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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Auf diesen Brief erhielt Vinicius keine Antwort, Petronius schrieb nicht, weil er augenscheinlich erwartete, der Caesar könne von Tag zu Tag die Rückkehr nach Rom befehlen. Das Gerücht davon hatte sich schon in der Stadt verbreitet und erregte große Freude beim Pöbel, der sich nach Spielen und der Verteilung von Getreide und Oliven sehnte, von welchen beiden Nahrungsmitteln große Mengen in Ostia aufgestapelt waren. Neros Freigelassener Helios verkündete endlich im Senat die Ankunft des Caesars. Doch reiste Nero, der sich samt seinem Hofe am Vorgebirge Misenum zu Schiff begeben hatte, nur langsam, da er in den Küstenstädten Halt machte, um auszuruhen oder im Theater aufzutreten. In Minturnae, wo er ebenfalls öffentlich sang, verweilte er längere Zeit und hatte sogar die Absicht, wieder nach Neapel zurückzukehren und dort das Nahen des Frühlings abzuwarten, der übrigens früher und wärmer eintrat als gewöhnlich. Diese ganze Zeit hindurch hielt sich Vinicius in seinem Hause eingeschlossen, in seinem Innern mit Lygia und all den neuen Ereignissen beschäftigt, welche seine ganze Seele ausfüllten und in ihr ganz neue Gedanken und Gefühle anregten. Nur der Arzt Glaukos kam von Zeit zu Zeit zu ihm, und seine Besuche verursachten Vinicius stets große Freude, da er mit ihm von Lygia sprechen konnte. Glaukos wußte allerdings nicht, wo sie sich verborgen hielt, versicherte ihm jedoch, daß die Ältesten sorgsam über sie wachten. Einmal sogar erzählte er, von Vinicius' Schmerze gerührt, der Apostel Petrus habe Crispus getadelt, daß er Lygia ihre irdische Liebe zum Vorwurf gemacht habe. Als der junge Patrizier dies hörte, wurde er blaß vor Erregung. Es war ihm mehr als einmal so vorgekommen, als sei er Lygia nicht gleichgültig, aber bald war er wieder in Zweifel und Ungewißheit zurückverfallen. Jetzt vernahm er nun zum erstenmal die Bestätigung seiner Wünsche und Hoffnungen aus dem Munde eines Fremden, noch dazu eines Christen. Im ersten Augenblicke wollte er voller Dankbarkeit zu Petrus eilen; als er aber erfuhr, dieser sei nicht in der Stadt, sondern lehre in der Umgegend, bat er Glaukos, ihn zu ihm zu führen, und versprach dafür den Armen in der Gemeinde reiche Gaben. Auch glaubte er, jetzt, wo Lygia ihn liebe, seien alle Hindernisse beseitigt, da er selbst jeden Augenblick bereit war, an Christus zu glauben. Obgleich Glaukos ihm eindringlich zuredete, sich taufen zu lassen, wagte er es nicht, ihm Lygias Besitz dafür in sichere Aussicht zu stellen, und erklärte ihm, er müsse die Taufe nur ihrer selbst und der Liebe Christi willen empfangen, nicht aber anderer Zwecke wegen. Man muß auch eine christliche Seele haben, sagte er ihm. Und obgleich Vinicius über jedes Hindernis in Harnisch geriet, fing er an zu begreifen, daß Glaukos als Christ so sprach, wie er sprechen mußte. Er konnte sich selbst keine klare Rechenschaft darüber ablegen, daß eine der tiefsten Umwandlungen seines Wesens darin bestand, daß er früher Menschen und Dinge nur vom Standpunkte seines Egoismus aus betrachtet hatte, jetzt aber allmählich zu der Auffassung gelangte, daß anderer Augen anders sehen, anderer Herzen anders empfinden könnten und daß Gerechtigkeit sich nicht immer mit persönlichem Vorteil decke.

Oft empfand er auch den Wunsch, Paulus von Tarsos zu sehen, dessen Worte ihn tief ergriffen und in Unruhe stürzten. Er legte sich im stillen die Gründe zurecht, mit denen er seine Lehre bekämpfen wollte, und disputierte mit ihm in Gedanken, wünschte ihn aber trotzdem zu sehen und zu hören. Paulus hielt sich jedoch in Aricium auf, und da nun auch Glaukos' Besuche immer seltener wurden, lebte Vinicius völlig einsam. Von neuem durchstreifte er jetzt die an die Subura stoßenden Gäßchen und die engen Straßen jenseits des Tiber in der Hoffnung, Lygia, wenn auch nur von weitem, zu sehen, und als auch diese Hoffnung ihn betrog, begannen Verdruß und Ungeduld sich seiner zu bemächtigen. Es kam schließlich die Zeit, in der sein früheres Wesen mit demselben Ungestüm wieder zum Durchbruch kam, mit dem eine Woge zur Zeit der Flut wieder an das Ufer anprallt, von dem sie bei der Ebbe zurückgewichen war. Er kam sich wie ein Narr vor, der sich unnötigerweise den Kopf mit Dingen anfüllte, die ihn traurig stimmten, anstatt sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Er beschloß, Lygia zu vergessen oder wenigstens Zerstreuung und Genuß abgesehen von ihr zu suchen. Er fühlte jedoch, dies war der letzte Versuch, und stürzte sich daher mit dem ganzen blinden, ihm eigenen Ungestüm in den Strudel dieses Lebens, das ihn selbst dazu einzuladen schien.

Die während des Winters ausgestorbene und menschenleere Stadt begann sich infolge der Hoffnung auf die bevorstehende Ankunft des Caesars wieder zu beleben. Ein feierlicher Empfang harrte des Herrschers. Zudem nahte der Frühling, auf den Abhängen der Albanerberge schmolz der Schnee unter dem Hauch der afrikanischen Winde, die Rasenflächen in den Gärten füllten sich mit Veilchen; die Fora und das Marsfeld wimmelten von Menschen, die sich in der immer heißer brennenden Sonne wärmten. Auf der Via Appia, dem gewöhnlichen Treffpunkte der eleganten Welt, hatte der Korso schön geschmückter Wagen begonnen. Auch unternahm man schon Ausflüge nach den Albanerbergen. Junge Frauen verließen unter dem Vorwande, der Juno in Lanuvium oder der Diana in Aricia opfern zu wollen, ihre Wohnungen, um Abenteuer, Gesellschaften, Versammlungen und Zerstreuungen in Rom aufzusuchen. Hier erblickte Vinicius eines Tages mitten unter den anderen herrschaftlichen Kutschen auch den prunkhaften Wagen der Geliebten des Petronius, Chrysothemis, dem zwei Molosserhunde vorausliefen. Sie war von einer ganzen Schar junger und alter Senatoren umringt, die durch ihr Amt in der Stadt zurückgehalten wurden. Chrysothemis lenkte selbst das korsische Viergespann, während sie nach allen Seiten lächelte und mit der goldenen Peitsche leicht die Pferde berührte. Bei Vinicius' Anblick hielt sie jedoch die Pferde an, forderte ihn auf, einzusteigen, und fuhr dann mit ihm nach Hause, zu einem Gelage, das bis zum frühen Morgen währte. Vinicius trank dabei soviel, daß er sich nicht einmal erinnern konnte, wann man ihn nach Hause gebracht hatte; er entsann sich nur, daß er in Zorn geraten war, als ihn Chrysothemis nach Lygia gefragt hatte, und ihr im Rausche einen Becher Falerner über den Kopf gegossen hatte. Bei der Erinnerung daran packte ihn, selbst als er nüchtern geworden war, noch die Wut. Am nächsten Tage besuchte ihn Chrysothemis, die offenbar den Vorfall vergessen hatte, in seiner Wohnung und fuhr mit ihm abermals auf die Appische Straße hinaus. Dann speiste sie bei ihm zu Abend und eröffnete ihm dabei, daß nicht nur Petronius, sondern auch sein Lautenspieler ihr schon längst gleichgültig geworden und daß ihr Herz augenblicklich frei sei. Zehn Tage ungefähr zeigten sie sich zusammen; aber das Verhältnis versprach keine lange Dauer. Obgleich Lygias Name seit jenes Auftritts beim Falerner nicht mehr erwähnt wurde, konnte Vinicius die Erinnerung an sie doch nicht loswerden. Er hatte beständig die Empfindung, als beobachte sie ihn, und dieses Gefühl erfüllte ihn beinahe mit Furcht. Er geriet in Zorn über sich selbst, daß er sich weder der Vorstellung, er betrübe Lygia, noch des Schmerzes, der ihn bei diesem Gedanken packte, erwehren konnte. Nach der ersten Eifersuchtsszene, die ihm Chrysothemis zweier syrischer Mädchen wegen, die er gekauft hatte, machte, trennte er sich in brutaler Weise von ihr. Er hörte allerdings nicht mit einem Schlage auf, Ausschweifungen zu begehen, sondern tat dies gleichsam Lygia zum Trotz. Endlich jedoch sah er ein, daß der Gedanke an sie ihn keinen Augenblick verlasse, daß sie allein die Urheberin seiner schlechten sowohl wie guten Handlungen sei und daß außer ihr ihm in der Tat nichts auf der Welt Interesse einflößte. Dann erfaßte ihn Ekel und Überdruß. Die Genüsse des Lebens erregten ihm Widerwillen und hinterließen in ihm nur Abscheu davor. Er kam sich erbärmlich vor, und diese Empfindung erfüllte ihn mit maßlosem Staunen, da er früher alles, was ihm zusagte, für gut gehalten hatte. Schließlich büßte er sein freies, sicheres Wesen ein und verfiel in völlige Gleichgültigkeit, aus der ihn nicht einmal die Kunde von der bevorstehenden Ankunft des Caesars aufzurütteln vermochte. Er kümmerte sich um nichts mehr, und selbst Petronius besuchte er erst dann, als dieser ihm eine Einladung und zugleich seine eigene Sänfte schickte.

Trotz des freundlichen Empfanges beantwortete Vinicius die Fragen seines Oheims nur widerwillig; am Ende aber kamen doch die lange zurückgedrängten Gedanken und Empfindungen zum Ausbruch, und die Worte entströmten in vollem Flusse seinen Lippen. Noch einmal erzählte er mit allen Einzelheiten die Geschichte seiner Nachforschungen nach Lygia und seines Aufenthalts bei den Christen, alles, was er dort gesehen und gehört hatte, alles, was ihm durch Kopf und Brust gegangen war, und begann endlich zu klagen, er sei in ein Chaos geraten und habe darin seine Ruhe, sein Verständnis der Verhältnisse und seine Urteilskraft verloren. Nichts freue ihn mehr, nichts interessiere ihn, er wisse nicht, was er beginnen und wie er sich verhalten solle. Er sei bereit, Christus zu verehren und ebensogut zu verfolgen, er erkenne die Erhabenheit seiner Lehre an und habe doch andererseits eine unüberwindliche Abneigung dagegen. Er sehe ein, daß, selbst wenn er Lygia besäße, sie ihm doch nie völlig angehören würde, weil er sie mit Christus teilen müßte. Mit einem Wort, sein Leben sei im Grunde gar kein Leben: ohne Hoffnung, ohne eine Zukunft, ohne Glauben an ein Glück; rings um ihn lagere dichte Finsternis, aus der er tappend einen Ausweg suche, ohne ihn finden zu können.

Petronius betrachtete, während er sprach, seine veränderten Züge, seine Hände, welche er bei seiner Erzählung in seltsamer Weise vor sich ausgestreckt hielt, als suche er wirklich im Dunklen einen Weg, und wurde nachdenklich. Plötzlich sprang er auf, näherte sich Vinicius und begann mit den Fingern in seinem Haar oberhalb des Ohres zu wühlen.

»Weißt du,« fragte er, »daß du schon graues Haar an den Schläfen hast?«

»Das kann sein,« entgegnete Vinicius; »ich würde mich nicht wundern, wenn sie mir binnen kurzem alle weiß würden.«

Sie schwiegen. Petronius war ein kluger Mann und hatte schon oft über die menschliche Seele und das Leben nachgedacht. Im allgemeinen konnte das Leben in der Welt, der beide angehörten, äußerlich glücklich oder unglücklich sein, innerlich aber war es ruhig. Genau wie der Blitz oder ein Erdbeben einen Tempel zerstören konnte, so konnte auch das Unglück ein Leben vernichten, aber in sich selbst setzte es sich aus einfachen harmonischen Linien zusammen, die sich in ihrem Verlaufe nicht wirr kreuzten. Doch in Vinicius' Worten lag etwas Neues, und Petronius stand zum erstenmal vor einer Reihe seelischer Rätsel, die er bisher nicht hatte lösen können. Er war klug genug, um ihre Bedeutung abzuwägen; aber bei all seinem Scharfblicke wußte er auf diese Fragen keine Antwort zu geben. Endlich sagte er nach längerem Schweigen: »Das kann nur Bezauberung sein.«

»Auch ich habe daran gedacht,« erwiderte Vinicius, »öfters schon war es mir, als seien wir beide verzaubert.«

»Wenn du vielleicht zum Beispiel zu den Serapispriestern gingest,« versetzte Petronius. »Ohne Zweifel befinden sich unter ihnen wie unter allen Priestern auch viele Betrüger, es gibt jedoch auch solche unter ihnen, die wunderbare Geheimnisse ergründet haben.«

Er sagte dies jedoch ohne Überzeugungskraft und mit unsicherer Stimme, da er selbst fühlte, wie nutzlos und sogar wie lächerlich dieser Rat in seinem Munde klingen müsse.

Vinicius rieb sich die Stirn und entgegnete: »Bezauberung! Ich habe Zauberer gesehen, die unterirdische, unbekannte Kräfte in ihrem Nutzen verwendeten, ich habe auch solche gesehen, die sich ihrer zum Schaden ihrer Feinde bedienten. Aber die Christen leben in Armut, verzeihen ihren Feinden, predigen Geduld, Tugend und Barmherzigkeit – was für ein Vorteil könnte ihnen aus der Zauberei erwachsen, und zu welchem Zwecke sollten sie diese in Anwendung bringen? …«

Petronius begann sich zu ärgern, daß sein Scharfsinn keine Antwort finden konnte, wollte dies jedoch nicht zeigen, sondern erwiderte, nur um etwas zu erwidern: »Das ist eine neue Sekte …«

Nach kurzer Pause fuhr er fort: »Bei der göttlichen Schutzherrin der paphischen Haine! Wie schädigt dies alles das Leben! Du bewunderst die Güte und Tugend dieser Leute – ich aber sage dir, sie stiften Schaden, weil sie Feinde des Lebens sind genau so wie Krankheiten und der Tod selbst. Wir haben so schon genug davon und brauchen nicht noch die Christen. Zähle nur auf: Krankheiten, der Caesar, Tigellinus, die Verse des Caesars, Schuster, welche über die Nachkommen der alten Quiriten herrschen, Freigelassene, welche im Senate sitzen – beim Kastor, es sind ihrer genug. Das ist eine lebenzerstörende und widerwärtige Sekte! Hast du keinen Versuch gemacht, deinen Trübsinn zu verscheuchen, und dein Leben ein wenig genossen?«

»Ja, ich habe es versucht,« entgegnete Vinicius.

Petronius lachte und sagte: »Ah, Verräter! Durch die Sklaven werden Gerüchte rasch verbreitet: du hast mich mit Chrysothemis betrogen.«

Vinicius wehrte verächtlich mit der Hand ab.

»Jedenfalls danke ich dir,« erwiderte Petronius; »ich werde ihr ein Paar perlengestickter Sandalen zusenden; in meiner Liebessprache heißt dies: Pack' dich fort! Ich schulde dir in doppelter Hinsicht Dankbarkeit: einmal dafür, daß du Eunike nicht angenommen hast, zweitens dafür, daß du mich von Chrysothemis befreit hast. Höre mich an! Du siehst einen Mann vor dir, der des Morgens aufsteht, ein Bad nimmt, Feste besucht, Chrysothemis besessen hat, Satiren schreibt und sogar mitunter Verse in seine Prosa mengt, der sich aber bei alledem genau wie der Caesar langweilt und bald nicht mehr imstande sein wird, sich trüber Gedanken zu entschlagen. Und weißt du, woher dies rührt? Nur daher, weil ich etwas in der Ferne suchte, was doch so nahe lag. Eine schöne Frau ist ihr Gewicht in Gold wert, eine Frau aber, die noch obenein liebt, ist geradezu unschätzbar. Eine solche kaufst du nicht für alle Schätze des Verres. Ich sage mir nun Folgendes: Ich will mein Leben mit Genuß anfüllen wie einen Becher mit dem köstlichsten Weine, den die Erde hervorbringt, und daraus trinken, bis mir die Hand erstirbt und die Lippen erblassen. Was weiter folgt, kümmert mich nicht. Hier hast du meine neueste Philosophie.«

»Die hast du stets betätigt. Es ist durchaus nichts Neues darin.«

»Sie besitzt einen Inhalt, der ihr früher abging.«

Nach diesen Worten rief er nach Eunike. Sie trat ein, in weiße Gewänder gehüllt, goldlockig, nicht mehr als Sklavin wie früher, sondern wie die Göttin der Liebe und des Glückes.

Er breitete die Arme aus und rief: »Komm!«

Sie eilte auf ihn zu, setzte sich auf seine Kniee, umschlang ihn mit ihren Armen und verbarg ihr Köpfchen an seiner Brust. Vinicius sah, wie sich ihre Wangen langsam mit Purpurröte zu überziehen begannen und wie ihre Augen traumverloren glänzten. Sie bildeten zusammen eine wunderschöne Gruppe von Liebe und Glück. Petronius griff mit der Hand in eine flache Vase, die neben ihm auf dem Tische stand, entnahm ihr eine Handvoll Veilchen und begann Eunikes Haupt, Brust und Gewand damit zu bestreuen; dann streifte er ihr die Tunika von der Schulter herab und sagte: »Glücklich, wer wie ich Liebe in solche Gestalt eingeschlossen gefunden hat … Bisweilen kommt es mir vor, als seien wir zwei Gottheiten. Sieh selbst! Hat Praxiteles, Myron, Skopas oder Lysias je schönere Linien geschaffen? Gibt es in Paros oder auf dem Penthelikon Marmor wie diesen, warm, rosig und liebedurchglüht? Es gibt Menschen, die die Ränder von Vasen wegküssen; ich ziehe es jedoch vor, dort Genuß zu suchen, wo er wahrhaft in Fülle zu finden ist.«

Nach diesen Worten begann er mit seinen Lippen ihr über Schultern und Hals zu streifen; sie erbebte unter der Berührung, ihre Augen waren bald geschlossen, bald öffneten sie sich mit einem Ausdruck unsäglicher Wonne. Nach einer Weile hob Petronius ihr zierliches Köpfchen empor und sagte, zu Vinicius gewendet: »Jetzt bedenke, was deine düster gesinnten Christen im Vergleich zu dieser Schönheit sind! und wenn du den Unterschied nicht einsiehst, so schließe dich ihnen an! … Dieser Anblick wird dich aber heilen.«

Vinicius' Nasenflügel blähten sich unter dem Eindruck des Veilchenduftes, der zu ihm drang und das ganze Zimmer erfüllte; dann erblaßte er, denn er mußte daran denken, wenn er so seine Lippen auf Lygias Schultern drücken könnte, so wäre das die Lust eines Tempelschänders gewesen, aber so überwältigend, daß nachher die Welt ruhig hätte in Trümmer stürzen können. Aber gewohnt, wie er jetzt war, genau auf alles zu achten, was in ihm vorging, bemerkte er, daß er in diesem Augenblicke an Lygia dachte, an sie allein.

»Eunike, Göttin,« sagte jetzt Petronius, »laß Kränze für uns winden und ein Mahl herrichten.«

Als sie das Zimmer verlassen hatte, wandte er sich an Vinicius. »Ich wollte sie freigeben, und weißt du, was sie mir zur Antwort gab? Ich will lieber deine Sklavin als die Gemahlin des Caesars sein. Sie wollte ihre Zustimmung nicht geben. Dann gab ich sie ohne ihr Wissen frei. Der Praetor tat mir den Gefallen, daß er ihre Gegenwart dabei nicht verlangte. Sie weiß jedoch nichts davon, ebenso wie sie es nicht weiß, daß dieses Haus und alle meine Kostbarkeiten samt allen Edelsteinen ihr für den Fall meines Todes gehören.«

Nach diesen Worten erhob er sich, ging im Zimmer auf und ab und sagte: »Die Liebe wandelt die einen mehr, die anderen weniger um, und auch mich hat sie umgewandelt. Früher liebte ich Verbenenduft; da aber Eunike Veilchen vorzieht, so liebe ich sie jetzt auch über alles, und seitdem es Frühling geworden ist, atmen wir nur noch unter Veilchen.«

Er blieb vor Vinicius stehen und fragte: »Und du, liebst du immer noch die Narde?«

»Laß mich in Ruhe!« entgegnete der junge Tribun.

»Ich wollte dir Eunike zeigen und erzähle dir von ihr, weil auch du vielleicht etwas in der Ferne suchst, was in deiner Nähe liegt. Vielleicht schlägt auch für dich in den Schlafzimmern deiner Sklavinnen ein treues, schlichtes Herz. Lege diesen Balsam auf deine Wunden. Du sagst, Lygia liebe dich? Mag sein! Aber was ist das für eine Liebe, welche entsagt? Heißt das nicht, daß es etwas gibt, was stärker ist als sie? Nein, Bester! Lygia ist nicht Eunike.«

»Alles ist nur eine einzige Qual für mich. Ich sah dich Eunikes Schultern küssen und mußte dabei denken, daß, wenn Lygia so die ihrigen vor mir entblößen wollte, sich dann getrost die Erde unter uns öffnen könnte! Doch bei dem bloßen Gedanken daran ergriff mich eine Angst, als habe ich eine Vestalin geraubt oder einer Göttin Schmach angetan … Lygia ist nicht Eunike, nur daß ich diesen Unterschied anders auffasse als du. Dir hat die Liebe den Geruch verändert, daher ziehst du die Veilchen den Verbenen vor, mir hat sie die Seele umgewandelt, daher sehe ich es trotz meiner Qual und trotz meines Verlangens lieber, Lygia bleibt so, wie sie ist, als daß sie so wird wie andere.«

Petronius zuckte die Achseln.

»In diesem Falle geschieht dir kein Unrecht. Aber ich verstehe dich nicht.«

»Ja, ja,« erwiderte Vinicius glühend vor Erregung – »wir können einander nicht mehr verstehen.«

Von neuem trat eine kurze Pause ein; dann sagte Petronius: »Möge der Hades deine Christen verschlingen! Sie haben dich in inneren Zwiespalt gestürzt und dir deine Lebensanschauung zertrümmert. Möge sie der Hades verschlingen! Du irrst, wenn du glaubst, ihre Religion sei gut, denn gut ist das, was die Menschen glücklich macht, das heißt Schönheit, Liebe und Macht; sie freilich nennen all dies eitel. Du irrst, wenn du sie gerecht nennst, denn wenn wir Böses mit Gutem vergelten, wie wollen wir dann das Gute belohnen? Und wenn für das eine wie für das andere dieselbe Belohnung besteht, welchen Nutzen bringt es dann den Menschen, gut zu sein?«

»Nein, die Belohnung ist nicht dieselbe, beginnt aber zufolge ihrer Lehre erst in einem zukünftigen Leben, das ewig währt.«

»Auf so etwas lasse ich mich nicht ein; denn davon müssen wir uns erst überzeugen, ob es möglich ist, ohne Augen zu sehen. Bis dahin sind sie geradezu Stümper. Ursus hat Kroton erwürgt, weil er Muskeln aus Stahl besitzt; alles andere ist Narrheit; die Zukunft aber kann nicht Narren gehören.«

»Für sie beginnt das Leben erst nach dem Tode.«

»Dann könnte auch jemand sagen: Der Tag beginnt erst, wenn es Nacht ist. Hast du noch die Absicht, Lygia zu entführen?«

»Nein; ich will ihr nicht Gutes mit Bösem vergelten, und habe geschworen, es nicht zu tun.«

»Hast du die Absicht, die Lehre Christi anzunehmen?«

»Ja, ich möchte es schon; aber meine Natur sträubt sich dagegen.«

»Wirst du Lygia vergessen können?«

»Nein!«

»Dann verreise.«

In diesem Augenblicke meldeten die Sklaven, das Mahl sei angerichtet; Petronius, der einen guten Einfall zu haben glaubte, fuhr auf dem Wege nach dem Triclinium fort zu sprechen.

»Du bist über einen Teil der Erde geritten, aber nur als Soldat, der an seinen Bestimmungsort eilt und sich unterwegs nicht aufhält. Komm mit uns nach Achaja. Der Caesar hat bisher den Reiseplan nicht aufgegeben. Überall unterwegs wird er Halt machen; er wird singen, Kränze einheimsen, Tempel plündern und schließlich als Triumphator nach Italien zurückkehren. Es wird etwas werden, wie wenn Bakchos und Apollon in einer Person reisten. Augustianer, Augustianerinnen, tausende von Lautenspielern, beim Kastor! So etwas ist des Ansehens wert, denn die Welt hat bis jetzt noch nichts Ähnliches erblickt.«

Er ließ sich auf der Polsterbank neben Eunike an der Tafel nieder, und als ihm der Sklave einen Anemonenkranz aufgesetzt hatte, fuhr er fort: »Was hast du in Corbulos Diensten gesehen? Nichts. Kennst du die griechischen Tempel so gründlich wie ich, der ich über zwei Jahre lang aus den Händen des einen Führers in die des anderen wanderte? Bist du in Rhodos gewesen und hast den Platz gesehen, wo der Koloß steht? Hast du in Panope in Phokis den Lehm gesehen, aus dem Prometheus die Menschen geschaffen hat, oder in Sparta die Eier, die Leda gelegt hat, oder in Athen die berühmte sarmatische Rüstung aus Pferdehufen oder in Euboia das Schiff Agamemnons oder den Becher, für den die linke Brust der Helena als Modell gedient hat? Hast du Alexandria, Memphis, die Pyramiden, das Haar der Isis, das sie sich aus Schmerz über den Tod des Osiris ausgerauft hat, gesehen? Hast du die Memnonssäule gehört? Die Welt ist weit, und nicht alles schließt die Gegend jenseit des Tiber ein. Ich werde den Caesar begleiten und mich dann auf der Rückreise von ihm trennen, um Cypern zu besuchen, weil es meine goldlockige Göttin wünscht, daß wir in Paphos der Cypris Tauben opfern, und du mußt wissen, daß, was sie wünscht, auch geschieht.«

»Ich bin deine Sklavin,« sagte Eunike.

Er legte sein bekränztes Haupt auf ihren Schoß und sagte lächelnd: »Dann bin ich der Sklave einer Sklavin. Ich bewundere dich, Göttin, vom Kopf bis zu den Füßchen.«

Dann wandte er sich an Vinicius und fuhr fort: »Komm mit uns nach Cypern. Vergiß aber nicht, daß du vorher dem Caesar deine Aufwartung machen mußt. Es ist schlimm, daß du nicht schon bei ihm gewesen bist; Tigellinus ist imstande, diese Versäumnis zu deinem Schaden auszunutzen. Er hegt zwar keine persönliche Feindschaft gegen dich, aber er kann dich schon aus dem Grunde nicht lieben, weil du mein Schwestersohn bist … Wir sagen, du seist krank gewesen. Wir müssen etwas aussinnen, was du Nero antworten kannst, wenn er sich nach Lygia erkundigt. Am besten machst du eine verächtliche Handbewegung und sagst ihm, sie sei in deinem Hause gewesen, bis du ihrer überdrüssig geworden seiest. Er wird das begreifen. Sage ihm auch, Krankheit habe dich zu Hause festgehalten, dein Fieber habe sich durch den Kummer darüber gesteigert, daß du nicht in Neapel sein und seinen Gesang hören konntest; einzig und allein die Hoffnung, ihn zu hören, könne deine Genesung herbeiführen. Scheue vor keiner Übertreibung zurück. Tigellinus geht mit dem Plane um, für den Caesar etwas zu erfinden, was nicht nur großartig, sondern sogar riesenhaft werden soll … Ich fürchte, er wird mich stürzen. Ich fürchte auch deine Geschicklichkeit …«

»Weißt du,« unterbrach ihn Vinicius, »daß es Leute gibt, die den Caesar nicht fürchten und so ruhig dahinleben, als ob er gar nicht auf der Welt wäre?«

»Ich weiß, wen du meinst: die Christen.«

»Jawohl. Sie allein … Was ist dagegen unser Leben als eine beständige Angst?«

»Laß mich mit deinen Christen in Ruhe! Sie fürchten den Caesar nicht, weil er vielleicht noch nichts von ihnen gehört hat. Jedenfalls weiß er nichts von ihnen und kümmert sich so wenig um sie wie um welke Blätter. Ich sage dir, es sind Stümper; du fühlst es selbst, und wenn sich deine Natur gegen ihre Religion sträubt, so kommt dies eben daher, daß du ihre Stümperhaftigkeit einsiehst. Du bist aus anderem Holze geschnitzt; daher kümmere dich nicht weiter um sie und laß auch mich mit ihnen in Ruhe. Wir verstehen zu leben und zu sterben; was sie aber verstehen, weiß man nicht.«

Diese Worte machten auf Vinicius einen tiefen Eindruck, und auf dem Heimwege kam ihm der Gedanke, jene Güte und Barmherzigkeit der Christen sei am Ende weiter nichts als ein Beweis für ihre Geistesarmut. Es schien ihm, tüchtige und tatkräftige Männer könnten nicht so leicht verzeihen, und es war ihm, als läge gerade hierin der Grund für die Abneigung, welche seine römische Seele gegen diese Religion empfand. »Wir verstehen zu leben und zu sterben!« hatte Petronius gesagt. »Und sie? Sie wissen nur zu verzeihen und kennen weder echte Liebe noch echten Haß.«


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