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III. Einordnung des wirtschaftlichen Wertes in ein relativistisches Weltbild. Beispielsweise Skizzierung des letzteren in erkenntnistheoretischer Hinsicht: der Aufbau der Beweise ins Unendliche und ihr Umbiegen zu gegenseitiger Legitimierung. Die Objektivität der Wahrheit wie die des Wertes als Relation subjektiver Elemente. Das Geld als der verselbständigte Ausdruck der Tauschrelation, durch die die begehrten Objekte zu wirtschaftlichen werden, der Ersetzbarkeit der Dinge. Erläuterung dieses Wesens des Geldes an seiner Wertbeständigkeit, seiner Entwicklung, seiner Objektivität. Das Geld als eine Substanziierung der allgemeinen Seinsform, nach der die Dinge ihre Bedeutung an einander, in ihrer Gegenseitigkeit, finden.

Bevor ich nun aus diesem Begriff des wirtschaftlichen Wertes den des Geldes als seinen Gipfel und reinsten Ausdruck entwickle, ist es erforderlich, jenen selbst in ein prinzipiell bestimmtes Weltbild einzustellen, um daran die philosophische Bedeutung des Geldes zu ermessen. Denn erst wenn die Formel des wirtschaftlichen Wertes einer Weltformel parallel geht, darf die höchste Verwirklichungsstufe jener beanspruchen, über ihre unmittelbare Erscheinung hinaus, oder richtiger: in eben dieser selbst, das Dasein überhaupt deuten zu helfen.

Das regellose Nebeneinander und Durcheinander der ersten Eindrücke, die ein Objekt uns bietet, pflegen wir zu organisieren, indem wir eine bleibende und wesentliche Substanz seiner von seinen Bewegungen, Färbungen, Schicksalen trennen, deren Kommen und Gehen die Festigkeit seines Wesens ungeändert läßt. Diese Gliederung der Welt in die bleibenden Kerne verfließender Erscheinungen und die zufälligen Bestimmungen beharrender Träger wächst zu dem Gegensatz des Absoluten und des Relativen auf. Wie wir in uns selbst ein seelisches Sein zu spüren meinen, dessen Existenz und Charakter nur in sich selbst ruht, eine letzte, von allem Außer-Ihr unabhängige Instanz, und diese genau von jenen unserer Gedanken, Erlebnisse und Entwicklungen scheiden, die nur durch Beziehungen zu anderen wirklich oder meßbar werden – so suchen wir in der Welt nach den Substanzen, Größen und Kräften, deren Sein und Bedeutung in ihnen allein begründet ist, und unterscheiden sie von allen relativen Existenzen und Bestimmungen – von allen denen, die nur durch Vergleich, Berührung oder Reaktion anderer das sind, was sie sind. Die Richtung, in der dieser Gegensatz sich entwickelt, wird durch unsere physisch-psychische Anlage und ihr Verhältnis zur Welt präjudiziert. So innig in unserem Dasein auch Bewegung und Ruhe, Aktivität nach außen und Sammlung nach innen verbunden sein mögen, so daß sie ihre Wichtigkeit und Bedeutung erst aneinander finden – so empfinden wir doch die eine Seite dieser Gegensätze, die Ruhe, das Substanzielle, das innerlich Feste an unseren Lebensinhalten als das eigentlich Wertvolle, als das Definitive gegenüber dem Wechselnden, Unruhigen, Äußerlichen. Es ist die Fortsetzung hiervon, wenn das Denken es im ganzen als seine Aufgabe fühlt, hinter den Flüchtigkeiten der Erscheinung, dem Auf und Nieder der Bewegungen das Unverrückbare und Verläßliche zu finden, und uns aus dem Aufeinander-Angewiesenen zu dem sich selbst Genügenden, auf sich selbst Gegründeten zu führen. So gewinnen wir die festen Punkte, die uns im Gewirr der Erscheinungen orientieren und das objektive Gegenbild dessen abgeben, was wir in uns selbst als unser Wertvolles und Definitives vorstellen. So gilt, um mit den äußerlichsten Anwendungen dieser Tendenz zu beginnen, das Licht als eine feine Substanz, die aus den Körpern strömt, so die Wärme als ein Stoff, so das körperliche Leben als Wirksamkeit substanzieller Lebensgeister, so die seelischen Vorgänge als getragen von einer besonderen Seelensubstanz; die Mythologien, die hinter den Donner einen Donnerer, unter die Erde einen festen Unterbau, damit sie nicht falle, in die Gestirne Geister setzten, die sie in ihren Bahnen herumführten, suchen nicht weniger für die wahrgenommenen Bestimmtheiten und Bewegungen eine Substanz, an der diese nicht nur hafte, sondern die eigentlich die wirksame Kraft selbst ist. Und über die bloßen Beziehungen der Dinge, über ihre Zufälligkeit und Zeitlichkeit hinaus wird ein Absolutes gesucht: frühe Denkweisen können sich mit der Entwicklung, dem Gehen und Kommen aller irdischen Formen im Körperlichen und Geistigen nicht abfinden, sondern jede Art der Lebewesen ist ihnen ein unveränderlicher Schöpfungsgedanke; Institutionen, Lebensformen, Wertungen sind von jeher, absolut, so gewesen, wie sie jetzt sind, die Erscheinungen der Welt gelten nicht nur für den Menschen und seine Organisation, sondern sie sind an und für sich so, wie wir sie vorstellen. Kurz, die erste Tendenz des Denkens, mit der es den verwirrenden Strom der Eindrücke in ein ruhiges Bett zu lenken und aus seinen Schwankungen eine feste Gestalt zu gewinnen meint, richtet sich auf die Substanz und auf das Absolute, denen gegenüber alle Einzelvorgänge und Beziehungen auf eine vorläufige, für das Erkennen zu überwindende Stufe herabgedrückt werden.

Die angeführten Beispiele ergeben, daß diese Bewegung wieder rückläufig geworden ist. Nachdem fast alle Kulturepochen einzelne Ansätze dazu gesehen haben, kann man es als eine Grundrichtung der modernen Wissenschaft bezeichnen, daß sie die Erscheinungen nicht mehr durch und als besondere Substanzen, sondern als Bewegungen versteht, deren Träger gleichsam immer weiter und weiter ins Eigenschaftslose abrücken; daß sie die den Dingen anhängenden Qualitäten als quantitative-, also relative Bestimmungen auszudrücken sucht; daß sie statt der absoluten Stabilität organischer, psychischer, ethischer, sozialer Formationen eine rastlose Entwicklung lehrt, in der jedes Element eine begrenzte, nur durch das Verhältnis zu seinem Vorher und Nachher festzulegende Stelle einnimmt; daß sie auf das an sich seiende Wesen der Dinge verzichtet und sich mit der Feststellung der Beziehungen begnügt, die sich zwischen den Dingen und unserem Geiste, von dem Standpunkte dieses aus gesehen, ergeben. Daß die scheinbare Ruhe der Erde nicht nur eine komplizierte Bewegung ist, sondern daß ihre ganze Stellung im Weltall nur durch ein Wechsel Verhältnis zu anderen Materienmassen besteht – das ist ein sehr einfacher, aber sehr eingreifender Fall des Überganges von der Festigkeit und Absolutheit der Weltinhalte zu ihrer Auflösung in Bewegungen und Relationen.

Aber alles dies scheint, selbst wenn es vollkommen durchgeführt wäre, dennoch einen festen Punkt, eine absolute Wahrheit zu ermöglichen, ja, zu fordern. Das Erkennen selbst nämlich, das jene Auflösung vollzieht, scheint sich seinerseits dem Strome der ewigen Entwicklung und der nur vergleichsweisen Bestimmtheit zu entziehen, in die es seine einzelnen Inhalte verweist. Die Auflösung der absoluten Objektivität der Erkenntnisinhalte in Vorstellungsarten, die nur für das menschliche Subjekt gültig seien, setzt doch irgendwo letzte Punkte voraus, die nicht weiter herleitbar sind; der Fluß und die Relativität der psychischen Prozesse dürfe doch diejenigen Voraussetzungen und Normen nicht berühren, nach denen wir erst entscheiden, ob unsere Erkenntnisse denn wirklich diesen oder einen anderen Charakter tragen; die bloß psychologische Herleitung, in die alle absolut objektiven Erkenntnisse aufgelöst werden sollen, bedarf doch bestimmter Axiome, die nicht selbst wieder, ohne fehlerhaften Zirkel, eine bloß psychologische Bedeutung haben dürfen. Dies ist nicht nur ein Punkt von der größten Wichtigkeit für die allgemeine Anschauung der Dinge, auf der sich alles Folgende aufbaut, sondern auch für viele Einzelheiten derselben so vorbildlich, daß er der genaueren Erörterung bedarf.

Zweifellos kann die Wahrheit irgendeines Satzes nur auf Grund von Kriterien erkannt werden, die von vornherein sicher, allgemein und über das Einzelne hinübergreifend sind; diese Kriterien können auf einzelne Gebiete beschränkt sein und ihrerseits ihre Legitimation aus noch höher gelegenen ziehen; so daß eine Reihe von Erkenntnissen übereinandergebaut ist, von denen jede nur unter der Bedingung einer anderen gültig ist. Allein diese Reihe muß, um nicht in der Luft zu schweben, ja eigentlich, um überhaupt möglich zu sein, irgendwo einen letzten Grund haben, eine höchste Instanz, die allen folgenden Gliedern ihre Legitimation gibt, ohne selbst einer solchen zu bedürfen. Dies ist das Schema, in das unser tatsächliches Erkennen sich muß eingliedern lassen, und das alle Bedingtheiten und Relativitäten dieses an ein nicht mehr bedingtes Wissen knüpft. Allein: welches nun diese absolute Erkenntnis sei, können wir niemals wissen. Ihr wirklicher Inhalt ist niemals mit derselben Sicherheit auszumachen, die über ihre prinzipielle, sozusagen formale Existenz besteht, weil der Prozeß der Auflösung in höhere Prinzipien, der Versuch, das bisher letzte doch noch weiter herzuleiten, niemals an seinem Ende anlangen kann. Welchen Satz wir also auch als den letztbegründenden, über der Bedingtheit aller anderen stehenden ausgefunden hätten – die Möglichkeit, auch ihn als bloß relativ und durch einen höheren bedingt zu erkennen, bleibt bestehen; und diese Möglichkeit ist eine positive Aufforderung, da die Geschichte des Wissens sie unzählige Mal verwirklicht hat. Irgendwo freilich mag das Erkennen seine absolute Basis haben; wo es sie aber hat, können wir nie unabänderlich feststellen, und müssen daher, um das Denken nicht dogmatisch abzuschließen, jeden zuletzt erreichten Punkt so behandeln, als ob er der vorletzte wäre.

Das Ganze des Erkennens wird dadurch keineswegs skeptisch gefärbt, wie überhaupt das Mißverständnis, Relativismus und Skeptizismus zu verwechseln, ebenso grob ist wie das an Kant begangene, als man seine Verwandlung von Raum und Zeit in Bedingungen unserer Erfahrung als Skeptizismus denunzierte. Man muß freilich beide Standpunkte so beurteilen, wenn man die je entgegengesetzten von vornherein als das unbedingt richtige Bild des Wirklichen festhält, so daß jede sie verneinende Theorie als Erschütterung »der Wirklichkeit« erscheint. Konstruiert man den Begriff des Relativen so, daß er logisch ein Absolutes fordert, so kann man dieses letztere natürlich nicht ohne Widerspruch beseitigen. Der Fortgang unserer Untersuchung aber wird gerade zeigen, daß es eines Absoluten als begrifflichen Korrelativums zur Relativität der Dinge nicht bedarf; diese Forderung ist vielmehr eine Übertragung von empirischen Verhältnissen – wo allerdings ein »Verhältnis« sich zwischen Elementen erhebt, welche an und für sich jenseits dieses stehen und insoweit »absolut« sind – auf dasjenige, was aller Empirie erst zum Grunde liegt. Wenn für jetzt zugegeben wird, daß unser Erkennen irgendwo eine absolute Norm, eine nur durch sich selbst legitimierte letzte Instanz besitzen mag, der Inhalt derselben aber für unser vorschreitendes Erkennen in fortwährendem Fließen bleiben muß und jeder momentan erreichte auf einen noch tieferen und für seine Aufgabe zulänglicheren hinweist – so ist dies nicht mehr Skeptizismus, als das allgemein Zugegebene: daß zwar alles Naturgeschehen unbedingt ausnahmslosen Gesetzen gehorcht, daß aber dieselben als erkannte fortwährender Korrektur unterliegen und die uns zugängigen Inhalte dieser Gesetzlichkeit immer historisch bedingt sind und jener Absolutheit ihres Allgemeinbegriffs entbehren. So wenig also die letzten Voraussetzungen eines abgeschlossenen Erkennens als nur bedingt, subjektiv oder relativ wahr gelten dürften, so sehr darf und muß es doch jede einzelne, die sich uns momentan als Erfüllung dieser Form anbietet.

Daß so jede Vorstellung nur im Verhältnis zu einer anderen wahr ist, selbst wenn das ideale, für uns aber im Unendlichen liegende System des Erkennens eine von dieser Bedingtheit gelöste Wahrheit enthalten sollte – das bezeichnet wohl einen Relativismus unseres Verhaltens, der auf anderen Gebieten in analoger Weise gilt. Für die menschlichen Vergesellschaftungen mag es Normen der Praxis geben, die, von einem übermenschlichen Geiste erkannt, das absolute und ewige Recht heißen dürften. Dieses müßte eine juristische causa sui sein, d. h. seine Legitimation in sich selbst tragen, denn sowie es sie von einer höheren Normierung entlehnte, so würde eben diese, und nicht jenes, die absolute, unter allen Umständen gültige Rechtsbestimmung bedeuten. Nun gibt es tatsächlich keinen einzigen Gesetzesinhalt, der den Anspruch auf ewige Unabänderlichkeit erheben könnte, jeder vielmehr hat nur die zeitliche Gültigkeit, die die historischen Umstände und ihr Wechsel ihm lassen. Und diese Gültigkeit bezieht er, falls seine Setzung selbst schon eine legitime und keine willkürliche ist, aus einer schon vorher bestehenden Rechtsnorm, aus der die Beseitigung des alten Rechtsinhaltes mit derselben Legalität fließt, wie sein bisheriges Bestehen. Jede Rechtsverfassung enthält also in sich die Kräfte – und zwar nicht nur die äußerlichen, sondern auch die idealrechtlichen – zu ihrer eigenen Änderung, Ausbreitung oder Aufhebung, so daß z. B. dasjenige Gesetz, das einem Parlamente die Gesetzgebung überträgt, nicht nur die Legitimität eines Gesetzes A bewirkt, das ein von demselben Parlament gegebenes Gesetz B aufhebt, sondern es sogar zu einem rechtlichen Akte macht, wenn das Parlament auf seine Legislation zugunsten einer anderen Instanz verzichtet. Das heißt also, von der anderen Seite gesehen: jedes Gesetz besitzt seine Würde als solches nur durch sein Verhältnis zu einem anderen Gesetz, keines hat sie durch sich selbst. Gerade wie ein neuer, und noch so revolutionärer Inhalt des Erkennens seine Beweisbarkeit für uns doch nur aus den Inhalten, Axiomen und Methoden des bisherigen Erkenntnisstandes ziehen kann, wenngleich eine erste Wahrheit als existierend angenommen werden muß, die nicht bewiesen werden kann, die wir aber in ihrer selbstgenugsamen Sicherheit nie erreichen können – so fehlt uns das in sich selbst ruhende Recht, obgleich dessen Idee über der Reihe der relativen Rechtsbestimmungen schwebt, deren jede auf die Legitimierung durch eine andere angewiesen ist. Freilich hat auch unser Erkennen erste Axiome, die in jedem gegebenen Augenblick für uns nicht mehr beweisbar sind, weil es ohne diese nicht zu den relativen Reihen abgeleiteter Beweise käme; allein jene haben eben doch nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht in demselben Sinne für uns wahr, wie dieses es ist, und unser Denken macht an ihnen als letzten Punkten nur so lange Halt, bis es auch über sie zu noch Höherem hinaufkann, das dann das bisher Axiomatische seinerseits beweist. Entsprechend gibt es freilich absolut und relativ vorrechtliche Zustände, in denen ein empirisches Recht aus Gewalt- oder anderen Gründen gesetzt wird. Allein das wird eben nicht rechtlich gesetzt; es gilt wohl als Recht, sobald es da ist, aber daß es da ist, ist keine rechtliche Tatsache; es fehlt ihm die Dignität alles dessen, was sich auf ein Gesetz stützt; und es ist tatsächlich das Bestreben jeder Macht, die ein solches rechtloses Recht setzt, irgendeine Legitimierung desselben aufzufinden oder zu fingieren, d. h. es aus einem bereits bestehenden Rechte herzuleiten – gleichsam eine Huldigung an jenes absolute Recht, das jenseits alles relativen steht und von diesem niemals ergriffen werden kann, sondern für uns nur in der Form einer kontinuierlichen Ableitung jeder aktuellen Rechtsbestimmung von einer davorliegenden sein Symbol findet.

Wenn aber auch dieser Rückgang ins Unendliche unser Erkennen nicht in der Bedingtheit festhielte, so würde dies vielleicht einer anderen Form seiner gelingen. Verfolgt man den Beweis eines Satzes in seine Begründungen und diese wieder in die ihrigen usw., so entdeckt man bekanntlich oft daß der Beweis nur möglich, d. h. seinerseits beweisbar ist, wenn man jenen ersten, durch ihn zu beweisenden Satz, bereits als erwiesen voraussetzt. So sehr dies, für eine bestimmte Deduktion aufgezeigt, sie als einen fehlerhaften Zirkelschluß illusorisch macht, so wenig ist es doch undenkbar, daß unser Erkennen, als Ganzes betrachtet, in dieser Form befangen wäre. Bedenkt man die ungeheuere Zahl übereinandergebauter und sich ins Unendliche verlierender Voraussetzungen, von denen jede inhaltlich bestimmte Erkenntnis abhängt, so scheint es durchaus nicht ausgeschlossen, daß wir den Satz A durch den Satz B beweisen, der Satz B aber, durch die Wahrheit von C, D, E usw. hindurch, schließlich nur durch die Wahrheit von A beweisbar ist. Die Kette der Argumentation C, D, E usw. braucht nur hinreichend lang angenommen zu werden, so daß ihr Zurückkehren zu ihrem Ausgangspunkt sich dem Bewußtsein entzieht, wie die Größe der Erde dem unmittelbaren Blick ihre Kugelgestalt verbirgt und die Illusion erregt, als könnte man auf ihr in gerader Richtung ins Unendliche fortschreiten; und der Zusammenhang, den wir innerhalb unserer Welterkenntnis annehmen: daß wir von jedem Punkte derselben zu jedem anderen durch Beweise hindurch gelangen können – scheint dies plausibel zu machen. Wenn wir nicht ein für allemal dogmatisch an einer Wahrheit haltmachen wollen, die ihrem Wesen nach keines Beweises bedürfe, so liegt es nahe, diese Gegenseitigkeit des Sich-Beweisens für die Grundform des – als vollendet gedachten – Erkennens zu halten. Das Erkennen ist so ein freischwebender Prozeß, dessen Elemente sich gegenseitig ihre Stellung bestimmen, wie die Materienmassen es vermöge der Schwere tun; gleich dieser ist die Wahrheit dann ein Verhältnisbegriff. Daß unser Bild der Welt auf diese Weise »in der Luft schwebt«, ist nur in der Ordnung, da ja unsere Welt selbst es tut. Das ist keine zufällige Koinzidenz der Worte, sondern Hinweisung auf den grundlegenden Zusammenhang. Die unserem Geiste eigene Notwendigkeit, die Wahrheit durch Beweise zu erkennen, verlegt ihre Erkennbarkeit entweder ins Unendliche oder biegt sie zu einem Kreise um, indem ein Satz nur im Verhältnis zu einem anderen, dieser andere aber schließlich nur im Verhältnis zu jenem ersten wahr ist. Das Ganze der Erkenntnis wäre dann so wenig »wahr«, wie das Ganze der Materie schwer ist; nur im Verhältnis der Teile untereinander gälten die Eigenschaften, die man von dem Ganzen nicht ohne Widerspruch aussagen könnte.

Diese Gegenseitigkeit, in der sich die inneren Erkenntniselemente die Bedeutung der Wahrheit gewähren, scheint als Ganzes von einer weiteren Relativität getragen zu werden, die zwischen den theoretischen und den praktischen Interessen unseres Lebens besteht. Wir sind überzeugt, daß alle Vorstellungen vom Seienden Funktionen besonderer physisch-psychischer Organisation sind, die dasselbe keineswegs mechanisch abspiegeln. Vielmehr, die Weltbilder des Insekts mit seinen Facettenaugen, des Adlers mit seinem Sehvermögen von einer uns kaum vorstellbaren Schärfe, des Grottenolms mit seinen zurückgebildeten Augen, unser eigenes, sowie die unzähligen anderen, müssen durchaus von tiefgehender Verschiedenheit sein, woraus unmittelbar zu schließen ist, daß keines derselben den außerpsychischen Weltinhalt in seiner an sich seienden Objektivität nachzeichnet. Die so wenigstens negativ charakterisierten Vorstellungen sind nun aber Voraussetzung, Material, Direktive für unser praktisches Handeln, durch das wir uns mit der Welt, wie sie relativ unabhängig von unserem subjektiv bestimmten Vorstellen besteht, in Verbindung setzen: wir erwarten von ihr bestimmte Rückwirkungen auf unsere Einwirkungen und sie leistet uns dieselben auch, wenigstens im großen und ganzen, in der richtigen, d. h. uns nützlichen Weise, wie sie eben solche auch den Tieren leistet, deren Verhalten durch völlig abweichende Bilder von eben derselben Welt bestimmt wird. Dies ist doch eine höchst auffallende Tatsache: Handlungen auf Grund von Vorstellungen vorgenommen, die mit dem objektiv Seienden sicherlich keinerlei Gleichheit besitzen, erzielen aus diesem dennoch Erfolge von einer solchen Berechenbarkeit, Zweckmäßigkeit, Treffsicherheit, daß sie bei einer Kenntnis jener objektiven Verhältnisse, wie sie an sich wären, nicht größer sein könnten, während andere Handlungen, nämlich die auf »falsche« Vorstellungen hin erfolgenden, in lauter reale Schädigungen für uns auslaufen. Und ebenso sehen wir, daß auch die Tiere Täuschungen und korrigierbaren Irrtümern unterliegen. Was kann nun die »Wahrheit« bedeuten, die für diese und uns inhaltlich eine ganz verschiedene ist, außerdem sich mit der objektiven Wirklichkeit gar nicht deckt, und dennoch so sicher zu erwünschten Handlungsfolgen führt, als ob dies letztere der Fall wäre? Das scheint mir nur durch die folgende Annahme erklärbar. Die Verschiedenheit der Organisation fordert, daß jede Art, um sich zu erhalten und ihre wesentlichen Lebenszwecke zu erreichen, sich auf eine besondere, von den andern abweichende Art praktisch verhalten muß. Ob eine Handlung, die von einem Vorstellungsgebilde geleitet und bestimmt wird, für den Handelnden nützliche Folgen hat, ist also noch keineswegs nach dem Inhalte dieser Vorstellung zu entscheiden, mag er sich nun mit der absoluten Objektivität decken oder nicht. Das wird vielmehr einzig davon abhängen, zu welchem Erfolg diese Vorstellung als realer Vorgang innerhalb des Organismus, im Zusammenwirken mit den übrigen physisch-psychischen Kräften und in Hinsicht auf die besonderen Lebenserfordernisse jenes führt. Wenn wir nun vom Menschen sagen, lebenerhaltend und -fördernd handle er nur auf Grund wahrer Vorstellungen, zerstörerisch aber auf Grund falscher – was soll diese »Wahrheit«, die für jede mit Bewußtsein ausgestattete Art eine inhaltlich andere und für keine ein Spiegelbild der Dinge an sich ist, ihrem Wesen nach anderes bedeuten, als eben diejenige Vorstellung, die im Zusammenhang mit der ganzen speziellen Organisation, ihren Kräften und Bedürfnissen, zu nützlichen Folgen führt? Sie ist ursprünglich nicht nützlich, weil sie wahr ist, sondern umgekehrt: mit dem Ehrennamen des Wahren statten wir diejenigen Vorstellungen aus, die, als reale Kräfte der Bewegungen in uns wirksam, uns zu nützlichem Verhalten veranlassen. Darum gibt es soviel prinzipiell verschiedene Wahrheiten, wie es prinzipiell verschiedene Organisationen und Lebensanforderungen gibt. Dasjenige Sinnenbild, das für das Insekt Wahrheit ist, wäre es offenbar nicht für den Adler; denn eben dasselbe, auf Grund dessen das Insekt im Zusammenhang seiner inneren und äußeren Konstellationen zweckmäßig handelt, würde den Adler im Zusammenhange der seinigen zu ganz unsinnigen und verderblichen Handlungen bewegen. Diese Erkenntnisse entbehren durchaus nicht der normativen Festigkeit: ja, jedes vorstellende Wesen besitzt eine prinzipiell festgelegte »Wahrheit«, die sein Vorstellen im einzelnen Fall ergreifen und verfehlen kann; das Gravitationsgesetz bleibt »wahr«, ob wir es erkennen oder nicht – trotzdem es für Wesen mit anderer Raumbildung, Denkkategorien, Zahlsystemen nicht wahr wäre. Der für uns »wahre« Vorstellungsinhalt hat die eigentümliche Struktur, zwar von unserem Wesen völlig abhängig – weil mit keinem anders beschaffenen Wesen geteilt – zu sein, in seinem Wahrheitswert dagegen völlig unabhängig von seiner physischen Realisierung. Indem auf der einen Seite das Wesen mit seiner Konstitution und seinen Bedürfnissen, auf der anderen ein objektives Sein gegeben ist, steht ideell fest, was für dieses Wesen Wahrheit ist. Da diese die für das Wesen günstigsten Vorstellungen bedeutet, so findet von ihr aus eine Auslese unter seinen psychologischen Vorgängen statt: die nützlichen fixieren sich auf den gewöhnlichen Wegen der Selektion und bilden in ihrer Gesamtheit die »wahre« Vorstellungswelt. Und tatsächlich haben wir gar kein anderes definitives Kriterium für die Wahrheit einer Vorstellung vom Seienden, als daß die auf sie hin eingeleiteten Handlungen die erwünschten Konsequenzen ergeben. Haben sich nun freilich erst durch die angedeutete Auslese, d. h. durch die Züchtung gewisser Vorstellungsweisen, diese als die dauernd zweckmäßigen gefestigt, so bilden sie unter sich ein Reich des Theoretischen, das für jede neu auftretende Vorstellung nach jetzt inneren Kriterien über Zugehörigkeit oder Entgegengesetztheit zu ihm entscheidet – gerade wie die Sätze der Geometrie sich nach innerer strenger Autonomie aufeinander aufbauen, während die Axiome und die methodischen Normen, nach denen dieser Aufbau und das ganze Gebiet überhaupt möglich ist, selbst nicht geometrisch erweisbar sind. Das Ganze der Geometrie ist also gar nicht in demselben Sinne gültig, in dem ihre einzelnen Sätze es sind; während diese innerhalb ihrer, einer durch den anderen, beweisbar sind, gilt jenes Ganze nur durch Beziehung auf ein außerhalb ihrer Gelegenes: auf die Natur des Raumes, auf die Art unserer Anschauung, auf den Zwang unserer Denknormen. So können sich zwar unsere einzelnen Erkenntnisse gegenseitig tragen, indem die einmal festgestellten Normen und Tatsachen zum Beweise für andere werden, aber das Ganze derselben hat seine Gültigkeit nur in Beziehung auf bestimmte physisch-psychische Organisationen, ihre Lebensbedingungen und die Förderlichkeit ihres Handelns.

Der Begriff der Wahrheit, als einer Beziehung der Vorstellungen zueinander, die an keiner derselben als eine absolute Qualität hafte, bestätigt sich schließlich auch dem einzelnen Gegenstande gegenüber. Einen Gegenstand erkennen, so stellt Kant fest, heißt: in dem Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirken. Aus dem chaotischen Material unseres Weltvorstellens, dem kontinuierlichen Fluß der Eindrücke, sondern wir einzelne als zueinander gehörig aus, gruppieren sie zu Einheiten, die wir dann als »Gegenstände« bezeichnen. Sobald wir die Gesamtheit der Eindrücke, die zu einer Einheit zusammenzubringen sind, wirklich in eine solche versammelt haben, so ist damit ein Gegenstand erkannt. Was aber kann diese Einheit anderes bedeuten, als das funktionelle Zusammengehören, Aufeinanderhinweisen und -angewiesensein eben jener einzelnen Eindrücke und Anschauungsmaterialien? Die Einheit der Elemente ist doch nichts außerhalb der Elemente selbst, sondern die in ihnen selbst verharrende, nur von ihnen dargestellte Form ihres Zusammenseins. Wenn ich den Gegenstand Zucker dadurch als solchen erkenne, daß ich die durch mein Bewußtsein gleitenden Eindrücke: weiß, hart, süß, kristallinisch usw. in eine Einheit zusammenfüge, so heißt das, daß ich diese Anschauungsinhalte als aneinander gebunden vorstelle, daß, unter diesen gegebenen Bedingungen, ein Zusammenhalt, d. h. eine Wechselwirkung unter ihnen besteht, daß der eine an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang da ist, weil der andere es ist, und so wechselseitig. Wie die Einheit des sozialen Körpers oder der soziale Körper als Einheit nur die gegenseitig ausgeübten Attraktions- und Kohäsionskräfte seiner Individuen bedeutet, ein rein dynamisches Verhältnis unter diesen, so ist die Einheit des einzelnen Objekts, in deren geistiger Realisierung seine Erkenntnis besteht, nichts als eine Wechselwirkung unter den Elementen seiner Anschauung. Auch in dem, was man die »Wahrheit« eines Kunstwerkes nennt, dürfte das Verhältnis seiner Elemente untereinander sehr viel bedeutsamer sein, gegenüber dem Verhältnis zu seinem Objekt, als man sich klarzumachen pflegt. Sehen wir einmal vom Porträt ab, bei dem wegen des rein individuellen Vorwurfs das Problem sich kompliziert, so wird man von kleineren Bestandstücken aus Werken bildender wie redender Kunst weder den Eindruck der Wahrheit noch den der Unwahrheit empfangen, sie stehen, soweit sie isoliert sind, noch jenseits dieser Kategorie; oder von der anderen Seite angesehen: in Hinsicht der Ansatzelemente, von denen aus das Kunstwerk weitergebildet wird, ist der Künstler frei; erst wenn er einen Charakter, einen Stil, ein Farben- oder Formelement, einen Stimmungston gewählt hat, ist der Zuwachs der weiteren Teile dadurch präjudiziert. Sie müssen jetzt die Erwartungen erfüllen, die die zuerst auftretenden erregt haben. Diese mögen so phantastisch, willkürlich, irreal sein, wie sie wollen; sobald ihre Fortsetzungen sich zu ihnen harmonisch, zusammenhängend, weiterführend verhalten, wird das Ganze den Eindruck der »inneren Wahrheit« erzeugen, gleichviel ob irgendein einzelner Teil desselben sich mit einer ihm äußeren Realität deckt und damit dem Anspruch auf »Wahrheit« im gewöhnlichen und substanziellen Sinne genügt oder nicht. Die Wahrheit des Kunstwerkes bedeutet, daß es als Ganzes das Versprechen einlöst, das ein Teil seiner uns gleichsam freiwillig gegeben hat – und zwar jeder beliebige, da eben die Gegenseitigkeit des Sichentsprechens jedem einzelnen die Qualität der Wahrheit verschafft. Auch in der besonderen Nuance des Künstlerischen ist also Wahrheit ein Relationsbegriff, sie realisiert sich als ein Verhältnis der Elemente des Kunstwerkes untereinander, und nicht als eine starre Gleichheit zwischen jedem derselben und einem ihm äußeren Objekt, das seine absolute Norm bilde. Wenn demnach Erkennen überhaupt bedeuten soll: den Gegenstand in seiner »Einheit« erkennen, so bedeutet es, wie man andrerseits gesagt hat, ihn in seiner »Notwendigkeit« erkennen. Beides steht in einem tiefen Zusammenhange. Notwendigkeit ist eine Relation, durch die die gegenseitige Fremdheit zweier Elemente zu einer Einheit wird – denn die Formel der Notwendigkeit ist: wenn A ist, so ist B; diese notwendige Beziehung besagt, daß A und B die Elemente einer bestimmten Einheit des Seins oder Geschehens sind – wobei »notwendige Beziehung« eine völlig einheitliche, und nur durch die Sprache zerlegte und wieder zusammengesetzte Relation bedeutet. Jene Einheit des Kunstwerks ist ersichtlich genau dasselbe wie diese Notwendigkeit; denn sie entsteht eben dadurch, daß die verschiedenen Elemente des Kunstwerks sich gegenseitig bedingen, eines notwendig da ist, wenn das andere gegeben ist und so wechselseitig. Und nicht nur unter den so verknüpften Dingen ist die Notwendigkeit eine Relationserscheinung, sondern an sich selbst und ihrem reinen Begriffe nach. Von den beiden allgemeinsten Kategorien nämlich, aus denen wir das Erkenntnisbild der Welt bauen: dem Sein und den Gesetzen – enthält keine für sich Notwendigkeit. Daß überhaupt eine Wirklichkeit da ist, wird durch kein Gesetz notwendig gemacht, keinem logischen oder Naturgesetze wäre widersprochen, wenn es überhaupt kein Dasein gäbe. Und ebensowenig ist es »notwendig«, daß Naturgesetze existieren; sie sind vielmehr bloße Tatsachen, wie das Sein, und erst wenn sie existieren, sind die ihnen unterworfenen Ereignisse »notwendig«; es kann kein Naturgesetz geben, daß es Naturgesetze geben müsse. Was wir Notwendigkeit nennen, besteht nur zwischen dem Sein und den Gesetzen, es ist die Form ihres Verhältnisses. Beides sind bloße, prinzipiell voneinander unabhängige Wirklichkeiten: denn das Sein ist denkbar, ohne daß es unter Gesetzen steht, und der Komplex der Gesetze würde gelten, auch wenn es kein ihm gehorsames Sein gäbe. Erst wenn sie beide da sind, erhalten die Gestaltungen des Seins Notwendigkeit, mit ihr oder in ihrer Gestalt stellt sich das Sein und die Gesetze als die Elemente einer uns unmittelbar nicht faßbaren Einheit dar: sie ist die Relation, die sich zwischen dem Sein und den Gesetzen knüpft, keinem von beiden für sich einwohnend, sondern nur dadurch das Sein beherrschend, daß Gesetze sind, nur dadurch den Gesetzen als ein Sinn und Bedeutung ihrer zukommend, daß es ein Sein gibt.

Von anderer Seite her auf dasselbe Ziel zuschreitend, kann man den Relativismus in Hinsicht der Erkenntnisprinzipien so formulieren: daß die konstitutiven, das Wesen der Dinge ein- für allemal ausdrückenden Grundsätze in regulative übergehen, die nur Augenpunkte für das fortschreitende Erkennen sind. Gerade die letzten und höchsten Abstraktionen, Vereinfachungen oder Zusammenfassungen des Denkens müssen den dogmatischen Anspruch aufgeben, das Erkennen abzuschließen. An die Stelle der Behauptung: so und so verhalten sich die Dinge – hat in Hinsicht der äußersten und allgemeinsten Ansichten vielmehr die zu treten: unser Erkennen hat so zu verfahren, als ob sich die Dinge so und so verhielten. Damit ist die Möglichkeit gegeben, Art und Weg unseres Erkennens sein wirkliches Verhältnis zur Welt sehr adäquat ausdrücken zu lassen. Der Vielheit unserer Wesensseiten sowie der abhilfesuchenden Einseitigkeit jedes einzelnen begrifflichen Ausdrucks für unsere Beziehung zu den Dingen entspricht und entspringt es, daß kein derartiger Ausdruck allgemein und auf die Dauer befriedigt, vielmehr historisch seine Ergänzung durch eine gegenteilige Behauptung zu finden pflegt; wodurch in unzähligen Einzelnen ein unsicheres Hin- und Herpendeln, ein widerspruchsvolles Gemenge oder eine Abneigung gegen umfassende Grundsätze überhaupt erzeugt wird. Wenn nun die konstitutiven Behauptungen, die das Wesen der Dinge festlegen wollen, in heuristische verwandelt werden, die nur unsere Erkenntniswege durch Feststellung idealer Zielpunkte bestimmen wollen, so gestattet dies offenbar eine gleichzeitige Gültigkeit entgegengesetzter Prinzipien; jetzt, wo ihre Bedeutung nur in den Wegen zu ihnen liegt, kann man diese abwechselnd begehen, und sich dabei doch so wenig widersprechen, wie man sich etwa mit dem Wechsel zwischen induktiver und deduktiver Methode widerspricht. Erst durch diese Auflösung dogmatischer Starrheiten in die lebendigen, fließenden Prozesse des Erkennens wird die wirkliche Einheit desselben hergestellt, indem seine letzten Prinzipien nicht mehr in der Form des gegenseitigen Sich-Ausschließens, sondern des Aufeinander-Angewiesenseins, gegenseitigen Sich-Hervorrufens und Sich-Ergänzens praktisch werden. So bewegt sich z. B. die Entwicklung des metaphysischen Weltbildes zwischen der Einheit und der Vielheit der absoluten, alle Einzelanschauung begründenden Wirklichkeit. Unser Denken ist so angelegt, daß es nach jedem von beiden wie nach einem definitiven Abschluß streben muß, ohne doch mit einem von beiden abschließen zu können. Erst wenn alle Differenzen und Vielheiten der Dinge in einen Inbegriff versöhnt sind, findet der intellektuell-gefühlsmäßige Einheitstrieb seine Ruhe. Allein sobald diese Einheit erreicht ist, wie in der Substanz Spinozas, zeigt sich, daß man mit ihr für das Verständnis der Welt nichts anfangen kann, daß sie mindestens eines zweiten Prinzips bedarf, um befruchtet zu werden. Der Monismus treibt über sich hinaus zum Dualismus oder Pluralismus, nach dessen Setzung aber wieder das Bedürfnis nach Einheit zu wirken beginnt; so daß die Entwicklung der Philosophie wie die des individuellen Denkens von der Vielheit an die Einheit und von der Einheit an die Vielheit gewiesen wird. Die Geschichte des Denkens zeigt es als vergeblich, einen dieser Standpunkte als den definitiven gewinnen zu wollen; die Struktur unserer Vernunft in ihrem Verhältnis zum Objekt beansprucht vielmehr die Gleichberechtigung beider und erreicht sie, indem sie die monistische Forderung in das Prinzip gestaltet: jede Vielheit soweit wie möglich zu vereinheitlichen, d. h. so, als ob wir am absoluten Monismus endigen sollten, – und die pluralistische: bei keiner Einheit Halt zu machen, sondern jeder gegenüber nach noch einfacheren Elementen und erzeugenden Kräftepaaren zu forschen, d. h. so, als ob das Endergebnis ein pluralistisches sein sollte. – Ebenso liegt es, wenn man den Pluralismus in seiner qualitativen Bedeutung: in die individuelle Differenziertheit der Dinge und Schicksale, ihre Sonderung nach Wesen und Wert verfolgt. Zwischen dieser Sonderung und der Zusammengehörigkeit unserer Daseinsmomente pendelt unser intimstes Lebensgefühl: bald scheint einem das Leben nur so erträglich, daß man sein Glück und seine Höhen in reiner Absonderung von allem Leid und allem Stumpfen genießt, wenigstens diese spärlichen Momente von jeder Berührung mit dem Darunter oder Gegenüberliegenden frei hält. Und dann wieder erscheint es einem als die Größe, ja die eigentliche Aufgabe, Lust und Leid, Kraft und Schwäche, Tugend und Sünde als eine Lebenseinheit zu fühlen, eines die Bedingung des anderen, jedes weihend und geweiht. In ihrer reinen Prinzipienmäßigkeit mögen diese Gegentendenzen selten bewußt werden; aber in Ansätzen, Zielen, fragmentarischen Betätigungen bestimmen sie fortwährend unsere Attitüde zum Leben. Auch wenn ein Charakter ganz nach der einen dieser Richtungen hin orientiert scheint, wird sie dennoch dauernd von der anderen gekreuzt, als Ablenkung, Hintergrund, Versuchung. Der Gegensatz zwischen der Individualisierung und der Vereinheitlichung der Lebensinhalte teilt nicht die Menschen unter sich auf, sondern den Menschen – obgleich sich seine persönlich-innerliche Form ersichtlich in Wechselwirkung mit seiner sozialen, die sich zwischen dem individualistischen und dem Sozialisierungsprinzip bewegt, entwickelt. Das hier Wesentliche ist nicht die Mischung des Lebens aus diesen beiden Richtungen, sondern ihr Aufeinander-Angewiesensein in der Form der Heuristik. Es scheint, als ob unser Leben eine einheitliche Grundfunktion übte oder in ihr bestände, die wir in ihrer Einheit nicht erfassen, sondern in Analyse und Synthese zerlegen müssen, die die allgemeinste Form auch jenes Gegensatzes bilden und deren Zusammenwirken die Einheit des Lebens gleichsam nachträglich wiederherstellt. Indem nun aber das Einzelne in seiner Sonderung und Fürsichsein ein absolutes Recht an uns und in uns beansprucht und die Einheit, die alles Einzelne in sich zusammenführt, eben dieselbe kompromißlose Forderung erhebt, entsteht ein Widerspruch, unter dem das Leben freilich oft genug leidet, und der dadurch zu einem logischen wird, daß jede der Seiten zu ihrem Bestände die andere voraussetzt: keine von beiden würde einen sachlich ausdenkbaren Sinn oder ein seelisches Interesse besitzen, wenn nicht die andere ihr als ihr »Gegenwurf« gegenüberstände. So entsteht hier – und ebenso in unzähligen anderen Gegensatzpaaren – die eigentümliche Schwierigkeit: daß ein Unbedingtes bedingt wird, und zwar durch ein anderes Unbedingtes, das seinerseits wieder von jenem abhängt. Daß so das als absolut Empfundene dennoch relativ ist, scheint mir keine andere prinzipielle Lösung zu gestatten, als daß das Absolute einen Weg bedeutet, dessen Richtung, ins Unendliche fortlaufend, festgelegt bleibt, gleichviel wie weit die endliche Strecke ist, auf die hin er tatsächlich begangen wird. Die Bewegung innerhalb jedes Teilstückes, solange sie eben dauert, verläuft so, als ob sie in den absoluten, im Unendlichen liegenden Endpunkt münden sollte, und dieser Richtungssinn bleibt, was er ist, auch wenn die Bewegung von irgendeinem Punkte an in eine andere Richtungslinie alterniert, die derselben Norm unterliegt.

In dieser Form des Aufeinanderangewiesenseins der Denkrichtungen begegnen sich allgemeine wie spezielle Erkenntnis komplexe. Sucht man das Verständnis der Gegenwart in politischen, sozialen, religiösen und sonstigen Kulturhinsichten, so wird es nur auf historischem Wege zu gewinnen sein, also durch Erkenntnis und Verständnis der Vergangenheit. Diese Vergangenheit selbst aber, von der uns nur Fragmente, stumme Zeugen und mehr oder weniger unzuverlässige Berichte und Traditionen überkommen sind, wird uns doch nur aus den Erfahrungen unmittelbarer Gegenwart heraus deutbar und lebendig. Wie viele Umbildungen und Quantitätsänderungen auch dazu erforderlich seien, jedenfalls ist die Gegenwart, die uns der unentbehrliche Schlüssel für die Vergangenheit ist, doch nur durch diese selbst verständlich, und die Vergangenheit, die allein uns die Gegenwart verstehen läßt, ohne die Anschauungen und Fühlbarkeiten eben dieser Gegenwart überhaupt nicht zugängig. Alle historischen Bilder erzeugen sich in dieser Gegenseitigkeit der Deutungselemente, von denen keines das andere zur Ruhe kommen läßt: das abschließende Begreifen ist in die Unendlichkeit hinaus verlegt, da jeder in der einen Reihe erreichte Punkt uns zu seinem Verständnis an die andere verweist. Ähnlich verhält es sich mit der psychologischen Erkenntnis. Jeder uns gegenüberstehende Mensch ist für die unmittelbare Erfahrung nur ein lauterzeugender und gestikulierender Automat; daß hinter dieser Wahrnehmbarkeit eine Seele steckt und welches die Vorgänge in ihr sind, können wir ganz allein nach der Analogie mit unserem eigenen Innern erschließen, das das einzige uns unmittelbar bekannte seelische Wesen ist. Andrerseits wird die Kenntnis des Ich nur an der Kenntnis der Anderen groß, ja die fundamentale Zerfällung des Ich in einen beobachtenden und einen beobachteten Teil kommt nur nach Analogie des Verhältnisses zwischen dem Ich und anderen Persönlichkeiten zustande. An den Wesen außer uns, die wir nur durch die Seelenkenntnis unser selbst deuten können, muß sich demnach eben diese Kenntnis selbst orientieren. So ist das Wissen um die seelischen Dinge ein Wechselspiel zwischen dem Ich und dem Du, jedes weist von sich aus auf das andere – gleichsam ein stetes Auswechseln und Tauschen der Elemente gegeneinander, in dem sich die Wahrheit nicht weniger als der wirtschaftliche Wert erzeugt.

Und endlich, noch weiter ausgreifend: der neuzeitliche Idealismus leitet die Welt aus dem Ich ab, die Seele erschafft, gemäß ihren Rezeptivitäten und produktiven Formungskräften die Welt, die einzige, von der wir sprechen können und die für uns real ist. Andrerseits aber ist diese Welt doch der Ursprung der Seele. Von dem glühenden Stoffball, als den wir uns den früheren Zustand der Erde denken können und der keinem Leben Raum gab, hat eine allmähliche Entwicklung bis zu der Möglichkeit der Lebewesen geführt und diese, zuerst noch rein materiell und seelenlos, haben schließlich, wenn auch auf unbekannten Wegen, die Seele erzeugt. Wenn wir historisch denken, so ist die Seele, mit all ihren Formen und Inhalten, ein Produkt der Welt – eben dieser Welt, die doch, weil sie eine vorgestellte ist, zugleich ein Produkt der Seele ist. Werden diese beiden genetischen Möglichkeiten in starrer Begrifflichkeit fixiert, so ergeben sie einen beängstigenden Widerspruch. Anders aber, wenn jede als ein heuristisches Prinzip gilt, das mit der anderen in dem Verhältnis von Wechselwirkung und gegenseitigem Sich-Ablösen steht. Nichts steht dem Versuch im Wege, jeden beliebigen gegebenen Zustand der Welt aus den seelischen Bedingungen herzuleiten, die ihn als einen Vorstellungsinhalt produziert haben; ebensowenig aber dem weiteren, diese Bedingungen auf die kosmischen, historischen, sozialen Tatsachen zurückzuführen, aus denen eine mit diesen Kräften und Formen ausgestattete Seele entstehen konnte; das Bild jener, der Seele äußerlichen Tatsachen, mag nun seinerseits wieder aus den subjektiven Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen und historischen Erkennens abgeleitet werden und diese wiederum aus den objektiven Bedingungen ihrer Genesis, und so fort ins Unabsehliche. Natürlich verläuft das Erkennen niemals in diesem reinlichen Schema, sondern völlig fragmentarisch, abgebrochen, zufällig mischen sich die beiden Richtungen; aber ihren prinzipiellen Widerspruch löst die Verwandlung beider in heuristische Prinzipien, durch die ihr Gegeneinander in eine Wechselwirkung und ihre gegenseitige Verneinung in den unendlichen Prozeß der Betätigung dieser Wechselwirkung aufgelöst wird.

Ich füge hier nur noch zwei Beispiele an, eines sehr spezieller, das andere sehr allgemeiner Art, in denen die Relativität, d. h. die Gegenseitigkeit, in der sich Erkenntnisnormen ihre Bedeutung zuerteilen, entschiedener in die Form des Nacheinander, der Alternierung, auseinandergezogen wird. Die inhaltliche Zusammengehörigkeit von Begriffen und tiefgelegenen Elementen des Weltbildes stellt sich häufig gerade als ein solcher Rhythmus zeitlich-wechselseitigen Sich-Ablösens dar. So läßt sich innerhalb der ökonomischen Wissenschaft das Verhältnis zwischen der historischen und der auf allgemeine Gesetze ausgehenden Methode auffassen. Gewiß ist jeder wirtschaftliche Vorgang nur aus einer besonderen historisch-psychologischen Konstellation verständlich herzuleiten. Allein solche Herleitung geschieht immer unter der Voraussetzung bestimmter, gesetzmäßiger Zusammenhänge; wenn wir nicht oberhalb des einzelnen Falles allgemeine Verhältnisse, durchgängige Triebe, regelmäßige Wirkungsreihen zum Grunde legten, so würde es gar keine historische Ableitung geben können, vielmehr das Ganze in ein Chaos atomisierter Vorkommnisse auseinanderfallen. Nun kann man aber weiterhin zugeben, daß jene allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, die die Verbindung zwischen dem vorliegenden Zustand oder Ereignis und seinen Bedingungen zu knüpfen ermöglichen, auch ihrerseits von höheren Gesetzen abhängen, so daß sie selbst als nur historische Kombinationen gelten dürfen; zeitlich weiter zurückliegende Ereignisse und Kräfte haben die Dinge um und in uns in Formen gebracht, die, jetzt als allgemein und überhistorisch gültig erscheinend, die zufälligen Elemente der späteren Zeit zu deren besonderen Erscheinungen gestalten. Während also diese beiden Methoden, dogmatisch festgelegt und jede für sich die objektive Wahrheit beanspruchend, in einen unversöhnlichen Konflikt und gegenseitige Negation geraten, wird ihnen in der Form der Alternierung ein organisches Ineinander ermöglicht: jede wird in ein heuristisches Prinzip verwandelt, d. h. von jeder verlangt, daß sie an jedem Punkte ihrer eigenen Anwendung ihre höherinstanzliche Begründung in der anderen suche. Nicht anders steht es mit dem allerallgemeinsten Gegensatz innerhalb unseres Erkennens: dem zwischen Apriori und Erfahrung. Daß alle Erfahrung außer ihren sinnlich-rezeptiven Elementen gewisse Formen zeigen muß, die der Seele innewohnen und durch die sie jenes Gegebene überhaupt zu Erkenntnissen gestaltet – das wissen wir seit Kant. Dieses, gleichsam von uns mitgebrachte Apriori muß deshalb für alle möglichen Erkenntnisse absolut gelten und ist allem Wechsel und aller Korrigierbarkeit der Erfahrung, als sinnlich und zufällig entstandener, entzogen. Aber der Sicherheit, daß es derartige Normen geben muß, entspricht keine ebenso große, welche denn es sind. Vieles, was eine Zeit für apriori gehalten hat, ist von einer späteren als empirisches und historisches Gebilde erkannt worden. Wenn also einerseits jeder vorliegenden Erscheinung gegenüber die Aufgabe besteht, in ihr über ihren sinnlich gegebenen Inhalt hinweg die dauernden apriorischen Normen zu suchen, von denen sie geformt ist – so besteht daneben die Maxime: jedem einzelnen Apriori gegenüber (darum aber keineswegs dem Apriori überhaupt gegenüber!) die genetische Zurückführung auf Erfahrung zu versuchen.

Dieses wechselwirkende Sich-Tragen und Aufeinander-Angewiesensein der Methoden ist etwas völlig anderes als die billige Kompromißweisheit der Mischung und des Halb- und Halbtums der Prinzipien, bei dem der Verlust des einen immer größer als der Gewinn des anderen zu sein pflegt; hier handelt es sich vielmehr darum, jeder Seite des Gegensatzpaares eine nicht zu begrenzende Wirksamkeit zu eröffnen. Und wenngleich jede dieser Methoden immer etwas Subjektives bleibt, so scheinen sie doch durch jene Relativität ihrer Anwendung gerade die objektive Bedeutung der Dinge angemessen auszudrücken. Sie fügen sich damit dem allgemeinen Prinzip ein, das unsere Untersuchungen über den Wert leitete: Elemente, deren jedes inhaltlich subjektiv ist, können in der Form ihrer gegenseitigen Beziehung das gewinnen oder darstellen, was wir Objektivität nennen. So sahen wir schon oben, wie bloße Sinnesempfindungen dadurch, daß sie aneinander haften, für uns den Gegenstand bezeichnen oder zustande bringen. So entsteht die Persönlichkeit – ein so festes Gebilde, daß man ihm eine besondere Seelensubstanz unterlegte – mindestens für die empirische Psychologie durch die gegenseitigen Assoziationen und Apperzeptionen, die unter den einzelnen Vorstellungen stattfinden; diese, verfließende und subjektive Vorgänge, erzeugen durch ihre Wechselbeziehungen, was in keiner von ihnen für sich allein liegt, die Persönlichkeit als objektives Element der theoretischen und praktischen Welt. So erwächst das objektive Recht, indem die subjektiven Interessen und Kräfte der Einzelnen sich ausgleichen, sich gegenseitig ihre Stellung und ihr Maß bestimmen, durch den Austausch von Ansprüchen und Beschränkungen die objektive Form der Balancierung und Gerechtigkeit gewinnen. So kristallisierte aus den Einzelbegehrungen der Subjekte der objektive wirtschaftliche Wert aus, weil die Form der Gleichheit und des Austausches zur Verfügung stand, und diese Relationen eine Sachlichkeit und Übersubjektivität haben konnten, die jenen Elementen als einzelnen fehlte. So also mögen jene Methoden des Erkennens nur subjektive und heuristische sein; aber dadurch, daß jede an der anderen ihre Ergänzung und eben durch diese ihre Legitimierung findet, nähern sie sich – wenngleich in einem unendlichen Prozeß des Sich-gegenseitig-Hervorrufens – dem Ideale der objektiven Wahrheit.

Es verwirklicht sich also das Wahrheit-bedeutende Verhältnis der Vorstellungen entweder als ein Aufbau ins Unendliche, weil wir selbst bei prinzipiell zugegebener Fundamentierung der Erkenntnis auf nicht mehr relative Wahrheiten nie wissen können, ob wir denn wirklich an dieser sachlich letzten Instanz angelangt sind, von jeder erreichten also wieder auf den Weg zu einer noch allgemeineren und tieferen gewiesen werden; oder die Wahrheit besteht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis innerhalb eben desselben Vorstellungskomplexes, und ihre Beweisbarkeit ist eine wechselseitige. Es sind aber diese beiden Denkbewegungen durch eine eigentümliche Funktionsteilung verbunden. Es scheint unvermeidlich, unser geistiges Dasein unter zwei, einander ergänzenden Kategorien zu betrachten: seinem Inhalte nach und dem Prozeß nach, der als Bewußtseinsereignis diesen Inhalt trägt oder verwirklicht. Die Struktur dieser Kategorien ist eine äußerst verschiedene. Den seelischen Prozeß müssen wir uns unter dem Bilde des kontinuierlichen Fließens vorstellen, er kennt keine starren Absätze, sondern ununterbrochen, wie in einem organischen Wachstum, fließt ein seelischer Zustand in den nächsten über. Unter völlig anderem Aspekt erscheinen die aus dem Prozeß abstrahierten, in ideeller Selbständigkeit bestehenden Inhalte: als ein Komplex, ein Stufenbau, ein System einzelner Begriffe oder Sätze, entschieden eines von dem anderen abgehoben; das logisch vermittelnde Glied zwischen je zweien zwar die Weiten des Abstandes, aber nicht seine Diskontinuität vermindernd – wie die Stufen einer Treppe sich scharf gegeneinander absetzen und damit doch das Mittel zu der kontinuierlichen Bewegung des Körpers über sie bieten. Wenn nun das Denken in seinen allgemeinsten Grundlagen und als Ganzes angesehen, sich im Kreis zu bewegen schien, weil es sich »durch eigenes Schweben halten« muß und kein ποữ στω hat, das ihm von außerhalb seiner her Halt gebe – so ist damit das Verhältnis zwischen den Inhalten des Denkens bezeichnet. Diese sind sich gegenseitig Hintergrund, so daß jeder vom anderen seinen Sinn und Ton erhält, diese, indem sie Paare sich ausschließender Gegensätze bilden, fordern sich doch gegenseitig zur Herstellung des uns erreichbaren Weltbildes, von diesen wird jeder, durch die ganze Kette des Erkennbaren hindurch, zum Beweisgrund des anderen. Der Prozeß dagegen, in dem sich dieses Verhältnis nun psychologisch realisiert, folgt dem kontinuierlichen, geradlinigen Verlauf der Zeit, er geht seinem eigenen und inneren Sinne nach ins Unendliche, obgleich der Tod des Individuums seinen Weg verendlicht. In jene beiden Formen, die das Erkennen im einzelnen illusorisch, im ganzen aber gerade möglich machen, teilen sich diese beiden Kategorien, unter die unsere Reflexion es rückt: es verläuft nach dem Schema des regressus in infinitum, der unendlichen Kontinuität, in eine Grenzenlosigkeit, die doch in jedem gegebenen Augenblick Begrenztheit ist – während seine Inhalte die andere Unendlichkeit zeigen: die des Kreises, wo jeder Punkt Anfang und Ende ist und alle Teile sich wechselseitig bedingen.

Daß sich die Gegenseitigkeit des Bewahrheitens dem Blicke für gewöhnlich verbirgt, geschieht aus keinem anderen Grunde, als aus dem auch die Gegenseitigkeit der Schwere nicht unmittelbar bemerkt wird. Da nämlich in jedem gegebenen Augenblicke die ungeheure Mehrzahl unserer Vorstellungen unangezweifelt hingenommen wird und in ihm die Untersuchung auf Wahrsein nur eine einzelne zu treffen pflegt, so wird die Entscheidung über eben dieses nach der Harmonie oder dem Widerspruch mit dem bereits vorhandenen, als gesichert vorausgesetzten Gesamtkomplex unserer Vorstellungen getroffen – während ein anderes Mal irgendeine Vorstellung aus diesem Komplex fraglich werden und die jetzt zu prüfende der über sie entscheidenden Majorität angehören mag. Das ungeheure quantitative Mißverhältnis zwischen der aktuell gerade fraglichen und der aktuell als gesichert geltenden Masse der Vorstellungen verschleiert das Gegenseitigkeitsverhältnis hier ebenso, wie das entsprechende bewirkte, daß man so lange nur die Anziehungskraft der Erde für den Apfel, aber nicht die des Apfels für die Erde bemerkte. Und wie infolgedessen ein Körper die Schwere als eine selbständige Qualität seiner zu haben schien, weil nur die eine Seite des Verhältnisses konstatierbar war, so mag die Wahrheit als eine den Einzelvorstellungen an und für sich eigene Bestimmtheit gelten, weil die Gegenseitigkeit in der Bedingtheit der Elemente, in der die Wahrheit besteht, bei der verschwindenden Größe des einzelnen gegenüber der Masse der – im Augenblick nicht fraglichen – Vorstellungen überhaupt unmerkbar wird. – Die »Relativität der Wahrheit« in dem Sinne, daß all unser Wissen Stückwerk und keines unverbesserbar sei, wird oft mit einer Emphase verkündet, die mit ihrer allseitigen Unbestrittenheit in einem sonderbaren Mißverhältnis steht. Was wir hier unter jenem Begriffe verstehen, ist ersichtlich etwas ganz anderes: die Relativität ist nicht eine abschwächende Zusatzbestimmung zu einem im übrigen selbständigen Wahrheitsbegriff, sondern ist das Wesen der Wahrheit selbst, ist die Art, auf die Vorstellungen zu Wahrheiten werden, wie sie die Art ist, auf die Begehrungsobjekte zu Werten werden. Sie bedeutet nicht, wie in jener trivialen Verwendung, einen Abzug an der Wahrheit, von der man eigentlich ihrem Begriffe nach mehr erwarten könnte, sondern gerade umgekehrt die positive Erfüllung und Gültigkeit ihres Begriffes. Dort gilt die Wahrheit, trotzdem sie relativ ist, hier gerade, weil sie es ist.

Die großen erkenntnistheoretischen Prinzipien leiden durchgehends an der Schwierigkeit, daß sie, insoweit sie doch selbst schon Erkenntnisse sind, ihren eigenen Inhalt dem Urteil, das sie über Erkenntnis überhaupt fällen, unterordnen müssen und dabei entweder ins Leere fallen oder sich selbst aufheben. Der Dogmatismus mag die Sicherheit des Erkennens auf ein Kriterium wie auf einen Felsen gründen – worauf aber ruht der Felsen? Daß das Erkennen überhaupt der Sicherheit fähig ist, muß es schon voraussetzen, um diese Fähigkeit aus jenem Kriterium herzuleiten. Die Behauptung von der Sicherheit der Erkenntnis hat die Sicherheit der Erkenntnis zu ihrer Voraussetzung. Ganz entsprechend mag der Skeptizismus die Unsicherheit und Täuschungschance jedes Erkennens in ihrer prinzipiellen Unwiderleglichkeit hinstellen oder sogar die Unmöglichkeit einer Wahrheit, den inneren Widerspruch ihres Begriffes behaupten: diesem Resultate des Denkens über das Denken muß es doch auch dieses, das skeptische Denken selbst, unterordnen. Hier ist wirklich der verderbliche Zirkel gegeben: wenn alles Erkennen trügerisch ist, so ist es doch auch der Skeptizismus selbst, womit er dann sich selbst aufhebt. Der Kritizismus endlich mag alle Objektivität, alle wesentliche Form der Erkenntnisinhalte aus den Bedingungen der Erfahrung herleiten: daß die Erfahrung selbst etwas Gültiges ist, kann er nicht beweisen. Die Kritik, die er an allem Transszendenten und Transszendentalen übt, ruht auf einer Voraussetzung, gegen die sich die gleiche kritische Frage nicht wenden kann, ohne dem Kritizismus selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen. So scheint hier den Erkenntnisprinzipien eine typische Gefahr zu drohen. Indem das Erkennen sich selbst prüft, wird es in eigener Sache Richter, es bedarf eines Standpunktes jenseits seiner selbst und steht vor der Wahl, entweder seine Selbsterkenntnis von der Prüfungsnotwendigkeit oder Normierung, die es allen anderen Erkenntnisinhalten auferlegt, zu eximieren und damit einen Angriffspunkt in seinem Rücken zu lassen – oder sich selbst diesen Gesetzen unterzuordnen, den Prozeß selbst den Resultaten, zu denen er selbst erst geführt hat, und damit einen zerstörenden Kreisschluß zu begehen, wie es am klarsten jene Selbstvernichtung des Skeptizismus zeigte. Das relativistische Erkenntnisprinzip allein fordert für sich selbst keine Ausnahme von sich selbst: es wird dadurch nicht zerstört, daß es selbst nur relativ gilt. Denn mag es – historisch, sachlich, psychologisch – nur in Alternierung und Balancierung mit anderen, absolutistischen oder substantialistischen gelten, so ist eben dieses Verhältnis zu seinem eigenen Gegenteil ja selbst ein relativistisches. Die Heuristik, die nur die Folge oder Anwendung des relativistischen Prinzips auf die Erkenntniskategorien ist, kann es sich ohne jeden Widerspruch gefallen lassen, daß sie selbst ein heuristisches Prinzip ist. Die Frage nach dem Grunde des Prinzips, die in dem Bereich des Prinzips selbst nicht einbegriffen sei, wird dem Relativismus nicht verderblich, weil er diesen Grund in das Unendliche hinausschiebt, d. h. alles Absolute, das sich darzubieten scheint, in eine Relation aufzulösen strebt und mit dem Absoluten, das sich als der Grund dieser neuen Relation bietet, wieder ebenso verfährt – ein Prozeß, der seinem Wesen nach keinen Stillstand kennt und dessen Heuristik die Alternative aufhebt: das Absolute zu leugnen oder es anzuerkennen. Denn es ist gleichviel, ob man dies so ausdrückt: es gibt ein Absolutes, aber es kann nur in einem unendlichen Prozeß erfaßt werden, oder: es gibt nur Relationen, aber sie können das Absolute nur in einem unendlichen Prozeß ersetzen. Der Relativismus kann das radikale Zugeständnis machen, daß es dem Geiste allerdings möglich sei, sich jenseits seiner selbst zu stellen. In jenen, nur an einem Gedanken haltmachenden und damit die Relation in ihrer unendlichen Fruchtbarkeit ausschließenden Prinzipien erhob sich der Selbstwiderspruch: daß der Geist über sich selbst richten sollte, daß er seinem definitiven Spruch entweder selbst Untertan war oder sich ihm entzog und beides gleichmäßig ihre Geltung entwurzelte. Der Relativismus aber erkennt ohne weiteres an: über jedem Urteil, das wir fällen, steht ein höheres, das entscheidet, ob jenes recht hat; dieses zweite aber, die logische Instanz, die wir uns selbst gegenüber bilden, bedarf selbst wieder, als ein psychologischer Vorgang angesehen, der Legitimation durch ein höheres, an dem sich derselbe Prozeß wiederholt – sei es ins Unendliche fortschreitend, sei es so, daß die Legitimierung zwischen zwei Urteilsinhalten alternierte oder daß ein und derselbe Inhalt einmal als psychische Wirklichkeit, ein andermal als logische Instanz funktionierte. Diese Ansicht hebt nun auch den anderen Erkenntnisprinzipien gegenüber die Gefahr der Selbstverneinung auf, in die ihre Unterordnung unter sich selbst sie brachte. Es ist nicht richtig, daß, wenn der Skeptizismus die Möglichkeit der Wahrheit leugnet, diese Meinung selbst unwahr sein muß, ebensowenig wie die pessimistische Meinung von der Schlechtigkeit alles Wirklichen den Pessimismus selbst zu einer schlechten Theorie macht. Denn es ist tatsächlich die fundamentale Fähigkeit unseres Geistes, sich selbst zu beurteilen, sein eigenes Gesetz über sich selbst zu stellen. Dies ist nichts als ein Ausdruck oder eine Erweiterung der Urtatsache des Selbstbewußtseins. Unsere Seele besitzt keine substantielle Einheit, sondern nur diejenige, die sich aus der Wechselwirkung des Subjekts und des Objekts ergibt, in welche sie sich selbst teilt. Dies ist nicht eine zufällige Form des Geistes, die auch anders sein könnte, ohne unser Wesentliches zu ändern, sondern ist seine entscheidende Wesensform selbst. Geist haben, heißt nichts anderes als diese innere Trennung vornehmen, sich selbst sich zum Objekt machen, sich selbst wissen zu können. Daß es »kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt« gibt, verwirklicht sich zuerst innerhalb der Seele selbst, sie erhebt sich als die wissende über sich selbst, die gewußte, und indem sie dieses Wissen ihrer selbst wiederum weiß, verläuft ihr Leben prinzipiell in einem progressus in infinitum, dessen jeweilig aktuelle Form, gleichsam sein Querschnitt, die Kreisbewegung ist: das seelische Subjekt weiß sich als Objekt und das Objekt als Subjekt. Indem der Relativismus als Erkenntnisprinzip sich mit der Unterordnung unter sich selbst, die so vielen absolutistischen Prinzipien verderblich wird, gerade von vornherein selbst beweist, drückt er nur am reinsten aus, was er auch jenen anderen leistet: die Legitimierung des Geistes, über sich selbst zu urteilen, ohne durch das Ergebnis dieses Urteilsprozesses, wie es auch ausfalle, den Prozeß selbst illusorisch zu machen. Denn dieses Sich-jenseits-seiner-selbst-Stellen erscheint jetzt als der Grund alles Geistes, er ist zugleich Subjekt und Objekt, und nur wenn der in sich unendliche Prozeß des Sich-selbst-Wissens, Sich-selbst-Beurteilens an irgendeinem Glied abgeschnitten und dieses als das absolute allen anderen gegenübergestellt wird, wird es zu einem Selbstwiderspruch, daß das Erkennen, das sich in einer bestimmten Weise beurteilt, zugleich, um dieses Urteil fällen zu können, für sich eine Ausnahme von dem Inhalt dieses Urteils beansprucht.

Man hat vielfach die relativistische Anschauung als eine Herabsetzung des Wertes, der Zuverlässigkeit und Bedeutsamkeit der Dinge empfunden, wobei übersehen wird, daß nur das naive Festhalten irgendeines Absoluten, das ja gerade in Frage gestellt ist, dem Relativen diese Stellung zuweisen könnte. Eher liegt es in Wirklichkeit umgekehrt: durch die ins Unendliche hin fortgesetzte Auflösung jedes starren Fürsichseins in Wechselwirkungen nähern wir uns überhaupt erst jener funktionellen Einheit aller Weltelemente, in der die Bedeutsamkeit eines jeden auf jedes andere überstrahlt. Darum steht der Relativismus auch seinem extremen Gegensatz, dem Spinozismus mit seiner allumfassenden substantia sive Deus, näher als man glauben möchte. Dieses Absolute, das keinen anderen Inhalt hat als den Allgemeinbegriff des Seins überhaupt, schließt demnach in seine Einheit alles ein, was überhaupt ist. Die einzelnen Dinge können nun allerdings kein Sein für sich mehr haben, wenn alles Sein seiner Realität nach schon in jene göttliche Substanz ebenso vereinheitlicht worden ist, wie es seinem abstrakten Begriff nach, eben als Seiendes überhaupt, eine Einheit bildet. Alle singulären Beständigkeiten und Substanzialitäten, alle Absolutheiten zweiter Ordnung sind nun so vollständig in jene eine aufgegangen, daß man direkt sagen kann: in einem Monismus, wie dem Spinozischen, sind die sämtlichen Inhalte des Weltbildes zu Relativitäten geworden. Die umfassende Substanz, das allein übrig gebliebene Absolute, kann nun, ohne daß die Wirklichkeiten inhaltlich alteriert würden, außer Betracht gesetzt werden – die Expropriateurin wird expropriiert, wie Marx einen formal gleichen Prozeß beschreibt – und es bleibt tatsächlich die relativistische Aufgelöstheit der Dinge in Beziehungen und Prozesse übrig. Die Bedingtheit der Dinge, die der Relativismus als ihr Wesen konstituiert, kann nur für eine oberflächliche Anschauung oder bei nicht hinreichend radikalem Durchdenken des Relativismus den Gedanken der Unendlichkeit auszuschließen scheinen. Vielmehr ist das Umgekehrte richtig. Denn eine konkrete Unendlichkeit scheint mir nur auf zwei Wegen denkbar. Einmal als eine auf- oder absteigende Reihe, in der jedes Glied von einem anderen abhängt und ein drittes von sich abhängen läßt: das mag in bezug auf räumliche Anordnung, auf kausale Energieübertragung, auf zeitliche Folge, auf logische Ableitung stattfinden. Was diese Reihenform ins Extensive zieht, bietet uns, zweitens, die Wechselwirkung in kompendiöser, in sich zurücklaufender Form. Wenn die Wirkung, die ein Element auf ein anderes ausübt, für dieses zur Ursache wird, auf jenes erste eine Wirkung zurückzustrahlen, die so wiedergegebene aber, ihrerseits wieder zur Ursache einer Rückwirkung werdend, das Spiel von neuem beginnen läßt: so ist hiermit das Schema einer wirklichen Unendlichkeit der Aktivität gegeben. Hier ist eine immanente Grenzenlosigkeit, der des Kreises vergleichbar; denn auch diese entsteht doch nur in der völligen Gegenseitigkeit, mit der jeder Abschnitt desselben jedem anderen seine Stelle bestimmt – im Unterschied gegen andere in sich zurücklaufende Linien, von denen nicht jeder Punkt von allen immanenten Seiten her die gleiche wechselwirkende Bestimmtheit erfährt. Wo die Unendlichkeit in Substanz oder als das Maß eines Absoluten eingeführt wird, bleibt sie doch immer ein sehr großes Endliches. Gerade nur die Bedingtheit jedes Daseinsinhaltes durch einen anderen, der in gleicher Weise bedingt ist – sei es durch einen dritten, an dem sich das Gleiche wiederholt, sei es durch jenen ersten, mit dem er sich in Wechselwirkung verschlingt – hebt die Endlichkeit des Daseins auf.

Dies also mag als Hinweisung auf einen philosophischen Standpunkt genügen, auf dem die Mannigfaltigkeit der Dinge eine letzte Einheit der Betrachtung zu gewinnen vermag, und die die oben gegebene Deutung des wirtschaftlichen Wertes in den weitesten Zusammenhang einordnet. Indem der Grundzug aller erkennbaren Existenz, das Aufeinander-Angewiesensein und die Wechselwirkung alles Daseienden den ökonomischen Wert aufnimmt und seiner Materie dieses Lebensprinzip erteilt, wird nun erst das innere Wesen des Geldes verständlich. Denn in ihm hat der Wert der Dinge, als ihre wirtschaftliche Wechselwirkung verstanden, seinen reinsten Ausdruck und Gipfel gefunden.

Welches auch der – keineswegs feststehende – geschichtliche Ursprung des Geldes gewesen sein möge, das eine ist jedenfalls von vornherein sicher, daß es nicht plötzlich als ein fertiges, seinen reinen Begriff repräsentierendes Element in die Wirtschaft eingetreten sein, sondern sich nur aus vorher bestehenden Werten entwickelt haben kann, und zwar derart, daß die Geldqualität, die jedem Objekte, soweit es überhaupt tauschbar ist, in irgendeinem Maße eigen ist, sich an einem einzelnen in höherem Maße herausgestellt hat, und es die Funktion des Geldes zunächst noch sozusagen in Personalunion mit seiner bisherigen Wertbedeutung ausgeübt hat. Ob das Geld diese genetische Verbindung mit einem Werte, der nicht Geld ist, je vollständig gelöst hat oder lösen kann, haben wir im nächsten Kapitel zu untersuchen. Es hat jedenfalls unendliche Irrungen veranlaßt, daß man Wesen und Bedeutung des Geldes nicht von den Bestimmtheiten derjenigen Werte begrifflich gesondert hat, an denen es sich, als Steigerung einer Qualität derselben, heraufgebildet hat. Wir aber betrachten es hier zunächst ohne jede Rücksicht auf den Stoff, der sein substanzieller Träger ist; denn gewisse Eigenschaften, die ihm vermittels dieses beigesellt sind, reihen das Geld noch demjenigen Kreise von Gütern ein, dem es als Geld gegenübergestellt ist. Schon auf den ersten Blick bildet das Geld gleichsam eine Partei, und die Gesamtheit der mit ihm bezahlten Güter die andere, so daß, wenn sein reines Wesen in Frage steht, man es wirklich bloß als Geld und in Loslösung von allen ihm sekundären Bestimmungen behandeln muß, die es dieser ihm gegenüberstehenden Partei doch wieder koordinieren.

In diesem Sinne findet man das Geld als »abstrakten Vermögenswert« definiert; als sichtbarer Gegenstand ist es der Körper, mit dem der von den wertvollen Gegenständen selbst abstrahierte wirtschaftliche Wert sich bekleidet hat, dem Wortlaut vergleichbar, der zwar ein akustisch-physiologisches Vorkommnis ist, seine ganze Bedeutung für uns aber nur in der inneren Vorstellung hat, die er trägt oder symbolisiert. Wenn nun der wirtschaftliche Wert der Objekte in dem gegenseitigen Verhältnis besteht, das sie, als tauschbare, eingehen, so ist das Geld also der zur Selbständigkeit gelangte Ausdruck dieses Verhältnisses; es ist die Darstellung des abstrakten Vermögenswertes, indem aus dem wirtschaftlichen Verhältnis, d. h. der Tauschbarkeit der Gegenstände, die Tatsache dieses Verhältnisses herausdifferenziert wird und jenen Gegenständen gegenüber eine begriffliche – und ihrerseits an ein sichtbares Symbol geknüpfte – Existenz gewinnt. Es ist die Sonderverwirklichung dessen, was den Gegenständen als wirtschaftlichen gemeinsam ist – im Sinne der Scholastik könnte man es sowohl als universale ante rem wie in re wie post rem bezeichnen –, und deshalb äußert die allgemeine Not des Menschenlebens sich in keinem äußeren Symbol so vollständig wie in der beständigen Geldnot, die die meisten Menschen bedrückt. Der Geldpreis einer Ware bedeutet das Maß der Tauschbarkeit, das zwischen ihr und der Gesamtheit der übrigen Waren besteht. Nimmt man das Geld in jenem reinen Sinne, der von allen Folgen seiner konkreten Darstellung unabhängig ist, so bedeutet die Änderung des Geldpreises, daß das Tauschverhältnis zwischen der einzelnen Ware und der Gesamtheit der übrigen sich ändert. Wenn ein Warenquantum A seinen Preis von einer Mark auf zwei steigert, während alle anderen Waren B C D E den ihrigen behalten, so bedeutet dies eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen A und B C D E, die man auch so ausdrücken könnte, daß diese letzteren im Preise gefallen sind, während A den seinigen behalten hat. Nur die größere Einfachheit des Ausdrucks läßt uns die erste Vorstellungsweise vorziehen, gerade wie wir bei der Lageveränderung eines Körpers gegen sein Umgebungsbild sagen, er habe sich z. B. von Osten nach Westen bewegt, während die tatsächliche Erscheinung sich genau so zutreffend als Bewegung der gesamten Umgebung (den Zuschauer einbegriffen) von Westen nach Osten, bei Ruhelage jenes einen Körpers, beschreiben läßt. Wie die Lage eines Körpers ihm nicht als eine Bestimmtheit seiner für sich allein, sondern nur als ein Verhältnis zu anderen zukommt, so daß bei jeder Änderung derselben ebenso gut diese anderen wie jener selbst als das tätige oder als das passive Subjekt bezeichnet werden können – so läßt sich jede Wertänderung von A innerhalb des wirtschaftlichen Kosmos, da sein Wert selbst nur in dem Verhältnis zu diesem besteht, mit gleichem Recht und nur unbequemer als Änderung von B C D E bezeichnen. Diese Relativität, wie sie im Naturaltausch unmittelbar praktisch wird, kristallisiert nun zu der Ausdrückbarkeit des Wertes in Geld. Auf welche Weise das geschehen kann, ist Sache späterer Untersuchung. Der Satz: A ist eine Mark wert, hat aus A alles hinweggeläutert, was nicht wirtschaftlich, d. h. nicht Tauschbeziehung zu B C D E ist; diese Mark, als Wert betrachtet, ist die von ihrem Träger gelöste Funktion des A in seinem Verhältnis zu den übrigen Objekten des Wirtschaftskreises. Alles, was A an und für sich, und aus dieser bloßen Beziehung heraustretend, sein mag, ist hier völlig gleichgültig; jedes A1 oder A2, das von jenem qualitativ abweicht, ist, insofern es ebenfalls eine Mark gilt, ihm gleich, weil, oder genauer: indem es zu B C D E dasselbe Verhältnis quantitativ bestimmten Austausches hat. Geld ist das »Geltende« schlechthin, und wirtschaftliches Gelten bedeutet etwas gelten, d. h. gegen etwas anderes vertauschbar zu sein. Alle anderen Dinge haben einen bestimmten Inhalt und gelten deshalb; das Geld umgekehrt hat seinen Inhalt davon, daß es gilt, es ist das zur Substanz erstarrte Gelten, das Gelten der Dinge ohne die Dinge selbst. Indem es so das Sublimat der Relativität der Dinge ist, scheint es selbst dieser entzogen zu sein – wie die Normen der Wirklichkeit nicht derselben Relativität unterliegen, die die Wirklichkeit beherrschen, und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil ihre Inhalte die zu selbständiger Lebendigkeit, Bedeutung und Haltbarkeit aufgewachsenen Verhältnisse zwischen den Dingen sind. Alles Sein ist gesetzmäßig, aber eben deshalb sind die Gesetze, denen es unterliegt, nicht selbst wieder gesetzmäßig: man würde sich im Zirkel bewegen, wenn man ein Naturgesetz des Inhalts annähme, daß es Naturgesetze geben müsse – wobei ich freilich dahingestellt lasse, ob dieser Zirkel nicht etwa dennoch als legitimer besteht, weil er zu den fundamentalen Bewegungen des Denkens gehöre, die in sich selbst zurück- oder auf einen im Unendlichen liegenden Zielpunkt hingehen. So sind die Normen – mag man sie mit Plato und Schopenhauer die Ideen, mit den Stoikern die Logoi, mit Kant das Apriori, mit Hegel die Stufen der Vernunftentwicklung nennen –, nichts als die Arten und Formen der Relativitäten selbst, die sich zwischen den Einzelheiten der Wirklichkeit, sie gestaltend, entwickeln. Sie sind selbst nicht in demselben Sinn relativ, wie die ihnen Untertanen Einzelheiten, da sie deren Relativität selbst sind. Auf dieser Grundlage wird es verständlich, daß das Geld, als der abstrakte Vermögenswert, nichts anderes ausdrückt, als die Relativität der Dinge, die eben den Wert ausmacht, und doch zugleich als der ruhende Pol den ewigen Bewegungen, Schwankungen, Ausgleichungen derselben gegenübersteht. Insofern es das letztere nicht tut, wirkt es eben nicht mehr seinem reinen Begriffe nach, sondern als Einzelobjekt, das allen anderen koordiniert ist. Nur ganz mißverständlich könnte dagegen eingewandt werden, daß in der Geldleihe und dem Wechselgeschäft doch Geld für Geld gekauft wird, und daß es deshalb, trotzdem es hier in der Reinheit seines Begriffes verbleibt, sich die Relativität der Einzelwerte aneignete, die es doch nicht haben, sondern nur sein sollte. Daß das Geld die Wertrelation der unmittelbar wertvollen Dinge untereinander ausdrückt, enthebt es freilich dieser Relation und stellt es in eine andere Ordnung. Indem es die fragliche Relation mit ihren praktischen Konsequenzen verkörpert, erhält es selbst einen Wert, mit dem es nicht nur in das Tauschverhältnis zu allen möglichen konkreten Werten tritt, sondern mit dem es auch innerhalb jener ihm eigenen, jenseits der Konkretheit stehenden Ordnung Relationen unter seinen Quanten anzeigen kann. Das eine Quantum bietet sich als gegenwärtiges, das andere als versprochenes, das eine als in dem einen Bezirk akzeptiertes, das andere in einem anderen – dies sind Modifikationen, die zu gegenseitigen Wertrelationen führen, völlig unbeschadet der Tatsache, daß das Objekt, an dessen Teilquanten sie vorgehen, als Ganzes selbst die Relation zwischen Objekten von andersartiger Wertbedeutung darstellt.

Aus jener Doppelheit seiner Rollen – außerhalb und innerhalb der Reihen der konkreten Werte – gehen, wie gesagt, unzählige Schwierigkeiten in der praktischen wie in der theoretischen Behandlung des Geldes hervor. Insoweit es das Wertverhältnis der Güter untereinander ausdrückt, sie mißt und austauschen hilft, tritt es zu der Welt der direkt nutzbaren Güter als eine Macht ganz anderer Provenienz hinzu, sei es als schematischer Maßstab jenseits aller Greifbarkeiten, sei es als Tauschmittel, das sich zwischen diese letzteren aber nur schiebt, wie der Lichtäther zwischen die Ponderabilien. Damit es aber diese Dienste leisten kann, die auf seiner Stellung außerhalb aller sonstigen Güter beruhen, ist es anfänglich, und dadurch, daß es sie leistet, ist es schließlich selbst ein konkreter oder singulärer Wert. Hiermit steigt es in die Verkettungen und Bedingungen der Reihe hinab, der es doch zugleich gegenübersteht: es wird von Angebot und Nachfrage in seinem Werte abhängig, seine Produktionskosten üben einen (wenngleich minimalen) Einfluß auf diesen aus, es tritt in verschiedenwertigen Qualitäten auf usw. Die Verzinsung ist ein Ausdruck dieses Wertes, der ihm als Träger seiner Funktionen zukommt. Oder von anderem Standpunkt her angesehen: die Doppelrolle des Geldes ist, daß es einerseits die Wertverhältnisse der austauschenden Waren untereinander mißt, andrerseits aber selbst in den Austausch mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende Größe darstellt; und zwar mißt es sich wiederum einerseits an den Gütern, die seine Gegenwerte bilden, andrerseits am Gelde selbst; denn nicht nur wird, wie oben schon hervorgehoben war, das Geld selbst mit Geld bezahlt, was das reine Geldgeschäft und die zinsbare Anleihe ausdrücken, sondern das Geld des einen Landes wird, wie die Valutaverschiebungen zeigen, zum Wertmesser für das Geld des anderen. Das Geld gehört also zu denjenigen normierenden Vorstellungen, die sich selbst unter die Norm beugen, die sie selbst sind. Alle solche Fälle ergeben primäre, wenn auch auflösbare Verwicklungen und Kreisbewegungen des Denkens: der Kreter, der alle Kreter als Lügner bezeichnet und so unter sein eigenes Axiom gehörend seine eigene Aussage Lügen straft; der Pessimist, der die ganze Welt schlecht nennt, so daß seine eigene Theorie es auch sein muß; der Skeptiker, der wegen der grundsätzlichen Leugnung aller Wahrheit auch die des Skeptizismus selbst nicht aufrecht erhalten kann usw. So steht das Geld als Maßstab und Tauschmittel über den wertvollen Dingen und, weil diese Dienste ursprünglich einen wertvollen Träger fordern und dann ihrem Träger selbst einen Wert verleihen, reiht es sich zwischen jene Dinge und unter die Normen ein, die von ihm selbst ausgehen.

Da nun das schließlich Gewertete nicht das Geld, der bloße Wertausdruck, sondern die Gegenstände sind, so bedeutet Preisänderung eine Verschiebung ihrer Verhältnisse untereinander; das Geld selbst – immer nach dieser reinen Funktion seiner betrachtet – hat sich nicht verschoben, sondern sein Mehr oder Weniger ist jene Verschiebung selbst, von ihren Trägern abstrahiert und zu selbständigem Ausdrucke geformt. Diese Stellung des Geldes ist offenbar dasselbe, was, als innere Qualität angesehen, seine Qualitätslosigkeit oder Unindividualität genannt wird. Indem es zwischen den individuell bestimmten Dingen, in inhaltlich gleichem Verhältnis zu jedem derselben steht, muß es an sich selbst völlig indifferent seih. Auch hier stellt sich das Geld nur als die höchste Entwicklungsstufe innerhalb einer kontinuierlichen Reihe dar, einer der logisch diffizilen, für unser Weltbild aber äußerst bedeutsamen, in denen ein Glied, obgleich durchaus nach der Formel der Reihe und als Äußerung ihrer inneren Kräfte gebildet, dennoch zugleich aus ihr heraustritt, als ergänzende oder beherrschende oder ihr gegenüber parteibildende Potenz. Den Ausgangspunkt der Reihe bilden die ganz unersetzlichen Werte, deren Eigenart freilich gerade durch eine Analogie zu der Geldausgleichung leicht verwischt wird. Für das Meiste, was wir besitzen, gäbe es einen Ersatz, wenigstens im weitesten Sinne, so daß der Gesamtwert unserer Existenz derselbe bliebe, wenn wir das eine verlören und dafür das andere gewönnen: die eudämonistische Summe läßt sich durch sehr verschiedene Elemente auf der gleichen Höhe halten. Allein diese Austauschbarkeit versagt gewissen Dingen gegenüber, und zwar – worauf es hier ankommt – nicht nur wegen des Glücksmaßes, das uns kein anderer Besitz in gleicher Höhe gewähren könnte, sondern weil das Wertgefühl sich gerade an diese individuelle Gestaltung, nicht aber an das Glücksgefühl, das ihr mit anderen gemeinsam ist, geheftet hat. Nur ein irriger Begriffsrealismus, der mit dem allgemeinen Begriff als mit dem vollgültigen Vertreter der einzelnen Wirklichkeit operiert, läßt uns glauben, daß wir die Werte der Dinge durch Reduktion auf einen allgemeinen Wertnenner empfinden, durch Hinleitung auf ein Wertzentrum, in dem sie sich nur als quantitativ höhere oder niedere, in letzter Instanz aber gleichartige darstellten. Wir werten vielmehr das Individuelle oft genug, weil wir eben gerade dies wollen und nichts anderes, dem wir vielleicht dasselbe oder ein höheres Quantum von Glückswert für uns zugeben. Feinere Empfindungsweisen unterscheiden sehr genau das Maß von Glücksgefühl, das der bestimmte Besitz uns bereitet, durch das er aber mit anderen vergleichbar und vertauschbar wird, von seinen spezifischen, jenseits seiner eudämonistischen Folgen liegenden Bestimmtheiten, durch die er uns gleichfalls wertvoll und insofern nun völlig unersetzlich sein kann. Dies tritt mit einer leichten Modifikation, aber doch sehr bezeichnend hervor, wenn persönliche Affektionen oder Erlebnisse einen an sich häufigen und fungibeln Gegenstand für uns mit Unersetzlichkeit ausgestattet haben. Über den Verlust eines solchen kann uns unter keinen Umständen ein ganz gleiches Exemplar derselben Gattung trösten – sondern viel eher vermag dies ein Gut, das völlig anderen Qualitäts- und Gefühlskomplexen angehört, das an jenes überhaupt nicht erinnert und jede Vergleichung mit ihm ablehnt! Diese Individualform des Wertes wird in demselben Maße negiert, in dem die Objekte tauschbar werden, so daß das Geld, der Träger und Ausdruck der Tauschbarkeit als solcher, das unindividuellste Gebilde unserer praktischen Welt ist. Insoweit die Dinge gegen Geld vertauscht werden – nicht ebenso im Naturaltausch! – haben sie an dieser Unindividualität Teil, und man kann den Mangel jenes spezifischen Wertes an einem Dinge nicht schärfer ausdrücken, als daß man seine Stelle durch sein Geldäquivalent ausfüllen läßt, ohne eine Lücke zu empfinden. Das Geld ist nicht nur der absolut fungible Gegenstand, von dem also jedes Quantum durch beliebig andere Stücke ununterscheidbar ersetzt werden kann, sondern es ist sozusagen die Fungibilität der Dinge in Person. Dies sind die beiden Pole, zwischen denen alle Werte überhaupt stehen: einerseits das schlechthin Individuelle, dessen Bedeutung für uns nicht in irgendeinem allgemeinen, in irgendeinem anderen Objekt gleichfalls darstellbaren Wertquantum liegt, und dessen Stelle innerhalb unseres Wertsystems durch nichts anderes ausfüllbar, ist, andrerseits das schlechthin Fungible; zwischen beiden bewegen sich die Dinge in verschiedenen Graden der Ersetzbarkeit, bestimmt danach, in welchem Maße sie überhaupt ersetzbar sind, und danach, durch eine wie große Mannigfaltigkeit anderer Objekte sie es sind. Man kann es auch so darstellen, daß man an jedem Dinge die Seite seiner Unersetzlichkeit und die seiner Ersetzlichkeit unterscheidet. Von den meisten Dingen wird man sagen dürfen – worüber uns freilich von der einen Seite die Flüchtigkeit des praktischen Verkehrs, von der entgegengesetzten her Beschränktheit und Eigensinn oft täuschen – daß jeder Gegenstand an beiden Bestimmtheiten Teil hat; selbst das für Geld Käufliche und durch Geld Ersetzbare dürfte bei genauerem Hinfühlen oft doch Sachqualitäten haben, deren Wertnuance durch keinen anderen Besitz völlig ersetzt werden kann. Erst die Grenzen unserer praktischen Welt werden durch die Erscheinungen bezeichnet, in denen je die eine dieser Bestimmtheiten unendlich klein ist: auf der einen Seite die an Zahl äußerst geringen Werte, von denen die Erhaltung unseres Ich in seiner individuellen Integrität abhängt, bei denen also eine Tauschbarkeit nicht in Frage steht, auf der anderen das Geld – die aus den Dingen heraus abstrahierte Tauschbarkeit ihrer –, dessen absolute Unindividualität daran hängt, daß es das Verhältnis zwischen Individuellerem ausspricht, und zwar dasjenige, das bei endlosem Wechsel dieses immer dasselbe bleibt.

Diese Fähigkeit des Geldes, für jeden speziell bestimmten Wirtschaftswert einzutreten – weil sein Wesen mit keinem von ihnen, sondern nur mit ihrem Verhältnis, in das jedes beliebige eintreten kann, verbunden ist – trägt die Kontinuität der wirtschaftlichen Ereignisreihe. Diese Reihe lebt gleichsam in Endosmose und Exosmose: in der Produktion und der Konsumtion der Güter. Aber dies ist nur ihr Material und läßt die Frage nach der Kontinuität oder Diskontinuität ihrer Form noch offen. Jede Konsumtion reißt zunächst eine Lücke in die Stetigkeit der wirtschaftlichen Linie und ihr Verhältnis zur Produktion ist zu wenig geregelt, zu sehr dem Zufall preisgegeben, um den Verlauf der Linie in Ununterbrochenheit zu halten. Man mag diese als eine ideelle vorstellen, die sich durch die konkreten Objekte hindurchsetzt, vergleichbar etwa der Richtung des Lichtstrahls in ihrem Verhältnis zu den schwingenden Ätherteilchen. In den, die hart gegeneinander abgesetzten äußeren Dinge durchflutenden, ihre Wertbedeutungen ineinander leitenden Strom tritt nun zur Ausgleichung jener drohenden Unterbrechung das Geld ein. Indem ich für einen Gegenstand, den ich konsumieren will, Geld hingebe, füge ich dieses in die Lücke der Wertbewegung, die durch meine Konsumtion entsteht oder vielmehr entstehen würde. Die primitiven Formen des Besitzwechsels, der Raub und das Geschenk, lassen ihrer Idee nach diese Ergänzung der Kontinuität nicht zu, mit ihnen stockt jedesmal der, man möchte sagen: logische Zusammenhang in jener ideellen Linie der wirtschaftlichen Strömung. Erst der Tausch von Äquivalenten weiß dem Prinzip nach diesen Zusammenhang herzustellen, und der Tatsache nach erst das Geld, das jede im Naturaltausch nicht fortzuschaffende Ungleichheit nivellieren kann und den Hiatus jener Linie stellvertretend füllt, der durch das Ausscheiden des zu konsumierenden Objekts entsteht. Diese reale Stellung innerhalb der Wirtschaftsreihe kann es aber ersichtlich nur durch seine ideelle Stellung außerhalb ihrer gewinnen. Denn es könnte doch wohl nicht jedes einzelne Objekt aufwiegen und zwischen beliebig diskrepanten die Brücke sein, wenn es selbst ein »einzelnes« Objekt wäre; in die Relationen, in deren Gestalt sich die Kontinuität der Wirtschaft vollzieht, kann es mit absoluter Zulänglichkeit ergänzend und ersetzend nur eintreten, weil es, als konkreter Wert, nichts ist als die zu einer greifbaren Substanz verkörperte Relation der Wirtschaftswerte selbst.

Weiter äußert sich dieser Sinn des Geldes empirisch als Wertkonstanz, die ersichtlich an seiner Fungibilität und Qualitätlosigkeit hängt und in der man eine der hervorstechendsten und zweckmäßigsten Eigenschaften des Geldes zu erblicken pflegt. Die Länge der wirtschaftlichen Aktionsreihen, ohne die es zu der Kontinuität, den organischen Zusammenhängen, der inneren Fruchtbarkeit der Wirtschaft nicht gekommen wäre, hängt von der Stabilität des Geldwertes ab, weil diese allein weitausschauende Berechnungen, vielgliedrige Unternehmungen, langsichtige Kredite möglich macht. Solange man nun die Preisschwankungen eines einzelnen Objekts im Auge hat, ist es nicht bestimmbar, ob der Wert des letzteren sich verändert und der des Geldes stabil bleibt, oder ob es etwa umgekehrt ist; eine Konstanz des Geldwertes ergibt sich erst als objektive Tatsache, sobald den Preiserhöhungen einer Ware oder eines Warengebietes Preissenkungen anderer korrespondieren. Eine allgemeine Erhöhung sämtlicher Warenpreise würde Erniedrigung des Geldwertes bedeuten; sobald jene stattfindet, ist also die Konstanz des Geldwertes durchbrochen. Möglich ist dies überhaupt nur dadurch, daß das Geld über seinen reinen Funktionscharakter als Ausdruck des Wertverhältnisses konkreter Dinge hinaus gewisse Qualitäten enthält, die es spezialisieren, zu einem Marktgegenstand machen, es bestimmten Konjunkturen, Quantitätsverschiebungen, Eigenbewegungen unterwerfen, also es aus seiner absoluten Stellung, die es als Ausdruck der Relationen hat, in die einer Relativität hineindrängen, so daß es, kurz gesagt, nicht mehr Relation ist, sondern Relationen hat. Nur in dem Maße, in dem das Geld, seinem reinen Wesen treu, alledem entzogen ist, besitzt es Wertkonstanz, die also daran gebunden ist, daß Preisschwankungen nicht Änderungen seiner Beziehung zu den Dingen, sondern nur sich ändernde Beziehungen der Dinge untereinander bedeuten; und diese wiederum involvieren, daß der Erhöhung des einen eine Erniedrigung eines anderen korrespondiert. Soweit das Geld also die ihm wesentliche Eigenschaft der Wertstabilität wirklich besitzt, verdankt es sie seiner Aufgabe, die wirtschaftlichen Relationen der Dinge, oder: die Relationen, durch die die Dinge zu wirtschaftlich wertvollen werden, in sich in reiner Abstraktheit – durch sein bloßes Quantum – auszudrücken, ohne selbst in sie einzutreten. Deshalb ist auch die Funktion des Geldes eine um so dringlichere, je umfänglicher und lebhafter die Änderungen der wirtschaftlichen Werte erfolgen. Wo die Werte der Waren sehr entschieden und dauernd fixiert sind, liegt es nahe, sie in natura auszutauschen. Das Geld entspricht dem Zustand des Wechsels ihrer gegenseitigen Wertverhältnisse, weil es für jede Änderung derselben den absolut zutreffenden und schmiegsamen Ausdruck darbietet. Daß der wirtschaftliche Wert eines Dinges in dem nach allen Seiten hin bestimmten Austauschverhältnis zu allen anderen Dingen besteht, wird ersichtlich durch die Variabilität dieser Verhältnisse am fühlbarsten, da jede partielle Verschiebung weitere Ausgleichsbewegungen zu fordern pflegt und so die Relativität innerhalb des Ganzen immer von neuem bewußt macht. Indem das Geld nichts als der Ausdruck dieser Relativität ist, verstehen wir die anderwärts hervorgehobene Tatsache, daß Geldbedarf mit dem Schwanken der Preise, Naturaltausch mit ihrer Fixiertheit in gewissem Zusammenhange stehen.

Der so bestimmte reine Sinn des Geldes tritt begreiflicherweise theoretisch wie praktisch erst mit ausgebildeter Geldwirtschaft klarer hervor; der Träger, an dem dieser Sinn sich erst in allmählicher Entwicklung darstellt, hält das Geld ursprünglich noch in der Reihe der Objekte selbst zurück, deren bloßes Verhältnis es eigentlich zu symbolisieren bestimmt ist. Für die mittelalterliche Theorie ist der Wert etwas Objektives: sie verlangt vom Verkäufer, er solle den »gerechten« Preis für seine Ware fordern, und sucht diesen gelegentlich durch Preistaxen zu fixieren; jenseits der Verhältnisse von Käufer und Verkäufer haftete dem Dinge an und für sich sein Wert als eine Eigenschaft seiner isolierten Natur an, mit der es in den Tauschakt eintrat. Diese Vorstellung vom Werte – dem substanziell-absolutistischen Weltbild der Epoche entsprechend – liegt bei naturalwirtschaftlichen Verhältnissen besonders nahe. Ein Stück Land für geleistete Dienste, eine Ziege für ein Paar Schuhe, ein Kleinod für zwanzig Seelenmessen – das waren Dinge, an die sich gewisse Intensitäten des Wertgefühles so unmittelbar knüpften, daß ihre Werte als objektiv einander entsprechend erscheinen konnten. Je unmittelbarer der Tausch stattfindet und in je einfacheren Verhältnissen – so daß nicht erst eine Vielheit vergleichender Beziehungen dem Objekt seine Stellung zuweist – desto eher kann der Wert als eine eigene Bestimmtheit des Objektes erscheinen. Die eindeutige Sicherheit, mit der man so den Austausch vollzog, spiegelte sich in der Vorstellung, daß sie durch eine objektive Qualität der Dinge selbst hervorgebracht würde. Erst die Einstellung des einzelnen Objekts in eine vielgliedrige Produktion und nach allen Seiten hin ausgreifende Tauschbewegungen legt es nahe, seine wirtschaftliche Bedeutung in seiner Beziehung zu anderen Objekten, und so wechselseitig, zu suchen; dies aber fällt mit der Ausbreitung der Geldwirtschaft zusammen. Daß der Sinn des wirtschaftlichen Objektes als solchen in dieser Relativität besteht und daß es der Sinn des Geldes ist, sich immer reiner zum Ausdruck dieser Relativität zu machen – dies beides wird erst in Wechselwirkung dem Bewußtsein näher gebracht. Das Mittelalter nahm eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Objekte und dem Geldpreis an, d.h. eine, die auf dem an sich seienden Wert jedes von ihnen beruhte und die deshalb zu einer objektiven »Richtigkeit« gebracht werden konnte und also auch sollte. Der Irrtum dieser substanzialistischen Anschauung ist methodisch derselbe, wie wenn man zwischen einem Individuum und dem Inhalte irgendeines Rechtes einen unmittelbaren Zusammenhang behaupten wollte, derart, daß das Wesen jenes Menschen, wie es an und für sich und ohne weitere Rücksicht auf außer ihm Liegendes ist, auf diese Kompetenz einen »gerechten« Anspruch hätte – wie es etwa in der individualistischen Vorstellung der »Menschenrechte« geschehen ist. In Wirklichkeit ist Recht doch nur ein Verhältnis von Menschen untereinander und vollzieht sich nur an den Interessen, Objekten oder Machtvollkommenheiten, die wir einen Rechtsinhalt, »ein Recht« im engeren Sinne nennen und die an und für sich überhaupt keine angebbare, ihnen selbst anzusehende »gerechte« oder »ungerechte« Beziehung zu einem Individuum haben. Erst wenn jenes Verhältnis besteht und sich zu Normen gefestigt hat, können diese von sich aus, einen einzelnen Menschen und einen einzelnen Inhalt gleichsam zusammen ergreifend, die Verfügungsgewalt jenes über diesen als eine gerechte charakterisieren. So kann es allerdings einen gerechten Geldpreis für eine Ware geben; aber nur als Ausdruck eines bestimmten, nach allen Seiten hin ausgeglichenen Tauschverhältnisses zwischen dieser und allen anderen Waren, nicht aber als Folge des inhaltlichen Wesens der Ware für sich und der Geldsumme für sich, die sich so vielmehr ganz beziehungslos, jenseits von gerecht und ungerecht gegenüberstehen.

Daß die Bedeutung des Geldes, die wirtschaftliche Relativität der Objekte in sich darzustellen – wovon seine praktischen Funktionen abzweigen –, nicht als fertige Wirklichkeit dasteht, sondern wie alle historischen Gebilde seine Erscheinung erst allmählich zu der Reinheit des Begriffes aufläutert, den wir als seinen Beruf und seine Stellung gleichsam im Reiche der Ideen denken – das findet sein Gegenstück darin, daß man von allen Waren sagen konnte, sie seien in gewissem Sinne Geld. Jeder Gegenstand b, der gegen a, und von seinem nunmehrigen Besitzer gegen c vertauscht wird, spielt insofern, jenseits seiner Dingqualitäten, die Rolle des Geldes: es ist der Ausdruck der Tatsache, daß b, a und c gegeneinander vertauschbar sind und des Maßes, in dem sie es sind. Dies geschieht mit unzähligen Gegenständen und tatsächlich sehen wir, je weiter wir in der Kulturentwicklung zurückgehen, eine um so größere Zahl ganz verschiedenartiger Objekte die Funktion des Geldes in vollkommenerer oder rudimentärerer Art ausüben. Solange die Gegenstände noch in natura aneinander gemessen, bzw. gegeneinander ausgetauscht werden, befinden sich ihre subjektiven und ihre wirtschaftlich-objektiven Qualitäten, ihre absolute und ihre relative Bedeutung noch in ungeschiedenem Zustande; sie hören in demselben Maße auf, Geld zu sein oder sein zu können, in dem das Geld aufhört, Gebrauchsware zu sein. Das Geld wird immer mehr zu einem Ausdrucke des wirtschaftlichen Wertes, weil dieser selbst nichts ist, als die Relativität der Dinge als untereinander tauschbarer, diese Relativität aber ihrerseits an den zum Geld werdenden Objekten mehr und mehr Herr über deren sonstige Qualitäten wird, bis sie schließlich nichts anderes als die substanzgewordene Relativität selbst sind.

Wenn der Weg zum Gelde vom Naturaltausch ausgeht, so ist, noch innerhalb des letzteren, seine Richtung erst dann eingeschlagen, wenn man ein einheitliches Objekt nicht gegen ein anderes einheitliches, sondern gegen eine Mehrheit anderer tauscht. Wenn eine Kuh für einen Sklaven, ein Gewand für einen Talisman, ein Boot für eine Waffe gegeben wird, so ist der Prozeß der Wertabwägung noch ein völlig ungebrochener, er erfolgt nicht durch Reduktion der Objekte auf einen Generalnenner, als dessen gleiche Vielfache jene erst zu berechnen wären. Nimmt man indes eine Hammelherde für ein Haus, zehn behauene Balken für ein Schmuckstück, drei Maß Getränke für eine Arbeitshilfe, so ist die Einheit dieser Komplexe, der Hammel, der Balken, das Maß Getränk der gemeinsame Maßstab, dessen Vielfaches sich, verschieden geformt, in dem einen wie in dem anderen Tauschobjekt findet. Bei unteilbaren Gegenständen verläßt das Wertgefühl psychologisch nicht so leicht die festumschriebene Einheit des einzelnen. Sobald aber darum gefeilscht wird, ob das Schmuckstück nicht vielleicht zwölf oder nicht vielleicht nur acht Balken wert sei, wird auch der Wert des Schmuckes, trotz dessen äußerer Unzerlegbarkeit, durch den Wert eines Balkens gemessen, und es erscheint möglich, ihn aus dem Achtfachen, dem Zwölffachen und schließlich dem Zehnfachen dieses letzteren zusammenzusetzen. Dadurch wird der Wert beider Tauschgegenstände in ganz anderem Sinne gegeneinander kommensurabel, als wo keine derartige Zerlegung des einen Tauschobjekts beide dem Werte nach durch eine und dieselbe Einheit ausdrückbar machte. Im Tausch gegen Geld ist diese Kombination nur auf ihre höchste Form gebracht, Geld ist dasjenige teilbare Tauschobjekt, dessen Einheit sich für den Wert jedes noch so unteilbaren Gegenobjekts kommensurabel erweist und dadurch die Lösung des abstrakten Wertes in diesem von seiner Fesselung an seinen konkret-speziellen Inhalt erleichtert, oder auch: sie voraussetzt. Die Relativität der Wirtschaftsobjekte gegeneinander, die bei dem Tausch von Unteilbarkeiten psychologisch schwerer erkannt wird – weil hier jeder sozusagen einen in sich geschlossenen Wert besitzt – tritt durch die Zurückführung auf einen gemeinsamen Wertnenner, zuhöchst also auf das Geld, größer hervor.

Wir sahen früher, daß erst die Relativität den Wert der Objekte im objektiven Sinne schafft, weil erst durch sie die Dinge in eine Distanz vom Subjekt gestellt werden. Auch für diese beiden Bestimmungen ist das Geld Gipfel und Verkörperung, damit ihren Zusammenhang aufs neue beweisend. Indem das Geld niemals unmittelbar genossen werden kann (die später zu behandelnden Ausnahmen negieren sein eigentliches Wesen!), entzieht es sich selbst jeder subjektiven Beziehung; das Jenseits des Subjekts, das der wirtschaftliche Verkehr überhaupt darstellt, ist in ihm vergegenständlicht, und es hat deshalb auch von allen Inhalten desselben die sachlichsten Usancen, die logischsten, bloß mathematischen Normen, die absolute Freiheit allem Persönlichen gegenüber in sich ausgebildet. Weil es bloß das Mittel für die eigentlich assimilierbaren Objekte ist, steht es seinem inneren Wesen nach in einer nicht aufzuhebenden Distanz zu dem begehrenden und genießenden Ich; und insofern es das unentbehrliche Mittel ist, das sich zwischen dieses und die Objekte schiebt, rückt es auch die letzteren in eine Distanz von uns; es hebt zwar diese selbst wieder auf, aber indem es dies tut, und jene dem subjektiven Verbrauch übermittelt, entzieht es sie eben dem objektiv wirtschaftlichen Kosmos. Der Abstand, der das Subjektive und das Objektive aus ihrer ursprünglichen Einheit voneinandergetrieben hat, ist im Geld sozusagen körperhaft geworden – während andrerseits sein Sinn ist, getreu der oben behandelten Korrelation von Distanz und Nähe, uns das sonst Unerreichbare nahe zu bringen. Die Tauschbarkeit, durch die es überhaupt erst wirtschaftliche Werte gibt, indem diese durch jene ihr objektives Füreinandersein erhalten, und die doch die Entfernung des Ausgetauschten und die Annäherung des Eingetauschten in einem Akt zusammenschließt, hat in dem Gelde nicht nur ihr technisch vollendetstes Mittel, sondern eine eigne, konkrete, alle Bedeutungen jener in sich sammelnde Existenz gewonnen.

Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: daß es innerhalb der praktischen Welt die entschiedenste Sichtbarkeit, die deutlichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein ausmacht.

Es gehört zu den Grundtatsachen der seelischen Welt, daß wir Verhältnisse zwischen mehreren Elementen des Daseins in besonderen Gebilden verkörpern; diese sind freilich auch substanzielle Wesen für sich, aber ihre Bedeutung für uns haben sie nur als Sichtbarkeit eines Verhältnisses, das in loserer oder engerer Weise an sie gebunden ist. So ist der Ehering, aber auch jeder Brief, jedes Pfand, wie jede Beamtenuniform Symbol oder Träger einer sittlichen oder intellektuellen, einer juristischen oder politischen Beziehung zwischen Menschen, ja, jeder sakramentale Gegenstand das substanziierte Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Gott; die Telegraphendrähte, die die Länder verbinden, sind nicht weniger als die militärischen Waffen, die ihre Entzweiung ausdrücken, derartige Substanzen, die kaum eine Bedeutung für den Einzelmenschen als solchen, sondern einen Sinn nur in den Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen haben, die in ihnen kristallisiert sind. Gewiß kann die Vorstellung der Beziehung oder des Verhältnisses schon als eine Abstraktion gelten, insofern nur die Elemente real sind, deren wechselseitig bewirkte Zustände wir so zu eignen Begriffen zusammenfassen; erst die metaphysische Vertiefung, die das Erkennen in seiner empirischen Richtung, aber über seine empirischen Grenzen hinaus verfolgt, mag auch diese Zweiheit aufheben, indem sie überhaupt keine substanziellen Elemente mehr bestehen läßt, sondern jedes derselben in Wechselwirkungen und Prozesse auflöst, deren Träger demselben Schicksal unterworfen werden. Das praktische Bewußtsein aber hat die Form gefunden, um die Vorgänge der Beziehung oder der Wechselwirkung, in der die Wirklichkeit verläuft, mit der substanziellen Existenz zu vereinigen, in die die Praxis eben die abstrakte Beziehung als solche kleiden muß. Jene Projizierung bloßer Verhältnisse auf Sondergebilde ist eine der großen Leistungen des Geistes, indem in ihr der Geist zwar verkörpert wird, aber nur um das Körperhafte zum Gefäß des Geistigen zu machen und diesem damit eine vollere und lebendigere Wirksamkeit zu gewähren. Mit dem Gelde hat die Fähigkeit zu solchen Bildungen ihren höchsten Triumph gefeiert. Denn die reinste Wechselwirkung hat in ihm die reinste Darstellung gefunden, es ist die Greifbarkeit des Abstraktesten, das Einzelgebilde, das am meisten seinen Sinn in der Übereinzelheit hat; und so der adäquate Ausdruck für das Verhältnis des Menschen zur Welt, die dieser immer nur in einem Konkreten und Singulären ergreifen kann, die er aber doch nur wirklich ergreift, wenn dieses ihm zum Körper des lebendigen, geistigen Prozesses wird, der alles Einzelne ineinander verwebt und so erst aus« ihm die Wirklichkeit schafft. Diese Bedeutung seiner würde sich nicht ändern, auch wenn die Gegenstände der Wirtschaft die Relativität ihres Wertes nicht von vornherein, sondern erst als ein Entwicklungsziel besäßen. Denn den Begriff, mit dem wir das Wesen einer Erscheinung definieren, können wir häufig gar nicht aus ihr selbst, sondern nur aus einer vorgeschritteneren und reineren schöpfen. Das Wesen der Sprache werden wir nicht den ersten Stammellauten des Kindes entnehmen; an einer Definition des tierischen Lebens wird es uns nicht irre machen, wenn sie an den Übergangswesen von der Pflanze her nur sehr unvollkommen verwirklicht ist; erst an den höchsten Erscheinungen des Seelenlebens erkennen wir oft den Sinn seiner niederen, trotzdem wir ihn an diesen selbst vielleicht überhaupt nicht nachweisen können; ja, der reine Begriff einer Erscheinungsreihe ist oft ein Ideal, das in ihr selbst nirgends restlos verwirklicht ist, aber dennoch dadurch, daß sie ihm zustrebt, ihren Sinn und Gehalt gültig deutet. So ist die Bedeutung des Geldes: die Relativität der begehrten Dinge, durch die sie zu wirtschaftlichen Werten werden, in sich darzustellen – dadurch nicht verneint, daß es noch andere, jene herabsetzende und verundeutlichende Seiten besitzt. Insofern diese an ihm wirken, ist es eben nicht Geld. Wenn der wirtschaftliche Wert in dem Tauschverhältnis von Objekten gemäß unserer subjektiven Reaktion auf sie besteht, so entwickelt sich eben ihre wirtschaftliche Relativität erst allmählich aus ihrer anderweitigen Bedeutung und kann in ihrem Gesamtbilde, oder auch Gesamtwerte, nie völlig über diese Herr werden. Der Wert, der den Dingen durch ihre Tauschbarkeit zuwächst, bzw. diese Metamorphose ihres Wertes, durch die er zu einem wirtschaftlichen wird, tritt zwar mit der extensiven und intensiven Steigerung der Wirtschaft immer reiner und mächtiger an den Dingen hervor – eine Tatsache., die Marx als das Ausgeschaltetwerden des Gebrauchswertes zugunsten des Tauschwertes in der warenproduzierenden Gesellschaft ausdrückt –, aber diese Entwicklung scheint nie zu ihrer Vollendung kommen zu können. Nur das Geld, seinem reinen Begriff nach, hat diesen äußersten Punkt erreicht, es ist nichts als die reine Form der Tauschbarkeit, es verkörpert das Element oder die Funktion an den Dingen, durch die sie wirtschaftliche sind, die zwar nicht ihre Totalität, wohl aber die seine ausmacht. Inwieweit nun die historische Verwirklichung des Geldes diese Idee seiner darstellt, und ob es nicht in jener noch mit einem Teil seines Wesens nach einem anderen Zentrum gravitiert – sollen die Untersuchungen des nächsten Kapitels darstellen.


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