Henryk Sienkiewicz
Ohne Dogma
Henryk Sienkiewicz

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Einleitung.

In diesem Werke lernen wir den gefeierten Dichter Polens von der allgemein menschlichen Seite kennen. Die in der Weichert'schen »Kollektion klassischer Romane« erschienenen zwei andern Werke aus seiner Feder zeigten ihn auf historischem Boden: »Quo vadis?« führte uns in das kaiserliche Rom des Altertums zur Zeit des keimenden Christentums, »Die Kreuzritter« in die Zeit der Kämpfe zwischen dem Deutschritter-Orden und dem Königreiche Polen als der äußersten Vormacht des Slaventums. In den diesen beiden Werken vorausgesandten Einleitungen findet der Käufer der vorliegenden Ausgabe der Sienkiewicz-Romane, was ihm zur Orientierung über den Dichter und seinen Lebenslauf, wie über das Milieu, in welchem die Handlungen spielen, und über die Zeit derselben, zu wissen vonnöten ist, um einen richtigen Genuß von der Lektüre dieser hervorragendsten Werke der gegenwärtigen schöngeistigen Literatur zu haben.

Der Roman »Ohne Dogma« gehört zu der Gattung der psychologischen Romane und sein Dichter tritt hier in Rivalität mit den bedeutendsten Meistern dieser Gattung aus der französischen Literatur: Daudet, Zola, Bourget, Balzac . . . Gleichwie ich den hochbegabten Polen für den ersten aller lebenden Meister des historischen Romans halten möchte, dem ein Platz unmittelbar neben Walter Scott und Willibald Alexis gebührt, der in der großartigen Wucht seiner Massenbilder Alexandre Dumas den Vater übertrifft, so stehe ich nicht an, ihn in seinen psychologischen Romanen auch über die genannten Franzosen zu stellen; denn Sienkiewicz analysiert wohl das Frauengemüt, seziert es aber nicht, er wird als Analytiker nicht zum Verächter, sondern bleibt Verehrer des Ewigweiblichen; er ist wohl ein slavischer Schopenhauer, aber unendlich verfeinerter, sensitiver als sein – nun, man darf es sagen – sein deutsches Vorbild; und so gibt er uns wohl »eine feine, trefflich durchgeführte psychologische Studie eines weltmännischen, an sich selbst und allem zweifelnden Skeptikers« und »einer absolut reinen und edlen Frauennatur,« hält sich aber »weit, weit fern von dem widrigen Schauspiel der vergnügt in den schmutzigen Wässern der Ehebruchstragödien plätschernden französischen und italienischen Romandichter.«

»Ohne Dogma« ist nicht das einzige Werk dieser Richtung aus der Feder des polnischen Dichters, sondern es sind ihm verschiedene Novellen vorausgegangen, die fast durchweg als Kleinode der Erzählungskunst gelten dürfen; es steht ihm ein nicht minder bedeutender Roman zur Seite, der das in »Ohne Dogma« in der Adelswelt skizzierte Thema in die bürgerlichen Verhältnisse hinüberträgt: »Die Familie Polaniecki« . . . Was ich in einem buchhändlerischen Fachblatte»Deutsche Buchhandelsblätter« (Verlag: Ohlenroth-Erfurt). vom Jahre 1901 lese: »Von all den Vorzügen, die den Sienkiewicz'schen Roman »Die Familie Polaniecki« zu einem der schönsten machen, die die neuere Literatur gezeitigt hat, ist der höchste, der echt christliche Sinn, der es durchweht, der religiöse Kern, der in ihm steckt; denn sein Dichten wurzelt tief im Glauben, und wie kein zweites Buch so eindringlich und überzeugend, predigt dieses, daß erst dann hohes Glück in das Herz des Menschen einziehen könne, wenn der Glaube an eine Vorsehung, die schon hienieden dem Menschen das Gute lohne und das Böse ihn sühnen lasse, sich gefestigt habe,« – das läßt sich auch unterschreiben für das hier zur Ausgabe gebrachte Werk »Ohne Dogma« . . . die tiefe Psychologie, die seine Charakteristik und die hohe Anmut, die über allem schwebt, sichern ihm einen hervorragenden Platz in der Literatur und einen großen Leserkreis . . . »Unsre Dichter,« so bemerkt der Held des in Tagebuchform gehaltenen Romanes über die Frau, die er liebt, von der er geliebt zu werden glaubt und die ihm widersteht, »geben ein ganz falsches Bild von den Frauen; sie sehen in jedem Weibe ein Rätsel, eine lebende Sphinx; aber tausendmal rätselhafter, tausendmal sphinxartiger sind die Männer; eine gesunde – nicht hysterische – Frau, ob sie nun gut oder schlecht, stark oder schwach sein mag, besitzt einen weit einfacheren, schlichteren Geist als der Mann; in allen Lebenslagen, zu jeder Zeit genügen ihr die zehn Gebote und werden von ihr hochgehalten, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich diesen Geboten fügt, oder ob sie, ihrer schwachen Natur wegen, deren Vorschriften außer acht läßt.«

Der Roman »Ohne Dogma« ist, wie bereits bemerkt, allgemeinmenschlicher Natur; die Träger seiner Handlung sind nicht Slaven, sondern nur Menschen mit slavischen Namen, die unter allen Rassen leben und – leiden: darum dürfen sich Deutsche gerade dieses Werkes des nichts weniger als deutschfreundlichen Dichters wohl mit am meisten erfreuen.

Adam Kotulski.

 


 


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