man alles, wonach eines Seemanns Herz gelüstet. Von dem Kapitän abwärts bis zum letzten Deckläufer findet hier jeder, was er begehrt und zu einer Reise über See bedarf, an Kleider und Gerät, an Speise und Trank oder dergleichen. Und wenn es für den Augenblick an einem Gegenstand mangelt, schafft der Inhaber des Ladens Rat und in einer Stunde ist er unfehlbar vorhanden.

Ein solcher Laden stand auch auf dem ersten Versetzen. Er führte den Namen »Zum gelben Galion« und sein Eigentümer hieß Elias Brammer. Er sollte ursprünglich heißen zum goldenen Galion, allein das dünkte dem Eigentümer eine Verschwendung und so wurde ein gelbes daraus. Herr Elias Brammer war ein kleiner, schmächtiger Mann, dessen Gesicht imstande war, sich in alle beliebigen Falten zu legen und auf diese Weise genau die Stimmung auszudrücken, in welche er sich bei der Begrüßung dieser oder jener Kunden versetzt fühlte. Der demütige oder der hochfahrende Elias Brammer waren zwei ebenso verschiedene Persönlichkeiten, als der liberale oder der grobe es waren. Nur seine eigene Frau war imstande, die Familienähnlichkeit zwischen diesen mehrfachen Gestalten heraus zu finden. Aber wie viele Arten von Figuren es gab, die durch Herrn Elias Brammer dargestellt wurden: ein Grundton ging durch alle, der sich durch nichts verwischen ließ, und das war die leidenschaftliche Liebe zu den blanken Talern, die jedes Hindernis übersprang. Er war unerschöpflich in allerlei Schwänken und Listen, um die kleinen, runden Dinger in sein Netz zu locken, und klimperten sie einmal darin, war kein Gedanke daran, sie demselben zu entfremden, außer wenn ihm die Gewißheit ward, daß sie binnen kurzem mit zehnfacher Verstärkung in die Haft zurückkehren würden.

»Was lungert er nur da bei den Zuckerhüten herum?« fuhr er einen jungen Seefahrer an. »Will er vielleicht einen davon anknabbern?«

»Ich will bei Ihm gar nichts anknabbern,« entgegnete jener unwillig. »Ich stehe schon zehn Minuten hier, um die Rechnung des Kapitän Borchers zu bezahlen, und frage, ob Er mir die 160 Mark nun bald abnehmen will, sonst bringe ich das Geld wieder an Bord.«

»Ei, wie werde ich denn einem so lieben, jungen Mann eine unnütze Mühe machen!« sagte Herr Elias Brammer geschmeidig. »Bitte unschwer, mir die Rechnung herzugeben, die ich quittieren will. Richtig, alles richtig. Würde ein paar Rosinen und Mandeln anbieten, aber einem jungen Seemann, der bald Offizier werden wird, kann man eine solche Näscherei nicht zutrauen. Bitte, mich dem Herrn Kapitän Borchers zu empfehlen und ich lasse glückliche Reise wünschen.«

Seine Frau, die nicht weit von ihm stand, sagte mißbilligend:

»Auf eine solche Rechnung hätten wenigstens vier Schillinge Trinkgeld gehört. Du wirst dir noch die Kundschaft verschlagen.«

»Der wäre mit meinen vier Schillingen in den nächsten Weinkeller gegangen und berauscht wieder herausgekommen,« entgegnete ärgerlich Elias Brammer. »Kapitän Borchers würde es mir wenig Dank wissen, wenn ich seine Leute zu Trunkenbolden machte. – Was wäre denn dein Wunsch, mein liebes Kind?«

Diese Frage galt einem aufgeschossenen Knaben, der beide Hände gegen den Ladentisch stemmte und sich abwechselnd hob und sinken ließ.

»Ich soll vielmals grüßen von meiner Mutter und fragen, ob Herr Brammer ihr nicht sagen könnte, ob es heute nachmittag noch regnen wird. Sie will gerne Wäsche trocknen.«

»Was geht mich deine Mutter und ihre Wäsche an?« fuhr Elias Brammer heraus. »Scher dich deiner Wege.«

»Kriege ich nicht,« fuhr der Junge mit unterdrücktem Kichern fort, »ein Stück Lakritzen zu?«

Elias Brammer entgegnete auf diese Zumutung nichts, sondern holte mit der Hand zu einem Schlage aus, allein der Junge sprang laut lachend davon und ein anderer trat an seine Stelle, den der Herr des Ladens anfuhr, indem er rief:

»Was hat Er da zu schnuppern, beide Hände in den Taschen? Will Er etwa auch ein Stück Lakritzen zu haben?«

»Nein!« gab der Angeredete zur Antwort, der ein derber, untersetzter Halbmatrose war. »Ich will die hundert Pfund Kaffee und die kupferne Kaminplatte holen, die Kapitän Matzen heute morgen hier kaufte. Da ist meine Legitimation.«

Der Kaufmann nahm dieselbe, las sie sorgfältig durch und sagte dann, sie zurückgebend:

»Wer wird denn von einem so wackeren Burschen eine Legitimation verlangen? Dem steht ja die Ehrlichkeit auf dem Gesicht geschrieben. Frau, gib dem jungen Mann einen Schluck aus der grünen Flasche! Trinke, mein Söhnchen, und laß es dir wohl bekommen! Hübsch vorsichtig mit der Platte! Und den Sack nicht in die Elbe fallen lassen. Die Fische trinken keinen Kaffee.«

»Gewiß nicht, wenn er so flau ist, wie Sein Schnaps aus der grünen Flasche. Pfui Teufel!«

Der Matrose ging seines Weges und Herr Elias Brammer sagte achselzuckend zu einem eben eintretenden, wohlbekannten Kunden, den er Bohnenberg titulierte:

»Recht unmanierliche Menschen, diese Schiffsleute! Statt zu sagen: Gottes Lohn oder vielen Dank für Eure Guttat, sagt er Pfui Teufel! – Womit kann ich dem Herrn gefällig sein?«

»Für den Augenblick mit nichts, als mit einem freundlichen Gesicht,« war die Antwort. »Vom Stubenhuk her ist eben ein Troß großer und kleiner Buben im Anzuge und ich begebe mich nicht gern ins Gedränge; darum will ich sie erst vorbeilassen. Störe sich der Herr nicht um meinetwillen.«

»Fällt mir auch gar nicht ein!« brummte Herr Brammer vor sich hin und machte ein saures Gesicht, als die Frau für den wohlbekannten Kunden, der auch sonst mit Brammer in Geschäftsverbindung stand, einen Stuhl herbeiholte. »Ja, was ich sagen wollte! Unsereins kommt den ganzen Tag nicht zum Sitzen. Aber dem Herrn ist es gerne gegönnt. Was gibt es denn nun wieder, Lene?«

Lene war die Tochter des Brammerschen Ehepaares; ein liebes, herziges Kind von zehn oder elf fahren mit einem stets lachenden Gesicht und hellen, leuchtenden Augen. Sie war der Mutter Verzug und das einzige Wesen aus der Welt, für welches Elias Brammer einige Zärtlichkeit bezeigte. Wenn sie ihm eine Rosine abschmeichelte, gab er ihr unaufgefordert eine Mandel dazu, und wenn eine verschämte Alte auf der Schwelle erschien und um einen Bissen Brot jammerte, konnte er es dulden, daß die Lene ihr einen harten Kringel oder einen Zwieback zusteckte. Aber der Lehrbursche bekam bei solchen Anlässen stets einen Puff und einen dummen Jungen über den anderen, denn an etwas mußte Herr Elias Brammer seinen Aerger auslassen.

»Lene,« sagte die Mutter zu ihrer Tochter, die bislang draußen auf dem Beischlage gestanden hatte und vor Kälte halb erstarrt war. »Der Vater hat gefragt, was draußen los ist?«

»Sie kommen! Sie kommen!« entgegnete Lene, in die Hände klatschend.

»Wer kommt?« fragte Herr Brammer.

»Die heiligen drei Könige!« sagte Lene. »Der eine trägt auf dem Rock einen großen goldenen Stern. Es sieht hübsch aus!«

»Daß mir die Taugenichtse beileibe nicht in das Haus kommen!« brummte Elias Brammer.

»Ach, Väterchen, erlaube es doch!« sagte Lene bittend. »Sie singen so schön und der eine hat ein blaues Gesicht, ich habe es gesehen, als sie eben bei unserer Nachbarin, der Quitzow, hineingingen.«

»Ei nun, hier von einem sicheren Platze aus lasse ich es mir gefallen,« sprach Herr Bohnenberg, der es sich auf dem dargebotenen Stuhl bequem gemacht hatte. »Darum laßt nur die Jungen herein kommen. Sie werden Euch nicht arm essen und trinken. Und den Schilling für ihren Klingelbeutel gebe ich.«

Elias Brammer willigte ein, nicht ohne Widerspruch und Gebrumm, welches letztere sich merklich verstärkte, als vor der Haustür ein Terzett begann:

»Wir sind die Könige vom Morgenland,
Melchior, Balthasar und Kaspar genannt;
Wir tragen Kranz, Zepter und Stern
Und loben allzeit Gott den Herrn.«

»Das klingt recht erbaulich!« sagte Herr Bohnenberg. »Zu meiner Zeit lautete es anders; ich glaube, sie sangen damals: wir bezahlen nicht gern.«

»Die werden auch jetzt nicht mit dem linken Ellbogen in die rechte Tasche fahren!« fuhr Herr Elias Brammer seinen Gast an. »Die geben nichts. Die nehmen! Haltet Euren Schilling nur bereit.«

»Da sind sie schon!« rief Lene und hüpfte den Eintretenden entgegen. »Kommt nur ganz und gar herein und sagt dem Vater und der Mutter Eure Sprüche her.«

Die drei Knaben, welche die Heiligen drei Könige vorstellten, traten nacheinander ein. Jan mit dem blauen Gesicht und den Stab mit dem Stern in der Hand, stand in der Mitte. Der Lehrbursche, der gerne mit von der Partie gewesen wäre, sah seine Altersgenossen mit neidischen Blicken an. Elias Brammer stützte beide Hände auf den Ladentisch und beugte sich vornüber, jede Bewegung der Knaben mit Argusaugen bewachend.

Diese begannen:

»Wir wünschen dem Herrn einen goldenen Tisch,
An allen vier Ecken gebratenen Fisch,
Und in der Mitten einen Becher mit Wein,
Das soll dem Herrn sein Schlaftrunk sein.«

»Prosit die Mahlzeit und wohl bekomme es!« sagte Herr Bohnenberg. »Die Jungen meinen es gar nicht übel mit Euch, Elias Brammer.«

Lene stand nahe bei der Mutter und flüsterte dieser zu:

»Ich habe noch Braunkuchen und Aepfel von Weihnachten her. Die will ich ihnen nachher geben.«

Die Mutter nickte zustimmend und winkte ihr, zu schweigen, da die Knaben sich zu einem neuen Wettgesang rüsteten.

Dieser lautete:

»Wir wünschen der Frau ein Paar goldene Wiegen,
Darin ein Paar schlafende Kinder liegen;
Und goldene Töpfe im goldenen Schrein,
Die sollen voll Gold und Silber stets sein.«

»Das könnt Ihr Euch gefallen lassen!« sagte Herr Bohnenberg, indem er aufstand und den Schilling aus der Knipptasche hervorsuchte. »Goldene Töpfe voll Silber und silberne Töpfe voll Gold. Die letzten wären mir die liebsten. Da habt Ihr den versprochenen Schilling und nun geht Eurer Wege.«

»O nein!« rief Lene. »Bleibt nur noch hier. Ich will Euch auch etwas geben. Die Mutter hat es mir erlaubt.«

Sie lief in die Stube. Jan mit dem blauen Gesicht sah ihr nach und sagte vor sich hin:

»Das ist ein allerliebstes Kind! So eine möchte ich als Schwester haben. Aber ich bin ganz allein und habe nichts auf der Welt; nicht einmal einen Namen.«

Anfangs waren es die Heiligen drei Könige allein, die den Hausflur des Kaufmanns, der zugleich ein offener Laden war, betraten. Bald aber drängte sich einer nach, der nicht zu ihnen gehörte; dem folgten mehrere. Elias Brammer, der alle überwachen wollte, beugte sich immer weiter vornüber und geriet in eine äußerst bedenkliche Stellung.

Lene kam zurück, einen Korb in der Hand, worin sich Kuchen und Aepfel befanden. Sie zeigte der Mutter ihren Schatz und trat dann zu dem ersten der Knaben mit der Krone und sagte, indem sie ihm seinen Anteil reichte:

»Lasse es dir schmecken!«

»Daran soll es nicht fehlen!« entgegnete dieser und hieb wacker ein.

Auch der zweite erhielt seinen Anteil, worauf sie zu Jan trat und ihn zweifelnd ansah.

»Du fürchtest dich wohl vor mir?« fragte er und sah sie mit seinen hellen Augen an.

»O nein,« sagte die Lene. »Aber du hast ein so wunderliches Gesicht, daß ich es immerfort ansehen muß. Da hast du auch deinen Apfel und deinen Kuchen.«

»Ich danke dir,« sprach Jan und steckte die empfangenen Gaben in die Tasche. »Es soll ihr wohl bekommen.«

Elias Brammer, der die Hände des Jungen sich nach den Taschen bewegen sah, rief laut:

»Halt! Was steckt der Junge da ein?«

»Es ist der Apfel, den ich ihm gegeben habe, Vater!« sagte Lene. »Warum ißt du ihn nicht auf, wie die anderen tun?«

»Weil ich zu Hause eine Frau habe, die Mutterstelle bei mir vertritt und die ebenso arm ist wie ich. Ihr bringe ich das mit.«

»Dann will ich dir noch einen Apfel geben und der soll für dich sein!« sagte Lene und griff in den Korb.

Frau Brammer hörte das mit sichtlichem Vergnügen und nickte ihrem Manne zu, der verdrießlich brummte:

»Wer alles weggibt, kommt selbst zu nichts.«

Einer von den Knaben, welche sich in das Haus gedrängt hatten, trat vor und sagte trotzig:

»Der da kriegt zweimal und wir haben noch gar nichts. Wie ginge das zu?«

»Du gehörst ja nicht dazu und hast auch nicht mit gesungen!« entgegnete unerschrocken die Lene. »Dir gebe ich nichts.«

»Dann nehme ich es mir!« rief er und griff so ungestüm in den Korb hinein, daß dieser ins Schwanken geriet und der Inhalt zu Boden fiel. Lene schrie laut auf und flog zur Mutter. Jan ergriff den ungehobelten Gesellen beim Kragen, warf ihn zu Boden und sagte:

»Das ist für deine Unverschämtheit. Rechnet es uns nicht an, was dieser Nichtsnutz verschuldete; wir können nichts dafür.«

Elias Brammer brummte etwas vor sich hin, das keiner verstand; seine Frau aber sagte: »Es ist ein braver Junge!« und Lene sah ihren jungen Ritter mit leuchtenden Augen an.

»Und nun,« rief Jan dem unter dem Drucke seines Fußes am Boden liegenden Knaben zu, »nun stehst du auf und sagst der kleinen Mamsell, daß du ein unverschämter Bursche gewesen bist; daß du es aber im Leben nicht wieder tun willst und daß sie dir es nicht für ungut nehmen und dir vergeben soll.«

Der Junge erhob sich und wagte einigen Widerspruch, aber Jan entgegnete eifrig:

»Wenn du es hier nicht tust, dann Gnade dir draußen Gott! Was sagt ihr anderen? Soll er nicht die kleine Mamsell um Verzeihung bitten dafür, daß er sie mit seinen unsauberen Händen anfaßte und sie bestehlen wollte?«

Der Mohrenkönig mit dem Stern fragte es und seine Mitregenten, die Träger der Krone und des Szepters, entgegneten:

»Ja! Ja! Das soll er! Und gleich! Willst du den Mund aufmachen oder nicht?«

Der Junge entschloß sich zögernd, das allgemeine Begehren zu erfüllen. Er näherte sich der Lene, die sich scheu vor ihm zurückzog, sprach einige unverständliche Worte vor sich hin und rannte spornstreichs aus dem Laden auf die Straße hinaus.

»Und nun gehen wir auch!« sagte Jan. »Dank für das Gute, das die Frau und das liebe Kind uns erwiesen, und nehmt nicht für ungut, was hier geschehen ist, wir haben es nicht verschuldet.«

»Warte noch einen Augenblick, mein Junge,« sprach Frau Brammer zu Jan und sagte leise zu ihrem Manne:

»Wir können den Knaben, der unser Kind in Schutz nahm, nicht so gehen lassen. Sieh nur, wie zutunlich die Lene mit ihm ist! Du mußt dich zu etwas entschließen, Brammer. Am besten wäre es, wenn er aus dem wilden Straßentreiben heraus käme. Er ist am Ende achtbarer Leute Kind ...«

Sie unterbrach sich selbst und, zu Jan gewendet, fragte sie diesen:

»Wie heißt du, mein Junge?«

Seine Wangen brannten, wenn man auch wegen der blauen Farbe die aufsteigende Röte nicht sehen konnte. Die Lippen weigerten sich, sich zu öffnen; allein als er merkte, daß die Frau sich über das Zögern bei einer so natürlichen Frage wunderte, raffte er sich zusammen und rief laut:

»Jan Blaufink heiße ich!«

»Das ist ein hierorts ganz ungewöhnlicher Name! Den habe ich nie gehört! – Brammer, sind dir Leute vorgekommen, die so heißen? Wer ist denn dein Vater und wo wohnt er?«

Jan stockte abermals. Dieses Mal glaubte der König mit der Krone sich ins Mittel legen zu müssen, und sagte: »Er hat gar keinen Vater!« Und sein Kollege mit dem Zepter fügte hinzu: »Und eine Mutter auch nicht.«

»Also eine Waise!« sprach Frau Brammer. »Ein armes Kind, das unter fremden Menschen umhergestoßen wird! Brammer, wirst du bald den Mund aufmachen?«

»Nun gut!« sagte dieser. »Um dich los zu werden, und die Lene auch, die sich wie eine Klette an mich hängt! – Laß mich doch los, Dirne! Ich weiß nicht, was du an dem dummen blauen Jungen für einen Narren gefressen hast. Komme einmal hierher, Jan Blaufink! – Den Namen mußt du nun schon ganz und gar ablegen, wenn das in Erfüllung gehen soll, was ich im Sinn habe! – Bisher hast du, wie ich vermute, nichts Rechtschaffenes getan und deine Tage verloddert, was aufhören muß, wenn du ein tüchtiger Kerl werden willst.«

»Dazu habe ich wohl Lust!« sagte Jan. »Und zudem habe ich es dem Baas vom Neptumswerft versprochen.«

»Den Mann kenne ich nicht!« fuhr Elias Brammer fort. »Wenn du aber mir versprechen willst, dich zu fügen und zu schicken, will ich sehen, ob ich dich auf irgend einem Tabakswinkel unterbringen kann. Du hast da Arbeit vollauf und ein knappes Einkommen; das reicht für einen solchen Gesellen aus ...«

»Was?« rief Jan. »Ich sollte mich auf einen solchen dunklen Boden einsperren lassen und Tabaksblätter waschen oder zerpflücken oder was sonst damit gemacht wird ... Nein, Herr! Danke für den guten Willen. Ich gehöre in die freie Luft.«

»Bedenke, Kind!« sprach warnend Frau Brammer. »Wenn wir dich irgendwo als Laufbursche anbrächten, gehörtest du doch zu einem Hause, das sich um dich kümmerte. Du stehst jetzt allein ...«

»Ganz allein bin ich nicht mehr, da ich die Frau Rosmarin habe.«

»Frau Rosmarin? Was ist das für eine Frau?«

»Das wißt Ihr nicht?« fragte Jan verwundert. »Das ist eine gute, liebe Frau, die beinahe verbrannt wäre, was ich verhinderte, weshalb sie mich herzte und küßte. Sie wohnt bei der alten Jungfer Mewes ein. Aber das triumphierende Hamburg ist seit jenem Abend nicht wieder an die Reihe gekommen.«

»Ich glaube, bei dem Jungen rappelt es!« sagte Elias Brammer zu seiner Frau und diese sprach:

»Du sprichst ganz ungehöriges Zeug, Jan, was kein Mensch versteht. Wenn dir es nicht recht ist, was man dir vorschlägt, lasse die Finger davon. Wohltaten drängt man keinem Menschen auf, und wenn du es anderwärts besser hast, so ist dir ja geholfen.«

Die beiden Mitkönige glaubten abermals sich ins Mittel legen zu müssen und der Kronenträger sagte:

»Die Frau Rosmarin gehört auch dazu und der Jan hat freies Quartier in der Holzbude auf dem großen Neumarkt!«

»Holzbude! Neumarkt!« rief Elias Brammer. »Was will das bedeuten?«

»Ja,« sagte der Träger des Zepters. »Und er darf alle Abend in der Komödie mitspielen!«

»Herr des Lebens!« schrie Frau Brammer vor Schreck laut auf, indem sie die Lene an sich riß und mit beiden Armen umklammerte. »Ein Komödiantenjunge ist das?«

»Ja, ich spiele Komödie!« entgegnete Jan.

»Weg! Weg! Und rühre mein Kind nicht wieder an!« sagte die erschrockene Mutter. »Brammer, den darfst du niemandem empfehlen und darfst ihn auch nicht selbst ins Haus nehmen, wie ich es eigentlich im Sinn hatte ...«

»Ich werde ihn vielmehr aus demselben hinauswerfen!« sprach Herr Elias, indem er über den Ladentisch wegsprang und den Herrn Bohnenberg, der sich bisher hinter eines der Fässer zurückgezogen hatte, beinahe über den Haufen rannte. »Wollt Ihr machen, daß Ihr fortkommt, Ihr Komödiantenpack und Spitzbubengesindel ...«

Die Mitkönige waren bereits gewichen und harrten auf der Schwelle des Ausganges. Jan Blaufink aber wandte sich gegen den eifernden Hausherrn:

»Wenn Er uns gehen heißt, müssen wir Folge leisten, denn es ist Sein Haus und wir gehören nicht hinein. Aber einen armen Jungen schimpfen, weil er nichts hat und eine Waise ist, das darf Er nicht. Spitzbuben sind wir nicht. Ich habe nie etwas heimlich weggenommen oder etwas Gefundenes gestohlen. Und die Frau Rosmarin ist eine so brave, wackere Frau, als nur irgendeine in Hamburg. Ich darf Mutter zu ihr sagen; ich habe sie rechtschaffen lieb und wer ihr irgendetwas Böses nachspricht, hat es mit mir zu tun! Nun wollen wir gehen und unser Lied weiter singen.«

»O Gott, welche Begebenheit!« sagte Frau Brammer. Herr Elias war wie auf den Mund geschlagen, und sein Gast sprach im Hinausgehen:

»Solche Auftritte verleiden ehrbaren Leuten das Haus. Er setzt Sein Geschäft auf das Spiel.«

Jan Blaufink trat zu den Kameraden hinaus und rief ihnen zu:

»Jan Bremer und Jan Thiemer, Ihr habt nichts mehr vor mir voraus. Ich habe so gut einen Namen, wie Ihr und heiße Jan Blaufink.«

»Du sollst ihn behalten!« entgegnete der erstere. »Frisch, Jungens! Ruft es ihm zu, daß er den Namen behalten soll. Vorwärts! Wir bringen ihn nach dem Scharmarkt!«

Und zum ersten Male erscholl der Ruf: »Da kaam wi mit Jan Blaufink an!« durch die Straßen von Hamburg.

*

Scheve-Lieke.

Jungfer Mewes stand vor dem kleinen Herd in ihrer Wohnung und suchte das erloschene Feuer anzufachen. Frau Rosmarin lag stöhnend auf ihrem Lager und sagte todesmatt:

»Habe Sie Erbarmen und beeile Sie sich. Das Herz zittert mir im Leibe vor Kälte.«

»Es geht nicht. Das Holz ist naß und die Schwefelhölzer sind mir ausgegangen. Wenn der Jan nach Hause kommt, soll er andere holen. Bis dahin wird Sie nicht verfrieren.«

Die Frau antwortete nicht darauf, sondern weinte still. Jungfer Mewes, die gerade ihren bösen Tag hatte, sagte darauf:

»Wenn Sie meint, daß ein Schluck Warmbier Ihr guttut, will ich Ihr von dem Garbrader an der Ecke eine halbe Kanne holen. Gebe Sie mir nur das Geld.«

»Sie weiß wohl, daß ich keins mehr habe. Meine Hoffnung ist einzig und allein auf den guten Jungen gerichtet, der nun schon stundenlang fort ist ...«

Wird auch wohl noch stundenlang fortbleiben,« keifte Jungfer Mewes. »Er ist ein Taugenichts und Herumtreiber ...«

»Stets hat Sie es auf den armen Jungen abgesehen. Nichts sagt Sie von ihm, als Böses ...«

»Weiß Sie etwas Gutes?« fiel jene ein. »So lange Sie bei dem Theater war, hat Sie ihn durchgeschleppt und mir so lange zugesetzt, bis ich erlaubte, daß er hier bei Ihr wohnen durfte. Seitdem Sie aber stets krank ist und der Direktor Sie verabschiedet hat, hört das Durchschleppen auf. Jetzt muß er für sich selbst sorgen, und wenn er ein rechtschaffener Bursche wäre, sorgte er für Sie mit. Aber Prosit die Mahlzeit ...«

»Sie klagt ihn fälschlich an, Jungfer Mewes. Er tut, was er kann. Bittet überall um Arbeit; aber selten gelingt es ihm, welche zu bekommen. Wie zerschlagen kommt er oft nach Hause. Und doch würde er noch mehr arbeiten, allein die Leute trauen ihm nichts Rechtes zu, weil er noch so jung ist ...«

»Und die Leute haben recht! Wenn ich ihm etwas sage, hört er auch nicht, und wenn ich ihn vermahne, lacht er mich aus. Das soll ein Ende nehmen.«

»Habe Sie Geduld, Jungfer Mewes,« bat die Schauspielerin. »Nur noch wenige Tage habe Sie Geduld, dann bin ich hergestellt und trete mein Engagement wieder an.«

»Meint Sie, daß Sie es können wird? Und wenn Sie es kann, weiß Sie es denn so ganz gewiß, daß der Direktor Sie wieder aufnimmt?«

»Warum sollte er nicht? Ich war stets willig und habe mir keine Mühe verdrießen lassen ...«

»Gut das ... Und wenn also ...« Jungfer Mewes sprach abgebrochen und in Pausen. Wenn das geschah, hatte sie stets noch irgendetwas Unvorhergesehenes im Hinterhalt. Frau Rosmarin wußte das und sagte ängstlich:

»Sie verbirgt mir noch etwas. Was ist es?«

»Die Strapazen, meine ich. Und dann wird es doch auch Reisegeld kosten, was Sie nicht hat.«

»Reisegeld? Ist die Gesellschaft fort?«

»Was denn sonst? Der Direktor Veltheim ist gestern vor acht Tagen mit all seinem Volk nach Lübeck gegangen. Habe ich Ihr das nicht gesagt? Ja, wer kann an alles denken. Auch wollte es der Jan nicht haben. Er sagte, Sie hätte den Tod davon. Ich sehe nicht, daß Sie besser daran war, da Sie es nicht wußte, und Gewißheit muß der Mensch doch haben.«

Frau Rosmarin entgegnete nichts hierauf. Ihr Gesicht war bleich wie die Wand, und um die Mundwinkel zuckte es, wie Todeskrampf. Jungfer Mewes sah es und plötzlich wandelte sich ihr Sinn, der stets wie eine Wetterfahne hin- und herschwankte. Sie sagte nichts weiter, aber sie schaffte emsig am Herd. Nach wenigen Minuten hatte sie das nasse Holz zum Brennen gezwungen und den Kessel zum Feuer gerückt.

»Nun soll es bald heiß werden!« sprach sie laut genug, allein Frau Rosmarin hörte nicht darauf. Sie hielt die dichtgefalteten Hände vor sich hin und lispelte kaum hörbar:

»Jan, Jan! Wo bist du?«

Er war noch weit. Aus dem großen Neumarkt stand er, unfern von dem Gerüst, worin die Sankt-Michaelis-Glocken hingen, und schaute mit Wehmut auf die große Holzbude, worin er sich so glücklich fühlte und die seit acht Tagen verwaist stand. Jetzt waren die verschiedenen Eingänge weit aufgesperrt. Die Fenster wurden ausgehoben und die Zimmerleute begannen das Dach abzudecken.

»Es ist alles vorbei,« sagte er traurig. »Bisher glaubte ich noch, es sei ein Traum. Der Prinzipal käme über Nacht wieder und das lustige Leben begänne aufs neue. Aber nun sehe ich wohl, daß es für immer vorbei ist. Ich stehe wieder auf derselben Stelle, wo ich stand, als sie mich von der Neptunswerft jagten und Vater Pfingstmeier mir das letzte Stück Brot schnitt. Und der armen Frau, die noch von nichts weiß, darf ich es nicht länger verschweigen. Welcher Jammer wird das sein. Aber ich muß es sagen und dann will ich arbeiten, arbeiten, bis mir d' Arme vom Leibe fallen ...«

Er ging weiter, ohne sich umzusehen, was in seiner Nähe vorging. Auch um ihn kümmerte sich niemand. Plötzlich sagte es ganz in seiner Nähe:

»Da ist er! Jan Blaufink!«

Er sah auf. Vor im stand Frau Brammer und hielt die kleine Lene an der Hand.

»Siehst du, Mutter! Er ist es! Ich habe ihn neulich schon gesehen, als ich aus der Schule kam, und ich erkannte ihn gleich, obgleich sein Gesicht nicht mehr blau war.«

Jan sah das junge Mädchen an und heller Sonnenschein flog über das Gesicht:

»Das ist die kleine Lene!«

»Freilich bin ich es und böse bin ich auch, daß du den schönen Apfel, den ich dir zusteckte, nicht genommen hast, sondern wegliefst, als mein Vater mit dir sprach und dir beistehen wollte. Aber hübsch war es doch von dir, daß du dem bösen Jungen, der mich bestehlen wollte, ein Bein stelltest und ihn über den Haufen warfst.«

Er konnte noch immer keine Worte finden. Frau Brammer legte sich ins Mittel und sagte:

»Wenn ich dich ansehe, meine ich, du hättest besser getan, das Anerbieten meines Mannes anzunehmen, anstatt dich bei dem liederlichen Gesindel, den Komödianten, umherzutreiben. Es ist dir wohl nicht sonderlich gegangen?«

»Ach Gott, nein!« sprach Jan und sah trübselig zu ihr auf. »Man kann kein Rühmens davon machen. Aber ich konnte die arme Frau nicht verlassen, die nun noch ärmer und hilfloser ist, als vorher.«

Tränen erstickten seine Stimme. Frau Brammer empfand Mitleid und forderte ihn auf, deutlicher zu sprechen. Er tat es, und sie entgegnete dann:

»Sie gehört zwar einem Stande an, von dem die ehrbaren Leute sich abwenden, allein sie ist unglücklich, und dem Unglücklichen soll man keine Predigten halten, sondern ihm beistehen. Nimm diese paar Schillinge einstweilen, die ich gerade bei mir habe. Komme morgen zu uns ins Haus und ich will sehen, was ich weiter tun kann.«

»Ja, ja!« rief Lene. »Komme auch ganz gewiß. Den großen Apfel habe ich nicht mehr. Aber ich gebe dir etwas besseres dafür.«

»Und du bist auch hoffentlich auf andere Gedanken gekommen!« sagte Frau Brammer zu Jan. »Das Unglück bessert die Menschen, wie es heißt, und du hast es kennen gelernt. Ich will mit meinem Manne sprechen, vielleicht nimmt er sich deiner an.«

»Ich spreche auch mit dem Vater!« rief Lene dazwischen und klatschte in die Hände. »Und mir tut er gerne etwas zu Gefallen.«

»Komm, Lene!« ermahnte die Mutter. »Es ist Zeit, daß wir nach Hause gehen, sonst wird der Vater verdrießlich. Vergiß nicht, morgen zur rechten Zeit zu kommen, und wenn du es gut mit dir meinst, läßt du von dem liederlichen Leben ab und wirst ein arbeitsamer, redlicher Mensch, der seine Augen überall aufschlagen darf und von den Leuten wohl gelitten ist.«

Frau Brammer ging, gehoben von dem Gedanken, einen Menschen vom Verderben zu retten und für den Himmel zu gewinnen. Lene wendete sich im Gehen noch einmal um und nickte ihm freundlich zu. Jan folgte ihnen unwillkürlich einige Schritte und ging dann langsam jenem schmalen Zwischengäßchen zu, wo die dunkle und steile Saaltreppe in die Wohnung führte, welche er mit der Jungfer Mewes und der Frau Rosmarin teilte.

*

Der andere Morgen kam. Herr Elias Brammer raste in seinem Laden auf und ab, wie ein angeschossener Eber. Es waren erst wenige Frühkunden dagewesen, allein der Lehrbursche hatte bereits zwei Nasenstüber und einen Stoß in die Seite bekommen. Elias Brammer brauchte einen Gegenstand, woran er seinen Zorn auslassen konnte. Er war voll Grimm, daß er sich hatte beschwatzen lassen, der Beschützer eines Burschen zu sein, der ihn von Hause aus nichts anging, und der ihm nie auch nur das Geringste nützen konnte. Es war weggeworfene Zeit und weggeworfene Mühe; zwei Kapitale, die einem Kaufmann stets volle Zinsen tragen müssen.

Seine Frau brachte ihm seinen Morgentrunk und kredenzte ihm denselben mit einem heiteren Gesicht. »Ich bringe es dir zu, Elias,« sagte sie, »mit der Hoffnung auf einen freundlichen Tag. Für jede Stirnfalte weniger heute Abend einen Taler mehr in der Kasse.«

»Es ist gut,« sagte er und schielte nach dem Lehrburschen, der bemüht war, ein paar Backpflaumen zum Frühstück beiseite zu bringen, jetzt aber schnell die verführerische Kiste von sich schob und im Polieren des Schaufensters fortfuhr. »Es ist gut, Frau. Ich habe es einmal versprochen, dir und der Lene. Die Dirne läßt nicht los, wenn sie mich einmal gefaßt hat, und wird noch so lange für allerlei Volk bei mir betteln, bis sie mich zum armen Manne gebettelt hat. Ich gehe jetzt hinaus nach der Reeperbahn. Es fehlt hier an Marlleine und Hüsing. Auch muß Kapitän Danker seine Jagetrosse noch heute an Bord haben. Bei dieser Gelegenheit will ich sehen, was sich tun läßt. Um zwölf Uhr bin ich wieder hier. Gib wohl acht, daß jedem sein Recht wird und keiner etwas beiseite bringt.«

Der Lehrbursche, der gerade bei dem gläsernen Hafen stand, worin die braunen Zuckerbonbons lagen, sprang schnell zu der Kiste mit den Sechslings-Talglichtern und reichte einer Kundin das verlangte Beleuchtungsmaterial mit einem dummen Lächeln dar.

»Du brauchst nicht besorgt zu sein, Mann,« entgegnete Frau Brammer. »Ich will den Laden keinen Augenblick verlassen, bis du wiederkommst. Geh' nur in Gottes Namen und kehre nicht zu oft ein.«

Das Letztere sprach sie in dem heiteren Tone des Scherzes.

Elias Brammer sah seine Frau fragend an, als spräche sie von den Bewohnern des Mondes oder sonstigen rätselhaften Dingen im weiten Raume des Weltgebäudes, dann griff er nach dem aufgekrempten Hut, schwenkte das dargereichte spanische Rohr und sagte:

»Daß Ihr mir nicht mit solchen Kommissionen wiederkommt. Du nicht und die Lene auch nicht. Es wird erstens nichts darauf gegeben und fürs zweite werde ich Euch ein Aufgebot bestellen, daß Ihr acht Tage lang daran denken sollt.«

Bei diesen Worten machte das spanische Rohr eine solche verdächtige Bewegung nach der Seite hin, wo der Lehrbursche stand, daß dieser sich unwillkürlich bückte, was der Prinzipal für einen ehrerbietigen Gruß hielt, und ihm zunickend sagte:

»Laß mir den Jan Blaufink nicht hinter den Ladentisch kriechen, wenn er eher kommt, als ich da bin, und treibe keine ungehörigen Späße mit ihm. Um ein Uhr soll er seinen Bescheid empfangen.«

Mit diesen Worten war Herr Brammer zur Tür hinaus und lenkte seine Schritte nach der Reeperbahn.

Es war gegen Abend desselben Tages, als Jan Blaufink die Saaltreppen hinaufstieg und der Jungfer Mewes einen guten Abend bot, den diese mit den mürrisch ausgesprochenen Worten erwiderte:

»Hättest auch früher kommen können. Jetzt schläft die Frau Rosmarin schon und du wirst sie aufwecken, wenn du so klotzig auftrittst wie gewöhnlich.«

»Ich habe die Schuhe schon vor der Tür ausgezogen,« entgegnete er leise. »Sie ist es so gewohnt mit mir zu schelten, daß Ihr ordentlich etwas fehlen wird, wenn es nun aufhören muß.«

»Aufhören! Und aufhören muß!« schrie Jungfer Mewes auf und vergaß nun selbst den Schlaf der Frau Rosmarin. »Das ist ganz unmöglich, denn du machst täglich und stündlich, wachend und träumend, so viele dumme Streiche, daß man aus dem Predigen gar nicht herauskommt. Warum soll ich damit aufhören?«

»Weil ich nur gekommen bin, um morgen frühestens wieder zu gehen. Ich werde Radjunge in der Reeperbahn und schlafe in der Geschirrkammer.«

Jungfer Mewes stand mit offenem Munde da. Sie war es so gewohnt, den Jan zum Ableiter ihrer üblen Launen zu gebrauchen, daß sie den ihr drohenden Verlust zwiefach fühlte und zuletzt in die Worte ausbrach: »Radjunge! Das ist auch etwas Rechtes.«

»Viel wird es wohl nicht sein,« entgegnete Jan gutmütig. »Herr Brammer hat es einmal für mich ausgemacht, und die Lene hat mir zugenickt, also ist nichts davon abzuhandeln. Ich habe mein Brot und kann der armen Frau Rosmarin, die mich so lieb hat, etwas davon abgeben.«

»Mein lieber Sohn!« sagte diese, die von dem Gespräch aufgewacht war, mit matter Stimme: »Gott segne dich um deines guten Herzens willen.«

Die Begrüßung der beiden war herzlich. Sie hätte nicht inniger sein können, wenn sie wirklich Mutter und Kind gewesen wären. Frau Rosmarin fühlte, daß ihre ganze Seele an diesem Knaben hing, und ihr Herz schlug ihm laut entgegen. Er vergalt es ihr damit, daß er sich ihr ohne Rückhalt von ganzer Seele hingab und keinen anderen Gedanken hatte, als nur sie.

Jan hatte der Mutter alles gesagt, was in den legten Tagen mit ihm vorging. Herr Brammer, welcher auf den großen Reepschlägereien zu Sankt Pauli wohlbekannt war, und als ein bedeutender Kunde dort in Ansehen stand, brauchte nur ein Wort zu sagen, um die Annahme des Jan als Radjunge zu erreichen und demselben für einen kärglichen Wochenlohn eine Fülle von Arbeit zuzuweisen. Er meldete ihm dieses und überschüttete ihn dabei mit so vielen guten Ermahnungen und Drohungen für den Fall der Nichterfüllung seiner Pflichten, daß jedem anderen wie dem Jan angst und bange geworden wäre und er keinen Fuß auf die Bahn gesetzt hätte.

»Du wirst schwere Tage haben, mein Junge,« sagte Frau Rosmarin, »und wirst sie zum Teil um meinetwillen haben. Ich kann nichts tun, als dir mit meinen Tränen dafür zu danken und für dich zu beten, daß der liebe Gott dir gnädig sei und dein Leben dornenfrei halte.«

»Amen, Mütterchen!« sagte Jan. »Du bist matt vom vielen Sprechen und sollst nun deine Ruhe haben. Morgen in aller Frühe gehe ich heimlich fort. Du darfst nicht so betrübt aussehen; es wird alles gut. Sonntags, nach der Predigt, soll ich zu Frau Brammer kommen, die mir für dich geben wird, was zu entbehren ist; damit komme ich dann zu dir und wir bleiben ein paar Stunden zusammen, bis ich wieder hinaus muß nach der Bahn. Das soll ein Leben werden! Wir schmausen behaglich von dem, was Frau Brammer mir für dich mitgibt, sie und die Lene. Das ist ein liebes Kind, die mir alles zusteckt, und noch immer daran denkt, daß ich dem Jungen, der sie am heiligen Dreikönigstage anfaßte und bestehlen wollte, einen tüchtigen Denkzettel gab. Nun, gute Nacht, Mütterchen. Schlafe sanft und habe keine Sorge um mich. Auf der Tischecke findest du morgen früh vier Schillinge; ich habe sie redlich verdient mit Lasttragen. Verbrauche sie mit Gesundheit.«

Sie ließ ihn nicht los, sondern zog ihn näher an sich. Er kniete an dem Bette nieder und fühlte, wie ihre Hand sich auf sein Haupt legte; ihre Lippen berührten seine Stirn. Dann trennten sie sich, ohne daß einer von ihnen nur noch ein Wort gesprochen hätte.

*

Die Reeperbahn von heute und damals. Es kann kaum einen größeren Gegensatz geben. Von den langen Häuserreihen, welche sich zwischen Hamburg und Altona ausdehnen, war keine Spur vorhanden. Längs der ausgefahrenen sandigen Heerstraße, die sich zwischen den beiden Städten hinzog, lief ein breiter und fester Weg, welcher mit hohen, schattenreichen Bäumen eingefaßt war. Unter diesen Bäumen standen in gemessenen Zwischenräumen sechs oder acht Buden, roh von Holz aufgezimmert und mit einer dicken Teerkruste überzogen, worin Eß- und andere Waren feilgehalten wurden. Es war alles in der ursprünglichsten Natürlichkeit. Keine Spur von den mannigfaltigen Bazaren, die jetzt das Auge dort erfreuen. Aber anheimelnd war es unter diesen Laubdächern, am frühen Morgen, wenn tausend muntere Singvögel darauf auf- und abhüpfen, oder abends, wenn die scheidende Sonne die leise bewegten Wipfel mit ihrem Golde übergoß.

Seitwärts nach Norden zu war eine weite Fläche, hier und da mit Bäumen bepflanzt und der Boden mit magerem Graswuchs bedeckt. Sie grenzte an das heilige Geistfeld, welches sich bis zur alten Glashütte hinzog. Von dort aus führte ein Fußsteig quer über das Feld der einsamen Fläche zu. Der Steig lief gegen das Ende hin längs einem hohen, düstern Zaun. Darüber hinaus ragten einige Dachspitzen und eine hellgrüne Kuppel. Nur mit verhaltenem Atem ging man an diesem Zaune vorüber, und unbewußt beeilte man seine Schritte, denn dies war der Pesthof. Es war hier so einsam und still, daß man ohne Gefahr das Pulvermagazin und das Hanfhaus in diese Gegend verlegte, weil nirgends anders die Stadt sicherer vor jenen feuergefährlichen Gegenständen war, als gerade an diesem Orte.

Und von hier ab, bis zur schattigen Allee mit den Verkaufsbuden erstreckten sich in der Richtung von Altona nach Hamburg die mächtigen Seilerwerkstätten, welche dieser Gegend den Namen Reeperbahn verliehen. Die großen, halb steinernen, halb hölzernen Schuppen, worin die Vorräte und die Arbeitswerkzeuge aufbewahrt wurden, erhoben sich mit ihren spitzen Giebeln im Westen, wo sie an die alte Dröge grenzten. Von hier aus ging am frühen Morgen das Getriebe aus und verschwand daselbst am Abend. Von dem einfachsten Bindfaden an bis zum schwersten Ankertau aufwärts wurde für den Bedarf der Schiffe gesorgt. Keine Hand lag hier müßig in dem Schoße. Die abgenommenen Vorräte wurden Tag für Tag durch neue ersetzt.

Hell leuchtete der Maimorgen auf. Die großen Türen der Schuppen öffneten sich und die Seilerknechte sowie die Radjungen fanden sich ein. Der Bahnmeister war überall zu finden und gab die Arbeiten des Tages an. Bei einem der leichteren Räder blieb er stehen und sagte:

»Hierher soll der Neue kommen, der uns von Elias Brammer geschickt wird. Diese Herren sollten sich auch um ihren Laden kümmern, statt uns mit allerlei dummen Jungen zur Last zu fallen, welche sie selbst nicht brauchen können. Hoffe, daß der Bursche einigermaßen anstellig ist, sonst bekommt er noch vor Mittag eine Tracht Prügel und seinen Laufpaß.«

Er wandte sich einem der Spinner zu, als hinter seinem Rücken der laute Ruf erscholl:

»Wo ist der Bahnmeister?«

»Hier!« entgegnete er sich umwendend und sagte verdrießlich:

»Wer ist denn der Knirps, der ohne alle Umstände nach dem Bahnmeister ruft? Was soll's mit ihm?«

»Entschuldige Er mich, Herr; allein mir ist nur gesagt, daß ich hierher gehen solle und nach dem Bahnmeister fragen. Herr Elias Brammer hat mich so angewiesen.«

»Aha! Du bist also ...?«

»Ja, Herr; ich bin der neue Radjunge, das heißt, wenn ich Ihm anständig bin und Er mich brauchen kann.«

»Das wird sich finden. Wir können unser Werk gleich beginnen. Dort am Rade ist dein Posten. Man soll dir gleich die ersten Handgriffe beibringen. Heda, Hans Peter, komme einmal her und zeige dem ... Wie heißt du denn?«

»Jan Blaufink, Herr!«

»Das ist ein possierlicher Name! Wer Teufels heißt hier in Hamburg so?«

»Ich, Herr. Und da es nun einmal so ist, meine ich, laßt Ihr es auch dabei. Kein Mensch kann dafür, was er für einen Namen hat. Er kann ihn sich nicht aussuchen. Er wird ihm gegeben und er muß ihn behalten.«

»Maulfaul bist du nicht!« sagte der Bahnmeister, dem das kecke Wesen gefiel. »Ein Radjunge ist ein gewaltiger Kerl bei der Stadt und kann sich etwas darauf einbilden.«

»Das hat Kapitän Danker auch gesagt, Herr!«

»Was hat er gesagt?«

»Kapitän Danker war dabei, als Herr Brammer mir sagte, daß ich hierher gehen und Radjunge werden solle. Da legte der Kapitän seine Hand auf meine Schulter und mich schüttelnd, sagte er lachend: »Höre, Jan Blaufink, mache es, wie der Michael de Ruiter, dann wird es dir wohlgehen.« »Das will ich wohl, Kapitän,« sagte ich. »Aber erst muß ich doch wissen, wie es der Michel machte, von dem Er spricht.« Da lachte der Kapitän noch lauter als vorhin und antwortete: ›Da hast du recht. Der Michael de Ruiter fing damit an, auf den Seiler-Werkstätten zu Vlissingen das Rad zu drehen, und schloß damit, seine Admiralsflagge am Bord der ›sieben vereinigten Provinzen‹ aufzuziehen.‹ Darauf sagte ich wieder: ›Dank, Kapitän, für den Bescheid; ich will sehen, was sich tun läßt,‹ und nach diesen Werten bin ich hierher gekommen.«

»Es ist himmelschreiend,« sagte der Bahnmeister, zu einem der Knechte gewendet, »was diese Herren solchen dummen Jungen für Raupen in den Kopf setzen. Das soll man nun wieder herausprügeln!«

Und sich hastig gegen Jan Blaufink wendend, sprudelte er über:

»Du hast, wie sich von selbst versteht, deine Admiralschaft auch schon in der Tasche?«

»Ach nein, mein Herr,« sagte Jan Blaufink ruhig. »Ich bin vollauf zufrieden, wenn ich arbeiten und für meine arme Mutter ein Stück Brot verdienen kann.«

»Nun,« meinte der Bahnmeister besänftigt, »wenns das ist, dazu kann Rat werden. Heran an das Rad! Ich will dir selbst die ersten Griffe zeigen. In einer Viertelstunde mußt du fix und fertig drehen können.«

Und eifrig ging er an sein Werk.

Die Tage verstrichen in gewohnter Weise. In der Woche wurde rechtschaffen gedreht und des Nachts fest und ruhig geschlafen. Wenn die Mittagspause eintrat, war Jan für alle Knechte eifrig zur Hand und holte ihnen, was sie nötig hatten, aus den verschiedenen Buden herbei. Er war immer heiter und unverdrossen; ließ sich eine Neckerei gefallen, schüttelte einen Puff oder einen Schlag von sich ab und war bald auf dem ganzen Seilerplatz wohlgelitten. Die Männer, denen er ihre Bedürfnisse brachte, teilten ihm von ihrem Ueberfluß mit und die alten und jungen Weiber in den Verkaufsbuden hatten ihre Freude über den lustigen Käufer, dem sie manchen leckeren Bissen zusteckten. Jan Blaufink, der aus der Neptunswerft eine gute Vorschule durchmachte, hatte sich in wenigen Wochen sein volles Terrain erobert.

Sonst aber war nicht alles, wie es sein sollte. Der Verdienst fiel so gering aus, daß der armen Frau Rosmarin wenig davon zugute kam. Auch die Sonntagsfreuden wurden wesentlich verkümmert. Nur ein paar Wochen lang hatte Elias Brammer die Sonntagsbesuche des Radjungen geduldet. Als er aber sah, daß Frau und Tochter sich mehr mit ihm abgaben, als ihm recht war, und ihn reichlicher versorgten, als er missen zu können vermeinte, wies er dem Jungen die Tür und verbot das Wiederkommen in so energischer Weise, daß Jan es nicht wagte, diesem Verbot Trotz zu bieten. Der Sonntag wurde zum Kummertag. Die Schauspielerin und der Radjunqe trennten sich mit Tränen in den Augen und einem stummen Händedruck.

Allmählich kam der Augustmonat heran; der Monat, in welchem das Fest der Seiler gefeiert wurde. Schewe-Lieke nannte es das Volk: das Fest der Schiefen und der Geraden, sagten die Gebildeten. In diesem Monat wurden diejenigen Lehrburschen, welche ihre Lehrzeit durchmachten, feierlich losgesprochen und zum Gesellen gemacht. Darauf begannen die Spiele der Schiefen und der Geraden. Einer der Burschen schwärzte sich das Gesicht, machte sich künstlich einen Höcker und erhielt in der einen Hand ein Pritschholz, in der anderen eine blecherne Sammelbüchse. Mit diesen beiden Attributen ausgerüstet, fuhr er auf dem weit ausgedehnten Spielplatz, der die ganze Reifschlägerei einnahm, wie eine zischende Rakete durch die gaffende, plaudernde und lachende Menge. Mit den wenigen Schillingen, die in der Börse waren, rasselte er unaufhörlich, um neue anzulocken, und das Pritschholz gebrauchte er, um sich Bahn durch das Gedränge zu machen. Den kargen Zahler ermunterte er durch einen derben Schlag zum Mehrzahlen, dem splendiden gab er einen gleich aus Dankbarkeit. Es gehörte eine Gewandtheit und eine Keckheit dazu, um dieses Amt zu verwalten, die nicht jedermanns Sache war, und es galt als die bedeutendste Vorbereitung zu dem Feste von »Schewe-Lieke«, aus der Menge der Seiler- und Radjungen den geeigneten Vertreter zu finden.

Auch dieses Mal wurde der wichtige Umstand reiflich erwogen. Je gewandter der Sammelbursche war, je reichlicher strömten die Schillinge in die Büchse und je voller diese, womöglich bis zum Rande, wurde, je üppiger konnte die Bewirtung ausfallen, die aus diesen Erträgnissen bestritten wurde.

»Ich meine,« sagte der Bahnmeister bedächtig, indem er den Finger an die Nase legte, »daß es gut getan sei, dem Jan Blaufink die Büchse zu geben. Er schlägt nicht so stark zu, wie die anderen klobigen Burschen, und hat den Hanswurst noch vom Theater her in dem Kopf. Das ermuntert die Leute zum Lachen und fröhliche Leute mögen auch, daß die anderen fröhlich sind, darum geben sie doppelt und dreifach. Habe es seinerzeit gehabt, daß mir ein alter, lachender Herr ein blankes Vierschillingsstück in die Hand steckte.«

»Dann hattet Ihr auch wohl ein Stück von einem Hanswurst im Kopfe, Bahnmeister?« fragte einer der älteren Seilerknechte und jener erwiderte gutmütig:

»Hatte ihn. Bald nachher schickten sie mich an Bord eines Grönlandfahrers, denn ich wollte am Lande nicht gut tun; da ist denn bei Spitzbergen der Hanswurst in mir erfroren und nicht wieder lebendig geworden. Von toten Leuten aber tut man am besten, nicht weiter zu reden, das merke dir.«

»Habe es mir schon gemerkt,« entgegnete der Seilerknecht. »Und aus diesem Grunde ist es mir und den anderen recht, wenn Ihr dem Jan Blaufink die Büchse und das Pritschholz in die Hand geben wollt.«

»Man bringe ihn vor uns!« entschied der Bahnmeister, und Jan Blaufink, der dazu erkoren war, die Schläge nach allen Seiten hin auszuteilen, wurde selbst mit vielen Püffen und Stößen bis zu dem Schauplatz seiner dreitägigen Herrlichkeit geleitet.

Am Abend erschien er in seinem Glanze. Das Gesicht war mit Kienruß gefärbt und auf dem Kopfe saß eine weiße Papiermütze, deren Spitze eine brandrote Schleife bildete. Er trug einen blauwollenen Kittel mit großen, roten Achselbändern, die aus einer alten Dragonerjacke herausgeschnitten waren. In der Rechten hielt er die Büchse, die aufleuchtete, wie blankpolierter Stahl, in der Linken schwang er das Pritschholz und versuchte es zur Probe allererst auf dem Rücken des Bahnmeisters, der ihn scheltend zum Teufel gehen hieß.

Laut lachend sprang Jan Blaufink mitten in den dichtesten Haufen hinein und das Fest von Schewe-Lieke war im vollsten Gange.

Freude und Leid hausen oft nebeneinander unter demselben Dache. Hier prahlt der Reichtum mit tausend überflüssigen Dingen, die ihm zur Last fallen, dort nagt die Armut am Hungertuch und bittet mit tränenden Augen um eine Stunde Schlaf, den drohenden Mangel zu vergessen.

Mitten in dem bunten Gewühl von Lachenden und Zechenden, welche sich in der sonst so einsamen Allee der Reeperbahn auf- und abbewegten, schlich eine verhüllte Frauengestalt. Sie blickte furchtsam um sich, machte mehrere Male Miene, einen oder den anderen der Vorübergehenden anzureden, stand aber jedesmal davon ab, aus Furcht, hart angelassen zu werden. Endlich vermochte sie dem Drange der innersten Notwendigkeit nicht zu widerstehen. Sie trat an eine Frau heran, die einen großen Henkelkorb am Arm, sich das bunte Treiben wohlgefällig betrachtete, und sagte leise:

»Ich bitte Euch um Gottes Barmherzigkeit willen, mir einen Dreiling zu Brot zu schenken.«

Die Frau tat, als hörte sie es nicht. Die verhüllte Bettlerin wiederholte nach einer Pause ihre Bitte, indem sie den Henkelkorb berührte, um die Aufmerksamkeit der Frau zu erregen.

Da fuhr das Weib laut schreiend auf: »Was hat Sie? Wer ist Sie? Was will Sie?«

»Um Gotteswillen!« entgegnete jene erschrocken. »Mache Sie nicht solchen Lärm. Die Leute sehen uns ja an.«

»Was ich sage und tue, kann die ganze Welt hören und sehen!« fuhr das Weib fort. »Aber Sie mag wohl Ursache haben, sich zu fürchten vor den Leuten, sonst würde Sie sich nicht so verhüllen.«

Die Erschrockene streckte flehend die Hände aus und sagte:

»Habe Sie doch mindestens Erbarmen ...«

»Die Hand weg!« kreischte jene noch lauter. »Ich merke ohnedies, daß es auf meinen Korb abgesehen ist. Um einen Dreiling wird gebettelt und ein Taler wird genommen!«

»Was untersteht Sie sich! ...« rief die bis dahin so demütige Frau; allein, sie kam nicht weiter, Scham und Zorn verschlossen ihr den Mund, während das Weib mit dem Henkelkorbe laut ausrief:

»Man soll mit dem Diebsgesindel wohl noch Umstände machen. Heda, Leute! Hier ist eine Diebin.«

Das Volk drängte sich um beide.

Unterdessen hatte Jan Blaufink in immer kühneren Kreisen seine Bahn durchlaufen und war oft über dieselbe hinausgeschweift. Das Pritschholz war nicht müßig und die Büchse füllte sich mehr und mehr. Es stand ein tüchtiges Trinkgelage für die folgenden Tage bevor. Je ausgelassener er war, je mehr ermunterten ihn seine Gefährten, und immer ungebändigter verfolgte er sein Ziel, das er mit jeder Viertelstunde weiter hinaussteckte. Jetzt wieder schoß er zwischen die Bäume durch und flog auf einen Menschenknäuel zu, der ihm wie eine Mauer entgegentrat. Allein Jan Blaufink war nicht gewohnt, vor solchen Hindernissen zurückzubeben. Wacker hieb er sich mit dem Pritschholz in den dichten Haufen hinein und stand der armen Bettlerin gegenüber, die vor Angst und Schrecken in die Knie gesunken war.

»Wer von Euch hat die arme Frau umgeworfen?« schrie Jan Blaufink und streckte die Hand nach ihr aus. »Helft mir sie aufrichten.«

»Das fehlte noch!« entgegnete jemand. »Es ist eine Diebin und sie gehört von Rechts wegen auf die Wache.«

»Nein! nein!« wimmerte die Bebende. »Ich habe nur um einen Bissen Brot gebettelt.«

»Die Frau mit dem Henkelkorbe hat es aber gesagt, daß sie eine Diebin ist – wo ist sie denn geblieben? – Diebe gehören auf die Wache.«

»Wenn sie auf die Wache soll,« rief Jan Blaufink, »will ich sie selbst dahin bringen. Ich habe hier die Polizei.«

Die Bettlerin, welche schon vorher bei dem Klange dieser Stimme aufhorchte, stöhnte jetzt:

»Jan! Jan!«

»So heiße ich!« sagte dieser. »Macht Platz für mich und die Frau!«

Er stieß die Worte mit bebender Hast heraus, denn auch er hatte die Stimme der Frau erkannt und sah bei dem letzten Schimmer des Abends in das blasse Gesicht der Frau Rosmarin. Sein Herz schlug gewaltig; aber die Gegenwart des Geistes verließ ihn nicht und im Befehlshaberton gebot er:

»Macht Platz! Ich bin der Armenvogt und da ist die Wache!«

Er deutete auf einen der Spinnschuppen, der ihm am nächsten lag. Lachend und zugleich scheltend wichen sie vor dem Repräsentanten des »Schewe-Lieke-Festes« zurück.

Jan und Frau Rosmarin verschwanden in dem Innern des Schuppens.

*

Es brennt!

»Halt und stopp!« sagte Jan Blaufink, indem sich die arme Frau auf einen Sack voll ausgeplüsten Werg niederließ. »Hier sollst du sitzen. Da ist es hübsch weich.«

Sie war unfähig, ein Wort zu sagen. Jan begab sich in eine Ecke, wo er in einem Kasten kramte und brachte einige Lebensmittel, die er vor sich her auf einem Brette herbeitrug:

»Sie haben mich heute gut versorgt. Hier habe ich Brot vollauf, da ist Speck und Fleisch. Nun greife zu, Mütterchen, und lasse es dir wohl bekommen.«

Bei dem Anblick dieser guten Gaben erwachte der Naturtrieb in voller Stärke. Frau Rosmarin legte das Brett auf ihren Schoß.

»Und eine Kruke mit Bier habe ich auch bekommen, weil ich der Pritschmeister bin. Es ist ein guter Trunk und wird dich stärken.«

Frau Rosmarin trank. Sie reichte ihm den Krug zurück und sagte mit dankbarem Lächeln:

»Nun bin ich gesättigt. Dank sei dir. Wie entsetzlich ist es, was ich erduldete!«

»Du Aermste! – Warst du so arm, daß du die Leute auf der Straße um ein Stück Brot ansprechen mußtest, während ich hier in den letzten Tagen alles vollauf hatte? Aber ich bin nicht schuld. Es war so vieles zu tun; keine Stunde hatte ich frei.«

»Entschuldige dich nicht, Kind! Ich kenne ja dein Herz.«

»Was mußt du ausgehalten haben, bevor du auf diesen Gedanken gekommen bist!« sagte Jan. »Aber, daran ist gewiß die garstige Jungfer Mewes schuld. Nun, die soll sich in acht nehmen, wenn ich am nächsten Sonntage in die Stadt komme.«

»Nein, Kind, sie ist nicht schuld. Du weißt ja, wie ich mir forthelfe und daß die Nähnadel nicht viel abwirft. Zudem fieberte ich und konnte eine Woche lang gar nichts tun. Horch, wie sie draußen toben und schreien! Sie suchen mich und wenn sie hierher kommen, bin ich verloren.«

»Hierher kommen sie nicht, dafür bin ich gut!« entgegnete Jan. »Aber wenn es dich beruhigt, will ich einmal hinausgehen und nachsehen.«

Er ging und kehrte bald darauf zurück, indem er sagte:

»In der Nähe des Schuppens ist keiner mehr. Der große Haufen hat sich nach dem Pesthofe hin verzogen. Uebrigens ist es spät. Die Leute gehen nach der Stadt und es ist Zeit für dich, sonst klappen die Türen zusammen und du mußt die Nacht draußen bleiben.«

»Ich komme!« sprach Frau Rosmarin, sich erhebend. »Dank sei dir für deine Liebe! Lebe wohl!«

»Du sollst nicht allein gehen, Mütterchen; du kannst es gar nicht. Ich will dich begleiten. Setzt es morgen auch eine Tracht Schelte! Pah, ich mache mir nichts daraus. Warte! Ich werfe nur die Narrenmütze weg und reiße die roten Klappen von den Schultern ab. So! Nun ist's getan! Komm, stütze dich auf mich! Wenn wir erst durch das Tor sind, können wir uns Zeit nehmen.«

Das bunte Treiben dauerte draußen fort; allein das belebende Element fehlte in demselben. Das Pritschholz klatschte nicht mehr; die Sammelbüchse rasselte nicht. Aus keinem Munde erscholl der Ruf: »Hurra, Jan Blaufink!«

»Wo ist der Donnersjunge!« rief der Bahnmeister, und einer der losgesprochenen Lehrburschen, der nahe bei ihm stand, entgegnete: »Ich weiß es nicht!«

Die Frage nach dem Jungen vermehrte sich. An allen Enden der Bahn ließ sie sich vernehmen. Die Antwort blieb dieselbe. Keiner wußte, was aus ihm geworden war.

Da brachte einer der Seilerknechte einen Jungen herbeigeschleppt, der sagte wunderliche Dinge aus. In der großen Allee hätte ein Weib das andere bestehlen wollen und sei bei dem Diebstahl ertappt. Ein großer Lärm wäre entstanden und die Diebin hätte in die Wache gebracht werden sollen. Da wäre Jan Blaufink erschienen, hätte sich mit seinem Pritschholz durchgeschlagen, die Diebin bei dem Arm genommen und sei mit ihr weggelaufen, indem er den Zurückbleibenden nachrief, er sei der Polizeimeister und werde sie selbst nach der Wache bringen.

»Wohin er mit ihr gegangen, das wußte keiner,« setzte der Junge endlich hinzu, »aber auf die Wache hat er sie nicht gebracht, denn dort hätten sie das Weib behalten. Ich habe aber eben deutlich gesehen, daß sie, auf Jan Blaufink gestützt, nach dem Tor zugegangen ist. Das ist gewißlich wahr.«

»Sehe mir einer den Taugenichts!« sagte der Bahnmeister. »Und darum verläßt er seinen Posten?«

»Es ist, wie ich Euch sage!« bekräftigte der Junge nochmals.

»Und Er wußte von nichts?« fragte der Seilerknecht von vorhin den Bahnmeister.

»Gar nichts.«

»Und die Schillingsbüchse hat er Ihm auch nicht vorher abgeliefert?«

»Mir hat er nichts gegeben.«

»Dann steckt der Jan mit der Diebin unter einer Decke und ist mit ihr auf und davon!« platzte der Seilerknecht heraus.

»Alle Donner!« fuhr der Bahnmeister los. »Frisch, alle Mann und hinter dem Spitzbuben her!«

Wie ein Blitz schnell und zündend, flogen diese Worte durch die Bahn:

»Jan Blaufink hat die Sammelbüchse gestohlen und ist mit einem liederlichen Weibsbilde davongelaufen! Greift ihn! Greift ihn!«

»Das Greifen soll schon besorgt werden, wenn wir ihn nur erst haben!« meinte einer der Losgesprochenen. »Schade um den Jungen. Ich mochte ihn wohl leiden und kann es mir gar nicht denken, daß er ein Dieb sein soll. Besser bedacht, laufe ich auch nicht mit hintendrein. Es könnte mir leid tun, wenn sie ihn griffen und er müßte wie ein Dieb ins Zuchthaus.«

Die Meute sprengte dem vermeintlichen Flüchtling nach. Aber ehe diese das Tor erreichte, waren Jan Blaufink und Frau Rosmarin längst durch dasselbe und in die Stadt hineingegangen.

In der Mitte des neuen Steinweges hielten sie an und Jan sagte:

»Wir haben es nun nicht mehr so eilig. Mutterchen muß sich erst ein wenig verschnaufen und das Zanken der Jungfer Mewes kriegen wir noch früh genug zu hören. Wird die losfahren, wenn sie mir heute Nacht gezwungen Quartier geben muß. Sagtest du etwas, Mutterchen?«

»Ich weiß nicht, wie mir ist, Kind! Es fällt mir schwer auf das Herz und ein Fieberschauer durchrieselt mich. Wir wollen doch lieber nach Hause gehen.«

»Gleich, Mutterchen! Ich sehe nur ... Was ist denn das? Kann am Abend die Sonne aufgehen? Sieh nur, wie es über uns leuchtet!«

Der Horizont glühte in feuriger Lohe. Zu gleicher Zeit schrillten die Pfeifen der Nachtwächter durch die Straßen. Die Glocken auf den Türmen zogen an.

Die Straßen, welche schon ziemlich entvölkert waren, füllten sich wieder. Die Haustüren taten sich auf. An den Fenstern erschienen Lichter. Es wurde gefragt und wieder gefragt, herüber und hinüber. Keiner wußte zu antworten.

»Der Richtung nach zu urteilen,« sagte ein langer Mann im Schlafrock, »muß das Feuer ...«

»Ach was, Richtung!« unterbrach ihn sein ungeduldiger Nachbar. »Augenmaß täuscht. Da kommt der Nachtwächter! Der soll uns berichten!«

Der Nachtwächter, die Pfeife an den Mund sehend, kam schnellen Schrittes daher.

»Wo brennt's? Wo brennt's?« stürmten ihm alle entgegen, die auf dieser Stelle versammelt standen.

»Ich weiß es nicht!« antwortete er im Gehen.

»Er weiß es nicht, und ist Nachtwächter?«

»Ich habe hier nur zu pfeifen! Platz für die Obrigkeit!«

»Achtundvierzig Schläge von Sankt Nikolai!« rief es an einer anderen Stelle. »Vor kurzem waren es erst dreißig.«

»Das ist ein großes Glockenfeuer, Nachbar.«

»Gott bessere es und tröste die armen Menschen, die davon betroffen werden,« war die Antwort. »Aber manche Leute gehen auch unverantwortlich leichtsinnig mit Feuer und Licht um! Da zieht die Glocke schon wieder an. Zählt einmal, Nachbar.«

»Zweiundfünfzig!« sagte dieser, als die Glocke wieder schwieg. »Hat denn der Hausknecht die Feuereimer fortgetragen?«

»Freilich! Aber wohin er damit geraten ist, weiß ich nicht. Kein Mensch hat uns noch gesagt, wo es brennt.«

Jan Blaufink war mit seiner Begleiterin nur langsam von der Stelle gekommen. Das wachsende Gedränge hielt sie auf. Er wurde ernstlich besorgt, denn seit dem Ausbruch des Feuers hatte sich Frau Rosmarin seltsam verändert. Sie wurde von einer seltsamen Unruhe fortgetrieben.

Da rasselte eine neue Spritze dicht an ihnen vorüber. Ein Wasserwagen folgte. Die Spritzenleute in den langen, weißen Kitteln und den braunen Lederkappen hatten es gar eilig.

»Rohrmeister! Wo brennt es!« erscholl der erneuerte Ruf, und dieser rief zurück:

»Auf dem Brauerknechtsgraben!«

Frau Rosmarin hatte s gehört. Sie fuhr bei dem Namen dieser Straße zusammen und schrie mit Anstrengung aller ihrer Kräfte:

»Wo da? Wo da?«

Ein Spritzenmann, der zufällig etwas zurückgeblieben war, antwortete ihr:

»Die ehemalige Janna Straußinsche Brauerei steht in vollen Flammen!«

Ein furchtbarer Schrei folgte diesen Worten. Frau Rosmarin brach zusammen.

»Mutterchen! Mutterchen!« rief Jan Blaufink erschreckend. »Was soll das bedeuten?«

Nur mit Mühe gelang es ihm, sie aufrecht zu halten. Ein paar Frauen, die in der Nähe standen, sprangen ihm hilfreich bei.

Ein paar Minuten lang lag sie starr und regungslos in den Armen der helfenden Frauen. Ihre Augen waren geschlossen. Jan Blaufink sah sie mit ängstlichen Blicken an und nannte sie mit den zärtlichsten Namen.

Plötzlich richtete sie sich auf. Sie stand allein und sagte zu ihren Helfern: »Ich danke Euch für Euern Beistand. Mir ist wieder ganz wohl. Komm, Jan! Komm! Wir müssen eilen.«

Und als wäre nach der kurzen Ohnmacht ein neuer Geist über sie gekommen, schritt sie weiter. Jan Blaufink, der vor Staunen kein Wort hervorbringen konnte, folgte ihr schweigend.

Eine Strecke ging es weiter, dann bog sie in eine Seitenstraße ein. Er hielt sie zurück und sagte: »Das ist nicht unser Weg.«

»Wohl ist es unser Weg,« entgegnete sie eilig. »Unsere Straße geht dem Feuer zu. Da wird mir besser; da werde ich gesund.«

»Was sprichst du. Mutterchen? Was geht dich das Feuer an? Kannst du gesund werden, weil andere Leute ins Elend geraten?«

»Davon weißt du nichts!« entgegnete sie fast hart. »Bleibe oder gehe, aber halte mich nicht auf.«

Und mitten durch das Gedränge machte sie sich eine Bahn. Jan Blaufink war auf ihrer Ferse.

Auf dem Brauerknechtsraben standen nicht bloß Brauerben. Es befanden sich auch andere Baulichkeiten dort, unter anderen geräumige Lagerkeller, von denen Herr Elias Brammer den einen mietweise besaß.

Die Pfeife eines Wächters, der das Feuer ankündigte, und die Sturmglocke, deren Schläge sich mit dem Steigen der Flammen mehren, schallen weit. Auch auf den Vorsetzen wurden sie vernommen. Die Fenster flogen auf und einer rief dem andern zu: »Wo brennt's?«

Von der Straße herauf fehlte die Antwort nicht.

»Da liegt mein Keller!« rief jammernd Elias Brammer und fuhr in die Kleider. »Frau, erhebe dich und gehe mir zur Hand! Schnell, wie der Wind! Wo schnarcht der Hasenfuß, der Junge? – Her mit dem Hut! – Schicke mir den Jungen mit den Feuereimern nach und schließe die Haustür wieder zu. Wer weiß, ob ich bei aller Eile nicht schon zu spät komme und in diesem Augenblick das Haus Brammer schon ruiniert ist.«

Er stürmte fort und langte auf der Brandstätte an. Das Haus, unter welchem sich sein Warenkeller befand, lag weit von derselben ab. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Er atmete tief auf und hatte nun auch Augen für das ruhelose Treiben um ihn her.

Die Seilerjungen, welche den Jan verfolgten, waren bis in die Stadt geraten und dem allgemeinen Zuge gefolgt. Die Aufregung, worin Hamburg sich befand, hatte auch sie ergriffen und ihr eigentlicher Auftrag war ihnen abhanden gekommen. – In dem großen Gedränge hatten sie sich verloren und suchten vergebens, sich wieder zusammenzufinden.

»Du!« stieß einer seinen Kameraden an. »Sieh einmal, wer da steht?«

»Was geht es mich an? Komm du vielmehr hierher und lange Feuereimer zu. Wenn wir einmal auf der Brandstätte sind, wollen wir auch als rechtschaffene Christen unsere Schuldigkeit tun.«

»Gut! Aber dann, soll der, den ich meinte, auch mit dabei sein. Den alten Geizhals, der Elias Brammer, meine ich. Dreimal haben wir ihm eine schwere Ladung vor die Tür gebracht und die Last in seinen Keller getragen, was wir nicht nötig hatten, und dreimal hat er uns ohne Trinkgeld nach Hause geschickt. Dafür soll er seinen Lohn haben.«

»Das lasse ich gelten! Wo ist er denn? Aha! Ich sehe ihn schon! Es stehen uns aber so viele im Wege.«

»Hat nicht not! Das wollen wir bald kriegen! Heda, Leute! Da steht ein Mann, der uns gerne eine Hand leihen will beim Wassertragen. Laßt ihn hindurch! Schiebt ein bißchen nach.«

Es geschah nach ihrem Willen. Elias Brammer schlug um sich und schrie: »Wer untersteht sich? – Wer vergreift sich an mir? – Laßt los!«

Mit den letzten Worten fiel er gegen die beiden mutwilligen Seilerburschen, die ihn sofort in die Mitte nahmen:

»Guten Abend, Herr Brammer! – Auch ein bißchen hier, Herr Brammer? – Das ist christlich von dem Herrn. Er will auch dem Unglücklichen eine Hand leihen? Das ist brav. Nun, hier ist gerade ein Platz frei. Bleibe du da stehen, Gottlieb! Ich stehe hier und Herr Brammer kommt in die Mitte. Ihm gebe ich die vollen Eimer und er liefert sie an dich ab. Hurra für den ersten! Festhalten, Herr Brammer! Festhalten!«

Umsonst widerstrebte der geängstigte Krämer den kräftigen Seilerburschen. Er mußte in Reihe und Glied stehen und die ledernen Feuereimer weiter reichen. Er war von Wasser überströmt; der Schweiß rann ihm von der Stirn; der Atem drohte ihm zu vergehen; aber an eine Erlösung war nicht zu denken.

Den rastlosen Bemühungen war es gelungen, die bedrohten Nachbarhäuser zu retten. Das Feuer blieb auf das Brauerbe beschränkt, dessen rauchende, glühende Trümmer mit lautem Krachen zusammenstürzten. Die erschöpften Feuerleute konnten sich einige Minuten der Erholung gönnen.

»Es ist dahin!« sprach Frau Rosmarin, die nicht von der Stelle gewichen war. »Versenkt in Staub und Asche der Bau, von dessen Wänden meine Flüche widerhallten. Ein Schutthaufen deckt das Grab, worin meine Jugend begraben liegt.«

»Sprich nicht solche entsetzliche Dinge, von denen ich nichts verstehe und die mir eine Gänsehaut machen,« bat Jan mit rührender Stimme. »Höre auf mich, Mutterchen, und lasse uns endlich nach Hause gehen. Es ist die höchste Zeit.«

»Ja, Kind, wir wollen es!« entgegnete sie, wie aus einem Traum erwachend. »Gib mir die Hand, mein lieber Junge, und führe mich. Allein bin ich nicht imstande, weiterzugehen.«

»Lege deine Hand auf meine Schulter und stütze dich fest darauf. Ich schlinge meinen Arm um dich und dann soll es wohl gehen.«

Die buntgegliederten, lebendigen Ketten, welche die Eimer von den Wasserschläuchen bis zur Brandstätte beförderten, lösten sich auf. Herr Brammer schüttelte sich und wischte den Schweiß von der Stirn. Seine beiden Quälgeister lobten ihn ob seiner Heldentat und lachten sich dabei ins Fäustchen. Da rief plötzlich der eine aus:

»Ich habe ihn!«

»Wen hast du?«

»Den Jungen, der uns davongelaufen ist und den wir suchen sollten.«

»Jan Blaufink?«

»Da kommt er mit einem Weibsbilde am Arme. Nun, der läuft uns geradezu ins Garn, ohne daß es uns Mühe macht. Und die Ehre haben wir davon.«

Der Name, welcher genannt wurde, erregte die Aufmerksamkeit des Elias Brammer. Er fragte und erhielt zur Antwort:

»Das haben wir Ihm auch zu danken. Er hat uns den Taugenichts auf die Bahn gebracht, und nun erleben wir Schimpf und Schande an ihm.«

Es war keine Zeit zu weiteren Erklärungen. Jan war ganz nahe und hatte keine Ahnung von dem, was ihm bevorstand. Seine Aufmerksamkeit galt allein der Frau Rosmarin, die nur langsam von der Stelle konnte, nachdem die große Aufregung vorüber war.

»Haben wir dich, du Spitzbube?« brüllten die Seilerknechte, indem sie ihn mit starker Hand ergriffen und seine Begleiterin auf die Seite schoben.

Für den Augenblick war Jan Blaufink von dem unerwarteten Angriff betäubt. Er ließ sich einige Schritte fortschleppen, geradeswegs dem Elias Brammer entgegen und der eine der Knechte rief demselben zu:

»Da ist das Geschenk, das wir ihm danken! Sehe Er zu, wie Er es wieder gut macht, daß Er uns einen solchen Spitzbuben auf den Hals lud.«

»Spitzbube?« rief Jan und der Zorn bemächtigte sich seiner. »Wer mich einen Spitzbuben nennt, den nenne ich einen Ehrenschänder und will ihm den Lohn für seine Bosheit nicht schuldig bleiben.«

»Du bist still, ganz still, sonst wollen wir dir gleich einen Denkzettel geben, den du dein Lebtag nicht vergessen sollst. Wir sprechen uns draußen auf der Bahn. Du gehst wohl jetzt nicht gerne dahin?«

»Warum nicht? Wo sollte ich anders gehen?« antwortete Jan. »Ich will nur die Mutter nach Hause bringen. Wo ist sie geblieben? Wo? Wo?«

»Mutter!« schrie Elias Brammer. »Wie kommst du zu einer Mutter, da du doch ein Waisenkind bist? Hollah, Junge! Ist das der Lohn für die Dienste, die man dir leistete? Ein Dieb bist du geworden? Ein rechter gemeiner Dieb?«

»Wenn Er das Wort noch einmal ausspricht, hat Er meine Hand an der Kehle.«

»Hört ihr das, Leute?«

Die Umstehenden nahmen Teil an dem Auftritt; jeder in seiner Weise. Jan Blaufink, der alle Augen auf sich gerichtet sah, rief dem Kaufmanne zu:

»Er will mir seine Hand gereicht und mir Beistand geleistet haben? Ich soll ihm Dank schuldig sein? Wenn das jemals gewesen ist, so war die Schuld mit dem einen schweren Wort gelöscht, was Er mir jetzt zugerufen hat.«

»Begehre nur nicht groß auf!« rief der Seilerknecht, dessen Hand in seinem Nacken saß. »Da kommen die Dragoner und machen die Straße frei. Es ist Zeit, daß wir wegkommen. Aber wohin? Es ist Nacht und die Tore sind geschlossen.«

»Sie stehen sperrangelweit auf, wie immer, wenn in der Stadt ein großes Glockenfeuer ist,« sagte Herr Brammer. »Geht voran! Ich eile nach Hause und kleide mich um, dann komme ich euch sofort nach, denn ich will dabei sein, wenn über den Taugenichts Gericht gehalten wird.«

Jan Blaufink ergab sich in sein Schicksal. Seine Brust arbeitete heftig und das Herz schlug so gewaltig, daß es zu zerspringen drohte. Aber er zwang sich zur Ruhe und sagte zu seinen Begleitern:

»Es ist gut. Ich ergebe mich euch und will gehen, wohin ihr wollt. Aber um eins bitte ich, nur um eins. Sagt mir, weshalb ich ein Dieb sein soll? Wen von euch habe ich bestohlen und was habe ich ihm genommen?«

»Das sollen wir dir sagen?« rief der Aelteste von den beiden und wußte sich vor Erstaunen nicht zu lassen. »Hast du es gehört, Friede? Wir sollen es ihm sagen? Man könnte lachen, wenn es nicht so unverschämt wäre, daß man sich darüber schwarz ärgern müßte. Aber es soll gelten, damit du nicht sagen kannst, es sei dir in irgendeiner Beziehung Unrecht geschehen. Haben wir dir nicht das Pritschholz in die Hand gegeben und die Sammelbüchse dazu? Und bist du nicht mit der vollen Büchse davon gelaufen und hast ein fahrendes Frauenzimmer mit dir genommen? Willst du das leugnen?

»Und darum?« fragte Jan Blaufink und dunkle Röte stieg ihm in das Gesicht. »Darum werde ich auf offener Straße aufgegriffen und als ein Dieb fortgeschleppt? Darum reißt ihr eine hilflose alte Frau von meinem Arm weg ...? Wo ist sie nun hingeraten? O, Mutter! Mutter! – dafür soll das böse Zeug über euch kommen!«

»Du willst wohl mit deinem Geschrei die Leute rebellisch machen, damit sie dir gegen uns beistehen sollen, weil wir unser zwei starke Kerls sind? Komm, komm, und lasse dir Gutes raten! Blindes Unterwerfen kann dir allein noch zum Guten ausschlagen und du mit einer schimpflichen Züchtigung davonkommen.«

Jan Blaufink sah, daß er der Uebermacht keinen Widerstand leisten könne, und ging zwischen den beiden Gesellen, die ihn mit scharfen Augen bewachten, langsam weiter. Der Tag dämmerte schon, als sie durch das hohe, gewölbte Tor in die Vorstadt hinausschritten.

Die Kunde, daß der Dieb eingefangen sei und alsbald auf der Bahn anlangen werde, war ihnen schon vorausgeeilt. Wer irgend zu der großen Reepschlägerei gehörte, drängte sich herzu. Auf Anordnen des Bahnmeisters wurde ein Halbkreis gebildet und es begann eine Beratung, ob und auf welche Weise man das Strafamt verwalten solle. Damit diese Beratung durch nichts gestört werde, wurde der Befehl gegeben, den Sträfling bei seiner Ankunft sorgfältig zu bewachen und ihn erst den Richtern vorzuführen, wenn der Befehl dazu gegeben würde.

Kaum hatte diese Beratung ihr Ende erreicht, als Herr Elias Brammer erschien und auf den Bahnmeister zuging. Dieser empfing ihn nicht besonders freundlich und sagte

»Das hat man nun davon, wenn man den Kunden gefällig ist. Was soll man denken, wenn ein Herr, wie Elias Brammer, uns gewissermaßen zwingt, einen Jungen in Dienst zu nehmen, der uns bestiehlt und noch groß auftrumpft, obgleich er bald nach der Tat ergriffen wird?«

»Es ist mehr als zu arg!« sagte Herr Elias Brammer, »und ich weiß mich vor Zorn und Wut nicht zu lassen. Das kommt dabei heraus, wenn man sich von den Weibern beschwatzen läßt. Aber es soll auch gewiß das letzte Mal gewesen sein ...«

»Papperlapapp!« entgegnete der Bahnmeister. »Ob Er sich von Seinen Weibern, oder von wem sonst hat beschwatzen lassen, das ist uns ganz egal. Wir haben den Schimpf davon und den Verlust an barem Geld dazu. Für den letzteren aber kommt Er uns auf ...«

»Wer? Ich?«

»Ja, wer denn anders? Er hat uns den Jungen empfohlen und wir haben denselben auf Treu und Glauben angenommen. Dadurch ist Er Bürge für den Jungen geworden und für allen Schaden und Nachteil, den derselbe anrichtet, verantwortlich.«

»Das wollen wir einmal sehen! Ich soll in die Tasche greifen und zahlen, was ...«

Der Zorn erstickte seine Stimme. Er gestikulierte lebhaft und focht mit den Armen durch die Luft.

»Das wäscht Ihm kein Regen ab. Vielleicht macht es Ihn für das Künftige klüger und Er spielt nicht mehr den Beschützer für jeden hergelaufenen Jungen, der Ihm in das Haus geschneit kommt, Und nun Lied am Ende! Bringt den Jungen hierher!«

»Mir her den Jungen!« rief Herr Elias Brammer. »Ich will ihn zuerst durchwalken.«

»Nicht rühran!« sagte der Bahnmeister. »Das ist unsere Sache. Da ist er! Jan Blaufink, stelle dich dahin.«

Dieser tat, wie ihm geheißen wurde. Der Bahnmeister sah ihn mit einem vernichtenden Blicke an und hielt ihm eine Strafpredigt, die bei jedem andern das Haar auf dem Kopfe zum Sträuben gebracht hätte. Jan Blaufink hörte ihn gelassen an und fragte dann:

»Wollt Ihr mir sagen, weshalb Ihr mich auf offener Straße aufgreifen laßt? Warum bin ich hierher geschleppt? Und warum muß ich alle diese Schimpfreden über mich ergehen lassen? Ich bin ein armer Junge und besitze nichts auf der Welt, als einen Namen, den man mir in Spott und Uebermut beilegte und den ich behielt, weil ich nicht länger namenlos in der Welt umherirren wollte. Aber den Namen soll man mir lassen, rein und ungeschädigt. Wer ihm einen Schimpf antut, dem werde ich es nachtragen ewiglich.«

»Du hast ein großes Recht, so zu reden und zu tun, als ob du ein vornehmer Hans wärest, der uns alle nach Herzenslust herunterkanzeln könnte!« sagte der Bahnmeister.

»Hört ihn nicht weiter an!« fuhr Elias Brammer dazwischen, »sondern walkt ihn tüchtig durch und laßt auch mich ihm einen Denkzettel geben.«

Jan Blaufink sah sich nicht nach ihm um, sondern fuhr fort, zu dem Bahnmeister zu sprechen:

»Leicht ist es, einem Menschen die Ehre abzuschneiden und ihn um seinen guten Namen zu bringen; aber schwer ist es, ihm beides wiederzugeben. Was werdet Ihr sagen und tun, wenn Ihr hört, daß ich unschuldig bin und Ihr selbst gestehen müßt, daß Ihr mich fälschlich angeklagt habt?«

Ein Gemurmel ging durch den Kreis. Ein Gemurmel des Unwillens, daß man mit einem dummen Radjungen solche Umstände mache. Das Lärmen stieg.

»Warum wollt ihr mich nicht hören?« rief Jan Blaufink unerschrocken in das immer lauter werdende Murren hinein. »Habe ich eure Anschuldigungen dulden müssen, sollt ihr auch anhören, was ich sage, um meine Unschuld darzutun.«

»Gut!« sagte der Bahnmeister. »Rede denn; aber kurz und bündig. Ich will auf jedes Wort genau merken und es abwägen.«

Es kam nicht dazu. Einer der Lehrburschen, die außerhalb des Kreises aufgestellt waren, um Zudringliche abzuwehren, kam herbei und meldete, daß eine Frau sich eingefunden habe, die für die Unschuld Jan Blaufinks zeugen wolle. Sie sei außer Atem und so hinfällig, daß sie sich nicht aufrecht erhalten könne.

»Das ist die Mutter!« rief Jan erregt.

»Bringe sie hierher, Detlev,« entschied der Bahnmeister. »Es soll nicht gesagt werden, daß wir einen Mund geschlossen hätten, der für die Unschuld eines Menschen sprechen will. Aha! Da ist sie schon! Hierher, Frau!«

Jan Blaufink eilte ihr entgegen und schloß sie in seine Arme.

»Um meinetwillen kommst du?«

»Ja, um deinetwillen«, sprach Frau Rosmarin. »Sie hatten mich im Gedränge von deinem Arm gerissen; allein ich hörte die schändliche Beschuldigung und wohin man dich brachte. Da raffte ich mich zusammen und bin nun hier, um Zeugnis abzulegen.«

»Sie würden dir nicht glauben, wenn du es tätest, so wenig, als sie mir glauben würden, wenn ich nicht den klaren Beweis meiner Unschuld führen könnte. Ja, es ist wahr, daß ich über den Kreis, der mir gezogen ward, hinausgeeilt bin, um Spenden für euch zu sammeln. Es ist wahr, daß ich dort diese Frau traf und sie vor Mißhandlungen rettete. Es ist wahr, daß ich sie nach dem Spinnschuppen brachte, wo mir meine Schlafstelle angewiesen ist, und sie mit Speise und Trank erquickte, damit sie sich wieder erhole. Und es ist wahr, daß ich sie nach der Stadt zurückführte und ihr meinen Arm zur Stütze lieh. Aber es ist erlogen, daß ich eure Sammelbüchse mit mir nahm, wie ihr mich beschuldigt. Ehe ich den Gang antrat, habe ich das mir anvertraute Gut sorgfältig geborgen. Die Büchse steht in des Bahnmeisters eigener Kammer, an dem Ort, wo sie immer zu stehn pflegt. Das Siegel, womit sie verschlossen wurde, ehe man mir sie in die Hand gab, ist daran geblieben, und wenn ihr hineingeht, werdet ihr finden, daß es sich so verhält, wie ich gesprochen habe.«

Diese letzten Worte machten einen unverkennbaren Eindruck aus die Versammlung. Man zischelte untereinander und der Bahnmeister sagte:

»Wenn das – Nein! Es ist nur eine Finte ...«

»Es liegt in Eurer Hand, mich abermals Lügen zu strafen, oder an Eurer Bosheit zu ersticken!« sprach Jan Blaufink. »Aber ich darf es fordern und fordere es von Euch, daß Ihr geht und Euch von der Wahrheit meiner Aussage überzeugt.«

»Das darfst du fordern!« sprach entschlossen der Bahnmeister. »Und es soll alsbald geschehen. Herr Elias Brammer, ich ersuche Ihn, mich zu begleiten, du, Detlev, gehst auch mit, damit ich Zeugen für das habe, was ich finde. Ihr andern rührt euch nicht von der Stelle. Wir kommen gleich zurück.«

Während die drei sich entfernten, blieb alles still. Jan Blaufink sah sich ruhig im Kreise um und blickte zärtlich auf Frau Rosmarin, die ihn liebkoste.

Nach einer Viertelstunde kehrten die drei Abgesandten wieder. Herr Elias Brammer war etwas außer Fassung und blieb ein Merkliches hinter dem Bahnmeister zurück. Dieser trat in den Kreis und sagte:

»Wir sind in meine Kammer gegangen und haben dort alles so gefunden, wie er gesagt hat. Die Büchse stand an der gewohnten Stelle; sie ist ganz gefüllt, und das Siegel hat keinen Schaden genommen. Sonach ist Jan Blaufink unschuldig und wir haben uns an ihm schwer vergangen.«

»Es ist gut, daß Ihr das einseht, und damit bin ich zufrieden,« sagte Jan. »Ihr habt mir sehr weh getan und mir ein großes Herzeleid bereitet, allein es ist vorbei und ich denke nicht mehr daran.«

»Halt und stopp!« entgegnete der Bahnmeister. »So wohlfeil kommt keiner davon. Wir haben dir ein Unrecht abzubitten und das geschieht hiermit. Ihr alle tut es und auch Herr Elias Brammer ...«

Man sah sich um. Dieser war nirgends zu finden.

»Es geht auch ohne ihn,« fuhr der Bahnmeister fort. »Im Namen aller, die hier versammelt sind, sage ich es, daß es uns leid tut, was wir dir getan haben und daß wir jedes gesprochene ehrenrührige Wort zurücknehmen. Damit wirst du zufrieden sein, und nun das geschehen ist, bringe ich ein Hurra für Jan Blaufink aus, in das alle einstimmen müssen. Eins! Zwei! Drei!«

»Hurra, Hurra, Hurra!« hallte es an allen Enden wider. Jan Blaufink wurde von den Männern und den Jungen, die noch eben über ihn zu Gericht saßen, umringt. Sie schüttelten ihm die Hände und die Freundschaftsbeteuerungen nahmen kein Ende.

»Und nun, mein Junge,« sprach der Bahnmeister, dessen Herz nach diesem Akt der Gerechtigkeit merklich erleichtert war, »sollst du dein Recht ganz und gar von mir empfangen. Sie hatten schon beschlossen, wenn heute der Meisterschmaus stattfindet, solltest du davon ausgeschlossen sein und was sie sonst noch tun wollten, das sage ich gar nicht; jetzt aber bekommst du deinen Platz nicht bei den andern Radjungen am Seilertisch, sondern du sollst an der Gesellentafel obenan sitzen und die Frau da, der wir auch ein Unrecht taten, sitzt bei dir, und wenn unsere Weiber auch ein noch so schiefes Gesicht dazu machen. Und nachher, wenn wir den Inhalt dieser Büchse teilen und dein Part fällt etwas reichlicher aus, als es sonst geschehen wäre, so wirst du es wohl nicht übel nehmen. Jan, mein Junge, ich sage dir, mir ist leicht ums Herz, daß es so gekommen ist.«

Er schüttelte dem jungen Burschen die Hand. Dieser umfaßte Frau Rosmarin und ging mit ihr den Bäumen zu, unter denen eine Grasbank zur Ruhe einlud. Seine Kameraden stürmten ihm voran und schrien laut:

»Da kaam wi mit Jan Blaufink an!«

*

Moder Möllersch.

Die Regenwolken zerstreuten sich und es gab Sonnenschein. Der Tag, der so verhängnisvoll begann, endete in Lust und Freude. Die arme, vergessene Schauspielerin saß mit ihrem jungen Retter an dem obern Ende der Tafel und war der Gegenstand des allgemeinsten Wohlwollens. Die ehrlichen Burschen wollten wieder gutmachen, was sie in ihrem Eifer verschuldeten. Man nickte ihr zu, und sprach vertrauliche Worte mit ihr. Den Jan behandelten die Gesellen als einen ihresgleichen und der Bahnmeister brachte seine Gesundheit aus. Der Baas der Werft hatte von dem Vorfall gehört. Er ließ den Radjungen zu sich rufen, lobte ihn und gab ihm ein reiches Geschenk. Als der Inhalt der Büchse verteilt wurde, steckte der Bahnmeister ihm seinen Anteil in die Tasche und sagte:

»Nun gehe mit deiner Alten nach Hause und lasse es dir bei ihr ein paar Tage wohl sein. Ich will es bei dem Baas vertreten. Nach einer ungewöhnlichen Arbeit muß auch eine ungewöhnliche Ruhe stattfinden. Wenn du wiederkommst, nimm dich tüchtig zusammen, dann soll es mit dem Radjungen nicht lange dauern.«

So waren Jan Blaufink und Mutter Rosmarin bei Jungfer Mewes auf dem Saal angelangt. Diese hatte gerade eine gute Stunde. In ihrem Kalender stand Sonnenschein, und die mancherlei guten Gaben, welche vor ihr ausgekramt wurden, steigerten die heitere Laune so sehr, daß sie bei Empfangnahme der rückständigen Miete und des Kostgeldes sagte: »Einen solchen braven Burschen gibt es nicht mehr auf der Welt. Bleibe, solange du willst; ich störe euch nicht und ihr sollt in der Wohnung wirtschaften, ganz nach euerm Belieben.«

Die beiden machten von dieser Erlaubnis den bescheidensten Gebrauch. Sie saßen einander gegenüber und plauderten von vergangenen Dingen und von künftigen. Sie bauten Luftschlösser, die nach wenigen Augenblicken zusammenstürzten, um neuen Platz zu machen, die hoch emporragten, um alsbald wieder zu verschwinden.

Seit einiger Zeit war es eigentlich nur Jan, der sich die Mühe gab, die seltsamsten Dinge zu ersinnen und alles vorzutragen, was wie ein ungewisses Etwas in seiner Seele brütete. Frau Rosmarin war nachdenklich geworden. Sie sah ihren jungen Freund unverwandt an; allein sie hörte nicht auf das, was er sprach. Ihre Gedanken waren weit von dieser Stätte. Sie schweiften in eine vergangene Zeit zurück und riefen Bilder in ihr wach, welche sie in eine wehmütige Trauer versetzten.

Obgleich von der Gegenwart und ihrem Glanze vollständig erfüllt, mußte Jan doch endlich bemerken, was mit Frau Rosmarin vorging. Er hielt inne mit sprechen, ohne daß ihr dies aufgefallen wäre, und sagte:

»Mutterchen, was ist dir? Du läßt den Wein verdampfen, den ich dir einschenkte? Du hörst nicht auf das, was ich dir erzähle, und als ich zu sprechen aufhörte, merktest du es nicht einmal. Was hast du denn nur?«

Mit einem tiefen Atemzuge sah sie auf und blickte ihn mit einiger Verlegenheit an:

»Vergib mir, Jan. Ja, ich sage es offen und frei, mir fielen die vergangenen Tage ein und darüber vergaß ich die Gegenwart. Seit gestern Abend, da die Feuersäule in die Luft stieg und das Haus in Trümmer versank, woran ich stets nur mit einem innern Schauer dachte, ist eine vollständige Veränderung mit mir vorgegangen.«

»Ich habe es wohl bemerkt, wie sehr es dich erschreckte. Du hättest lieber nicht dahin gehen sollen.«

»Ich wäre gestorben, wenn ich es hätte unterlassen müssen. Aber, es ist nicht das allein. Als ich in dein liebes Gesicht sah, wie es vom Feuer angestrahlt wurde, betrachtete ich diese Züge, diese Locken, die auf den Hals herabringeln, genauer. Und wenn ich jetzt in diesem Augenblick das Lächeln schaue, das um deine Lippen spielt; wenn ich in deine Augen blicke, welche so hell leuchten, gibt es mir einen Stich in das Herz. Mir ist es, als sollte ich an der Wunde verbluten, und doch wieder wird mir so selig zumute, als hielte alles Glück der Erde seinen Einzug in diese verödete Brust.«

»Du machst mich bange, Mütterchen,« sagte Jan, und als er sie anschaute, kam sie ihm wie eine Fremde vor, so sehr hatte sie sich verändert.

Sie nahm seine Hand, welche sie zwischen der ihrigen hielt und entgegnete:

»Das will ich nicht, mein Kind. Vielmehr will ich dich inniger und fester mit mir vereinen, indem ich dir alles vertraue, was dies Herz belastet. Nichts soll dir verschwiegen bleiben. Jedes Geheimnis verschwindet mit dieser Stunde zwischen uns. Ich muß einen Menschen haben, an den ich mich wenden und meinen Schmerz vor ihm ausschütten kann. Ich brauche ein Herz und wähle mir das deine.«

»Nimm es hin ganz und gar. Es betrügt dich nicht.«

Und Frau Rosmarin begann die Geschichte ihrer Vergangenheit zu erzählen, von dem Tage an, da sie sich als ein verwaistes Mädchen in dem Hause ihres Oheims, des Großböttchermeisters Lorenz Ramke, befand und ihre Muhme, die Frau Janna Straußin, ihre Tyrannin wurde. Und von dem schwarzgelockten Dunkelschön sprach sie, der sie mit seinen glänzenden Augen fest anschaute und mit dem ersten Blicke sie für das ganze Leben gewann. Wie sie das Theater betrat, welchen Ausgang dies Beginnen nahm, und was die Folgen ihrer Flucht mit dem Geliebten waren, bis zu der Stunde, da er gewaltsam von ihrer Seite gerissen wurde, und sie in den dunkeln Kellergewölben verschwand, worin sie als lebendig Begrabene eingeschlossen wurde.

»Helfe mir Gott! Das ist schrecklich!« sagte Jan mit einem tiefen Atemzuge. »Nun begreife ich deine Erregung, als es hieß, auf dem Brauerknechtsgraben brennt das Haus der Straußin. Das nenne ich mir einen Leichenstein.«

»Er ist aus einem Meer von Tränen erbaut. Tausende von Seufzern wurden unter ihm begraben.«

»Und nie hast du ein Wort von deinem Manne erfahren?« fragte Jan nach einer Pause. »Seitdem er von deiner Seite gerissen wurde, blieb er spurlos verschwunden?«

»Er blieb es. Entweder fand er ein Grab, wie ich, aus welchem ihn keine mitleidige Seele erlöste, oder er ist von einer verruchten Mörderhand erschlagen.«

In dem Kopfe des Radjungen ging es bunt über Eck. Er machte sich von dem Schauspieler Eberhard Lohse, der sich den Namen Dunkelschön erwarb, ein eigentümliches Bild, das ihm, mit Sonnenglanz umgeben, aus dunklen Nebeln entgegentrat. Es schien ihn anzulachen und das Ganze gewann so viel Leben, daß er unwillkürlich die Arme ausbreitete, als wollte er ihn festhalten, und mit lauter Stimme rief er aus:

»Ich glaube nicht, daß er tot ist!«

Obgleich diese Worte laut genug gesprochen wurden, hatte Frau Rosmarin dieselben doch überhört. Sie hatte den Jan aufmerksam betrachtet und es kam eine eigentümliche Unruhe über sie. Ihren Gedanken lieh sie Worte und in stürmender Hast sprach sie vor sich hin:

»Es war mir oft, als sähe mich etwas aus diesen Knabenaugen an, das mich unwillkürlich fesselte; doch ich wußte nicht, was es war. Aber heute Abend, da ich meine ganze Vergangenheit vor mir aufrollte, als ich des Mannes dachte, dem ich mich ergab und an den ich mich fest schließen wollte, als ich ihn für immer verlor, ist die Ungewißheit gefallen und es beginnt zu dämmern. Sind das nicht dieselben Locken wie die, welche auf seine Schultern herabrollten? Ist das nicht der Blick seines Auges ... O, wie es blendet! Ich vermag es nicht zu ertragen!«

Sie bedeckte die Augen mit ihrer Hand. Jan ließ sie kurze Zeit gewähren, dann nahm er diese Hand, zog sie an sich und fragte:

»Tut es dir weh? Und was ist es, daß du vor dir hinsprichst, von dem ich kaum ein einzelnes Wort verstehe, und das dich so sehr traurig macht? Hast du mir heute so vieles vertraut, sage mir auch noch dies. Ich fühle es, ich wurde seit kurzem ein anderer. Mir ist die Knabenlust vergangen und des Spiels bin ich bei diesem Ernste überdrüssig.«

»Es ist mein Schicksal, daß ich diejenigen, die mir ihre Liebe schenken, mit in mein dunkles Verhängnis ziehe. Soll ich dir deine heitere Jugend rauben? Mache dich von dieser Trübsal los, mein Junge, und schaue mich wieder mit deinem hellen Lachen an. Und dann schließe auch du mir dein Herz auf. Es ist einmal die Stunde des Vertrauens. Lasse mich alles erfahren, was du von dir weißt.«

»Ja, das ist nun eben nicht viel!« sagte Jan lächelnd. »Daß ich jetzt Jan Blaufink heiße, weißt du, und wie ich zu dem Namen gekommen bin, weißt du auch. Wenn ich nun noch hinzusetze, daß sie mich früher Jan Kostkind hießen, so weißt du alles.«

»Jan Kostkind? Das klingt sonderbar. Wie soll ich es verstehen?«

»Das muß Mutter Möllersch am besten wissen,« sagte Jan. »Mir ist es nie eingefallen, danach zu fragen, sonst hätte ich es wohl erfahren.«

»Mutter Möllersch? Wer ist das?«

»Das ist eine alte Frau, bei der ich gelebt habe, so lange ich denken kann. Niemals habe ich eine andere Heimat gekannt. Ich war ihr Kostkind, obgleich es mit der Kost oft windig genug aussah und ich manchen Abend beinahe ebenso hungrig zu Bette ging, als ich des Morgens aufstand, bis es dann zuletzt nichts mehr gab und ich fortgeschickt wurde in die weite Welt, weil kein Kostgeld für mich mehr bezahlt wurde.«

»Wer bezahlte es denn vorher?«

»Ich weiß es nicht. Moder Möllersch hat es mir nicht gesagt und sie danach zu fragen, ist mir nicht eingefallen. Glaube auch, daß sie mir keine Antwort darauf gegeben hätte.«

»Du mußt es noch tun,« sagte Frau Rosmarin. »Wir leben jetzt in Ueberfluß. Bezahle ihr einen Teil von dem, was du ihr schuldig geworden bist, ohne dein Versehen. Versprich, daß sie künftig, wenn dein Verdienst größer wird, mehr haben soll; nur löse sie das Geheimnis. Bedenke, mein Kind, daß es dir dadurch vielleicht möglich wird, deine Herkunft zu entdecken und welche entsetzlichen Ereignisse dich von deinen Eltern trennen. Wer weiß, ob sie am Ende nicht noch am Leben sind und dich mit offenen Armen empfangen, dich, den sie vielleicht jahrelang für tot hielten.«

»Wenn das wäre!« rief Jan aufspringend. »Wenn ich meine Mutter fände! Meine wirkliche, rechte Mutter! Juchhe! Ich hätte dann zwei Mütter statt einer. Und doch weiß ich nicht, ob ich die neue so gern hätte, als dich. Wie es zugeht, daß ich dich so sehr liebe, weiß ich nicht, ebenso wenig, als ich weiß, wie ich ohne dich leben soll, seitdem ich einmal in deinen Armen lag und deine Hand mich segnete. Besser wäre es, ich forschte nicht weiter nach etwas, das mich nur noch trauriger macht, wenn ich es erfahren habe.«

»Tue es dennoch,« bat Rosmarin. »Um deinet- und um meinetwillen tue es. Mir ist es, als winke uns von dorther Ruhe nach langem Sturm.«

»Gut!« sagte Jan. »Ich will es tun. Morgen früh gehe ich hinaus zur Bahn. Es ist zwar noch mein freier Tag, aber ich muß doch den Leuten zeigen, daß ich nicht mit allem Gelde, das sie mir schenkten, auf und davon gegangen bin. Sieh mich nicht so traurig an, Mutterchen. Ich weiß schon, daß es unrecht war, mit etwas zu spaßen, was man in der Wirklichkeit bitter erfahren hat. Morgen also gehe ich hin und wenn ich etwas erfahren habe, komme ich gleich hierher und sage es dir. Gute Nacht. Du sollst schlafen gehen. Es ist Zeit und die Jungfrau Mewes hat schon die Bettdecke über beide Ohren gezogen. Ich krieche oben hinauf in meine gewohnte Lagerstatt. Gute Nacht!«

*

In der Reeperbahn ging es in der gewohnten Weise her. Die Seilerknechte gingen langsam rückwärts und mit jedem Schritte wurde der Faden länger. Der Bahnmeister hatte seine Augen überall und sprach eben jetzt mit einem kleinen untersetzten Mann im blauen Schanzloper und einem großen Dreimaster aus dem Kopf, dem man den Holländer auf den ersten Blick ansah. Er hatte für seine kleine Kuff den nötigen Bedarf an Tauwerk gekauft und bezahlt und plauderte nun gemütlich weiter mit dem Bahnmeister, den er früher, als derselbe zur See fuhr, eine Zeitlang zum Backgenossen hatte und gute Maatschaft mit ihm hielt.

»Es ist gut, Jantje!« sagte er zu diesem. »Wenn es Euch lieb ist, will ich Euch gern den Gefallen tun, da ich gerade einen solchen Jungen brauchen kann.«

»Ihr werdet es nicht bereuen, Hans Kramer. Der Jan Blaufink ist ein ehrliches Blut und ich kann es nicht vergessen, daß ich der erste war, der ihn hart anließ und in Gedanken schon an das Zuchthaus dachte. Der Junge ist, wie ich ihn kennen gelernt habe, zu etwas Besserem auf die Welt gekommen, als das Rad zu drehen und Hanf zu verspinnen. Ich müßte mich schlecht darauf verstehen, oder es steckt ein Seemann darin, wie nicht alle Tage einer über die rote Tonne hinaussegelt.«

»Macht nicht so viele Worte, Jantje,« entgegnete der Schiffer Hans Kramer, der das Glück hatte, die Amsterdamer Kuff »Vrouw Margarethe« zu kommandieren. »Ich habe es einmal versprochen und halte Euch mein Wort. Kann man den Jungen denn nicht zu sehen bekommen? Wo habt Ihr ihn?«

»Er hat zwar, um des Vorfalles willen, von dem ich Euch erzählte, heute noch einen freien Tag, allein ich denke mir, das müßige Umherlungern ist ihm leid und ehe wir es uns versehen, ist er mitten unter uns.«

Er war schon ganz in der Nähe. Die Seilerknechte, die seit dem unerwarteten Ausgange ihres Gerichts für den Radjungen Jan eine große Zuneigung hatten, empfingen ihn mit einem lauten Hallo. Der Bahnmeister ließ ihn zu sich bescheiden, stellte ihn dem Schiffer vor und sagte:

»Das ist der Mann, der sich erboten hat, sich deiner anzunehmen, wenn du die Lust und das Zeug dazu hast, ein ordentlicher Seemann zu werden. Was meinst du. Junge? Hättest du nicht Lust zu einer Probereise nach Amsterdam und da herum?«

»Ein Seemann soll ich werden?« rief Jan Blaufink und schlug vor Verwunderung in die Hände. »Ein ordentlicher Seemann, mit einer blauen Jacke und einem blanken Lederhut auf dem Kopfe? Und Ihr wollt mich dazu machen, lieber Herr? Wollt mich bei Euch an Bord nehmen und mich lehren, was ich zu tun habe, um ein tüchtiger Matrose zu werden?«

»Will es tun,« antwortete Hans Kramer, »weil dieser Mann, der früher mein Backsmaat war, dich empfohlen hat und sich dafür verbürgt, daß man es mit dir wagen kann.«

»Ihr habt das getan? Tausend Dank für das Wort. Und was Eure Bürgschaft anbetrifft, sollt Ihr Euch nicht betrogen haben; ich mache Euch keine Schande, darauf mögt Ihr Euch verlassen.«

»Gut, mein Junge,« entgegnete der Bahnmeister. »Und nun kann Kapitän Dankbars Prophezeiung in Erfüllung gehen.«

»Was für eine Prophezeiung ist das?« fragte der Schiffer.

»Es soll bei Euch Holländern einen Radjungen gegeben haben, in Vlissingen glaube ich, der es bis zur Admiralschaft gebracht hat, und nun meinte Kapitän Dankbar, es könne dem Jan ebenso gehen.«

»Ihr sprecht von unserm de Ruiter. Solche Radjungen werden nicht alle Tage geboren. Nun, Junge, du kannst morgen früh an Bord der Kuff »Vrouw Margarethe« kommen. Sie liegt beim Westergat. Bringe alle deine Habseligkeiten mit, denn um Mittag ist Hochwasser und dann werfen wir die Taue los.«

»Die Habseligkeiten werden nicht sonderlich vielen Platz wegnehmen, Herr!« sagte Jan. »Könnte sie beinahe in die Tasche stecken.«

»Wills glauben!« sprach der Schiffer lachend. »Weil du aber von jetzt ab zu meinem Schiffe gehörst, will ich dafür sorgen, daß wenigstens die Rundjacke und der Lederhut zu dem Kerl passen. Komm mit!«

Beide gingen nach der Stadt und in einen der Läden, wo für die Ausrüstung der Seeleute von der schottischen Mütze im kalten Winter an bis zum leichten Segeltuchschuh für die Hitze der Tropen gesorgt ist. Als sie nach einer halben Stunde wieder heraustraten und Jan vom Kopf bis zum Fuß in einen Matrosen verwandelt war, rief er dem Schiffer zu, daß er unfehlbar zur rechten Zeit an Bord sein werde, dann aber eilte er mit dem Rufe »So müssen sie mich auf der Neptunswerft sehen!« dem Brocktor zu.

Es war Mittag. Die Leute stiegen von den Gerüsten und jeder ging an den Ort, wo seine Schüssel rauchte. Auch Mutter Möller war keuchend angelangt mit ihren vollen Töpfen und verteilte die einzelnen Portionen mit dem gewöhnlichen Murrsinn. Als sie die Kelle niederlegte und sich auf einen Hauklotz niederließ, um das Ende der Mahlzeit abzuwarten, sagte es mit lauter Stimme hinter ihr:

»Mutter Möller, bekomme ich schon wieder nichts ab? He?«

»Wer will etwas abhaben?« fuhr sie auf und schaute die zierliche Rundjacke, welche vor ihr stand, mit blöden Augen an. »Wer ist der Kerl und was will Er von mir?«

»Kennt Sie denn das Kostkind Jan nicht wieder?« fragte dieser und lachte die Alte an, welche noch immer nicht zu Worte kam und ihn kopfschüttelnd ansah. »Ich glaube, das macht der große Hut. Ich will ihn abnehmen, damit Sie besser in mein Gesicht sehen kann. So! Ist es nun recht?«

»Kommt der Taugenichts wieder zu mir?« rief sie aus.

»Nein, Mutter Möller! Ich wünsche vielmehr, daß Sie zu mir kommt.«

»Zu dir! Zu dir! In welche Hölle würde ich da geraten?«

»Ein wenig hoch ist es zwar,« entgegnete Jan, »allein von einer Hölle ist darin nichts zu spüren. Es soll dort sehr heiß sein und wir haben in unserer Kammer schon rechtschaffen gefroren. Aber im Ernste, Mutter Möller, Sie muß mit mir kommen. Es soll Ihr Schade nicht sein. Glaube sogar, daß Sie einen Teil des rückständigen Kostgeldes in Empfang nehmen kann.«

»Ist die alte Martha wieder lebendig geworden?« fuhr Mutter Möller auf.

»Das weiß ich nicht zu sagen,« erwiderte Jan. »Weil aber die Menschen, wenn sie einmal tot sind, auch tot bleiben, wird mit der alten Martha keine Ausnahme gemacht werden. Da! Ihre Kostgänger sind auf und davon. Packe Sie Ihre Schüsseln und Töpfe zusammen und dann komme Sie mit mir. Was ich Ihr mit Gewißheit versprechen kann, ist ein Glas echter Schiedamer.«

Jan kannte die schwache Seite von Mutter Möller. Ein stärkender Tropfen im Verborgenen war eine Lockung, der sie nicht zu widerstehen vermochte. Sie machte sich schweigend an ihr Geschäft, während Jan sich rechts und links umsah, ob er nicht einem oder dem andern seiner ehemaligen Kameraden in den Weg lief, als der Werftmeister ihm den Weg vertrat und fragte:

»Was sucht Er hier?«

»Werftmeister, ich hole nur die Mutter Möller ab, die mit einem gesunden Schluck bei mir vorlieb nehmen will, und bin froh, Euch bei dieser Gelegenheit meinen Dank für erfahrene gute Behandlung ausdrücken zu können.«

»Wer Teufels ist das?« rief dieser. »Sehe ich denn recht ...

»Glaube wohl, daß Ihr nicht fehl geht, wenn Ihr mich für den Taugenichts haltet, welcher Euch die gefährliche Rebellion entdeckte. Reise morgen nach Amsterdam und nehme Abschied von Euch, indem ich Euch bitte, die beiden Zöpfe des Matthes und des Hans von mir zu grüßen und ihnen zu sagen, daß es meine Schuld ist, wenn die Köpfe ihrer Herren gegeneinander klappten.«

»Sage es ihnen selbst, wenn du Lust zu einer Tracht Schläge hast,« brummte der Werftmeister. »Warum bist du hierher gekommen und was treibst du?«

»Meine Rundjacke zeigt Euch, daß ich Seefahrer werden soll,« entgegnete Jan. »Und da ich morgen von der Stadt gehe, bin ich heute hierher gekommen, um die Stelle nochmals zu sehen, wo ich zuerst scharwerken lernte, und um Abschied von Euch zu nehmen und Euch zu bitten, mir meine Jungensstreiche nicht nachzutragen. Gebt mir die Hand darauf, Herr, daß Ihr es vergessen wollt. Ich konnte nicht immer still schweigen, wenn ich getreten wurde; ich mußte auch einmal aufschreien. Aber nun ist die Mutter Möller mit dem Einpacken fertig, und wenn ich noch länger warte, geht sie ohne mich davon. Sagt Euerm Baas meinen Dank für seine letzte Guttat und daß ich sein Wort wahr machen will. Lebt wohl, Werftmeister, und wenn Ihr es morgen über Euch gewinnen könnt, wünscht mir eine glückliche Reise.«

Mit einem Sprunge war er bei der alten Frau, nahm ihr den schwersten der beiden Körbe aus der Hand, und ehe der Werftmeister noch das passende Wort finden konnte, war Jan bereits außerhalb der Pforte.

*

Mit Verlangen sah Frau Rosmarin der Rückkehr ihres Jan entgegen. Seit dem Gespräch am gestrigen Abend war sie in einer sehr erregten Stimmung. Früh Morgens war Jan fortgegangen, ohne sie zu sehen. Jungfer Mewes hatte nur gesagt, er wollte so bald als möglich wiederkommen. Sie zählte die Minuten bis dahin.

»Endlich!« rief sie und eilte der Treppe zu. Sie kannte den Tritt des Jungen genau.

»Da bin ich!« rief er ihr entgegen. »Die alte Mutter Möller keucht hinter mir drein.«

Dann aber legte er den Finger auf den Mund und sagte so leise, als er konnte:

»Laßt sie ruhig gewähren. Ich kenne ihre Weise und habe mitgebracht, was uns frommt.«

Nach einer Pause trat Mutter Möller keuchend ein:

»Warum narrst du eine alte Frau die steilen Treppen hinauf? Was soll's hier nun und wo ist der Narr, der mir goldene Berge versprach?«

»Hier, Mutter Möller!« sagte Jan. »Setze Sie sich daher auf den Schemel und nehme Sie dies Glas aus meiner Hand. Echter Schiedamer aus Cord Lewens seinem Laden. Lasse Sie es sich wohl bekommen.«

Das alte Weib schlürfte ihren Genever in aller Behaglichkeit. Frau Rosmarin betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit, allein sie konnte in diesen verwitterten Zügen nichts Bekanntes entdecken.

Jan füllte das leere Glas aufs neue und setzte sich dann der Alten gegenüber, indem er mit dem Gelde in der Tasche klingelte:

»Hört Sie die Musik?«

»Ist es das versprochene Kostgeld, was Sie mir bislang schuldig geblieben sind?«

»Sie soll bald einen Teil davon in die Hand bekommen; vorher aber muß Sie mir etwas versprechen. Sie muß mir sagen, wer die alte Martha eigentlich gewesen ist.«

Sie sah den Fragenden an und sagte mürrisch: »Was geht es dich an?«

»Soll ich nicht wissen, wer so barmherzig gewesen ist, für meinen Unterhalt zu sorgen?« entgegnete Jan. »Es ist noch Stoff da für ein drittes Glas, wenn Sie die Wahrheit sagt.«

»Nun, Söhnchen,« sagte Mutter Möller, die in eine erhöhte Stimmung geriet. »Von Barmherzigkeit war dabei nicht die Rede. Vom Rechte auch nicht, denn sonst hättest du müssen, statt in meinem Keller, in dem schönen Hause wohnen.«

Sie schwieg einen Augenblick, dann aber fuhr sie auf:

»Jetzt hätte es dir auch nicht mehr genützt, denn es ist mit Stumpf und Stiel verbrannt. Hast du nicht gesehen, wie rot in der verflossenen Nacht der Himmel war?«

Bei dieser Aeußerung konnte Frau Rosmarin einen Schrei nicht unterdrücken. Mutter Möller hörte es und fragte:

»Ist noch jemand hier?«

»Die Frau, bei der ich einwohne; die stört uns nicht. Danach also darf ich annehmen, daß die alte Martha auf dem Brauerbe der Frau Janna Straußin diente.«

»Sie war die Altmagd dort. Aber was weißt du von der Frau Janna Straußin?«

»Sie nannte ja vorhin ihren Namen. Weiß Sie es nicht mehr? – Aber Sie vergißt Ihr Glas, Mutter Möller.«

»Das wärmt! du bist ein guter Junge. Also ich hätte es vorhin gesagt? Nun, mag es sein. Ich habe zwar geschworen, es mein Lebtag nicht zu sagen, allein nun ist es doch geschehen und sie sind ja alle tot, da schadet es nicht mehr.«

»Aber ich, das Kostkind, bin noch da!« sagte Jan und klingelte wieder mit dem Gelde. »Nun will ich mein zweites Versprechen halten. Mache Sie die Hand auf. Ein, zwei, drei, vier! Das ist der erste Satz. Wieviel gab Ihr die alte Martha in der Woche für mich? Es ist nur, daß ich weiß, wieviel ich Ihr im ganzen zahlen muß.«

»Eine Mark habe ich bekommen; keinen Dreiling mehr. Nachher wurde es noch weniger und zuletzt hörte es ganz und gar auf.«

»Da werde ich tüchtig nachzahlen müssen. Sie kann sich freuen, denn Sie bekommt einen ganzen Beutel voll Geld auf einmal. Aber die Mutter von dem Kostkind. Wie ist es damit geworden?«

»Du weißt nicht, was du sprichst.«

»Wir wollen die erste Mark vollmachen. Noch einmal her die Hand.«

Jan ließ einen Schilling nach dem andern in dieselbe fallen und sagte:

»Sie weiß ja, daß die Martha den Mund nicht halten konnte, wenn sie ihre Kanne Bier herunter hatte, und hat gewiß von der Mutter des armen Kostkindes erzählt ... So! Nun sind die sechzehn voll! – Mutter Möller, wie lange hat denn die arme Christine in dem dumpfen Keller gesessen?«

»Die Komödiantendirne!« rief Mutter Möller. »Wer schluchzt denn so sehr?«

»Ich habe Ihr ja schon gesagt, daß es die Frau ist, bei der ich einwohne. Wir wollen uns um die nicht kümmern, sondern in unserm Gespräch weiter fortfahren.«

»Nein,« sagte Mutter Möller ausweichend. »Ich bin müde und will nach Hause gehen. Du mußt mich dahin bringen. Du hast es mir versprochen.«

»Freilich will ich das. Und morgen, wenn ich Sie besuche, bringe ich neues Geld und neuen Schiedamer. Lasse Sie es nur ein wenig mehr dämmerig werden, dann brechen wir auf.

»Also Sie meint, daß die Haft mehrere Jahre gedauert hat?«

»Freilich, mehrere Jahre. Du warst schon tüchtig herangewachsen, bevor die Straußin starb und die junge Dirne alles verriet.«

»Und meine arme Mutter hat eine jahrelange Pein geduldet, ohne daß einer so menschlich war ... Nicht doch, ich wollte nur sagen, daß ich mich wundere, wie der Christine ihr Mann – sie hieß Christine, weiß Sie, – sich nicht darum gekümmert hat, wo seine junge Frau geblieben ist.«

»Er konnte ja nicht!« kicherte Mutter Möller in sich hinein.

»Konnte er nicht?« fragte Jan hastig. »Sprich, Weib, haben sie meinen Vater ermordet?«

»Nein, Jungchen!« lallte Mutter Möller. »Sie haben ihn an die holländischen Werber verkauft.«

Frau Rosmarin, welche dieses Gespräch in der größten Aufregung anhörte, stürzte mit einem gellenden Schrei zu Boden. Jan eilte zu ihr und trug sie auf ihr Bett. Jungfer Mewes war mit Rat und Tat zur Hand.

Mutter Möller taumelte von ihrem Schemel auf: »Mein Kopf brennt! Ich halte es hier nicht länger aus. Was für ein entsetzensvoller Schrei war das?«

»Der Todesschrei der armen Christine Ramke, welcher Ihr alles gestohlen habt und die Euch dafür vor Gott verklagt!« schrie Jan in seiner Todesangst, indem er sich über seine Mutter beugte, die in einer todesähnlichen Erstarrung da lag. »Sieh zu, alte Hexe, wo du bleibst! Sie wird dich finden und dich töten.«

Das alte Weib tappte noch dem Ausgange. Unten auf der Treppe begegnete ihr Jungfer Mewes, die in der Angst zu dem nahe wohnenden Arzt gelaufen war, der ihr auf dem Fuße nachfolgte.

Der erfahrene Mann schlug der Ohnmächtigen eine Ader. Das Leben kehrte wieder. Nach ein paar Stunden war die Gefahr vorüber und Jan konnte seiner Mutter von dem Glücke erzählen, das ihm zuteil geworden, und daß er mit dem beginnenden Tage seine neue Lehrzeit antrete.

»Kaum gefunden und schon wieder getrennt!« klagte die bleiche Mutter mit Tränen in den Augen.

»Und nach der Trennung folgt ein heiteres Wiedersehen!« tröstete Jan zärtlich und zog die Mutter an sich. »Diese Nacht bleiben wir zusammen und sprechen von künftigen, besseren Tagen, die ich dir bereiten will.«

*

Zum Seegat aus und ein.

Es polterte auf der Saaltreppe.

Jungfer Mewes, deren Sonnenschein in einen Regentag umgeschlagen war, fuhr scheltend gegen die Tür, welche sich eben öffnete. Sie zog sich aber ebenso schnell zurück, als sie die robuste Gestalt erblickte, welche durch dieselbe eintrat.

»Mit Verlaub,« sagte der Eintretende. »Ich bin der Jollenführer Jakob Maifisch und wollte fragen, ob hier herum eine Frau wohnt ...«

»Ich bin nicht verheiratet!« platzte Jungfer Mewes heraus.

»Danach habe ich nicht gefragt,« entgegnete Jakob Maifisch. »Sie hätte mich sollen ausreden lassen, dann hätte Sie gehört, daß ich eine Frau aufkreuzen will, die Rosmarin heißt.«

»Ich bin diese Frau,« sagte die Schauspielerin, welche sich schnell erhob. »Was bringt Er mir?«

»Komme von Bord der Kuff »Vrouw Margarethe«, die vor drei Stunden unter Segel ging. Schmuckes Fahrzeug! Spiegelblank von innen und von außen. Soll Ihr einen Gruß bringen.«

»Von meinem Sohn?« fragte Frau Rosmarin und die Freude rötete ihre Wangen.

»Von ihm. Wenn es mir gleich nicht in den Kopf will, daß ein Junge Jan Blaufink heißt und die Mutter heißt Rosmarin.«

»Lieber Mann, es ist ...«

»Stiefkind oder so etwas dergleichen, mutmaße ich,« sagte Jakob Maifisch. »Geht mich aber gar nichts an und hat mit meinem Gewerbe nichts zu tun. Ihr Junge schickt Ihr einen schönen Gruß und von der monatlichen Heuer, die er bekommen hat, bringe ich Ihr die größere Hälfte. Er läßt dabei sagen, daß Sie sich dafür gute Tage machen soll.«

Er zählte das Geld auf den Tisch. Der Mutter traten vor Rührung die Tränen in die Augen und leise sagte sie:

»Gottes Segen mit einem Sohne, der so in Liebe seiner Mutter gedenkt.«

»Da ist das Geld. Und Sie soll sich um ihn keine Sorge machen, hat er auch noch gesagt. Nun, Adjes.«

»Er wird doch meinen Dank nicht verschmähen?« fragte sie, den Boten ihres Sohnes freundlich ansehend. »Er hat um meinetwillen Versäumnis gehabt und ich möchte gern ...«

Sie streckte die Hand nach dem Gelde aus. Jakob Maifisch trat ihr einen Schritt näher und sagte mit gerunzelter Stirn:

»Sie ist wohl noch nicht viel mit Jollenführern umgegangen?«

»Nein, in der Tat nicht!« war die Antwort auf diese sonderbare Frage.

»Konnte es mir denken. Sie würde sonst gewußt haben, daß, wenn ein Schiffsjunge sich an den Jollenführer wendet, der das letzte Gut an Bord bringt und ihn bittet, einen Teil seiner Monatsheuer der armen Mutter zu bringen, der Jollenführer dafür keine Bezahlung nimmt, und wenn der Junge zehnmal Jan Blaufink und die Mutter Rosmarin heißt. Adjes!«

Jakob Maifisch ging. Frau Rosmarin setzte sich nieder und bedeckte die Augen mit der Hand. Sie achtete des aufgezählten Geldes nicht.

Auf Jungfer Mewes machte es die entgegengesetzte Wirkung. Die blanke Reihe von Vierschillingsstücken vertrieben die Regenwolken zum Teil von der Stirn und gestattete dem Sonnenstrahl einen gelegentlichen Durchbruch. Sie nahm die Hand von den Augen der weinenden Frau weg und sagte mit dem Ton des Vorwurfes:

»Was ist Sie für eine Mutter, daß Sie sich hinsetzt und weint, weil Sie einen Sohn hat, der seinen Verdienst mit Ihr teilt, damit Sie gute Tage haben soll? Er hätte es wohl lieber vertun sollen.«

»Nein, Jungfer Mewes! Nein.«

»Schaue Sie doch die blanken Dinger an. Es lacht einem dabei das Herz im Leibe. Lege Sie nur etwas davon für die Miete beiseite. Hat Sie sich noch immer nicht getröstet darüber, daß Ihr das Geld zufließt, ohne daß Sie die Hand ins Wasser zu stecken braucht?«

»Es ist nicht das, Jungfer Mewes ...«

»Nicht? Dann ist es etwas anderes. Und was denn? Aber, was frage ich lange, wenn ich doch weiß, daß ich keine Antwort kriege. Neugier plagt mich nicht, und was mir nicht freiwillig gesagt wird, will ich gar nicht wissen. Nehme Sie aber das Geld weg. Diebe haben scharfe Augen, wenn sie durch die Fenster der reichen Leute sehen.«

Jungfer Mewes bedachte nicht, daß ihr Saal vier Treppen hoch gelegen war und es daher mit dem Blick durch die Fenster seine Schwierigkeiten hatte; dann nahm sie ihre Schaube um und rauschte davon, denn sie erinnerte sich plötzlich einer guten Freundin, welche diese rührende Begebenheit mit großer Teilnahme anhören würde.

Frau Rosmarin atmete leichter auf, als sie allein war. Mit bewegtem Herzen verschloß sie die Liebesgabe des Sohnes, indem sie sagte: »Nur in der Stunde der höchsten Not will ich es angreifen,« dann aber setzte sie sich wieder an den gewohnten Platz und legte die Hand an ihre Stirn. Die Frau sann über ihr Schicksal oder eigentlich über das Schicksal ihres Sohnes nach.

»Es ist mein leiblicher Sohn. Ich weiß es und bin zufrieden in der Gewißheit,« sagte sie zu sich selbst. Aber die Welt hat diese Ueberzeugung nicht. Die Menge verlangt Beweise; unwiderlegbare, rechtsgültige Beweise. Wer glaubt es ihm, wenn er sagt, mein Vater war der Schauspieler Eberhard Lohse und ich bin der Erbe seines Namens? Reicht es aus, wenn ich mich als Mutter erkläre? Sie werden mich fragen, womit ich es beweise? Wo ich das Dokument habe, welches bekundet, daß Eberhard Lohse mein rechtmäßiger Ehemann war? Das ist es! Dafür zu sorgen bin ich verpflichtet. Getrost, mein lieber Sohn! Wenn du nach einigen Wochen von deiner Reise wiederkehrst, sollst du alles geordnet finden. Gleich Morgen lege ich die Hand an mein Werk. Für alles andere habe ich keinen Sinn, bis das in Ordnung gebracht ist.«

Und als die Frau diesen Entschluß gefaßt hatte, legten sich die stürmischen Wogen. Sie konnte ruhig an ihr Tagewerk gehen.

Jungfer Mewes war am andern Morgen im Begriffe aufzustehen und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Es war noch ungewiß, ob heute das Regenwetter oder der Sonnenschein die Oberhand gewinnen würden. Da erschien Frau Rosmarin vor ihrem Bette, völlig angekleidet und bereit zum Ausgehen. Gleich stand die Mewes auf beiden Beinen und fragte:

»Was soll das bedeuten?«

»Ein unaufschiebbares Geschäft zwingt mich, so früh am Tage auszugehen. Auch ist der Weg, den ich zu machen habe, weit und ich glaube kaum, daß ich vor morgen Abend wieder zu Hause bin. Sie muß ja nicht auf mich warten. Behüte Sie Gott, Jungfer Mewes und halte Sie gut Haus.«

Frau Rosmarin beeilte sich nach diesen Worten, den Ausgang zu gewinnen, bevor Jungfer Mewes Worte fand. Sie wußte wohl, daß diese dann sobald kein Ende nahmen.

*

Von Hamburg aus wendet sich der Blick nach dem Dorfe Geesthacht, dessen Turm von der Höhe aus neugierig nach dem gegenüberliegenden Ufer der Elbe schaut. Es sind noch dieselben Häuser, dieselben Bäume, welche sich längs der Landstraße erstreckten, als Maienblüte und Dunkelschön den Weg nach der Pfarre einschlugen.

Es ist auch noch derselbe Pfarrgarten, in dessen Mittelallee der ehrwürdige Pfarrer Johannes Koch über des genialen Spaniers Drama vom traumhaften Prinzen nachsann und die Strafpredigt seiner Frau geduldig anhörte, weil er eine männerfeindliche Fürstin, die doch gedemütigt wird, auf die Bretter gebracht hatte und damit jämmerlich zu Falle gekommen war. Aber das Pfarrhaus ist nicht mehr ganz so, wie es vordem gewesen und auch die Bewohner desselben sind andere Leute, als damals.

Ehrwürden Johannes Koch, der die geknickte Maienblüte aufrichtete, indem er dem Bunde der Herzen durch den Segen der Kirche die Weihe gab, hatte den Schlag, der ihn so empfindlich traf, nicht verwunden. Zwar wirkte er auch ferner für die Kunst und berauschte sich in den Stunden der Muße an den heiteren Klängen der Poesie; allein öffentlich ließ er niemals wieder etwas davon hören. Endlich legte er sein sorgenschweres Haupt zur Ruhe und sein Weib folgte ihm in kürzester Zeit nach. Und als sollte die sichtbare Erinnerung an diesen Priester in dem Tempel des Herrn und dem Tempel der Kunst soviel als möglich ausgetilgt werden, erhob sich wenige Wochen nach seinem Hinscheiden ein furchtbares Unwetter, wie es in dieser Gegend seit langem nicht gewesen war. Die Donner rollten, der Regen goß in Strömen herab. Ein Blitz schlug in das Pfarrhaus und das Feuer griff um sich. Es wütete zunächst in dem Teil, wo die Studierstube lag und vernichtete die sämtlichen Bücher und Schriften des seligen Pfarrers, die dort aufbewahrt wurden, da der rechtmäßige Erbe sie noch nicht in Empfang genommen hatte.

Aber nicht nur diese Schriften, sondern auch das Kirchenbuch und andere Papiere, welche für die Gemeinde von hohem Werte waren, wurden dort, weil in der beschädigten Kirche Bauleute aus- und eingingen, in einem wohl verschlossenen Schrein aufbewahrt. Das Feuer, welches unerwartet vom Himmel fiel, griff mit solcher Schnelligkeit um sich, daß an eine Rettung dieses Schatzes nicht zu denken war.

Der niedergebrannte Teil des Hauses wurde wieder aufgebaut. Ein neuer Pfarrer hielt seinen Einzug in die Pfarre, und in der Studierstube wehte alsbald ein anderer Geist, als in jenen Tagen, wo die Wände von den melodischen Gesängen spanischer Dichterheroen widerhallten. Herr Pastor Knoop war ein strengorthodoxer Mann, der nichts Weltliches in seiner Nähe duldete und mit heiligem Eifer dazwischen fuhr, wenn das junge Volk in der Gemeinde seiner Lust ein wenig den Zügel schießen ließ. Er fuhr mit einem Weheruf dazwischen, so oft ein junger Gesell in der Schenke zum vollen Glase ein heiteres Schelmenlied sang oder die Dirne mit einem zu lauten Juchhe im Tanze schwenkte.

Der neue Pastor ging in der Allee auf und ab. Er sann über den Entwurf einer Predigt nach, die er am nächsten Sonntage seiner Gemeinde halten und ihr darin das Fegefeuer mit den gräßlichsten Farben schildern wollte, denn es waren neuerdings auf dem Jahrmarkte zu Alten-Eamm, hervorgerufen von seinem Geesthachter jungen Volke, einige Exzesse vorgefallen, die seinen höchsten Zorn erregt hatten. Der Herbstwind warf das vergilbte Laub von den Bäumen und trieb es in wirbelnden Kreisen vor ihm her. Es deutete bildlich die Stimmung des erzürnten Geistlichen an.

Pastor Knoop war unvermählt. Eine alte Magd führte ihm das Hauswesen. Sie war stets mürrisch und verdrießlich, und machte die Schatten, die der Herr verbreitete, noch undurchdringlicher. Diese kam von dem Hause her und vertrat dem Pastor den Weg.

»Was gibt es?

»Es ist eine Frau da, die den Herrn Pastor sprechen will.«

»Eine aus der Gemeinde?«

»Sie ist aus Hamburg und will den Herrn Pastor durchaus sprechen. Ich sagte, das ginge jetzt nicht, denn der Herr Pastor studiere seine Predigt, worauf sie erwiderte, daß sie warten würde und wenn es bis Mitternacht dauerte. Nun sitzt sie draußen auf der Bank.«

»So bringe sie in meine Studierstube und heiße sie warten. Wie heißt sie?«

»Christine Lohse hat sie sich genannt,« gab die Magd zur Antwort und ging, um den erhaltenen Befehl zu vollziehen.

Frau Rosmarin, welche diesen Trauernamen führte, als die liebliche Maienblüte verwelkt war, sah sich zwischen denselben Mauern, an demselben Platze, wo sie mit ihrem geliebten Dunkelschön von dem Pastor Johannis Koch feierlich eingesegnet wurde. Welche Gedanken, welche Empfindungen stiegen an dieser Stelle in ihrer Seele auf. Was hatte sie gelitten von jener festlichen Stunde an bis zu der gegenwärtigen! Sie wurde so sehr davon hingerissen, daß sie den Eintritt des Geistlichen überhörte und bei dessen Anrede zusammenfuhr.

»Verzeihung, ehrwürdiger Herr, daß ich es gewagt habe, zu stören. Allein meine Lage ist eine so beklagenswerte ...«

»Zur Sache, wenn es beliebt.«

»Ich bin verheiratet und habe meinen Mann verloren. Mein Sohn ist herangewachsen und soll in das öffentliche Leben treten. Der Taufschein ist verloren gegangen ...«

»Sie muß sich an den Geistlichen wenden, der die Kopulation vollzogen hat,« war die Antwort.

»Das kann ich nicht,« sagte Frau Rosmarin. »Er ist tot, und darum wende ich mich an seinen Nachfolger.«

»An mich? Ist Sie denn aus der hiesigen Gemeinde?«

»Nein, ehrwürdiger Herr. In unserer Not nahmen wir unsere Zuflucht zu dem Herrn Pastor Koch und er gab uns in Gottes Namen als christliche Eheleute zusammen. Jetzt stehe ich allein und habe meine ganze Hoffnung auf Euer Ehrwürden gesetzt, um einen neuen Trauschein zu erlangen.«

»Den kann ich Ihr nicht geben. Bei dem Brande, der vor einigen Jahren hier stattfand, sind die Kirchenbücher vernichtet.«

»Allmächtiger Gott!« rief die Unglückliche und ward bleich wie die Wand.

»Es ist ein Schicksal, welches Sie mit vielen teilt,« entgegnete Pastor Knoop. »Warum hat Sie ein so kostbares Dokument nicht sorgfältiger bewahrt?«

»Ich habe es nie gehabt. Mein Mann trug es bei sich und als er plötzlich verschwand ...«

»Er verschwand? Hier liegt also eine bösliche Verlassung vor. Die Sünde greift immer weiter um sich. Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet, wen er verschlinge. Er braucht nicht lange zu suchen. Die liebe Christenheit ist nur allzu bereit, in seinen Rachen hinab zu fahren.«

»Nein, ehrwürdiger Herr, so ist es nicht,« entgegnete sie, sich ermannend. »Er hat mich nicht böslich verlassen, er wurde mir gewaltsam geraubt.«

»Menschenraub! In unseren Tagen?« entgegnete der Pastor, die Stirn runzelnd. »Will Sie mir ein Märchen aufheften?«

»Es ist leider eine nur allzu traurige Wahrheit!« sprach Frau Rosmarin. »Ich sehe wohl, daß ich jeden Umstand mitteilen muß, wenn ich verstanden sein will, und bitte Euer Ehrwürden, mich in Gnaden anzuhören.«

Der Pastor erwiderte hierauf nichts und sie fuhr fort:

»Mein Name ist Christine Ramke. Ich lebte bei meinem Oheim, dem Großböttchermeister Lorenz Namke. Eines Tages begegnete ich einem jungen Manne. Er hieß Eberhard Lohse, weil er aber schön war und schwarze Ringellocken hatte, nannte man ihn allgemein Dunkelschön.«

»Was wird das?«

»Wir liebten uns, ehrwürdiger Herr, und begehrten, uns zu ehelichen; allein da meine Verwandten niemals eingewilligt haben würden, von wegen des Standes meines Geliebten ...«

»Warum stockt Sie?«

»So entlief ich aus dem Hause meines Oheims und entfloh mit dem Geliebten, der mir den Namen Maienblüte gab ...«

»Nicht weiter!« donnert, der Pastor die erschrockene Frau an. Ein Gewitter lagerte sich auf seiner Stirn. Eine Erinnerung früherer Tage tauchte vor ihm auf. Es war die Geschichte eines Amtsbruders, der seine Mußezeit damit vergeudete, weltliche Theaterstücke zu schreiben, und sich so sehr vergaß, mit den Komödianten in Verkehr zu treten und seine Spiele von ihnen aufführen zu lassen. Ihm war gesagt – und mit steigendem Ingrimm hatte er es vernommen –, daß es dem Volke bekannt geworden, wer der Verfasser jener Komödie sei, woraus man dieselbe ausgetrommelt habe und der Verfasser schimpflich aus dem Theater habe flüchten müssen. Und hier zu Geesthacht – inmitten der Gemeinde – flüsterte man sich zu, wie die Komödianten es gewagt hätten, bis hierher zu kommen, in den Pfarrhof zu dringen und dem Pastor zuzusetzen, bis dieser wider alles göttliche und menschliche Recht sich herbeigelassen habe, zwei dieser Vagabunden zu trauen und ihrem freventlichen, sündhaften Beisammenleben das Siegel der Kirche aufzudrücken. Und eine derselben stand nun vor ihm und verlangte von ihm, daß er jenen Frevel aufs neue bestätigen und verbriefen sollte.

»Nicht weiter!« wiederholte er mit noch größerer Strenge im Tone. »Hebet Euch weg. Befreit dieses ehrbare Haus von Eurer verpestenden Nähe. Ich kenne Euch nicht und weiß nichts von Eurer Ehe. Die Kirchenbücher sind in Flammen aufgegangen. Ein sichtbares Zeichen Eurer Verheiratung ist nicht vorhanden. Euer Wort hat keine Gültigkeit! Euer Eid keinen Glauben. Hebet Euch weg und kehrt nicht wieder hierher zurück oder ich vertreibe Euch mit Gewalt und donnere der Flüche schwersten auf Euer sündenschweres Haupt herab.«

Vor diesen furchtbaren Worten entsetzte sich die Unglückliche und entfernte sich. Als sie die Dorfstraße entlang schwankte, steckten die Weiber die Köpfe zusammen und sahen ihr neugierig nach. Als sie im Freien anlangte, brachen ihre Knie zusammen und sie weinte bitterlich.

*

Dem Herbste folgte der Winter. Er war lang und schwer. Aber allgemach kam doch der Frühling in das Land. Die Eisschollen krachten zusammen. Der sanft herabrieselnde, warme Regen löste sie vollends auf und das Fahrwasser der Elbe wurde frei. Die Segel fielen von den Raaen und die Schiffe steuerten aus dem engen Hafen in die freie, offene See. Andere, welche durch den früh einfallenden Winter verhindert gewesen waren, die Heimat zu erreichen, strebten jetzt derselben zu und segelten mit Flagge und Wimpel von der Gaffel und vom Topp in die Elbe hinein. Unter diesen war auch die schmucke Kuff, genannt »Vrouw Margarethe«, kommandiert von dem mannhaften Schiffer Hans Kramer und in diesem Augenblicke gesteuert von seinem jungen Maaten, dem Radjungen aus der Reeperbahn, Jan Blaufink.

Der Wind war schwach und füllte nur notdürftig die Segel. Die Flut schob die Schiffe vor sich her. Aber sie lief nur noch eine kurze Strecke. Es war kurz vor Hochwasser. Die Ebbe hätten die Schiffe nicht tot zu segeln vermocht, zumal oberhalb der Bucht von Wedel der Wind sich hinter den Bergen von Blankenese verkroch und völlig aufhörte. Die Segel, außer Kraft gesetzt, klatschten gegen Stange und Mast; die Schiffe trieben über Steuer.

»Blixum!« stieß Schiffer Hans Kramer heraus und schob die Mütze von einem Ohr auf das andere. »Blixum! Ich hatte gehofft, heute Abend bis an die Stadt zu kommen und muß nun die ganze Ebbezeit überliegen. Fallen den Anker!«

Es war noch jemand an Bord, dem diese Verzögerung ebenso leid war wie dem Schiffer, wenn er es auch nicht laut aussprach, und das war Jan Blaufink. Als die Arbeit getan war und das Schiff ruhig vor seinem Anker lag, stützte er sich mit dem Arm auf den Reeling und sah sehnsüchtig nach der Richtung, wo Hamburg mit seinen stolzen Türmen hinter den Bergen lag.

»Nun, Jantje! Wonach schaust du aus?« fragte der Schiffer, ihm auf die Schulter klopfend. »Hängst den Kopf, weil wir nicht an die Stadt gekommen sind? Hast Heimweh? Das taugt nicht für ein junges Seemannsblut.«

»Nein, Schiffer! Ich habe gerade kein Heimweh. Allein ich habe eine große Sehnsucht, die Mutter zu sehen und ihr zu sagen, wie es mir ging und wie herrlich es draußen auf dem blauen Wasser ist. Möchte ihr sagen, was ich gelernt habe und was ich noch lernen kann, wenn ich wieder mit Euch darf und ich bei Euch bleiben ...«

»Nein, Jantje, das ist nicht angängig, mein Junge. Will mir das Glück wohl, bekomme ich bald wieder eine neue Fracht und steuere den Weg zurück, den wir eben kamen. Dann magst du mich begleiten, damit Holla. Die »Vrouw Margarethe« bekümmert sich um dich nicht weiter.«

»Was meint Ihr damit, Schiffer?«

»Damit meine ich, daß du nicht an Bord eines solchen Fahrzeuges versauern darfst wie dieses. Ein Junge, der so tüchtig sein neues Handwerk angreifen lernte, wie du, muß andere Kurse steuern, als von Hamburg nach Amsterdam, oder wenn es hoch kommt, zur Veränderung einmal nach London. Dir liegen weitere Bahnen offen, durch den stillen Ozean und in die chinesische See, die ich nur von Hörensagen kenne.«

Der wackere Hans Kramer sprach aus dem Herzen heraus. Man fühlte, daß jedes Wort so gemeint war, wie es gesprochen wurde, Jan Blaufink fühlte sich tief davon berührt und drückte dem Schiffer die Hand. Dieser erwiderte den Druck und sagte:

»Während der Dauer unserer Reise, die länger währte, als ich glaubte, habe ich nicht mit dir davon gesprochen. Ich ließ dich gehen, schob nur mitunter etwas nach und merkte im stillen auf. Aber jetzt, wo die Reise ein Ende hat, kann ich dir sagen, daß ich meine Freude daran hatte, dich scharwerken zu sehen, und wie dir alles flink von der Hand ging. Ich schäme mich nicht, zu sagen, daß es Zeitverlust wäre, wenn du bei mir bliebst, denn du kannst aus meinem kleinen Schiffe nichts mehr lernen. Das bedenke und handle danach. Sage es deiner Mutter, sie möge sich darauf gefaßt machen, dich längere Zeit zu entbehren, dann würde sie dafür die Freude haben, dich als einen tüchtigen Kerl wieder zu erhalten. Komm in meine Kajüte, Jantje. Ehe wir die Koje suchen, wollen wir ein Glas auf eine fröhliche Zukunft trinken. Und morgen segeln wir nach Hamburg.«

Die ersehnte Stunde kam. Das Schiff lag vertäut an den Pfählen. Die Segel waren befestigt und das Deck geklart. Jakob Maifisch, der wackere Jollenführer, kam an Bord, um seine Orders einzuholen. Als er wieder ans Land fuhr, sprang Jan Blaufink in seine Jolle.

Auf den Vorsetzen, neben den Treppen und den Radwinden, die dort in bunter Reihe nebeneinander liegen und stehen, befindet sich immer vieles gaffende Volk, nach Arbeit suchend, oder nach einer mühevollen Anstrengung sich eine Viertelstunde Erholung gönnend. Hier hat das Auge stets vollauf zu tun. In den Erdgeschossen sämtlicher Häuser befinden sich Kaufläden, fast alle mit Waren zum Schiffsbedarf versehen, und mit dem freien Blick auf den Mastenwald, der dort beginnt und bis über Altona in drei- und vierfacher Reihe sich ausdehnt.

Jollenführer, Quartiersleute, Matrosen, die eben keine Heuer haben, und sonstiges Volk, das auf den Vorsetzen umherlungert, schauen nicht bloß in die Elbe, um die Stunde totzuschlagen, sondern sehen fleißig umher, ob sie nicht etwas erspähen, das zum Lachen ist, und womit man sich die Zeit vertreiben kann, oder ob sich ein fetter Bissen findet, nach welchem es sich lohnt, die Finger auszustrecken und den hungernden Magen damit vollzustopfen.

Der Treppe gegenüber, wo vor des Segelmachers Burmester Haustür die große rote Flagge mit den drei weißen Türmen weht, standen ein paar aufgeschossene Burschen, zu alt, um noch den Winkeljungen beigesellt zu werden, und nicht erwachsen genug, um eine Stellung einzunehmen, welche sie einem besonderen Stande beizählte. Unter diesen waren Jan Bremer, der sich auf einem sogenannten Tabakswinkel untergebracht hatte, und Jan Thiemer, der zu einem Blockdreher in die Lehre gegeben wurde. Sie trafen mit Jan Lorenzen zusammen, der seinem Vater, einem Schutenführerknecht, zur Hand gehen mußte, und dünkten sich in diesen bescheidenen Lebensstellungen, auf der ersten Stufe derjenigen Treppe angelangt, die geradeswegs in die gesegneten Räume von Eldorado und Golkonda führt. Sie trafen in aller Eile Verabredungen für den nächsten freien Sonntag, wo sie ihre Trinkgelder-Schillinge in einen Topf werfen und einmal wieder recht den Teufel austreiben wollten, als Jan Thiemer ausrief:

»Da kommt Jakob Maifisch mit seiner Jolle. Ich glaube, an dieser Treppe ist sein Stand. Dem wollen wir aus dem Wege gehen, denn er ist grob wie keiner und hat gleich eine Maulschelle zur Hand.«

»Heute nicht. Der Maifisch hat einen Goldfisch gefangen. Dann ist er bei Laune.«

»Was meinst du damit? In der Elbe schwimmen keine Goldfische.«

»Aber auf derselben«, gab Jan Bremer zur Antwort. »Wenn die Matrosen von einer Reise kommen und der Jollenführer bringt sie ans Land, haben sie einen Goldfisch an Bord. Und ein solcher steht eben jetzt in des Jakob Maifisch seiner Jolle. Er schaut, beide Hände in den Taschen, lustig in den Tag hinein und denkt daran, was dieser ihm noch alles bringen kann.«

Jan Lorenzen, der bis jetzt nichts sagte, aber den Matrosen in der Jolle genau beobachtet hatte, wandte sich jetzt den Kameraden zu und sagte:

»Von dem Goldfisch, den ihr meint, fallen höchstens ein paar silberne Flossen ab und dann müßt ihr ihn auch vorher erst derb schütteln. Kennt ihr ihn noch immer nicht?«

Die andern schauten genauer hin und wie aus einem Munde erscholl es:

»Jan Blaufink! Willkommen binnen!«

»Dank, Jungens,« sagte dieser, der eben unten an der Treppe anlangte und dieselbe in drei Sätzen hinaufsprang.

Unter den alten Kameraden, die sich lange nicht gesehen, entstand ein Händeschütteln, ein Fragen und Antworten, das durch keine Unterbrechung gestört wurde, bis endlich Jan Blaufink sagte:

»Genug für dieses Mal. Ich muß zu meiner Mutter. Sie denkt mit keiner Silbe daran, daß ich ihr so nahe bin, und ich kann es gar nicht erwarten, zu sehen, was sie für eine Freude haben wird, wenn ich unversehens bei ihr eintrete. Was ihr von dem nächsten freien Sonntage gesagt habt, gefällt mir und ich halte mit. Nun aber laßt mich durch, damit ich dahin komme, wo ich schon längst hätte sein sollen.«

»Wir gehen mit und bringen dich bis vor die Tür!« rief Jan Thiemer. »Nicht wahr, Jungens, das gilt? Wir gehen alle mit Jan Blaufink!«

»Das tun wir!« hieß es als Antwort, und an der Spitze der ehemaligen Genossen schritt er mit lachendem Gesichte die Vorsetzen entlang, während jene mit lauter Stimme riefen:

»Da kaam wi mit Jan Blaufink an!«

»Daß Gott erbarme!« sagte Herr Elias Brammer, der vor der Tür seines Ladens stand und nach Käufern umherspähte, die ihm seine Ware abnehmen sollten. »Was ist das wieder für ein wüster Lärm! Lene, gehe hinein! Du brauchst dich nicht immer von den vorbeiziehenden, betrunkenen Matrosen angaffen zu lassen.«

»Die sind nicht betrunken, Vater!« antwortete Lene. »Sie gehen ganz gerade und sind nur ein bißchen lustig. Lasse mich doch hier stehen. Ich habe es gerne, wenn sie so fröhlich sind. Die tun keinem etwas.«

Frau Brammer war zu ihnen getreten, indem sie zu dem Manne sagte:

»Wahrscheinlich hat eben ein Schiffsvolk abgemustert und will sich einen heitern Tag machen.«

»Gott erbarme sich!« erwiderte Elias Brammer, und wollte eines seiner gewöhnlichen Klagelieder anstimmen, als die Lene rief:

»Da ist er!«

»Wer?« fragte die Mutter, und Lene fuhr freudig erregt fort:

»Der lustige Junge vom heiligen drei Königstage her, der mir rechtschaffen beistand und der ein Seemann geworden ist. Er hat uns schon gesehen und winkt mir zu.«

Elias Brammer hatte ihn auch bemerkt und konnte eine bittere Empfindung nicht unterdrücken, als er daran dachte, daß er der erste war, der einen Stein auf den armen, unschuldigen Jungen warf. Es wandelte ihn etwas an wie Scham, und er war eben im Begriff, sich in der Stille zurückzuziehen, als ihm jemand auf die Schulter klopfte und er, indem er sich umdrehte, in das Gesicht seines Kunden, des Herrn Bohnenberg, schaute, der zu ihm sagte:

»Muß mich das Unglück treffen, daß mir ein solcher Trupp entgegenkommt, da ich gerade wieder vor Seiner Ladentür stehe. Nehme Er es nicht übel, aber ich will einen Augenblick bei Ihm eintreten. – Ein Stuhl ist nicht nötig, Frau Brammer. Man reibt nur die Politur von den Stühlen, wenn man sie so viel hin und her trägt. Nicht wahr, Herr Brammer?«

Aber dieser mußte die erwartete Antwort schuldig bleiben, denn die helle Stimme des jungen Matrosen rief ihm zu:

»Guten Tag, Herr Brammer. Wie Er sieht, ist es mir gut gegangen, und Er gönnt es nur hoffentlich, wenn ich auch nicht sagen kann, Gott vergelte es, da Er nichts dazu beigetragen hat.«

Elias Brammer brummte etwas vor sich hin und Jan Blaufink fuhr fort:

»Ich hatte es schon ganz vergessen, was zwischen uns vorgefallen ist; aber nun ich mit einem Male vor Ihm stehe, ohne vorher daran gedacht zu haben, steigt es in mir mit solcher Gewalt auf, daß ich es nicht unterdrücken kann, und ich muß es von dem Herzen herunter haben.«

Frau Brammer sah mit Schrecken eine Szene sich vorbereiten, welche sie nicht zu verhindern wußte und bemerkte mit einer Anwandlung von Furcht das schadenfrohe Lächeln, das um die Lippen des Herrn Bohnenberg spielte, der nicht nur der Kunde, sondern auch der Gläubiger ihres Mannes war. Aber die Lene in kindlicher Herzlichkeit und nicht ahnend, welcher Mißton zwischen dem Vater und dem jungen Freunde herrschte, der sich ihrer ritterlich annahm, reichte diesem die Hand und sagte:

»Guten Tag, Jan Blaufink. Wenn die Schiffskapitäne zu uns in den Laden kommen, sagt der Vater zu ihnen: Willkommen binnen, und das sage ich auch zu dir! Du hast ein recht braunes Gesicht bekommen und gewachsen bist du auch.«

»Und du noch mehr,« entgegnete Jan Blaufink. »Da getraue ich es mir nicht mehr, so zu sprechen, wie sonst. Wie geht es Ihr denn, Jungfer Brammer, und ist Sie auch immer hübsch gesund gewesen?«

»Wie das närrisch klingt!« sagte Lene zu der Mutter. »Muß ich nun auch zu ihm Herr Jan Blaufink sagen?«

Frau Brammer legte sich ins Mittel, indem sie den jungen Seemann freundlich willkommen hieß, und ihn einlud, wenn es seine Zeit erlaube, einmal bei ihr vorzusprechen. Lene stimmte fröhlich mit ein und versprach, ihm auch für seine Mutter ein Geschenk mitzugeben.

Jan konnte sich der innigsten Rührung nicht erwehren, und indem er mit der Hand über die Augen fuhr, sagte er zu Elias Brammer:

»Das Bittere ist hinuntergeschluckt. Der liebe Herrgott hat gegeben, daß das Schlimme, womit ich bedroht wurde, zum Guten ausschlug. Hoffe, daß damit unsere Rechnung abgemacht ist und ich trage es Ihm nicht weiter nach. Vorwärts, Jungens!«

Der Trupp zog weiter. Herr Elias Brammer würgte den Aerger herunter, so gut es ging und Herr Bohnenberg sagte, indem er ihm wieder auf die Schultern tippte:

»Wenn ein seßhafter Mann solche Verweise auf offener Straße von einem Matrosenkerl erhält, leidet die Reputation darunter und das schadet dem Geschäft. Ich bemerke Ihm das, weil ich nicht nur Sein Kunde bin, sondern auch ein Stück Geld in Seiner Handlung stecken habe. Er braucht sich nicht so ängstlich umzusehen. Frau und Tochter sind schon längst hineingegangen. Gesegnete Mahlzeit, Herr Brammer.«

*

»Wer poltert denn da schon wieder die Treppe hinauf?« sagte verdrießlich Jungfer Mewes und öffnete die Tür. »Holla, Heda! Wer ist es?«

»Ich!« rief Jan Blaufink, indem er sich auf die letzte Stufe schwang und neben der zankenden Jungfer stand. »Ich bins, Jan Blaufink! Mutter! Wo bist du?«

»Mein Sohn! Mein Sohn!« rief Frau Rosmarin und eilte ihm entgegen.

Sie hielten sich innig umschlossen.

»Mein Kommen hat nicht die Wolke verjagen können, die auf deiner Stirn lagert,« sagte nach einer Pause der Sohn. »Was drückt dich?«

»Zwischen uns soll kein Geheimnis sein!« entgegnete Frau Rosmarin und erzählte dem Sohne, mit welchen Hoffnungen sie die Wanderung nach dem Dorfe Geesthacht angetreten und mit welchem kummervollen Herzen sie von demselben geschieden sei.

»Lasse den Namen des Vaters ruhen, wie er selbst vielleicht schon längst in kühler Erde, oder auf dem Grunde des Meeres ruht. Ich habe mir selbst einen Namen geschaffen, den ich mit Gottes Hilfe zu Ehren bringen will und mein Gewissen sagt mir, daß ich schon einen gesegneten Anfang damit machte. Vielleicht ist mir nur kurze Zeit zu bleiben vergönnt. Wir wollen sie mitsammen in Frieden und Freude hinbringen und glücklich sein.«

»Das wollen wir,« sprach die Mutter. »Vergessen sei die Vergangenheit mit allen ihren Leiden. Du bist meine Zukunft, auf dich will ich schauen und glücklich sein.«

*

Springflut.

Frau Brammer stützte sich mit beiden Händen auf den Ladentisch und rief ihrem Manne zu, der hinter seinem Kontorpult stand:

»Brammer, bedenke es wohl!«

»Ich habe es bedacht, Kind.«

»Und? Was geschieht nun?«

»Wir fahren am Donnerstag nach Wandsbeck und kommen am Sonnabend nach Hause.«

»Ich kenne dich nicht wieder. Du, sonst so sparsam, geizig könnte man sagen, willst jetzt unbedachter Weise vierzig Mark ausgeben ...«

»Können fünfzig werden, Frau, wenn ich den Aufenthalt im Wirtshause mit veranschlage, das Hochzeitsgeschenk nicht gerechnet.«

»Und in dieser Jahreszeit! Alle Tage Regen und Wind, daß man nicht weiß, wo aus noch ein.«

»Dafür nehmen wir eine zugemachte Kutsche, obgleich sie drei Mark mehr kostet, als ein offener Stuhlwagen. Auf einem solchen fahren die Bauern zur Hochzeit. Stadtleute kommen in der Kutsche. Müßte ich den Jungen nicht im Laden lassen, er sollte als Bedienter hinten aufstehen.«

»Der Mann ist wie ausgewechselt!« sagte Frau Brammer.

»Aber nicht gegen falsche Schillinge!« entgegnete er mit einem schlauen Lächeln. »Es sind Verwandte von dem Bohnenberg, die sich heiraten. Sein Neffe kriegt die schöne Julie Lestang im Posthause. Die Kundschaft dieser frequenten Wirtschaft ist mir sicher und vielleicht locke ich den »schwarzen Bären« auch in mein Garn. Somit steht halb Wandsbeck in meinem Kontobuch und du wirst einsehen, daß die Reise zur Hochzeit eine Notwendigkeit ist.«

Herr Brammer sagte das mit einem so entschiedenen Ton, wie ihm nur immer zu Gebote stand und seine Frau ergab sich seufzend in ihr Schicksal. –

An Bord der spiegelblanken Kuff »Vrouw Margarethe« fand zur selbigen Zeit ein Zwiegespräch, wenn auch andern Inhaltes, statt. Der Schiffer Hans Kramer ging das Verdeck auf und ab, musterte wohlgefällig sein Fahrzeug und sagte:

»Jantje, mein Junge, es ist alles wohlauf an Bord und wir könnten ausklaren, wenn nicht der morgende Tag im Kalender schwarz angestrichen wäre.«

»Was meint der Schiffer damit?« fragte Jan Blaufink, indem er den Lederlappen ausschüttete, mit welchem er die Nägelknöpfe in den Decksplanken blank scheuerte.

»Damit meine ich, daß wir neues Licht und somit eine Springflut zu erwarten haben.«

»Ihr wollt sie lieber im Hafen abwarten?«

»Das ist meine Absicht. Wenn aber die Springflut einmal im Steigen ist, kann man nicht wissen, wie weit sie um sich greift und wie hoch sie steigt. Darum darf man alsdann nicht vom Schiffe gehen und muß alles bereithalten, um Schaden zu verhüten.«

»Das leuchtet mir ein, Schiffer!«

»Gut, mein Junge. Gehe also mit der Jolle ans Land und richte aus, was auf diesem Zettel geschrieben steht. Ist ein Auftrag für den Blockdreher und den Kompaßmacher. Nachher bleibt dir, denke ich, noch Zeit genug, deine Mutter eine Minute lang anzupreien.«

»Ihr seid ein guter Mann,« sagte Jan Blaufink. »Schickt mich mit einem Zettel zum Blockdreher und zum Kompaßmacher, obgleich ich nicht lesen kann, damit ich nur die Mutter noch einmal gesehen habe, wenn wir vielleicht unversehens fortmüßten.«

»Wer sagt dir, daß ich es darum tue!« fuhr der Schiffer auf, der sich nicht gern in die Karte sehen ließ. »Du bist und bleibst ein deutscher Muff.«

»Ach bin und bleibe Euer treuer und dankbarer Jan Blaufink, der nun und nimmer vergessen wird, was Ihr für ihn getan habt. Das ist vom Herzen herunter und nun steige ich allstunds in die Jolle und fahre ans Land.«

»Ist ein guter Junge!« sagte der Schiffer, dem Jan wohlgefällig nachschauend, als dieser rasch davon ruderte. »Aber wenn wir erst wieder in Holland sind, soll er nicht wieder nach hier kommen. So ein junges Leben versauert zwischen diesen engen Planken; das gehört in den Vortopp eines Dreideckers.«

Jan war schnell bei der Hand. Als er seine Jolle sicher untergebracht hatte, ging er an seine Geschäfte. Der Blockdreher und der Kompaßmacher entließen ihn mit dem Bedeuten, daß alles wohl besorgt werden sollte, und Jungfer Mewes empfing ihn mit dem Ausrufe, ob der Unband noch immer nicht unter Segel sei? Frau Rosmarin umarmte den geliebten Sohn mit mütterlicher Zärtlichkeit und rief ihm tausend Segenswünsche nach, als er ihr zum Abschiede die Hand reichte.

»Der Weg, die Vorsetzen entlang, ist nicht länger, als jeder andere,« sagte er zu sich selbst, als er auf der Straße anlangte. »Man kann nicht wissen, ob nicht ...«

Er sprach es nicht weiter aus, was hinter diesem »ob« verborgen lag, allein er steuerte geradeswegs auf den Laden des Herrn Elias Brammer los und blieb, als er ihn in Sicht bekam, vor Verwunderung mit offenem Munde stehen.

Ein ungewohnter Anblick bot sich dar. Statt eines bepackten Handwagens oder einer Schiebkarre, hielt vor dem Eingange eine mit zwei starken Holsteinern bespannte Kutsche. Ein Koffer war hinten aufgebunden; ein anderer nahm das Dach derselben ein. In der Tür erschien Elias Brammer, hob seine Frau in den Wagen und schob sich selbst hinterdrein. Der Ladenjunge klappte den Tritt in die Höhe, wünschte eine glückliche Reise und warf die Tür zu. Lene stand auf der Schwelle und sandte den Davonfahrenden Kußfinger nach.

In drei Sätzen war Jan Blaufink an Lenens Seite und fragte in aller Hast:

»Was soll das bedeuten?«

»Die Eltern fahren zur Hochzeit nach Wandsbek.«

»Dich haben sie nicht mitgenommen?«

»Nein! Ist mir auch nichts daran gelegen. Es sind nur Große da und langweilig ist es über die Maßen. Mutter sagte, es wäre nicht besser, als wenn Tante Möhring ihr Geburtstag ist und ich den Blumenstrauß hinbringen muß. Da bin ich lieber zu Hause und tue, was ich will. Die Katharine nimmt es nicht so genau.«

»Wer ist die Katharine?«

»Das ist die Hausmagd. Kennst du denn die Katharine nicht?«

»Nein, Lene. Aber ich stehe hier und sollte schon wieder am Bord sein. Wenn ich mit dir plaudere, vergesse ich alles andere. Adieu, Lene, und nun hörst du dieses Wort sobald nicht wieder.«

»Warum denn nicht?«

»Weil wir klar sind und von der Stadt müssen, sobald der Wind umspringt. Das kann vielleicht morgen am Tage geschehen.«

»Dann lebe wohl. Und wenn du wiederkommst, sprich bei uns vor. Ich habe es gerne, wenn du da bist.«

»Ist das dein voller Ernst?«

»Würde ich es sonst sagen? Die Mutter hat dich auch gern und sie hat mir stillschweigend erlaubt, daß ich deine Mutter ein paarmal habe besuchen dürfen, als du auf der Reise warst.«

»Sie hat es mir erzählt. Du warst stets so lieb und hast ihr jedesmal etwas mitgebracht. Wenn ich es dir nur vergelten könnte.«

»Du wirst es tun, wenn einmal wieder ein häßlicher Junge mich anfaßt.«

»Soll sich es einer unterstehen!« fuhr Jan Blaufink auf und erhob die geballte Faust. »Aber es wird immer dunkler und der Regen gießt in Strömen herab. Geh ins Haus, Lene. Ich muß machen, daß ich an Bord komme.«

Die beiden trennten sich zögernd. Erst nach einigen vergeblichen Versuchen war es gelungen und Jan Blaufink trabte der Stelle zu, wo er seine Jolle festgemacht hatte.

Der Jollenführer Jakob Maifisch hatte dort seinen Posten und sagte:

»Es ist hohe Zeit, daß du kommst. Deine Jolle hätte beinahe der Teufel geholt, wenn ich sie nicht in Sicherheit brachte.«

»Wie konnte das angehen?« rief Jan erschrocken.

»Hans Einfalt. Die Flut hatte sie immer höher gehoben und drückte sie gegen das überragende Bollwerk.«

»Es ist aber längst Hochwasser gewesen und die Ebbe ist da.«

»Die Ebbe ist wohl da, aber das Wasser läuft nicht ab und heute Abend haben wir Springflut.«

»Springflut!« wiederholte Jan Blaufink. Er hatte wohl eine dunkle Ahnung von dem, was sie bedeute, allein ein klares Bild konnte er sich davon nicht entwerfen. Er sah den Jollenführer neugierig an und sagte:

»Die will ich mir ansehen. Kommt sie bis hierher, Jakob Maifisch?«

Beide standen auf der Mitte des Dammes. Der Jollenführer sagte:

»Auch wohl einige Fuß darüber hinaus. Wäre nicht das erstemal, daß wir mit unsern Jollen auf dem Scharmarkt umherruderten.«

Jan Blaufink sah den Jollenführer mit einem Blicke an, welcher zu sagen schien, daß er dieser Mitteilung keinen sonderlichen Glauben schenke. Jakob Maifisch, der es merkte, machte ein verdrießliches Gesicht und fuhr ihn an:

»Will der Donnersjunge wohl an Bord! Was soll der Schiffer von einem solchen Ausbleiben denken? Und halb voll von Regenwasser ist deine Nußschale auch. Das Oesefaß treibt darin umher, wie ein Strohhalm im Rinnstein. Hinunter mit dir!«

Die Subordination zur See ist so groß, daß der junge Seemann dem älteren unbedingt gehorcht, auch wenn er in keinem Dienstverhältnis zu ihm steht. Mit einigen Sätzen war Jan Blaufink in seiner Jolle, schöpfte das Regenwasser, welches sich darin sammelte, aus, und fuhr an Bord, wo ihn der Schiffer Hans Kramer mit den Worten empfing:

»Gab euch beide schon verloren. Was, zum Donner, treibst du dich so lange am Lande umher?«

Jan Blaufink wußte bereits aus Erfahrung, daß eine aufsteigende Welle bei Windstillen in sich zusammenstürzt; nur wenn der Sturm sich ihr in dem Nacken festsetzt, stürmt sie weiter. Er ging daher schweigend in den Roof und besorgte die ihm obliegenden Geschäfte. Als er wieder zum Vorschein kam und den Schiffer fragte, ob die Leute zu Abend essen sollten, nickte jener ein stummes Ja und setzte hinzu:

»Zur Nachtzeit müssen wir beide Augen aufknöpfen und jede Stunde alert sein. Das kannst du ihnen mit der Teekanne zugleich aufbacken.«

*

Dichte Finsternis lag auf Strom und Land. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Der Regen ließ nicht nach und die Gossen schwollen mit der Sekunde mehr und mehr an. Einer Unzahl schäumender Gießbäche gleich stürzten sie in das Bassin der Elbe hinab.

Vor den Türen, auf den Beischlägen standen die Menschen und blickten voll banger Furcht in die dichte Finsternis hinaus. Lichter flirrten an den Fenstern vorüber und verschwanden hier, um gleich darauf dort wieder sichtbar zu werden. Keiner hatte Ruhe in seiner Wohnung und irrte von einem Winkel derselben zum andern. Auf dem Herde waren alle Feuer erloschen, denn der Wind fegte durch den Schlot und jagte Asche und Funken zu einer gefährlichen Wirbelsäule auf.

Zwei rannten gegeneinander. Sie schimpften nicht, wie es sonst wohl bei solchen Anlässen zu geschehen pflegt. Einer suchte den anderen zu halten und der erste sagte:

»Gut, daß wir ohne alle Segel, bloß vor Topp und Takel fahren, sonst hätten wir Havarie gehabt. Nun erkenne ich Euch, Nachbar. Wo wollt Ihr denn hin?«

»Die Meinigen sollen fort aus dem Keller. Ich bringe sie zur Muhme Bartels in der Steintwiete.«

»Es ist gut, daß ich keine Leute zu Hause habe. Mit mir allein werde ich wohl fertig!« sagte der Zurückbleibende. »Was gibt es da wieder zu schreien?«

»Das Wasser ist stall. Mit der Ebbe ist es vorbei!«

»Vorbei? Es ist ja noch gar nicht gefallen.«

»Der Hafenmeister hat eben selbst nachgesehen. Einen halben Fuß in der ganzen Zeit.«

»Herr Gott! Und nun kommt die neue Flut.«

»Ja, Herrschaft! Und der neuen Flut setzt sich der Nordwest in den Nacken. Hört ihr, wie es pfeift? Das wird ein fliegender Sturm.«

Diese Kunde verbreitete sich mit Blitzesschnelle durch den ganzen niedriggelegenen Stadtteil. Wem es gegeben war, der flüchtete mit den Seinen, oder brachte wenigstens diese in Sicherheit. Wer keine Zufluchtsstätte hatte, suchte sich vor der mit Herzklopfen erwarteten Flut zu schützen, so gut er es vermochte. Die Eingänge zu den Kellerwohnungen und den Stockwerken zur ebenen Erde wurden verbarrikadiert. Man setzte die sogenannten Schotten ein und verstärkte dieselben noch durch Aufschüttungen von Sand oder Erde. Ohnmächtige Hilfsmittel gegen einen in steigender Erregung daherbrausenden Strom.

»Das Wasser wächst!«

Von welcher Stelle aus dieser Ruf zuerst erscholl, das wußte keiner zu sagen, allein nach wenigen Augenblicken hallte er an allen Ecken wider und erhielt seine Bestätigung durch einen lange nachhallenden Donner.

»Was war das?«

»Der erste Schuß vom Johannes-Bollwerk!« lautete die Antwort auf diese Frage. »Das Wasser betritt die Stadt!«

Vor dieser Antwort verstummten alle, bis das furchtbare Schweigen sich in einem ebenso schaurigen Angstruf auflöste.

Eine Dirne suchte sich von den umstrickenden Armen eines jungen Mannes loszumachen.

»Ich muß nach Hause, Lorenz! Ich muß!« jammerte sie und bat ihn, sie zu lassen.

»Das tue ich nicht,« sagte Lorenz zu ihr. »Katharine, sei vernünftig. Das Wasser bedeckt schon die Straße. Du kommst nicht mehr trocknen Fußes hin, und die Dachpfannen, die der Wind von den Dächern herabfegt, zerschlagen dir den Kopf.«

»Und wenn es mein sicherer Tod wäre! Ich will nach Hause. Die Lene ist allein. Ich bereue es, daß ich hierher gekommen bin.«

»Nun ist es aber einmal geschehen und ich bin dein Bräutigam, der dir befiehlt, bei ihm zu bleiben. Ueber den Scharmarkt kommen wir noch und das Haus meiner Mutter ist sicher vor jeder Sturmflut.«

»Ach Gott! Ach Gott! Wie wird das Kind sich ängstigen. Nein! Nein! Ich bleibe nicht bei dir!«

Und neuerdings leistete sie ihm ohnmächtigen Widerstand.

»Schnickschnack!« rief der junge Mann, umfaßte die Dirne trotz ihres Sträubens mit starken Armen und trug sie davon.

Die Katharine war die Magd in dem Hause des Elias Brammer. Die Mutter hatte bei der Abfahrt nach Wandsbeck dieser Magd die Lene auf die Seele gebunden und sich von ihr feierlich versprechen lassen, daß sie das Haus nicht einen Augenblick verlassen wolle. Nun hatte sie doch dem Drange nicht widerstehen können, im Fluge einige Worte mit dem Bräutigam zu wechseln, welcher in der Nähe seine Werkstatt hatte. Sie war fort, und Sturm, Wolkenbruch und Springflut verschworen sich, die Rückkehr zu verhindern.

Der Quartiersmann, welcher vorübergehend in dem Brammerschen Hause, sowie in dessen Lagerkeller arbeitete, war bei guter Zeit weggegangen. Er half dem Lehrjungen, die Ladenfenster schließen, und als dieser ihn fragte, ob er wohl auf eine Stunde seinen Vater besuchen könnte, meinte er im Gehen vor sich hinschmunzelnd:

»Wenn die Katze nicht zu Hause ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.«

Der Lehrbursche fühlte etwas von der Natur einer Maus in sich, darum setzte er über den Ladentisch weg und schlüpfte zur Tür hinaus. Die Katharine war ja im Hause.

Aber die Katharine blieb nicht darin, sondern eilte zu ihrem Lorenz, nur um ihm einen guten Abend zu bieten, und die Lene war allein; in der weiten dunklen Hinterstube ganz allein.

Mehrfache Schüsse hallten von dem Johannis-Bollwerk über den Strom hin. Schreckens-Signale, die das immer höhere Steigen des Wassers verkündeten. Es schäumte bereits durch die Straßen, schwemmte die vor den Kellern aufgeworfenen Sandhaufen fort, drückte die Schotten ein und stürzte die Treppen hinab.

Der unerwartete Abfluß, welcher an vielen Stellen zugleich stattfand, bewirkte ein eben so schnelles Fallen des Wassers und das Pflaster wurde wieder bloßgelegt. Aber nur für wenige Minuten hielt diese Wendung der Dinge an. Neue Wassermassen drangen in die Stadt hinein. Zoll um Zoll stiegen die Fluten an den Häusern empor und einzelne Schaumperlen flogen bereits gegen die Fenster des Erdgeschosses.

Lene hielt es in der Hinterstube nicht aus. Sie irrte in der Wohnung umher. Sie wußte sich in ihrer Angst nicht zu lassen. Ueber der Haustür war ein breites Fenster angebracht, durch welches die Diele das nötige Licht empfing. Ueber diesem Fenster befand sich ein breiter Sims, der zur Aufstellung mancher Waren benutzt wurde, um die Vorübergehenden zum Kaufe anzulocken. Eine bewegliche Leiter führte zu diesem Sims hinauf. Vergebens rief Lene mit steigender Angst nach der Magd und dem Lehrjungen. Als noch immer keine Antwort erfolgte, wagte sie es, die schwankende Leiter zu besteigen und durch das Fenster auf die Straße zu sehen, ob sie vielleicht einen von den beiden dort finden und errufen könne.

Aber sie entdeckte keinen. Sie sah nur eine schwarze, undurchdringliche Nacht vor sich, durch ein schwaches Blitzen auf Sekunden erhellt. Sie hörte nur das Niederrauschen des nicht endenwollenden Regens und das Brausen der gegen die Häuser anbrandenden Wellen. Das Kind zitterte am ganzen Leibe, drückte den Kopf gegen die Scheiben und weinte still vor sich hin.

Kein Schiff im Hafen, dessen Mannschaft nicht alert war. Laternen flogen auf den Verdecken hin und her. Man mußte überall nachsehen, ob der Rumpf des Schiffes nicht irgendwie einer Gefahr ausgesetzt wäre. Die Flut war noch im Steigen und die Fahrzeuge wurden so hoch von dem Strom gehoben, daß sie fast mit den zunächst liegenden Straßen in gleicher Höhe lagen. Es gewährte einen unheimlichen Anblick, daß nun, statt zu den eingerammten Pfählen, woran die Schiffe befestigt lagen, hinaufzusehen, jetzt deren Kopfenden mit dem Verdeck in gleicher Linie lagen.

Schiffer Hans Kramer ging unruhig auf und ab. Er war besorgt für sein Schiff und noch mehr für die darin befindliche Ladung, die seiner Sorge anvertraut war. Es durfte nur eines der Kabel reißen, welche den Vorder- oder Hinterteil hielten, und der Strom hatte sein freies Spiel. Die schwersten Havarien standen zu befürchten.

»Holla Ahoi! Hi! Ho! Hi!« erschallte es von dem Mitteldeck her, und mit der Laterne in der Hand sprang Jan Blaufink zu dem Schiffer, indem er sagte:

»Fest wie Eisen, Herr, Ihr könnt Euch unbedenklich eine Stunde aufs Ohr legen. Der Frau Margarete schadet es nicht. Der Galiotschiffer vor uns hat auch eben die Hälfte seiner Leute unter Deck geschickt.«

»Wäre mir wie schlafen. Kannst du vielleicht die Augen nicht mehr aufhalten? Dann marsch mit dir in den Roof.«

»Nein, Herr; aber Ihr könnt mir erlauben, eine Viertelstunde vom Bord zu gehen.«

»Vom Bord? In dieser dunklen Nacht? Hast du den Verstand verloren?«

»Habe ihn vollständig beisammen, Herr. Aber es ist Gefahr im Verzuge. Laßt mich gehen.«

»Du bleibst.«

»Jenseits des Schlengels liegt unsere Jolle und kann jeden Augenblick in Stücke gehen, wenn die Welle sie gegen einen der scharfkantigen Balken wirft. Mich wundert, daß sie noch zusammenhält.«

»Der Donner fährt dem Niklas auf den Kopf, der die Jolle dahinlegte,« fuhr Hans Kramer auf. »Das Ding ist mir lieb, denn ich habe beim Bau selbst eine Hand mit angelegt. Aber ein Menschenleben ist mir noch lieber. Du bleibst.«

Jan Blaufink zog sich schweigend zurück. Er näherte sich dem Fallreep, kletterte die Sturmleiter herunter und faßte festen Fuß auf den Schlengels. Mit klopfendem Herzen betrat er das unter seinen Füßen schwankende Balkennetz, welches die Flut bald hob, bald senkte, bald es gegen die Duc d'Alben schleuderte, daß es laut krachte und in tausend Stücke zu zerbrechen drohte.

Endlich erreichte er die mehrere Schritte entfernt liegende Jolle und bestieg dieselbe. Er löste das Fangtau und suchte mit dem Bootshaken sich aus den vielen anderen Jollen, welche vor und neben derselben lagen, herauszuschieben. Es gelang ihm, auf die freie Fahrstraße zu kommen, und er wollte nun längs der »Vrouw Margarethe« anlegen. Aber dazu gebrach ihm die Kraft. Das Ruder war zu schwach, um der Gewalt des andringenden Stromes zu widerstehen. Statt sein Schiff zu erreichen, entfernte er sich immer weiter von demselben. Nach mehreren vergeblichen Versuchen stellte er die Arbeit ein und sagte vor sich hin:

»Mag es denn sein. Ich suche mir einen sicheren Platz und bleibe dort liegen. Mag der Alte brummen, wenn ich mit Tagesanbruch an Bord komme; was tuts? Die Jolle ist geborgen.«

Er ließ sich von der Flut tragen und lenkte das Fahrzeug nur dann mit dem Ruder, wenn er befürchten mußte, gegen etwas anzustreifen. Der Baum, der den innern Hafen von dem äußern trennt, war geöffnet und die daselbst aufgepflanzten Laternen brannten hell. Das Auge hatte sich nach und nach an die Dunkelheit gewöhnt und er vermochte, die einzelnen Gegenstände zu unterscheiden.

»Nun bin ich durch den Baum geschlüpft und der Visitator hat nichts gemerkt,« kicherte er in sich hinein. »Glaube, daß ich gut tue, nach dem Jakob Maifisch seiner Ecke zu steuern. Da liegt es am sichersten.«

Einige rasche Schläge mit dem Ruder brachten die Jolle in die angegebene Richtung. Aber die Ecke des Jakob Maifisch zeigte sich nicht und plötzlich rannte die Jolle mit solcher Kraft an einen Gegenstand an, daß Jan Blaufink fast über Bord gestürzt wäre.

»Hallo Ahoi! Wen haben wir hier!« rief er überrascht und nur mühsam das Gleichgewicht bewahrend. »Halt und stopp!«

Er griff nach dem Bootshaken und faßte damit ein etwas, das wie eine dunkle Säule in den Himmel hineinragte.

»Wen haben wir hier?«

Ein anderes Boot steuerte dicht an ihm vorbei. Der Schiffer, welcher darin saß und die Worte hörte, rief ihm zu:

»Bist du mondblind, daß du den Baum nicht siehst, den du mit beiden Händen festhältst?«

»Wahrhaftig. Es ist der Baum, unter welchem Jakob Maifisch seine Pfeife raucht, wenn er nichts zu tun hat.«

»So tue ich,« sagte der Mann in dem andern Boote. »Aber jetzt gibt es viel zu tun und du kannst auch Hand mit anlegen, statt hier müßig zu lungern. Frisch heran und siehe zu, wo es Menschen zu retten gibt, die im Wasser umherpatschen und nicht schwimmen können.«

»Hurra für Jan Blaufink!« rief er aus, indem er an mehreren Booten vorüberflog, »Da bin ich mitten auf den Vorsitzen. Holla Ahoi! Gebt Antwort! Wer kann mich brauchen? Hier herum ist auch das Haus des Elias Brammer. Dahin will ich zuerst.«

Die bezeichnete Stelle wurde glücklich gefunden. Die Gewalt des Wassers hatte die kaum eingeklinkte Haustüre eingedrückt und die Flut strömte unaufgehalten aus und ein.

»Da kann ich den Elias Brammer einmal im Boot besuchen!« rief er, indem er der Jolle die nötige Richtung gab und sich niederduckend, schwamm er in das Haus hinein, gegen den Ladentisch anprallend.

»Holla Ahoi!« schrie er, so laut er konnte. »Ist denn niemand hier?«

Ein leises Wimmern erklang als Antwort von dem breiten Sims über der Haustür. Er hörte es nicht. Es war Lenes banger Angstruf.

»Seid ihr hier im Hause alle tot, oder seid ihr davongelaufen?« rief er und horchte.

Ihm wurde selbst bange in dieser Finsternis, wo niemand antwortete und nur das gegen die Fässer und Tonnen anprallende Wasser dumpf brauste.

»Holla! Noch einmal! Ich bin es! Jan Blaufink! Hört Ihr den Jan Blaufink nicht?«

Er horchte schärfer, und nun vernahm er den klagenden, ächzenden Ton. Die zurückrollende Welle trug ihn in die Nähe des Simses. Ein Blitz zerriß die Wolken und leuchtete schwach durch die Scheiben des Türfensters. Er sah, daß sich da oben etwas bewegte.

»Wer ist da auf dem Sims?« rief er und horchte scharf hin.

»Ich bin es! Ich! Lene!« klang es von oben herunter. »Hilf mir!«

»Herr Jesus, die Lene!« rief er aus und das Blut stieg ihm so sehr zu Kopf, daß er einen Augenblick lang nichts sah und hörte. Aber bald kehrte die Besonnenheit zurück und er rief ihr zu:

»Halte dich fest, Lene! Einen Augenblick noch. Zu dir hinauf kann ich nicht, sonst treibt mir die Jolle unter den Füßen fort. Aber ich will versuchen, sie irgendwo zu befestigen, damit sie still liegt.«

Nach vielen vergeblichen Bemühungen gelang es ihm, eine eiserne Klammer zu entdecken, die in die Wand hineingetrieben war. Er zog die Fangleine durch dieselbe und rief fröhlich:

»Nun bin ich dicht unter dir, Lene. Aber lange darf es nicht dauern, sonst wirft das Wasser die Jolle gegen die Mauer und kentert sie. Frisch, Lene, springe herunter. Ich sehe dich deutlich vor mir und fange dich mit meinen Armen auf.«

Das zitternde Mädchen zögerte.

»Schnell, Lene! Besinne dich nicht, sonst ist es zu spät dazu.«!

Eine neue Welle rollte heran und hob die Jolle hoch in die Höhe.

»Jetzt! Jetzt!« rief er. »Du sollst und mußt springen, Lene!«

»Jan! Jan! Halte mich!« rief sie mit vor Angst erstickter Stimme.

»Hurra! Da habe ich sie!« jauchzte er auf und legte sie platt auf den Boden des Fahrzeuges nieder. »Nun liege du recht still. Naß ist das Bett zwar, aber sicher. In einer halben Stunde bist du im Trocknen.«

Er nahm eine günstige Gelegenheit wahr, um aus dem Hause und in das Freie zu gelangen. Nach einiger Anstrengung gelang es, und tüchtig mit dem Bootshaken nachschiebend, war er im Fahrwasser der Straße.

Die Kanonen auf dem Johannes-Bollwerk schwiegen seit kurzem. Auch der Regen hatte nachgelassen und der Wind riß die Wolken auseinander. Es war nicht mehr das Chaos wie vorhin.

Jan erreichte den Baum, welcher den Ruheplatz des Jakob Maifisch bezeichnete. Der wackere Jollenführer hatte nach schwerer Arbeit für einen Moment beigelegt. Der aufdämmernde Tag gestattete ihm, die Gegenstände zu erkennen, die ihm nahe kamen, und er rief:

»He! Holla! Ist das nicht Hans Kramer seine Jolle, die da herankommt?«

»Sie ist es. Und ich, der Jan Blaufink, bin ihr Steuermann.«

»Stückgut an Bord, mutmaße ich.«

»Ein Kolli nur, aber ein lebendiges. Sei geduldig, Lene. Wir sind gleich in Sicherheit. Jakob Maifisch, wollt Ihr mir eine Hand leihen?«

»Zwei, mein Junge. Uebrigens ist das Wasser im Fallen. Es sackt allmählich um einen halben Fuß. Was soll es geben?«

»Ich will die Lene landen und zu meiner Mutter bringen. Tut mir den Gefallen, so lange auf die Jolle zu achten, bis ich wiederkomme.«

»Die Jolle soll bewacht werden, als ob es meine eigene wäre!« sagte Jakob Maifisch. »Geh du getrost deines Weges und laß die kleine Mamsell ins Bett bringen. Sie zittert vor Frost an allen Gliedern.«

»Noch ein paar Minuten, Lene! Ein Hurra für ein warmes Bett! Hier können wir aussteigen. Da ist die Fangleine, Jakob Maifisch. Nimm meine Jolle ins Schlepptau.«

Jan Blaufink schwang sich aus der Jolle, trug die Lene vor sich her auf den Armen und sprach tröstende Worte zu ihr.

Eine halbe Stunde später lag sie in dem Bette der Frau Rosmarin und war sanft eingeschlafen. Die Mutter legte ihre Hand auf den Kopf des Sohnes und sagte:

»Gott segne dich für diese Tat, mein teures Kind. Du hast auf das Haupt des Mannes, der dir übel wollte, feurige Kohlen gesammelt.«

»Wenn sie ihm nur nicht zu sehr brennen,« entgegnete Jan Blaufink. »Aber nun will ich machen, daß ich wieder zu Hans Kramer an Bord komme. Gott Gnade bei der ersten Wetterbö, die auf mich herabhagelt, wenn ich das Deck betrete. Aber das tut nichts. Wenn ich auf der Stelle hätte sterben müssen, ich wäre doch gegangen. Schwer lag es auf meiner Brust; es drückte mir fast das Herz ab. Aber nun atme ich leicht und frei. Behüte dich Gott, liebe Mutter. Gib der Lene einen tüchtigen Schluck Warmbier zu trinken und einen Kringel zum Zubeißen gib ihr auch.«

»Sei ohne Sorgen, mein Kind. Ich werde nichts vergessen. Du siehst ja, die gute Jungfer Mewes steht schon am Herd.«

»Hat Sie etwas Warmes, Jungfer Mewes?« fragte Jan Blaufink, zu dieser eilend. »Dann tue Sie ein gutes Werk und gebe Sie mir einen Schluck ab. Habe es allenfalls auch nötig.«

Jungfer Mewes, die bei so früher Tageszeit zwischen Wachen und Träumen sich befand, indem sich Regen und Sonnenschein noch um die Herrschaft stritten, schob ihm ein Töpfchen hin, dessen geringer Inhalt auch dem Bescheidensten kaum genügt hätte, und schürte murrend die Torfkohlen an. Jan trank den Topf bis auf die Nagelprobe aus und sagte zur Mutter:

»Wenn wir uns hernach wiedersehen, kannst du mir sagen, ob das Warmbier gut geschmeckt hat. Und nun, Ade. Wenn die Lene erwacht ist und sich gestärkt hat, bringe sie zu den Eltern. Vielleicht sind sie von ihrer Fahrt nach Wandsbeck, wovon die Lene erzählt, zurück und grämen sich, wenn sie das leere Nest finden. Kann auch selbst einmal nach dem Rechten sehen. Hans Kramer seine Bö hagelt früh genug auf mich herab. Jungfer Mewes, gebe Sie acht! Das Warmbier kocht über.«

Lachend sprang er die Treppe hinunter.

*

Das Wasser war im Ablaufen begriffen. Die Straßen wurden frei. Die Rinnsteine glichen angeschwollenen Gießbächen und die Ebbe setzte mit Macht aus. Weithin hörte man das Brausen des seewärts sausenden Stromes.

In den Kellern und Erdgeschossen war ein reges, aber trostloses Leben. Die flüchtigen Bewohner derselben verließen die Freistatt, welche sie aufsuchten, und kehrten in ihre Behausungen zurück. In Eimern und Wannen trugen sie das auf dem Fußboden hin- und herspülende Wasser hinaus und richteten die umgeworfenen Möbel auf. Hier und da glimmte bereits ein Feuer auf dem Herd und warf ein mattes Licht auf das umgebende Chaos. Mitten auf dem hohen Damm lag ein gekentertes Boot, das dort in der Nacht festgeraten war. Es hatte sich noch niemand gefunden, der es flottete.

»Wenn ich dem Hans Kramer seine Jolle in demselben Zustande finde,« sagte Jan Blaufink, indem er weiter rannte, »ist die längste Zeit gutes Wetter gewesen.«

»Nein, mein Junge,« entgegnete Jakob Maifisch, der ihn hatte kommen sehen, »so findest du die Jolle nicht. Ich habe sie an Bord gebracht und dem Schiffer, der ein Dutzend Blixums nach dem anderen herunterfluchte, erzählt, was für eine Art von Ladung seine Jolle getragen hat. Da legte der Sturm bei und auf seinem breiten Gesicht war Sonnenschein. »Der Donnersjunge,« sagte er, »soll sich zu Hause aufs Ohr legen und ausschlafen, damit er frisch ist, wenn er nachmittags an Bord kommt.«

»Auf das Schlafen bin ich gerade nicht versteuert,« sagte Jan. »Aber sehen möchte ich, wie es in dem Brammerschen Laden aussieht, aus welchem ich die Lene heute nacht geholt habe.«

»Das kannst du von ihm selbst hören,« sagte der Jollenführer, »denn eben ist er in dem Kutschkasten hier vorüber gerumpelt.«

»Dann will ich sogleich hin und ihm sagen, wo sein Kind geblieben ist,« rief Jan und eilte dem Brammerschen Hause zu.

Dort war alles in Aufruhr. Die Magd und der Lehrjunge kehrten mit dem anbrechenden Tage nach Hause zurück. Sie erhoben ein lautes Wehklagen und wären gerne sogleich wieder fortgelaufen, um nie wiederzukehren; allein der eine bewachte die andere. Sie hielten sich gegenseitig fest, um jemand zu haben, auf den sie den größten Teil der Schuld schieben könnten. In diesem Gedanken waren sie furchtbar eins, wenn sie auch sonst als erbitterte Gegner auf dem Kampfplatz erschienen. Die Nachbarn wurden angerufen und befragt. Keiner hatte etwas von der armen Lene gesehen.

»Lene! Lene!« rief die Mutter in aller Angst, die Magd, welche sich in die Knie warf, vom Boden aufreißend. »Wo ist Lene?«

»Weg!« antwortete die Magd. Sie konnte kein anderes Wort hervorbringen.

»Weg!« schrie die Mutter laut auf. Aber das Wort erstarb ihr im Munde; es schien, als sei sie zur Bildsäule erstarrt.

Elias Brammer ward nicht so schnell durch die Macht der Umstände geworfen. Er hielt den Ladenjungen am Schopf und erpreßte von ihm das Geständnis. Heulend bekannte er, daß sowohl er als die Magd das Haus verließen, in der Absicht, möglichst bald wieder zu kommen, woran sie durch das schnell hereinbrechende Unwetter verhindert wurden, und nun nicht wüßten, was während der Nachtstunden sich ereignet habe.

»Aber ich weiß es und will es Euch sagen!« erklang die helle Stimme Jan Blaufinks in das Wirrsal hinein. »Ich war hier, Herr Brammer, und Hans Kramer seine Jolle auch.«

Frau Brammer hatte nicht sobald die Stimme des jungen Matrosen gehört, als ihr Angesicht sich rötete und sie ihm zurief:

»Du weißt, wo mein Kind ist?«

»Gewiß weiß ich es. Bei meiner Mutter ist sie und schläft. Sie hat es nötig, das arme Ding.«

»Bringe mich zu ihr! Schnell! Schnell!«

»Der Weg ist weit und die Treppen sind hoch, Frau Brammer. Meine Mutter bringt die Lene, sobald sie aufgewacht ist. Habe Sie keine Furcht. Ihr Kind ist gesund und munter. Kein Finger tut ihr weh.«

»Du guter Junge. Und du warst hier zur Nacht und hast sie gerettet?«

»Freilich. Da oben vom Sims habe ich sie heruntergeholt. Wie sie da hinaufgekommen ist, weiß ich freilich nicht.«

»Sie wird es uns sagen!« sprach die Mutter. »Aber ich sollte nicht hier stehen bleiben. Laß mich gehen, mein lieber Junge!«

»Tue Sie es nicht, Frau Brammer. Es ist besser für die Lene, wenn sie noch ein wenig schläft.«

»Ich weiß selbst nicht, was ich sage und tue! Brammer, hast du nicht gehört, was dieser junge Mann für uns tut?«

»Ich habe es wohl gehört,« sprach dieser, in sichtlicher Verlegenheit, wie er dem Jan Blaufink, den er schwer gekränkt hatte, gegenübertreten sollte. Das Wort wollte sich nicht von der Zunge lösen und die Hand zögerte, sich nach dem Wohltäter auszustrecken. Jan bemerkte es und sagte:

»Lasse Er es gut sein, Herr Brammer. Ich weiß, was Er mir jetzt gern sagen möchte und begreife, daß Er es nicht von sich geben kann. Wir wollen annehmen, als ob alles schon gesagt wäre, und ich antworte darauf, es ist gern geschehen. Ich muß jetzt an Bord und vielleicht gehen wir noch heute in See. Wenn meine Mutter mit der Lene kommt, sei Er nicht so mürrisch, wie sonst mit der armen Frau. Das ist alles, was ich verlange.«

»Sie soll mir wie eine Schwester sein!« sagte Frau Brammer aus der Fülle ihres Herzens.

Jan ging zur Tür hinaus, kehrte aber alsbald um, indem er ausrief:

»Da kommen sie schon!«

Die Mutter lief dem Kinde entgegen, das sie so schmerzlich vermißte. Die Lene warf sich ihr um den Hals und wollte sie nicht lassen.

Auch Elias Brammer kam, um sein Kind in die Arme zu schließen, das er so zärtlich liebte. Es war eine edle Regung seines Herzens, die alle seine Fehler und Schwächen vergessen ließ. Er näherte sich der Frau Rosmarin und sagte:

»Ich habe heute nacht Vieles verloren. Wieviel es ist, kann ich nicht berechnen. Aber ich will es verschmerzen, um des reichen Schatzes willen, den Ihr Sohn mir geborgen hat. Es soll ihm nicht vergessen sein. Ihm nicht und Ihr auch nicht, Frau. Darauf kann Sie sich verlassen.«

Alle waren wieder in das Haus getreten. Die Aufgeregten beruhigten sich nach und nach. Man fragte und berichtete und ergänzte das früher nur mangelhaft Gesagte. Herr Elias legte Hand an sein vielfach zerstörtes Werk. Die beiden Mütter saßen beieinander und sprachen vertraulich miteinander. Die Lene hatte beide Hände ihres jungen Freundes gefaßt und sagte:

»Und darauf kannst du dich verlassen, daß ich es dir nicht vergessen werde, was du für mich tatest. All meine Lebtage will ich daran denken, und wenn mir etwas Gutes geschieht, werde ich sagen, das hättest du nicht, wenn der Jan Blaufink nicht gewesen wäre.«

»Mache nicht so viel Wesen davon, Lene. Wir wollen uns freuen, daß es so gekommen ist und daß dein Vater mich für keinen Taugenichts mehr hält. Und wegen der Mutter – sie ist dir gut, Lene, und ich möchte wohl, wenn es anders angeht, daß du ab und zu ihr ein freundliches Wort sagst, wenn ich fort bin, denn sie denkt stets an mich und grämt sich im stillen.«

»Darüber sei außer Sorge. Sie hat meinen Schlaf bewacht und mir liebevoll Trost zugesprochen, als ich mich in der dunklen Kammer zu fürchten begann. Das vergesse ich auch nicht. Wir werden oft beisammen sein und von nichts anderem sprechen als von dir.«

»Ach, Lene! Das geht wohl, wenn ich mit dem Hans Kramer nach Amsterdam oder da herum segle und nach zwei oder drei Monaten wieder hier bin. Aber wenn ich nun die lange Reise antrete ...«

»Wie lang ist sie denn?« fragte Lene rasch.

»Ich weiß es nicht zu sagen. Aber es gehen viele Weihnachtsabende ins Land, bevor sie zu Ende ist. Dann bist du eine große Mamsell geworden, Lene, und die Mutter Rosmarin liegt wohl gar schon auf dem Annenkirchhofe ...«

»Was meinst du denn damit?«

»Damit meine ich, daß du mich dann längst vergessen hast und mich groß ansehen wirst, wenn ein baumlanger Kerl in der blauen Jacke bei dir eintritt und sagt: Lene Brammer, kennt Sie mich noch? Weiß nicht, was da für eine Antwort herauskommen würde.«

»Ich würde sagen, daß du Jan Blaufink bist, der mich von dem Sims über der Haustür herunterholte, als die Springflut über den Straßendamm wegbrauste. Darauf gebe ich dir meine Hand und was ich einmal versprochen habe, das halte ich.«

Die beiden Frauen machten eine Pause in ihrer Unterhaltung. Frau Brammer trat zu den jungen Leuten und sagte zu Jan:

»Ich muß es noch einmal vom Herzen herunter sagen, wie sehr ich mich freue und wie dankbar ich bin. Segle du in Gottes Namen, wohin du willst, unbekümmert um das Schicksal deiner Mutter. Ich werde ihr eine treue Freundin sein und sie nicht verlassen.«

Frau Rosmarin war auch zu der Gruppe getreten und zog ihren Sohn an ihre Brust:

»Und all dieses Glück verdanken wir dir allein. Fühle es an dem Schlage meines Herzens, wie sehr ich es empfinde.«

»Das halte ich nicht aus!« rief Jan Blaufink mit einem tiefen Atemzuge und machte sich sanft von den Armen seiner Mutter los. »Was habe ich denn getan, als daß ich dem Hans Kramer seine Jolle entführte und mit derselben auf dem Straßenpflaster hin- und herfuhr? Weiß nicht, was er dazu sagen wird, wenn ich ihm in Sicht laufe.«

»Das kannst du gleich in Erfahrung bringen,« entgegnete dieser, welcher kurz vorher eingetreten war, ohne daß Jan ihn bemerkte. »Konnte es mir denken, daß ich dich hier treffen würde, und komme, um dir zu sagen, daß es mit uns beiden Lied am Ende ist.«

»Dachte, daß es so kommen würde.«

»Aufsässige Gesellen, die meine Jolle ramponieren, kann ich nicht brauchen,« fuhr der Schiffer fort, indem er einen Brief aus der Tasche zog. »Aber hier, mein Junge, habe ich einen Brief vom Mynheer Gisbert Gerritz, Hochbootsmann am Bord des Ostindienfahrers »Gelderland«, der einen solchen Gesellen braucht und ihn auf mein Fürwort an Bord nehmen und einen Seemann aus ihm machen will, aus dem man einen Decks- oder Kajütsoffizier machen kann, alles nach Belieben.«

»Ist das wahr?« rief Jan außer sich.

»Das ist wahr, mein Junge. Mache es kurz mit dem Abschied. Die »Vrouw Margarete« erwartet dich, um dich an Bord des »Gelderland« zu bringen! Ich gehe voraus. In zwei Stunden werfen wir das Kabeltau ab.«

Hans Kramer ging. Die neue, unerwartete Kunde versetzte alle in die größte Aufregung. Die Frauen weinten und selbst Elias Brammer konnte einige Bewegung nicht unterdrücken. Lene sprach nichts, aber ihr Gesicht wurde bleich und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schlang ihre Arme um ihn und wollte ihn nicht lassen.

Die zwei Stunden, welche Hans Kramer festgesetzt, waren beinahe verstrichen, als Jan Blaufink auf die Straße hinaustrat. Keiner gab ihm das Geleit. Er hatte es so verlangt.

»Das war auch eine schwere Bö,« sagte er, rüstig fortschreitend. »Fast noch schwerer, als die in der Springflutnacht. Das arme Ding, die Lene! Sie ward so weiß wie der Kalk an der Wand. Holla Ahoi! Jakob Maifisch! Jolle zur Hand?«

»Allstunds, mein Junge! Und viel Glück auf der Fahrt nach Ostindien.«

Unfern davon standen einige Burschen, die umherlungerten, wie es solche Burschen zu machen pflegen, die keine sonderliche Lust haben, etwas zu tun. Als sie Jan gewahrten, eilten sie diesem entgegen und riefen aus vollem Halse:

»Jan Blaufink!«

»Das ist nun vorbei,« antwortete dieser. »Hier hat mein Reich ein Ende und jenseits des großen Wassers ist die Sorte von Vögeln nicht in der Mode.«

»Sollen wir ohne einen Führer sein?« fragten die Burschen.

»Wäre schade, wenn die Tollen nicht einen noch Tolleren über sich hätten!« sagte Jan. »Ich bin es heute nicht mehr. Wie die Springflut über die Ufer tritt und Stadt und Land unter Wasser setzt, bis die Ebbe kommt und alles trocken legt, so auch im Leben. Ueber mich aus dem Spinnschuppen in der Reeperbahn an Bord einer Kuff und will mich nun von dieser auf das Deck eines Dreimasters werfen, wo ich im Kabelgat oder sonstwo hängen bleibe.«

»So lange es dauert,« sagte einer von den Genossen. »Vielleicht packt sie dich zum zweiten Male und wirft dich auf das Halbdeck, wo die Mynheers stehen. Das gönne ich dir.«

»Wir alle! Wir alle!«

»Dank, Jungens! Und dir vor allem, Jan Thiemer, der du das Wort zuerst aussprachst. Dafür ernenne ich dich zu meinem Nachfolger. Werde du Jan Blaufink und mache meinem Namen keine Schande. Ist es dir recht?«

»Mir ist es recht!« sagte Jan Thiemer. »So bin ich denn nun Jan Blaufink.«

»Und Ihr? Nehmt Ihr ihn an?«

»Wir tun es, auf dein Wort!«

»Holla Ahoi!« erklang der mahnende Ruf des Jollenführers Jakob Maifisch, der bereits unten in seiner Jolle war.

»Allstunds!« rief Jan Blaufink. »Nun, Jungens, da habt ihr zwei blanke Vierschillingstücke zum Vertrinken. Seht zu, wie ihr sie klein kriegt. Und nun vorwärts! Euer Meister voran!«

Dahin stürmten sie mit hellem Jauchzen. Weithin erklang der Ruf:

»Da kaam wi mit Jan Blaufink an!«

Er warf ihnen einen letzten Blick nach, sprang dann von Stufe zu Stufe abwärts in die Jolle des Jakob Maifisch und sagte:

»Brumme nicht, Alter, und hole frisch aus, damit mir die »Vrouw Margarete« nicht außer Sicht kommt, denn die ist mir von allen, die ich lieb habe, die einzige, welche mir übriggeblieben ist. Du weißt doch noch, wo meine Mutter wohnt und sagst ihr, daß ich gut an Bord gekommen bin?«

»Will es ihr heute noch ausrichten. Und daß du kurz vor der Abfahrt noch rechtschaffen den Straßenjungen spieltest, will ich ihr auch sagen. Aber da sind wir seitlängs. Frisch zu Deck, mein Junge! Behaltene Reise und halte dich hart! Allzeit eine volle Backstagbrise, Schiffer Hans Kramer! Und wenn ich noch etwas ausrichten soll, sagt es schnell.«

Aber an Bord hatte keiner Zeit, der Aufforderung des Jollenführers zu folgen, und dieser trieb über Steuer. Die Breitfock fiel von der Raa und die Besan wurde ausgeholt. Der Wind warf sich in die anschwellenden Segel und zischend flog »Vrouw Margarete« durch die zurückweichenden Wellen.

*

Der Baron.

Holländisch-Guayana!

Ein anderer Himmel wölbt sich über diese Küste, als über jenen Dünenstrand, der sich an beiden Seiten der Elbmündung ausdehnt. Dort mannigfaltig wechselnde Wolkenbildung, bald tiefschwarz, bald graufeuchter Nebel, nach der Richtung des Windes sich fortschiebend in rastloser Bewegung. Hier sonnig-hell, durchsichtig-blau in steter Gleichheit. Dort fliegt über die Düne weg die krächzende Möwe und die schnatternde Eidergans; hier steuert hoch im ewigen Blau der schwarzglänzende Fregattenvogel und der prächtigstrahlende Flamingo.

Aus dem weiten Becken des Ozeans steuern die Schiffe dem Festlande von Guayana zu und segeln in die Mündung des Surinam ein, bis hinaus an die Hafenwerke von Paramaibo. In diesen Straßen wird der Weltmarkt gehalten, den Alt-Niederland mit solchem Geschick und mit solchem Erfolge zu betreiben weiß, daß seine Nebenbuhler auf diesem Boden, die Franzosen und die Engländer, neidisch werden und im offnen, wie im versteckten Kampfe gegen die Mynheers zu Felde ziehen.

Aber fest wie seine Deiche im Mutterlande steht der Holländer an den Ufern des Surinam und läßt die Wellen zu seinen Füßen schäumen und branden. Die Intrige erlahmt an dieser kaltblütigen Zähigkeit und immer weiter wogt das Leben in der Kolonialstadt, die trotz der Palmen, die es umgürten, ein täuschendes Abbild altholländischer Regelmäßigkeit und Reinlichkeit ist. Die Stadt wird nach allen Richtungen hin von Kanälen durchschnitten. Statt mit glattpolierten Steinen sind die Straßen mit farbigen Muscheln gepflastert, und die Forts, welche Stadt und Strom beschützen, erinnern durch ihre Namen Zeeland und Amsterdam an die Heimat im fernen Norden.

Frankreich und England sind zwei Kämpfer, denen Holland sich ebenbürtig fühlt. Aber ein dritter lauert von ferne und bringt die kaltblütigen Mynheers außer Fassung. Das sind die Maronneger, die sich in den Wäldern sammelten. Flüchtlinge von allen Enden und Ecken, die hier zusammenströmten, einen Freistaat gründeten und auf Tod und Leben für ihre Unabhängigkeit kämpften.

Zwei Mynheers, die sich begegneten, schüttelten sich die Hand und erkundigten sich der Reihe nach zuerst nach dem Preise des Kakao und dann nach der werten Gesundheit. Der ältere von ihnen war als junger Mann von Rotterdam hierher verschlagen und hatte sich einen eigenen Herd gegründet. Vierzig Jahre atmete er die tropische Luft, aber noch immer war der alte Geist in ihm lebendig und er fühlte sich erst ganz glücklich, wenn er daheim, umgeben von allen tropischen Herrlichkeiten, seinen Tee trank und aus der langen Tonpfeife wirklichen holländischen Knaster dazu rauchte.

Der jüngere war in Surinam geboren, und wenn er auch von dem Phlegma seiner Eltern nicht unberührt blieb, rollte doch das Blut leichter in den Adern und hieß ihn Sprünge wagen, die nicht selten das Kopfschütteln des älteren Geschäftsfreundes hervorriefen.

»Freut mich, Mynheer Jantzen, Euch gesund und munter zu sehen,« sagte der jüngere und lüftete den Hut.

»Dank Euch, Mynheer van dem Bosche,« lautete die Antwort. »Wünsche Euch Glück zu dem gestrigen Handel.«

»Pah! Sechstausend Gulden, Mynheer Jantzen. Was will das sagen? Ihr streicht in demselben Zeitraum das Doppelte ein, wenn nicht ...«

Er hielt inne; mit Absicht, wie es schien. Mynheer Jantzen vermerkte es übel und sagte:

»Ihr meint, die Maronneger, welche meine Pflanzungen verwüsteten und diese neuerdings bedrohen, wenn ich nicht einen Vergleich mit ihnen eingehe? Es ist nicht großmütig, mich daran zu erinnern, daß die Bestien mir tausend Gewürznelken- und Zimtbäume mit Stumpf und Stiel verbrannten und daß unser Gouvernement zu schwach ist, mir die Genugtuung zu verschaffen, welche ich zu fordern berechtigt bin.«

»Nehmt es nicht so ernsthaft,« bat Mynheer van dem Bosche. »In dem Verhältnis, wie wir zusammen stehen, kann ein solches Wort nicht beleidigen. Ihr habt Eure Pflanzung glänzend wieder hergestellt. Darf ich so frei sein, mich nach dem Befinden der Jungfrau Flortje zu erkundigen?«

Der Pflanzer hörte nicht darauf, sondern fuhr in seiner Weise fort:

»Meine Pflanzung ist wiederhergestellt, sagt Ihr? Ja! Aber doch nur so lange, als es diesen verfluchten Negern gefällt! Ist das ein Gouvernement, welches seine Insassen nicht schützen kann, die alle Steuern und Lasten tragen? Ist es nicht ein Schimpf ohne Ende, daß ein Neger einem Holländer Vergleiche anbietet und einen Tribut von ihm fordert?«

Da wallte auch das Blut des jungen Herrn van dem Bosche auf, und dem Kaufmann beipflichtend, rief er aus:

»Ja, eine Sünde und eine Schande ist es. Warum trat man nicht gleich dem anfangs unscheinbaren Wurm auf den Kopf? Jetzt ist er zur Riesenschlange geworden, die uns zerdrückt, wenn es ihr in den Sinn kommt. Wo bleibt der Tribut, den diese schwarzen Hunde zu zahlen versprachen? Wir müssen am Ende noch Gott danken, daß sie keinen von uns beitreiben.«

»Herr van dem Bosche!« sagte Mynheer Jantzen in einem strafenden Tone. »Ihr tut nicht wohl daran, mit Dingen einen Scherz zu treiben, die jeden Tag zum blutigen Ernste werden können. Wer will sie hindern, bei Nacht und Nebel aus ihren Wäldern hervorzubrechen, Paramaibo von allen Seiten anzugreifen und in Asche zu legen? Etwa die beiden Piketts in dem Judendorfe Savanna? Oder die Militärposten von Vredensborg?«

»Ihr geratet allzusehr in Eifer, Mynheer,« sagte begütigend van dem Bosche. »Euere Tochter wird mit mir schelten, weil ich es zugegeben habe, daß Ihr Euch unnötig aufregt. Faßt frischen Mut, Mynheer, und vertraut dem Baron Eberhard.«

»Dem hergelaufenen Deutschen, der Hauptmann bei unserer Miliz ist und sich den reichen Sold wohl bekommen läßt? Sein Baronstitel mag leicht das Beste an ihm sein.«

»Das dürft Ihr nicht behaupten, Mynheer. Baron Eberhard ist, wie ich von mehreren Seiten höre, ein tüchtiger Soldat. Der Gouverneur hat es selbst mehrere Male anerkannt, daß er unserer Kolonie in dem Kampfe gegen die Maronneger wesentliche Dienste geleistet hat.«

Mynheer Jantzen stieß einige unartikulierte Töne aus, wie er zu tun pflegte, wenn er nicht wußte, was er sagen sollte. Auf dem Platze am Hafen, wo diese Unterhaltung stattfand, gab sich eine augenblickliche Bewegung kund. Ein ziemlich großer Herr, in strammer, militärischer Haltung, einen leichten Strohhut aus dem Kopf und in blendend weißer Kleidung, kam von der Richtung des Gouvernements-Palastes her und wurde von den Vorübergehenden mit Ehrerbietung begrüßt. Mancher, der ihm näher stand, fügte zu dem stummen Gruße ein höfliches Wort und empfing ein gleiches als Antwort.

Auch Mynheer van dem Bosche zog den Hut und fragte:

»Mit Wohlnehmen des Herrn Barons möchte ich fragen, wohin die Reise geht?«

»Wenn es nach meinem Willen ginge, mit tausend Mann gegen die Maronneger,« antwortete der Baron im Vorübergehen. »Allein Seine Exzellenz sind anderer Meinung und wollen mich nicht exponieren nach dem neulichen Fieberanfall, von dem ich noch nicht ganz hergestellt bin, wie sein Arzt behauptet. Wenn ich nun nicht selbst schlagen kann, will ich mindestens schlagen sehen und darum gehe ich in das Theater.«

»Was für leichtsinnige Reden das sind!« polterte Mynheer Jantzen. »Meint er, daß die achtbaren Leute, die in das Theater gehen, sich bei den Köpfen kriegen werden, um ihm einen Gefallen zu tun?«

»So war es nicht gemeint,« entgegnete van dem Bosche. »Die holländische Truppe, welche vor vierzehn Tagen hier ankam, beginnt heute ihre Vorstellungen und gibt das ›Torfschiff zu Breda‹. Ein echt patriotisches Stück! Sollen wir es uns ansehen?«

Mynheer Jantzen tat gar nicht, als ob er diese letzte Frage hörte, sondern ging mit einem brummigen Gruße, der auch für eine Verwünschung gelten konnte, seines Weges. Mynheer van dem Bosche, der eine Einladung erwartet hatte, ihn zu begleiten, sah sich getäuscht. Seine Hoffnungen, der Schwiegersohn des reichen Pflanzers zu werden, standen heute plötzlich zehn Prozent niedriger, als gestern. Verdrießlich schlenderte er in der entgegengesetzten Richtung weiter.

Die Vorstellung im Theater nahm ihren Anfang. Die jungen holländischen Kolonisten der Gegenwart freuten sich über die kühne List ihrer Vorfahren in dem Mutterlande. Die spanische Herrschaft lastete schwer auf Breda, wie auf so vielen holländischen Städten und zähneknirschend suchten die Bürger das eiserne Joch von sich abzuschütteln. Vergebens bemühten sie sich, ihre Tyrannen zu vertreiben, vergebens beeiferte sich Prinz Moritz von Nassau, die Wälle von Breda zu ersteigen und die holländische Flagge darauf zu pflanzen. Da wagte es ein junger kriegerischer Patriot mit siebzig Gleichgesinnten, den Feind zu überrumpeln. Sie verbargen sich in dem Rumpf eines Torfschiffes und ließen das Deck mit Torf vollstauen. Die Spanier, welche schon Mangel an Feuerungmaterial litten, ließen das Schiff bereitwillig ein. Aber zur Nachtzeit wurde es plötzlich lebendig in dem Rumpf des Schiffes. Die siebzig Holländer kamen aus demselben hervor. Die ausgestellten Wachen wurden niedergemacht und die Tore weit aufgesperrt. Zwei Raketen, weiche hoch in die Luft stiegen, deuteten an, daß die List gelungen sei, und Moritz von Nassau, der sich bereit hielt, rückte in das befreite Breda ein, bevor die Spanier den Schlaf von sich geschüttelt hatten. Der Jubel der Zuschauer überstieg alle Grenzen, als nun die spanische Flagge zu Boden fiel und die holländische Trikolore sich über dieselbe erhob.

Aber mitten in dem Jubel fuhr es nieder wie ein kalter Schlag. Aus dem harmlosen Spiel ward eine blutige Wahrheit. Ein junger Bursche, welcher zu der Truppe gehörte, ein echtes holländisches Blut, war nicht damit zufrieden, daß die spanische Flagge am Boden lag. Er hob sie wieder auf, sprang damit bis dicht an die Lampen, riß sie in zwei Stücke und trat sie mit Füßen.

Stummes Staunen auf der einen Seite. Laute Rufe des Erschreckens über eine solche Beleidigung einer befreundeten Flagge auf der öffentlichen Bühne. Hier und da ein vereinzeltes Klatschen; ein ermunternder Zuruf.

Aber all dieses übertönte ein Wutgeschrei, welches von der oberen Galerie erschallte. Eine spanische Brigg, welche auf der Rhede vor Anker lag, hatte einen Teil ihrer Mannschaft an das Land gesendet, und diese wohnten dem Schauspiel bei. Sie verfolgten mit südlicher Lebhaftigkeit das Schicksal ihrer spanischen Landsleute, und gaben ihren Beifall sowie Mißfallen auf die unzweideutigste Weise kund. Aber als nun ihre Flagge beschimpft und zerrissen am Boden lag, brach der verhaltene Ingrimm los. Sie legten sich über die Brüstung hinaus und warfen ihre Messer nach dem kecken Schauspieler. Schnell waren sie von der Galerie verschwunden, aber eben so schnell waren sie auf dem Theater. Kein Mensch konnte sagen, wie es geschah, allein sie waren dort und alsbald begann ein wütender Kampf. Holländisches und anderes Seevolk mischte sich dazwischen. Die Bühne erdröhnte von dem wilden Geschrei und Gestampf.

Die Damen in den Logen waren bis zum Tode erschrocken. Mehrere entflohen, andere lagen ohnmächtig auf den Stühlen. Einige hielten ihre Begleiter zurück und beschworen sie mit Tränen, sich von der Teilnahme an dem Kampf, der ein blutiges Ende zu nehmen drohte, fernzuhalten. Die Mutigeren forderten ihre Kavaliere auf, sich dazwischen zu werfen und dem Tumult ein Ende zu machen.

Baron Eberhard war bereits gerüstet und mit dem Rufe: »Mir nach, ihr Herren!« stürmte er auf das Theater. Seiner Entschlossenheit gelang es, mit Erfolg einzuschreiten. Unter denen, welche ihm am tapfersten beistanden, war einer der Schauspieler, der in dem Stücke einen spanischen Hauptmann spielte und noch im vollen Kostüm war. Der Baron lobte ihn und ermunterte zum fortgesetzten Kampfe.

Das blutige Spiel nahte seinem Ende. Milizen wurden herbeigerufen und begannen aufzuräumen. Da erfaßte den Schauspieler, welcher dem Baron einen mannhaften Beistand leistete, ein glücklicher Gedanke. Er raffte die Fetzen der spanischen Flagge auf, knüpfte sie mit der holländischen zusammen und zog sie, so vereinigt, an einer und derselben Stange auf.

Lauter Beifall belohnte diese entscheidende Tat. Die hochgehenden Wellen hatten sich bereits gelegt, jetzt waren sie vollends beruhigt. Das Haus entleerte sich nach und nach. Die Bühne wurde frei.

Der Baron zögerte bis ans Ende. Als die letzte Spur vertilgt war, brach auch er auf. Er grüßte den Schauspieler, der die Katastrophe beschleunigte, und sagte lächelnd:

»Ihr habt das Handwerksmäßige Eurer Kunst gut inne. Es war ein brillanter Theatercoup.«

»Ich habe den Herren Komödienschreibern ein wenig ins Handwerk gepfuscht,« entgegnete der Schauspieler.

»Schade, daß Ihr nicht Soldat gewesen seid,« fuhr der Baron fort. »Ein entschiedenes Auftreten, wie Ihr es zeigt, ist etwas wert im Kriege.«

»Ich war Soldat, Herr Baron.«

»Und habt den Dienst verlassen?«

»Ich diente in der Armee der holländisch-ostindischen Compagnie. Die Mynheers machten glänzende Versprechungen und ich glaubte denselben, bis ich endlich merkte, daß sie mit mir Komödie spielten. Da warf ich den Degen weg und fing selbst an, Komödie zu spielen.«

»Mit Glück, wie man sieht!« warf der Baron hin.

»Man spielt eine Rolle auf der Bühne, wenn man zu einer Rolle im Leben verdorben ist!« entgegnete der Schauspieler mit einer Verbeugung. Es war etwas in dem Ton seiner Stimme, was den Baron interessierte. Derselbe wandte sich abermals zu dem Schauspieler und sagte:

»Ihr sprecht das Deutsche so rein, wie ich es selten von einem Holländer hörte.«

»Ich habe die Ehre, ein Landsmann des Herrn Baron zu sein.«

»Ihr seid ein Deutscher?«

»Ich bin es, Herr Baron.«

»Aus welchem Teile unseres gemeinsamen Vaterlandes?«

Der Schauspieler zuckte lächelnd die Achseln und sagte leichthin:

»Mein Vater war ein brandenburgischer Küraßreiter und meine Mutter eine lustige Marketenderin. Mein Geburtsort war eine Köhlerhütte; aber auf welchem Territorium sie gestanden hat, ist mir nicht kund geworden. Die deutschen Werber, denen ich in die Hände fiel, fragten nicht danach, und die holländischen noch weniger.«

Er sprach die letzten Worte mit Ingrimm aus. Der Baron betrachtete ihn mit Teilnahme und sagte:

»Wenn Ihr einmal das Komödienspiel satt habt, kommt zu mir. Vielleicht kann ich Euch zu einem bessern Gewerbe behilflich sein. Man muß seinen Landsleuten in der Fremde eine Hand reichen.«

Baron Eberhard ging. Der Schauspieler sah ihm nach und sagte vor sich hin:

»Eine Hand, die aufrichtet, oder eine Hand, die noch tiefer herabdrückt? Braucht der Herr Baron einen Freund oder einen Bedienten? Wir wollen es versuchen.«

Er verließ das Theater. Dort stand noch eine vereinzelte Gruppe, seefahrendes und anderes Volk. Der Schauspieler ging dicht an ihnen vorüber. Sie riefen ihm als Zeichen der Anerkennung ein lautes Hurra und ein deutscher Matrose sagte:

»Ein verwetterter Kerl! Was für ein Gesicht er hat! Man könnte es unter Hunderten heraus erkennen. Mir ist, als hätte ich es schon irgendwo gesehen; kann mich nur nicht recht auf Zeit und Ort besinnen.«

»Das ist aber die Hauptsache, alter Maat!« erhielt er zur Antwort. »Etwas behaupten ist leicht; es beweisen ist schwer.«

»Laßt mir nur Zeit, dann finde ich es aus. Das Gesicht, die dunklen Locken sind mir bekannt, mitsamt den feurigen Augen. Es liegt weit hinter mir zurück und ich muß noch jung an Jahren gewesen sein. Hatte immer meine Lust daran, wenn ich irgendwo ein Theater fand und stets ...«

Das weitere verlor sich im Gedränge. Seine Kameraden hörten nicht auf ihn.

Der Platz vor dem Theater wurde leer.

*

Im Gouvernements-Palast war die Stunde des Empfanges. Viele Personen gingen aus und ein. Kaufleute, Pflanzer, Offiziere vom Land- und vom See-Etat. Auch eine Deputation der Maronneger hatte sich eingefunden, um einen neuen Protest einzubringen. Sie wollten die Aufhebung des Tributs erzwingen und dann mit Holland ein Friedens- und Freundschafts-Bündnis errichten, wie es unter Gleichberechtigten abgeschlossen zu werden pflegt. Auch den Schein einer Abhängigkeit wollten sie nicht ferner dulden. Sie brachten ihr Gesuch nicht etwa in Unterwürfigkeit vor, sondern fest und bestimmt, wie es solche tun, die sich bewußt sind, erzwingen zu können, was man ihnen aus eigenem Antriebe zu geben weigert.

Die Umgebung des Gouverneurs geriet bei diesem Ansinnen in Aufregung. Sie drückte ihr Mißfallen auf entschiedene Weise aus, daß entlaufene Sklaven es wagten, ihren rechtmäßigen Gebietern zu trotzen.

Die Neger hörten es, allein sie entgegneten nichts. Sie standen fest und unbeweglich auf einer Stelle, als wären sie mit dem Boden verwachsen.

Der Gouverneur war der einzige, der seine Ruhe äußerlich bewahrte. Keine Miene verriet den Sturm in seinem Innern. Als die Neger geendet hatten, reichte er die ihm eingehändigte Schrift seinem Adjutanten und sagte:

»Ihr mögt abtreten! Wenn wir unsern Entschluß gefaßt haben, werden wir ihn euch kund tun.«

Die Neger entfernten sich. Der Unwille der zurückbleibenden Niederländer brach von neuem los. Der Gouverneur sah die Mynheers der Reihe nach an und sagte dann:

»Es versteht sich von selbst, daß nicht von einem Vertrage die Rede sein kann, der uns auf das Empfindlichste demütigen würde. Es werden Mittel und Wege gefunden werden, wie sich Holland mit Ehren aus dieser Angelegenheit herauswickelt. Bis dahin mögen die Herren Abgesandten Ihrer Afrikanischen Herrlichkeiten warten lernen.«

Das Gespräch wurde allgemein. Verschiedene Ansichten und Meinungen gaben sich kund. Die Köpfe erhitzten sich. Mehrere sprachen zugleich. Man schien die Gegenwart der hochmögenden Exzellenz zu übersehen. Dieser horchte nach allen Seiten. Ihm schien es lieb zu sein, die verschiedenen Ansichten, die in seiner Umgebung herrschten, kennen zu lernen. Plötzlich unterbrach er das Gespräch und fragte laut:

»Wie war Eure Meinung in dieser Angelegenheit, Baron Eberhard?«

Nach dieser Frage entstand eine allgemeine Stille. Der Angeredete trat aus der Reihe und, mit einer Verbeugung sich dem Gouverneur nähernd, sagte er in bestimmter Weise:

»Ich kann nur die allgemein herrschende Ansicht teilen und fühle die Schmach, welche diese schwarzen Bestien uns antun, eben so tief, als der eingeborene Holländer es nur vermag. Aber ich vermag nicht einzusehen, weshalb man das einzige Mittel verschmäht, diese Schmach für immer unmöglich zu machen.«

»Und dieses Mittel, wenn es beliebt, Herr Baron Eberhard?«

»Das Schwert! Man werfe Feuer in den Wald, worin die schwarzen Bestien hausen. Und wenn sie heulend und schreiend aus demselben hervorbrechen, empfange man sie mit Musketenkugeln und Kartätschen, bis die Brut bis auf den letzten Mann vertilgt ist.«

»Der Rat wäre gut; leider fehlt uns zur Befolgung desselben die Armee des Mutterlandes, oder die der ostindischen Compagnie,« bemerkte der Gouverneur achselzuckend.

»Mit zweitausend Mann gutgeschulter Truppen will ich das Wagnis unternehmen und dann bürge ich mit meinem Kopf für einen glücklichen Ausgang.«

»Der Kopf des Baron Eberhard ist mehr wert, als daß er auf eine so abenteuerliche Weise preisgegeben werden dürfte.«

»Behandelt eine so ernste Angelegenheit nicht wie eine scherzhafte Bagatelle, Exzellenz.«

»Behüte mich Gott, Baron. Es war im vollen Ernste gemeint.«

»Dann hat es den Anschein einer Beleidigung,« fuhr der Baron mit erhöhter Stimme fort. »Es liegt darin ein Zweifel an meinem Mut.«

»Nicht doch! Wer in diesem Kreise hätte die Kühnheit, eine solche Behauptung zu wagen?« entgegnete der Gouverneur rasch. »Im Großen wie im Kleinen stets der unerschrockene Soldat. Ihr habt es noch vor einigen Abenden im Theater bewiesen.«

Der Baron biß sich auf die Lippen. Er war fest überzeugt, daß der Gouverneur diese letzte Aeußerung nur machte, um ihm weh zu tun, und suchte nach dem rechten Wort der Erwiderung. Allein jener kam ihm zuvor, indem er in der verbindlichsten Weise sagte:

»Ich statte Euch in Gegenwart der Mynheers gern und willig den Dank ab, den die Kolonie Euch für Euer entschlossenes Benehmen schuldet. Ihr tratet einen glimmenden Funken aus, der zu einem schlimmen Brande die Veranlassung geben konnte, und ich werde daran denken, diesen Dank Euch durch die Tat zu bekräftigen. Mynheers, ich danke für Eure Aufmerksamkeit. Leider muß ich die Freude entbehren, Euch länger bei mir zu sehen, allein dringende Geschäfte erfordern meine Gegenwart. Auf Wiedersehen! Baron Eberhard, noch auf ein Wort!«

Die beiden waren allein. Der Gouverneur deutete auf einen Sessel, setzte sich neben den Baron und sagte:

»Ich fühle die Verpflichtung, mich gegen einen Mann, wie Ihr seid, offen auszusprechen, um nicht mißverstanden zu werden. Ich wiederhole Euch nicht den Dank für Euer letztes Benehmen im Theater. Es ist nur eine Tat mehr zu den vielen, für welche die Kolonie Euch verpflichtet ist. Der Schauspieler, der durch einen sogenannten Theaterkoup die Angelegenheit zum glücklichen Abschluß brachte ...«

»Er hat mir mitgeteilt, daß Euer Exzellenz sich durch einen Offizier hat bedanken lassen und daß dieser Dank von einem namhaften Geldgeschenk begleitet war.«

»Das letztere mag für den Mann leicht mehr Wert haben als der erstere,« warf der Gouverneur leicht hin. »Euch, Herr Baron, genügt es, uns einen Dienst geleistet zu haben, wie er eines Kavaliers würdig ist. Allein die Kolonie darf sich dadurch ihrer Pflicht nicht als enthoben betrachten.«

»Exzellenz, ich hoffe nicht, daß man mir ein Anerbieten zu machen denkt, das mich ...«

Der Gouverneur ließ ihn nicht ausreden, sondern sagte, seine Hand beschwichtigend auf den Arm des Barons legend:

»Ihr denkt nicht im Ernst, daß ich Euch Euern Dienst abkaufen wollte, vielmehr bin ich gesonnen, noch einen weiteren von Euch zu fordern.«

»Dazu habt Ihr ein Recht, Exzellenz. Ich stehe im Solde der Kolonie.«

»Nicht so, Baron Eberhard. Nicht des Degens bedarf es, sondern des klugen, gewandten Unterhändlers. Ihr habt mehrfach bewiesen, daß Ihr auch darin ein Meister seid. Die Verwicklungen mit dem französischen Guayana nehmen überhand. Holland wäre in Verlegenheit, wenn jetzt ein offener Bruch entstände. Wir müssen denselben um jeden Preis verhindern und dies zu bewerkstelligen habe ich Euch ersehen.«

»Mich, Exzellenz?«

»Euch, Herr Baron. Ihr seid ein Deutscher und habt keinen amtlichen Charakter. Der Privatmann wird nicht so genau beobachtet, wenn er das eine Land verläßt, um ein anderes zu betreten, das mit dem ersteren in gespannten Verhältnissen steht. Er findet Mittel und Wege, zum Ziel zu gelangen, die einem Gesandten mit offiziellem Charakter nicht zugänglich sind. Er kann unabhängig handeln ...«

»Und wenn seine Sendung nicht den gewünschten Erfolg hat, kann man ihn verleugnen!« unterbrach der Baron den Gouverneur.

Dieser schwieg betreten. Der Baron hatte seinen geheimsten Gedanken erraten. Doch faßte er sich fast in demselben Augenblick und sprach:

»Eine solche Maßregel würde – wenn sie in unserer Kolonialverwaltung überhaupt möglich wäre – hier nicht stattfinden können, weil es sich nur um die Ueberbringung einer Botschaft, sowie darum handelt, die Stellung der Kolonialverhältnisse Hollands, derjenigen auf Französisch-Guayana klar auseinander zu setzen, um dadurch den Boden für künftige Unterhandlungen zu gewinnen. Der Auftrag ist ehrenvoll und eines Kavaliers Eures Ranges würdig.«

Der Baron bedachte sich. Die Lage der Dinge hatte für den romantischen Deutschen etwas Verführerisches. Der Gouverneur bemerkte es und fuhr fort:

»Wir vermeiden alles, was als eine offizielle Sendung gedeutet werden kann. Ein dänischer Kauffahrer, der zum Absegeln nach Cayenne bereit ist, nimmt Euch als Passagier an Bord. Niemand kommt auf die Vermutung, daß ein holländischer Gesandter unter der Flagge eines dänischen Kauffahrers sich einer fremden Küste nähert ...«

Eine Pause entstand, der Gouverneur erhob sich und sagte:

»Mein Antrag hat Euch überrascht. Ueberlegt ihn Euch und laßt mich morgen Eure Meinung wissen. Es versteht sich von selbst, daß wenn Ihr ihn ablehnt, er ein Geheimnis bleibt, das nur zwischen uns beiden besteht.«

»Mein Ehrenwort darauf,« sagte Baron Eberhard und entfernte sich. Am andern Tage erschien er nach beendeter öffentlicher Audienz im Gouvernements-Palast und ließ sich melden. Er wurde augenblicklich vorgelassen und jeder weitere Besuch verbeten. Die Unterhaltung dauerte eine geraume Zeit. Als der Baron sich entfernte, ging der Gouverneur triumphierend auf und ab:

»Das gelang! Der Herr Baron werden, trotz aller Anspruchslosigkeit, von Tag zu Tag hier einflußreicher und drohen, uns die Zügel zu entreißen. Die besonnenen Mynheers lassen sich von diesem feurigen Deutschen imponieren und wagen es, mir zu widersprechen. Ihre Worte sind derartig, daß man fürchten muß, die Tat folge ihnen auf dem Fuße nach. Ich habe aber keine Lust, den Platz zu räumen, also muß es dieser Baron tun, und darum schicken wir ihn morgen nach Cayenne.«

*

Monate verstrichen. Der Baron war in Cayenne angekommen und harrte wochenlang der Entscheidung. Statt eines raschen Entgegenkommens, welches man ihn hatte hoffen lassen, erfuhr er Weitläufigkeiten aller Art. Man begegnete unverhofften Schwierigkeiten, und wenn sie kaum gehoben waren, traten andere an deren Stelle. Die Geduld erschöpfte sich. Der Baron befand sich in einem Zustande ungewöhnlicher Aufregung. Mit einem Schlage wollte er die Angelegenheit beenden. Sie sollte biegen oder brechen.

Mit diesem Entschluß begab er sich in das Hotel des Gouverneurs. Achselzucken, Bedauern empfingen ihn. Der Gouverneur könne ihn nicht sehen; heute nicht, morgen nicht. Seine Exzellenz wären nicht unbedenklich erkrankt und hätten mit Tagesanbruch die Stadt verlassen, um auf ihrem Landsitz Genesung zu finden.

»Dann folge ich ihm dahin!« rief der Baron in steigender Ungeduld. »Ich merke es seit langem, daß man mich hier nutzlos aufhält, und will die Angelegenheit beendet wissen.«

Der Schreiber, durch welchen der Baron die Mitteilung von der Abreise des Gouverneurs empfing, entgegnete höflich:

»Der Herr Baron ist Herr seiner Handlungen. Nur fürchte ich, daß die Reise, welche Dieselben nach der Villa des Gouverneurs beabsichtigen, ebenfalls zu keinem Resultat führen wird. Der Herr Baron werden denselben nicht sehen; man wird das von den Aerzten erlassene Verbot vorschützen.«

»Vorschützen, sagt Ihr? So wäre die Krankheit nur eine Erfindung ...«

Der Baron schwieg vor Entrüstung. Ihm stieg das Blut zu Kopf. Eine Unruhe, deren er nicht Herr werden konnte, bemächtigte sich seiner. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn. Der Schreiber entgegnete rasch:

»Ich muß den Herrn Baron dringend bitten, auf ein Wort, das mir unwillkürlich entschlüpfte, nicht ein allzu großes Gewicht zu legen. Uebrigens wollte ich mir erlauben, dem Herrn Baron einen guten Rat zu geben, wenn Dieselben ihn von einem so einfachen Manne annehmen mögen.«

Das Unbehagen des Barons war im Steigen. Es sauste ihm vor den Ohren. Er nickte dem Schreiber zu, fortzufahren, und dieser sagte:

»Der Herr Baron sind hier nicht akklimatisiert. Cayenne ist ein gefährlicher Ort, und wenn das Fieber ausbricht, rafft es Tausende hin. Aber der Herr Baron wollen vergeben. Ich habe Geschäfte und es ist schon spät.«

Der Baron sah dem Schreiber nach und bemerkte, daß dieser ein Papier zur Erde fallen ließ, ohne es wieder aufzunehmen. Es geschah zu auffällig, als daß es nicht mit Bewußtsein geschehen sein sollte. Rasch hob der Baron es vom Boden auf und warf einen Blick hinein. Es war die Handschrift des Gouverneurs von Holländisch-Guayana und an den Befehlshaber der französischen Militärmacht von Cayenne gerichtet.

Es schwamm ihm vor den Augen. Verrat! Heimtückischer Verrat! Baron Eberhard war nur nach Cayenne gesandt, um es nicht wieder zu verlassen. Man solle ihn dort möglichst hinhalten. Die holländische Regierung würde es mit Dank anzuerkennen wissen, wenn Frankreich die Dienste eines Mannes zu gewinnen suche, der für Holland eine Unmöglichkeit geworden sei. Vielleicht würde Cayenne, berauscht von den hochfliegenden Ideen eines phantastischen Deutschen, sich in ein Eldorado verwandeln und dadurch eines Glückes teilhaftig werden, welches sich Holland, das gern mit festen Füßen auf sicherem Boden stehe, versagen müsse. Der ganze Brief war in einer Weise abgefaßt, daß die Absicht, welche damit bezweckt wurde, unverhohlen zutage trat.

»Verrat!« rief der Baron und erhob drohend die Hand. Seine Augen glühten. Seine Pulse jagten. Aber es war die letzte Kraftanstrengung. Die Schwäche des Körpers siegte über das geistige Wollen. Er mußte nach der Lehne eines Stuhles greifen, um nicht umzusinken. Der Uriasbrief fiel zur Erde.

Kaum war es geschehen, als der Sekretär, der draußen wartete, wieder eintrat. Er hob den Brief auf, den er in die Tasche schob, und sagte unbefangen:

»Der Herr Baron entschuldigen, aber es wird demselben angenehm sein, zu erfahren, daß Dero Begleitung mit der Sänfte angelangt ist.«

Ohne etwas darauf zu entgegnen, entfernte sich Baron Eberhard. In seiner Behausung angelangt, war er gezwungen, sein Bett aufzusuchen. Der herbeigerufene Arzt erklärte, daß einer großen Gefahr vorgebeugt werden könne, wenn sich der Patient zu einer schnellen Luftveränderung entschlösse. Am ratsamsten sei in Fällen, wie der vorliegende, eine Fahrt auf die offene See hinaus. Die Aerzte von Cayenne wissen immer ein Mittel zu finden, um die dem Klima rettungslos Verfallenen aus ihrer Nähe zu entfernen. Das Gewissen ist dann gerettet und der gute Ruf leidet nicht.

Dem treuen Diener war es gelungen, einen Schiffer zu finden, der mit dem abendlichen Landwinde die Anker lichten wollte. Der Baron gab schweigend seine Einwilligung und Baron Eberhard wurde an Bord eines Schiffes gebracht, welches bestimmt war, Paramaibo anzulaufen, um dort einen Teil seiner Ladung zu löschen. –

Das Audienzzimmer in dem Gouvernements-Palast zu Paramaibo war ganz gefüllt. Zu den Personen, welche wichtige Geschäfte hierher führten, gesellten sich solche, deren Anliegen durch eine Verschiebung nichts einbüßte. Viele kamen auch nur der bloßen Neugier wegen. Es waren Nachrichten aus dem Mutterlande angekommen und jeder sehnte sich danach, der erste zu sein, der die willkommene Botschaft glücklicher Ereignisse vernehmen und weiter tragen könne. Der Kommandant des Staatenschiffes war noch in dem Kabinett des Gouverneurs und hatte mit demselben eine geheime Unterredung. Die begleitenden Offiziere des Schiffskommandanten befanden sich in dem Audienzzimmer. Man drängte sich an sie. Man überhäufte sie mit Komplimenten und bat um die Ehre, sie bei sich empfangen zu dürfen; allein die Mynheers glichen lebenden Statuen, welche nicht imstande waren, den Mund zu öffnen. Eine stumme Verbeugung war alles, was die größte Beredsamkeit als Antwort zu erringen vermochte.

In diesen Augenblicken ruheloser Erwartung, die sich von dem Palast aus über die ganze Stadt verbreitete, hatte niemand ein Auge für die kleinen, unbedeutenden Ereignisse. Erfüllt von dem Außerordentlichen, das von fernher erwartet wurde, zu einer Stunde, wo vielleicht Krieg und Frieden zur entscheidenden Wahl stand, mochte es jedermann gleichgültig sein, daß ein Mann aus der Behausung eines Negers in das helle Sonnenlicht hinaustrat. Es war der deutsche Schauspieler, welcher während der Aufführung des Torfschiffes von Breda die Flaggenszene aus dem Stegreif spielte. Als die Gesellschaft, zu welcher er gehörte, Paramaibo verließ, war er bereits erkrankt und mußte daher zurückbleiben. Baron Eberhard nahm sich seiner an: allein da bald daraus die Abreise des letzteren eintrat, war niemand da, der sich um ihn bekümmerte, und in der Hütte des Negers fand der arme deutsche Komödiant seine Heimat.

Er wankte dem Hafen zu und näherte sich dem Landungsplatze. Hier legte das Boot eines Küstenfahrers an, der von Cayenne kam, um einen Passagier zu landen. Nur mit Hilfe eines Matrosen gelang es demselben, das Boot zu verlassen und die Brücke zu betreten. Die Diener folgten mit dem Gepäck.

»Baron Eberhard!« rief der Komödiant. »In welchem bedauernswerten Zustande treffe ich Euer Gnaden?«

»Ich sehe wohl,« entgegnete dieser mit einem schmerzlichen Lächeln, »daß wir eine und dieselbe Rolle gespielt haben. Der Meister, der unser Schauspiel dirigierte, hat uns ein tragisches Ende zugedacht.«

»Hoffentlich nicht. Euer Gnaden!« sagte der Komödiant. »Ich rechne vielmehr, nachdem die Katastrophe überstanden ist, auf einen glücklichen Ausgang.«

»Dann bilden wir beiden die Gegensätze in dem Drama, worin wir spielten. Aber so lange ich noch zu atmen vermag, werde ich einen Landsmann nicht verlassen. Ihr findet den gewohnten Zufluchtsort bei mir.«

Er ging nach der Richtung des Gouvernements-Palastes, wo die Audienz sich ihrem Ende näherte. Man verabschiedete sich gegenseitig, als der Diener mit lauter Stimme meldete:

»Baron Eberhard!«

Der Gouverneur entfärbte sich. Nach den neuesten Nachrichten, die er aus Cayenne empfing, hatte er auf einen andern Ausgang gerechnet. Es bedurfte einiger Momente, bevor er die Herrschaft über sich gewann; dann befahl er dem Diener, den Herrn in sein Kabinett zu führen, und entließ die noch anwesenden Personen mit einer Handbewegung.

Der Gouverneur und der Baron standen sich gegenüber. Der erstere nahm das Wort und sagte:

»Ich kann Euch nicht willkommen heißen, denn Ihr habt den Euch anvertrauten Posten verlassen ...«

»Bevor der Uriasbrief in Erfüllung ging, den Ihr um meinetwillen geschrieben!« unterbrach ihn der Baron. »Was soll dieser strafende Blick? Ihr könnt gern die Maske fallen lassen. Ich weiß alles.«

»Ihr sprecht im Fieber, Herr!« sagte der Gouverneur kalt. »Das Klima von Cayenne hat seine Signatur mit unverlöschlichen Zügen in Eure Stirn gegraben.«

»Sie wird mich nicht hindern, meine letzten Pflichten zu erfüllen!«

»Möchtet Ihr damit glücklicher sein, als es Euch bisher gelungen ist!« entgegnete der Gouverneur mit kaltem Spotte. »Das Vertrauen, welches man in Euch setzte, ist durch nichts gerechtfertigt. Unsere Angelegenheiten sind durch Eure Mission eher verschlimmert als gebessert. Man würde es dem Gouvernement nicht übel deuten können, wenn es eine Untersuchung anordnete und Euer Verfahren dem Urteil eines unparteiischen Richters vorlegte. Indessen wird dies um Eurer früheren guten Dienste willen nicht geschehen und man erteilt Euch den guten Rat, um Eure Entlassung einzukommen, die Euch mit der gesetzmäßigen Pension gewährt werden soll. Und somit, Herr Baron, denke ich, sind wir am Ende.«

»Das Ende wird der Ausspruch des Gesetzes sein, den ich fordere und dem ich mich unterwerfe!« sagte der Baron. »Aber als Kavaliere stehen wir auf einem andern Boden uns gegenüber. Für die Schmach, welche Ihr mir antatet, gibt es nur eine Genugtuung.«

»Ihr möchtet mit einem Säbelhiebe ausgleichen, was Ihr mit Eurer diplomatischen Weisheit verdorben habt!« entgegnete der Gouverneur abweisend. »Wir sind nicht mehr in dem Alter, wo man leichtsinnig mit dem Degen oder der Pistole einen sogenannten Ehrenhandel ausficht. Meine hohe Stellung ist zu bedeutend, um mich von dergleichen überspannten Ansichten leiten zu lassen. Ich bin der Chef, Ihr seid mein Untergebener; ich befehle und Ihr habt zu gehorchen.«

»Für dieses Wort seid Ihr mir verantwortlich!« rief der Baron im hellen Zorn. »Wenn noch ein Funken Ehrgefühl in Euch ist, müßt Ihr mir jetzt die Genugtuung geben, die ich verlange. Weigert Ihr sie mir, habt Ihr Euch die Folgen selbst beizumessen. Weh! Mein Kopf! – Wollt Ihr die verlangte Genugtuung geben?«

Statt aller Antwort zog der Gouverneur rasch nacheinander die Klingel. Die Dienerschaft flog herein.

»Man geleite den Herrn Baron nach Hause!« sprach der Gouverneur kalt und ruhig. »Seine Gnaden ist plötzlich erkrankt und bedarf der sorglichsten Aufsicht.«

Der Gouverneur entfernte sich. Die Diener nötigten den Baron, der zu schwach zum Widerstande war, sich zu entfernen. Als er sich draußen befand, flüsterte der eine von ihnen seinen Kameraden zu:

»Laßt ihn um Gotteswillen laufen. Er hat das Cayennefieber und ich danke dafür, von ihm angesteckt zu werden.«

Baron Eberhard schwankte. Es dunkelte ihm vor den Augen. Der Schauspieler, welcher ihn bis zum Gouvernements-Palast begleitete und auf seine Rückkehr harrte, trat herzu und sagte:

»Stützt Euch auf mich, Herr! Bis zu dieser Stunde standet Ihr mir bei; jetzt kommt die Vergeltung.«

*

Das Rätsel von Buitenzorg.

Von Surinam nach Java! Eine weite, einförmige Fahrt durch die Ozeane. Monate schwinden von dem Tage ab, wo der Anker vor Paramaibo gelichtet wird, bis zu der Stunde, wo er in der Jakatrabucht vor Batavia wieder in die Tiefe sinkt.

Dort liegt sie, die Stätte des Reichtums und der Fülle, aber auch zugleich der Schauplatz der Qual und der Not ohne Ende, wo die Pest in jedem Winkel lauert und mit ihrem eklen Atem die Luft vergiftet. Hier rastet nur, wen die Notwendigkeit dazu zwingt, oder wer durch die Macht des Goldes an diese Stätte gebannt ist. Wenn der Zweck erreicht ward, flieht der Freigewordene auf die Höhen und atmet dort die reine Luft, die von dem Meere ihm entgegenströmt.

Das Eldorado der stolzen Mynheers ist Buitenzorg. Es ist das wahre Sanssouci der reichen Kaufmannsaristokratie; das eigentliche Ohnesorgen der fürstlichen Beamtenwelt, welche hier ein sybaritisches Leben führt. Im Süden von Batavia erhebt sich der malerische Salak, an dessen nördlichem Fuß sich die Villen von Buitenzorg unter Palmen ausbreiten. Es sind die reichen Vasallen des königlichen Palastes, worin der Generalgouverneur von Holländisch-Ostindien seine Residenz aufgeschlagen hat. Die klaren Wellen des Tjdanie fließen durch die Tropenpracht der Gärten und ergießen sich in einen Kanal, der dieses Paradies mit der Stadt Batavia verbindet. Auf dieser Wasserstraße ist ein steter Verkehr.

Unter den mancherlei Herrensitzen, die sich in dem Schatten der Palmen hinlagerten, befand sich auch derjenige des Mynheer de Klaat. Er war im Besitz ausgedehnter Kaffee- und Zuckerplantagen, die eine glänzende Rente abwarfen und ihm gestatteten, es den ersten gleich zu tun. Er genoß die allgemeinste Achtung, und selbst Mynheer Cornelis de Wiggers, der einer der Bewindhebber der holländisch-ostindischen Compagnie war, würdigte ihn seines näheren Umganges.

Außer seinen reichen Plantagen und seiner fürstlich eingerichteten Villa besaß Mynheer de Klaat noch ein drittes Besitztum, welches ihm mehr als die beiden ersten hätte am Herzen liegen müssen, das ihm aber nichtsdestoweniger zeitweise unbequem wurde, und das war seine Tochter Sartje.

Myjuffrouw Sartje de Klaat gehörte zu der Zahl derjenigen jungen und reichen Damen, welche in der Jugend erster Maienblüte allzu wählerisch sind, bis dann der Glanz allmählich erbleicht und das Herz in banger Sehnsucht derjenigen denkt, die es früher spottend abgewiesen.

Die Dame war unvermählt geblieben. Das reiche Erbe, welches ihre Hand zu vergeben hatte, war nicht stark genug, um einen batavischen Rinaldo zu den Füßen dieser Armida niederzuwerfen.

Da nahte sich in einer glücklichen Stunde der schützende Genius des verlassenen Mädchens und führte ihr den ersehnten Gegenstand zu. Der Bewindhebber Cornelis de Wiggers gab ein ländliches Fest, bei welchem auch Mynheer de Klaat mit seiner Tochter Sartje erschienen waren. Unter den zahlreich versammelten Gästen war einer, der von dem Hausherrn mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt, den einflußreichsten Mynheers besonders vorgestellt und dringend empfohlen wurde. Es war dies ein deutscher Edelmann, Baron Eberhard, der als Offizier im Solde der holländischen Regierung stand und derselben in Surinam nicht unwesentliche Dienste leistete. Mißhelligkeiten, die zwischen ihm und dem Gouvernement ausbrachen, hatten ihn vermocht, seinen Abschied zu nehmen, der ihm in den ehrenvollsten Ausdrücken zuteil ward.

Weshalb er nach Java kam und dort die Bekanntschaft einflußreicher Männer suchte, wußte keiner, da der Baron in dieser Beziehung ziemlich verschlossen war. Sein bescheidenes und doch festes Auftreten, seine eleganten Manieren sicherten ihm die Gewogenheit der Herren. Die zarte Galanterie und die gewählte Ausdrucksweise erwarben ihm die Sympathie der Damen.

Sartje de Klaat gehörte zu denjenigen ihrer Mitschwestern, welche bei den mannigfachen Vorzügen des deutschen Barons von einer zärtlichen Empfindung ergriffen wurden. Sie hörte mit klopfendem Herzen die zierlichen Redensarten an, die er ihr zuflüsterte, als er ihr in aller Form vorgestellt wurde. Sie hatte das Glück, an der Tafel neben ihm zu sitzen und von ihm mit großer Aufmerksamkeit bedient zu werden. Als die Gesellschaft aufbrach, geleitete er sie bis an den Wagen und bat um die Erlaubnis, sich am folgenden Tage nach ihrem Befinden erkundigen zu dürfen. Mynheer de Klaat konnte bei diesem ersten Besuche nicht umhin, den allgemein geachteten fremden Kavalier zu bitten, das Wiederkommen nicht zu vergessen, und Baron Eberhard machte von dieser Erlaubnis den ausgedehntesten Gebrauch. Sartje war im Himmel.

Aber es war nur der Vorhof des Himmels. Das Allerheiligste blieb eigensinnig verschlossen. Der Baron war die Artigkeit und Liebenswürdigkeit selbst. Sein Mund floß über und nur das eine Wort, das langersehnte, wollte nicht über seine Lippen.

Mynheer de Klaat hatte es schon mehrfach bereut, den Baron bei dem ersten Erscheinen in seinem Hause zu ferneren Besuchen aufgefordert zu haben und ihn jetzt als täglichen Gast bei sich sehen zu müssen. Wer viele Gönner hat, hat auch viele Neider. Dem Baron fehlte es nicht daran, und alle diejenigen gehörten dazu, welche der gesellschaftlichen Vorzüge entbehrten, die ihm eigentümlich waren.

Dazu kam, daß mehrfache Gerüchte über den Baron umliefen, die einem so scharf rechnenden Herrn, als Mynheer de Klaat, nicht genehm waren. Er war vermögenslos und sollte geäußert haben, der Reichtum sei nur etwas Zufälliges und Nebensächliches. Er lege gar keinen Wert darauf, denn es könne jemand bis über die Ohren im Golde sitzen und doch blutarm sein. Mynheer de Klaat, der diese letzte Aeußerung buchstäblich nahm, schüttelte zu diesem Wahnsinn gewaltig mit dem Kopfe. Auch sollte es mit dem ehrenvollen Abschied des Barons nicht ganz so beschaffen sein, wie es anfangs erzählt wurde, und was den Charakter desselben beträfe, erhielt man auf jede darauf sich beziehende Frage ein bedenkliches Achselzucken zur Antwort. Man munkelte viel von des Barons Neigung zu wüsten Gesellschaften, wo Spiel und Trunk vorherrschten und am wenigsten die gute Sitte, womit der Baron prunkte, das Regiment führte.

Mynheer de Klaat saß auf der Veranda, mit diesen Gedanken beschäftigt, und nickte einem Manne zu, der mit einer dienstfertigen Verbeugung dem Pflanzer gegenübertrat. Es war der Agent Gerd Bloom, ein etwas magerer, leichtfüßiger Herr, welcher seine Tage damit hinbrachte, gegen eine mäßige Provision anderen Leuten die Mühseligkeiten ihres Lebens abzunehmen, damit sie ihnen nicht zu schwer zu tragen würden.

Gerd Bloom erkundigte sich nach der unschätzbaren Gesundheit seines werten Patrons, machte einige Glossen über ein Paar Mynheers, die Herr de Klaat nicht ausstehen konnte, und sagte dann:

»Der Kaffee sinkt im Preise.«

»Schert mich nicht!« entgegnete Mynheer de Klaat. Er hatte nämlich seinen Vorrat bereits an den Mann gebracht.

»Dagegen ist der Zucker in neuester Zeit beträchtlich gestiegen,« fuhr Gerd Bloom fort.

Ein sonniger Schein flog über das Gesicht des Mynheer, dem die vorjährige Ernte noch auf dem Halse lag. Er nickte dem Agenten zu und sagte leise:

»Losschlagen!«

Gerd Bloom verbeugte sich und machte in seiner Schreibtafel einige Notizen; dann setzte er hinzu:

»Die Surinam-Post ausgeblieben.«

Der Sonnenschein schwand von Mynheers Stirn und verdrießlich fragte er:

»Wo gestern gewesen?«

»Bei Brookers, Mynheer. Der Baron war zum Mittagessen eingeladen und ist nachher mit den beiden Söhnen des Herrn Brookers ausgeritten. Sitzt gut zu Pferde, der Baron.«

»Das geht Ihn nichts an!« polterte Mynheer, und Gerd Bloom schüttelte zum Zeichen des Einverständnisses mit dem Kopf; dann sagte er:

»Heute spät aufgestanden. Abends in Batavia gewesen bei der französischen Madame.«

Die französische Madame war eine Wirtin namens Hortense, die früher mit einem Seemann von Martinique verheiratet war. Sie errichtete ein Wein- und Kaffeehaus und hatte das Glück, durch ihre artigen Manieren sich eine reichliche Kundschaft zu erwerben. Bei den kalten, förmlichen Mynheers erregte das muntere, ungezwungene Wesen der Madame Hortense vielfachen Anstoß. Es galt für unpassend, ein Haus zu besuchen, wo in dem Schutze der Nacht Dinge vorfielen, die ein ehrbarer Mann auszusprechen nicht wagen dürfe.

Mynheer de Klaat beruhigte sich allmählich. Es schien ihm unmöglich, daß ein Mann, der in dem Hause der Madame Hortense verkehrte, den geringsten Eindruck auf seine Tochter machen könne. Er war der Furcht überhoben, einen Abenteurer, einen deutschen Muff zum Schwiegersohn annehmen zu müssen.

Gerd Bloom konnte nicht umhin, seinen Gönner mit noch einer glücklichen Botschaft zu erfreuen. Er beugte sich vornüber und flüsterte geheimnisvoll:

»Kahl und leer.«

Er wies dabei auf die Tasche.

»Ist das wahr?«

»Der Diener sagt es. Herz-Dame hat ihm den Possen gespielt. Der vornehme Baron muß Schulden machen, Mynheer.«

»Lump!« sagte de Klaat und faltete die Hände vor dem Bauch. »Vielleicht läßt er sich mit einem Stück Geld abkaufen und segelt nach Deutschland mit dem nächsten Schiffe zurück. He?«

»Will es versuchen!« gab der Agent zur Antwort, als das Rauschen eines Kleides ihn störte.

Es war Sartje, die auf die Veranda hinaustrat, und die letzten Worte gehört hatte:

»Was will Gerd Bloom versuchen? Vielleicht wieder einmal ehrbare Leute verklatschen und ihnen einen bösen Leumund machen?«

Der Agent war aufgesprungen und zog sich in die möglichste Entfernung zurück. Herr de Klaat, der alles haßte, was ihn aus seiner Ruhe bringen konnte, erhob sich und sagte:

»Sartje, mein Kind! Gerd Bloom hat von mir einen Auftrag wegen meiner Zuckervorräte empfangen und darauf beziehen sich seine Worte. Geht an Eure Arbeit, Mann; ich bin mit Euerm Anerbieten einverstanden.«

Der Agent entfernte sich so schnell er es vermochte.

Sartje rauschte ein paarmal die Veranda auf und ab, dann blieb sie vor dem Vater stehen und sagte mit unterdrückter Lebhaftigkeit:

»Sage es nur offen heraus, daß hier wieder von dem Baron die Rede gewesen ist. Dieser gemeine Mensch, dieser Gerd Bloom, der den Leuten auf Schritt und Tritt nachgeht, ist mir in den Tod verhaßt. Er spürt dem unschuldigsten Geheimnis nach, das er mit boshafter Zunge verdreht, und wenn er nichts zu entdecken vermag, lügt er zusammen, was ihm in seinen Kram paßt.«

»Er spricht also von dem Baron, behauptest du?« entgegnete Mynheer. »Gut. Warum soll er nicht von einem Mann sprechen, den alle Welt im Munde führt? Der Herr ist hier erschienen, keiner weiß wie? Er kommt, woher? Keiner hat es mit Bestimmtheit erfahren, denn jedem erzählt er es anders. Er lebt; kein Mensch weiß, wovon? Er kennt alle Welt: ihn kennt niemand. Er geht in alle Häuser, die ihm bereitwillig geöffnet sind, aber wie es in seinen eigenen vier Pfählen aussieht, weiß niemand.«

Seit geraumer Zeit hatte Mynheer nicht so viel und so anhaltend gesprochen als in diesem Augenblick. Er hielt erschöpft inne, und erst nach einer ziemlich langen Pause sprach er schließlich:

»Der Mann ist ein Rätsel für Buitenzorg. Ein Rätsel, dessen Auflösung bisher keiner wagte, die aber wahrscheinlich nahe bevorsteht. Hoffe, daß nach dem zuletzt Gehörten der Besuch des Herrn nicht mehr bei uns zu erwarten steht.«

»Hat Gerd Bloom das ausfindig gemacht?« entgegnete Sartje gereizt. »O, warum nicht! Man kann einem Manne von Ehre es nahe genug legen, daß er nicht wiederkommen darf. Es meiden alle Leute unser Haus, die sonst hier erschienen sind. Warum soll dieser eine noch bei uns aus- und eingehen? Du machst es mit mir, wie es euer Zauberer mit der Prinzessin machte, wie es in dem deutschen Märchenbuche steht. Er setzte sie in einen goldenen Käfig, dem auf tausend Schritte kein Mann zu nahe kommen durfte, wollte er nicht vom Blitz erschlagen werden.«

»Ich will dir Zeit geben, dein ungehöriges Betragen einzusehen und dich bei mir zu entschuldigen,« antwortete Mynheer de Klaat. »Gehe mit dir zu Rate und gestehe dir selbst, daß es nur deine Schuld ist, wenn dein Leben sich nicht gestaltet hat, wie du es zu wünschen scheinst. Mich bitte ich mit Vorwürfen sowie mit den Ausbrüchen deiner üblen Laune zu verschonen.«

Er entfernte sich und ließ seine Tochter in der allerübelsten Stimmung zurück, die sich aber nach wenigen Minuten auffallend veränderte. Die Wolken verschwanden von der Stirn der Dame und heller Sonnenschein trat an deren Stelle.

Baron Eberhard ritt im leichten Trabe auf die Villa des Mynheer de Klaat zu. Als er die Dame gewahrte, begrüßte er dieselbe mit ritterlichem Anstande, warf einem diensttuenden Malaien, der herbeieilte, den Zügel zu und schwang sich aus dem Sattel. Leichten Schrittes betrat er die Veranda.

»Einen gnädigen Willkommen erflehe ich,« sagte der Baron, indem er der erfreuten Sartje die Hand küßte, »wenn ich ihn gleich nicht verdiene, indem ich es seit zwei Tagen versäumte, mich nach den Befehlen einer so liebenswürdigen Dame zu erkundigen. Darf ich wegen dieser Nachlässigkeit um Verzeihung bitten?«

»Wer könnte eine Bitte, so ausgesprochen, abschlagen?« entgegnete Sartje. Sie nahm den Sessel ein, zu welchem der Baron sie führte, und ersuchte ihn, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Er setzte sich ihr gegenüber und begann das Gespräch mit einer leichten Anmut, welche die Dame dergestalt hinriß, daß sie mit beredten Blicken an seinen Lippen hing. Unwillkürlich wurde das Gespräch lebhafter; allein der Baron beherrschte sich mit einer merkwürdigen Konsequenz. Kein Wort entschlüpfte ihm, das mit Bestimmtheit seine Gedanken ausgesprochen hätte. Mit Spannung horchte Sartje auf die Worte des Kavaliers. Es waren süße, verlockende Töne, aber die, welche sie im Innersten am meisten ersehnte, waren nicht darunter.

Eine Stunde war verstrichen, da erschien der Vater. Seine Stirn runzelte sich bei dem Anblick des Barons; doch überwand er die Mißstimmung und nach einigen allgemeinen Redensarten sprach er die Hoffnung aus, der Herr Baron werde mit einem Platz an der Mittagstafel vorlieb nehmen.

»Leider bin ich gezwungen, diese für mich unschätzbare Ehre abzulehnen,« entgegnete der Baron mit einem Blick auf die Dame; »allein ich habe schon bei dem Herrn Generalgouverneur zugesagt und werde von Seiner Exzellenz erwartet.«

Mynheer sprach einige kühle Worte des Bedauerns. Das Gespräch dehnte sich in Gemeinplätzen noch eine Weile hin, worauf sich der Baron erhob, und mit einem zärtlichen Händedruck von der Dame scheidend, sprach er in gewinnendem Tone:

»Wie überraschend schnell die Zeit in so liebenswürdiger Gesellschaft schwindet. Dank für den herzlichen Empfang. Darf ich die Hoffnung mit mir nehmen, bei meinem Wiedererscheinen einer gleichen Huld teilhaftig zu werden?«

Die Dame entgegnete nichts, aber ihre Augen gaben vollauf Antwort. Der Baron entfernte sich. Als er, noch einmal vom Pferde aus grüßend, davon sprengte, sagte Sartje zum Vater:

»Er war im Begriff, sich zu erklären, als du gerade eintratst!«

»Dann ist es mir lieb, daß ich zur rechten Zeit gekommen bin!« antwortete Mynheer de Klaat trocken. »Um es klar heraus zu sagen, ein Herr von Habenichts paßt mir nicht zum Schwiegersohn. Wir wollen nicht wieder auf das frühere Kapitel zurückkommen.«

Sartje ging in der übelsten Laune auf ihr Zimmer.

*

Die Empfangsstunde kam. Auf dem Kanal erschienen elegante Schaluppen mit farbigen Zelten. Equipagen rollten heran, besetzt mit geschmückten Damen. Die Kavaliere trabten auf stattlichen Rossen nebenher. Einige bequeme Mynheers ließen sich von breitschultrigen Negern in der Sänfte tragen.

Der Mittelpunkt aller dieser in Glanz, Jugend und Schönheit prangenden, von Macht und Reichtum umgebenen Gesellschaft war der Generalgouverneur von Holländisch-Ostindien. Seine Exzellenz, der mit dem Aufwande eines Fürsten das Mutterland repräsentierte, war zugleich ein vollendeter Kavalier, ein Muster edler Männlichkeit und feiner Sitte. Er ließ sich anscheinend zu jedem herab, der sich ihm näherte. Er ging in die Anschauungsweise des ihm Vorgestellten ein und schien mit ihm auf gleicher Stufe zu stehen. Und doch bestand zwischen beiden eine Kluft, welche zu überspringen niemandem gelungen sein würde.

In der nächsten Umgebung des Generalgouverneurs, der seine Gäste mit der ausgesuchtesten Höflichkeit empfing, befanden sich ein Paar junge Offiziere vom Land- und See-Etat, die gewissermaßen Adjutantendienste bei dem gebietenden Herrn versahen. Ihnen ward die Ehre zuteil, den Damen ihre Plätze anzuweisen, und die Herren, welche Seine Exzellenz persönlich anreden wollten, demselben vorzustellen.

»Mit Verlaub, vor Euer Exzellenz das Wort zu nehmen!« sagte einer der jungen Kavaliere. »Hier ist der Baron Eberhard.«

»Euer Exzellenz gestatten,« nahm dieser das Wort, »mich für die mir erwiesene Ehre zu bedanken und mich zugleich nach den Befehlen zu erkundigen, welche Dieselben mir zu erteilen haben. Ich werde ebenso bereit als willig sein, Euer Exzellenz zu Diensten zu stehen.«

»Man könnte den Herrn Baron leicht beim Wort nehmen!« entgegnete der Generalgouverneur. »Mir ist es angenehm, einen Offizier von Ruf vor mir zu sehen und mich mit Genugtuung über die guten Dienste aussprechen, die er unseren Kolonien geleistet hat.«

»Ungern spreche ich von jenen Zeiten, die keine Erinnerungen angenehmer Art zurückrufen!« antwortete der Baron.

»Ich begreife das und habe mir diese Bemerkung auch nur erlaubt, um anzudeuten, daß, wenn irgendwo gefehlt worden ist, eine ehrenvolle Genugtuung nicht auf sich warten lassen darf. Gern biete ich mich zur Mittelsperson an, berechtigte Wünsche zu erfüllen.«

Der Generalgouverneur trat dem Baron näher und sprach so leise, daß die Umstehenden nicht imstande waren, etwas zu verstehen. Als er wieder in die gehörige Entfernung zurücktrat, fügte er hinzu:

»Während mir die Ehre zuteil wird, den Herrn Baron als Gast in meinem Hause zu sehen, wird sich wohl eine Minute finden, diese Angelegenheit weiter zu besprechen. Jetzt halte ich mich entschuldigt, da meine Pflichten als Wirt meine Gegenwart an einer anderen Stelle fordern.«

Die huldvolle Weise, mit welcher die erste Person im Lande den deutschen Edelmann empfing, blieb nicht unbemerkt. Nicht nur die jungen Offiziere flüsterten sich ihre Bemerkungen zu, die eine so ungewöhnliche Höflichkeit hervorrief; auch unter dem übrigen Teil der Gesellschaft war dies nicht unbeachtet geblieben. Baron Eberhard war, ohne es zu wissen und zu wollen, der fast ausschließliche Gegenstand der Neugier, des Staunens und des Neides.

Die Festlichkeiten begannen. Charaktertänze, in prächtigen Kostümen, wurden von Eingeborenen in dem phantastisch ausgeschmückten großen Salon ausgeführt. Die Musikbanden der Regimenter spielten abwechselnd patriotische oder heitere Kompositionen. Erfrischungen werden in Fülle herumgereicht.

Als der Abend hereinbrach, verwandelte sich die Szenerie in feenhafter Weise. Tausende von farbigen Lampen, in Form riesiger Blumen, hüllten alles in ein magisches Licht. Springbrunnen stiegen aus üppig wuchernden Pflanzengruppen auf und verbreiteten köstliche Wohlgerüche. Ein Märchen aus Tausend und eine Nacht schien lebendig geworden, das seinen Gipfelpunkt erreichte, als vor dem Palast ein glänzendes Feuerwerk begann und die dunkle Nacht in Tageshelle verwandelte.

Und doch ward die Aufmerksamkeit von all diesen Herrlichkeiten abgelenkt. Sie wandte sich einem Ereignis zu, welchem einige der Anwesenden als Augenzeugen beiwohnten und das sich jetzt wie ein Lauffeuer durch die Gesellschaftssäle bewegte. Der Generalgouverneur hatte den Baron aufgesucht, hatte ihn unter dem Arm gefaßt und war mit ihm in der offenen Galerie auf- und abgegangen. Welches der Inhalt dieser ziemlich langen Unterredung gewesen war, hatte keiner gehört, allein der Generalgouverneur trennte sich in ziemlicher Mißstimmung von seinem Gaste und sein jüngster Adjutant hörte deutlich, daß Seine Exzellenz vor sich hinsprach: »Das hat man von seiner Zuvorkommenheit, einem Manne zu helfen, sich emporzubringen. Eine kühle Abweisung ist der Lohn!«

Diese Worte zündeten. Man wußte, daß eine Expedition gegen die überhandnehmenden See- und Küstenräubereien im Werke war. Man bedurfte dazu tüchtiger, zuverlässiger Offiziere, und es war daher natürlich, daß Seine Exzellenz dem Baron Eberhard, dem ein guter Ruf voranging, ein Kommando zudachte. Und diese Ehre wurde kurzweg abgelehnt. Warum? Weshalb? Alle Gerüchte, welche über den Baron im Umlauf waren und die seit einiger Zeit zu schlummern schienen, tauchten mit einem Male wieder auf und schossen wuchernd empor.

Der Rückschlag war augenblicklich merkbar. Nach dem ersten Empfang des Barons war dieser der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit; nach der zweiten Unterredung mit dem allmächtigen Gebieter löste sich das leichtgeschürzte Band. Der Baron ward völlig isoliert und entfernte sich aus der Gesellschaft, ohne daß jemand davon Notiz nahm.

Am andern Morgen gab es in Buitenzorg keine Person von Einfluß, die nicht von dem Vorgange unterrichtet war. Die tonangebenden jungen Offiziere, von denen der erste Anstoß ausging, gewannen die Oberhand. Was konnte die Ursache sein, ein so ehrenvolles Anerbieten von der Hand zu weisen? Was anders, als eine jammervolle Feigheit, die mit vergangenen Heldentaten sich brüstet, welche niemand gesehen, und davon läuft, sobald die Gelegenheit sich darbietet, die Wahrheit jener Erzählungen durch die Tat zu beweisen. Man war von dem Zutreffen dieser Ansicht auf das lebhafteste durchdrungen und wollte für den erlittenen Schimpf die durchgreifendste Rache nehmen.

Die Gelegenheit bot sich unverweilt dar. Die Parade hatte auf dem großen Platze vor dem Gouvernements-Palast stattgefunden. Die Offiziere gingen auseinander und schlossen sich den Müßiggängern auf der Parade an.

Unter den Lustwandelnden war auch Baron Eberhard. Die Offiziere, die ihm entgegenkamen, machten keine Miene, auszuweichen. Der Baron blieb stehen und sah den jungen Mann, der ihm zunächst ging, mit festen Blicken an. Dieser verzog den Mund zu einem höhnischen Lachen und drehte sich um. Der Baron rief ihm mit lauter Stimme nach, sich über sein unhöfliches Benehmen zu verantworten.

»Was beliebt?« fragte jener hochmütig.

»Ich verlange, daß man mich um Entschuldigung bittet!«

Der Baron sagte diese Worte kalt und ruhig. Der Offizier entgegnete mit einem Ausdruck, der eine gemeine Schmähung enthielt.

Eine allgemeine Mißbilligung sprach sich unter den Personen aus, die Zeugen dieses pöbelhaften Benehmens waren, und richteten ihre Blicke auf den Baron. Dieser wurde bleich. Ein leises Zittern flog über seinen Körper. Er drückte die flache Hand auf das Herz, als wollte er den stürmischen Schlag desselben unterdrücken. Dann aber erhob er den Kopf und sagte:

»Für diesen Schimpf wird der Herr mir Genugtuung geben, wenn er nicht will, daß ich seinen Namen an den Schandpfahl schreiben soll. Ist einer der Mynheers so gefällig, mir, der ich hier jeder Bekanntschaft entbehre, den Ehrendienst als Sekundant zu erweisen?«

Zwei Offiziere erklärten sich bereit. Zwei andere traten auf die Seite des Gegners. Diese Herren ordneten alles Notwendige für den folgenden Tag an.

Dieses neueste Ereignis, das am hellen Tage vor vielen Zeugen vor sich ging, wurde nach allen Seiten hin verbreitet und gelangte auch zur Kunde des Generalgouverneurs. Der junge Offizier, welcher das Duell auf eine leichtsinnige Weise hervorrief, war der einzige Sohn einer reichen und vornehmen Dame, die all ihre Hoffnung auf den jungen Mann setzte, der ihr allein aus einer glücklichen Ehe geblieben war. Die Freunde der Dame bestürmten den Generalgouverneur, das Duell zu hintertreiben. Dieser wies das Ansinnen zurück mit dem Bemerken, man solle die Herren nur sich mit den Waffen in der Hand gegenübertreten lassen, dann werde sich bald zeigen, wer von ihnen der Poltron sei. Andere hatten es gewagt, den Baron aufzusuchen und ihn im Namen der Mutter zu beschwören, von dem Duell zurückzutreten. Er hörte die Herren mit kalter Höflichkeit an und bedauerte, das an ihn gestellte Gesuch nicht erfüllen zu können.

»Er oder ich!« das waren die Worte, mit welchen der Baron die Herren entließ.

Am andern Morgen sollte das Duell stattfinden. Man war zu Buitenzorg in großer Spannung auf dessen Ausgang.

Um diese Zeit erschien Herr de Klaat in dem Palast des Generalgouverneurs und ersuchte um eine Audienz.

»Was führt Mynheer Willem de Klaat zu mir?« fragte der Generalgouverneur eintretend. »Ich muß bitten, sich kurz zu fassen, denn meine Zeit ist sehr gemessen.«

»Exzellenz,« entgegnete der Pflanzer, »ich komme, um Euer Exzellenz zu melden, daß dieser Baron Eberhard ...«

»Ist er geblieben?« fragte der Generalgouverneur hastig.

Der Pflanzer, welcher von dem Duell nichts wußte, mißverstand die Frage und sagte:

»Der bleibt solange, bis man ihm die Tür weist und, weil das geschah, ist man nicht sicher, daß er zum Fenster wieder hineinkommt.«

»Was soll das?« fragte die Exzellenz stirnrunzelnd.

Mynheer Willem de Klaat sprach von den Besuchen des Barons in seinem Hause, von den Gerüchten, die über denselben umgingen, und von den Gefahren, die eine Familie liefe, die sich mit einem Manne von zweideutigem Rufe einlasse. Mynheer war im besten Gange, als er plötzlich von dem Generalgouverneur mit der Frage unterbrochen wurde:

»Wo sind die Beweise?«

Der eintretende Adjutant befreite Mynheer von der Verlegenheit, zu bekennen, daß die Beweise erst erwartet würden.

Der Generalgouverneur ging dem Adjutanten entgegen. Beide sprachen angelegentlich miteinander. Es geschah so leise, daß Mynheer de Klaat nur einzelne Worte verstehen konnte. Als der Bericht beendet war, sagte der Gouverneur zu dem Adjutanten:

»Begebt Euch sogleich zu der Mutter des jungen Mannes und drückt ihr in meinem Namen das Bedauern über den beklagenswerten Vorfall aus. Ich will hoffen, daß die Verwundung nicht schwer ist und der junge Mann bald wieder seinen Dienst antreten kann. Das Duell selbst betreffend, soll die Untersuchung allen Ernstes geführt werden. Ich will diese blutigen Raufereien nicht dulden, die seit einiger Zeit wieder an der Tagesordnung sind. Der Baron Eberhard ...«

»Exzellenz,« sagte der Adjutant. »Wenn ich gleich bekennen muß, daß der Baron sich bei dem Duell durchaus ehrenhaft benahm, ist es mir wieder unbegreiflich, weshalb derselbe es vorgezogen hat, Buitenzorg auf das Schleunigste zu verlassen. Man sagt, er habe sich gestern Abend einen Platz auf einem der Küstenfahrer ausbedungen, die für Rechnung der Compagnie von einem Punkt der Küste zur andern gehen. Soll ich suchen, die Abreise zu verhindern, wenn es noch Zeit ist?«

»Verhüte der Himmel,« sagte die Exzellenz lachend, auf den Pflanzer deutend, »daß wir diesem Herrn einen solchen Kummer bereiteten. Mynheer de Klaat, Ihr könnt beruhigt heimgehen, da Ihr vernommen habt, daß der Mann, der Euerm Hause so gefährlich scheint, unser Eiland ohne unser aller Zutun verlassen hat. Habt guten Morgen, Mynheer.«

Der Pflanzer empfahl sich mit erleichtertem Herzen. Der General-Gouverneur entließ den Adjutanten, indem er sagte:

»Der Baron erwählt das klügste Teil, indem er dem Sturm aus dem Wege geht, der ihn bedroht. Er denkt vielleicht, in vier Wochen ist die Geschichte vergessen. Aber mich bringt dies auf die Vermutung, daß diejenigen Recht haben, die den Baron für einen Abenteurer halten. Ein echter Kavalier hätte dem Sturm getrotzt. Behaltet die Sache im Auge, Herr.«

Der Adjutant empfahl sich.

*

Der braune Wollkopf.

Das Fahrzeug, auf welchem der Baron sich einschiffte, war kein gewöhnliches Lastschiff. Alles, Bau und Takelage, waren so eingerichtet, daß es schnell und sicher segle. Es war ein sogenannter »Jager« und wurde benutzt, um Nachrichten von einem Küstenpunkte zum andern zu bringen und auf die kleinen Piraten zu kreuzen. Diese ließen sich oft blicken und fügten den Kauffahrern, die sich ihrer nicht erwehren konnten, einen empfindlichen Schaden zu. Zu diesem Zwecke hatte er auf dem Vorder- und dem Hinterdeck zwei eiserne Geschütze und außerdem noch einige Muskedonner und andere Waffen an Bord.

Das Schiff lief eine rasche Fahrt. Bald lag die drückende Atmosphäre, die auf der Reede von Batavia wie ein Alp lastet, hinter ihnen und die frische Seebrise wehte belebend über Deck.

Eine ruhige, tropische Nacht. Der Jager ließ ein langes, glänzendes Kielwasser hinter sich. Die Sterne funkelten golden. Von Zeit zu Zeit glitt ein balsamischer Hauch über das Deck. Es war der Duft der gewürzigen Blüten, der von dem Lande auf die See hinausströmte.

Der Mann am Steuer verwaltete sein Amt spielend. Es blieb ihm Zeit genug, sich mit dem Affen zu zausen, der von der Steuerpinne dem Steuernden auf die Schulter sprang, ihm die Mütze abnahm und damit in dem Takelwerk auf und ab enterte.

Zwei andere Matrosen, junges, frisches Volk, standen bei der Ankerwinde und kurzweilten. Der eine hielt eine Axt in der Hand, machte seinem Maaten unterschiedliche, halsbrechende Manöver vor und sagte dann, zu einem gewaltigen Hiebe ausholend:

»Mit dem einen Schlage werfe ich ihn.«

»Das kann sein,« war die Antwort. »Aber doch nicht eher, als bis du ihn hast.«

»Werde ihn schon bekommen. Dafür heißt unser Schiffer Jan Glückskind.«

»Narr! Er heißt Jan Blaufink!«

»Mit dem Namen spricht ihn niemand an. Alle nennen ihn Glückskind. Und mit Recht. Wenn irgend jemand den Namen verdient, ist er es.«

»Ja, das muß wahr sein. Als Halbmatrose am Bord des »Gelderland« und sieben Jahre darauf als erster Bootsmannsmaat ausgeschieden; dann von dem Kapitän, der einen Narren an ihm gefressen hatte, in der Steuermannskunst unterwiesen und nun selbständiger Befehlshaber eines Jager. Er kann es noch weit bringen.«

»Zuerst wird er den braunen Wollkopf fangen!« sagte der erste von beiden. »Dieser diebische Malaye ist nach seinen letzten Raubzügen so wagehalsig geworden, daß er uns geradezu in den Rachen läuft, wenn wir das Glück haben, sein Kielwasser zu kreuzen. Und dann Hussah! geht es dem Spitzbuben an den Kragen, und ich bringe den Hieb an, den ich dir vorhin zeigte.«

Er hob die Hand, welche noch immer den Stiel der Axt hielt, fühlte sich aber ergriffen und schaute in das Gesicht des Schiffers, der lachend sagte:

»Stopp, mein Junge! Du bist auf dem besten Wege, mir eine oder die andere Decksplanke zu spalten.«

»Meiner Seel', Herr, es sollte eigentlich der Schädel des braunen Wollkopf sein!« entgegnete der Matrose verlegen. »Zeigte meinem Maaten, wie ich bei solchen Gelegenheiten aushole.«

»Wir wollen das so lange aufsparen, bis wir den Wollkopf vor uns haben. Geh und verfange den Mann am Steuer. Seine Zeit ist um.«

»Allstunds, Herr,« sagte der Matrose und ging, den erhaltenen Befehl zu vollziehen.

Der Schiffer, den seine Leute Jan Glückskind nannten, war auf das Verdeck gekommen, um die Morgenwache zu übernehmen. Vor der Zeit hatte er seine Koje verlassen. In der Kajüte war es dumpf und schwül. Die schwere Luft drückte ihn. Hier im Freien atmete er leicht. Und doch war es eine innere Untätigkeit, die ihn von einem Teil des Verdecks zum andern trieb. Er hatte nirgends Ruhe.

Jetzt lehnte er über die Galerie weg und schaute auf das wechselnde Schauspiel vor sich. Dort senkten sich die Wellen mit weißschäumenden Strahlenhäuptern, um in derselben Sekunde wieder an einer andern Stelle aufzutauchen. Es glich einer wandernden Schneekette, unterbrochen von dunklen, niederrauschenden Wassermassen. Mitten innen ragte es hoch empor, wie ein kahles Felsen-Eiland. Es war ein schlafender Hai, der sich tragen ließ von der glitzernden Flut. – Jetzt schoß es aus den Wellen auf wie ein verworrener Knäuel, dessen einzelne Fäden nach allen Seiten hin auseinander stäubten. Es war eine Schar fliegender Fische, die, von ihrem Todfeinde, dem Delphin, verfolgt, das zugeborne Element verließen, um, wenn die Schwingen getrocknet sind, in dasselbe zurückzufallen.

Der Baron kam jetzt auch zu Deck und sagte zu dem Schiffer:

»Ich wünsche Euch einen guten Morgen, wenn man diesen nach einer schlaflosen Nacht haben kann. Wie weht uns der junge Tag so erfrischend entgegen. Habt Ihr etwas in Sicht, Herr?«

»Nichts. Vorhin trieb ein schlafender Hai auf dem Wasser, einem Felsblock so ähnlich, daß ich mich fast hätte täuschen lassen.«

»Das Meer erscheint ein stetes Einerlei und doch ist es wechselvoll und stets gewaltig,« meinte der Baron. »Wollen wir auf- und abgehen und plaudern?«

»Ich bin dabei«, sagte der Schiffer. »Wunderbar ist es, wie es mir mit Euch geht. Wir sind nur kurze Zeit beisammen und mir scheint es, als kennte ich Euch, so lange ich denken kann.«

»Mir geht es ebenso mit Euch,« antwortete der Baron. »Laßt uns daraus schließen, daß wir bestimmt sind, eine lange Zeit zusammenzubleiben, und richten wir unser Benehmen darnach ein. Ohne Zwang und ohne Zeremoniell, wenn es beliebt, offen und geradezu.«

Der Baron hielt die Hand hin, der Schiffer schlug ein und sagte:

»Das gilt! Ihr könnt Euch auf mich verlassen und jederzeit auf mich rechnen.«

»Wie Ihr auf mich. Dies genügt vorläufig. Ein rückhaltloses Vertrauen findet sich, wenn die Herzen warm geworden sind. Wir wollen uns mit unsern Bekenntnissen nicht übereilen.«

»Ich muß Euch dennoch gleich ein Geheimnis offenbaren,« entgegnete der Schiffer. »Mir drückte es das Herz ab, daß ich nicht sagen durfte, was darin pocht und hämmert. Aber wie konnte ich den Leuten gegenüber den Mund aufreißen? Mit Euch ist es etwas Anderes. Außerdem könnt Ihr mir mit Eurer Erfahrung beistehen.«

»Ich will Euch aufmerksam anhören.«

»Möchte nicht mit einer Lüge Euch gegenüber stehen!« sagte Jan Blaufink zutraulich, »darum spreche ich es ehrlich vom Herzen herunter, daß ich keine Ordre habe, an irgend einen Punkt der Küste anzulaufen, um Nachrichten dahin zu bringen, oder von dort abzuholen. Das ist nur so gesagt und recht laut ausgeschrieen worden, um den eigentlichen Zweck zu verbergen. Man fürchtete zu frühen Verrat, denn Spione gibt es allenthalben.«

»Und was ist der eigentliche Zweck?«

»Ich soll hier draußen kreuzen und mich nach dem braunen Wollkopf umtun. Das ist ein Pirat, Herr, welcher der Kompagnie schon oft einen Schabernack spielte.«

»Seid Ihr beordert, ihn anzugreifen?«

»Nein, Herr. Ich soll ihn nur unter Land locken und mich von ihm jagen lassen. Der braune Wollkopf ist ein eigensinniger Bursche. Wenn er einmal eine Jagd begann, läßt er nicht los und wenn der Himmel über ihn zusammenstürzt. Ich soll eigentlich dem Spitzbuben die Schlinge über den Kopf werfen, damit dann einer der jungen Mynheers auslaufen und diese Schlinge zuziehen kann. Aber ich hätte Lust, den jungen Herren die Brühe zu versalzen und den Spaß auf meine eigene Hand zu unternehmen.«

Der Baron stutzte. Es schien, als ob der Gedanke an ein Seetreffen den Landoffizier bedenklich mache. Aber diese Stimmung hielt nur einen Augenblick an. Er schüttelte die Hand des jungen Seemannes und sagte in rascher Aufwallung:

»Das ist wie ein braver Soldat gedacht. Treue Kameradschaft auch in diesem Falle, wenn Ihr mit der Unbeholfenheit einer Landratte Nachsicht haben wollt. Aber nun rate ich, als erstes Manöver, das Geheimnis auch den Leuten gegenüber fallen zu lassen. Der Pirat kann uns vielleicht erst in drei Tagen, oder gar in drei Wochen auflaufen; wir können ihn aber auch schon in der nächsten Stunde in Sicht bekommen. Die Ueberraschung wirkt leicht nachteilig, und das Volk verliert den Kopf.«

»Ihr habt Recht!« entgegnete Jan Blaufink entschlossen und wandte sich dem Vorderdeck zu:

»Hollah Ahoi! Alle Mann!«

»Ahoi! Ahoi!« rief es zurück und gleich darauf sammelten sich die Matrosen des Jager, um zu hören, was ihr Kommandant ihnen zu sagen habe. Mit lautem Beifall wurde die Botschaft vernommen und alle schwuren, auf Tod und Leben ihren Mann zu stehen.

»Das verdient einen Tropfen extra, der euch alsbald eingeschenkt werden soll, und wenn es an's Verteilen der Prisengelder geht, soll jeder seinen vollen Anteil bekommen. Und nun alle Waffen zu Deck, damit wir sehen, was wir dem braunen Wollkopf bieten können.«

Dem Befehl ward alsbald Folge gegeben. Das Verdeck des Jager glich einem kleinen Arsenal.

*

Glatt wie ein Spiegel liegt im ersten blassen Schimmer des Morgens die Straße Sunda, welche die königlichen Eilande Sumatra und Java von einander trennt.

Kein Hauch bewegt die glitzernde Fläche, auf deren Rücken der goldene Seetang treibt, und der braunen Schildkröte, die mitten darin schwimmt, zum Lager zu dienen scheint.

Eine indische Feluke mit drei nach hinten überstehenden Masten, deren jeder ein Sprütsegel trägt, liegt regungslos auf dieser unbeweglichen Flut. Auf dem Deck derselben stehen zwei Geschütze und Waffen aller Art liegen verstreut umher. Ein umsichtiger Waffenmeister scheint hier das Regiment nicht zu führen. Zur Stunde der Not greift jeder, was die Hand fassen kann, um sein Leben und seine Freiheit zu verteidigen, samt den Schätzen, die das Innere der Feluke birgt.

Das Malayavolk, welches dieses Schiff bevölkert, ein Dutzend an der Zahl, liegt ausgestreckt auf dem Deck, den gestrigen späten Rausch verschlafend und von dem heutigen Gelage träumend. Es sind verwegene, konfiszierte Gesichter voll Narben und Schrammen, zum Teil mit Lumpen bekleidet, zum Teil nackt, oder mit einigen prunkenden Fetzen behangen, welche sie von irgend einem Prachtstück ihres Raubes abgetrennt haben.

Die Spuren der gestrigen Orgie liegen noch auf dem Deck umher. Zerbrochene Krüge und Flaschen; die Scherben eines Glases, das der Zecher in der Hand hielt, als er lallend zu Boden sank.

Nun fliegt ein erster goldener Schimmer dem Horizont entlang und glänzt auf der Fläche der See im strahlenden Widerschein. Der Tiger des Ozeans, der riesige Hai, fährt aus der Tiefe empor und spritzt seinen silbernen Wasserstrahl in die blaue Luft empor. Das erste Leben auf diesem weitausgedehnten Schauplatz der Ruhe.

Da wird die Kajütskappe zurückgeschoben und eine riesige Mulattengestalt taucht aus derselben empor. Das Haupt ist mit einem weißen Schal umwickelt; den Leib bedeckt eine brandrote Jacke. In dem breiten Gürtel stecken zwei Pistolen. Ein Pulverhorn hängt von demselben herab.

Mit finstern Blicken betrachtete er den Horizont und die schweigend vor ihm liegende See. Diese Windstille war eine Fessel, die ihn hielt und die er nicht brechen konnte. Er sah die Schläfer um sich her, stieß einen grimmigen Fluch aus und schob den zunächst Liegenden mit einem Fußtritt aus dem Wege. Dieser kollerte einige Schritte weit und murmelte eine Verwünschung zwischen den Zähnen; dann fesselte ihn der Schlaf von neuem.

Abermals öffnete sich die Kajüte und ein junges Inderweib erschien, blendend schön wie der eben erwachte Morgen. Sie flog dem Führer der Feluke entgegen und warf sich in seine Arme:

»Wollkopf, wann kommen wir heim?«

»Wenn die Winde erwachen und unsere Segel füllen, steuern wir nach Nikobarien, wo unser der Friedenspalast harrt. Da beginnt dann ein Leben des steten Glanzes. Wir genießen die Schätze, welche ich dort aufgehäuft habe. Der Preis für ein Leben voll Kampf und Sieg.«

»Wären wir erst dort!«

»Ungeduldige! Habe ich es dir nicht versprochen?«

»Das tatest du schon vor einem halben Jahre und hast es doch nicht gehalten.«

»Gut, daß ich es nicht tat!« lachte der Wollkopf. »Mir fehlte dann, was ich jetzt habe.«

Er stampfte mit dem Fuße und rief der Dirne grinsend zu:

»Weißt du, was unter diesem Fußtritt liegt? Silber, Gold und Edelsteine die Fülle. Dein Leben muß dreimal länger sein, als sonst ein Menschenleben ist, und du wirst doch nicht die kostbaren Gewänder alle tragen, welche in den Kisten auf Erlösung harren. Hei, Mirjam! Ich werde leben wie der Kaiser von Siam und du wirst meine Kaiserin sein!«

»Deine Dienerin, du süßer Wollkopf! Deine Sklavin!« entgegnete Mirjam schmeichelnd.

»Nun denn, Sklavin!« entgegnete der Wollkopf in heiterer Laune, »sei des Dienstes gewärtig. Hole mir einen erfrischenden Morgentrunk und kredenze ihn mir. Bringe auch den Pfauenfächer und wehe mir Kühlung zu.«

Mirjam eilte fort und kehrte bald darauf wieder, den silbernen Pokal in der einen Hand, den Pfauenfächer in der andern. Sie nippte von dem Wein und reichte dem Wollkopf den Pokal, den er in einem Zuge leerte. Sie fächelte sein glühendes Haupt und sagte liebkosend:

»Wir steuern in den Hafen der Ruhe?«

»Ja, das tun wir.«

»Der Spanier, den wir in der vorigen Woche enterten, und den du, als du sein Gold in Sicherheit brachtest, mit allem Volke in die Luft sprengtest, war der letzte?«

»Der verdammte Spanier! Er schlug zwölf meiner tüchtigsten Leute tot, darum mußte er auch springen. Seit dem Tage ist es still um uns her. Kein Hauch bewegt die Luft. Wir liegen wie angekettet. Ich brenne vor Ungeduld ...«

»Und ich verzehre mich vor Sehnsucht!« sagte Mirjam. »Einen bösen Traum hatte ich. Ein großes Orlogsschiff kreuzte unser Fahrwasser und du botest ihm den Kampf.«

Eine finstere Wolke deckte das Gesicht des Wollkopfs:

»Das war im Traum, wie du sagst. Wie könnte ich in der Wirklichkeit daran denken, einem Orlogsschiff mit dem jämmerlichen Rest, der dort schnarchend umherliegt, einen Kampf anzubieten. Meine braven Zwölfer! Der Hai hat sie gefressen!«

»Darum lief es auch so unglücklich im Traume aus,« fuhr Mirjam fort. »Sonst, wenn man einen Gegenstand sieht, der von ferne kommt, ist er klein, und erst, wenn er sich nähert, nimmt er an Größe zu. Hier war es umgekehrt. Das Schiff, wie ein Riese anzusehen, als es am Horizont auftauchte, schrumpfte zusammen, da es näher kam, und als es uns seitlängs legte, war es kaum größer als dein Boot.«

»Gut geträumt, Mirjam!« lachte der Wollkopf. »Es bedeutet, daß mir der Ozean noch ein Boot zuführt, das ich statt des unsern nehmen kann, welches die spanischen Kugeln zertrümmerten. Verdammt sind diese Spanier! Sie ließen mir nur eines und die Heckjolle.«

Die Erinnerung an diesen Gegner, der ihm eine so empfindliche Wunde beibrachte, bevor er unterlag, trieb ihm das Blut zu Kopf. Er rannte einige Male das Verdeck auf und ab; dann stand er plötzlich still und horchte, den Kopf vorgestreckt, mit gespannter Aufmerksamkeit. Er netzte den Finger, wie der Seemann zu tun pflegt, wenn er eine Aenderung in der Atmosphäre zu entdecken meint, hielt ihn hoch empor und wartete in großer Spannung. Mirjam folgte allen seinen Bewegungen mit sichtbarem Interesse.

»Brise!« rief er überlaut und ein Strahl der Freude flog über das wilde Gesicht. »Briese! Die Kette beginnt sich zu lösen.«

Fernab, dem schärfsten Auge kaum erkennbar, begann ein kleiner Teil des blanken Meeresspiegels sich zu kräuseln. Schnell, wie es kam, verschwand es, um an einer anderen Stelle wieder sichtbar zu werden. Es ist der erste Hauch, der durch den toten Raum weht und das kommende Leben verkündet. Es sind die Pfoten der Katze, welche über die See hinschlüpfen, sagt der Seemann, und sich zur Mäusejagd vorbereiten. Hussah! Wo ist die Katze in der Straße von Sunda? Und wo sind die Mäuse?

Dem ersten Hauche, schwach und unhörbar im weiten Raume sich verlierend, folgt der zweite, stärkere und bald ist die glitzernde blanke Fläche verschwunden. Die See kräuselt sich und schüchtern klopft die jüngste sich bebende Welle gegen den Bug des Piratenschiffes.

»Hollah! Alle Mann!« rief der braune Wollkopf, und als dem rasch ausgestoßenen Befehl die Erfüllung nicht auf dem Fuße folgte, riß er die Pistolen aus dem Gürtel und feuerte sie nacheinander ab, daß die Kugeln über das Verdeck hinpfiffen.

Scheltend, schreiend, fluchend fuhren die Schläfer von dem Boden auf. Sie schauten stieren Blickes dem Pulverdampfe nach und schüttelten sich den bleischweren Schlaf ab. Aber als die frische Morgenbrise sie anwehte, als sie die Wellen rauschen hörten, die vernehmlicher an die Seitenwände ihrer Feluke pochten, da erwachte der Seemann in allen denen, die sich dem herrschenden Elemente dienstbar fügten, um es zu beherrschen. Der Steuermann ergriff die Ruderpinne und Mirjam flüsterte dem geliebten und gefürchteten Gebieter zu:

»Sage ihm den Steuerkurs, der in die Heimat führt!«

Die Segel stiegen an den Masten empor und die Feluke flog dahin.

*

Noch immer ist es die Sundastraße, allein an einer anderen Stelle derselben. Dort schwamm bislang auch ein Schiff hilflos umher, jeder Steuerkraft beraubt und unter dem Druck der Windstille leidend.

Aber nun wehte auch über dieses Deck hin der erste belebende Hauch des neuen Lebens und die Mannschaft erwachte aus ihrer dumpfen Betäubung. Der Ordnungssinn, der am Bord dieses Fahrzeuges herrschte, verleugnete sich in solchem Momente nicht. Alle Hände waren geschäftig, in einer halben Stunde stand am Bord alles Vierkant und der blau-rot-weiße Wimpel am Topp, der gerade an der Stänge herunterhing, wehte frisch von derselben ab, einer Schlange gleich sich krümmend und schlängelnd. Die Breitfock und die Besane füllten sich und das Fahrzeug kam allgemach in Fahrt.

»Schlimme Tage das, Baron Eberhard«, sagte der Schiffer zu seinem Passagier. »Werde von meinem Lugaus auf der See nicht viel Ehre heimbringen. Von dem Wollkopf keine Spur.«

»Viele Träume spuken in dem Hirn des Menschen, die nicht in Erfüllung gehen«, entgegnete der Baron. »Ihr habt eine so glückliche Zeit gehabt, daß Ihr immerhin einen Fehlschlag tragen könnt. Kehren wir in Gottes Namen heim. Ich bin des Umherkreuzens müde und Ihr seid auch wohl zu der Ueberzeugung gekommen, daß hier jede weitere Mühe verloren ist.«

»Das tue ich!« antwortete der Kommandant des Jager. »Sobald mein Besteck in Ordnung gebracht ist, lasse ich abhalten auf die Jakatra-Bai. Es ist ein teufelsmäßig schlechtes Geschäft, Herr, mit dem Hut in der Hand vor dem Patron zu erscheinen und zu sagen, daß man nichts ausrichtete.«

Es war ein eignes Verhältnis zwischen diesen beiden Männern. Als sie sich zuerst fanden, fühlten sie sich unwillkürlich zu einander hingezogen und gestanden es sich in edler Freimütigkeit. Sie kamen überein, daß ihr Umgang am Bord offen und geradezu, ohne Zwang und Zeremoniell sein sollte, und der Baron setzte hinzu, das Vertrauen fände sich, wenn die Herzen erst warm geworden wären.

Aber das Vertrauen fand sich nicht. Der Führer des Jager trug eine geheime Scheu, von seiner Abkunft zu reden. Er mochte dem Edelmanne gegenüber nicht aussprechen, daß er nicht einmal von ehrbarer, bürgerlicher Herkunft sei, sondern schob jede freiwillige Erörterung hinaus bis zu der Stunde, wo jener ihn darnach fragen werde. Allein diese Stunde wollte nicht kommen. Der Baron fragte nicht. Ob aus Höflichkeit, ein Geheimnis nicht wissen zu wollen, das ihm nicht freiwillig entgegen getragen ward? Oder aus Furcht, Gleiches mit Gleichem vergelten zu müssen? Wer vermag es zu entscheiden? Die Tatsache bestand und die unerträgliche Langeweile, die während der Windstille am Bord des Jager die gesamte Besatzung ergriffen hatte, wurde dadurch noch peinlicher und unerträglicher.

Aber nun wehte ein neuer Geist durch das Schiff, der mit der neuen Brise erwachte. Der Baron nahm die einen Augenblick stockende Unterhaltung wieder auf und sagte zu dem Schiffer, der über die Galerie weg in das schäumende Kielwasser sah:

»Euch darf das keinen Kummer verursachen. Wohl mag es peinlich sein, dem, der uns mit vollen Händen erwartet, zu sagen, ich habe nichts gefangen. Das Netz ist leer, allein Ihr habt das Bewußtsein, nichts versäumt zu haben, und das ist genug, um Euer Gewissen zu beruhigen. Kommen wir in Batavia an, so seid überzeugt, daß ich der erste bin, der als Zeuge für Euch in dieser Sache auftritt, wenn es eines Zeugnisses bedürfen sollte. Aber da kommt einer von den Leuten. Es ist der Pieter, der Euch ruft. Hört Ihr nicht, Schiffer?«

Es schien, als hätte Jan Blaufink die Worte des Barons gar nicht gehört. Er wandte sich rasch um und sagte mit verlegener Hast:

»Was willst du, Pieter? He?«

»Mit Verlaub, Schiffer. Vor uns, Krahnbalksweise im Luv ist ein Segel.«

Die allgemeine Aufmerksamkeit lenkte sich auf diesen Punkt. Der fremde Segler hatte eine vorteilhafte Lage im Oberwind. Er konnte, wenn er sonst wollte, gerade auf die Breitseite des Jager abhalten, während dieser nur mit Mühe aufzukreuzen vermocht hätte. Das Fernrohr wurde herbeigeholt und der Neuaufgetauchte einer genauen Prüfung unterworfen.

Auch von dem Verdeck jenes Schiffes aus war der Jäger bemerkt worden. Auch dort hielt man einen scharfen Lugaus, auch dort bereitete man alles auf ein ungewöhnliches Ereignis vor und das Schauspiel entwickelte sich auf zweien Verdecken zugleich.

Der braune Wollkopf, der auf dem Wege zu seinem Asyl war, betrachtete den neuen Ankömmling mit gierigen Blicken. Sein kundiges Auge enthüllte ihm in einem Moment die Vorteile, welche er jenem gegenüber hatte, und er befahl mit einer Handbewegung seinem Steuermann, geradeswegs auf jenen abzuhalten.

Mirjam, die stete Begleiterin ihres Freundes, betrachtete ihn mit ängstlicher Aufmerksamkeit. Sie kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, daß etwas Besonderes in ihm vorging, aber bevor er nicht sein Schweigen brach, wagte sie nicht, ihn in seinen Beobachtungen zu stören.

»Der Satanskerl hält gerade auf uns ab!« sagte Jan Blaufink, einen Augenblick das Fernrohr absetzend. »Das hat etwas zu bedeuten.«

Das Auge des Barons war weniger seegeübt. Die Bewegungen eines Schiffes waren ihm nicht geläufig; doch bedünkte es ihn, als ob die Formen des fremden Seglers entschiedener hervorträten.

»Eine Viertelmeile näher!« rief der braune Wollkopf, und ein Zug wilder Freude verzerrte das verwegene Gesicht noch mehr. »Nicht eine Stunde dauert es und wir sind ihm auf Schußweite nahe.«

»Denke an dein Versprechen!« rief Mirjam ängstlich. »Du hast mir dein Wort gegeben, dich in keinen Kampf mehr einzulassen. Wir sind auf dem Wege nach dem Hafen der Ruhe.«

»Nur noch dies eine Mal!« jauchzte der Wollkopf auf. »Schau, wie stolz der Uebermütige sich in meiner Gegenwart auf den Wellen wiegt! Das darf nicht sein. Bauschen sich nicht seine Segel auf, als wäre für keine andern, außer ihm, Raum auf der See? Holla, mein Junge! Wir wollen dir die stolzen Flügel ein wenig beschneiden. Das ist das geeignete Messer dazu.«

Er stieß mit dem Fuße gegen den Lauf des nahe bei ihm stehenden Geschützes und brach in ein wildes Gelächter aus.

»Baron Eberhard, das wird ein heißer Morgen!« rief Jan Blaufink erregt. »Ich lege meine Hand darauf ins Feuer, daß es der braune Wollkopf ist. Er will uns jagen! Uns, den Jager! Laßt mich noch einmal genau hinschauen.«

Die Mannschaft stand in zwei oder drei Gruppen verteilt und hatte für den fremden Segler eine gleiche Aufmerksamkeit wie ihr Schiffer. Flüsternd teilten sie sich ihre Bemerkungen mit und machten sich Zeichen. Jetzt, als sie die laut gesprochenen Worte des Schiffers hörten, gaben sie laut ihre Zustimmung.

Der Baron antwortete nichts. Er hielt die Lippen fest aufeinandergepreßt und schlang die Hände ineinander.

»Klar Deck!« befahl Jan Blaufink rückgewendet und »Klar Deck ist es!« erschallte als Antwort zurück.

»Nein, nein!« rief Mirjam und umschlang den Geliebten mit beiden Armen. »Du sollst, du mußt mir dein Wort halten. Ein Unglück bricht über uns herein. Denke an meinen Traum.«

»Zum Teufel mit deinem Traum und mit der Träumerin dazu!« lachte der Wollkopf und machte sich mit Gewalt von ihr los. »Holla Joho! Wie lautet der Schlachtgesang am Bord des Wollkopfes?«

Ein wildes Geheul war die Antwort, welche die Piraten ihrem Führer gaben.

Mirjam warf sich vor ihm nieder und umklammerte seine Knie:

»Es gilt mein Leben und das Deinige! Du darfst mich nicht ungehört verstoßen. Keinen Fuß breit weiter auf dieser Bahn! Er führt uns in den Abgrund!«

»Hinunter denn bis auf den Boden der See!« antwortete er mit gellendem Lachen. »Aber dann nicht ohne Sang und Klang. Klart die Bugkanone!«

Die Lage des Piratenschiffes war so, daß die Kugel, wenn die Bugkanone abgefeuert wurde, gerade die Breitseite des Jager treffen mußte. Der Führer desselben bemerkte die Bewegung auf dem feindlichen und rief:

»Er will uns eins versetzen! Abfallen! Drei Striche und mehr!«

Das Manöver wurde genau befolgt. Als der weiße Dampf von dem Piratenschiffe aufstieg und die Kugel ihren Lauf begann, hatte der Jager eine andere Lage. Zischend flog der Eisenball hinter demselben weg.

»Und nun geben wir klein bei, bis wir einen tüchtigen Schlag machen können! Holla! Alle Segel bei! Wenn der Wollkopf uns aus der Flucht sieht, verliert er den Verstand vor lauter Lust. Ein fliehendes Schiff vor seinem Buge ist nichts anderes, als gebratener Speck in einer Mausefalle, wenn die Ratten an Bord kommen! Nicht so still, Baron Eberhard! Es wird ein lebendiger Tag. Habt ein wenig acht auf die Geschütze, wenn es beliebt.«

Der Baron ging. Die Geschütze waren klar zum Abfeuern. Die glimmende Lunte lag daneben. Von der Mannschaft des Jager stand jeder an seinem Platze, entschlossen, mit ihrem mannhaften Führer zu stehen und zu fallen.

Die Jagd begann. Dahin sauste der Jager und die Feluke sauste hinter ihm drein. Der Wind gab sich stärker auf, allein keiner von beiden dachte daran, auch nur einen Fußbreit Leinwand zu bergen. Die Fahrzeuge lagen so tief nach See über, daß die Schanzkleidungen unter Wasser standen.

Jan Blaufink blieb kalt und ruhig. Der Baron stand unweit von ihm, bleich und mit geschlossenen Lippen. An Bord der Feluke hatte sich der Wollkopf auf seine Bugkanone gestellt und sein zerrissenes Gesicht glänzte vor teuflischer Lust. Mirjam lag wimmernd am Boden und bat mit flehendem Tone, dieser entsetzlichen Jagd ein Ende zu machen.

Der Wollkopf antwortete mit einem Fluch und rief mit lauter Stimme über Deck:

»Feuert die Bugkanone ab und rennt ihm den Spiegel ein!«

Der Befehl wurde vollzogen. Der Schuß donnerte über die See hin. Hundert Schritte vor dem Spiegel des Jager fiel die Kugel ermattet nieder.

»Fehlgeschossen mein Junge!« sagte Jan Blaufink lachend. »Alle Schüsse treffen nicht, das wußte ich schon, da ich als Jan Kostkind auf der Neptunswerft umherlief. Aber nun ist es Zeit, dem Spiel ein Ende zu machen und mit Ernst an unser Werk zu gehen. Holla, alle Mann!«

Seine Matrosen standen um ihn her und hörten aufmerksam zu. Er unterrichtete sie von dem gefährlichen, wagehalsigen Manöver, welches er beabsichtigte. Als er endete, brachen sie in ein lautes Hussa aus. Er reichte dem Aeltesten die Hand und sagte:

»Das ist gut, Jungens. Entweder wir fallen in einem ehrlichen Kampfe, oder wir fangen einen Hund von Piraten, der mehr als hundert Menschenleben auf seinem Gewissen hat, und für ein gutes Prisengeld soll uns nicht bange sein.«

Die Matrosen drückten ihre Zufriedenheit durch ein wohlgefälliges Schmunzeln aus, worauf Jan Blaufink sagte:

»Baue auf euern Mut, Jungens. Glaube aber, daß es damit nicht allein getan ist. Wir sind doch nur zerbrechliche Geschöpfe, die von einem halben Lot Blei niedergeworfen werden, um nie wieder aufzustehen. Weiß nicht, wie ihr es mit euerem Gewissen haltet; aber ich meines Teils glaube, daß es mit allem Menschenwerk ein törichtes Ding ist, wenn nicht der liebe Herrgott seine Hand darüber hält, und darum denke ich ein Wort mit ihm zu reden, wie es mir gerade aus dem Herzen kommt.«

Er zog den Hut und faltete andächtig die Hände. Seine Lippen bewegten sich. Seine Augen leuchteten.

Die Hüte der Matrosen fielen zu Deck und die harten braunen Finger flochten sich ineinander. Und es war kein Auge, welches nicht wunderbar erglänzte, als mitten im sausenden Flug ein leichtbeschwingter Fregattenvogel senkrecht aus der Höhe herabschoß und auf der Raa der Breitfock sich niederließ.

»Das ist ein gutes Zeichen!« rief Jan Blaufink, wundersam ergriffen von diesem Ereignis. »Wir sind geborgen! Holla, alle Mann ans Werk!«

Die von dem jungen Schiffsführer schon im voraus gegebenen Befehle wurden mit der größten Pünktlichkeit vollzogen. Jede Bewegung des Jager wurde von dem Verdecke des Piraten aus mit leichtem Staunen bemerkt, das allmählich in ein lautes Aufjauchzen überging.

Das Toppsegel senkte sich und die Breitfock wurde in die Gey gestellt. Der Jager, eben noch mit der Feluke im rasenden Wettlauf dahinsausend, strich seine Segel und drehte in den Wind.

»Er kann nicht weiter!« lachte der Wollkopf, »den haben wir!«

Mirjam richtete sich vom Boden auf und sah erstaunt zu dem Freunde auf.

»Siehst du nun«, rief er ihr zu, »wie töricht du warst, mir diesen letzten Kreuzzug zu mißgönnen? Ha! Ha! Da kommt auch sein Wimpel zu Deck. Vollständig ergeben auf Gnade und Ungnade! Nun wartet, ihr holländischen Hunde! Ich schleppe euch mit mir in unser Paradies. Ihr sollt mir Sklavendienste tun euer Lebelang.«

Die Piraten stießen ein wildes Geheul aus, das ihrem Entzücken Ausdruck geben sollte.

Nur noch kurze Zeit und die Feluke war dem Jäger so nahe gekommen, daß eine Flintenkugel das Deck derselben erreichen konnte. Der Wollkopf hatte sein Fernrohr zur Hand genommen:

»Drei Kerle stehen umher und schauen so schafmäßig drein, als hätten sie eine achttägige Seekrankheit überstanden. Würde sie einen nach dem andern niederschießen wie verstürmte Möven, wenn ich sie nicht als lebendiges Zugvieh in meine neue Kolonie schleppen wollte. Lache, Mirjam, lache! Die beiden Stärksten sollen deine Sänfte tragen.«

Und Mirjam lachte.

»Boot über Bord!« rief der Wollkopf und der Befehl wurde alsbald in Ausführung gebracht. »Sechs Mann hinunter mit Pistolen und Enterbeilen. Setzt euere Ruder ein und entert zu Deck, so schnell ihr könnt! Es lohnt nicht, daß ich selbst eine Hand an diese erbärmlichen Gesellen lege.«

Das Boot stieß ab. Es schnitt durch die kristallklare Flut und legte dem Jager seitlängs. Der Schiffer erschien auf dem Fallreep, den Hut in der Hand, als empfange er liebe Gäste. Die Piraten stiegen unbehindert auf das Deck. Ihr Erscheinen brachte nicht die geringste Veränderung hervor. Es blieb still, wie vorher.

Der Wollkopf sah es und es berührte ihn unheimlich:

»Schläft dort alles und haben sich die Unsrigen ihnen beigesellt? Holla! Feuert ab die Bugkanone! Feuert! Feuert!«

Der Befehl wurde mit solcher Hast gegeben und ausgeführt, daß an ein genaues Zielen nicht zu denken war. Die Kugel flog über das Deck des Jager hin. Dort blieb es still, wie zuvor.

»Mir ist es, als hätte ich das Fieber! Mirjam, bringe mir einen Trunk! – Hörst du, Weib? – Warum krümmst du dich am Boden?«

»Mann! Es ist der entsetzliche Traum, der in mir am hellen Tage zum zweiten Male lebendig wird.«

»Du sollst nicht träumen, du sollst wachen. Es waren die besten sechs Kerle, die ich absandte, und sie kommen nicht wieder und ich ... Das halte ich nicht aus! Holla! Die Heckjolle her!«

Mit finstern Gesichtern, langsam und verdrossen wurde der Befehl ausgeführt. Die beiden Piraten, welche sich mit derselben herabgelassen hatten, blieben darin sitzen.

»Ich will selbst hinüber!« rief er und schnallte den Pistolengurt fester. »Bringt mir meinen Säbel!«

Mirjam warf sich ihm in den Weg: »Ich lasse dich nicht! Herbei, ihr Leute! Helft! Haltet ihn!«

»Zurück, Weib!« schrie er ihr zu und schleuderte sie beiseite.

Mit einem Sprunge war er auf dem Fallreep.

Jan Blaufink stand am Mast gelehnt und horchte, den Kopf seitwärts geneigt:

»Hört Ihr das, Baron Eberhard? Die Mäuse sitzen in der Falle und pfeifen! Ein vortreffliches Kunststück! So fingen wir die dummen Jungen weg, welche uns am heiligen Dreikönigstage den Spaß verderben wollten! Stück für Stück in die Schlinge und die Hände auf den Rücken gebunden in den Raum hinunter. Das Werfen habe ich gelernt.«

»Kein Fehlschlag darunter!« sagte der Baron.

»Ein Fehlschlag wäre unser aller Tod gewesen!« antwortete Jan Blaufink ernst.

»Ich bewunderte Euer kaltes Blut!«

Dem jungen Schiffsführer schwebte ein rasches Wort auf den Lippen, allein, er unterdrückte es ebenso schnell, als es entstand und sagte nur:

»Entweder! Oder! – Aber da kommt ein neuer Kamerad! Wollkopf schickt seine Heckjolle, um das Boot zurückzubeordern. Arme Heckjolle, deine Tage sind gezählt.«

Die Heckjolle näherte sich. Das Boot des Jager stand der Länge nach auf dem Verdeck. In demselben raschelte es. Das darübergespannte Leinen bewegte sich. Es wurde ein Kopf sichtbar. Aber ebenso schnell, als er auftauchte, war er wieder verschwunden, als Jan Blaufink leise pfiff.

»Können es nicht abwarten!« sagte er, in sich hineinkichernd. »Die Schlinge in ihrer Hand wird glühendes Feuer. Nun, mir prickelt es auch in den Fingern und ich wollte, es wäre zu Ende.«

Der Wollkopf sprang auf das Verdeck. In demselben Augenblicke flog aus dem Boot ein verschlungenes Tau. Ein anderes kam vom Halbdeck her. Beide wurden so geschickt geworfen, daß die an den Enden der Taue befindlichen Schlingen dem Piraten über den Kopf fielen. Ehe er sich ihrer erwehren konnte, wurden sie fest angezogen. Er stürzte laut brüllend zu Boden. Seine beiden Genossen, die auf dieses Geschrei dem Führer folgten, hatten dasselbe Schicksal.

Eine Stunde später bot sich ein völlig veränderter Schauplatz dar.

Jan Blaufink hatte sich in das Boot der Piraten begeben und den größten Teil seiner Leute, alle wohlbewaffnet, mitgenommen. Sie ruderten von dem Jager ab zu der Feluke, an deren Bord nur noch vier Männer zurückgeblieben waren. Der Widerstand derselben war gering. Sie feuerten ihre Pistolen ab und zwei Matrosen des Jager trugen leichte Wunden davon. Ehe neu geladen werden konnte, war Jan Blaufink oben und seine Braven folgten ihm nach.

Das Gefecht war kurz und entscheidend. Die Piraten ergaben sich auf Gnade und Ungnade. Der Steuermann des Jager wurde zum Prisenmeister ernannt und von dem Topp des Piratenschiffes wehte die holländische Flagge.

Jan Blaufink war an Bord seines Jager zurückgekehrt. Mirjams Flehen hatte ihn gerührt. Er nahm sie mit, damit sie das Schicksal ihres geliebten Freundes teile.

»Mit einem Weibe führe ich keinen Krieg!« sagte er, als er ihr die Treppe zeigte, welche zu den Gefangenen unter Deck führte. »Aber damit Ihr nicht die Schlinge löst, welche ich erst mühsam geknüpft habe, will ich Euch einen Wächter mitgeben, der jeden Eurer Schritte bewacht.«

Auf seinen Befehl begleitete einer der Matrosen die schöne Mirjam in den Raum. Laut schreiend warf sie sich neben dem Geliebten in die Knie:

»Nun ist mein Traum in Erfüllung gegangen!«

Der Wollkopf verharrte in finsterem Schweigen. Als endlich der Tränenquell des Weibes versiegte und sie im stummen Schmerz neben ihm saß, wandte er den Kopf nach ihr um und sagte:

»Mirjam, wenn wir in Batavia ankommen, schleppen sie mich vor Gericht und hängen mich, wie einen gemeinen Dieb.«

Sie schluchzte krampfhaft.

»Ich muß sterben wie ein Hund und bin doch ein großer Krieger gewesen, der die Javasee erzittern machte, jahrelang. Mirjam, wirst du es leiden, daß ich am Galgen ende, weil ich nicht mit dem Schwerte in der Hand habe fallen können?«

»Nein!« sagte sie entschlossen. »Du wirst ihnen nicht zum Schauspiel dienen. Du sollst frei eingehen in das Paradies deiner Väter.«

»Ich habe das von dir erwartet, Mirjam!«

»Du wirst nicht mit Schimpf beladen vor ihnen erscheinen und ich werde dich auf deinem letzten Wege begleiten.«

Er sah sie mit leuchtenden Augen an.

»Ich habe genug für uns beide!« flüsterte sie noch leiser. »Aber wende dein Angesicht von mir und tue, als ob du schliefest. Der Wächter, den sie mir mitgaben, sieht uns mißtrauisch an und bewacht jede unserer Mienen.«

Sie erhob sich aus ihrer knienden Stellung und fuhr laut zu sprechen fort:

»Du willst trinken? Wenn ein Wassertropfen durch Bitten und Tränen zu erlangen ist, sollst du ihn haben. Ihr Leute! Erbarmt Euch eines armen, wunden Mannes, dessen Zunge brennt, und gebt mir für ihn einen Tropfen Wasser.«

Sie ging von einem zum andern und kehrte mit einer halbgefüllten Kalabasse zurück.

»Geliebter!« flüsterte sie. »Hier ist der Schlüssel, der dir die Freiheit gibt. Bist du bereit?«

»Ich bin es!« entgegnete er fest. »Mache ein Ende und gib ihn mir.«

Sie setzte die Kalabasse an und trank. Er konnte einen Schrei nicht unterdrücken. Zusammenschauernd sprach sie:

»Dies war mein Anteil, jetzt gebe ich dir den deinigen.«

Sie hielt ihm die Kalabasse vor, die er bis auf den letzten Tropfen leerte; dann schleuderte sie diese weit von sich, umschlang den Geliebten mit beiden Armen und blieb regungslos neben ihm liegen.

Während dieser Zeit liefen der Jager und die Feluke, nahe hintereinander, mit frischer Brise dahin. Der Baron ging mit dem jungen Führer des ersteren im ernsten Gespräch auf und ab.

»Ihr dürft Euch nicht entschuldigen,« sprach der Seemann. »Ihr seid mein Passagier und wäret zu nichts verbunden. Was Ihr tatet, ist nicht wenig und ich bleibe Euch zu Dank verpflichtet. Wenn Ihr es mir indessen nicht übel deuten wollt, will ich Euch in Bezug auf Eure Person einen Rat geben.«

»Sprecht, Herr.«

»Wer weiß, wie Eure Angelegenheit in Batavia steht. Ihr dürft das Land nicht eher betreten, als bis wir darüber im klaren sind. Meine Leute müssen aber vom Gegenteil überzeugt sein. Jedes ankommende Schiff wird sogleich von einer Anzahl kleiner Malaienboote umringt und man sagt ihnen, daß Ihr mit einem derselben abgefahren seid, was in dem Tumult ganz glaublich klingt. Unterdessen bleibt Ihr in der Kajüte, wo Ihr Seemannskleider finden sollt. Euere Sorge ist dann, Euer Gesicht möglichst zu verstellen, damit man Euch nicht kennt.«

»Ich glaube, daß mir das gelingen wird!« antwortete der Baron mit einem vieldeutigen Ausdruck.

»Und nun gebt Euch keinen trüben Erinnerungen mehr hin!« sagte Jan Blaufink. »Das Glück hat diesem Schiffe einen solchen Sonnenblick zugeworfen, daß kein Schatten auf demselben haften darf.«

Das Gespräch wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen, welches aus dem Raum herausdrang. Der Wächter stürzte mit bleichem Gesicht die Treppe herauf und rief:

»Herr! Ein Unglück! Der Wollkopf ...

»Ist er los?« fragte hastig Jan Blaufink.

»Nein, Herr. Er ist tot. Das Weibsbild gab ihm zu trinken ... Sie ist auch tot ... Kommt doch nur selbst.«

Der Kapitän und der Baron folgten dem Wächter. Gleich darauf standen sie vor den Leichen des Wollkopfes und seiner treuen Geliebten.

»Es ist schade, daß wir die Bestie nicht lebendig an die Kompagnie abliefern können,« sagte Jan Blaufink nach einer Pause. »Aber von dem Weibe gefällt es mir, daß sie ihren Liebsten nicht an dem Galgen baumeln sehen wollte und frischweq mit ihm in die andere Welt abmarschierte. He! Holla! Was gibt es?«

Es war die Stimme des Mannes auf dem Ausguck, die von oben herunterschallte. Laut und vernehmlich erklang es:

»Land in Sicht!«

*

Zwei, die zusammengehören.

Ganz Batavia in Aufruhr. Die Reede dicht gedrängt mit kleinen, schnellruderigen Malaienbooten und anderen Jollen und Schaluppen besetzt. Der Strand mit Menschen besät, die auf irgend eine Art und Weise ihre Empfindungen kundgeben. Ein wirres Rufen, Kreischen und Schreien durcheinander; ein ohrenzerreißendes Singen, Lachen, Toben und Fluchen. Hier klingt ein Tamtam, dort schlägt einer, um seine Lust an etwas auszulassen, mit einer eisernen Keule auf einen zerbrochenen Buganker, der auf der Werft liegt.

Noch vor einer Stunde war es ruhig. Man hatte zwar zwei Segler gesehen, die sich der Reede näherten. Aber das geschah und geschieht alle Tage; wer gibt etwas darauf? Kaum hatten die beiden Segler ihre Anker ausgeworfen, als ein Boot die große Hafenbrücke erreichte und der Malaie, der es ruderte, mit einem Satze an das Land sprang. Er war so aufgeregt, daß er den Zusammenhang nicht finden konnte und mit vieler Mühe die Worte herausstieß: »Wollkopf gefangen!«

»Wollkopf gefangen!« Es waren zwei Worte, die blitzartig zündeten. Gab es in Batavia jemand, der nicht wußte, wer mit diesem Namen gemeint war? Und jeder, der dies wußte, kannte auch die Schrecknisse, welche der kühne Pirat verbreitere, der das Entsetzen der Sundastraße war. Tausend Geschichten, eine noch schrecklicher als die andere, waren von diesem Räuber im Umlauf. Bei Nennung seines Namens zitterte der Fischer, der seine Netze in die See senkte nicht minder als der einsam wohnende Pflanzer, wenn er den Blick über die See gleiten ließ, und am fernen Horizont ein Segel auftauchte. Es konnte ja der Gefürchtete sein.

Und alles dies, was jeder selbst erlebte und erfuhr, was mit Flammenzügen in jedes Herz gegraben war, sollte nun plötzlich der Vergangenheit gehören. Der Wollkopf war tot. Fortan lebte er nur noch im Liede, als eine Sage, als eine Mythe, als ein Schattenbild vergangener Tage. Das ist etwas Staunenswertes, etwas Unglaubliches! Noch mehr, es ist ein Wunder!

Ja, ein Wunder! Und wer hat es vollbracht? Wem dankt Batavia diesen Segen? Wie lautet die Antwort auf diese Frage?

Der erste Malaie, der die Worte sprach: »Wollkopf gefangen!« wußte es nicht. Ihm genügten die beiden Worte, die er mit lauter Stimme ausrief und damit einen Feuerbrand in einen Strohhaufen schleuderte, der hoch aufprasselte.

Aber bald kamen mehrere. Die eine große Gruppe löste sich auf und kleinere bildeten sich strandauf und strandab auf den Brücken, in den Straßen und in den Schenken. Der Arrak floß und machte die Zungen lebendig. Und das Gerücht ist dargestellt als ein schnellfüßiger Knabe in einem Gewande, welches mit tausend Zungen bemalt ist.

Das Gerücht ist ein unverschämter Geselle. Er begnügt sich licht mit einem harmloser Geschwätz aus offener Straße. Er dringt bis in das Innere der Häuser, in die Kontors der Mynheers, in die träumerischen Boudoirs der Damen. Er erschreckt die Alten, die Furcht vor jedem Ereignis haben, welches die gewohnte Einförmigkeit ihres Lebens zu erschüttern droht. Er ist zugleich ein lieblicher Zauberer, der die Phantasie der Jugend mit wunderbaren Bildern erfüllt und eine ideale Welt vor ihnen aufbaut, wovon in der Wirklichkeit keine Spur aufzufinden ist. Raschen Schrittes steigt er die Treppe hinan, welche in die Räume führt, darin sich die Herren von der ostindischen Kompagnie zu versammeln pflegen, wo die großen Packräume sind, woselbst die Seele ihren Sitz hat, die den riesigen Körper lenkt, dessen einzelne Glieder sich über die Ozeane ausbreiten und von Japan nach Rotterdam, von Batavia nach Vlissingen reichen.

Die Schiffe, welche dieses Aufsehen erregten, liegen längst vor ihren Ankern. Es sind ein Jager der Kompagnie und eine dreimastige Feluke mit festem Oberdeck und zwei eisernen Geschützen. Eine Staatenschaluppe mit Matrosen und eine zweite mit Soldaten der Kompagnie angefüllt, sind bereits dorthin abgegangen. An Bord befindet sich ein Offizier, der den Transport der Gefangenen zu leiten hat. Ihn begleitet ein Clerk der Kompagnie, welcher seine Station an Bord der Feluke nimmt, um die auf derselben befindlichen Waren und Kontanten festzustellen und danach die Prisengelder zu bestimmen. Außerdem aber hat er den Befehl, den Kommandanten des Jager aufzufordern, sich ungesäumt an das Land zu begeben und sich in dem Hause der Kompagnie zur Berichterstattung einzufinden.

»Ich will so tun, Herr,« entgegnete Jan Blaufink. »Und ich hoffe, die Mynheers werden mit der kleinen Morgenarbeit zufrieden sein. Es hat sich gerade nicht mehr tun lassen.«

Es erfolgte darauf keine Antwort. Die großen Herren Clerks sind den kleinen Kapitänen gegenüber sehr sparsam mit Entgegnungen. Die Kompagnie ist ein unantastbares Heiligtum und die einzelnen Glieder dürfen der Würde derselben nichts vergeben.

Die Gaffer am Lande hatten vollauf zu schauen. Erst kamen die Soldaten, welche die gefangenen Piraten in Sicherheit brachten. Höhnen und Lachen auf der einen Seite, Flüche und Verwünschungen auf der andern.

Bald darauf folgte ein zweites Boot. Es enthielt die Leichen des braunen Wollkopfs und seiner geliebten Mirjam. Die Menge verharrte in tiefem Schweigen, als die Toten durch ihre Reihen getragen wurden. Bei diesem Anblick starb selbst die Verwünschung in dem Munde derer, die von dem kühnen Piraten seiner Zeit geschädigt wurden.

Mit dem dritten Boote kam der Führer des Jager. Bis vor einigen Wochen war er für Batavia ein unbekannter, aller Welt gleichgültiger Mann, von dem nur seine Vorgesetzten wußten. Jetzt schwebte sein Name auf allen Lippen und sein Lob lebte in jedermanns Munde.

»Hurra, Kapitän Blaufink! Hurra!«

Das Jubelgeschrei setzte sich fort. Ein alter Domine, der das Amt des Geistlichen im Hospitalschiff bekleidete, drängte sich bis zu dem jungen Seefahrer durch und sagte:

»Saul schlug tausend Philister tot, du aber deren zehntausend!«

»Ja,« entgegnete Jan Blaufink mit Laune. »Und noch dazu ohne Eselskinnbacken. Ich bitte euch, Leute, macht nicht so viel Wesens von einem Dinge, von dem ich selbst nicht weiß, wie es hat geschehen können, und laßt einen ruhigen Mann ruhig seinen Weg fortsetzen. Platz, lieben Leute! Platz!«

»Platz! Platz für den Herrn Kapitän! Platz!«

»Erst machen sie mich zum Kapitän und dann setzen sie noch einen Herrn darauf. Hätte ich den Wollkopf laufen, oder mich von ihm fangen lassen, wäre ein verkommener Halbmatrose noch zu viel Ehre für mich. Es ist schon gut, Jungens. Laßt mich gehen, damit ich den Befehlen der hochmögenden Herren nachkommen kann.«

Endlich gelang es ihm, sein Ziel zu erreichen. Die Mynheers empfingen ihn mit würdevollem Schweigen und leisem Kopfnicken; darauf wurde er aufgefordert, seinen Bericht zu erstatten. Er tat es mit dir größten Ausführlichkeit. Ein anwesender Schreiber brachte alles zu Papier. Als der Gegenstand völlig erschöpft war, wandte sich der Vorsitzende mit einigen Worten an die übrigen Mynheers und sagte darauf zu dem Führer des Jager:

»Es ist gut, Schiffer. Ihr könnt jetzt nach Eurem Belieben gehen, wohin Ihr wollt. Morgen um dieselbe Stunde habt Ihr Euch hier wieder einzufinden, um neue Ordre zu empfangen.«

Jan Blaufink entfernte sich. Er strich in der Stadt umher. Ihm lag noch eine andere Angelegenheit am Herzen, nämlich die des Barons, der in seiner Kajüte auf Nachricht wartete. Nachdem er an mehreren Orten vergebens Nachfrage gehalten, begab er sich nach dem Hause, woselbst die französische Dame, Madame Hortense, ein Kaffeehaus hielt, welches von allen Schichten der Gesellschaft besucht wurde. Die Neuigkeiten, die er daselbst erfuhr, waren nicht die besten. Dies und der kühle Empfang der Mynheers versetzten ihn in nicht besonders heitere Laune und verstimmt kehrte er an Bord des Jager zurück.

Er hatte keine Ahnung von dem, was hinter seinem Rücken am Lande geschah. Diejenigen Kaufleute, welche nicht zur Kompagnie gehörten und ihre Waren, welche über See gingen, nicht durch stark bemannte Kanonenschiffe geleiten lassen konnten, waren von einer großen Angst befreit. Sie befanden sich in einem Gefühle der Sicherheit, wie ihnen solches lange nicht zu Teil ward, und in diesem Zustande irdischer Glückseligkeit beschlossen sie, dem Schöpfer desselben einen Beweis ihrer Dankbarkeit zu geben.

Schiffer Blaufink betrat seine Kajüte. Niemand hatte ihm gesagt, daß ihn dort jemand erwarte. Erstaunt sah er auf den fremden Mann, der sich bei seinem Eintritt erhob:

»Wer seid Ihr, wenn es beliebt?«

»Meine Verkleidung muß also gelungen sein, da Ihr mich nicht erkennt, obgleich ich nahe vor Euch stehe!« war die Antwort.

»Baron Eberhard!« rief Jan Blaufink. »In der Tat! Ich hätte Euch nicht in diesem Aufzuge vermutet. Ein Seemann ganz und gar.«

»Ihr seht, ich habe Euern Rat befolgt. Vielleicht ohne Not.«

»Nein, Herr Baron,« entgegnete jener. »Ihr seid der Maske sehr bedürftig, und wer weiß, ob Ihr sie während Eurer Anwesenheit in Batavia ablegen dürft. Die größte Vorsicht ist nötig, läßt Euch Madame Hortense sagen, die alle Eure Sachen, welche nicht so schnell an Bord gebracht werden konnten, in Verwahrsam genommen hat. Von ihr werdet Ihr das Nähere erfahren. Euer Gegner ist an seiner Wunde gestorben und seine Verwandten haben Euch blutige Rache geschworen.«

Der Baron hatte sich niedergelassen. Er sprach kein Wort und sah unbeweglich vor sich hin. Der junge Schiffer blickte ihn mit Teilnahme an und sagte:

»In das Unvermeidliche muß man sich fügen, Herr. Es Euch so leicht zu machen, als nur immer möglich, will ich Euch aus allen Kräften behilflich sein. In dem Aufzuge, darin Ihr Euch jetzt befindet, habt Ihr nichts zu befürchten. Kein Mensch vermutet in der schlichten Matrosenjacke einen Kavalier von Eurem Range. Fahrt getrost in einem Malaienboot ans Land. Die französische Madame hält eine Stube für Euch bereit.«

»So lebt denn wohl,« entgegnete der Baron. »Habt Dank für Euern Beistand und laßt mich hoffen, daß wir uns bald sehen.«

»Heute noch spreche ich bei Euch vor. Nach wem frage ich dort? Unter welchem Namen wollt Ihr in Batavia leben?«

»Nennt mich Willy. Ich hatte früher einen treuen Diener dieses Namens. Bei dem Klange desselben fühle ich mich stets angenehm berührt.«

»Nun denn, Meister Willy, wenn es so beliebt, geht unter Gottes Schutz. Ich kann nicht frei über meine Person verfügen, denn ich stehe im Dienste der Kompagnie, und was diese über mich beschließt, soll ich morgen früh erfahren. Was mir an freier Zeit übrigbleibt, soll Euch gewidmet sein.«

Der Baron mit dem Matrosennamen Willy ging ans Land. Einer der Leute trat in die Kajüte und meldete, den Hut in der Hand:

»Kapitän Rose vom Hamburger Schiff ›Elbe‹ läßt Euch grüßen und seine Segelordre lautet auf nächsten Dienstag. Wenn Ihr etwas auszurichten habt, will er es gern besorgen. Ihr hättet von dergleichen mit ihm gesprochen.«

»Geht, Mann!« antwortete der Schiffer in reger Hast. »Ich lasse dem Kapitän Rose für seine Gefälligkeit danken und werde selbst zu ihm an Bord kommen. Morgen mit dem frühesten.«

Der Mann ging. Jan Blaufink blieb mit sich allein. Der Name Hamburg hatte seine leisesten Empfindungen geweckt:

»Meine Mutter! Wie lange sah ich sie nicht und wie sehne ich mich nach ihr. Sehnsüchtig mag sie auf Nachricht hoffen. Aber mit dem Schreiben will es nicht immer recht von der Hand, und was ich bisher für sie tun konnte, war nur wenig. Vielleicht geht es von jetzt ab besser. Arme Mutter! Und den, den ich suchen ging, habe ich noch immer nicht gefunden. Wenn ich von der Kompagnie loskäme und der Kapitän Rose bedürfte eines Steuermannes. Pah! Was das für dumme Gedanken sind. Will mich aufs Ohr legen und einschlafen, dann vergehen die Grillen. War eine stürmische Zeit, die letztvergangene, und ein bißchen Ruhe wird mir wohltun.«

Der junge Schiffer erhob sich neugestärkt am andern Morgen. Er rüstete sich, um vor den Herren von der Kompagnie zu erscheinen, und wollte vorher dem Baron noch einen Besuch machen.

Da ward ihm die Meldung, daß ein Boot vom Lande seitlängs gelegt habe. Drei Mynheers befänden sich in demselben, die mit dem Führer des Jager zu sprechen wünschten.

Die Mynheers erschienen. Jan Blaufink empfing sie freundlich und fragte nach ihrem Anliegen. Der Aelteste von den dreien nahm das Wort:

»Wir erscheinen hier für uns und im Namen aller zu Batavia ansässigen Kaufleute, die nicht zu der Kompagnie in irgend einer Beziehung stehen. Wir haben mit großer Befriedigung von dem Heldenstück gehört, das Ihr bestanden habt. Durch den Tod des gefährlichen Piraten ist die Kaufmannschaft von einer großen Not befreit. Wir können wieder frei Handel treiben, ohne Furcht, daß der Gewinn von heute uns morgen von räuberischen Händen entrissen wird. Wir sind ausersehen, Euch den Dank aller auszusprechen, welcher hiermit aus vollem Herzen und unter unbeschränkter Anerkennung Eures wackeren Benehmens geschieht.«

Die beiden Begleiter des Redners pflichteten dem bei. Jan Blaufink wollte diese Danksagungen unterbrechen, allein jener ließ es nicht zu, indem er fortfuhr:

»Erlaubt vielmehr, Mynheer, daß wir den Auftrag, der uns geworden ist, seinem ganzen Umfange nach ausrichten. Ein junger Mann von Euern Fähigkeiten darf nicht auf der Stelle, die er einnimmt, stehen bleiben. Er muß sich vorwärts bringen, und wenn er es nicht vermag, müssen es andere für ihn tun, die dann selbst den Nutzen davon haben. Die größte Macht, die es auf Erden gibt, ist das Gold. Mit diesem Schlüssel öffnet Ihr jedes Schloß. Nicht um Euch ein bereits erworbenes Verdienst abzukaufen, sondern um Euch in den Stand zu setzen, der Allgemeinheit fernere und größere Dienste zu leisten, hat unsere Genossenschaft als ein Ehrengeschenk für Euch die Summe von zweitausend Dukaten aufgebracht, welche ich Euch hiermit aushändige, mit der dringenden Bitte, es gutzuheißen und uns nicht durch eine Ablehnung zu kränken.«

Die drei Mynheers hatten große Mühe, den jungen Schiffer zu überzeugen, daß er die ihm dargebotene Summe annehmen könne, ohne sich irgendwie etwas zu vergeben. Als es ihnen endlich gelungen war, entfernten sie sich mit Versicherungen fortdauernder Dienstbereitschaft. Jan Blaufink aber, den Schatz beschauend, der ihm so unerwartet zugefallen war, rief unwillkürlich aus:

»Das muß wahr sein! Kapitän Rose segelt zur rechten Zeit nach Hamburg.«

*

Zur bestimmten Stunde war Jan Blaufink vor den Kolonialherren erschienen. Die Mynheers zeigten eine strenge Amtsmiene und der Worthalter begann mit verweisendem Tone:

»Schiffer, Ihr seid vor uns geladen, um das gerechte Mißfallen entgegenzunehmen, welches die Kompagnie Euch gegenüber hegt, indem Ihr der Ordre, welche man Euch erteilte, nicht strikte nachgekommen seid, vielmehr dieselbe willkürlich übertreten habt.«

»Erlaubt, Mynheer ...« sagte Jan Blaufink, indem das Blut ihm in das Gesicht stieg, allein der Worthalter unterbrach ihn:

»Ihr seid hier erschienen, um zu hören, nicht aber um zu sprechen. Der Befehl lautete, den Piraten, welcher den Namen brauner Wollkopf führt, aufzuspüren und Nachricht über ihn hierher gelangen zu lassen, nicht aber, ihn anzugreifen. Ein tollkühnes Wagestück, welches das Eigentum der Kompagnie gefährdete, wenn es mißlang.«

»Es ist aber nicht mißlungen!« rief Jan Blaufink.

»Euch ward schon einmal bedeutet, daß Ihr hierher geladen seid, um zu hören!« entgegnete der Worthalter. »Gehorsam strikte nach der Ordre, ist die erste und einzige Pflicht des Mannes. Dem Bruch derselben folgt die Strafe auf dem Fuß. In Anbetracht des glücklichen Ausganges, den Euer Tollmannswerk hatte, wählt die Kompagnie die mildeste Form, indem sie Euch des Dienstes entläßt.«

»Man entläßt mich?«

»So tut man und es wird Euch wohl nicht allzusehr grämen, wenn man Euch mit dem ehrenvollen Abschiede zugleich das Patent als Leutnant der holländisch-ostindischen Flotte erteilt. Nehmt es hin, Mynheer.«

Heller Sonnenschein flog über das Gesicht des jungen Seemannes:

»Ist es denn gewiß und wahrhaftig wahr?«

»Es ist so und Ihr dürft jetzt auch das Geschenk der Kaufleute unbedenklich nehmen, was sonst noch erst der Genehmigung der Kompagnie bedurft hätte. Dem Gesetz mußte genügt werden, Mynheer; deshalb Euere Entlassung. Aber die Kompagnie ist nicht undankbar und weiß die guten Dienste, welche Ihr ungeheißen leistetet, wohl zu würdigen. Ihr werdet es erfahren, wenn Ihr Euer fälliges Gehalt von der Kasse einzieht. Was die Prisengelder anbetrifft, so werden Euch solche bei Heller und Pfennig ausbezahlt werden, sobald die Angelegenheit geordnet ist. Ihr könnt nun abtreten, Herr Leutnant. Die Kompagnie wünscht Euch für Eure künftige Laufbahn das beste Glück. Einem Leutnant der ostindischen Flotte kann die Kapitänschaft des besten Kauffahrers nicht fehlen.«

Ein Wink mit der Hand und Jan Blaufink war entlassen. Ein Clerk, der im Vorgemach auf ihn wartete, führte ihn in die Kasse und er empfing dort außer seinem Gehalt ein ansehnliches Ehrengeschenk zum Dank für außerordentliche Dienstleistungen.

Jan Blaufink war wie von einem Traum befangen. Er gelangte an Bord, er wußte nicht wie. Sein Nachfolger im Kommando erschien und er kehrte nach einem kurzen Abschied von seinen Leuten, die ihm heldenmütig beigestanden, in der gleichen Stimmung zurück. Erst als er in dem Hause »Zur Stadt Amsterdam« angelangt war, wo Seeleute herberqen, und sich daselbst in die Einsamkeit eines Zimmers zurückzog, gelang es ihm, seine Gedanken zu sammeln und seine völlig neue Lage zu übersehen.

Draußen war es lebendiger. Auf einer Reede, wie die von Batavia ist, gibt es stets etwas Neues. Schiffe gehen und kommen von nah und fern. Wenn ein Fahrzeug ankert und die ersten Arbeiten getan sind, strömt das Volk zu Lande und tobt die lange verhaltene Lust auf den Straßen aus. Da klingelt das Geld in der Tasche. Es hüpft auf und nieder, als wäre es lebendig, und hat nicht Ruhe noch Rast, bis es wieder in alle Winde verflogen ist. Jan Ostindien erklärt sich außerstande, eine Hand voll Gulden eine Stunde lang ungestört beisammen zu lassen. Je schneller sie davon laufen, umso lustiger wird er. Nur den letzten hält er mit krampfhaften Fingern fest, und wenn ihm auch dieser endlich treulos wird, kehrt er mißmutig der Kneipe den Rücken und blickt voll Sehnsucht nach dem blauen Wasser.

Ein solcher Trupp kam in die Nähe des französischen Kaffeehauses. Ein Teil desselben enthielt eine gewöhnliche Schenke; der übrige Raum war für eine gewähltere Gesellschaft bestimmt. Aber wenn die Abendstunden heranrückten, wenn mit der nahenden Mitternacht die Lust auf das höchste stieg, fielen die Schranken und die Massen bewegten sich nach Lust und Laune zwanglos durcheinander.

»Dort ist ein Unterkommen!« rief der Vordermann. »Kein besserer Ankerplatz zu finden.«

»Schiert mich nicht!« antwortete einer, der ihm zunächst ging. »Habe etwas anderes im Sinn.«

»Was ist es, das du im Sinne hast?« lautete die Frage, und ein Dritter antwortete statt des Gefragten:

»Laßt den albernen Grillenfänger laufen. Er will wieder ins Theater gehen.«

»Theater? Was ist das?«

»Das mag er dir selbst erzählen. Du, Hans Michel, sage doch, was es mit dem Theater auf sich hat.«

»Laßt mich zufrieden. Wenn es einmal eine Lust für mich ist, gönnt sie mir doch. Hat keiner einen Nachteil davon.«

»Ja, das ist wahr. Nachteil bringt es uns nicht, wenn du ins Theater gehst und wir deinen Grog trinken. Und schnakisch genug mag es dabei zugehen. Hast mir manche Tollheit erzählt. Voraus die mit dem Torfschiff von Breda, wo einer von den Spielern die spanische und die holländische Flagge an einem Mast aufzog.«

»Ist ein Abend, den ich nie vergesse. Den nicht und einen andern in Hamburg. War damals noch Kajütenwächter.«

»Schwatzt euch das Maul nicht trocken, Jungens,« sprach ein Dritter. »Laßt uns hier hineingehen, wo ich einen Haufen lustiger Leute sehe. Wenn es in Batavia eine Komödie gibt, gehen wir nachher alle miteinander dahin. Vorerst ein Hurra für 'nen steifen Grog.«

Dieser Aufforderung war nicht zu widerstehen. Mit einem lustigen Liede gingen die fröhlichen Burschen in das französische Kaffeehaus, den Theaterenthusiasten an der Spitze.

Madame Hortense, die Wirtin dieses Hauses, welches allen möglichen Zwecken diente, die man an eine Gastwirtschaft zu stellen berechtigt ist, war allgegenwärtig. Sie stand auf dem vertraulichsten Fuße mit ihren Stammgästen, wußte sich bei den neu Hinzutretenden schnell beliebt zu machen und verstand es meisterhaft, die Schwächen und Eigenheiten der Personen ausfindig zu machen, welche ihr Haus besuchten. Aber, wenn sie bei allem, was sie tat, ihren eigenen Nutzen im Auge hatte, behielt sie auch das Interesse ihrer Freunde im Auge und suchte dasselbe auf jede nur erdenkliche Weise zu fördern.

Eben jetzt servierte sie zwei Herren, die offenbar einem höheren Kreise angehörten, eine Flasche Madeira und versicherte, über die Angelegenheit bis heute noch nichts weiter erfahren zu haben, werde aber nicht verfehlen, sobald ihr irgendetwas zu Ohren käme, die nötige Anzeige zu machen. Es sei ihr eigenstes Interesse, wenn dergleichen Leute, die ein Gewerbe daraus machten, junge Kavaliere, unter dem Vorwande eines Duells, über den Haufen zu schießen, der strafenden Gerechtigkeit übergeben würden. Sie würde es für das größte Glück halten, welches ihr begegnen könne, einer trauernden Mutter diese Genugtuung zu gewähren.

Mit hinreißender Anmut füllte sie den Herren die Gläser und ging dann den mit Gesang hereinstürmenden Matrosen entgegen, verwies sie mit schalkhaftem Drohen zur Ruhe und befahl einem jungen Neger, den Grog genau in der Weise zu bereiten, wie es die Herren Matrosen verlangten. Mit immer heiterer Miene bewegte sie sich in dem stets größer werdenden Kreise ihrer Gäste, und an einem Seemann, der gedankenvoll in einer Ecke saß, vorüberstreifend, flüsterte sie diesem zu:

»Kontenance, Baron! Die Spione sind wieder da. Etwas mehr Teerjacke und etwas weniger Kavalier, wenn ich bitten darf.«

Der Angeredete richtete sich auf, sah die Französin an und sagte:

»Verdursten kann man hier, wo die Wirtin überall ist, nur nicht an ihrem Platz hinterm Schenktisch. Ein frisches Glas Punsch und die Karten. Gleich kommt der junge Clerk, der mir gestern zwanzig Rupien abnahm, und will mir Revanche geben. Sputet Euch, wenn es beliebt.«

»Gebt es nur gnädig, Herr Griesgram!« entgegnete sie lachend, dem Schenktisch zueilend, während der Seemann sich einem jungen Herrn zuwendete, der sich mit freundlichem Gruße näherte, zu dem er sagte:

»So muß man es machen, wenn man sich bei den Wirtsleuten in Respekt setzen will. Da haben wir den Punsch und die Karten zugleich. Tölpel von einem Neger! Wer heißt dich, Punsch und Karten durcheinander zu werfen? Nun, Herr, seid Ihr gekommen, mir meine zwanzig Rupien wiederzubringen, die ich Euch gestern großmütig geliehen habe?«

»Mit nichten, Herr Hochbootsmann,« erwiderte der junge Clerk. »Bin vielmehr erschienen, um mir weitere zwanzig den ersteren zur Gesellschaft von Euch zu erbitten.«

»Wie es das Glück will!« entgegnete der Seemann, dem der Charakter eines Hochbootsmannes beigelegt wurde. »Nehmt Euern Platz, Herr, und überzeugt Euch, daß die Karten in Ordnung sind, die Punschreste abgerechnet, womit der Negerhund sie begossen hat. Wie hoch haltet Ihr?«

»Einen Dukaten auf die Dame!« war die Antwort des jungen Mannes, der das Goldstück auf die von ihm genannte Karte legte.

»Ihr gebt es heute groß!« sagte der Seemann, indem er ebenfalls einen Dukaten hervorzog und auf den Tisch legte. »Es gilt! Sehen wir zu, wie die Karten fallen.«

Es geschah. Sie fielen günstig für den Seemann. Dieser zog schmunzelnd das Goldstück seines Gegners ein und nickte beifällig, als der Clerk den Einsatz verdoppelte.

Die Spieler erregten allgemeine Aufmerksamkeit. Bald war ein dichter Halbkreis um sie versammelt. In der vordersten Reihe stand der Matrose, dem ein Abend im Theater über alles ging. Er betrachtete die beiden Spieler mit der größten Aufmerksamkeit und schenkte namentlich dem Seemann mit dem Hochbootsmanns-Charakter seine Teilnahme.

»Hat der Kerl ein Glück!« brummte er vor sich hin. »Streicht jetzt schon den zehnten Dukaten ein. Möchte selbst solche blanke Dinger haben; wäre es auch nur, um sie in einen steifen Grog umzusetzen. Weil es aber nicht ist, gönne ich sie ihm am liebsten von wegen der Kameradschaft zur See.«

Das Spiel hatte seinen Fortgang. Der junge Clerk verlor fortwährend. Der Seemann legte die Karten nieder und sagte:

»Wir wollen eine Pause machen, Herr. Der Hals wird trocken und es tut not, ihn anzufeuchten. Ich bin gleich wieder hier.«

»Das sollt Ihr auch. Ihr seid im Glück und dürft jetzt nicht aufhören!« rief ihm der Clerk nach.

»Ist auch nicht meine Absicht!« war die Antwort des Seemanns, der zu Madame Hortense an das Büfett trat.

Der beobachtende Matrose schüttelte bedenklich mit dem Kopf:

»Was will er machen? Eine Pause? Was ist das für 'n Ding? Braucht man einen Marlpfriem dazu? Und wie er geht! Wer so von dem Großmast zum Bugspriet watschelt, fällt gewiß auf die Nase. Am Ende, besteht all seine Seemannsherrlichkeit in der blauen Jacke.«

Die weiteren Betrachtungen verloren sich in ein unverständliches Gemurmel.

Der Seemann kam zurück, eine Flasche und zwei Gläser in der Hand:

»So, Herr. Dies wird ein Mittel gegenseitiger Verständigung sein, wie ich denke.«

Er füllte die Gläser mit den dunkelgoldigen Tropfen von Xeres und sagte:

»Nehmt Euer Glas. Ihr dürft Euch nicht scheuen, denn es geht mehr auf Eure Rechnung als auf die meinige.«

Er schlug lachend mit der Hand gegen die Westentasche, worin die Dukaten steckten.

Der Clerk stürzte ein paar Gläser nacheinander herunter und sagte:

»Weiter! Weiter!«

»Bin der Meinung,« war die Antwort, »wir leeren erst unsere Flasche und sprechen dabei ein vernünftiges Wort. Ihr seid im Unglück, Herr, und man kann es nicht zwingen, daß es sich zum Teufel scheren soll. Es hängt einem an wie eine Klette, und saugt sich fester, wenn man daran zerrt und reißt.«

»Ihr wollt nicht weiter spielen?« entgegnete jener gereizt.

»Möchte es nicht tun, um Euretwillen.«

»Ihr sollt aber! Ihr müßt mir Genugtuung geben! Ihr seid sie mir schuldig.«

»Trinkt nicht so hastig, Herr. Ihr kommt um Euern Verstand. Von einem Soll steht übrigens in meinem Katechismus nichts. Was ich tue, geschieht freiwillig und Befehle nehme ich nicht an, außer von denen, die ein Recht haben, mir zu befehlen, und dazu gehört Ihr nicht.«

»Und nochmals sage ich Euch, Ihr sollt!« fuhr der junge Clerk auf. »Will meine Revanche haben, und in der ganzen Welt ist es unerhört, daß diese verweigert wird, wenn man sie begehrt. Was sagt Ihr, Mynheers?«

Er wandte sich an die Umstehenden. Die mannigfachsten Ansichten wurden laut, aber die allgemeinste war die, daß der Gewinner bereit sein müsse, weiter zu spielen, wenn es der Verlierer verlange.

»Nun denn,« sagte der Seemann, »wenn alle gegen mich sind, muß ich wohl nachgeben. Mir war es um Euretwillen zu tun. Bitte aber die Mynheers, es im Sinne zu behalten, daß ich nur auf ausdrückliches Verlangen weiter spiele.«

Das Spiel ging weiter. Auch der Seemann, der von dem Wein getrunken hakte und den das Gold anlachte, was jener vor ihm ausbreitete, wurde jetzt wärmer und strich aufjauchzend den neuen gewonnenen Satz ein.

»Hm!« sagte der Matrose, der als aufmerksamer Beobachter in der vordersten Reihe stand. »Was war denn das eben für ein Blick? Und wie stand der Geselle da mit eingestemmten Armen? Wenn der Bart nicht wäre und der Streifen auf der Backe, der aussieht wie ein vernarbter Säbelhieb, wollte ich sagen, er sei der Komödiant, der in Paramaibo im Theater die spanische Flagge zu Ehren brachte, indem er sie neben der holländischen aufhißte.«

»Nun hat der junge Mensch schon über vierzig Dukaten verloren!« sagte kopfschüttelnd einer von den Zuschauern. »Brächte das meinesteils nun und nimmer zustande.«

»Das glaube ich dir,« entgegnete sein Begleiter. »In deiner Tasche haben noch niemals ihrer vierzig aus einmal frei Quartier gehabt.«

Immer eifriger wurde der junge Spieler. Satz folgte auf Satz. Sein Gegner konnte so schnell die Karten nicht ordnen. Da mit einem Male hielt er inne. Seine Augen glühten. Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.

Er war am Ende. Sein letztes Goldstück war verschwunden.

»Ich sagte es Euch vorher,« sagte der Seemann. »Ihr habt mich aber dazu gezwungen.«

»Halt,« rief der junge Mann in höchster Aufregung. »Ich lasse Euch nicht los. Ich habe noch einen wertvollen Ring! Hier ist meine Uhr ...«

»Warum nicht auch das Hemd vom Leibe herunter!« entgegnete jener. »Mir tut es leid, daß ich überhaupt mit Euch zusammengeriet. Ich spiele nicht weiter.«

Um diese Zeit war es, daß Jan Blaufink in das große Gastzimmer trat. Er übersah die Sachlage mit einem Blick, hatte aber keine Veranlassung, sich in die Angelegenheit zu mischen. Er blieb als ein ruhiger Beobachter von ferne stehen und hörte, wie jemand, der in der Nähe stand, seinem Begleiter zuflüsterte, indem er auf den Seemann zeigte, der mit dem Clerk spielte:

»Wenn ich die Gewißheit hätte, gebe ich hundert Rupien. Wie fange ich es an, dahinter zu kommen?«

»Meinst du im Ernst, der vermeintliche Baron steckte in der Matrosenjacke?« war die Antwort.

»Warum nicht? Es haben sich vornehmere Leute schon in ganz andere Masken gesteckt, wenn sie verborgen bleiben wollten.«

»Er macht aber den Matrosen gar zu natürlich! Das kann keiner, der nicht selbst Seemann gewesen ist.«

»Was man von Hause aus nicht weiß, Kamerad, das lernt sich in der Fremde. Ich lasse ihn nicht aus den Augen.«

»Wollte, ich hätte ihn von dem Tische weg!« sagte Jan Blaufink vor sich hin. »Möchte ihn abrufen. Was für ein Name was es noch, mit welchem ich ihn anreden sollte? Willy glaube ich.«

Er ging unwillkürlich näher.

Der junge Clerk hatte jetzt alles Maß überschritten. Abgebrannt bis auf den letzten Stüber, ohne alle Hoffnung, das seinige wieder zu erhalten, voll Ingrimm gegen den Mann, an welchen er alles verlor, sprang er auf diesen zu, packte ihn bei der Brust und ihn tüchtig schüttelnd, schrie er:

»Es ging nicht mit rechten Dingen zu! Ihr habt mich betrogen!«

»Bursche!« rief jener drohend.

Die Umstehenden wurden bei diesem Rufe unruhig. Mehrere waren darunter, welche diese Anschuldigung glaubten und sich geneigt zeigten, eine schnelle Justiz zu üben.

»Ihr habt falsch gespielt! Ich will mein Geld von Euch wieder haben.«

Umsonst versuchte der Seemann, sich von dem jungen Clerk loszumachen. Endlich gelang es ihm mit vieler Anstrengung. Aber in demselben Augenblick erschien er völlig verwandelt. Der junge Clerk hielt das Haupthaar samt dem stattlichen Backenbart seines Gegners in den Händen.

»Das ist der Baron,« sagte der Mann, der vorhin bei Jan Blaufink stand, zu seinem Kameraden. »Jetzt laß uns machen, daß wir zu unserer gnädigsten Herrschaft kommen. Madame wird ihre Rache nehmen können, denn der Mörder ihres Sohnes ist gefunden.«

Beide entfernten sich eilig.

Der Baron verlor bei dieser Entlarvung seine Fassung. Er sah wie verstört um sich und wußte nicht, was er in dieser peinlichen Lage zu tun habe. Jan Blaufink näherte sich rasch, allein der beobachtende Matrose kam ihm zuvor und zwischen den jungen Schiffer und den Baron tretend, sagte er zu dem letzteren:

»Nun ist es heraus, wer Ihr seid! Habe mir den Kopf zerbrochen den ganzen Abend und mit einem Male steht Ihr vor mir, wie ich Euch auf dem Theater gesehen habe.«

»Seid Ihr toll?«

»Bin ganz bei Verstand. Warum solltet Ihr auch nicht auf dem Theater gestanden haben? Ist ja keine Schande. In Paramaibo, wißt Ihr, als Ihr die spanische Flagge, der holländischen gegenüber, zu Ehren brachtet. An jenem Abend war es, als ich Euch scharf ansah und es mir klar war, es sei nicht das erstemal.«

»Ich kenne Euch nicht, Mann!« entgegnete der entlarvte Baron. »Laßt mich gehen, sage ich Euch. Ich habe nichts mit Euch zu schaffen.«

»Das habt Ihr auch nicht, und es fällt mir gar nicht ein, Euch zu belästigen,« sagte jener mit unerschütterlicher Ruhe. »Ich will mich nur überzeugen, ob ich recht habe mit meiner Behauptung, oder ob mein Gedächtnis mich belügt, wenn es sagt, daß wir uns schon früher begegneten.«

»Niemals bin ich Euch begegnet!« lautete die Antwort. »Laßt ab von mir, rate ich Euch im guten. Es nimmt sonst ein schlimmes Ende.«

Die Anwesenden nahmen einen lebhaften Anteil. Der Umstand, daß ein Matrose sich vor ihren sichtlichen Augen in einen Schauspieler verwandelte, hatte zu viel Anziehendes, als daß sie, der wiederholten Aufforderung, sich zu entfernen, Gehör geben sollten. Jan Blaufink versuchte es umsonst, bis zu dem Manne durchzudringen, den er noch immer als seinem Schutz anvertraut betrachtete. Derselbe mußte aus der Schenke entfernt werden, bevor jene Männer zurückkehrten, welche ihn vorhin als Baron Eberhard erkannt hatten.

»Wollt Ihr mich nun gehen lassen?« brauste der entlarvte Schauspieler auf. Sein ganzes Wesen hatte sich verändert. Die Augen sprühten Flammen. Die Wangen brannten.

»Heissa, nun weiß ich es mit einem Male!« jauchzte der Matrose auf. »In Hamburg war es, wo ich Euch gesehen habe. In Hamburg in der großen Bude auf dem neuen Markt. War damals Kajütenwächter an Bord des »Weltefreden«. Spieltet gerade ein Stück, wovon ich nicht viel verstanden habe. Aber die Leute, die drinnen waren, machten einen Höllenlärm. Und Ihr standet dicht bei einer Dirne, die schön war wie eine neugeschillerte Schaluppe, und das Volk, welches unbarmherzig mit den Füßen trommelte, nannte Euch Dunkelschön.«

Der Schauspieler zuckte zusammen, als hätte ihn der Blitz getroffen. Und dem krampfhaften Zucken folgte ein ohrenzerreißender Schrei. Aber nicht der Schauspieler stieß ihn aus; er kam vielmehr aus einer anderen Richtung.

Jan Blaufink war es, der von der unerwarteten Entdeckung schwer getroffen wurde. Er warf sich auf die beiden Männer, die ihm zunächst standen, indem er ausrief:

»Gnade Gott mir und euch, wenn ihr mich mit Gewalt hindert, zu jenem Manne zu gelangen. Ich muß zu ihm!«

Es gelang ihm, den Durchgang zu erzwingen. Mit einer Hast, die das äußerste Maß erstieg, flog er auf den Mann zu, mit dem er wochenlang in der Sundastraße umherschwamm, ergriff ihn mit beiden Händen und rief ihm zu:

»Sage mir, ob es wahr ist, daß du gewiß und wahrhaftig Dunkelschön heißt?«

Der Schauspieler schwieg.

»Rede!« gebot Jan Blaufink außer sich; »Tod und Leben hängen an dem Ausspruch deines Mundes. Ich beschwöre dich bei allem, was dir heilig ist, sage mir, ob du den Namen Dunkelschön führtest?«

Er antwortete nicht, allein er nickte mit dem Kopf.

Kein Laut ging aus dem Munde des jungen Schiffers, allein er breitete die Arme aus und schloß den Schauspieler so fest an seine Brust, daß dieser sich der stürmischen Umarmung nicht erwehren konnte.

Mit erneutem Erstaunen betrachteten die Umstehenden den Wechsel dieses Schauspiels. Sie sahen fast furchtsam die große Aufregung, worin sich der junge Schiffer befand, und hörten das unterdrückte Schluchzen desselben.

Mitten in dem Tumult der allgemeinen Aufregung hatte niemand darauf geachtet, daß ein Unwetter am Himmel aufgestiegen war. Die ersten von ferne heranrollenden Donnerschläge verhallten ungehört. Jetzt aber tobte ein furchtbarer Schlag durch die Lüfte, der das Haus erbeben machte. Ein schlängelnder Blitz fuhr fast in demselben Moment durch die Lüfte herab.

Und als hätte der Doppelschlag den jungen Seemann zu neuem Leben erweckt, riß er sich von der Umarmung los und den Schauspieler mit funkelnden Blicken anschauend, rief er:

»Dunkelschön, was ist aus der Maienblüte geworden, und warum hast du sie treulos verlassen?«

Diese Frage, für jeden Dritten unverständlich, brachte auf den Schauspieler eine furchtbare Wirkung hervor. Alle seine Nerven spannten sich an. Die Augen traten aus ihren Höhlen. Er streckte die Hände dem Manne entgegen, der die verhängnisvolle Frage tat, allein sie erreichten ihn nicht. Ueberwältigt von den vielfachen Schlägen, die ihn an diesem Abend trafen, brach er ohnmächtig zusammen.

Wolkenbruchartig stürzte sich der Regen auf die Schenke herab. Ein Blitz, gewaltiger als der erste, schlug nieder, begleitet von einem ebenso betäubendem Schlage.

»Feuer! Feuer!« rief, in Todesangst hereinstürzend, eine junge Malaiendirne.

»Feuer! Feuer!« wiederholte Madame Hortense, bleich vor Schrecken. »Helft! Helft!«

»Feuer! Feuer!« hallte es wider, drinnen und draußen. In unbeschreiblicher Verwirrung rannten alle durcheinander.

Die Flamme leuchtete hell auf und fand vollkommen reichliche Nahrung.

Dunkelschön hatte sich mühsam erholt. Jan Blaufink hielt Ihn mit starken Armen:

»Durch das Fenster geht unser Weg!«

»Nein, nein!« rief der Schauspieler. »Laßt mich in meine Stube gehen. Dort liegt alles, was mein.«

»Laßt es liegen. Kommen wir auch glücklich nach oben, steht die Treppe in Flammen, bevor wir wieder unten sind.«

»Ich will nicht!« rief Dunkelschön mit aller Energie, die ihm zu Zeiten innewohnte und flog die Treppe hinauf. Jan Blaufink folgte ihm.

*

Ein neuer Gast war während der Nacht auf der Batavia-Reede erschienen. Unter Blitz und Donner, unter Sturm und Regen langte ein Regierungsschiff mit dichtgerefften Segeln auf dem Ankerplatz an. Es kam aus Paramaibo und hatte Aufträge von seiten des dortigen Gouvernements. Außerdem befanden sich mancherlei Briefe und andere Gegenstände an Bord, die für Privatpersonen bestimmt waren.

Kaum war es kund geworden, daß dieses Schiff sich auf der Reede befand, als jeder, der auf eine Nachricht hoffte, an Bord eilte. Unter diesen war der Agent des Mynheer de Klaat einer der ersten. Als er von dem Schiff an das Land zurückkehrte, machte er sich sogleich auf den Weg nach Buitenzorg.

Mynheer de Klaat war in einer sehr lebhaften Unterredung mit seiner Tochter Sartje begriffen, die seit dem Verschwinden des Barons keineswegs zu den Liebenswürdigsten ihres Geschlechts gerechnet werden konnte. Sie war voll Widersprüchen und Launen, und besaß weder Neigung noch Talent, das irdische Eldorado des Vaters in ein ideales Paradies zu verwandeln. Es nahm vielmehr nach und nach einige der Eigenschaften des Tartarus an.

Abermals sah sich Mynheer auf eine nicht besonders angenehme Art aufgeregt und aus den Bewegungen der Myjuffrouw Sartje schien hervorzugehen, daß der heraufbeschworene Sturm sein Ende noch nicht erreichte, als eine dritte Person auf dem Schauplatz erschien und für den Augenblick eine Unterhaltung störte, die nur von einer geführt und von einem angehört ward.

»Herr Bloom!« rief de Klaat, und eine Zentnerlast fiel von seiner Brust. »Ihr seid willkommen, Mann, denn ich setze voraus, daß Ihr etwas Gutes bringt. Was wißt Ihr Neues von den Kaffee- und Zuckerpreisen?«

Sowohl der Preis der einen Ware als der Preis der anderen war Mynheer völlig gleichgültig, da er von beiden nicht den geringsten Vorrat hatte. Er griff nur nach irgendeinem Etwas, um sich mit beiden Händen daran zu klammern.

»Nichts von Kaffee und Zucker!« entgegnete der Agent mit wichtiger Miene.

»Dann betrifft es gewiß ... doch warum zerbreche ich mir den Kopf? Ich werde es ja von Euch hören. Sartje, mein Kind, die Geschäfte interessieren dich wenig. Willst du vielleicht so gütig sein, uns ein paar Minuten allein zu lassen?«

Es schien noch ungewiß zu sein, ob Sartje sich darauf einlassen werde, den Wunsch ihres Vaters zu erfüllen, als der Agent zuvor kam, indem er sagte:

»Mit Wohlnehmen, Mynheer, möchte ich behaupten, daß Myjuffrouws Gegenwart in diesem besonderen Falle nicht störend wäre, vielmehr derselben angenehm sein möchte, da die Nachricht, welche ich überbringe, derselben auch einiges Interesse einflößen möchte. Wollte also die Dame ersucht haben, unbeschwert noch einige Zeit bei uns zu verweilen.«

Myjuffrouw Sartje hatte nicht geringe Lust, jetzt, da ihr Bleiben gewünscht wurde, zu gehen, allein die Neugier siegte, und dem Agenten den Rücken zuwendend, sah sie über das Geländer der Veranda weg in den nahe daran stoßenden Garten.

Herr Bloom beobachtete das zartsinnige Benehmen der jungen Dame nicht weiter, zufrieden, sich durch die Botschaft, die er in der Tasche hatte, für alle Geringschätzung, die er von ihr erfahren, vollständig zu rächen. Er näherte sich seinem Patron, der auf Kohlen saß und sagte:

»Es ist ein Regierungsschiff aus Paramaibo angekommen. Dasselbe bringt offizielle Depeschen für den Generalgouverneur und private Depeschen für meinen verehrten Gönner unter meiner Adresse. Wir wissen nun von dem Baron Eberhard, was wir wissen wollen.«

»Her mit dem Papier!« rief Herr de Klaat. »Her damit, sage ich!«

»Sogleich, Mynheer!« entgegnete der Agent. »Hoffentlich wiegt die Kunde den Preis auf. Die baren Auslagen betragen allein hundert Rupien ...«

»Schiert mich nicht!« sagte Herr de Klaat, indem er den dargereichten Brief nahm. »Und wenn es tausend wären. Setzt sie auf Euer Konto. Ich rechne nicht nach, sondern zahle.«

Der Agent überreichte ihm den Brief.

»Krakelfüße!« sagte Herr de Klaat, indem er den Brief überflog. »Wie Teufels soll man solche Handschrift lesen können? Fein, wie mit der Nadel geschrieben. Da lese ich den Namen Eberhard ...«

»Aber die Baronin ist nicht dabei!« erwiderte der Agent, indem er sich vor Sartje verneigte, die bei dem Namen errötete. »Ein Baron ohne Baronin. Habe auch mein Schreiben erhalten und kann versichern, daß der wirkliche Baron Eberhard auf Surinam eines natürlichen Todes gestorben ist. Derjenige Herr aber, der hier unter demselben Namen figurierte und viele hochachtbare Leute betrogen und belogen, auch einen Kavalier hochverräterischerweise totgeschlagen hat, ist kein anderer als ein verlaufener Komödiant, der bei dem besagten wirklichen Baron eine Zeitlang als Bedienter gelebt hat.«

»Das ist eine schändliche Lüge!« rief Sartje aus.

»Nein, mein Kind! Es ist keine Lüge!« entgegnete der Vater. »Es ist die reine, volle Wahrheit. Hier steht es. Ich habe die Krakelfüße mit vieler Mühe entziffert. Herr Gott, was wäre dabei herausgekommen, wenn ich dumm genug gewesen wäre, einem Herrn von Habenichts die Hand meiner Tochter zu geben, und für meine Million einen Barontitel einzutauschen, der nur eine Komödienfinte ist. Ich ersticke!«

Herr de Klaat erhob sich und ging einige Male auf und ab, um sich vor der gefürchteten Erstickung zu schützen, dann aber sagte er, dem Agenten die Hand reichend:

»Dank für die Nachricht. Wenn ich Euch wieder die Hand reiche, soll sie gefüllt sein. Der Generalgouverneur hat auch Depeschen, sagt Ihr? Ich will zu ihm, und die seinigen mit dem Brief hier vergleichen. Hoffentlich sind sie übereinstimmend. Sartje! Kind!«

Aber Sartje war nicht mehr gegenwärtig. Als sie die Schreckenskunde vernahm, entfernte sie sich eilig und verschloß sich in ihrem Zimmer, um ihre Aufregung, verursacht durch Verdruß, Aerger und getäuschte Hoffnung, vor den Augen der Welt zu verbergen.

Während der Zeit saß der jüngste Leutnant der Ostindischen Kompagnie, der sein Patent und seinen Abschied in einer und derselben Minute erhielt, in dem Zimmer der Schenke zur Stadt Amsterdam, welches er seit dem Tage bewohnte, da er den Dienst der Kompagnie verließ, und neben ihm saß der Mann, den ihm der Zufall in einem Moment entgegenführte, wo er dies am wenigsten erwarten durfte. Es war ein Finden, welches Gottes allmächtige Hand durch ein gewaltiges Naturschauspiel förderte und das sich im Kampf mit den furchtbarsten Elementen erfüllte.

Nur mit genauer Not gelang es den beiden Männern, das Zimmer zu erreichen, welches Eberhard bewohnte. Blindlings stürzte sich Jan Blaufink auf die umherliegenden Effekten und raffte an sich, was er zu erreichen vermochte. Jener aber hatte eine Kassette gefaßt und rief nur:

»Es ist genug! Laß uns eilen, bevor es zu spät wird.«

Mit versengten Kleidern gelangten sie ins Freie. Kaum waren sie in Sicherheit, als der schwankende Bau mit lautem Krachen zusammenstürzte.

Und nun saßen sie da, sich anschauend und die Hände drückend, fragend und antwortend, nicht rastend, bis auch das Kleinste besprochen und erörtert ward. Und als auch das Letzte gesagt wurde, schloß Dunkelschön mit einem tiefen Seufzer:

»Ich habe vieles gut zu machen. Wie ich es ausführen soll, weiß ich nicht. Aber den Willen habe ich dazu.«

»Gräme dich darum nicht, Vater!« entgegnete jener. »Wie wunderbar dies Wort in meinem Munde klingt. Wie es mir in das Ohr fällt. So fremd und zugleich so bekannt. Ich werde mich bald daran gewöhnen. Und du wirst dich auch daran gewöhnen, Vater.«

»Ja, mein Sohn! das werde ich. Und wenn wir deine Mutter finden ...«

»Juchhe! Vater, Mutter und Sohn! Das ist eine Dreieinigkeit, die zusammenhält im Leben und im Tode. Und nun wollen wir nicht mehr sprechen, sondern handeln. Meine Sorge ist, dich ungefährdet von hier wegzubringen. Glücklicherweise hat sich die Abreise des Kapitän Rose noch um einige Zeit verzögert. Morgen ist sein Segeltag. Ich dachte, ihm Aufträge für die Mutter mitzugeben, jetzt soll er uns selbst nach der Elbe bringen. Ich will sogleich zu ihm an Bord gehen und das abmachen. Du, Vater, magst noch einmal deine Kunst hervorsuchen und dich so unkenntlich machen, als möglich. Ich höre, daß man dich sucht, und da ist es notwendig, daß du dich den Nachforschungen entziehst. Sind wir erst an Bord, ist es nicht mehr nötig.«

Von seinem Vater weg begab sich der junge Mann an Bord der »Elbe« und fand den Kapitän geneigt, ihm eine Separat-Kajüte einzuräumen. Die näheren Bedingungen wurden verabredet und festgesetzt, daß die Passagiere mit einbrechender Nacht an Bord sein sollten, da man die mit Sonnenaufgang eintretende Landbrise benutzen wollte, um die offene See zu gewinnen. Jan Blaufink kehrte nach der Stadt zurück, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Als das Gepäck beisammen und an Bord beordert war, begab er sich nach dem Kolonialamt, um den Rest der Prisengelder in Empfang zu nehmen, die dort für ihn bereit lagen. Man zahlte ihm die nicht unbedeutende Summe in blankem Golde aus. Zugleich erhielt er noch ein besonderes Zertifikat, worin sich die Kompagnie mit seinen guten Diensten zufrieden erklärte.

Die Angelegenheit verlief nach Wunsch. Mit dem anbrechenden Abend war alles geordnet. Jan Blaufink war auf dem Wege nach dem Hafen, um an Bord der »Elbe« zu gehen. Ein alter Diener, eine Kassette unter dem Arme tragend, folgte ihm in angemessener Entfernung.

Sie gelangten in die Gegend, wo das Haus der Madame Hortense stand. Der bisherige Schauplatz der Lust und Freude war ein rauchender Trümmerhaufen. Scharen von Neugierigen standen umher. Auch die Spione, welche auf den Baron fahndeten, waren darunter. Sie ärgerten sich, nicht auf frischer Tat Hand an den Mann gelegt zu haben, der ihnen nun entkommen war und in dem dichten Gewirr von Menschen unauffindbar schien. Von dem Augenblicke an, wo der Baron sich in einen ganz gewöhnlichen Schauspieler verwandelte, machten sie kein Hehl, was ihre Absicht war und mehrfach wandten sie sich an diesen und jenen, ob sie nicht wüßten, wohin der Mann gekommen sei, damit man ihn greifen und zur Rechenschaft ziehen könne.

»Und wer es uns sagt,« schloß ihre Aufforderung, »der soll es nicht bereuen. Unsere Gebieterin ist eine reiche Dame und wird es ihm zehnfach lohnen.«

»Was ich weiß, sagte ich Euch schon vor einer Stunde,« antwortete einer. »Den ganzen Abend ist jener Mann in dem Hause gewesen, das jetzt vor uns in Trümmern liegt. Er hielt Bank mit einem Clerk der Kompagnie und nahm ihm den letzten Stüber ab. Da geht der junge Herr. Ihr könnt ihn selbst fragen.«

»Mir liegt nichts daran, wo er gewesen ist, und es ist mir überdies bekannt. Ich will wissen, wo er sich jetzt befindet. Wohin geriet er während des Brandes? Wer hat ihn bei sich aufgenommen? In welcher Spelunke hat er sich versteckt? He! Wer mir das sagen kann, erhält eine gute Belohnung.«

Er begleitete diese Worte mit allen möglichen Gebärden und focht so sehr mit den Armen, daß er einen Vorübergehenden mit der Hand berührte, die dieser unwillig zurückstieß. Es war der jüngste Leutnant der Kompagnie, der auf dem Wege nach dem Hafen war.

»Entschuldigt, Mynheer. Ich wollte wissen ...«

»Dann laßt Eure Hände zu Hause und gebraucht den Mund. Was wollt Ihr wissen?«

»Das ist der Schiffer, der den braunen Wollkopf fing!« rief einer. »Was der sagt, ist gewiß die Wahrheit.«

»Und er kann es am ersten wissen; denn er war auch in der Schenke und hat mit dem sogenannten Baron gesprochen,« setzte ein anderer hinzu.

»Das habe ich,« war die Antwort. »Was soll es mit dem Baron? – He, Willy, stehe da nicht und gaffe! – Beeile dich, nach der Schaluppe zu kommen. Ich folge dir auf dem Fuße.«

Willy ging und sein Gebieter vernahm, was man von ihm zu wissen begehrte.

»Darüber kann ich euch beruhigen,« sagte Jan Blaufink. »Als der Brand um sich griff, eilte er die Treppe hinauf, um seine Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Ich wollte ihn aufhalten. Umsonst. Als er zurückkehrte, hatte die leichte Treppe bereits Feuer gefangen und brach unter seinen Tritten zusammen. Wenn ihr die Trümmer wegräumt, werdet ihr seinen verkohlten Leichnam finden.«

»Dank für die Auskunft,« rief ein Mutwilliger. »Seid ihr damit zufrieden, Mynheers? Für diesen Bescheid wird die Belohnung wohl nicht allzureichlich ausfallen!«

Lachend lief er davon.

*

Kapitän Rose empfing seine Passagiere und führte sie in die für sie bestimmte Kajüte. Gleich darauf wurde der Befehl zum Ankerlichten erteilt. Eine Stunde später lag die Batavia-Reede hinter ihnen.

Die beiden Passagiere waren in der Kajüte. Dunkelschön hatte seine Maske abgelegt und öffnete seine Kassette, die er aus den Flammen rettete.

»Das sind die Papiere der Lüge,« sagte er, mehrere Schriftstücke entfaltend. »Es sind die Dokumente des Baron Eberhard.«

»Und darum stürztest du dich in die Flammen?« fragte der Sohn mit einem Anflug von Trauer.

»Nicht darum, sondern um dieses unscheinbaren Blattes willen,« entgegnete er. »Schau her! Mehrfach wurde mir Gelegenheit geboten, mir ein glänzendes Los zu bereiten. Ich trat in dem entscheidenden Moment zurück, weil diese Fessel mich hielt. Der leichtsinnige Komödiant war doch nicht leichtsinnig genug, einen Papierfetzen zu Vernichten.«

Jan Blaufink überflog das ihm dargereichte Blatt und die Tränen stürzten ihm aus den Augen. Es war der von Pastor Koch zu Geesthacht ausgestellte Trauschein, der bekundete, daß der Schauspieler Eberhard Lohse und die Schauspielerin Christine, geborene Ramke, von ihm ehelich eingesegnet wurden.

Vater und Sohn hielten sich innig umschlossen.

*

Ein neuer Sturm.

Es stand »schlecht Wetter« in dem Kalender der Jungfer Mewes. Sie klappte mit ihren Pantoffeln aus der Stube in die Küche und von der Küche in die Stube.

Frau Rosmarin sah sie mit einem bittenden Blicke an und sagte:

»Ist es Ihr nicht möglich, ein wenig still zu sitzen? Mein Kopf hält es nicht aus.«

»Still sitzen? Davon wird der Topf nicht voll und die Kelle bleibt müßig am Nagel hängen. Still sitzen? Die Hände in den Schoß legen? Danke Sie Gott, daß ich es nicht tue. Wollte sehen, was geschehe, wenn ich nachgäbe.«

»Ich bitte ja nur, weil ich weiß, daß es für uns beide am besten ist. Der Doktor hat gesagt, ich sei von dem Fieber vollständig genesen. Nur sei mir absolute Ruhe not.«

»Ruhe?« fiel die Mewes ein. »Nun gut. Da sitze ich. Also Ruhe, hat der Doktor gesagt. Aber was sonst? Stärkung hat er gesagt. Eine kräftige Suppe, ein Glas Wein, und dergleichen hat er gesagt. Ja, woher nehmen und nicht stehlen?«

Frau Rosmarin seufzte. Jungfer Mewes hatte vollständig Oberwasser und fuhr fort:

»Unser bares Geld ist alle. Mit der Nadel hat Sie schon lange nichts mehr verdient von wegen des Fiebers, und die hochmütige Mamsell hat sich auch seit länger als vierzehn Tagen nicht sehen lassen.«

»Die gute Lene Brammer. Ich denke täglich an sie. Gewiß ist sie krank, sonst wäre sie gekommen.«

»Ei was, krank! Es krankt sich was! Gestern ist sie mit ihrer Mutter über den Scharmarkt gegangen. Dicht an mir vorbei ging sie, aber sie grüßte mich nicht. Na, daß ich zuerst mit dem Kopfe genickt hätte! Fehlte mir!«

»Schelte Sie mir die Lene nicht!« entgegnete Frau Rosmarin mit einiger Heftigkeit. »Sie ist meine Wohltäterin und ich liebe sie mit mütterlicher Zärtlichkeit. Sie hängt mir in aller Treue an. Mit rührender Herzlichkeit gedenkt sie stets meines Sohnes und des Dienstes, den er ihr leistete.«

»Der Sohn?« fuhr die Mewes fort. »Nun ja. Das ist Ihr Sohn und bleibt es. Damit holla!«

»Was meint Sie damit?« fragte die Mutter. »Will Sie mir den Sohn auch verdächtigen?«

»Da ist etwas zu verdächtigen,« entgegnete die Mewes spöttisch. »Augenscheinlicher Beweis ist Allerwelts-Zeugnis. In der ersten Zeit schrieb er und schickte wohl etwas vom Verdienst ein. Aber wie lange ist das her! Jahre sind vergangen seit der letzten Nachricht.«

»Wohl sind es Jahre her«, seufzte die Mutter. »Bange, schwere Jahre. Dem alten Jollenführer Jakob Maifisch begegnete ich neulich auf der Straße. Er wußte auch nichts von dem Jan und sagte: Man müsse sich trösten. Wer weiß, auf welchem Meeresboden, oder in welcher fernen Wüste mein armer Junge schmachtet.«

»Lirum! Larum! Warum nicht gar! Der lebt vielleicht herrlich und macht es nicht besser als tausend andere. Aus den Augen, aus dem Sinn. Das ist Matrosenart.«

»Das tat mein Sohn nicht! Der hat seine Mutter nicht vergessen und die Lene auch nicht. Das weiß ich so sicher, als ich von meinem Dasein überzeugt bin.«

»Nun ich will es ja glauben«, sagte die Mewes spöttisch. »Um Ihretwillen. Dann soll er nur bald kommen. Vielleicht, daß der alte Geizhals, der Brammer jetzt nicht so fuchswild wird, wenn der Jan nach der Lene ausschaut. Vielleicht ist es ihm sogar recht, wenn die Dirne einen tüchtigen Matrosen zum Manne kriegt, der es noch einmal zum Steuermann bringen kann.«

»Was soll das nun wieder bedeuten? Jungfer Mewes, Sie treibt es arg heute und kränkt mich auf's Aeußerste. Was weiß sie von Lenens Vater?«

»Nicht mehr, als alle Welt weiß. Mit dem Elias Brammer ist es Matthäi am letzten. Nur mit Mühe und Not hält er noch den Laden auf. So geht es den Geizhälsen! Weil sie alles an sich raffen wollen, verlieren sie am Ende, was sie haben. Nun weiß sie es. Und wenn die Lene nicht kommt, geschieht es vielleicht darum nicht, weil sie sich schämt, mit leeren Händen zu erscheinen.«

»Allmächtiger Gott!« rief Frau Rosmarin und das ohnehin bleiche Gesicht entfärbte sich noch mehr. »Die arme Lene sollte ... Nein, nein! das ist nicht wahr! das kann nicht wahr sein.«

»Glaube Sie es, oder glaube Sie es nicht!« polterte die Mewes heraus. »Mir ist es egal! Sehe Sie zu, wie Sie hier fertig wird. Ich gehe meinen Geschäften nach. Gottlob, wer für sich selbst sorgen kann und niemand braucht. Er ist am besten daran, wenn es auch kümmerlich geht.«

Jungfer Mewes nahm ihre Schaube um und entfernte sich. Sie ging zu einem wohlhabenden Verwandten, um sich von ihm tyrannisieren zu lassen, ihm nach dem Munde zu reden und von seinem Ueberfluß zu zehren. Sie nannte das, ihren Geschäften nachgehen.

Frau Rosmarin blieb in einer traurigen Stimmung zurück. Ihre Gedanken gingen nach und nach unbewußt in ein lautes Selbstgespräch über.

»So kann, so darf es nicht bleiben! Arme Lene. Wie treu hielt sie bei mir aus. Keine Woche verging, wo ich sie nicht sah. Stets brachte sie mir eine Liebesgabe. Sie verschaffte mir Arbeit und zahlte reichlichen Lohn dafür. Wer weiß, ob sie ihn nicht aus ihrer eigenen Tasche verdoppelte! Und das alles aus Dankbarkeit für meinen Sohn ... Nein! nein! So viele Treue kann nicht so hart bestraft werden! Es ist Verleumdung, was man von dem Vater spricht. Zu schrecklich wäre solcher Wechsel für ein Mädchen, das in Fülle aufgewachsen ist und den Mangel und die Not nicht kennt. – Aber wenn es nun doch wahr wäre? Will es mir ziemen, noch länger von den Wohltaten anderer zu leben? Nein. Ich muß mir selber helfen. Auf meinem Krankenlager habe ich oft über meinen Zustand nachgedacht. Meine Vergangenheit trat lebhaft an mich heran, und mit der Genesung kommt der fröhliche Mut. Die frühere Leidenschaft erwacht mit voller Stärke. Ich fühle die Kraft in mir, mein altes Handwerk wieder zu ergreifen, um mein Leben damit zu fristen. Es ist zwar nicht die jugendlich-frische Maienblüte, die auf den Brettern erscheint. Es ist ein welker Zweig, den ich dahin verpflanzen will. Aber ich weiß keinen anderen Ausweg; keine andere Hilfe. Ich bin allein in der Welt, ganz allein.«

Sie versank in ein dumpfes Schweigen.

Draußen wurde ein leichter, elastischer Tritt hörbar. Leise wurde die Tür geöffnet und Lene Brammer trat ein. Das war nicht mehr die kleine Lene, welche der lustige Jan von dem breiten Simms über der Tür in sein Boot trug; das war eine vollendete Jungfrau mit hellen Augen und blühendem Gesicht, die sich der alten Frau näherte und diese mit einem Kuß aus ihren Träumen weckte.

»Grüß dich Gott, Mütterchen. Du sitzt schon wieder und träumst und grübelst. Der Doktor hat es dir streng verboten. Du bist nicht gehorsam, Mütterchen, ich werde dich verklagen, wenn ich den Doktor sehe.«

»Mein liebes Kind, ich war in Sorgen um dich. Ich bin es so sehr gewohnt, dich zu sehen, daß dein Ausbleiben mich ängstigte. Du warst doch nicht krank?«

»Nein, Mütterchen. Aber der Vater war verreist und das ganze Geschäft lag der Mutter allein auf dem Halse. Da konnte sie mich nicht entbehren.«

»Dein Vater verreist? Das ist doch sonst nie geschehen?«

»Muß wohl notwendig gewesen sein. In der letzten Zeit geschah es öfter. Viel Freude scheint es ihm nicht zu machen, denn er kommt stets verdrießlich wieder.«

»Das bekümmert mich um deinetwillen,« sagte Frau Rosmarin, Lene zärtlich an sich drückend. »Eine Jugend, wie die deinige, bedarf des Sonnenscheines, wenn sie gedeihen soll.«

»Um mich mußt du nicht trauern!« entgegnete Lene bittend. »Von dir ist ganz allein die Rede. Wenn der Jan ...«

Sie unterbrach sich errötend und fuhr nach einer unmerklichen Pause fort:

»Wenn dein Sohn wiederkommt, und er wird gewiß bald kommen, mußt du recht gesund und stark sein; sonst wird er mir zürnen und zu mir sagen: Ist das der Dank dafür, daß ich dir dein Leben rettete? Ich bewahrte dich vor dem Ertrinken und du ließest meine arme Mutter leiden und darben?«

»Wann bricht der Tag an, da ich ihn wiedersehe?«

»Hoffnung läßt nicht zuschanden werden!« entgegnete die Lene. »Aber nun sieh, was ich dir mitgebracht habe.«

Sie hob den mitgebrachten Korb auf den Tisch und besetzte denselben mit verschiedenen Leckerbissen. Auch ein Fläschchen stärkenden Weines war darunter. Sie füllte mit fröhlichem Geschwätze das Glas, nötigte zum Trinken und bot die mancherlei Gaben mit solcher Herzlichkeit dar, daß Frau Rosmarin ihren Kummer gänzlich vergaß, und heiter genoß, was ihr Kraft und Gesundheit wiedergeben sollte.

Die Augen des jungen Mädchens ruhten mit inniger Teilnahme auf Frau Rosmarin, die jetzt ihre Mahlzeit endete und mit herzlichem Dank der Liebesgaben gedachte, die ihr geworden. Das Gespräch, welches sich hieran knüpfte, wurde immer ernster, bis Lene es plötzlich abbrach, indem sie aufstand und sich zum Gehen anschickte.

»Du verläßt mich schon? Wie gerne behielt ich dich noch, da ich dich so lange entbehrte. Sonst bliebst du länger!«

»Ich blieb eigentlich schon über die Zeit. Du mußt meine Eile entschuldigen.«

Lene suchte der Frau Rosmarin ihr Angesicht zu verbergen; diese aber ergriff die Hand des Mädchens und sagte:

»Kind, du verbirgst mir etwas. Ich habe zwar kein Recht, dein Vertrauen zu fordern; aber wenn du ein Herz suchst, schlägt eins in dieser Brust, das keinem an Treue nachsteht.«

Lene sah die erschrockene Frau mit gänzlich veränderten Blicken an. Diese fuhr dringender fort:

»Unser Gespräch nahm eine ernste Wendung. Wie es kam, weiß ich nicht; allein ich habe dich beobachtet und gesehen, welche Veränderung währenddessen mit dir vorging. Deine Heiterkeit von vorhin war nur Verstellung. Du hast Kummer, liebe Lene, der dich um so schwerer drückt, als du ihn in dir verschließest.«

»Ja,« entgegnete die Lene. »Ich habe Kummer. Meine arme Mutter härmt sich ab und grämt sich um des Vaters willen. Ich habe sie gebeten, mir zu vertrauen, was sie drückt, aber sie hat nur mit Tränen geantwortet. Der Vater ist schon wieder fort.«

»Sollte ihm ein Unglück drohen?«

»Ich fürchte das. Der arme Vater! Sein ganzes Leben hindurch tat er nichts, als im Schweiße seines Angesichts arbeiten und nun er an der Schwelle des Alters steht, soll er das verlieren, wonach sein Sinn allein strebte.«

»Gott wird nicht wollen, daß ein so liebes, treues Herz in Not und Trübsal vergehen soll. Er wird dir den Helfer in der Not senden. Ich will das stündlich von dem Himmel erbitten.«

»Tue das, Mütterchen. Das Gebet einer liebevollen Seele bleibt nicht ohne Erhörung. Mit dieser Hoffnung nehme ich Abschied. Es ist die höchste Zeit, daß ich nach Hause gehe. Der Vater kann vielleicht schon zurück sein und es ist ihm stets unangenehm, wenn ich nicht bei der Mutter bin. Lebe wohl, Mütterchen. Sobald ich irgend kann, komme ich wieder.«

Mit diesen Worten entfernte sich Lene Brammer.

Die Betrübnis der Jungfrau hatte die Entschlossenheit der Matrone gestärkt. Sie ging noch einmal mit sich zu Rate, dann war sie mit sich im reinen, und mit dem Ausrufe, den ein Seufzer begleitete, »es muß!« verließ sie ihre Wohnung. Als Jungfer Mewes von ihren Geschäften gegen Abend zurückkam, fand sie die Wohnung leer.

*

Elias Brammer war nach Hause gekommen und tat sehr ungebärdig, als er die Lene nicht fand. Die Frau versuchte alles mögliche, ihn zu beruhigen, allein es wollte ihr nicht gelingen.

»Mann! Mann! Was soll daraus werden, wenn du fortfährst, dich wegen jeder Kleinigkeit zu ereifern.«

»Kleinigkeit! Ist das eine Kleinigkeit, wenn ich nach Hause komme und finde mein Kind nicht, an dem ich mit aller Liebe hänge? Sie aber vergilt mir diese Liebe schlecht, da sie mich in der Not verläßt.«

»Versündige dich nicht, Mann. Die Lene ist treu und gut. Sie tut, was sie dir an den Augen absehen kann, und war in der letzten Zeit sehr besorgt um dich.«

»Warum ist sie nicht hier? Gerade jetzt nicht, wo ich sie nötig habe!« polterte er weiter. »Ihr Ungehorsam nimmt mit jedem Tage zu.«

Frau Brammer schwieg und fuhr in ihrer Arbeit fort. Er rannte im Laden auf und ab.

»Wo ist sie hingegangen? Gewiß wieder zu dem Komödiantenweibe, obgleich ich es hundert und tausendmal verboten habe! Und nicht allein, daß sie wider mein Verbot dahingeht, schleppt sie auch noch ganze Lastkörbe voll mit sich und trägt mein Hab und Gut zum Hause hinaus.«

»Nein, das ist zu arg!« rief Frau Brammer. »Solche Beschuldigungen auszusprechen. Wo ist ein Mädchen in ihrem Alter und von ihrem Stande, die weniger verlangt, als unsere Lene? Zu der Frau Rosmarin geht sie aus dankbarer Anhänglichkeit für den wichtigen Dienst ...«

»Pah!« unterbrach sie grämelnd der Alte. »Was tue ich mit solchem Dienst! Der dumme Junge ist in seiner Jolle spazieren gefahren und hat sie mitgenommen. Darin besteht die ganze Geschichte. Ich dächte, das bißchen Rudern wäre über und über bezahlt, und der Umgang soll ein Ende haben, ein für allemal, oder ich steige der Dirne zu Kopfe und lasse das Weib zum Tor hinausbringen.«

»Du weißt nicht, was du in deinem Zorne sprichst,« sagte Frau Brammer unwillig, »sonst könntest du es nicht vor dir selbst verantworten. Du verdienst es gar nicht, daß die Lene dich so lieb hat.«

»So? Meinst du? Die Lene hat mich also wirklich lieb? Ganz so lieb als eine rechtschaffene Tochter einen Vater haben soll? Nun, wir wollen sehen, ob diese Liebe, von der du so viel sprichst, stichhält.«

»Was willst du damit sagen, Mann?« fragte die Frau ängstlich.

»Ich meine, daß jetzt ein Fall vorliegt, wo sie mir diese Liebe beweisen kann!« entgegnete er.

»Du zweifelst doch nicht, daß sie es tun wird, wenn es irgend in ihren Kräften steht?«

»Warum soll es nicht in ihren Kräften stehen? Es ist gar nicht schwer. Nur ein einziger Gang wird verlangt, weiter nichts. Das ist doch das wenigste, was man für einen Vater tun kann.«

»Sprich dich deutlich aus, Mann. Diese halben Worte quälen und martern mich. Was für ein Gang ist es, der das Unglück unseres Hauses abzuwenden imstande ist? Rede, um Gotteswillen!«

»Höre denn. Du weißt so gut, als ich, welche Unglücksfälle nach und nach unser Haus betroffen haben. Große Verluste hatten wir zu tragen, und jede Hilfe, auf die wir rechneten, blieb aus. Meinen Bemühungen ist es mit der größten Aufopferung gelungen, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Die Schulden sind getilgt, der Wechsel eingelöst. Es ist alle Hoffnung vorhanden, daß wir, bei der gehörigen Einschränkung, mit Ehren fortbestehen können, wenn nur das eine nicht wäre.«

»Welches eine, Mann? Darf ich es wissen?«

»Natürlich darfst du, du mußt es sogar wissen. Ein Hauptgläubiger bleibt noch zu befriedigen.«

»Der Bohnenberg!« rief Frau Brammer unwillkürlich aus.

»Du weißt es also? Warum läßt du mich denn so lange unnütz sprechen? Dieser Bohnenberg ist zähe, wie Lederzucker. Alles, was in Menschenkräften steht, habe ich versucht, ihn zu bewegen, ein Jahr lang mit seiner Forderung zu warten. Alles umsonst. Er will nicht.«

Die Lene war vorhin eingetreten, da die Mutter den Namen Bohnenberg ausrief. Als sie ihre Eltern im eifrigen Gespräch erblickte, wollte sie sich zurückziehen, wurde aber durch die gleich darauf folgenden Worte gefesselt.

»Er will nicht, sage ich dir!« fuhr Elias Brammer fort. »Und wenn er nicht will, bin ich verloren. Meine Zahlungen muß ich einstellen und der Bankrott ist vor der Tür.«

»Wenn ich dich recht verstehe,« sagte die Frau. Er aber ließ sie nicht ausreden und rief:

»Das ist wohl recht schwer zu verstehen,« spottete Elias Brammer. »Der Bohnenberg hat die Lene stets lieb gehabt. Noch neulich sagte er, daß sie eine schmucke, dralle Dirne sei, der man gern einen Gefallen erweise. Wenn sie hingeht, und den alten Eigensinn schön bittet, schlägt er es ihr nicht ab ...«

»Das ist nicht dein Ernst, Mann!« fuhr Frau Brammer auf. »Weißt du, was du deinem Kinde zumutest, indem du sie dem alten Sünder in das Haus schickst? Nun und nimmer gebe ich dazu meine Einwilligung.«

»Du willst also einen Bankrotteur aus mir machen? Willst, daß die Gerichte mich nach dem Winserbaum schleppen? Und warum diesen Schimpf über mich armen, alten Mann? Damit deiner Tochter ein einziger Gang erspart werde.«

Lene trat vor in sichtlicher Bewegung. Sie legte ihre Hand auf den Arm des Vaters und sagte:

»Er soll mir nicht erspart werden. Jetzt gleich werde ich ihn antreten.«

Elias Brammer schwieg bei der unerwarteten Berührung. Er hatte von der Gegenwart seiner Tochter keine Ahnung gehabt und wußte nicht, was er ihr in dem Augenblick sagen sollte.

»Du meinst, Vater, daß mein Wort etwas gälte? Ich habe diese Hoffnung nicht, aber ich will sie dir nicht rauben. Noch heute will ich den Versuch wagen und zu dem lieben Herrgott aus der Fülle meines Herzens beten, daß er mir die rechten Worte in den Mund lege, die imstande sind, den Sinn dieses harten Gläubigers zu erweichen.«

»Meine liebe Lene! Mein gutes Kind!« sagte Elias Brammer gerührt. »Ich wußte es ja, daß du deinen Vater nicht in der Not verlassen würdest.«

»Nein, das werde ich nicht. Ich will zu dem Manne gehen und sein Herz zu rühren suchen.«

»Deine Mutter wird dich begleiten,« sprach Elias Brammer. Diese erklärte sich bereit.

»Bleibe du nur bei dem Vater!« sagte Lene, die Mutter liebkosend. »Der Mann, zu welchem ich gehen soll, ist einer von denen, die mit lachendem Munde harmlosen Menschen harte Worte sagen. Er tat es stets, wenn er hier war, und wird es nicht unterlassen, wenn du zu ihm kommst. Es tut dir jedesmal weh und schneidet dir in das Herz hinein. Bleibe getrost hier; ich kehre bald zurück.«

»Ich darf nicht, Lene. Du bist ohne allen Schutz.«

»Bedarf ich des Schutzes? Was hat ein Kind zu fürchten, wenn es geht, für den Vater um Hilfe zu bitten? Stehenden Fußes gehe ich hin. Seid getrost, liebe Eltern. Es wird mir plötzlich leicht und freudig um das Herz. Alles kann noch gut und fröhlich enden.«

Sie entfernte sich.

Herr Bohnenberg hatte früher ein Geschäft von ziemlich unbestimmter Natur betrieben. Er hielt keinen offenen Laden, hatte keine Lagerräume und keine Kontorstube, noch weniger einen Kommis oder einen Lehrling. Alles ging durch seine Hände. Er war sein eigener Buchhalter und Kassierer. Alte Leute, die noch die Eltern des Herrn Bohnenberg gekannt hatten, versicherten mit Bestimmtheit, daß der ganze Nachlaß in höchstens dreitausend Mark bestanden hätte, das ziemlich baufällige Wohnhaus auf dem Teilfelde nicht gerechnet. Und nun besaß Herr Bohnenberg ein stattliches Erbe in der Reichenstraße und hatte sich ein ansehnliches Vermögen dazu erworben. Er war imstande, anerkannt tüchtigen Geschäftsleuten, die dessen bedürftig waren, mit den nötigen Geldsummen beizuspringen. Wohltun bringt Zinsen. In diesem Verhältnis stand er auch zu dem Elias Brammer, dessen Haus er besuchte, da sie von altersher miteinander bekannt waren und er sogar bei der Lene Gevatter gestanden hatte.

Herr Bohnenberg erhob sich langsam aus seinem Lehnstuhl, als die Lene zu ihm in die Stube trat. Ueber sein fahlgelbes Gesicht flog ein Lächeln, das einem Satyr gut gestanden haben würde. Seine Verwunderung über das Erscheinen des jungen Mädchens war anscheinend groß, denn er schlug die Hände zusammen und sagte:

»Was für ein Glück will es mir bedeuten, daß ein so liebes, frisches Kind zu mir kommt? Das ist mir seit Jahren nicht begegnet, die Jungfer Brammer bei mir zu sehen.«

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Pate, wenn ich vielleicht zur Unzeit störe,« sagte Lene beklommen.

»Ei, was wäre da zu verzeihen! Es ist mir eine wahre Freude. Was tue ich nur, um dir diese Freude zu zeigen? Setze dich vor allen Dingen, denn du wirst von dem weiten Wege müde sein.«

Der Alte ließ nicht nach, bis Lene sich setzte. Sie wollte zu reden beginnen, allein er ließ sie nicht dazu kommen, sondern sagte in seiner widerwärtigen Freundlichkeit:

»Womit könnte ich denn dienstlich sein? Vielleicht ein Gläschen süßen Wein? Ein Zwiebäckchen? He!«

»O, Herr Pate, nicht um solcher Dinge willen bin ich hierher gekommen, sondern um mein Herz vor Ihm auszuschütten und Ihm zu sagen, was mich so schwer bedrückt.«

»Ei, das müssen erschreckliche Dinge sein, die das liebe Kind in eine solche Aufregung versetzen. Wo drückt es denn am meisten? Herunter damit in Gottes Namen!«

»Durch diese Worte macht Er mir Mut, alles frei heraus zu sagen. Mein Vater ist von mancherlei Unglücksfällen betroffen ...«

»Aha! Will es da hinaus? Ich kenne das besser, als du, Kind, und du brauchst es mir nicht zu erzählen. Der Elias Brammer verschuldet mir ein ansehnliches Stück Geld.«

»Darum bin ich eben hier. Der Vater hat sich aus allen seinen Verlegenheiten herausgeholfen und wird jeder Verbindlichkeit nachkommen, wenn ihm Zeit gelassen wird. Er ist ein guter Mann, Herr Pate, der es obendrein nicht nötig hat. Dränge Er meinen Vater nicht. Nehme Er die Kündigung zurück. Ob Er das Kapital, das in der Handlung meines Vaters steckt, ein Jahr früher hat, oder nicht, kann Ihm bei Seinem Vermögen gleichviel gelten.«

»Was verstehst du davon!« fuhr Herr Bohnenberg das junge Mädchen an. Seit dem Augenblick, da von Geld die Rede war, veränderte sich sein ganzes Wesen. Die grinsende Satyrfreundlichkeit war verschwunden. Seine Sprechweise klang schroff, kurz und verletzend. Er sah die Lene zitternd vor sich und sagte in dem Gefühl der Ueberlegenheit:

»So sind wir denn nun da angelangt, wo wir anlangen mußten, wie ich schon vor Jahren prophezeite. Mein schönes Geld! Aber mir geschieht ganz recht. Warum zog ich es nicht längst aus dem Geschäft des superklugen Herrn? Wenn man eine so liederliche Wirtschaft führt ...«

»Es ist mein Vater, von dem Er in diesem Tone spricht!« unterbrach ihn die Lene.

»Lirum! Larum!« fuhr Bohnenberg fort. »In Geldsachen gibt es nicht Vater und Kinder, nicht Ohm noch Muhme, sondern nur Gläubiger und Schuldner. Dein Vater ist das Letztere und ich der Erstere. Wenn ich nicht mein Geld im guten bekomme, treibe ich es durch die Gerichte bei. Damit Lied am Ende.«

»Habe Er Mitleid, Herr Pate!« bat die Lene, die Hände nach ihm ausstreckend. »Gedenke Er meiner armen Mutter, die in Not und Elend gerät, wenn Er unerbittlich bleibt.«

»Dein Vater hat für deine Mutter zu sorgen. Ich habe dazu keine Verpflichtung. Ein ordentlicher Mann findet überall seinen Weg. Ein Geizhals, der in seiner Leidenschaft alles mit einem Male an sich raffen will, verliert das Gleichgewicht und fällt auf die Nase. Das ist Brammers Fall. Statt zum Millionär, wird er zum Bankrotteur. Mag er sehen, wie er sich wieder aufhilft. Ich strecke keine Hand nach ihm aus.«

»Nun erfahre ich, wie recht die Leute haben, welche Ihn einen kalten, herzlosen Mann nennen,« sagte Lene, mühsam die hervorquellenden Tränen zurückhaltend. »Wohin dachte ich auch, daß ich glaubte, es werde mir gelingen, Ihn zu rühren? Aber daß Er einem Kinde, welches zu Ihm kommt, in ihrer Herzensangst für den Vater bitten, von demselben solche ehrenrührige Dinge sagt, wie Er eben mir gegenüber tat, das übertrifft an Härte und Grausamkeit alles, was ich bisher für möglich hielt. Meine arme Mutter! Wie recht hattest du, mich vor diesem Gang zu warnen.«

Die Lene war ein schönes Mädchen geworden. Aber zweifach schöner war sie in diesem Augenblick, wo die Röte des Zornes ihr in das Gesicht stieg. Bohnenberg sah sie mit einem seltsamen Blick an, der sie schmerzlich berührt haben würde, wenn sie darauf geachtet hätte, und sagte:

»Unser Gespräch hat eine Wendung genommen, die ich nicht vermutete. Es ist meine Natur, überall die Wahrheit zu sagen, und ich nehme nie ein Blatt vor den Mund. Damit ist aber nicht gesagt, daß jede Ausgleichung eine Unmöglichkeit wäre. Es ist schon unter schwierigeren Umständen ein Vergleich zwischen zwei kriegführenden Parteien zustande gekommen.«

Die Zornesröte schwand aus dem Gesicht der Jungfrau. Ein Strahl der Freude erhellte es.

»Ich wußte es ja, Er kann nicht so grausam sein. Verzeihe Er meine schlimmen Worte um meiner Kindesliebe willen. Was muß geschehen, um Ihn zur Nachgiebigkeit zu bewegen?«

»Habe bereits gegen den Vater ein Wort davon fallen lassen, und wenn ich mich recht auf die Menschen verstehe, hat er es aufgehoben,« sprach Herr Bohnenberg. »Gesagt hat er zwar nichts dazu; allein er hat geschmunzelt, und tat es so, daß man dies Schmunzeln für eine Antwort nehmen konnte. Als du darauf selbst kamst, glaubte ich eigentlich, daß du von allem unterrichtet seiest. Allein nun sehe ich wohl, daß der alte Fuchs damit hinter dem Berge gehalten hat, und es mir überläßt, die Sache zu ordnen, so gut es gehen will.«

Der Lene wurde angst und bange. Es kam ein Fürchten über sie und mit Zittern blickte sie auf den Mann, für den sie von jeher einen leisen Widerwillen empfand.

»Wir wollen es kurz machen, Kind,« sagte Herr Bohnenberg und suchte sich ihr so viel als immer möglich zu nähern. »Ich erhalte deinen Vater vor der Stadt bei Ehren, daß er sein Geschäft unbehindert fortsetzen kann; dafür schafft er mir ein behagliches Alter.«

»Wie verstehe ich das?« fragte Lene und wich unwillkürlich zurück, als jener sie bei der Hand fassen wollte.

»Das brauchte die kleine, hübsche Lene nicht zu fragen, wenn der Vater offen mit der Sprache herausgegangen wäre. Du bist ein schönes Mädchen geworden, Lene. Brauchst deshalb nicht rot zu werden. Mir wird es langweilig in dem einsamen Hause. Mit meiner alten Haushälterin ist nichts mehr anzufangen; sie tut nicht ihre Schuldigkeit. Da habe ich mich entschlossen, der widerspenstigen Hexe den Handel aufzusagen und mich mit Gottes Hilfe in den Stand der heiligen Ehe zu begeben. Das kleine, liebe, holde Frauchen aber, welches mir den Himmel auf Erden verschaffen soll, ist niemand anders, als du.«

Lene schrie auf. Ihr Gesicht erbleichte.

»Dich überrascht es,« sagte Bohnenberg. »Nur die Schuld deines Vaters, der dich nicht vorbereitete.«

»Er hat mich verkauft!« rief Lene.

»Was ist das für eine dumme Redensart! Er verlangte meinen Beistand; ich sagte ihn, denselben zu, unter der Bedingung, daß er dich mir zur Frau gab.«

»Und er willigte ein?«

»Er wolle es sich überlegen, antwortete er, und da du jetzt freiwillig zu mir ins Haus kommst, muß ich denken, daß alles in Ordnung ist.«

Die Lene bebte zusammen, als jetzt Bohnenberg ihre Hand ergriff und mit widerlicher Zärtlichkeit sagte:

»Im Grunde genommen, gewinnen wir alle bei dem Handel. Ich für mein Haus, dein Vater für sein Geschäft und du selbst für dein ganzes Leben. Ich bin ein wohlhabender Mann und du wirst ein vergnügliches Dasein führen. Für deine Zukunft soll gesorgt werden. Was du vernünftigerweise verlangst, sollst du haben. Bedenke es, Lene. Es ist deine Zukunft, um die es sich handelt. Du bist glücklich versorgt, wenn du mir die kleine Hand lassest, die ich in der meinigen halte.«

»Nun und in Ewigkeit nicht!« rief Lene entschlossen, und riß ihre Hand zurück.

»Bedenke es wohl, Dirne!«

»Hier ist nichts zu bedenken! Ich will nicht!«

»Es gibt Mittel, dich zu zwingen, du kleiner Satan! Dein Vater wird dies Mittel finden, wenn ihm das Messer an der Kehle sitzt.«

»Keine Macht der Erde kann mich zwingen, diese Hand und dieses Herz ohne meinen Willen zu verschenken.«

»Wirst es müssen. Finde dich darein.«

»Mir graut vor Ihm! Rühre Er mich nicht an!«

»Das zu mir?« rief Bohnenberg und seine Augen funkelten. »Das soll dir teuer zu stehen kommen; dir und euch allen! Wenn dein Vater freies Quartier findet auf dem Winserbaum, werdet ihr wohl andern Sinnes werden. Aber dann hängt ihr von meiner Gnade und Barmherzigkeit ab und ich werde mich noch sehr besinnen, bevor ich Gnade vor Recht ergehen lasse.«

»Wie Gott es fügt!« entgegnete Lene. »Vor ihm will ich mein Herz ausschütten. Er wird mir den Weg zeigen, den ich gehen soll. Was aber auch über uns verhängt wird, welches Böse Er auch auf uns herabruft, eines schlägt Ihm fehl. Eher sterbe ich den schwersten Tod, als daß ich Seine Gnade und Barmherzigkeit anrufe.«

»Hochmütiges Pack, das gedenke ich Euch!« rief der alte Bohnenberg ihr nach, als sie sich raschen Schrittes entfernte.

*

Frau Rosmarin hatte sich aus ihrer Wohnung entfernt, um zu gehen, sie wußte kaum, wohin. Welche Reihe von Jahren war verstrichen seit dem Tage, da sie an der Hand des Geliebten die Bühne betrat. Die Gegend umher hatte sich so auffallend verändert, daß nur der mit den Oertlichkeiten genau Vertraute sich dort zurechtfinden konnte. Wo war das Theater des Prinzipals Pandsen in der Fuhlentwiete geblieben, auf welchem die Komödie des Pfarrers auftauchte, um für immer zu verschwinden? Wo waren die Schauspieler, in deren Kreis sie zuerst eingeführt wurde und die, von Neid erfüllt, sich gegen sie verschworen, was die Erbärmlichkeit, der Jugend und dem Talent gegenüber, stets zustande bringt? In alle Welt verstoben und verflogen, gestorben und verdorben. Wo war die mächtige Holzbude auf dem Neuenmarkt, wo sie zuerst mit ihrem Sohne zusammentraf und alle Bitterkeit einer untergeordneten Künstlerexistenz im vollen Maße kostete? Keine Spur von ihr zu finden. Der Marktplatz war ringsum dicht bebaut und die nach Altona, sowie die in das Innere der Stadt führenden Hauptstraßen waren mit stattlichen Häusern eingefaßt.

Ratlos stand sie auf der Straße, sich nach allen Seiten umschauend, diesen oder jenen Vorübergehenden anredend, von dem sie entweder gar keine Antwort, oder doch eine mangelhafte erhielt. Die Leute verstanden nicht, was man von ihnen verlangte.

Sie hatte einen letzten Versuch gewagt. Der Mann, den sie anredete, hörte sie aufmerksam an und entgegnete dann:

»So viel mir bekannt ist, ist im Theaterwesen jetzt nichts los in unserem Hamburg, allein, wie verlautet, wird ehestens wieder dergleichen Spektakel stattfinden. Wenn Sie vielleicht auch eine Komödiantin ist, die bei einem Prinzipal ein Unterkommen sucht, kann ich Ihr nur den Rat erteilen, sich nach dem Pferdemarkt zu begeben und bei dem Gastwirt Querfeld nachzufragen. Dort verkehren in der Regel die Leute Ihres Schlages und der Wirt weiß von allem Bescheid. Dahin geht der Weg.«

Der Mann gab die bezeichnete Richtung an und Frau Rosmarin schlug dieselbe ein.

Bei Querfeld auf dem Pferdemarkt, in dem Hinterhause und eine Treppe hoch war es, wo längere Zeit ein Thespiskarren vorübergehend rastete, um dann weiter zu ziehen und von einem anderen abgelöst zu werden.

Dunkel und schmal war die Treppe. Wer dieselbe hinaufstieg, hatte von Glück zu sagen, wenn er sich nicht das Schienbein verletzte. Hier saß, aus roh zusammengezimmerten Bänken, umgeben von einer Wolke von Tabaksdampf und qualmenden Talglichtern, ein verehrungswürdiges Publikum und starrte die Taten an, welche die Nachkommen von Ehrw. Pandsen mit wunderbarer Bravour verrichteten.

Es war um die Mittagszeit. Der jetzige Direktor hatte gerade eine Probe abgehalten und ruhte von der schweren Arbeit aus, wozu er sich einer umgestülpten Havanna-Zuckerkiste bediente, welche mit grüner Farbe angestrichen war, um nötigenfalls einen moosbewachsenen Felsen oder eine Rasenbank vorstellen zu können.

Die Oekonomie erlaubte dem derzeitigen Lenker des Thespiskarrens nicht, auf eine besondere Wohnung einen Teil der Einnahmen zu verwenden. Das Theater diente ihm zugleich zum Speisezimmer und zum Schlafkabinet. Es war für ihn Audienzsaal und Studierstube, je nach Bedürfnis. Er lag auf dem erwählten Ruhesitz lang hingestreckt und die gezogenen Töne, die sich bemerkbar machten, bezeugten, daß er die Rolle des Schlafenden nicht erst mühsam einstudierte, sondern in voller Ausübung derselben begriffen war.

Frau Rosmarin war bei Querfeld angekommen und, von demselben zurechtgewiesen, stieg sie die Treppe hinan. Er hatte ihr auch den Namen des Mannes genannt, der die Zügel des Musenrosses in der Hand hielt, damit es nicht allzu mutwillige Sprünge mache.

»Stranitzki!« sagte sie vor sich hin. »Stranitzki! Wo hörte ich diesen Namen und bei welcher Gelegenheit? Mein Gedächtnis ist schwach geworden. Es will sich der Vergangenheit nicht mehr erinnern. Und doch klingt dieser Name mir so bekannt vor den Ohren und mit demselben steigt eine unbestimmte Gestalt vor mir aus dem Boden auf.«

Der Direktor, der mit dem Namen Stranitzki bezeichnet wurde, hatte seine Ruhestunde beendet und erhob sich gähnend, als jemand mit der Frage an ihn herantrat:

»Habe ich die Ehre, mit dem Herrn Direktor Stranitzki zu sprechen?«

»'Schamster Diener! der ich bin. Was steht zu Diensten? Vielleicht ein halbes Dutzend Billets zur heutigen Vorstellung? Kapitales Stück heute: »Der zwiefache Jungfernraub, oder Der Meuchelmörder aus Notwendigkeit« nebst einer lustigen Nachkomödie, von mir selbst verfertigt und dargestellt.«

»Das ist nicht meine Absicht. Vielmehr ...«

»Freies Entree!« fuhr Stranitzki dazwischen, »wird nicht bewilligt.«

»Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, darum nachzusuchen,« sagte Frau Rosmarin, »ich wünsche vielmehr ein Engagement anzunehmen.«

»Engagement? Man ist also Schauspielerin?«

»Ich war es längere Zeit. Krankheit und andere Verhältnisse hielten mich von der Bühne zurück. Allein jetzt bin ich wieder gesund ...«

»Wer lange von der Bühne weg ist, soll nicht wieder zu derselben zurückkehren. Er hat die Routine verloren und somit das wichtigste Requisit, dessen der Schauspieler bedarf. Wo war man engagiert und was hat man gespielt?«

Frau Rosmarin erzählte ihre dramatische Laufbahn mit ziemlicher Ausführlichkeit. Während dieser Mitteilung betrachtete sie den Direktor, mit dem sie in Unterhaltung getreten war, genauer. Es war ein kurzer, dicker Mann, dessen sparsames Haar ergraut war. Sein Gesicht hatte plumpe Züge. Aus den Augen blickte eine Art von gutmütiger Schlauheit hervor. Er war der einzige, der von der ehemaligen Pandsenschen Truppe übrigblieb und hatte sich von der Stellung des Hanswurst zu der eines Direktors aufgeschwungen, ohne jedoch nach Erreichung dieser letzteren Würde aus die erstere zu verzichten. Mit Aufmerksamkeit hatte er die Mitteilungen angehört, die ihm gemacht wurden, und als sie endeten, sprach er:

»Also bei der Pandsenschen Gruppe ist man auch gewesen?«

»Ich kann es kaum behaupten, denn als ich eben die Bühne betrat, schied ich von derselben.«

»Wie das? Wie das?«

»Ich war die Braut eines Schauspielers Eberhard Lohse, der den Namen Dunkelschön führte ...«

»Dunkelschön!« rief Stranitzki. »Das war ein Blitzkerl! Einen solchen könnte ich brauchen. Und Sie war die Braut des lustigen Burschen? Wie heißt Sie, Frau?«

»Rosmarin nenne ich mich.«

»Das ist ein trauriger Name. Der paßt nicht für das Theater. Als Sie die Braut des Dunkelschön war, führte Sie einen anderen Namen. Wie war es doch damit? Helfe Sie meinem Gedächtnis ein wenig auf.«

Die Frau zögerte einen Augenblick, dann sagte sie errötend:

»Maienblüte nannten sie mich.«

»Maienblüte!« rief der Direktor. »Nun weiß ich es. Sie mußte die Kammerzofe in der Komödie des Pfarrers spielen und ich hatte den hanswurstigen Bedienten. Ja, das war ein toller Abend. Ich kroch mit Seiner Ehrwürden durch die Versenkung, um ihn ungesehen fortzubringen. Und Sie ist die Maienblüte? Ich muß Sie näher ansehen und versuchen, ob ich in Ihrem Gesichte die vergangenen Tage wiederfinden kann.«

Er saß vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt und schaute sie lange an.

»Sie Aermste! Der Kummer hat tiefe Furchen in diese Stirn gegraben und die Backen sind eingefallen. Höchstens kann Sie nur für die komische Alte Verwendung finden und solche Rollen sind sparsam. Allein das ist es ja nicht, was ich sagen wollte, sondern ... Aber wer kommt da und stört uns?«

Es war ein Arbeiter, der bei Querfeld das Amt eines Theatermeisters und zugleich bei dem jedesmaligen Direktor den persönlichen Dienst hatte. Er kam mit der Mütze in der Hand und sagte:

»Herr, das Essen, wenn es gefällig.«

»Das kommt zur rechten Zeit,« rief der Direktor. »Trage reichlich auf, ich habe einen Gast. Nun, Frau? Sie wird wohl mit mir vorlieb nehmen? Wenn man satt ist, spricht es sich noch einmal so gut und der alte Hanswurst Stranitzki findet zuletzt noch einen Platz, wo er Sie unterbringen kann. «

Frau Rosmarin folgte ihrem Wirt nach dem Verschlag, der als Garderobe diente. Nachdem das bescheidene Mahl beendet war, sagte er:

»Sei Sie getrosten Mutes. Wenn Sie hilflos ist, soll Sie es nicht bleiben. Einstmals, als betrunkenes Volk den Hanswurst hänselte, und ich in meiner Seele tief betrübt war, daß ich nur der Popanz sein sollte, woran jedermann sich reiben und auf den man schlagen könne, ohne daß er an eine Wiedervergeltung denken dürfe, kam Sie und sah mich an mit Ihren lieben Augen und sagte zu mir: »Nehme Er es sich nicht zu Herzen; ich halte Ihn für einen guten Gesellen und all' die Unseren tun es«. Das Wort habe ich nie vergessen. Es half mir damals über eine trübe Stunde weg und so oft eine solche wiederkam, sagte ich mir: »Nimm es dir nicht zu Herzen.«

Frau Rosmarin drückte ihm die Hand. Stranitzki erwiderte es und sagte dann:

»Die Frau Querfeld hat eine hübsche Kammer, worin reisende Künstlerinnen wohnen, die hierorts ein Unterkommen suchen. Die steht jetzt leer. Ich nehme dieselbe für Sie in Beschlag und Sie kann einziehen, sobald Sie will. Tue Sie es bald. Die Frau des Dunkelschön soll nicht Not leiden und sich von alten Jungfern schurigeln lassen, solange ich selbst noch ein Stück Brot in der Tasche habe. Gehe Sie mit Gott, Frau. Aber auf dem Theaterzettel muß Sie einen anderen Namen führen. Rosmarin! Dabei denkt man an Kirchhof und Leichenträger. Nun adieu, adieu! Komme Sie morgen wieder mit Sack und Pack, dann soll alles in Ordnung sein.«

Er ließ einen Drittel in ihre Hand gleiten und folgte ihr bis an die Treppe.

Der Kalender der Jungfer Mewes hatte abermals gewechselt. Sie empfing ihre Hausgenossin mit gutmütigem Schelten über das lange Ausbleiben und erzählte, daß Jungfer Lene Brammer hier gewesen sei und wiederkommen werde.

»Das muß bald geschehen, sonst findet sie mich nicht mehr hier.«

Jungfer Mewes riß den Mund weit auf. Ihre Hausgenossin nahm sie bei der Hand und sagte:

»Ich kehre zu meinem früheren Stande zurück. Mir ist eine Stellung geboten, die ich angenommen habe. Es muß sein, denn ich ertrage es nicht länger, von der Barmherzigkeit anderer zu leben. In dem Querfeldschen Hause aus dem Pferdemarkt ist das Theater. Dort wohne ich auch. Dorthin sende Sie alle, die nach mir fragen. Es werden ihrer nicht viele sein. Mein Sohn ... wenn er jemals wiederkommen sollte ...«

Sie vermochte nicht weiter zu reden. Tränen erstickten ihre Stimme. Jungfer Mewes war ganz starr vor Staunen. Noch nie hatte sie den Mund so weit aufgerissen und noch nie waren so wenige Worte aus demselben hervorgegangen, als heute.

In diesem Moment trat Lene ein und warf sich in die Arme der Frau, welche sie gleich einer Mutter liebte. Sie war gekommen, ihr Herz auszuschütten und die Last abzuwerfen, die dasselbe bedrückte.

Bald waren die gegenseitigen Leiden ausgetauscht. Lene hielt die ältere Freundin fest umschlossen und sagte schluchzend:

»Ihn liebe ich; ihn allein. Von dem Augenblick an, da wir schieden, wußte ich es. Jahrelang sind wir getrennt, aber noch immer ist das Gefühl so lebendig, als in jener Stunde.«

»Gott lohne dir die Treue gegen meinen Sohn. Wer weiß, wo er weilt! Zu lange ist er fort, als daß ich noch eine Hoffnung hätte, ihn hier wiederzusehen.«

»Dann dort!« entgegnete Lene. »Treue dauert über das Grab hinaus. Und ich darf es kaum wünschen, daß er wiederkommt. Ich habe mich zwar entschieden geweigert, das Gebot des Vaters zu erfüllen. Aber darf ich ihn zu Grunde richten? Darf ich die Mutter in Not und Elend umkommen sehen? Meine Pflicht ist es, sie zu retten. Und wenn ich diese Pflicht erfülle, bin ich für ihn gestorben. O, Mutter! Mutter!«

»Mut, meine Tochter! Mit der Schwere des Kummers wächst die Kraft, ihn zu tragen, bis diese ganz erlahmt und der Todesengel erbarmend unser Auge schließt. Scheiden wir, mein Kind! Ich wünsche ein fröhliches Wiedersehen um deinetwillen.«

Sie sagte es, allein sie glaubte es nicht, denn Stranitzki hakte ihr vertraut, daß er mit dem nächsten Monat samt seiner Truppe nach Lübeck gehen werde.

*

Ueberall Sonnenschein!

Jakob Maifisch hatte eine Tour durch den Hafen vollendet, und legte mit seiner Jolle an der gewohnten Stelle an, wo der grüne Baum sich neugierig im Wasser spiegelt.

»Genug für diesmal,« sagte er, die Treppe hinaufsteigend und die Pfeife hervorlangend. »Eine Stunde Ruhe im Schatten wird gut tun. Ist von dem Hans Kramer seinem holländischen Kraut, das er mir von Amsterdam mitbrachte, als er das letzte Mal dahin steuerte. Das ist nun auch vorbei.«

Mit den Worten war er auf dem gewohnten Platz angelangt, stopfte die Pfeife und schlug Feuer:

»Hätte ich es so gut, als Hans Kramer, täte ich nichts anderes, als den lieben langen Tag solchen Tabak rauchen, und ließe fahren, wer Lust hätte. Sprach in den letzten Tagen viel von dem Jungen, dem Jan ... Hm! Möchte selbst wissen, wo er geblieben ist. Begegnete neulich der Mutter. Die sah recht kümmerlich aus. Ho, Ho! Was flackert mir denn da vor den Augen herum?«

Er sah auf und gewahrte einen hochaufgeschossenen, verlumpten Kerl, der ihm eine leere Pfeife hinhielt.

»Was soll ich damit?«

»Stopfen!« entgegnete jener. »Allein aus Euerm Beutel, denn der meinige ist leer.«

Jakob Maifisch erhob sich, stellte sich gerade vor den Kerl hin und maß ihn von oben bis unten:

»Bist du auch einmal wieder da, Jan Lump?«

»Jan Thiemer heiße ich,« entgegnete jener. »Und am Dreikönigs-Abend stelle ich den Mohrenkönig vor, da ich das Erbe Jan Blaufinks verwalte.«

»Ja, das muß wahr sein,« sprach der Jollenführer. »Einen solchen Nichtstuer und Herumtreiber gibt es in Hamburg keinen zweiten! Machst dem armen Jungen, der seinen Namen auf dich vererbte, Schande über Schande. Seit wie lange bist du denn wieder auf freien Füßen?«

Jan Thiemer ballte die Faust, ließ sie aber wieder sinken, als der Jollenführer sagte:

»Willst dich wohl an einen alten Kerl vergreifen, weil er dir die Wahrheit sagt? Komme nur heran! Wirst bald spüren, daß meine Knochen stark genug sind, blaue Beulen zu schlagen. Da macht er kehrt, der Prahlhans! Ist ein Lump, sage ich und bleibe dabei.«

»Jakob Maifisch, wem hältst du eine Predigt?« fragte eine tiefe Stimme und eine robuste Gestalt trat dem Jollenführer gegenüber.

»Geht Euch nichts an!« entgegnete dieser und sah dann erst genauer hin, wer ihn anredete.

Es war Claus Tiedenbringer, der Unermüdliche. Die lebendige Elbpost, wie er genannt wurde, denn er hatte Kunde von allem, was auf dem Strome vorging und brachte stets die ersten Nachrichten von der Ankunft der Schiffe in die Kontors sowie in die Wohnungen der reichen Kapitäne und die armen Eltern der Schiffsjungen.

»Gut,« entgegnete Claus Tiedenbringer und machte kehrt. »Wenn ich nun auch sagte: Geht Euch nichts an, was ich weiß.«

»Würde mir nicht das Herz abstoßen,« sprach Jakob Maifisch. »Wer weiß, ob es eine Pfeife voll Tabak wert wäre.«

»Zwei Pfeifen voll, Mann!« lachte Claus Tiedenbringer. »Aber im Ernste, alter Maat, ich weiß von einem Schiffe, »Elbe« geheißen, das von dem Kapitän Rose kommandiert wird. Dasselbe kommt von Java mit reicher Ladung und einer Kajüte voll Passagieren. Die »Elbe« gehört ja wohl zu den Schiffen, die Ihr zu bedienen habt? Nun, mein Junge, Kapitän Rose ist seit gestern binnen, und legt in einer halben Stunde an das Schlengels. Ist das zwei Pfeifen Tabak wert?«

Jakob Maifisch entgegnete nichts, sondern drückte dem Fragenden seinen ganzen Vorrat, samt der Tasche, worin derselbe befindlich, in die Hand, eilte die Treppe hinunter und ruderte mit seiner Jolle davon, so schnell er vermochte.

Der stattliche Dreimaster »Elbe«, langsam von der Flut geschoben, gierte dem Schlengels zu. Der Hafenmeister erschien an Bord, grüßte den Kapitän als einen alten Bekannten und verbeugte sich vor den Passagieren, die auf dem Halbdeck standen.

Der Jüngere von diesen wandte sich an seinen älteren Begleiter und sagte lächelnd:

»Als ich vor zehn Jahren mit dem Hans Kramer in See ging, hat der Herr nicht den Hut vor mir abgenommen, ich glaube auch, er grüßt nicht mich, sondern die ostindische Leutnants-Uniform.«

»Nun sind wir heim!« entgegnete der Aeltere von beiden.

»Ja, Vater. Und wenn es Gott gefällt, finden wir alle glücklich beisammen; die Mutter und die Lene. Hörst du, Vater? Die Lene muß mit dabei sein, sonst paßt der ganze Kram nicht!«

»Elbe, ahoi! Willkommen binnen!« rief es aus der Jolle, die seitwärts legte, zu Deck. »Darf ein alter Bekannter an Bord kommen?«

»Je eher, je lieber!« rief der jüngere Passagier, der, über die Schanzkleidung wegschauend, die Jolle samt ihrem Führer erkannte. »Jakob Maifisch, alter Junge, komme herauf und zuerst hierher zu mir.«

»Allstunds!« erwiderte jener und beeilte sich, so sehr er konnte. »Hier bin ich, Herrschaft, nach Order. Was will Herrschaft von mir?«

»Jakob Maifisch,« sagte der Passagier lachend, »ich glaube, du bist hochmütig geworden.«

»Habe nichts dergleichen an mir,« entgegnete er kopfschüttelnd. »Warum soll ich hochmütig sein?«

»Weil du einen alten Bekannten nicht wiederkennst, der dich gleich bei Namen anredete.«

»Habe mich auch darüber gewundert,« entgegnete der Jollenführer. »Kann mich aber nicht besinnen ...«

»Da muß ich wohl dem alten Kopfe zu Hilfe kommen. Weißt du nicht, wo der übermütige Bursche hingeraten ist, der mit des Schiffers Hans Kramers Jolle auf den Vorsetzen hin- und herfuhr und eine junge, hübsche Dirne von dem Sims herunterlangte?«

Der alte Jakob Maifisch schlug die Hände vor Verwunderung zusammen. Er sah den stattlichen Seemann von oben bis unten an und sagte dann mit einem tiefen Atemzug:

»Jan Blaufink!«

»Ja, alter Maifisch. Jetzt Eberhard Lohse geheißen, wie mein Vater, den du da leibhaftig vor dir siehst. Auch habe ich keinen Anspruch mehr auf den Namen Jan Blaufink, da ich ihn bei meiner Abreise auf den Jan Thiemer vererbte ...«

»Der dir Schande genug gemacht hat, denn er ist ein Nichtstuer, ein Herumtreiber geworden. Muß aber Herrschaft bitten, nicht für ungut zu nehmen, daß ich schlankweg du sagte. Weiß, was mir zukommt, und werde ...«

»Dir kommt fürs erste zu, alter Maat, meinen Vater und mich ans Land zu bringen! – Kapitän Rose, unser Gepäck lassen wir holen, sobald wir ein Unterkommen gefunden! – Nun frisch zu Boot!«

»Gleich, Herrschaft. Will nur noch ein Wort ausrichten vom Schiffer Hans Kramer.«

»Wo ist der brave Mann?«

»Liegt in dem Hafen, worin wir alle unseren Ankerplatz finden, früher oder später. Nach St. Nicolai haben sie ihn hinausgetragen. Als ich ihn das letzte Mal sah, sprach er zu mir: Jakob Maifisch, wenn du länger lebst als ich und du siehst den Jan wieder und es ist ein braver Kerl aus ihm geworden, dann gib ihm von meinetwegen die Hand und sage ihm, daß ich ihn schön grüßen lasse. Nun ist mein Gewerbe bestellt und ich will das Boot an den Fallreep legen.«

Der Jollenführer fuhr mit seinen Passagieren ab.

*

Jungfer Mewes war seit mehreren Tagen in lebhafter Unruhe. Jahrelang war sie es gewohnt, mit der Frau Rosmarin zusammenzuleben, bald mit ihr zu zanken, bald sie zu pflegen und ihr freundlich beizustehen. Und nun blieb sie allein, vom frühen Morgen, da sie die Augen öffnete, bis zum späten Abend, wenn sie sich niederlegte. Die Unruhe war im Steigen.

»Das halte ich nicht aus!« rief sie endlich entschlossen. »Ich gehe nach dem Pferdemarkt. Sie muß wieder hierher und wenn sie es partout nicht tut, ziehe ich zu den Komödianten, es mag daraus werden, was da will. Soll ich hier in der Einsamkeit versauern? Ich will etwas von meinem Leben haben.«

Das Selbstgespräch wurde unterbrochen. Es kam jemand die Treppe herauf. Die halbmorschen Stufen seufzten unter dem festen männlichen Tritt.

»Holla Ahoi!« erscholl es von unten herauf. »Wohnt die Jungfer Mewes noch hier? Will sie anpreien!«

»Was will Er?« fragte sie erschrocken und sah mit einiger Furcht auf den stattlichen Seemann, der lachend vor sie hintrat.

»Ja, das ist die Jungfer Mewes ganz und gar, wie ich sie verlassen habe, nur noch ein wenig magerer geworden. Mache Sie kein verdrießliches Gesicht, Jungfer Mewes. Meine es gut mit Ihr und will es Ihr beweisen. Aber nun spreche Sie vor allen Dingen, wo ist die Frau Rosmarin und wie geht es ihr?«

»Was geht Ihn die Frau Rosmarin an? Was Er wohl von ihr will, möchte ich wissen.«

»Was sie mich angeht? Sieht Sie nicht, daß mir das Herz auf der Zunge sitzt und daß meine Augen Wasser pumpen? Bin ich so sehr verändert, daß Sie den Jan Blaufink nicht kennt, der von Ostindien kommt und in aller Herzensangst nach seiner Mutter fragt?«

Es kostete viel, die Jungfer Mewes zu beruhigen und sie zum Sprechen zu bewegen. Alle Fragen blieben unbeantwortet, bis sie endlich ausrief:

»Nun sehe mir einer an, wie groß der Taugenichts geworden ist.«

»Ja, Jungfer Mewes, groß ist er geworden. Und er befindet sich in der Lage, gute Dienste gut zu belohnen. Das versteht Sie wohl auch und darum spreche Sie von meiner Mutter, ob sie lebt.«

»Die Mutter lebt. Aber hier ist sie nicht.«

»Und wo finde ich sie? Wo?«

Das unerwartete Ereignis hatte die Jungfer Mewes so überrascht, daß sie den Faden nicht finden konnte, woran sie ihre Worte reihen wollte. Es folgte ein so seltsames Durcheinander, daß die Angelegenheit immer verworrener wurde und die Ungeduld des Seemanns auf das Aeußerste stieg.

»Es ist genug!« rief er endlich und sprang von dem Schemel, auf welchem er Platz genommen hatte, mit solcher Heftigkeit auf, daß Jungfer Mewes erschrocken zurückprallte und beinahe den Dukaten fallen ließ, den jener ihr in die Hand drückte. »Querfeld, Theater, Pferdemarkt! Nun finde ich mich schon zurecht.«

In drei Sätzen war er unten.

*

Auf dem Querfeldschen Olymp, woselbst der Hanswurst Stranitzki als Jupiter thronte, war eine ungewohnte Stille. Die Schauspieler fanden sich zu der Probe eines neuen Stückes ein, welches am folgenden Abend in Szene gehen sollte, als der Arbeiter erschien, welcher als Faktotum des Direktors fungierte, und die Mitteilung machte, die Probe werde auf den Nachmittag verschoben, die Herrschaften möchten sich nur entfernen, bis auf die Frau Rosmarin, mit welcher der Direktor noch zu sprechen habe.

Die Abgehenden wurden durch diese Botschaft in keine geringere Verwunderung versetzt, als die Zurückbleibende. Ihr Staunen wuchs, als nach einigen Minuten Stranitzki mit dem ernstesten Gesicht von der Welt erschien und zu ihr sagte:

»Man wird sich gewundert haben, daß ich die Probe plötzlich abbestellte. Es geschah keineswegs ohne dringende Ursache. Es hat sich ein junger Mann gemeldet, der Lust zum Schauspieler hat. Ist ein recht stattlicher Junge und ich bin nicht abgeneigt, ihn in die Lehre zu nehmen. Wollen indessen erst einmal sehen, ob er auf den Brettern gehen und stehen kann. Weil er aber noch nie eine Rolle lernte, soll er uns eine Szene vorspielen.«

»Unvorbereitet?«

»Ja! Eine Comoedia del arte, wie man es nennt. Sozusagen aus dem Stegreif, und dabei soll Sie behilflich sein. Setze Sie sich dahin und stelle Sie sich vor, daß Sie eine reiche Kaufmannsfrau oder so etwas dergleichen ist. Ich bin ein Kontordiener und erscheine, um einen jungen Seemann zu melden. Dieser Seemann, versteht Sie, ist unser Debütant. Nun, ist Sie bereit?«

»Ich bin es. Wenn ich freilich sagen muß ...«

»Sage Sie nichts, gar nichts, als ein paar Worte zur Einleitung, ganz beliebige, wie Ihr solche gerade in den Mund kommen. Ich erscheine dann schon zur rechten Zeit.« Stranitzki zog sich zurück.

Frau Rosmarin fühlte sich beklommen; sie wußte nicht, weshalb. Ihre Gedanken wollten sich nicht fesseln lassen und als sie sah, daß Stranitzki von dem Hintergrund aus sich ihr näherte, fragte sie rasch:

»Ist jemand da?«

»Mit Wohlnehmen, ich. Der Kontorknecht.«

»Was will er von mir?«

»Es ist ein Seemann draußen, der mit der Madame zu sprechen wünscht.«

»Woher kommt er und wie heißt er?«

»Das hat er mir nicht gesagt. Er hat mir nur aufgetragen, zu bestellen, daß er von weither käme und wichtige Nachrichten für die Madame mitbrächte.«

»So lasse Er ihn eintreten!« sagte Frau Rosmarin, indem sie sich unwillkürlich erhob.

Der Seemann erschien. Er machte Miene, rasch vorzugehen und die Arme auszubreiten, allein er hielt sich zurück und sagte:

»Mit Verlaub, Madame!«

Noch hatte Frau Rosmarin den Auftretenden nicht angesehen. Jetzt wendete sie sich zu ihm und ein frohes Ahnen flog über ihr Gesicht. Ihr Herz begann zu schlagen.

»Näher!« sagte sie in fliegender Hast. «Ganz nahe, damit ich höre, was Ihr mir zu sagen habt.«

»Ich komme als Bote von einem Matrosen, der lange Jahre vom Hause weg ist und der gerne wieder dahin zurückkehren möchte.«

»Warum tut er es nicht?«

»Weil er so lange fortgeblieben ist, ohne Nachricht von sich zu geben, was nicht seine Schuld war, und er nun nicht weiß, ob er zu Gnaden aufgenommen wird.«

»Ist es nicht eine Mutter, zu welcher der verloren geglaubte Sohn zurückkommen will?«

»Es ist eine Mutter, eine liebe, gute Mutter!«

»Warum läßt er sie denn noch immer warten?« rief Frau Rosmarin, die Arme ausbreitend. »O, mein Sohn! mein Sohn!«

»Mutter!« erscholl es als Antwort. Der Seemann warf sich zu ihren Füßen und umklammerte ihre Knie.

Eine Viertelstunde verstrich. Stranitzki erschien im Hintergrunde. Nach ihm trat eine zweite Gestalt aus den Kulissen. Der erstere gab ein Zeichen. Frau Rosmarin hörte es nicht in ihrer Erregtheit; aber der Sohn winkte rückwärts mit der Hand und sagte dann zu der Mutter:

»Der Kontordiener hat mich der Madame mit den Worten gemeldet, daß ich wichtige Nachrichten aus fernen Landen mitbrächte und darum will ich mich derselben entledigen.«

»O, mein Sohn, keine Komödie in diesem ernsten, feierlichen Augenblick.«

»Doch, Mutter. Ich habe viel zu sagen und muß es sagen, jetzt gleich, in dieser Stunde noch. Setze dich hierher und höre mich an.«

»So sprich denn. Was kann ich anderes tun, als mich deinen Wünschen fügen. Wie lautet die Kunde, die du mir bringst?«

»Eine Geschichte habe ich dir zu erzählen, Mutter. Eine einfache, rührende Geschichte. Es ist das Erlebnis eines Mannes, der eine junge und schöne Geliebte hatte, die ihn wieder liebte und mit welcher er sich trauen ließ. Aber kaum war das geschehen, als er verschwand.«

»Er verschwand?«

»Ja, Mutter. Spurlos. Die arme Frau! Sie hatte kaum Hochzeit gehalten und war schon Witwe. Tiefer Kummer ergriff sie, da sie sich treulos verlassen wähnte. Die Aermste! Sie täuschte sich!«

»Was sagst du? Sie täuschte sich?«

»Ich sagte es. In Indien war es, wo sich die Lösung des Rätsels fand. Auf offener Straße hatten ihn die Werber in ihre Falle gelockt. Sie schleppten ihn an Bord eines Schiffes, das nach Holland segelte. Dort brachte man ihn auf einen Ostindienfahrer. Er machte die ganze Hölle durch, die jedem gewiß ist, der den Seelenverkäufern in die Hände fällt. Nachdem die langen Jahre maßloser Sklaverei vorüber sind, ist der Körper krank und der Geist verdüstert. Eine schwere Krankheit wirft ihn nieder. Als er endlich genesen ist, erscheint ihm die Vergangenheit wie in Nebel gehüllt. Nur wie eines Traumes erinnert er sich derselben. Einzelne Bilder tauchen von Zeit zu Zeit vor ihm auf und verschwinden, wie sie kamen.«

Frau Rosmarin blickte mit der größten Spannung auf den Sohn:

»Ist deine Geschichte zu Ende?«

»Sie endet in diesem Augenblick. Ich sah den Mann und sprach ihn täglich. Wir wurden miteinander vertraut und wohnten unter einem Dache. Da eines Abends erhob sich ein furchtbares Ungewitter. Die Donner rollten unaufhörlich. Tausend Blitze zuckten um uns her. Das Haus, worin wir herbergten, stand in Flammen. Ich ergriff ihn beim Arm, um uns beide vor dem gewissen Tode zu retten. Aber er riß sich von mir los und eilte die Treppe hinauf in seine Stube. Mit einer Kassette unter dem Arm, von Flammen umsprüht, in augenscheinlichster Gefahr schwebend, kam er zurück. Kaum waren wir im Freien, als das brennende Haus zusammenstürzte.«

»Allmächtiger Gott!« schrie die Mutter laut auf.

»Ich brachte den Mann in Sicherheit. Als wir wieder traulich beieinander saßen, öffnete er die Kassette und sagte: Um dieses Kleinodes willen wagte ich mein Leben. Vor der Glut des Feuers schwand der düstere Nebel und meine Vergangenheit liegt hell vor mir. Schau her! Er nahm ein Blatt Papier aus der Kassette und schlug es auseinander.«

Mit diesen Worten zog er ein Blatt Papier aus der Tasche und hielt es der Mutter hin:

»Weißt du, was auf diesem Blatte steht?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete sie mit zitternder Stimme. »Mir schwimmt es vor den Augen.«

»Auf dem Blatte steht, daß der Schauspieler Eberhard Lohse, genannt Dunkelschön und die Schauspielerin Christine Ramke, genannt Maienblüte, von dem Pastor Koch zu Geesthacht in aller Form getraut sind ...«

Ein Schrei unterbrach ihn. Es war ein Schrei wie er sich einer Brust entringt, die plötzlich von einer jahrelangen, schweren Last befreit wird:

»Und wo? Wo?«

»Hier ist er!« rief der Seemann und winkte dem Manne, der im Hintergrunde wartete.

Dieser eilte herbei und warf sich der Frau zu Füßen:

»Christine! Christine!«

»Eberhard!« sagte sie mit vor Tränen erstickter Stimme und beugte sich über ihn.

Der Seemann trat zu dem über diese Wendung der Komödie ganz erstaunten Prinzipal und sagte:

»Wir wollen die beiden ihre Szene allein zu Ende spielen lassen; sie duldet keine Augen. Was Ihr aber habt für meine Mutter tun wollen, bleibt unvergessen und wird in mein Schuldbuch eingetragen. Sie sind nun beisammen und es ist nicht mehr als billig, daß ich jetzt an mich denke und meinen Kurs nach einer Richtung lenke, wohin Kopf und Herz längst voraufgegangen sind.«

*

Frau Brammer war auf dem Wege von ihrem Manne zu ihrer Tochter. Die arme Frau trug ein schweres Leid. Seitdem das Unglück über ihn kam, wurde der Mann täglich und stündlich unleidlicher. Die Lene war sein Liebling. Alle seine Schroffheiten und üblen Neigungen wurden bisher ausgeglichen durch die zarte Liebe zu seinem Kinde. Aber von der Stunde an, da sie sich weigerte, dem alten Bohnenberg ihre Hand zu reichen, um durch diese Tat die Firma Brammer bei Ehren zu erhalten, wandelte sich die Liebe in Widerwillen. Er sah sie nicht mehr an. Er richtete kein Wort an sie, und wenn sie den Mund öffnete, drehte er ihr den Rücken und entfernte sich.

»Morgen ist der letzte Termin,« hatte er zu seiner Frau gesagt, als sie vorhin bei ihm war. »Kann ich dann nicht zahlen, muß ich von Haus und Hof gehen.«

»Wer weiß, woher der Rettungsengel kommt,« entgegnete die Frau. Allein die Stimme klang so traurig, daß man wohl merkte, sie glaube selbst nicht an diese unerhoffte Rettung.

»Die Engel stehen nur in dem alten Testament,« entgegnete Brammer bitter. »Morgen bin ich bankrott, und wenn diese Schande über mich kommt, springe ich in die Elbe.«

Erschreckt entfernte sich die Frau nach diesen Worten. Mit schwerem Herzen stieg sie die Treppe hinan und trat in die Kammer der Tochter:

»Lene erbarme dich deiner armen unglücklichen Mutter. Der Vater erklärt sich bankrott und will diesen Schimpf nicht überleben. Er stirbt, Lene ...«

»Fürchte nichts, Mutter,« unterbrach die Lene. »Der Vater wird nicht sterben.«

»Kind, du kennst nicht seinen starren Eigensinn, wie ich ihn kenne.«

»Sei ruhig, Mutter, und höre mich an. Ich bin in der letztverwichenen Nacht mit mir zu Rate gegangen und habe meinen Entschluß gefaßt. Ich hatte eine frohe, heitere Jugend. Was ich mir wünschte, erhielt ich. Was ich wollte, geschah. Dir danke ich das, dir und dem Vater, der jede meiner kleinen Launen erfüllte. Mir ziemt es nicht, über den Mann, den so viele anfeinden, zu urteilen. Mir ist er nur ein liebevoller, hingebender Freund gewesen. Lebte ich bis dahin in harmloser Glückseligkeit, ist es billig, daß ich auch von der Bitterkeit des Lebens meinen bescheidenen Teil erhalte. Der Vater verbrachte seine Tage in Mühen und Sorgen. Arbeit am Morgen, Arbeit am Abend war sein Los. Darum muß sein Alter vor Kummer bewahrt bleiben und die Sorge dafür nehme ich auf mich.«

»Kind! Lene! Wie soll ich das verstehen?«

»Ich sagte dir, daß ich mit mir zu Rate ging und meine geheimsten Gedanken vor mir entfaltete. Alle Träume, alle Hoffnungen, die ich insgeheim nährte und die mich so unaussprechlich glücklich machten, traten an das Licht. Ich habe Abschied von ihnen genommen. Sie sind verflogen, vergessen.«

Sie brach in ein lautes Schluchzen aus und warf sich in die Arme der Mutter:

»Nein, nein! Das war eine Lüge! Vergessen sind sie nicht und werden es nimmer sein. Aber sie sind begraben im tiefinnersten Herzen und keiner wird eine Ahnung haben von dem, was diese Brust verbirgt.«

»Lene, erbarme dich! Du bringst dich um mit diesen schrecklichen Gedanken.«

»Ich werde vielmehr leben, Mutter. Zu deinem Glück, und ich werde die Kraft dazu in mir finden,« sagte Lene nach einer Pause, indem sie ihre Tränen trocknete und der Mutter die Hand reichte. »Und nun, höre mich ruhig an. Pate Bohnenberg hat um meine Hand geworben, gehe du zu ihm und sage, daß ich seine Frau werden will.«

»Ist das dein Ernst, Kind?«

»Es ist mein voller Ernst. Nichts soll mich von diesem Entschluß abbringen. Ich hörte, morgen nachmittag sei der letzte Termin, den der Mann dem Vater gestellt hat. Wenn er kommt, um seine Schuld beizutreiben, werde ich für den Vater zahlen. Bis dahin bleibe ich noch mit mir allein und versuche es, mich mit meiner Zukunft vertraut zu machen.«

»Alles, was du verlangst, mein geliebtes Kind. Aber dein Vater! Er wird es sich überlegen, er wird das Opfer nicht annehmen!«

»Darum mußt du es ihm nicht sagen. Ich selbst will den Schuldbrief in seine Hände legen. Geh nun, und erfülle meine Bitte.«

»Ich unterwerfe mich,« sagte Frau Brammer. »Ach, ich habe es während meines ganzen Lebens nicht gelernt, Widerstand zu leisten.«

»Und nun noch ein Wort des innigsten Vertrauens,« sagte Lene, die Mutter zurückhaltend. »Wenn ein Tag kommt, an welchem er erscheint ... Du weißt es ja, Mutter, wen ich meine. Sage ihm, daß er mich nicht aufsuchen, mir nicht in den Weg treten und mir die Ruhe gönnen soll, die ich mir mühsam errang. Aber sage ihm auch, daß ich nur die Treue brach, um meine heiligste Kindespflicht zu erfüllen und daß ich ihn nun und nimmer vergessen würde.«

Noch einmal umarmte die Mutter ihre Tochter und drückte sie an ihr Herz. Dann ging sie gerade, aufrecht und festen Fußes von ihr weg. Es schien, als sei etwas von dem Mute und der Entschlossenheit ihres Kindes auf sie übergegangen.

*

Der gefürchtete Nachmittag kam heran. Herr Elias Brammer saß in seinem Armstuhl und brütete vor sich hin. Seine Frau stand nicht weit von ihm und versuchte von Zeit zu Zeit, ihm Rede abzugewinnen. Umsonst.

Da schlug die Wanduhr drei. Er horchte auf und sagte langsam:

»Das ist die Stunde. Er wird nicht auf sich warten lassen. Ist der Laden geschlossen?«

»Es ist geschehen, wie du es angeordnet hast, zum großen Erstaunen mehrerer Kunden, die kopfschüttelnd weggegangen sind.«

»Sie werden anderswo hingehen. Es braucht niemand unsere Schande zu sehen.«

Wieder wurde es still. Bleischwer zogen die Minuten nacheinander hin.

Da klingelte es an der Haustür und bald darauf trat Herr Bohnenberg im vollen Sonntagsstaat in die Stube:

»Allerseits einen fröhlichen Tag!«

»Er ist pünktlich!« sagte Elias Brammer.

»Ein Geschäftsmann ist immer pünktlich,« entgegnete Herr Bohnenberg. »Wie sollte ich es nicht sein bei einem so glücklichen Anlaß!«

»Glücklicher Anlaß?« murmelte Elias Brammer zwischen den Zähnen. »Er höhnt mich noch.«

»Gewiß,« sagte Bohnenberg und wandte sich zu der Frau:

»Nochmals meinen Dank für die gestrige Botschaft, die ich durch Ihren Mund empfing.«

»Bist du denn bei dem Herrn gewesen?«

»Allerdings. Und ich habe es hoch aufgenommen. Aber wir könnten zuerst das Geschäftliche ...«

»Ja, ja!« sagte Elias Brammer bitter. »Das ist die Hauptsache.«

»Dann müssen wir aber vollzählig sein.«

Elias Brammer sah fragend auf. Seine Frau kam ihm zuvor, indem sie sagte:

»Die Lene wird gleich hier sein. Ich will ihr entgegengehen.«

»Was soll die Lene hier?« fuhr Brammer auf. »Ich will sie nicht sehen.«

Lene betrat die Stube. Sie war überaus einfach gekleidet. Ihr Gesicht war bleich. Um ihre Lippen spielte ein mattes Lächeln. Sie ging auf den Vater zu, der sie wie eine Erscheinung anstarrte und sprach:

»Pate Bohnenberg hat um meine Hand angehalten. Ich bin mit mir zu Rate gegangen und bereit, seine christliche Hausfrau zu werden, wenn du, lieber Vater, mir zu dieser Verbindung deinen Segen geben willst.«

Ein Strahl der Freude flog über das Gesicht des alten Mannes.

»Kind! Du wolltest? So ein Herz! – Und ich schalt auf dich und verwünschte dich! – Strafe mich nicht, Gott, um dieser Sünde willen! O, wie danke ich es dir? – Aber nein, das Opfer ist zu groß. Ich kann es nicht annehmen! Ich will es nicht annehmen!«

»Es ist kein Opfer, Vater!« sprach Lene. »Es ist eine Schuld der Dankbarkeit, die ich dir zahle; dir und der Mutter. Du machst mich glücklich, wenn du es von mir annimmst.«

Sie wandte sich zu dem Paten und sagte:

»Meine Mutter wird Ihm alles gesagt haben, Pate Bohnenberg ...«

»Alles, alles, Kind!« entgegnete er rasch. »Ich willige darein und lege das Versprechen in diese liebe kleine Hand.«

Die Lene zuckte zusammen, als Bohnenberg ihre Hand berührte, worin er ein Papier niederlegte.

Da ward draußen geklingelt. Die Haustür wurde aufgerissen und ein kurzer Wortwechsel entstand auf der Diele.

»Es soll niemand herein!« rief die Magd, und der Ladenbursche stimmte mit ein.

»Ich will aber herein und wenn Ihr mich nicht im guten gehen läßt, brauche ich Gewalt!« erklang eine helle Stimme, die Lene so mächtig ergriff, daß sie mit der Hand nach dem Herzen fuhr.

»Wer untersteht sich!« ... fuhr Herr Bohnenberg auf, der hier bereits ein Recht zu haben glaubte, das erste Wort zu führen.

Frau Brammer sah ängstlich auf ihre Tochter, die sich sichtlich veränderte. Elias Brammer erhob sich, um nachzusehen. Auf der Schwelle erschien ein kräftiger Mann in der niederländisch-ostindischen Marineuniform und trat vollends in die Stube:

»Bitte es nicht übel zu deuten, daß ich ohne alle Umstände eintrete; allein ich habe ein wichtiges, unaufschiebbares Geschäft in diesem Hause, das ich zu Ende bringen will.«

»Wer ist der Herr und was sucht der Herr? fragte Herr Elias Brammer.

»Ich suche den Herren Bohnenberg,« war die Antwort.

»Der bin ich!« sprach dieser und trat vor. »Was will der Herr von mir?«

»Er hat eine Schuldforderung von zehntausend Mark an den hier gegenwärtigen Kaufmann Brammer?«

»Geht das Ihn etwas an?«

»Freilich. Er treibt seine Schuld auf eine Art bei, die einen Stein erbarmen könnte; darum bin ich gekommen, Ihn daran zu hindern.«

»Das wollen wir einmal sehen.«

»Ich will Ihm nicht die Augen verbinden. Gebe Er nur recht acht!«

Er wandte sich zu Lene, die abwechselnd erblaßte und errötete. Ihr Herz schlug ahnungsvoll und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Jungfer Brammer, ich bin hierher gekommen, um Ihr eine große Schuld zu bezahlen.«

»Ich weiß von keiner Schuld!« sagte sie leise.

Elias Brammer wollte sich in das Gespräch mischen. Seine Frau hielt ihn unwillkürlich zurück. Bohnenberg sah den Seemann, den er gern mit Blicken getötet hätte, mit einem grimmigen Gesicht an. Ihm wurde unheimlich in der Nähe desselben.

»Aber ich desto besser,« fuhr der Seemann fort. »Ich bin gekommen, um eine große Schuld zu zahlen, sage ich nochmals; allein ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Womit bezahle ich alle Liebe und Treue, welche Sie einer alten, kinderlosen Frau erwies? Womit tilge ich den großen Posten an Güte und Sorge, den Sie mit verschwenderischer Hand einer Verlassenen darbrachte?«

»O nicht doch,« entgegnete Lene. »Ich verdiene das nicht!«

Sie vermochte nicht weiter zu sprechen, aber ihre Augen leuchteten, als sie den Mann betrachtete, der ihr näher getreten war und dessen Blicke tief in ihr Herz drangen.

»Sage mir, Lene,« fuhr er fort, »denn du wirst es schon erraten haben, wer ich bin, wenn dir auch mein Gesicht fremd geworden ist. Womit soll ich gut machen, was du mir tatest, indem du Kindestreue an meiner Mutter übtest?«

»Ich bin bezahlt! Ueber und über ist die Schuld getilgt, da du noch meiner gedenkst und in Liebe auf ein armes Mädchen blickst, das dir das Leben dankt.«

Sie sank in seine Arme und er umschloß sie fest und innig.

»Jesus, das ist der Jan!« rief Frau Brammer aus und faßte die Hand ihres Mannes, der bei dieser unerwarteten Wendung der Dinge verstummt dastand.

»Wer ist der Kerl, der sich untersteht, meine verlobte Braut zu küssen!« fuhr Herr Bohnenberg auf. »Und was für eine Dirne ist Sie, daß Sie sich dem ersten Besten ohne Umstände an den Hals wirft?«

Lene war zu glückselig, als daß sie diese kränkenden Worte gehört hätte; aber der Seemann hatte sie vernommen und sagte laut:

»Der Kerl, von dem Er spricht, ist hierher gekommen, unschuldige Menschen aus Seinen Diebeskrallen zu reißen und zu verhindern, daß ein so liebes, gutes Kind, als die Lene ist, an Seiner Seite eines tausendfachen Todes sterbe.«

»O, Jan! Jan!«

»Der arme Jan Blaufink ist abgetan, Lene. Der Findling fand hier seine Mutter und im Auslande seinen Vater. Dein Bräutigam ist Leutnant in der Ostindischen Marine und heißt Eberhard Lohse. Und nun zeige mir her, was du da in der Hand hältst. Vermutlich das Blutgeld, womit der graue Wucherer deine arme Seele kaufen wollte? Her mit dem Dinge! Ich weiß von allem Bescheid. Da ist ein anderes Papier! Eine Anweisung auf Averdiek und Sohn, gut für zehntausend Mark, gleich nach Sicht zahlbar. Das gib dem Manne und heiße ihn seiner Wege gehen. Es ist das Beste, was er tun kann.«

»Pate Bohnenberg!« sagte Lene, ihm die Schrift hinhaltend. Aber dieser riß ihr das Papier aus der Hand und warf einen prüfenden Blick auf dasselbe. Dann sah er die Anwesenden ingrimmig an und entfernte sich mit dem Rufe:

»Das gedenke ich Euch!«

Eberhard Lohse reichte dem Elias Brammer den Schuldbrief und sagte:

»Die Prisengelder, die der braune Wollkopf mir hinterließ, haben gerade ausgereicht, um das Papier einzulösen. Nun ist Er von einer schweren Last befreit und bleibt in Ehren bei der Stadt. Hört mich nun gütig an, Ihr beiden Alten, und laßt auch das gelten, was nicht gesprochen wird. Das Herz sitzt mir auf der Zunge, aber das Wort will nicht herunter. Soll ich die Lene haben?«

Elias Brammer zögerte noch, aber die Frau rief laut: »Ja, ja! Und tausendmal ja!«

»Lene!« rief Eberhard Lohse. »Ich höre Tritte draußen. Das ist mein Vater und meine Mutter. Sie sind gekommen, um sich über das Glück ihres Sohnes zu freuen. Elias Brammer! Sprich, alter Mann! Sind sie vergebens da?«

»Nein, mein Junge,« sagte dieser. »Nimm hin die Lene. Ich bin dir noch Genugtuung schuldig von der Reeperbahn her. Da hast du sie!«

Er führte ihm die Lene zu und ging den Eintretenden entgegen.

*

Sechs Wochen waren ins Land gegangen. Der Laden zum gelben Galion, worin Herr Elias Brammer scharwerkte von früh bis spät, hatte einen neuen Anstrich bekommen und strahlte im früheren Glanz. Eine fröhliche Hochzeit ward in der geräumigen Hinterstube gehalten und das junge Paar hatte sich in den oberen Zimmern behaglich eingerichtet. Aber des Seemanns Rast ist nur eine Vorbereitung auf künftige Unruhe.

Leutnant Eberhard Lohse hatte sich in Amsterdam mit gewichtigen Empfehlungen versehen und infolgedessen wurde ihm das Kommando einer Bark vertraut, die auf der Neptunswerft gebaut und vor einigen Tagen vom Stapel gelassen worden war.

»Es ist alles richtig!« sagte Eberhard Lohse, bei seiner jungen Frau eintretend. »Ich habe meine Kapitänschaft in der Tasche und die Reederei gestattet, daß du mich begleiten darfst. Das wird eine lustige Fahrt werden, Lene. Nun aber komm mit. Das Schiff liegt noch an der Werft und du sollst den Schauplatz sehen, wo du fürs erste Hausen wirst.«

Der Werftherr war von dem Besuch des jungen Kapitäns unterrichtet und hatte alles in Stand setzen lassen. Dunkelschön und Maienblüte standen auf dem Halbdeck zum Empfang der Kinder bereit. Zu ihnen gesellten sich Herr und Frau Brummer. Von der Gaffel wehte die Hamburger Flagge und ein langer, roter Wimpel züngelte von dem großen Topp in die blaue Luft hinein.

Am Eingang zur Werft stand der Herr desselben, um seinen Gast zu empfangen. Dieser schüttelte ihm die Hand und sagte lachend:

»Meiner Seele, Herr, nach der Art und Weise, wie Ihr mich einst entließet, hatte ich kaum auf einen solchen Empfang gerechnet. Ihr seht, das Kostgeld, welches Ihr acht Tage lang bei dem alten Pfingstweid für mich zahltet, hat Früchte getragen.«

»Ich verstehe nicht, Kapitän,« entgegnete jener, »was diese Worte bedeuten.«

»Will es glauben, da ich gewachsen bin, seitdem ich die Kochtöpfe der alten Möller nicht mehr trage. Wenn wir nachher in der Kajüte traulich beisammen sitzen, lege ich die Lösung des Rätsels in Eure Hand. Nun, da liegt das Schiff mit Flagge und Wimpel im schillernden Farbenschmuck. Schaue es dir an, Lene, und sage, ob du dir getraust, dasselbe zu deiner Heimat zu wählen.«

»Mit dir vereint bis an das Ende der Tage!« antwortete sie mit leuchtenden Augen.

Auf einen Wink des Werftherrn bemannten sich die Rahen mit sonntäglich gekleideten Matrosen und Schiffszimmerleuten, die das junge Paar mit einem donnernden Hurra empfingen.

Flagge und Wimpel flatterten fröhlich im Winde und als Lene das Verdeck betrat, regnete aus den Marsen eine Fülle von Blumen auf sie herab.

*


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