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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Petronius ging achselzuckend und höchst mißgestimmt nach Hause. Es war ihm jetzt klar geworden, daß Vinicius und er aufgehört hatten, einander zu verstehen, und daß ihre Anschauungen weit auseinandergingen. Einst hatte Petronius einen überwältigenden Eindruck auf den jungen Offizier ausgeübt. In allem war er sein Vorbild gewesen, und oft genügten einige ironische Worte von seiner Seite, um Vinicius von etwas abzuhalten oder zu etwas zu bestimmen. Jetzt war es damit aus, und zwar so vollständig, daß sich Petronius seiner früheren Hilfsmittel gar nicht mehr bediente, denn er fühlte, daß sein Witz und seine Ironie ohne jede Wirkung an den neuen Grundsätzen abgleiten würden, die die Liebe und die Berührung mit der rätselhaften christlichen Welt Vinicius in die Seele gepflanzt hatten. Der erfahrene Skeptiker erkannte, daß er den Schlüssel zu dieser Seele verloren habe. Dies erfüllte ihn mit Mißmut, ja sogar mit Furcht, die durch die Ereignisse dieser Nacht noch gesteigert wurde. »Wenn es seitens der Augusta keine vorübergehende Laune, sondern ein ernstlicher Wunsch ist,« dachte Petronius, »so muß einer von zwei Fällen eintreten: entweder leistet Vinicius ihr keinen Widerstand und wird dann vielleicht durch einen Zufall ins Verderben gestürzt werden, oder, was ihm heute ähnlich sieht, er wird sie abweisen und dann sicher zugrunde gehen und mit ihm möglicherweise auch ich, wenn auch nur deswegen, weil ich sein Oheim bin; denn die Augusta wird die ganze Familie mit ihrem Haß verfolgen und ihren Einfluß für Tigellinus geltend machen …« In beiden Fällen stand die Sache schlimm. Petronius war ein mutiger Mann und fürchtete den Tod nicht; da er aber von diesem nichts erwartete, wünschte er ihn auch nicht zu beschleunigen. Nach langem Nachdenken gelangte er zu der Überzeugung, es sei das beste und sicherste, Vinicius durch eine Reise aus Rom zu entfernen. Ach, wenn er ihm nur Lygia mit auf den Weg geben könnte, so würde sich jener mit Freuden dazu entschließen. Aber auch so hoffte er, daß es nicht allzu schwer halten werde, ihn dazu zu überreden. Dann würde er auf dem Palatin die Nachricht von Vinicius' Erkrankung verbreiten und dadurch die Gefahr sowohl von ihm wie von sich selbst abwenden. Die Augusta wußte ja nicht, ob Vinicius sie erkannt habe; sie vermutete vielleicht, daß dies nicht der Fall gewesen sei, weil ihre Eitelkeit noch nicht allzu sehr darunter gelitten hatte. In Zukunft konnte sich aber die Sache anders gestalten, und dem mußte man vorbeugen. Petronius wünschte vor allem Zeit zu gewinnen, denn es war klar, daß, wenn der Caesar einmal in Achaja war, Tigellinus, der nichts von Kunst verstand, in den Hintergrund treten und seinen Einfluß verlieren werde. In Griechenland war Petronius seines Sieges über alle seine Nebenbuhler gewiß.

Inzwischen wollte er Vinicius überwachen und ihn zur Reise drängen. Mehrere Tage lang schwebte ihm sogar der Gedanke vor, daß, wenn er vom Caesar ein Edikt erwirke, das die Christen aus Rom verbanne, Lygia die Stadt zugleich mit den anderen Bekennern Christi verlassen und Vinicius ihr später folgen könne. Einer Überredung bedurfte es dann nicht mehr. Die Sache selbst schien möglich. Es war noch nicht lange her, daß die Juden aus Haß gegen die Christen Unruhen angezettelt hatten, und da der Caesar Claudius keinen Unterschied zwischen beiden machte, hatte er die Juden ausgewiesen. Warum sollte Nero nun nicht die Christen vertreiben? In Rom würde dann mehr Platz werden. Seit jenem »schwimmenden Feste« sah Petronius den Caesar täglich auf dem Palatin wie in anderen Häusern. Ihm einen solchen Gedanken nahezulegen, war leicht; denn Nero widersetzte sich nie einer Einflüsterung, die über jemand Leid oder Verderben brachte. Nach reiflicher Überlegung legte sich Petronius den ganzen Plan zurecht. Er wollte in seinem Hause ein Fest geben und bei dieser Gelegenheit den Caesar zur Erlassung dieses Ediktes überreden. Er hegte sogar die nicht unwahrscheinliche Hoffnung, daß der Caesar ihm die Ausführung übertragen werde. Dann konnte er Lygia mit aller der Geliebten seines Neffen gebührenden Rücksicht zum Beispiel nach Bajae senden; hier konnten sie sich dann lieben und sich über die christliche Religion unterhalten, so viel sie wollten.

Mittlerweile besuchte er Vinicius häufig, einmal, weil er trotz all seiner römischen Selbstsucht sich des Wohlwollens gegen diesen nicht entschlagen konnte, dann aber auch, um ihn zur Reise zu überreden. Vinicius schützte Krankheit vor und erschien nicht auf dem Palatin, wo jeden Tag andere Pläne geschmiedet wurden. Endlich hörte Petronius eines Tages aus des Caesars eigenem Munde, daß er in drei Tagen bestimmt nach Antium gehen werde. Gleich am folgenden Morgen begab er sich mit dieser Nachricht zu Vinicius. Dieser zeigte ihm eine Liste der nach Antium eingeladenen Personen, die ihm soeben ein Freigelassener des Caesars überbracht hatte.

»Mein Name steht darauf,« sagte er, »und auch der deine. Du wirst bei deiner Rückkehr ebenfalls eine solche Liste vorfinden.«

»Wäre ich nicht unter den Geladenen,« entgegnete Petronius, »so würde das bedeuten, daß mein Tod beschlossen sei; ich glaube aber nicht, daß sich dies noch vor der Reise nach Achaja ereigne. Nero braucht mich dort zu dringend.«

Dann sah er die Liste durch und fuhr fort: »Kaum sind wir in Rom angelangt, so müssen wir es schon wieder verlassen und uns nach Antium begeben. Aber wir müssen! das ist nicht nur eine Einladung, es ist zugleich ein Befehl.«

»Und wenn jemand nicht gehorchte?«

»Dann würde eine Einladung anderer Art an ihn ergehen, sich nämlich zu einer bedeutend weiteren Reise bereit zu machen, von der es keine Wiederkehr gibt. Wie schade, daß du meinen Rat nicht befolgt und Rom verlassen hast, solange es noch Zeit war. Jetzt mußt du nach Antium.«

»Jetzt muß ich nach Antium. Du siehst nun, in welchen Zeiten wir leben und was für elende Sklaven wir sind!«

»Merkst du das erst heute?«

»Nein. Aber du weißt, du bewiesest mir neulich, daß die christliche Religion eine Feindin des Lebens sei, weil sie ihm Fesseln anlege. Können diese aber schwerer sein als die, welche wir tragen? Du sagtest: Griechenland hat die Weisheit und die Schönheit hervorgebracht, Rom die Macht. Wo ist nun unsere Macht?«

»Laß dir Chilon holen. Ich habe heute keine Lust zum Philosophieren. Beim Herkules! Nicht ich habe diese Zeiten geschaffen, und ich bin für sie nicht verantwortlich. Sprechen wir jetzt von Antium. Sei überzeugt, es erwartet dich dort eine große Gefahr, und es dürfte wahrscheinlich besser für dich sein, dich mit diesem Ursus zu messen, der Kroton erwürgt hat, als dorthin zu gehen; und doch mußt du unbedingt hin.«

Vinicius machte eine gleichgültige Handbewegung und sagte: »Gefahr! Wir alle stehen im Schatten des Todes, und jeden Augenblick sinkt ein Haupt in das Dunkel hinab.«

»Soll ich dir alle aufzählen, die sich ein bißchen gesunden Menschenverstand bewahrt haben und daher trotz der Zeiten eines Tiberius, Caligula, Claudius und Nero achtzig bis neunzig Jahre alt geworden sind? Nimm dir sie zum Beispiel an, und wenn es auch nur ein Mann wäre wie Domitius Afer. Er ist in Ruhe gealtert, obgleich sein ganzes Leben mit Gemeinheit und Lasterhaftigkeit ausgefüllt war.«

»Vielleicht darum! vielleicht ebendarum!« entgegnete Vinicius.

Dann nahm er das Verzeichnis zur Hand und las: »Tigellinus, Vatinius, Sextus Africanus, Aquillinus, Regulus, Suilius Nerulinus, Eprius Marcellus und so weiter! Welch eine Versammlung von Schuften und Spitzbuben … Und zu denken, daß diese Leute die Welt regieren! … Würde es nicht eine geeignetere Beschäftigung für sie sein, irgend einen syrischen oder ägyptischen Götzen in den Dörfern für Geld zu zeigen, auf der Leier zu klimpern und sich ihr tägliches Brot durch Wahrsagerei oder Tanzen zu verdienen?«

»Oder abgerichtete Affen, rechnende Hunde oder einen flötespielenden Esel sehen zu lassen,« fügte Petronius hinzu. »Alles das stimmt. Aber wir haben Wichtigeres zu besprechen. Ich habe auf dem Palatin erzählt, du seiest krank und könntest das Haus nicht verlassen, und trotzdem steht dein Name auf der Liste. Dies ist ein Beweis dafür, daß man meinen Worten nicht geglaubt und es absichtlich getan hat. Nero kümmert sich nicht darum, denn du bist in seinen Augen ein Soldat, mit dem er sich höchstens im Zirkus über Pferde unterhalten könnte, der aber keine Ahnung von Musik oder Poesie hat. Es muß daher Poppaeas Wunsch gewesen sein, deinen Namen auf die Liste zu setzen, und das bedeutet, daß ihr Verlangen nach dir keine vorübergehende Laune gewesen ist und daß sie es darauf anlegt, dich zu gewinnen.«

»Die Augusta besitzt Mut!«

»Freilich besitzt sie den und wird dich ohne Gnade ins Verderben stürzen. Möge ihr Venus sobald wie möglich Liebe zu einem anderen Manne einhauchen! Solange sie aber nach dir Verlangen trägt, mußt du die größte Vorsicht beobachten. Sie fängt bereits an, den Rotbart zu langweilen, er zieht ihr schon Rubria oder Pythagoras vor, aber schon seiner Eitelkeit willen würde er die furchtbarste Rache an uns nehmen.«

»Im Haine wußte ich nicht, daß Poppaea es war, die mit mir sprach, aber du hörtest ja zu und weißt, daß ich ihr antwortete, ich liebte eine andere und verlangte nicht nach ihr.«

»Und ich beschwöre dich bei allen Göttern der Unterwelt, verliere nicht noch den Rest von Vernunft, den dir die Christen gelassen haben. Wie kannst du schwanken, wo du nur die Wahl zwischen wahrscheinlichem und sicherem Verderben hast? Habe ich dir nicht schon gesagt, daß es keine Rettung für dich gäbe, wenn du die Eitelkeit der Augusta verletzt hättest? Beim Hades! wenn dir das Leben zuwider ist, so ist es besser für dich, du öffnest dir die Adern oder stürzest dich in dein Schwert; denn wenn du Poppaea beleidigst, so harrt deiner ein minder leichter Tod. Früher war leichter mit dir zu reden. Was willst du eigentlich? Was würde dir abgehen? Würde dich das hindern, deine Lygia zu lieben? Bedenke außerdem, daß Poppaea das Mädchen aus dem Palatin gesehen hat und daß es ihr nicht schwer fallen wird, zu erraten, welcher Frau willen du eine so hohe Gunst verschmähtest. Und dann wird sie Lygia in ihre Gewalt bekommen, und wenn sie sich unter der Erde versteckte. Du richtest nicht allein dich zugrunde, sondern auch Lygia – verstehst du?«

Vinicius hörte mit einer Miene zu, als denke er an etwas ganz anderes, und sagte endlich: »Ich muß sie sehen.«

»Wen? Lygia?«

»Ja.«

»Weißt du, wo sie ist?«

»Nein.«

»Du willst also von neuem anfangen, sie auf alten Friedhöfen und jenseit des Tiber zu suchen?«

»Ich weiß es nicht, aber ich muß sie sehen.«

»Gut. Wenn sie auch eine Christin ist, so wird sie vielleicht zeigen, daß sie mehr Verstand besitzt als du, und sie wird es bestimmt, wenn sie nicht dein Verderben will.«

Vinicius zuckte die Achseln.

»Sie hat mich aus Ursus' Händen gerettet.«

»In diesem Falle beeile dich, denn der Rotbart wird seine Reise nicht verschieben. Todesurteile können auch aus Antium kommen.«

Aber Vinicius hörte nicht auf ihn. Nur ein Gedanke beherrschte ihn, der an das Wiedersehen mit Lygia und er dachte über die Mittel und Wege nach, zu seinem Ziel zu gelangen. Da trat ein Umstand ein, der jede Schwierigkeit zu beseitigen versprach. Am nächsten Morgen kam Chilon ganz unerwartet zu ihm.

Er trat ein, elend und abgerissen, verhungerten Gesichts und in Lumpen gehüllt. Die Diener, welche früher den Befehl hatten, ihn zu jeder Tages- und Nachtstunde vorzulassen, hatten nicht gewagt, ihn zurückzuhalten, so daß er geradeswegs bis ins Atrium gelangte; hier begrüßte er Vinicius mit den Worten: »Mögen dir die Götter Unsterblichkeit verleihen und die Herrschaft über die Welt mit dir teilen.«

Vinicius hatte im ersten Augenblick Lust, ihn zur Tür hinauswerfen zu lassen. Aber es fiel ihm ein, daß der Grieche vielleicht etwas von Lygia wissen könne, und die Neugierde überwand seinen Ekel.

»Du bist es?« fragte er. »Wie geht es dir?«

»Schlecht, o Sohn Jupiters,« erwiderte Chilon. »Echte Tugend ist eine Ware, die niemand mehr verlangt, und ein wahrer Philosoph muß froh sein, wenn er soviel hat, daß er sich einmal in fünf Tagen beim Schlächter einen Hammelkopf kaufen, ihn in seiner Dachkammer verzehren und mit seinen Tränen hinunterspülen kann. Ach, Herr! Alles, was du mir gabst, bezahlte ich bei Atractus für Bücher, und dann wurde ich beraubt und zugrunde gerichtet; die Sklavin, die meine Weisheit niederschreiben sollte, entfloh und nahm den Rest dessen, was deine Großmut mir schenkte, mit sich. Ich leide Not, aber ich dachte bei mir: zu wem soll ich gehen, wenn nicht zu dir, Serapis, den ich liebe und vergöttere und für den ich mein Leben gewagt habe?«

»Weshalb bist du zu mir gekommen, und was bringst du mir?«

»Ich komme mit der Bitte um Hilfe, Baal, und ich bringe dir mein Elend, meine Tränen, meine Liebe und schließlich eine Nachricht, die ich aus Liebe zu dir eingezogen habe. Du entsinnst dich, Herr, was ich dir seinerzeit mitteilte, daß ich einer Sklavin des göttlichen Petronius einen Faden aus dem Gürtel der Aphrodite von Paphos verkauft habe? … Ich erfuhr, daß er ihr geholfen hat, und du, Sohn der Sonne, der du weißt, was in jenem Hause vorgeht, weißt auch, was jetzt Eunike dort ist. Ich habe noch einen solchen Faden für dich aufbewahrt, Herr!«

Er hielt inne, da er den Zorn bemerkte, der sich in Vinicius' zusammengezogenen Brauen kundtat, und sagte rasch, um einem Ausbruch zuvorzukommen: »Ich weiß, wo die göttliche Lygia wohnt, Herr, und werde dir Straße und Haus zeigen.«

Vinicius verbarg die Aufregung, die diese Nachricht in ihm hervorrief, und fragte: »Wo ist sie?«

»Bei Linus, dem Oberpriester der Christen. Sie ist dort zugleich mit Ursus; der geht wie früher zu dem Müller, der sich so nennt wie dein Hausverwalter, Herr, Demas … Ja, Demas. Ursus arbeitet des Nachts; wenn du daher zur Nachtzeit das Haus umzingeln ließest, würde er nicht zugegen sein … Linus ist alt … und außer ihm befinden sich im Hause nur zwei Frauen, die noch älter sind als er.«

»Woher weißt du dies alles?«

»Du entsinnst dich, Herr, daß die Christen mich in ihrer Gewalt hatten und meiner schonten. Glaukos ist zwar der Meinung, ich sei schuld an seinem Unglücke, der arme Kerl hat es geglaubt und glaubt es noch, und dennoch haben sie meiner geschont. Wundere dich daher nicht, Herr, daß mir Dankbarkeit das Herz erfüllte. Ich bin ein Mann der alten guten Zeit. Daher dachte ich: darf ich meine Freunde und Wohltäter verlassen? Wäre es nicht hartherzig von mir gehandelt, wenn ich mich nicht nach ihnen erkundigte, nicht zu erfahren suchte, was aus ihnen geworden ist, wie es um ihre Gesundheit steht und wo sie wohnen? Bei der Kybele von Pessinus! ich wäre nicht dazu imstande. Anfangs hielt mich allerdings die Furcht ab, sie möchten meine Absichten falsch verstehen. Aber die Liebe, die ich für sie empfand, erwies sich stärker als die Furcht, und die Leichtigkeit, mit der sie jede Kränkung verzeihen, machte mir vollends Mut. Vor allem aber dachte ich an dich, Herr. Unser letzter Versuch endete mit einer Niederlage; kann aber ein solcher Lieblingssohn Fortunas, wie du einer bist, sich mit diesem Gedanken befreunden? Daher bereitete ich dir einen Sieg vor. Das Haus steht allein. Du kannst deinen Sklaven Befehl geben, es zu umstellen, so daß keine Maus zu entschlüpfen vermag. O Herr, Herr! auf dich allein kommt es an, ob du diese hochherzige Königstochter noch heut nacht in deinem Hause hast. Erreichst du aber dein Ziel, so erinnere dich, daß dir der äußerst arme und bedürftige Sohn meines Vaters dazu verholfen hat.«

Vinicius stieg das Blut zu Kopfe. Die Versuchung drang noch einmal mit ganzer Kraft auf ihn ein. Ja, das war das Mittel und diesmal ein sicheres Mittel. Wenn sich Lygia einmal in seinem Hause befand, wer konnte sie ihm dann noch entreißen? Wenn er Lygia einmal zu seiner Geliebten gemacht hatte, was blieb ihr anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen? Möchten doch alle Religionen vom Erdboden verschwinden! Was würde er sich dann noch um die Christen, um ihre Nächstenliebe und ihre düstere Religion kümmern? War es nicht Zeit, sich von alledem freizumachen? war es nicht Zeit, das Leben zu genießen, wie alle es taten? Und was konnte Lygia dann tun, als ihr Schicksal mit ihrer Religion, so gut es ging, in Einklang zu setzen? Das war aber eine Frage von geringerer Bedeutung. Das waren gleichgültige Fragen. Vor allem mußte sie die seine werden, und zwar heut noch. Auch war es noch zweifelhaft, ob diese Religion in ihrer Seele standhalten würde gegenüber dieser neuen Welt, gegenüber den Genüssen und Ergötzungen, die ihr winkten. Und es konnte heut noch geschehen! Er brauchte nur Chilon bei sich zu behalten und am Abend seine Befehle zu erteilen. Und dann Wonne ohne Ende! »Was war mein Leben bisher?« dachte Vinicius, »Leiden, ungestilltes Sehnen und ein beständiges Fragen, ohne eine Antwort zu finden.« Aus diese Weise würde sich alles mit einem Schlage erledigen. Er erinnerte sich zwar, geschworen zu haben, nicht mehr die Hand nach ihr auszustrecken. Aber bei wem hatte er geschworen? Nicht bei den Göttern, an die er nicht mehr glaubte, nicht bei Christus, an den er noch nicht glaubte. Sollte sie sich schließlich beschimpft fühlen, so konnte er sie ja heiraten und so die ihr zugefügte Kränkung wieder gutmachen. Ja, dazu fühlte er sich verpflichtet, denn sie hatte ihm das Leben gerettet. Er erinnerte sich jenes Tages, an dem er mit Kroton in ihre Wohnung eingedrungen war, er erinnerte sich, wie sich Ursus' Faust gegen ihn erhob, und alles Folgenden. Wieder erblickte er sie über sein Lager gebeugt, im Gewande einer Sklavin, schön wie eine Göttin, gütig und anbetenswert. Seine Augen suchten unwillkürlich das Lararium und das Kreuz, das sie ihm bei ihrem Weggange zurückgelassen hatte. Sollte er ihr dies alles mit einem neuen Angriff vergelten? Sollte er sie wie eine Sklavin an den Haaren ins Cubiculum schleppen? Und wie konnte er dies tun, da er sie nicht nur begehrte, sondern sie liebte und ebendeshalb liebte, weil sie so war, wie sie war? Plötzlich fühlte er, daß es nicht genug sei, sie in seinem Hause zu haben, sie mit Gewalt in seine Arme zu pressen, sondern daß seine Liebe noch etwas Höheres nötig habe: ihre Hingebung, ihre Liebe und ihre Seele. Gesegnet sein Haus, wenn sie freiwillig einzöge, gesegnet die Stunde, gesegnet der Tag, gesegnet sein ganzes Leben! Dann würde ihr gemeinschaftliches Glück unerschöpflich sein wie das Meer und wie die Sonne. Aber sie mit Gewalt entführen, hieße dieses Glück für immer vernichten und das beschimpfen und besudeln, was ihm das Teuerste und Liebste auf Erden war.

Schaudern faßte ihn jetzt bei dem bloßen Gedanken daran. Er blickte auf Chilon, der ihn scharf beobachtete, die Hände unter seine Lumpen steckte und sie unruhig hin und her bewegte. Ein unsäglicher Widerwille stieg in ihm auf nebst dem Wunsche, diesen früheren Helfershelfer zu zertreten, wie einen häßlichen Wurm oder eine giftige Schlange. Im nächsten Augenblicke wußte er schon, was er zu tun habe. Da er aber in keiner Hinsicht Maß zu halten wußte, und den Antrieben seiner unerbittlichen Römernatur folgte, so wandte er sich an Chilon und sagte: »Ich werde nicht tun, was du mir anrätst; damit du jedoch nicht ohne Belohnung ausgehst, werde ich dir dreihundert Peitschenhiebe im Hausergastulum geben lassen.«

Chilon erblaßte. In Vinicius' schönem Gesicht lag eine so kalte Entschlossenheit, daß er keinen Augenblick die Hoffnung hegen konnte, der versprochene Lohn sei nur ein grausamer Scherz.

Er warf sich sofort auf die Kniee nieder, beugte sich bis zur Erde und seufzte mit gebrochener Stimme: »Wie, Perserkönig? Weshalb? … Pyramide der Gnade! Koloß des Mitleids! weshalb? … Ich bin alt, hungrig, bedürftig! … Ich habe dir gedient … Und so lohnst du mir? …«

»Wie du den Christen,« unterbrach ihn Vinicius und rief seinen Hausverwalter.

Chilon kroch bis an seine Füße heran, umklammerte sie krampfhaft und rief mit totenblassem Gesicht: »Herr, Herr! … Ich bin alt! Fünfzig, nicht dreihundert … Fünfzig sind genug … Hundert, nicht dreihundert … Erbarmen! Erbarmen!«

Vinicius stieß ihn mit dem Fuße von sich und gab den Befehl, ihn zu peitschen. Sofort erschienen zwei kräftige Quaden hinter dem Hausverwalter, ergriffen Chilon an dem Rest seiner Haare, wickelten ihm seine eigenen Lumpen um den Kopf und schleppten ihn ins Ergastulum.

»Im Namen Christi!« rief der Grieche in dem Eingang zum Korridor.

Vinicius blieb allein. Der erteilte Befehl kräftigte und belebte ihn wieder. Dann suchte er seine durcheinanderflutenden Gedanken zu sammeln und zu ordnen. Er fühlte große Erleichterung, und der Sieg, den er über sich selbst errungen hatte, erfüllte ihn mit Befriedigung. Es war ihm, als habe er sich Lygia um ein beträchtliches genähert und als könne er dafür einen Lohn erwarten. Im ersten Augenblicke fiel es ihm nicht einmal ein, welch schnöden Undankes er sich gegen Chilon schuldig mache, und daß er ihn für dieselbe Handlungsweise peitschen lasse, für die er ihn zuvor belohnt hatte. Er war noch zu sehr Römer, um fremden Schmerz mitzuempfinden und sein Mitleid an einen elenden Griechen zu verschwenden. Und selbst wenn er daran gedacht hätte, so hätte er recht zu tun geglaubt, wenn er einen solchen Schuft strafen ließ. Er dachte an Lygia und sprach zu ihr: »Ich will dir nicht Gutes mit Bösem vergelten, und wenn du einst erfährst, wie ich mit dem verfahren bin, der mich verleiten wollte, meine Hand nach dir auszustrecken, so wirst du mir dafür Dank wissen.« Dann aber fragte er sich, ob Lygia sein Verhalten gegen Chilon billigen könne. Die Religion, zu der sie sich bekennt, gebietet ja Verzeihung; und die Christen haben dem Elenden verziehen, trotzdem sie größere Veranlassung zur Rache hatten. Jetzt erst fand der Ruf: »Im Namen Christi!« einen Widerhall in seiner Seele. Er entsann sich, daß sich Chilon durch einen ähnlichen Ruf aus den Händen des Lygiers befreit hatte, und beschloß, ihm den Rest der Strafe zu erlassen.

In dieser Absicht wollte er gerade den Hausverwalter rufen lassen, als dieser schon vor ihm stand und sagte: »Herr, der alte Mann ist ohnmächtig geworden und ist vielleicht schon tot. Soll ich ihn weiter peitschen lassen?«

»Bringe ihn wieder zum Bewußtsein und dann führe ihn zu mir herein.«

Der Vorsteher des Atriums verschwand hinter dem Vorhang, aber die Wiederbelebung mußte langsam von statten gehen, denn Vinicius wartete noch lange Zeit und begann schon ungeduldig zu werden, als die Sklaven endlich Chilon hereinführten und auf einen Wink ihres Herrn sofort wieder verschwanden.

Chilon war blaß wie die Wand und zwischen seinen Füßen tröpfelten Blutstropfen auf das Mosaikpflaster des Atriums herab. Doch war er bei Bewußtsein, fiel vor Vinicius auf die Kniee und sprach mit ausgebreiteten Armen: »Ich danke dir, Herr! Du bist barmherzig und groß.«

»Hund,« entgegnete Vinicius, »wisse, daß ich dir um Christi willen vergeben habe, dem auch ich mein Leben verdanke.«

»Ich will ihm und dir dienen, Herr!«

»Schweige und höre mich an. Stehe auf! Du wirst mich begleiten und mir das Haus zeigen, in dem Lygia wohnt.«

Chilon sprang auf; aber kaum stand er auf den Füßen, als er noch blasser wurde und mit matter Stimme sprach: »Herr, ich habe wirklich Hunger … Ich will dich begleiten! Herr, ich will dich begleiten! Aber ich habe nicht die Kraft dazu! Laß mir nur den Rest des Hundefutters geben, und ich will mit dir gehen.«

Vinicius ließ ihm Essen, ein Goldstück und einen Mantel geben. Aber Chilon, den die Peitschenhiebe und der Hunger geschwächt hatten, konnte nicht das geringste zu sich nehmen, obgleich ihm vor Angst, Vinicius könne seine Schwäche als Widerspenstigkeit auffassen und ihn von neuem peitschen lassen, die Haare zu Berge standen.

»Laß mir nur etwas warmen Wein reichen, bitte,« sagte er zähneklappernd, »ich werde dann sofort gehen können, und sei es bis nach Großgriechenland.«

Nach einiger Zeit erholte er sich etwas, und beide verließen das Haus. Der Weg war weit, denn Linus wohnte wie die Mehrzahl der Christen jenseit des Tiber, nicht weit von Mirjams Hause. Endlich zeigte Chilon Vinicius ein kleines alleinstehendes Häuschen, das von einer mit Efeu bewachsenen Mauer umgeben war, und sagte: »Hier ist es, Herr.«

»Gut,« erwiderte Vinicius; »gehe jetzt weiter, aber höre zuvor, was ich dir sage: Vergiß, daß du mir gedient hast; vergiß, wo Mirjam, Petrus und Glaukos wohnen; vergiß ebenfalls dieses Haus und sämtliche Christen. Du wirst jeden Monat in mein Haus kommen, wo dir der Freigelassene Demas zwei Goldstücke geben wird. Solltest du jedoch weiter nach Christen spionieren, so werde ich dich wieder peitschen lassen oder dich dem Stadtpräfekten übergeben.«

Chilon verbeugte sich und sagte: »Ich will vergessen.«

Als aber Vinicius hinter die Straßenecke verschwunden war, streckte er die Arme nach ihm aus und rief, die Fäuste ballend: »Bei Ate und den Furien! das vergesse ich dir nicht.«

Dann fiel er von neuem in Ohnmacht.


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