Henryk Sienkiewicz
Ohne Dogma
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil

Paris, 2. April.

Ich habe mich an die Führung meines Tagebuches tatsächlich so gewöhnt, daß mir diese Arbeit fehlt; und doch habe ich ganze zehn Monate keine Feder angerührt. Ich sagte mir: wozu schreiben? Dem Gefühl gegenüber, die Tatsache ihrer Verheiratung nicht aus der Welt schaffen zu können, erlahmt mir die Hand. Es ging mir auch mit anderen Dingen so: wollte ich mich anziehen, in die Stadt oder ins Theater oder in den Klub gehen, dann kam mir wieder das Wozu? in den Sinn, und immer mußte ich mir erst sagen, daß ich doch zu Mittag gegessen, mir den Bart gestutzt und Aehnliches verrichtet hätte, bevor ich sie kannte. Ich bin in den ersten Monaten viel auf Reisen gewesen, habe mich sogar bis nach Island verirrt; aber weder die schwedischen Seen noch die norwegischen Fjorde noch die isländischen Geiser haben einen eigenen unmittelbaren Eindruck auf mich geübt; ich habe mich vielmehr überall gefragt, was Anielka dabei empfinden, was Anielka darüber sagen werde . . . kurz: ich habe gesehen mit ihren Augen, gedacht mit ihren Gedanken, empfunden mit ihren Empfindungen. Dachte ich dann daran, daß sie jetzt nicht mehr Anielka, sondern Frau Kromitzka sei, sprang ich im Nu wieder in den Zug oder das Schiff und reiste weiter, weil ich nichts mehr sehen, nichts mehr hören mochte . . . Ob mein Zustand in dieser Zeit mehr oder weniger grenzenlose Verzweiflung war, kann ich nicht sagen und mag ich auch nicht ergründen. All mein Wesen und Sein war eben erfüllt von ihr, und mir wurde zum ersten Male klar, wie schrecklich wir jene Leere empfinden, die der Tod einer wahrhaft geliebten Person in uns zurückläßt. Allmählich gewannen indessen die Lebensgewohnheiten wieder ihre Macht über mich: wie mir scheint, wohl ein ziemlich alltägliches Vorkommnis; in dem Bewußtsein, daß sich nichts mehr ändern lasse, liegt ein gewisser Grad von Linderung. Mir fällt immer und immer wieder jener Indianer ein, der in seinem Kanoe in die Strömung des Niagara geriet, und der, sobald er erkannte, daß sein verzweifelter Kampf gegen das Schicksal vergeblich war, die Ruder fallen ließ, sich in sein Kanoe legte und zu singen anfing . . . Ich sänge auch am liebsten . . . aber nicht alle Wogen haben, wie die des Niagara, die gute Eigenschaft, ihre Opfer zu Atomen zu zermalmen; es gibt auch Wogen, die den Menschen auf eine öde Sandbank werfen, und so erging es mir!

Paris, 8. April.

Obwohl ich Menschen eigentlich weder liebe nach hasse, fühle ich doch gegen gewisse Menschen einen gewissen Abscheu, und zu ihnen gehört auch Kromitzki: nicht darum, weil er mir Anielka genommen, sondern wegen seiner langen Beine, wegen der häßlichen, an eine Hopfenstange erinnernden Gestalt und wegen seiner wie eine Kaffeemühle schnarrenden Stimme. Er war mir von jeher zuwider, und wenn ich jetzt davon rede, so nur darum, weil ich immer an diejenigen Menschen denken muß, die meine Nerven in unliebsame Erregung versetzen. Mit meinem Gesundheitszustand hängt das nicht zusammen, denn ich fühle mich so munter wie noch nie in meinem Leben; vielleicht hat es seine Ursache darin, daß der Mensch, so lange er lebt, auch empfindet: mir ist meine Liebe geraubt worden, mein Haß ist mit der Zeit verharscht; ich empfinde also, was ich noch empfinden kann; ich lebe mit dem, was mir zum Leben noch geblieben ist; aber ich muß sagen, daß der Mensch, der so lebt und empfindet, an Glück keinen Ueberfluß leidet . . . Von den Sympathien, die ich ehemals gehegt habe, ist so gut wie nichts mehr vorhanden: gegen Sniatynski fühle ich geradezu Antipathie, und es gelingt mir nicht, sie zu beseitigen, soviel ich auch an meine Vernunft appelliere. Dieser Mensch will eben zu aller Zeit und allerorten Sniatynski sein, und das verleiht ihm etwas Gedrechseltes: dieser Pose opfert er alles ihm angeborene Zartgefühl. Außer dem ungehobelten Telegramm, durch das er mir nach Krakau meldete, daß er bei Anielka nichts habe ausrichten können, bekam ich auch nach Christiana einen Brief von ihm, der vielleicht ganz gut gemeint war, aber nicht minder grob und schroff war . . . »Fräulein Anielka,« so etwa schrieb er mir, »ist nun Frau Kromitzka – also alles vorbei – Du kannst mir leid tun – Herzlichen Gruß – bloß meine Du nicht, daß darum der Himmel einpurzelt – es gibt noch manches auf Erden, was wichtiger ist – Schwerenot! es muß in Norwegen freilich famos sein – jetzt komm aber mal heim und fange an zu arbeiten . . . Für heut Adieu! u. s. w.« Ich wiederhole nicht wörtlich, was er schreibt, aber in diesem Tone ist sein Brief gehalten . . . Er hat mich höchst unangenehm berührt, denn ich habe Sniatynski nicht drum angegangen, um mein Malheur sich zu bekümmern, und dann sollte er doch soviel Takt haben, zu fühlen, daß das, was er »manches Wichtigere« nennt, nur für Menschen Sinn hat, die nicht frei sind von Vorurteilen . . . Ich wollte ihm antworten, daß er mich besser mit solcher geistigen Vormundschaft verschone; als ich mir die Sache aber reiflicher überdachte, zog ich es vor, gar nicht zu antworten: schließlich noch immer die allerbequemste Manier, eine Beziehung zu lösen.

Wenn ich mir den Fall aber schärfer ansehe, so finde ich, daß ich Sniatynski darum nicht mehr leiden mag, weil ich mich eigentlich doch selbst in seine Vormundschaft begeben habe, und weil also auf diese Weise die mir durch Anielkas Abweisung widerfahrene Demütigung, wie auch der Schmerz, den ich erdulden mußte, den Weg zu mir durch seine Hände nahmen. Ich ärgere mich über mich selbst, daß ich ihm solchen Anteil einräumte, aber über ihn nicht minder, weil er solchen Anhalt daran hatte . . . und trotzdem ich mir sage, daß ich hiermit eine Ungerechtigkeit begehe, kann ich es doch nicht hindern, daß sich meine Freundschaft verzehrt wie eine abgebrannte Kerze . . . Uebrigens besitze ich keine sonderliche Veranlagung zu Freundschaft, denn ich gehöre zu den sogenannten Einsiedlernaturen, und habe mir darauf manchmal sogar etwas zugute getan, denn ich habe diese Eigenschaft für ein Anzeichen von Kraft gehalten, wenn sich in diesem Falle wohl nicht gerade von den Herdentieren, unter denen sich immer nur die schwächeren Gattungen vertreten finden, auf das menschliche Geschlecht schließen läßt. Noch weniger sympathisch als die Freundschaft unter Männern war mir immer die Freundschaft zwischen Mann und Frau; denn ich kann sie nicht für ehrlich halten. Immerhin gehe ich durchaus nicht so weit, sie für unmöglich zu halten; denn die Welt mit meinem eigenen Maße zu messen, dazu bin ich nicht dumm genug, und immer bloß Schlechtes zu wittern, nicht gemein genug. Für meine Meinung, daß solches Freundschaftsverhältnis zu den Seltenheiten gehört, scheint zu sprechen, daß es nur selten vorkommt . . . Warum aber nicht? Das Gefühl der Liebe existiert doch zwischen Geschwistern; warum sollen sich nicht zwei Menschen verschiedenen Geschlechts als Schwester und Bruder fühlen, auch wen sie nicht blutsverwandt sind? Sollte Neigung zu platonischen Freuden nicht gerade das Kennzeichen vornehmer Seelen sein? zur Gattung von Eignern solcher Seele rechne ich Dichter, Künstler, Philosophen, überhaupt Menschen, die über die Durchschnittsplebs der Gattung homo hinausragen . . . Es hat eine Zeit gegeben, da es mir so ums Herz war, als ob mir Anielka als Gattin nicht bloß Ehefrau und Geliebte, sondern auch Freundin sein werde; aber denken wir nicht mehr daran! die Geister der Vergangenheit spuken allzu oft bei mir herum, und ich werde Ruhe wohl erst finden, wenn es mir gelungen ist, sie zu bannen.

4. April.

Mit Madame Davis treffe ich mich hier ziemlich häufig, ja ich verkehre sogar bei ihr. Von den einstigen Beziehungen keine Spur! alles unter einer dichten Ascheschicht begraben! aber unter ihr hervor lugt viel versteckte Abneigung, ja sogar Verachtung . . . sonst das übliche Gesellschaftszeremoniell . . . sie ist noch immer schön, aber lieben kann ich sie nicht, und um zu hassen, bin ich zu träge. Sie begriff übrigens diesen Stand der Dinge im Nu und richtete sich danach ein. Wie leicht übrigens eine Frau den Uebergang von den intimsten Beziehungen zu den gewöhnlichen Verkehrsformen findet, darüber muß man sich als Mann tatsächlich verwundern. Sowohl wenn wir allein als auch wenn wir in Gesellschaft sind, findet Laura immer den konventionellen Gesprächs- und Verkehrston, und sichtlich mit Leichtigkeit. Von irgendwelchem Zwang keine Spur! ihr Benehmen durchaus gesetzt: nicht zu kühl, nicht zu animiert, und mich steckt das so an, daß es mir nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen ist, sie mit ihrem Vornamen anzureden . . . Ihr Neffe aus Neapel, Maleschi, der erst Gift und Galle wider mich spuckte, ist jetzt mein guter Freund. Den Ruf eines Feiglings, den er in Italien hatte, scheint er nicht zu verdienen, wenigstens hat er hier bereits ein Duell wegen Laura gehabt und gut bestanden. Davis, der arme Schlucker, ist schon vor Monaten in Nirwana versunken. Nach Ablauf der Trauerzeit wird, wie ich vermute, Laura diesen Vetter aus Neapel heiraten. Ein herrliches Paar würden sie abgeben: er mit seiner Antinous-Gestalt und dito Kopf, mit der wie Gold schimmernden Haut, dem rabenschwarzen Haar und dem in seiner Bläue an das Mittelmeer erinnernden Augenpaar . . . Laura mag ihn ja lieben; aber sie behandelt ihn manchmal miserabel; sie ist schon so rüpelhaft in meiner Gegenwart mit ihm umgegangen, aus Gründen, die ich nicht kenne, daß ich mich schier verwundert habe, denn solcher Ungezogenheit hätte ich sie in der Tat nicht für fähig gehalten! es hat also den Anschein, wie wenn sie neben einer Aspasia auch eine Xanthippe sei. Eigentümlich übrigens: hier in Paris macht ihre Schönheit nur geringe Sensation: sie ist wohl für die Seine zu klassisch, denn dem hier vorherrschenden krankhaften Geschmacke gefällt pikante Häßlichkeit mehr, auf abgestumpfte Nerven wirkt sie ja besser als vollendete Schönheit. Es ist ja auch bekannt, daß die Pariser Damen der Halbwelt, die berühmtesten voran, eher häßlich sind als schön . . . Sie hat, um ihren Salon interessanter zu machen, seit einigen Wochen einen Musiktempel damit verbunden. Sie singt ja selbst, und zwar wie eine Sirene; Klara Hilst, die deutsche Pianistin, jung, blühend, aber von einer Figur, daß vor kurzem ein Maler über sie den Ausspruch getan hat: »C'est beau, mais deux fois grandeur naturelle!« Die Dame hat hier, ungeachtet ihrer deutschen Abkunft, bedeutenden Erfolg. Aber ich muß wohl für die neuere Vortragsweise als Jünger der alten Schule keinen Sinn haben oder kein Verständnis, denn wenn ich diese kräftige Dame auf dem Pianino hämmern höre, ist's mir immer zu Mute, als wenn sie einen Mann verprügeln wollte, der ihre Schwester verführt hat . . . Sie ist übrigens auch Virtuosin auf der Ziehharmonika, und von ihren Kompositionen heißt es allgemein, sie zeichneten sich durch Tiefe aus; ich glaube, sie gehören zu jener Gattung von Musik, von der man, wenn man sie zehnmal gehört hat, beim elften Male vielleicht etwas versteht; was ich hier sage, mag ja boshaft sein, auch wohl keck oder gar dreist, insofern als ich ja doch nur Laie bin; immerhin kann ich der Meinung mich nicht verschließen, daß Musik, die nur Professoren vom Konservatorium oder der Musikakademie verständlich ist, und nicht bloß einfachen Menschenkindern, sondern auch den Musikdilettanten nicht, keinen Anspruch darauf machen kann, was wir unter Musik im eigentlichen Sinne verstehen oder verlangen. Entwickelt sich die Musik in diesem Stile weiter, so kann es nicht ausbleiben, daß die Tonkünstler schließlich eine abgeschlossene Kaste bilden wie im Aegypten des Altertums die Priester, die alle Weisheit und Schönheit für sich in Verwahrsam nahmen.

Was mich an Fräulein Hilst wundert, ist, daß sie zu jener Gattung der ausübenden Musik gehört, die wir als »musikalisch-philosophisch« bezeichnen, und zwar darum wundert mich das, weil sie von Gemüt schlicht, richtiger gesagt, sogar harmlos ist: eine Karyatide mit den hellen, unschuldigen Augen eines Kindes und einem Herzen von wahrhaft kindlicher Aufrichtigkeit . . . sie wird viel umschwärmt, weil nicht allein ihre Schönheit, sondern auch der Nimbus als Künstlerin bei ihr anzieht. Abgesehen von Laura, die sie wohl nicht recht leiden mag, ist ihr wohl kaum eine Dame gram, denn durch ihre in der Tat seltene Herzensgüte, ihre wirklich einfache Art und ihren heiteren Sinn entwaffnet sie allen Neid. Sie kann lustig sein wie ein Gassenbube und lachen wie ein Pensionsfräulein, was ihr die Gesellschaft verzeiht und nur verzeihen kann, weil sie Künstlerin ist. Sittlich schön ist ihr Typus, aber, abgesehen von ihrer Eigenschaft als Künstlerin, kaum sonderlich begabt. Laura hat mir schon einige Male angedeutet, die Karyatide sei in mich verliebt: ich glaube nicht, daß Laura die Wahrheit spricht; wollte ich mich darum bemühen, so könnte es ja schließlich der Fall sein, denn daß ich ihr nicht unsympathisch bin, will ich schließlich gelten lassen, da sie mir ja auch sympathisch ist; immerhin läge mir an ihrer Eroberung wohl kaum etwas. Kommt mir solcher Gedanke einmal, so ist dieses ganz ohne mein Zutun, und nur auf einen Moment. Ich möchte meinen Standpunkt den Frauen gegenüber mit dem eines Juweliers, der sein Geschäft aufgegeben, vergleichen: was diesem die Edelsteine sind, das sind mir die Frauen; kommt mir ein weibliches Juwel vor die Augen, so kommt mir wohl der Gedanke: das müßtest du haben; fast ebenso schnell aber fällt mir ein: wozu? du hast doch dein Geschäft an den Nagel gehängt, und gehe weiter. Nichtsdestoweniger habe ich ihr, wenn auch nur halb im Scherz, den Vorschlag gemacht, einmal in Warschau zu konzertieren, und mich ihr als »Impresario honoris causa« angeboten. Ursache, nach Warschau zu reisen, hätte ich ja, denn die Tante hat mir ihr Warschauer Haus überschreiben lassen; bei der Eintragung im Grundbuch muß ich natürlich zugegen sein, und außerdem sind auch jetzt die jährlichen Rennen in Warschau, und der Rennsport ist seit jeher eine Schwäche der alten Dame, so wenig sich eine solche auch mit ihren sonstigen Neigungen: Landwirtschaft, fromme Werke und religiöse Uebungen, zu vertragen scheint. Mag sein, daß sich der alte ritterliche Hang instinktiv bei ihr geltend macht, der den Ploshowskis nachgerühmt wird. Tante beteiligt sich bei jedem Rennen, aber ihre Pferde werden immer geschlagen; und wenn dies wieder einmal der Fall gewesen, dann hat's der arme Chwastowski auszukosten: monatelang muß er's dann mit anhören, daß ihn einzig und allein die Schuld an dem Mißerfolg treffe . . . Jetzt bildet sich Tante ein, ein Phänomen von Renngaul gezüchtet zu haben, und verspricht sich Wunderdinge von ihm. Sie hat mir geschrieben, ich solle Zeuge dieses unausbleiblichen Sieges der schwarzgelben Fahnen sein, und so werde ich denn nach Warschau reisen . . .

Auch andere Gründe bestimmen mich zu der Reise: ich bin jetzt ruhiger geworden, ich erwarte nichts mehr und verlange nichts mehr, sondern habe mich in eine Art geistiger Paralyse gefunden, die meinethalben der leiblichen vorausgehen mag, die mich ja doch einmal, wie den Vater, treffen wird . . . aber die Ursache, die mich zu dem gemacht hat, was ich jetzt bin, kann ich jetzt nicht vergessen: daß nämlich jenes einzige Wesen, dem alle meine Liebe gehörte, mir jetzt in zwei Hälften zersplittert ist: die eine Hälfte, Frau Kromitzka, ist mir eine fremde, gleichgültige Person; die andere, Anielka, erscheint mir, um mir meine Schuld, meine Dummheit, meine geistige Impotenz, meine Einbuße, meine Enttäuschung, meinen Schmerz und meine Bitterkeit vor Augen zu rücken. Dann und wann ist es mir zu Mute, als wenn die eine die andere aufheben, vernichten müsse, wenn ich sie als Ehefrau sehe . . . als wenn ich eine andere Anielka, eine, die mit der früheren keine Aehnlichkeit aufwiese, sehen würde . . . und das eben ist's, was mich bestimmt zu dieser Reise! da sie nun zehn Monate lang ihre kranke Mama nicht gesehen hat, wird sie sie doch in Ploshow besuchen: es ist also wohl zu erwarten, daß ich sie dort treffen werde. Daß es mich abstoßen, überall wo ich sie treffe, verletzen wird, sie als Frau eines Kromitzki zu treffen. darf ich wohl mit Sicherheit erwarten: ceci tuera cela.

Zu verlieren hätte ich übrigens nichts, wenn ich mich hierin auch irren sollte, und gewinnen will ich nichts dabei, höchstens herausfinden, daß nicht auf meiner Seite alle Schuld liegt, und daß Frau Kromitzka vielleicht doch einen Mißgriff damit getan hat, meine Reue zu verschmähen. Aber ihr das zu beweisen, müßte ich davon erst selber überzeugt sein, und zuweilen fehlt mir diese Ueberzeugung doch: ich bin von A bis Z im unklaren, im Zweifel.

6. April.

Es steht fest, daß ich Frau Kromitzka treffen werde. Tantchen hat mir mitgeteilt, Kromitzki habe das Gut seiner Frau verkauft und sich nach dem östlichen Asien begeben, um dort zu spekulieren; der Frau sei also weiter nichts übrig geblieben, als sich zur Mama nach Ploshow zu begeben. Zuerst war mir diese Nachricht so gut wie gleichgültig, und jetzt bekomme ich sie schon nicht mehr aus dem Sinne: das Gut also verkauft, das über vierhundert Jahre im Besitz der Familie war und um dessen Erhaltung sich die Mama Anielkas so viel Last, soviel Kummer und Sorge gemacht hat! keine zehn Monate mit Anielka verheiratet, und schon ihr Gut losgeschlagen! bloß weil er's gut bezahlt bekam, und weil ihm das Geld dafür zu seinen Spekulationen gelegen kam! wie muß es den beiden Frauen zu Mute gewesen sein, als sie das erfuhren? was mögen sie jetzt, was müssen sie jetzt von ihm denken? Tante sitzt viel an Celinas Bette, die infolge des Kummers kränker geworden ist . . . Anielka hat ganz sicher gewußt, was sie tat, als sie unter die Verkaufsvollmacht ihren Namen setzte; aber vor den Leuten nimmt sie ihn in Schutz, und Tantchen schreibt in ihrem Briefe, was Anielka darüber gesagt habe: »Die Sache ist ja für uns ein Malheur, ein großes Malheur, aber es ging nun einmal nicht anders, und Karl dafür verantwortlich zu machen, wäre unrecht.« Nun, nimm ihn nur in Schutz, Du getreues, musterhaftes Weib; aber den Gedanken, daß er Dein Herz mit einem zweischneidigen Schwerte verwundet hat, und daß Du ihn jetzt aus tiefster Seele verachtest, nimmst Du mir nicht aus der Seele! die Tatsache, daß er verkauft hat, löscht keine Liebkosung von ihm aus . . . und die Mama, die sich in den Wahn hinein geträumt hatte, dieser Mann werde nichts Eiligeres zu tun haben, als seine Millionen in Anielkas Gut zu stecken und alle Schulden, die darauf lasteten, zu tilgen, die ihn eben deshalb immer so protegierte, sie hat nun ihr erträumtes Glück! Nun, meine Damen, ich bin kein Phrasenheld, aber ich hätte nicht verkauft, ganz gewiß nicht! schon aus Zartgefühl nicht, um Euch nicht wehe zu tun, denn ich hätte Euch lieb gehabt und hätte Euch um des Gutes und das Gut um Euretwillen wert gehalten! Spekulanten müssen aber immer Geld flüssig haben und brauchen Halt: ich will nicht den Propheten spielen, aber ich möchte hinter die Millionen Kromitzkischer Provenienz ein paar dicke Fragezeichen setzen. Tante schreibt, er sei gleich, nachdem der Verkauf perfekt geworden, nach Baku gereist und wolle auch nach Turkestan; sie hat sich von den Millionen dieses Mannes niemals viel versprochen und mir wiederholt angedeutet, daß sie Anielka in ihrem Testament bedenken wolle; aber es geschah immer in einem Tone und mit einem Wesen, als ob sie den Gedanken, sie verkürze dadurch ihre eigene Familie, nicht los werden könne. Was Tante besitzt, soll eigentlich, nach ihren bisherigen Bestimmungen, ungeschmälertes Eigentum der Ploshowski bleiben . . . aber, ach! wie wenig kennt mich ihr gutes Herz! hätte Anielka heut kein Paar Schuhe mehr anzuziehen und müßt ich, um ihr eins zu geben, ganz Ploshow dafür opfern, so tät ich's, tät's ohne Besinnen . . . vielleicht, um mich in recht schroffen Gegensatz zu diesem Kromitzki zu setzen, das will ich dahingestellt sein lassen: aber ich täte es!

Der Gedanke, täglich mit Frau Kromitzka zusammenzukommen, regt mich auf: ich bin halb und halb gespannt, wie sich unser beiderseitiges Verhalten gestalten wird. Ich bin nie davon Freund gewesen, mich selbst zu belügen, und bemerke wiederholt, daß ich nach Ploshow fahre, um mich völlig zu kurieren, in der Hoffnung, ihr Bild durch ihren Anblick sicherer aus meinem Herzen zu bannen als durch alle Geiser und Meere und Fjorde; nichtsdestoweniger müßte ich der Lebemann nicht gewesen sein, der ich war, wenn ich mir die Gefahr nicht eingestehen wollte, die in einer derartigen Sachlage doch immerhin verborgen sein konnte.

Was hätte mich hindern oder abhalten sollen, mich zu rächen, wenn es mich nach Rache verlangt hätte? würden wir denn in dem stillen Ploshow, das fern von der Stadt lag, nicht beide so gut wie allein sein? die beiden alten Damen waren doch ein Paar harmlose Kinder, die zeitlebens nicht vom Tugendpfade abgewichen waren; in dieser Hinsicht kannte ich sie doch sattsam, von ihnen käme doch sicher keine auf die Idee, daß Anielkas Tugend eine Gefahr drohen könnte, nachdem sie nun einmal verheiratet war . . . und Anielka gehörte selbst doch auch zur gleichen Frauengattung: hätte Kromitzki nicht bereits ihr Wort gehabt, so hätte sie doch meine letzte Bitte ganz gewiß nicht abgewiesen! eine Polin dieser Kategorie bricht allemal lieber ein Herz als ihr Wort, und darüber packt mich Zorn. Daß ich gegen Anielka schwer gefehlt habe, kann ich nicht abstreiten; aber ich hatte den ehrlichen Willen, meinen Fehltritt wieder gut zu machen, und das hat sie gewußt, mich aber trotzdem von sich gestoßen . . . das ist nicht mehr Tugend, sondern Herzlosigkeit; das ist Dummheit, aber keine Heldentat; so etwas läßt sich nicht vergessen . . .

6. April.

Anangke: ein herrliches griechisches Wort, und ein verständiges Wort! Friedlos soll ich sein durch dieses Weib, auch wenn mir nichts mehr an ihr liegt . . . dieses Sinnieren über den Verkauf des alten Majorats und über ihren Aufenthalt in Ploshow hat mich doch in große Erregung versetzt. Ich habe heut nacht miserabel geschlafen und nach Antwort auf allerhand Fragen gegrübelt; zum Beispiel: ob ich berechtigt sei, Frau Kromitzka von dem Wege der Pflicht abzulenken, oder nicht? Nicht als ob das in meiner Absicht läge! ganz und gar nicht: denn mich reizt das Weib dieses Namens durchaus nicht; aber ich möchte, wie gesagt, wissen, ob ich ein Recht dazu habe? Dergleichen Sinnierereien füllen mein Dasein aus in Ermangelung sonstigen Lebenszwecks . . . einen Genuß bilden sie nicht, dazu gleichen sie zu sehr der Passion der Hunde, nach dem eigenen Schwanze zu jagen . . . aber wenn ich damit auch nichts erreiche und nichts beweise, sondern mich abquäle, so habe ich wenigstens einen Trost: daß darüber wieder ein Tag und eine Nacht hingegangen ist. Daß ich mir Gewissensskrupel machen kann, die dem Ploshower Pastor zur Ehre gereichen könnten, habe ich mir bei allem Skeptizismus, der mich beherrscht, weiß Gott! nicht gedacht. Immer und immer wieder habe ich mir in der Nacht wiederholt, daß solche Frage doch nur theoretischer Natur sei, daß ich aber ein Recht dazu hätte; es half mir nichts weiter, denn ebenso oft hallte auch immer aus der alten Dorfkirche ein Nein! Nein! Nein! herüber . . . Mit solchen Skrupeln muß man immer gleich reinen Tisch machen; es handelt sich dabei um das seelische Gleichgewicht: und reinen Tisch zu machen, paßt mir heut abend gerade in den Kram . . . Im Laufe des Nachmittags war ich bei einem bekannten Maler. Dort traf ich die Frau Davis. Sie stellte gerade die Behauptung auf, die Frau müsse schon »pour la netteté du plumage« immer unnahbar bleiben, und Maleschi pflichtete ihr bei: »Oui, oui, pour du plumage!« Mir kam dabei der Gedanke, daß im selben Augenblicke wohl alle Krabben im Mittelmeer auf dem Rücken liegen und ihre Extremitäten zum Himmel recken mochten, um Jupiters Blitz und Donner herniederzuflehen . . . Aber ich schnitt das ernsteste Gesicht von der Welt, keine Spur von Lächeln spielte um meine Lippen, trotzdem mich eine Heiterkeit befiel von so zynischer Art, daß ich noch jetzt vergeblich gegen sie ankämpfe: aber solche Heiterkeit ist allemal die verläßlichste Waffe gegen unnütze Skrupel.

Weiter: vom Standpunkte der Ehre aus, wie jene Herren sie auffassen, die nicht bloß selbst sich für Gentlemen ansehen, sondern auch in den Augen der Welt als solche gelten, ließe sich kein Paragraph finden, der es mir verböte, die Frau in mich vernarrt zu machen und dann vom Pfade der Pflicht zu locken . . . Die Moral dieser Herren ist nun freilich ein wundersames Ding: stehle ich Geld, so fällt nach solchem Sittenkodex die Schmach auf mich; der Bestohlene aber steht frei von Tadel da . . . stehle ich aber meines Nächsten Weib, dann stehe ich frei von Tadel da, während alle Schuld auf den Bestohlenen fällt. Wie erklärt sich das? ist das bloß Verirrung unseres moralischen Bewußtseins, oder sollte denn wirklich zwischen dem Diebstahl einer Börse und dem eines Weibes ein so großer Unterschied liegen, daß sich die beiden Verbrechen nicht über einen Kamm scheren lassen? Ich gelange zu dem Schlusse, daß dies letztere der Fall sein muß: man kann ein denkendes Wesen nicht mausen wie eine leblose Sache; der Spitzbube, der seines Nächsten Weib maust, begeht also einen Diebstahl mit Einwilligung des Eigentums, das er maust.

Wie komme ich dazu, Ehemannsrechte zu achten, die die Ehefrau selber nicht respektiert? was geht mich der Kerl selber an? Ich treffe ein weibliches Wesen, das mir angehören will, und das nehme ich in Beschlag; der Mann dieses weiblichen Wesens ist für mich a priori nicht da, und die Gelübde, die dasselbe abgelegt hat, scheren doch mich nicht! Soll ich mich abhalten lassen aus Achtung vor dem Sakrament der Ehe? . . . vor einer Institution, die mir das Blut aussaugt? die alle Lebenslust in mir ertötet? »Du bist also ein Verehrer der freien Liebe?« höre ich Sniatynski im selbstbewußten Tone, als wenn er seiner Sache, mich mit dieser einzigen Frage abzutrumpfen, sicher sei. Ganz und gar nicht, mein Herr Sniatynski! ich stehe in dem Falle lediglich für mich selbst. Auf landläufige Theorien pfeife ich. Ich möchte sehen, was Dir alle schönen Satzungen unserer Gesellschaft und alle Vorschriften, sie in Ehren zu halten, helfen möchten, wenn es Dir beliebte, ein anderes Weib, oder Deinem Weibe beliebte, einen anderen Mann zu lieben? . . . es gibt eben in der Welt nur die einzige Logik: die der Leidenschaft . . . da kann Vernunft warnen, soviel sie will: gehen die Rosse durch, so behält sie im günstigsten Falle noch ihren Sitz auf dem Kutschbocke, und wird bemüht bleiben, die Kutsche vorm Zerschellen zu hüten. Liebe ist Element des Lebensmeeres, und ein Element von gleicher Macht, wie Ebbe und Flut des Weltmeeres. Liebt eine Frau ihren Mann, so werden keine Höllenpforten sie überwältigen, denn ihr Schwur vor dem Altar gilt ihr lediglich als Weihe dieser Liebe; hat sie aber den Schwur nur geleistet als Gelöbnis der Pflicht, dann wird sie die erste beste Woge wie einen toten Fisch auf den Sand schleudern.

All diese Betrachtungen kommen mir unwillkürlich. Ueber eine Stunde bin ich in meinem Zimmer hin und her gegangen. Absichten, die einer Rechtfertigung vor mir selbst bedürften, verfolge ich nicht, und dennoch haben diese Betrachtungen mich in solche Erregung versetzen können, daß ich nicht mehr imstande war, die Feder zu führen . . . Es ist schon spät. Drüben glänzt die Kuppe! des Invalidendomes im Mondenschein, wie ehedem die der Peterskirche in Rom, als ich auf dem Pincio auf und abschritt, in Gedanken an Anielka versunken . . . O, und hätt' ich geheime Absichten noch so schlimmer Art, wenn Anielkas Glück in Frage dabei käme, so würde ich die Kraft finden, mich zu überwinden, auch die wildesten Gelüste zu meistern! denn um nichts in der Welt möchte ich ihr Unglück auf meinem Gewissen haben . . . Aber, so gewaltig die Zärtlichkeit auch gewesen, die ich für sie in meiner Brust barg, jetzt meldet sich dort der Skeptiker mit einer neuen Frage: würde sie, wenn solcher Fall einträte, auch wirklich so unglücklich sein? Mich hat so manche Lebenserfahrung gelehrt, daß Frauen aufhören unglücklich zu sein, wenn sie zu kämpfen aufhören, und daß sie dann eigentlich bloß noch eins sich zum Vorwurfe machen: so lange gekämpft, so lange widerstanden zu haben. Aber bei all diesen Fragen, bei all diesen Versuchen, eines Rätsels Lösung zu finden, drängt sich mir immer ein Wort wieder in den Sinn: Wozu? die gute alte Zeit, in welcher noch an allem gezweifelt wurde, bloß nicht an der Möglichkeit, Gutes von Bösem, Wahres von Falschem durch den Verstand zu unterscheiden, ist nun einmal überwunden, und wir sind in einen Urwald von Irrungen hinein geraten . . . es wäre wirklich gescheiter, ich machte mich auf die Reise . . . Die Tatsache schaffe ich doch mit allem Sinnieren nicht aus der Welt: daß Musje Kromitzki das Majorat seiner Frau »verkloppt« hat, und daß er sie mit dieser Handlung in ihrer tiefsten Seele verletzt hat! . . . aber hätt' ich das nicht selbst schwarz auf weiß zu Papiere gebracht, so . . . weiß Gott! so könnt ich's nicht glauben . . .

10. April.

Gestern machte ich bei Frau Davis Abschiedsvisite und traf dort Fräulein Hilst, die auf der Ziehharmonika konzertierte. Laura scheint jetzt Geschmack an Musik zu finden. In einer Pause trat ich zu der Künstlerin und sagte ihr, wieder halb im Scherz, daß ich jetzt nach Warschau reiste; ich möchte sie an ihr Versprechen, mitzukommen, erinnern. Ich war nicht wenig verwundert, aus ihrem Munde zu vernehmen, daß es schon lange ihr Wille sei, in Warschau zu konzertieren; sie benützte ja gern die Gelegenheit, die Reise in meiner Gesellschaft zu machen, ich müßte ihr jedoch erlauben, eine alte Verwandte mitzunehmen, ohne deren Begleitung sie niemals auf Reisen ginge, wie auch ihre stumme Klaviatur, da sie auch unterwegs zu üben gewohnt sei. Mir war das alles insofern jetzt ein wenig unbequem, da ich ja ohne Aufenthalt in Warschau nach Ploshow zu fahren vorhatte; mir fiel jedoch ein, daß ich sie ja, wenn alle Stränge rissen, Sniatynski »zur weiteren Erledigung übermachen« konnte, der ihr ohnehin von weit größerem Nutzen sein konnte als ich; die Dame ist zwar als Tochter eines reichen Frankfurter Industriellen auf Einnahmen nicht angewiesen, immerhin war mir ihr Entschluß, Warschau zu besuchen, verwunderlich. Wenigstens war Paris doch ein weit günstigerer Boden für ihre Konzertabende als Warschau. Laura gab mir zwar neuerdings zu verstehen, daß Fräulein Hilst ein Auge auf mich habe; mir scheint fast, die Unschuld der deutschen Virtuosin macht sie neidisch: ein komisches Wesen, diese Laura. Alles geht bei ihr auf den Dekor hinaus! Klaras Unschuld sieht sie nicht mit anderen Augen an wie eine schöne Spitze oder ein prächtiges Kleinod, und allein aus diesem Grunde möchte sie mir diese schöne Riesin in die Arme zwängen. Um meine Person geht es ihr dabei nicht im geringsten, denn ich gelte ihr nichts weiter als eine getragene Berlocke. Hassen möchte ich dieses Weib um des Ueblen willen, das sie mir angetan hat; aber wenn ich mein Gewissen frage, so antwortet es mir, daß ich auch ohne sie dahin gelangt wäre, wo ich heute stehe; daß ich um mein Glück auch ohne sie, durch ein anderes, doch ebenso wirksames Medium, gekommen wäre; Haß ist ja doch nur aus der Art geschlagene Liebe, wie Satan der gefallene Engel; und geliebt habe ich Laura ja nie . . . und wenn ich sie verachte, so ist das doch etwas anderes als hassen, denn sie schenkt mir doch wahrlich auch keine Achtung, ich möchte sogar sagen, sie birgt schlimmeren Groll gegen mich als ich gegen sie. Ob sie über Klaras Empfindungen gut oder schlecht unterrichtet ist, kümmert mich eigentlich nichts; heute möchte ich meinen, sie habe recht, und wenn ich mich hierin nicht irre, so bin ich ihr in gewissem Sinne dankbar, denn es tritt in meinem Leben zum ersten Male der Wunsch an mich heran nach einer Freundin, ohne daß ich dabei etwas von der Regung verspüre, ihr Vertrauen zu betrügen. Es kommt mir so vor, daß mein friedloser Geist in solchem Freundschaftsverhältnis doch noch zur Ruhe kommen könnte.

Ich habe mich heute mit Fräulein Hilst, ganz wie es unter Freunden schicklich ist, ausgesprochen: sie ist kein weibliches »lumen«, sie weiß aber zwischen Schön und Häßlich, Gut und Böse recht scharf zu unterscheiden und ist infolgedessen vor Irrtümern ziemlich sicher. Ihr Temperament vertrüge in gewissem Grade den Vergleich mit der Sonne. Sie ist »geistig gesund«: eine Tugend, die sich bei dem Volke, dem sie von Geburt angehört, nicht selten vorfindet; ich bin öfter mit Deutschen in Berührung gekommen, habe aber immer gefunden, daß es bei ihnen Leute von meiner Art nur wenig gibt; Deutsche und Engländer sind Vertreter des Positivismus: sie wissen genau, was sie wollen; mit dem Begriffe »Denkervolk« hat es nicht mehr viel auf sich, denn ihr »Pessimismus« von heute und ihr »Weltschmerz« von ehemals sind nur von theoretischem Werte; »Genies ohne Portefeuille« haben sie nicht und lieben sie nicht, denn sie lieben die Praxis, sich den Anforderungen des täglichen Lebens scharf anzupassen; sie nehmen sich Theorien nicht zu Herzen und bleiben deshalb ruhig und kräftig. Auch Klara besitzt diese Ruhe; weil nichts von dem, was Geist und Seele erschüttert, bei ihr ins Blut geht, behält sie den Glauben an sich, erschüttern sie niemals Zweifel an ihrer Ueberzeugung, bleibt ihr die Musik das ein und alles ihres Lebens. Sollte sie tatsächlich für mich fühlen, so ist das ganz ohne Zweifel unbewußt, so verspürt sie ganz sicher dabei weder ein Verlangen noch einen Wunsch. Wenn es sich in dieser Hinsicht anders verhielte, so begänne für ihr Leben das Drama; denn von Gegenliebe wäre bei mir keine Rede, ich könnte also ihre Liebe bloß zu ihrem Unglücke ausnützen. Ich hege nicht die Meinung von mir, daß mir kein Weib widerstehen könne, wohl aber hege ich die Meinung, daß kein Weib dem Manne, den es wahrhaft liebt, widersteht. Das vielgebrauchte Wort, »daß die belagerte Festung schon so gut wie erobert sei«, ist und bleibt nun einmal wahr und bewahrheitet sich, auf das Weib angewendet, um so schärfer, wenn es hinter seinen Tugend-Wällen und -Gräben den Verräter im eigenen Herzen birgt . . . Klara kann indessen in Ruhe und Frieden mit mir nach Warschau reisen, ob mit oder ohne Duenna, ob mit oder ohne stumme Klaviatur.

16. April.

Ich bin in Warschau mit Zahnschmerzen und einem geschwollenen Gesicht angekommen, und da ich mich so den Damen nicht zeigen mochte, bin ich nun schon drei Tage hier, ohne den Fuß nach Ploshow gesetzt zu haben; dagegen habe ich schon mit Sniatynski gesprochen, und auch die Tante ist schon bei mir gewesen, sie hat mich willkommen geheißen wie einen verlorenen Sohn . . . Anielka ist schon seit acht Tagen draußen, denn ihre Mama ist so krank, daß sie es hat aufgeben müssen, eine ihr vom Arzte anempfohlene Reise nach Wiesbaden auszuführen. Anielka soll so lange bei ihr bleiben, bis Kromitzki seine Geschäfte abgewickelt hat und in der Lage ist, sich über ein Domizil schlüssig zu werden. Darüber werden aber, wie die Tante meint, noch ein paar Monate ins Land gehen. Es läßt sich mit der alten Dame von der Leber weg sprechen, denn sie wäre gar nicht imstande, den Gedanken zu fassen, daß sich jemand für eine verheiratete Frau in anderem als verwandtschaftlichem Sinne interessieren könnte; dergleichen Vorstellungen liegen ihr so fern wie der Mond der Erde. Infolgedessen hält sie mir gegenüber gar nicht mit ihrem Aerger über Kromitzki hinter dem Berge: sie kann dem Menschen nicht verzeihen, daß er Anielkas Majorat verkauft hat; ja sie geriet schließlich in solchen Ingrimm darüber, daß sie sich die Uhrkette zerriß.

»Eine doppelte Gemeinheit ist's von dem Kerl,« rief sie, während ihr die Uhr zu Boden fiel, »und das bekommt er auch noch von mir zu hören. Da hätt' ich ja lieber ihm Geld auf Hypothek geliehen, und wenn's auf dritte, vierte Stelle gewesen wäre. Freilich, Zweck hätte es auch nicht gehabt, denn der Kerl spekuliert und spekuliert, bis er fertig ist. Das ist doch wie das Amen in der Kirche . . . mir soll er nicht unter die Augen treten: ich sage es ihm ins Gesicht, daß er Frau und Schwiegermutter ins Grab spekuliert und sich in den Bankerott hinein . . . Ein schöner Profit übrigens für die beiden Frauen: solche Millionen, von denen jeder Heller mit Tränen bezahlt ist . . . eine Gemeinheit ist's von dem Kerl! diesen vertrockneten Pilz hab' ich nie ersehen können, und mein Gefühl hat mich auch nicht getäuscht.« – Ich fragte, ob sie schon mit Anielka darüber gesprochen habe. – »Ich, mit Anielka?« erwiderte sie; »Gott sei Dank, daß Du wieder da bist! da kann ich mir doch mal ein bißchen Luft machen . . . Mit Anielka läßt sich überhaupt nicht reden; einmal war's so weit zwischen uns, daß sie ganz aufgebracht weglaufen wollte und dann wie eine Schoßhündin zu winseln anfing . . . ›er hat's doch tun müssen,‹ das war das einzige, was man von ihr hörte . . . über den Kerl ein schlimmes Wort zu sagen, möchte man sich in ihrer Gegenwart gar nicht beikommen lassen, denn sie möchte ihn vor der Welt am liebsten als einen Heiligen hinstellen; aber so einem alten Weibe wie mir macht man kein X mehr für ein U, und ich weiß ganz genau, daß sie im stillen über den Verkauf des schönen Gutes kein Tüttelchen anders denkt wie ich.« – »Du bist also der Meinung, sie liebe ihren Mann nicht?« – Sie blickte mich ganz verdutzt an. »Was faselst Du? wen soll sie denn lieben als ihren Mann? Gerade weil sie ihn liebt, geht ihr die Geschichte ja so durch den Kopf. Jemandes schlechte Seiten ins Auge fassen und überdenken, hat doch mit der Liebe nichts zu tun.« – Ueber diesen Punkt denke ich nun freilich anders als die liebe Tante, aber ich hielt es für klüger, meine Ansicht nicht in Worte zu fassen, zumal sie weiter sagte: »Was ich ihm am meisten verüble, ist seine verfluchte Lügerei: er hat den beiden Frauen vorgeschwindelt, daß sich das Majorat in ein paar Jahren wieder zurückkaufen ließe . . . kannst Du so etwas glauben? die beiden dummen Geschöpfe bilden sich heute noch ein, der Kerl hätte sie nicht beschwindelt mit solchen Flausen!« – »Nein, Tante, an die Möglichkeit eines Rückkaufs glaube ich so wenig wie Du,« antwortete ich, »denn Kromitzki wird weiter spekulieren.« – »Das weiß doch der Patron so genau, wie wir beide es wissen; er schwindelt den armen Weibern eben blauen Dunst vor, und das wurmt mich, wie gesagt, mit am meisten von ihm!« – »Vielleicht will er sie damit trösten?«

Da geriet die Tante aber erst recht in Wut. »Ein schöner Trost!« rief sie; »nicht verkaufen hätte er sollen: das wäre Trost für die armen Geschöpfe gewesen . . . Rede bloß Du ihm nicht noch gar das Wort, dem erbärmlichen Wichte! Solche Gemeinheit kann kein Mensch gut heißen. Chwastowski war rasend vor Wut: er hat sich mit der Lage der Güter befaßt und behauptet, in ein paar Jahren hätte er die ganzen Finanzen wieder in Ordnung gewirtschaftet, und wenn er von keiner Seite ein Dittchen dazu bekommen hätte . . . Der Kerl hätte Geld haben können von mir, und von Dir doch auch; nicht? Na, jetzt ist's zu spät!«

Ich fragte, wie es mit Anielkas Gesundheit stände; fragte mit geheimem Bangen, denn mir graute davor, etwas zu hören, was ja mit dem natürlichen Verlaufe der Dinge im engsten Zusammenhange stehen mußte, was aber, wie ich mir keine Sekunde verhehlte, das reinste Gift für meine Nerven gewesen wäre . . . Zum Glück für mich verstand die Tante, wovor mir graute, und was ich meinte; denn sie erwiderte mit ihrer alten Wut: »Nichts zu erwarten, gar nichts! . . . das Majorat hat der Kerl verschleudern können; aber sonst gibt's nichts Neues von ihm!«

Es wäre mir nicht möglich gewesen, nur eine Sekunde noch bei diesem Gesprächsthema zu verweilen. Ich erzählte deshalb der Tante, die größte Pianistin der Gegenwart sei mit mir im gleichen Zuge nach Warschau gekommen; sie sei eine reiche Dame und wolle nur ein paar Wohltätigkeitskonzerte bei uns veranstalten; die wunderliche alte Frau räsonnierte erst, daß so eine Person sich solche ungünstige Zeit ausgesucht hätte, statt im Winter zu kommen; dann kam ihr der Einfall, es wäre ja vielleicht auch jetzt noch nicht zu spät für solchen Zweck, und sie wollte vom Flecke weg zu der Pianistin hinrennen. Es machte mir einige Mühe, ihr begreiflich zu machen, daß es doch schicklicher sein möchte, wenn ich die Dame auf ihren Besuch vorbereitete; Tante ist nämlich bei allerhand Wohltätigkeitsvereinen und läßt es sich nicht nehmen, für ihre Vereine alle Vorteile auszunützen, ohne die geringste Rücksicht, ob andere Vereine, die die gleichen Ziele verfolgen, dadurch zurückkommen; um alles in der Welt will sie nicht leiden, daß jemand anders als sie bei solchen Sachen die erste Geige spiele.

Als wir uns trennten, fragte sie: »Wann kommst Du zu uns nach Ploshow hinaus?« – »Gar nicht,« versetzte ich schroff. Ich habe mir schon auf der Fahrt überlegt, daß es klüger von mir ist, in Warschau zu bleiben; habe ich mal Veranlassung, in Ploshow zu sein, so bin ich ja bald draußen, denn es liegt ja bloß eine Meile von Warschau. Auf diese Weise schneide ich alles Gerede, alle Kombinationen ab. Mir liegt auch nichts daran, bei Frau Kromitzka am Ende den Glauben zu wecken, es möchte mir was daran liegen, mit ihr unter einem Dache zu wohnen . . . Sniatynski, dem ich beiläufig über diesen Entschluß einige Andeutung machte, schien ihn gutzuheißen; er schien auch über Anielka reden zu wollen; so klug er ist, so begriff er doch nicht, daß andere Umstände andere Verhältnisse bedingen, selbst bei den besten Freunden; war vielmehr noch genau so mir gegenüber wie damals in Krakau, als ich ihn, am ganzen Leibe zitternd, um seine Intervention bettelte. Genau so schroff fuhr er auf mich ein; aber ich wies ihm auf der Stelle die Wege, und das schien ihn zu verblüffen; er schwenkte indessen um, und so unterhielten wir uns eine Zeitlang, als ob wir uns in Krakau überhaupt nie gesehen, geschweige gesprochen hätten. Dabei bemerkte ich recht gut, daß ihm mein jetziger Gemütszustand nicht uninteressant war; daß er mich sozusagen »ausholen« wollte . . . aber er verhielt sich dabei so recht wie der Mann, der er war: wie der Künstler der Feder, der nur so lange Psychologe und Analytiker ist, wie er vor seinem Schreibtische sitzt, aber harmlos wie ein Gymnasiast wird, wenn er's im wirklichen Leben versucht, den Psychologen und Analytiker zu spielen. Hamlet mit der Flöte fiel mir ein. »Wollt Ihr auf dieser Pfeife blasen? Es liegt viel Musik in diesem kleinen Instrument, und doch könntet Ihr's nicht zum Sprechen bringen. Zum Henker! meint Ihr denn, ich sei leichter zu spielen als eine Pfeife? Nennt mich was für ein Instrument Ihr wollt; verstimmen könnt Ihr mich, aber nicht auf mir spielen.« Nachdem ich dem Freunde die Flöte des Hamlet gereicht, erlaubte ich mir, seiner freundlichen Obhut die Pianistin zu empfehlen, dann fing ich an, von seinen Dogmen zu sprechen, sagte ihm, Heimweh und Pflichtgefühl hätten mich nach Warschau getrieben, doch in so leichtfertigem Tone, daß er nicht klug wurde, ob ich es im Ernst oder im Scherze meinte: und ich merkte hier wieder, wie schon in Paris: das moralische Uebergewicht, das er durch die letzten Vorgänge gewonnen hatte, schwand mehr und mehr, und er lernte einsehen, daß er zu anderen Schlüsseln greifen müsse, wenn er mich öffnen wollte. Er blickte nur, als ich ihm die Pianistin beim Auseinandergehen nochmals freundlicher Fürsorge empfahl, scharf in die Augen und fragte: »Es ist Dir also viel an der Sache gelegen?« – »Ja, sehr viel,« versetzte ich, »der Dame gehört meine Freundschaft und meine – Hochachtung.« Infolgedessen mag er ja denken, Fräulein Hilst sei eine neue Passion von mir . . . Er verließ mich ganz grimmig, und da er nicht imstande ist, Empfindungen zu verbergen, schlug er die Tür hinter sich zu und nahm, wie ich auf der Treppe hörte, wohin ich ihn gebracht hatte, vier Stufen auf einmal, pfiff auch laut, was immer seine Gewohnheit ist, wenn ihm was nicht behagt.

Wenn ich ihm sagte, ich empfände Freundschaft für Klara, habe ich ihm keine Unwahrheit gesagt: ich habe ihr heute ein paar Zeilen geschrieben und mich entschuldigt, weil ich ihr noch keinen Besuch gemacht habe . . . Sie hat mir auf der Stelle geantwortet: sie sei von Warschau aufs angenehmste überrascht, habe noch nirgendswo soviel unverhohlene Liebenswürdigkeit gefunden, auch in der Stadt habe sie sich schon viel umgesehen, sie gefalle ihr sehr gut, und die Lazienki finde sie geradezu entzückend; mich hat dieses Lob um so angenehmer berührt, als doch die polnische Landschaft, wenn man die Grenze hinter sich hat, einen recht deprimierenden Eindruck macht; um ihr Geschmack abzugewinnen, muß man eigentlich darin geboren sein. Klara sagte, wenn sie aus dem Wagenfenster hinaussah, zu wiederholten Malen: »Ach, jetzt verstehe ich Chopin!« indessen irrt sie sich doch, denn sie versteht ihn so wenig, wie unsere Landschaft.

17. April.

Heut bin ich um sieben Uhr früh hinaus nach Ploshow gefahren; Tante hatte mir gesagt, es würde draußen sehr früh aufgestanden, und so hatte ich gerechnet, gegen acht dort zu sein; auf der ganzen Fahrt bin ich die wüsten Gedanken nicht losgeworden, die mir seit der Ankunft in Warschau im Kopfe herumspuken. Ich hatte mir weder zurechtgelegt, wie ich Anielka begrüßen, noch wie ich mich ihr gegenüber verhalten wollte . . . mochte es kommen, wie es wollte . . . mir sollte alles recht sein . . . Trotzdem fing ich bald an, mich damit zu beschäftigen, wie Anielka aussehen, wie sie mir gegenübertreten, wie sie unseren nunmehrigen Verkehr in die Wege leiten werde; wenigstens nahm ich an, daß sie es tun werde, weil ich selbst nach keiner Seite hin die Initiative geben mochte . . . Hierdurch gewannen meine Empfindungen, wenn auch vorübergehend, einen Anstrich von Feindseligkeit gegen sie; bald aber faßte ich Mitleid mit ihr, denn ich sagte mir, daß die Situation ja auch für sie peinlich genug war. Dabei stand sie mir leibhaftig vor Augen; namentlich so, wie sie damals aussah, als sie aus ihrem Zimmer wider Erwarten wieder herunter kam und bemüht gewesen war, die Erregung, in die sie meine Umarmung versetzt hatte, durch Puder zu verhüllen . . . Um mich vor diesem Bilde zu retten, das mir gleichsam wie eine Erscheinung vor Augen stand, fragte ich den Kutscher, ob er verheiratet sei: ich hätte alles andere fragen können, denn mir ging es einzig und allein darum, dieses Bild aus meiner Phantasie zu scheuchen; aber die Antwort, die er mir gab: »Ich hab' von solcher Sorte keines auf dem Halse«, verdroß mich doch . . . er hatte wohl gar noch etwas an diese Worte gehängt, was ich aber nicht verstanden hatte . . . ich achtete wohl auch nicht mehr auf seine Worte, denn ich sah die ersten Pappeln von Ploshow, und merkte nun erst, wie schnell wir die Strecke bis hierher zurückgelegt hatten.

Bald sah ich nun Ploshow – meine Unruhe wuchs, und es half mir nicht, daß ich versuchte, mich durch den Blick auf äußerliche Dinge abzulenken, daß ich mir vorredete, es sei heute herrliches Wetter und der Frühling habe dies Jahr außerordentlich früh eingesetzt; der Tag war ja auch wunderschön, der Morgen taufrisch, kein Wölkchen trübte den Himmel, überall schon Baumblüte! da verspürte ich plötzlich die liebliche Frische der Ploshower Lindenallee, und fast gleichzeitig glitzerten mir zwischen den Bäumen hindurch die Schloßfenster entgegen . . . meine Gedanken umschwirrten mich wieder im Wirbeltanze; und wenn ich sagen sollte, warum ich statt vor dem Schlosse, schon vor dem Einfahrtstore Befehl zum Halten gab, warum ich zu Fuße weiter schritt und den Kutscher mit seinen Komplimenten dastehen ließ, ohne ihm einen Blick zu schenken, ich wäre es nicht imstande . . .

Wie erkläre ich mir diese Willenslosigkeit? harrte in dem mir doch so bekannten Hause etwas, das mir unbekannt war und doch in tragischem Zusammenhange mit meiner Vergangenheit stand? Mir wurde, als ich über den Vorhof ging, die Brust so beklommen, daß es mir war, wie wenn ich ersticken müßte . . . wie erkläre ich mir bloß dies alles? . . . Da ich schon draußen abgestiegen war, statt wie sonst vorzufahren, kam mir niemand entgegen, der Flur war leer, und so trat ich ins Speisezimmer, in der Absicht, dort die Damen zu erwarten. Der Tisch war bereits gedeckt, der Samowar brodelte schon lustig. Da die Saalfenster nach Norden zu gingen, herrschte im Saale eine angenehme Kühle. An drei verschiedenen Stellen spielte das Licht, das zu den Fenstern hereinfiel, auf dem dunkelgetäfelten Fußboden. Meine Blicke fielen auf das Büfett, mir seit meiner Kindheit so wohlbekannt . . . dann fiel mir das Gespräch mit Sniatynski ein, das hier in diesem Raume, am mittleren Fenster, stattgefunden hatte, als Anielka und seine Frau nach dem Treibhause gegangen waren und in Filzschuhen wieder über den Schnee zurückkamen . . . Eine Empfindung von Leere, von Herzeleid befiel mich . . . Um dem Lichte näher zu sein, setzte ich mich auf das Fensterbrett. In all dem Wirrsal von Gedanken wurde ich das Bewusstsein nicht los, daß im nächsten Augenblick sie vor mir stehen, wir uns begrüßen müßten . . . daß ich mit ihr reden, daß ich ihr nun täglich wieder vor die Augen treten müßte . . . vielleicht monatelang? . . . Wie das sein, wie das vor sich gehen, und wie das ausgehen werde: diese Fragen bestürmten mich, jagten einander in meinem Geiste . . . es mag Menschen geben, deren Mut durch Angst wächst: ich gehöre nicht zu ihnen; ich werde ungeduldig, zornig, wild, wenn mich die Unruhe der Erwartung quält . . . und auch diesmal war es nicht anders . . . zu keiner Zeit hat mir der Unterschied zwischen »meiner« Anielka und der jetzigen Frau Kromitzka so auf die Seele gebrannt, wie in diesem Augenblicke gespannter Erwartung . . . »und wenn Dich des Mondes milder Glanz umspielte, und wenn Du auch hundertmal schöner und lieblicher wärest als meine Träume Dich vor mein Auge gaukeln,« mußte ich bei mir denken, »so wärst Du mir doch nichts . . . nichts! oder höchstens ein Ding, vor dem mir graut oder . . . ekelt.« Mein Grimm steigerte sich noch, denn ich bildete mir ein, warum weiß ich nicht, sie käme bloß darum nicht gleich, weil sie mir beweisen wollte, daß ich im Irrtum sei mit solchen abstrusen Ideen, daß sie mir vielmehr in alle Ewigkeit die ebenso begehrenswerte wie unerreichbare »Schöne« bleiben müsse . . . »Wollen sehen! wollen sehen!« versetzte ich ihr darauf im Geiste, und nun hatte ich den Eindruck, als stände mir eine Art Zweikampf mit diesem Weibe bevor, aus dem ich zugleich als Sieger und als Besiegter hervorgehen sollte: denn mit der Vernichtung meiner Erinnerungen müßte mir die Ruhe wiederkehren . . . in dieser Stimmung hatte ich die Empfindung, daß ich wohl Kraft genug besäße, um jeden Angriff zu parieren.

Da ging die Tür auf, leise, und Anielka stand auf der Schwelle. Mir brauste es im Kopfe, und die Fingerspitzen wurden mir eiskalt. Wohl trug die Frau, die ich dort vor mir stehn sah, den Namen Kromitzka, trug aber noch all die holden, mir so teuren Züge, war noch immer umschwebt von all dem unbeschreiblichen Zauber meiner einstigen Anielka. Alles, was in meinem Innern tobte, ward übertönt von einer Stimme, und diese Stimme rief: »Anielka! Anielka! Anielka!« . . . Sie sah mich nicht oder, wenn sie mich sah, hielt sie mich für einen anderen, weil ich vom Lichte abgewandt stand. Sie blickte auch erst auf, als ich einen Schritt auf sie zu machte, dann stand sie da wie eine Statue so starr. Den Ausdruck, den in diesem Moment ihr Gesichtchen zeigte, zu beschreiben, dieses Gemisch von Verwirrung, Schrecken, Erschütterung und Demut, wäre mir ganz unmöglich: sie wurde mit einem Male so bleich, daß ich nicht anders dachte, als sie würde ohnmächtig, und als ich sie bei der Hand faßte, fühlte ich, daß die Hand kalt war wie Eis . . . Wenn ich auf alles gefasst war, so doch nicht auf einen solchen Empfang . . . auf keinen Fall hätte ich gedacht, daß sie sich mir gegenüber nicht als Frau Kromitzka zeigen würde; und doch tat sie es nicht! sie stand vielmehr da, ganz wie meine alte Anielka: so schüchtern, so erschrocken, so gerührt! Mir verdankte sie ihr Unglück, mich traf alle Schuld, und doch schlug sie die Augen jetzt zu mir auf, wie wenn sie mich um Verzeihung bitten wollte . . . Liebe, Reue, Mitleid drangen mit solcher Gewalt auf mich ein, daß ich kaum imstande war, an mich zu halten: sie nicht in die Arme zu schließen! sie nicht mit inbrünstigen Worten der Liebe zu trösten! Aber so voll mir das Herz war, so war ich doch sprachlos ob dieser Ueberraschung, Anielka, meine alte Anielka, und keine Frau Kromitzka hier in Ploshow wiederzufinden, und ich drückte ihr stumm die Hand . . . und doch drängte es mich, zu sprechen, und mit schwacher, in dem großen Raume verhallender Stimme, die wie fremd klang, fragte ich sie: »Hat denn Tante nichts von meiner Anwesenheit in der Heimat gesagt? nichts Dir davon gesagt, daß ich nach Ploshow kommen wolle?« – »O ja, sie hat es mir – gesagt,« stammelte Anielka . . . Beiderseitiges Schweigen. Ich hätte mich schicklicherweise erkundigen müssen, wie es ihr ginge, wie es ihrer Mama ginge; aber ich fand keine Worte und wünschte von ganzem Herzen, daß diese Situation vorbeigehen möge . . . Zum Glück kam die Tante herein in Gesellschaft des Doktors Chwastowski, des jüngsten Sohnes unseres Verwalters, der Anielkas Mutter behandelt. Während Anielka an den Tisch trat, den Tee einzugießen, begrüßte ich die eingetretenen Personen und ließ mich mit der Tante in eine Unterhaltung ein, die mir die Herrschaft über mich wiedergab. Als ich mich bei der Tante nach dem Befinden der Frau Celina erkundigte, bezog sie sich fast immer auf die Meinung des jungen Arztes, der sich mir gegenüber in ein gewisses »Air« setzte, entschuldbar bei Männern, die erst kurze Zeit im Besitze ihrer mühsam anstudierten Würde sich befinden, aber auch es liebte, sich mir gegenüber als Aristokrat in der affektierten Arroganz des Demokraten aufzuspielen, was sich selbst dann nicht entschuldigen ließe, wenn ich ihm irgendwie zu nahe getreten wäre . . . Immerhin bereitete mir die Unterhaltung mit ihm Zerstreuung, ich lernte ihn im schließlichen Verlaufe derselben als einen verständigen Menschen kennen, im Grunde aber blieb mein Ton ihm gegenüber höflicher als der seinige mir gegenüber . . . Hin und wieder sah ich über die Tafel zu ihr hinüber: mit einer Empfindung, halb Wonne, halb Schmerz, sah ich, daß ich die alte Anielka vor mir hatte mit den nämlichen Zügen, dem nämlichen Gesicht, der nämlichen, von dem goldblonden Haar überschatteten Stirn . . . die gleiche Anielka mit all dem alten Liebreiz, all dem alten Glück . . . die aber nun für mich ewig, ewig verloren war! . . .

Anielka verstand sich zu beherrschen, war aber noch immer wie verschüchtert . . . In der Absicht, der Situation einiges von ihrem Zwange zu nehmen, erkundigte ich mich jetzt bei ihr nach dem Befinden der Mutter; aber erst nach mehrmaliger Wiederholung der Frage erfuhr ich von ihr, daß die Mama mich gern einmal sehen werde. Mir war das allerdings ein wenig unwahrscheinlich, aber ich scherte mich um die Mama nichts, sondern lauschte ihrer Stimme, die mir wie süße Musik in den Ohren klang . . .

Tantchen war in der besten Stimmung: sie freute sich nicht allein darüber, daß sie mich wieder hatte, sondern sie hatte von der Pianistin schon ein Wohltätigkeitskonzert zugesagt bekommen; und was sie dabei noch am meisten freute, war der Umstand, daß sie zwei anderen Damen, die im Interesse ihrer Vereine in der gleichen Absicht zu der Pianistin gekommen waren und die Tantchen noch auf der Treppe getroffen hatte, um eine Nasenlänge zuvorgekommen war. Fräulein Hilst hatte einen vorzüglichen Eindruck bei ihr hinterlassen.

Nachher mußte ich ihr von meinen Reisen erzählen, besonders von Island, und sie meinte, nachdem sie mir eine Weile gespannt zugehört hatte, wer dorthin reisen könne, müsse doch schon an allem gescheitert sein . . . »Daß ich mich dort wohlgefühlt hätte, möchte ich auch gar nicht behaupten,« bemerkte ich darauf . . . Anielka sah mich an, und wieder kündeten ihre Augen Scheu und Demut. Ihr engelgleiches Mitgefühl erdrückte mich schier. Ich hatte gedacht, sie als Frau Kromitzka wiederzusehen, und nun verriet mir gar nichts, daß sie verheiratete Frau war . . . ich mußte mich nachdrücklich zu diesem Gedanken zwingen, der aber keinen Widerwillen mehr in mir weckte, sondern nur tiefen, tiefen Schmerz . . .

Ich wollte auf Anielkas Mann zu sprechen kommen, denn es ist meine Art, in Wunden zu wühlen – aber ich brachte es nicht übers Herz, es kam mir vor wie eine Entweihung. Ich äußerte also den Wunsch, Frau Celina zu begrüßen. An der Tür zu dem Zimmer der Frau Celina hielt ich einen Moment inne und sagte zu Anielka: »Gib mir die Hand, liebe Schwester.« – Anielka reichte mir die Hand und ich sah, sie war mir dankbar dafür, daß ich sie Schwester nannte. In ihrem Blick las ich die Worte: Wir wollen gut Freund sein und uns alles verzeihen. Frau Celina war sehr kühl zu mir. Das nahm ich ihr aber nicht übel, denn ich mußte mir ja sagen, sie hatte guten Grund dazu. Sie hat sich sehr verändert. Schon seit geraumer Zeit muß sie im Rollstuhl sitzen und wird nun bei schönem Wetter in den Garten gefahren.

Ich fragte nach ihrem Befinden und äußerte die Hoffnung, der neue Frühling werde ihr neue Kräfte verleihen. Sie schüttelte den Kopf, zwei große Tränen rollten ihr langsam über die Wangen.

»Weißt Du, daß Gluchow verkauft ist?« fragte sie.

»Ja, ich weiß es,« antwortete ich. »Aber es läßt sich vielleicht noch gut machen, und es ist noch nichts verloren.«

Anielka warf mir einen dankbaren Blick zu, die Mutter aber erwiderte: »Ich habe keine Hoffnung mehr.«

Aber damit log sie, denn ich sah es ihr an, sie hatte noch nicht alles aufgegeben. Ja sie erwartete von mir, daß ich ihre heimlichen Hoffnungen – sei es auch nur mit einem Worte – nähren möchte. Und ich sprach von Nichtigkeitserklärungen von Kaufkontrakten und meinte, ein fester Wille kenne keine Hindernisse. Ich nahm indirekt sogar Kromitzki in Schutz, wenngleich weder von mir noch von den anderen sein Name ein einziges Mal genannt wurde.

Wenn ich so sprach, so bewog mich dazu teils die Absicht, großmütig zu erscheinen, teils der Wunsch, um Anielkas Gunst zu werben. Sie kam mir denn auch nachgelaufen, als ich mit der Tante ging, reichte mir die Hand und sagte: »Ich danke Dir im Namen der Mutter.«

Ich antwortete nicht, sondern drückte nur die Lippen auf ihre Hand. Heute ist Anielka bei ihrer Mutter geblieben und erst zum Mittagessen erschienen, an dem auch Frau Celina teilnahm. Ich bildete mir ein, Anielka wolle sich mir fern halten, obwohl es doch ganz begreiflich war, daß sie ihrer Mutter Gesellschaft leistete. Es ist ja klar, unser Verhältnis muß in der ersten Zeit seine Schwierigkeiten haben, wird aber allmählich wohl in die rechte Bahn einlenken. Anielka hat viel Feingefühl und echte Herzensgüte, es ist ihr nicht möglich, völlig gleichgültig zu bleiben. Aber sie hat noch nicht jene Gewandtheit im geselligen Verkehr, die sich auch in den heikelsten Verhältnissen äußerlich ganz unbefangen zu geben versteht. Diese Routine kommt erst mit den Jahren, wenn der lebendige Quell des Gefühls zu versiegen beginnt und das Gemüt im Konventionellen erstarrt.

Ich gab Anielka nicht den mindesten Anlaß zu vermuten, daß ich mich gekränkt fühlte oder ihr böse wäre. Mein Herz trieb mich, das sorgsam zu vermeiden. Was vergangen ist, werde ich nie berühren, auch ging ich nicht darauf aus, mit ihr allein zu sein. Beim Abendessen sprachen wir über allerhand, Tante fragte nach Klara, für die sie sich sehr interessiert, und dann kamen wir auf das Künstlertum überhaupt zu sprechen. Während dieser Unterhaltung fand Anielka Gelegenheit, eine sehr vielsagende Bemerkung zu machen. Sie sagte: »Die Musik gewährt den besten Trost.« Ich entnehme diesen Worten ein unbewußtes Geständnis, daß sie sich nicht glücklich fühlt und sich auch selber kein Hehl daraus macht. Davon wäre ich allerdings auch ohne diesen Ausspruch überzeugt gewesen.

Selbst ihr Gesicht ist nicht das einer glücklichen Gattin. Zwar ist es fast noch schöner jetzt – aber bei aller Ruhe und Heiterkeit fehlt die Wärme, die von einem inneren Frieden ausstrahlt. Das Gesicht hat jetzt einen Ausdruck der Sammlung, der ihm früher nicht eigen war. Es ist mir aufgefallen, daß ihre Schläfen jetzt ein eigentümliches Elfenbeingelb angenommen haben. Ich betrachtete sie unausgesetzt und der Vergleich ihrer jetzigen Erscheinung mit dem Bilde, das ich in der Erinnerung von ihr trug, hatte einen so wehmütigen Reiz für mich, daß ich ihn immer wieder aufnahm und fortsetzte. Es mag schönere Frauen geben, Anielka aber ist für mich die reizendste, anziehendste Frau – sie ist für mich das herrlichste Muster dessen, was ein Mann sich erträumen mag, wenn er sich nach einer Gattin sehnt.

Ja! ich hoffte, nur eine Frau Kromitzka zu finden – und ich fand Anielka. Gott allein weiß, wohin das für uns noch führen kann. Wenn sie mir zu verstehen gegeben hätte: Ich bin ja froh, daß ich nicht Dich genommen habe – dann wäre es noch gut, denn Zorn und Bitterkeit hätten mir schnelle Heilung bereitet. So aber ist es etwas ganz anderes! Die Frage, wie das enden soll, wage ich nicht zu beantworten.

25. April.

Ich gebe mich ganz diesem Leben in Ploshow hin und vergesse ganz, daß Anielka ja einem anderen gehört. Dieser Kromitzki, der da hinten in Baku oder sonstwo sich aufhält, ist fast kein wirkliches Wesen mehr für mich – er ist wie ein Unheil, das noch im Schoße der Zukunft ruht – wie etwa der Tod, der uns einmal bevorsteht und an den wir doch nicht immer denken. Heute aber hat mich doch etwas an ihn erinnert – ein an sich unbedeutender Vorfall. Anielka bekam nach dem Frühstück zwei Briefe.

»Schreibt Dir Dein Mann?« fragte die Tante.

»Ja,« antwortete Anielka.

Ich hatte ein Gefühl wie etwa ein zum Tode Verurteilter, der die Nacht über sanft geschlummert hat und nun aufgeweckt wird mit den Worten, daß es Zeit sei, sich das Haar rasieren zu lassen und den Kopf unters Beil zu legen. Anielka wollte die Briefe nicht sogleich lesen, aber meine Tante schien mich absolut peinigen zu wollen und fragte geradezu nach dem Inhalt. »Wie geht es ihm denn?« fragte meine Tante.

»Gott sei Dank,« antwortete Anielka, »über Erwarten gut.«

»Wann wird er denn wiederkommen?«

»Sobald er könne, schreibt er.«

Das war das erste Mal, seit ich in Ploshow bin, daß Anielka mir weh getan hat. Kannst Du nicht Erbarmen mit mir haben und vor mir nicht von diesem Menschen sprechen? Während sie ihre Briefe las – mir war's, als nähme es gar kein Ende – fühlte ich, daß diese beiden, Anielka und Kromitzki, durch unzählige gemeinsame Interessen und Ziele wie mit unzerreißbaren Fesseln miteinander verknüpft seien, und daß ich doch an die Luft gesetzt war, selbst wenn sie meine Liebe noch erwiderte. Bis jetzt hatte ich mein Unglück nur so empfunden, wie man die Tiefe eines Abgrundes ahnt, den ein Nebel dem Blick verdeckt – jetzt aber hatte der Nebel sich geteilt – und ich stand schwindelnd am Rande und sah hinunter in die bodenlose Tiefe.

Wenn ein so simples Geschehnis, daß ein Mann an seine Frau schreibt und sie es liest, mich derart aus der Fassung zu bringen vermag, was soll denn dann erst werden, wenn dieser Mann wieder hier ist und ich in jeder Sekunde einen neuen Beweis dafür erhalte, daß diese beiden einander angehören?

»Ich töte ihn!« rief eine Stimme in mir – aber ich fühlte sogleich, wie albern dieses Aufbrausen war.

Gleich nach dem Tee stand ich auf und sagte, ich wolle nach Warschau fahren. Trotzdem mich die Tante zum Mittag dabehalten und dann mit mir ins Konzert fahren wollte, ließ ich doch gleich den Wagen kommen.

»Ich sollte mich doch wohl Fräulein Hilst gegenüber revanchieren,« fügte die Tante. »Ob ich sie auf einen Tag nach Ploshow einlade? Was meinst Du?«

Gleich darauf fügte sie hinzu: »Wenn ich nur wüßte, ob sie imstande ist –«

Da unterbrach ich sie ungeduldig. »Fräulein Hilst ist mit der Königin von Rumänien befreundet,« sagte ich, »also wäre die Ehre wohl auf unserer Seite.«

»Na, na, na,« knurrte meine Tante.

»Kommst Du mit zum Konzert?« fragte ich Anielka.

»Ich muß Mama Gesellschaft leisten,« antwortete sie. »Und dann habe ich auch Briefe zu schreiben.«

»Wenn die sehnsüchtige Gattin ihr Herz ausschütten will, so sei es mir fern, zu stören,« sagte ich.

Diese ironischen Worte gewährten mir für den Augenblick Erleichterung. Ich dachte, mag sie doch wissen, daß ich sie liebe und Eifersucht hege. Sie gehört zu jenen engelhaften Geschöpfen, für die es nichts Böses gibt – so mag sie den Gedanken in sich aufnehmen, daß ich sie begehre. Wenn dieser Gedanke sie aus der Fassung bringt, wenn sie gegen diesen Gedanken ankämpfen muß, so bedeutet es schon einen halben Sieg, einen derartigen Fremdkörper, der Gärung stiften muß, in ihre Seele hineingedrückt zu haben. Es wird sich zeigen, wohin es führt.

Aber schon im Augenblick nachher ärgerte ich mich, daß ich so kleinlich gewesen war. Ich schalt mich selbst ein hysterisches Weib, das sich von seinen reizbaren Nerven hatte hinreißen lassen.

Ich hatte eigentlich gleich nach der Ankunft in Warschau zu Klara gehen wollen; da mich aber ein plötzliches Kopfweh plagte, mußte ich davon absehen. Klaras Renommee hatte die ganze gebildete Welt und alles, was irgend etwas von Musik verstand, herbeigerufen, der wohltätige Zweck tat das seine dazu. So war denn der Saal überfüllt. Ich sah mehrere Bekannten, zum Beispiel Sniatynskis, doch war ich verstimmt, und mich verdroß alles. Ich hatte Angst, Klara könnte durchfallen. Als sie im Ballkostüm allein auf dem Podium stand, kam sie mir vor wie eine wildfremde Virtuosin, nicht wie eine gute Freundin.

Klara setzte sich an den Flügel und spielte ein Stück von Mendelssohn, das ich auswendig kannte; aber ob es nun daher kam, daß ich fühlte, man erwarte ganz außerordentliche Leistungen von ihr, oder ob es von der sehr freundlichen Begrüßung herkam, die ihr zuteil geworden war, sie spielte schlechter, als ich gedacht hatte.

Verwundert sah ich Klara an, und unsere Blicke trafen sich auf einen flüchtigen Moment. Gleichzeitig erklangen ein paar Akkorde, die mir ganz verfehlt vorkamen. Sie wirkten wie die Töne einer zerrissenen Harfe, und nun war mir der Mißerfolg unzweifelhaft. Allerdings gewann Klara rasch ihre Fassung wieder, aber trotz allem mißfiel mir ihr Spiel sehr.

Zu meiner großen Verwunderung war jedoch der Beifall rauschend – selbst in Paris, wo Klara gefeiert worden war, hatte ich derartiges nicht erlebt. Rings sah ich strahlende Gesichter und Hände, die nicht müde wurden zu klatschen. Klara trat vor und dankte für den Beifall, aber ich hatte ja schon gelernt, in ihrem Gesicht zu lesen, und ihre Miene sagte mir: »Ihr seid ja sehr gut, liebe Leute, aber ich weiß es am besten, heute habe ich meine Sache so schlecht gemacht, daß mir die Tränen nahe sind.«

Auch ich klatschte, sie sah es und ich erhielt einen Blick des Vorwurfs von ihr. Der Beifall verstummte nicht eher, als bis sie noch die Cis-moll-Sonate von Beethoven zugab.

Diese musikalische Schöpfung ist der gewaltigste Ausdruck, der je dem Ringen einer tragisch erschütterten Seele verliehen wurde. Man hat hier das Gefühl, als würde man in eine entsetzliche Wüste versetzt, deren Grausen nicht von dieser Welt ist, und als säße hier, von bleichem Mondlicht beschienen, einsam und namenlos traurig, die verkörperte Verzweiflung und schluchzte und raufte sich das Haar.

Das Herz krampfte sich mir zusammen, die Kehle war mir zugeschnürt, auf der ganzen Versammlung lag ein schwüler Druck. Als Klara geendet hatte, saß sie ein kleines Weilchen mit aufgeschlagenen Augen und halboffenem Munde – man sah es ihr an, daß diese Versunkenheit, diese Selbstvergessenheit keine effekthaschende Pose, sondern lautere Wahrheit war. Das Publikum regte sich nicht, erwartungsvolle Stille herrschte rings – alle schienen noch im Banne dieser Töne zu sein, schienen auf den letzten Klang dieser wimmernden Verzweiflung zu lauschen. Und dann geschah etwas, das sich in einem Konzert wohl noch nie ereignet hat: es ertönte ein allgemeiner Aufschrei, als breche eben ein schweres Unglück herein. Alles drängte nach der Estrade, um der Künstlerin die Hand zu drücken. Auch ich trat zu ihr. Bisher hatte sie nur Französisch zu mir gesprochen, jetzt sprach sie zum erstenmal Deutsch zu mir. Sie erwiderte den Druck meiner Hand und fragte: »Haben Sie mich verstanden?«

»Ja, und ich war tief unglücklich,« antwortete ich.

28. April

Die Briefe, die von Kromitzki angekommen sind, bedrücken mich noch immer. Ich sehe immer mehr ein, daß ich kein Recht habe, so unzart zu Anielka zu sein, und damit wird mein Zorn gegen mich selber und meine Zärtlichkeit gegen Anielka immer heftiger. Immer mehr bemächtigt sich meiner die Ueberzeugung, daß diese beiden sich unzertrennlich angehören müssen. Ich sträube mich mit jeder Fiber meines Wesens gegen diese Ueberzeugung, und ich bin doch ganz ohnmächtig dem unabänderlichen Faktum gegenüber. Es ist ganz und gar nichts dagegen zu machen. Sie ist verheiratet, sie heißt Frau Kromitzka, sie gehört zu ihm und wird immer zu ihm gehören – und wenn ich das tausendmal nicht zugeben will, ich muß mich darein finden. Also finde ich mich drein. Wirklich? was hilft mir denn das nackte inhaltsleere Wort, wenn es mir durchaus gegen die Natur geht, mich drein zu finden? Die Vorstellung von einem grenzenlosen Jammer, wo alle Begriffe menschlicher Qual erschöpft sind und das Elend sich ins Unendliche erstreckt wie ein Ozean – eine solche Vorstellung ist mir schon immer gegenwärtig gewesen, doch jetzt, glaube ich, bin ich selbst auf diesen Ozean verschlagen. Und doch, es ist noch nicht alles dahin.

Seit ich wieder in Ploshow weile, habe ich mir noch nicht klar und deutlich gesagt, daß es mich danach verlangt, von Anielka wiedergeliebt zu werden. Aber wenn ich es auch nicht in Worte kleidete, so wußte ich doch, daß mich danach verlangte, daß mich schon immer danach verlangt hat. Also in Worte gekleidet: es verlangt mich danach, für Anielka der Inbegriff der Sehnsucht zu sein, von ihr ebenso heiß begehrt zu werden, wie ich sie begehre. Und dies will ich mit allen Mitteln meiner Seele, mit allen Kräften meines Verstandes zu erreichen suchen. Ich will sie diesem Kromitzki so weit, als es irgend möglich ist, entreißen. Ich will sie ihm ganz wegnehmen, wenn sie das zuläßt. Dann habe ich doch wieder einen Lebenszweck, ich weiß doch wieder, wozu ich aufwache, mich nähre und schlafe. Das ist mein Rettungsanker, und alle Bedenken, die ich gehegt habe, blase ich in die Winde. Wenn ich befürchte, Anielka könnte unglücklich werden, wenn sie mich wiederliebe – so hat das nichts zu sagen gegenüber der großen Wahrheit, daß schon das bloße Vorhandensein von Liebe im Herzen des Menschen einem ganzen Leben Gehalt verleiht und tausendmal mehr wert ist als ein ödes Vegetieren.

Der Augenblick, da dieses liebe Haupt an meine Brust sinkt, da diese süßen Lippen an meinen hängen, dieser Augenblick kann nicht im Bereiche des Uebels liegen – hier ist alles gut und wahr. Wenn auch Zweifel meinen Geist bedrücken, diese eine Wahrheit überstrahlt alles: ich glaube an die Reinheit und Wahrheit dieser Liebe. Nun habe ich doch etwas im Leben, das festen Halt hat. Ich bin mir sehr wohl bewußt, durch eine wie tiefe Kluft dieser Glaube von der herkömmlichen Alltagsmoral geschieden ist – ich weiß auch, daß Anielka ihn befremdend, ja entsetzlich finden wird – aber in der festen Ueberzeugung, daß hier das Gute und Wahre ist, kann ich sie an der Hand nehmen und in diese fremde Welt geleiten.

Nachmittags kam der Doktor Chwastowski zu Frau Celina – auch Anielka bat ihn zu sich, da sie so heftige Kopfschmerzen hatte, daß sie nicht zum Frühstück kommen konnte. Er sprach viel über Anielka, und das war mir lieb, denn wenn ich sie nicht sah, hörte ich doch von ihr. Im Laufe des Gespräches fragte ich ihn nach seinen Absichten für die Zukunft und ob er bald zu heiraten denke.

»Später vielleicht, vorderhand noch nicht,« antwortete er.

»Als Arzt dürfte es Ihnen bekannt sein,« meinte ich, »daß die Liebe ein physiologisches Bedürfnis ist.«

Der junge Chwastowski spielte den kühlen Kopf, dem menschliche Schwächen nichts anhaben. »Das gebe ich wohl zu,« antwortete er, indem er lächelnd die breiten Schultern in die Höhe zog, »aber man soll es nicht überhand nehmen lassen. Vor allem darf man sich ihm nicht widmen – dazu hat man genug anderes, zum Beispiel die Wissenschaften oder die sozialen Pflichten. Gegen die Ehe habe ich nichts einzuwenden. Der Mensch soll heiraten, das ist schon für ihn selber ein Segen, und dann ist es wegen der Fortpflanzung. Aber die Ehe ist keine fortwährende Liebelei.«

»Wie meinen Sie das?«

»Wir Männer der Arbeit haben keine Zeit, unser Leben bei Frauen und im Dienste der Minne zu vertändeln – das können sich Männer leisten, die nichts zu tun haben oder zu nichts anderem Lust haben.«

Mir gefiel dieses gesunde Exemplar des genus homo. Er hatte zwar eine gewisse jugendliche Arroganz an sich, die den eben erst der Schulbank entwachsenen Studenten kennzeichnete, aber seine Bemerkungen trafen doch vielfach das Richtige.

Frauen und Frauenliebe nehmen allerdings im Leben der arbeitenden Klasse oder im Leben derer, die nach einem hohen Ziele ernsthaft streben, keinen ersten Platz ein. Der Bauer nimmt sich eine Frau, weil er es nicht anders kennt und weil es für seine Wirtschaft vorteilhaft ist. Der Gelehrte, der Beamte, der Politiker widmen der Frau nur einen geringen Teil ihrer Zeit – nur der Künstler bildet eine Ausnahme – denn bei ihm gehört die Liebe zum Beruf. Die Frau und die Liebe sind der eigentliche Inhalt der Kunst. Vollends die herrschende Macht, die das ganze Leben ausfüllt, bildet die Frau für den vermögenden Müßiggänger, bei ihm ist sie der Brennpunkt alles Denkens und Handelns. Das sehe ich an mir selbst, denn ich bin reich und habe daher nie nach Arbeit getrachtet. Für mich war das Weib und die Liebe stets das schönste Ziel, die einzige Grundlage, der einzige Zweck des Daseins – und mein Unglück ist nur, daß diese Liebe sich nicht gesund auswachsen konnte, sondern verkümmern mußte, weil ich der ungesunde verkümmerte Sproß einer ungesunden Kultur bin.

Wenn ich meine Gefühle schlicht und einfach hätte ausleben können, so hätte ich mein Heil gefunden – aber ebensowenig wie der Bucklige sich von seinem Buckel befreien kann, ebensowenig kann ich mich von meinen Abnormitäten losmachen, die meine Abstammung und mein Zeitalter mir aufgebürdet haben – und meine Liebe – mag sie nun gerade oder krumm sein, geb ich nicht auf – ich kann ohne sie nicht sein.

4. Mai.

Seit kurzem befinde ich mich wieder in Ploshow, und mein ganzes Reden und Handeln ist seitdem der Liebe gewidmet. Darauf zielt alles hin. Doktor Chwastowski hat vernünftigerweise Anielka empfohlen, oft im Park spazieren zu gehen. Dort traf ich sie nun heute früh. Selbst wenn man sein eigenes Herz genau kennt, manchmal ist man selbst erstaunt, ja erschrocken, wenn ein plötzlicher Lichtblick die ganze Tiefe der Leidenschaft erhellt, von der man erfüllt ist. Als ich mich heute früh Anielka unvermutet im Garten gegenüber fand, war sie mir noch nie so begehrenswert, so eigens für mich geschaffen erschienen. Sie ist das Weib, das kraft jenes geheimen Naturgesetzes, über das noch kein Weiser sich Klarheit verschaffen konnte, mich zu sich hinziehen muß, wie der Magnet das Eisen anzieht, sie ist das Weib, das mich beherrscht und den ganzen Inhalt meines Wesens und meines Lebens bilden muß.

Ihre Augen schienen noch von Schlummer befangen – durch das junge Buchengrün fielen goldene Lichter auf ihr Antlitz und auf ihr helles Kleid – ihr Haar war lose aufgeknotet – ihre Bluse hing duftig herab und verriet ihren schlanken Leib und ihre geschmeidigen Schultern – sie sah so morgenfrisch aus, daß sie mir als Verkörperung des jungen Frühlings und all seiner Wonnen erschien.

Verlegen erwiderte sie meinen Gruß, denn sie fürchtet sich seit einigen Tagen vor mir. Der fremde Stoff, den ich in ihre Seele gebracht habe, ist schon in Gärung geraten und hat das Gleichgewicht ihres Gemütes gestört. Sie kann sich's nicht mehr verhehlen, daß ich sie liebe, und will sich's doch nicht eingestehen.

Ich habe bisweilen das Gefühl, als hätte ich ein Täubchen gefangen, das ich nun in der Hand halte – ich fühle, wie es bebt und zittert, ich fühle, wie ängstlich das Herz des Vögelchens pocht.

In verlegenem Schweigen schritten wir weiter – ich unterbrach die Stille absichtlich nicht. Ich weiß, solches Schweigen ist peinlich – aber gerade dadurch mache ich sie zu meiner Mitschuldigen und nähere mich meinem Ziel.

Als ich dann doch ein Gespräch anknüpfte, wußte ich es meinen Zwecken entsprechend zu gestalten. Denn für alles, was jetzt mittelbar oder unmittelbar zu meinem Vorhaben gehört, habe ich ein sehr genaues Urteil und eine feine Erkennung, ähnlich wie man im magnetischen Schlaf heller sieht als ein normaler Mensch. Ich sprach von meiner Person, und zwar in einer Weise, wie man nur zu jemand spricht, der uns ganz nahe steht, ja gewissermaßen ein Teil unseres Selbst ist. Ich wußte ein Gespräch zu unterhalten, wie es nur zwischen Mann und Frau geführt werden dürfte – und indem ich sie zwang, mich anzuhören und darauf einzugehen, verleitete ich sie so unmerklich, daß sie es gar nicht gewahr wurde, zur geistigen Untreue.

In ihrem Zartgefühl ahnte sie wohl, daß wir auf Abwege gerieten. Indem ich sie weiter und weiter führte, merkte ich, daß sie leisen Widerstand zu leisten begann, und ich erkannte sogleich, dieser leise Widerstand würde stärker, energischer werden, sobald ich sie heftiger fortzureißen versuchen würde. Gleichzeitig aber erkannte sie auch, daß ich die Macht auf meiner Seite hatte, ihren Widerstand zu brechen und sie schließlich doch so weit zu bringen, wie ich wollte.

»Wenn ein Mensch wie ich,« sagte ich, »sein Leben ändern und vom Müßiggang zur Tätigkeit übergehen soll, so muß er einen starken persönlichen Antrieb haben, sonst läßt er es bleiben. Du hättest mir einen solchen Antrieb geben können – denn Du bist besser und edler als ich – doch das hat nicht sein sollen. Aber selbst heute noch ist die Erinnerung daran, daß Du einen anderen Menschen aus mir einmal hast machen wollen, noch stark genug –«

»Sprich nicht so, ich bitte Dich, Leon, sprich nicht so,« unterbrach sie mich. »Daß Du solche Beziehungen zu mir unterhältst, das kann ich nicht gestatten – das mußt Du doch einsehen –«

»Warum solltest Du es denn nicht gestatten können?« erwiderte ich. »Mißverstehe mich doch nicht. Ich sehe in Dir nur eine Schwester, die ich über alles liebe. Weiter meinte ich nichts.«

»Eine Schwester will ich Dir immer sein,« antwortete sie und reichte mir fast flehend die Hand, die ich küßte.

Das bloße Wort Schwester gab ihr die Ruhe wieder. Als ich ihre Hand mit den Lippen berührte, trieb es mich, sie in die Arme zu schließen und ihr alles zu sagen, aber ich beherrschte mich.

»Siehst Du, liebe Schwester,« fuhr ich fort, »ich bin recht einsam – mein Vater ist tot – mit meiner Tante verstehe ich mich nicht recht, so gut sie sonst auch ist – eine Frau mag ich auch nicht nehmen – nun denke Dich an meine Stelle, in dieses Eremitendasein hinein. Ich habe niemand, mit dem ich Gedanken austauschen, mit dem ich über meine Pläne sprechen könnte. Ist es da denn zu verwundern, wenn ich mich an irgendwen wende, von dem ich erwarten könnte, daß er Interesse für meine Angelegenheiten hat? Ich bin wie ein Bettler, der an der Tür auf ein Almosen wartet, und der Bettler klopft nun an Deine Pforte und bittet um ein wenig Teilnahme, um ein bißchen Freundschaft und Barmherzigkeit – mehr will er ja gar nicht. Wirst Du ihm das abschlagen?«

»Nein, gewiß nicht, Leon, zumal wenn Du so elend bist –« die Stimme versagte ihr, sie zitterte heftig, und ich mußte alle Kräfte zusammennehmen, um nicht vor ihr niederzufallen. In tiefer Bewegung, dem Weinen nahe, konnte ich nichts weiter stammeln als »Anielka! Anielka!«

»Mein Gott, so kann ich nicht ins Haus,« flüsterte sie unter Tränen – »Ich bitte Dich, laß mich –« und sie eilte davon.

Ich wollte ihr nacheilen, aber dann sagte ich mir, es sei wohl besser, sie allein zu lassen. Aber ich wollte nicht gehen, ohne sie noch einmal gesehen zu haben, und wartete draußen. Es währte geraume Zeit, bis sie wiederkam. Dann eilte sie an mir vorbei und grüßte mich nur durch ein freundliches Lächeln. »Es ist schon gut,« sagte sie leise.

Als sie hineingegangen war, ergriff mich toller, unsagbarer Jubel. Mir war, als wollte mein Herz springen vor Freude, und im Kopfe wirbelte mir nur der eine Gedanke: »Sie liebt mich! sie sträubt sich wohl dagegen, sie täuscht sich noch selbst darüber – aber sie liebt mich doch!«

Wenn ich jetzt gelassen über diesen Freudentaumel nachdenke, so erkenne ich, daß sich mein Jubel aus verschiedenen Elementen zusammensetzte. Einesteils war es die Wonne des Künstlers, der sein Meisterwerk gelingen sieht – andererseits war dabei auch etwas von der Freude, die eine Spinne empfinden mag, wenn eine Fliege ihr unrettbar im Netz sitzt – dann mischte sich darein auch Mitleid, Güte, Zärtlichkeit. Am Grunde lag auch noch ein leiser Selbstvorwurf über den Betrug, den ich an ihr übte, und doch war ich mir völlig klar darüber, daß ich im ganzen Leben noch niemals aus innerstem Herzen die Wahrheit gesagt hatte.

10. Mai.

Anielka ist ruhig und glücklich. Sie glaubt mir – sie setzt bei mir nur die Zuneigung eines Bruders zur Schwester voraus, und da ihr Gewissen es ihr gestattet, auch mir geschwisterliche Zuneigung entgegenzubringen, so überläßt sie sich dem Zuge ihres Herzens. Aber ich weiß, sie betrügt sich selbst, und sie hintergeht schon damit ihren Mann, denn das, was sie für geschwisterliche Neigung hält, wächst sich zu etwas ganz anderem aus. Ich denke selbstverständlich nicht daran, ihr das klar zu machen. Ehe ich das tun kann, muß dieses andere erst so weit sich entwickelt haben, daß es nicht mehr auszumerzen ist. Das wird in absehbarer Zeit der Fall sein. Und in dieser Gewißheit finde ich Ruhe, so daß ich mich jetzt fast begnügen könnte, ohne mehr zu begehren – wenn nur nicht noch jemand anderes ein Anrecht auf sie hätte! Mein Anrecht ist allerdings das größere, denn meine Liebe ist die größere – das ist logisch und unanfechtbar.

In der Ethik aller Nationen und Dogmen hat von jeher der Satz zu Recht bestanden, daß die Frage des Besitzes zwischen Mann und Weib durch die Liebe entschieden wird.

Heute aber fühle ich mich so glücklich, daß ich lieber meinen Gefühlen mich überlassen will, statt zu philosophieren. Anielka und ich! wie sind wir doch für einander geschaffen, wie wonnig badet sich das liebe Wesen in dem verräterischen Meere der geschwisterlichen Neigung. Ihr ganzes Wesen lechzt ja nach Liebe, und dieser Kromitzki ist so kalt, liebt sie so wenig, daß sie wirklich mit Shakespeare sagen könnte: »Den armen Toms friert.« – Aber ich gelobe ihr in aller Glut meines Herzens: Solange mein Herz schlägt, soll sie nicht frieren!

Nach dem Frühstück fuhr meine Tante nach Warschau, um Sniatynskis und Fräulein Hilst einzuladen. Anielka begann sogleich, mich mit Klara zu necken. Fräulein Hilst, antwortete ich, sei viel zu groß, um in einem Männerherzen allein Platz zu haben, sie müßte mindestens von dreien auf einmal geliebt werden. Aber Anielka drohte mir neckend mit dem Finger und rief: »Sehr verdächtig! sehr verdächtig!«

Dann las ich ihrer Mutter und ihr vor, und der Tag verging mir, wie einem sorglosen Schuljungen ein heiterer Ferientag. Wenn ich die Augen von dem Buche aufschlug und Anielka ansah, erfüllte mich stets mächtige Freude, denn ihr Auge ruhte auf mir wie das eines unschuldigen Weibes, das von ganzem Herzen liebt – ohne es noch selber zu ahnen.

13. Mai.

Klara und Sniatynskis haben uns nicht besucht, sie wollen morgen kommen, wenn gutes Wetter ist. Heute haben wir ein schweres Gewitter gehabt. Ein heftiger Orkan drückte die Bäume fast bis zur Erde – unser Park war von herabgeworfenen Aesten unwegsam geworden, ganze Wolken von entblättertem Laub wirbelten umher. Eine große Linde hat der Blitz mitten entzwei gespalten.

Gegen Mittag wurde es plötzlich ganz still, und nur schwarze Wolken mit kupferfarbenen Rändern rollten dichtgeballt heran. Es war bisweilen so finster, daß Frau Celina erschrocken nach Licht rief. Bisweilen zuckte wieder ein blendender Schein über die Erde hin. Der Verwalter lief zum Vorwerk, um das Vieh vom Felde schleunigst hereinholen zu lassen, doch schienen die Knechte das schon von selbst getan zu haben, denn bald hörten wir das bange Gebrüll der Kühe.

Meine Tante nahm sofort das Glöcklein von Loreto zur Hand und ging durchs ganze Schloß, um überall sein beschwörendes Läuten ertönen zu lassen. Ich gebe es von vornherein auf, ihr klar zu machen, daß das gar nichts nütze – sondern daß das Metall der Glocke eher noch den Blitz anziehen könnte – aber ich begleite sie, denn der Gedanke, daß sie sich dieser Blitzgefahr allein aussetzen solle, beschämt mich. Meine Tante imponierte mir gewaltig, wie sie so mit siegesgewissen Blicken nach den drohenden gelben Wolkenballen blickte und ihre Glocke gegen sie schwang. Dieser Anblick wirkte auf mich wie die Großartigkeit eines symbolischen Bildes. Vor der entfesselten Gewalt der Elemente zitterte sonst alles – nur der Glaube trotzte den bösen Mächten ohne Furcht und schwang läutend seine Glocken. Man mag sagen, was man will, es ist gar nicht zu berechnen, welche Kraft in der Menschenbrust der Glaube zu erzeugen vermag.

Als wir zurückkehrten, brach der erste Donner los, und gleich darauf prasselte und krachte es alle Augenblicke. Die Decke dieses Wolkengewölbes barst und seine Wucht stürzte donnernd zur Erde. Der Blitz schlug in den Teich – gleich darauf schlug es noch näher ein, und das Wohnhaus schien dem Einsturz nahe. Die Frauen beteten – ich wußte nicht, was ich tun sollte. Mit ihnen zu beten, wäre Heuchelei gewesen, so unterließ ich es. Dabei wirkten diese vorgeschriebenen Gebetformeln binnen kurzem beruhigend auf sie, und all ihre Furcht war geschwunden – sie sahen gefaßt, ja heiter darein. Und ich fühle wieder, daß ich unter diesen drei Polinnen ein Fremdling bin. Jede einzelne von ihnen weiß zehnmal mehr als ich und ist zehnmal besser. Jede von ihnen ist gewissermaßen ein Buch, dessen Inhalt nur aus ein paar Blättern besteht – aber auf jedem Blatte sind klare schlichte Regeln und Grundsätze – wohingegen die vielen Bände, die den Inhalt meines Wesens bilden, nicht eine einzige Wahrheit enthalten, an der man nicht zweifeln könnte.

Der Sturmwind tobte mit furchtbarer Gewalt – der Regen strömte in Fluten hernieder, so daß die Wege im Parke in Gießbäche verwandelt waren. Dabei schwieg der Donner nicht, und es war, als wenn ein Bombardement über uns verhängt worden wäre.

Ich trat zu Anielka und fragte sie, ob sie sich das Gewitter ansehen wolle.

»O ja,« erwiderte sie.

»So komm mit an das venetianische Fenster im anderen Zimmer.«

Wir gingen beide hinüber und schauten durchs Fenster. In kurzen Zwischenräumen zerriß der Blitz die Finsternis, und im grellen Lichte sahen wir die von Wasser triefende Welt ringsum und unsere Gesichter. Mit jedem neuen Blitzstrahl erschien mir Anielka verführerischer.

»Hast Du keine Angst?« fragte ich leise.

»Nein,« sagte sie.

»Gib mir Deine Hand.«

Sie sah mich erstaunt an – es fehlte nicht viel, so hätte ich sie an mich gerissen und ihren Mund mit heißen Küssen verschlossen, – und jetzt hatte sie Angst, aber nicht vor Blitz und Donner – sondern vor meinen Augen und meiner flüsternden Stimme, und sie eilte wieder zu den älteren Damen.

Da stand ich nun. Ich war wohl im Begriff gewesen, Anielkas Vertrauen zu mißbrauchen – jetzt aber fühlte ich mich beleidigt, als wenn sie mir einen solchen Vertrauensbruch auch zugetraut hätte. Ich blieb noch eine Stunde etwa stehen und starrte wie verloren in die zuckenden Blitze. Allmählich ließ das Wetter nach, der Regen hörte auf, der Himmel lichtete sich, die Wassermassen verliefen sich. Ich ging hinaus, um den Schaden zu besichtigen, den das Wetter angerichtet hätte und der übrigens in der Tat gar nicht unbedeutend war. Im Parke fand ich schon ganze Scharen von Dörflern, die die abgefallenen Aeste sammelten und die umgerissenen Bäume zu zersägen anfingen. Sie wollten sich bei dieser günstigen Gelegenheit mit Brennholz versorgen. Da ich aber sehr mißgestimmt war, verdroß es mich, daß sie hierzu nicht erst Erlaubnis eingeholt hatten, und ich jagte sie fort. Da erklang hinter mir die süßeste Stimme, die es für meine Ohren auf dieser Welt gibt.

»Was schadet es denn, wenn die Leute hier aufräumen?« fragte Anielka auf französisch. Sie hatte sich ein Tuch über den Kopf geworfen, mit beiden Händen hielt sie ihr Kleid hoch, so daß ihr zierlicher Fuß und die schön geformten Knöchel zum Vorschein kamen.

Mein Verdruß war im Augenblick verraucht. »Bedankt Euch bei der Dame,« sagte ich zu den Bauern, »und nehmt Holz mit, so viel Ihr könnt.«

Wenn ich Herr von Ploshow wäre, – auf ein Wort von ihr ließe ich den ganzen Park abschlagen. Wir gingen durch die verwüsteten Anlagen und fanden auf der Erde ganze Scharen von Vögeln, die erschlagen waren oder doch vor Nässe sich nicht bewegen konnten. Wir hoben sie alle auf, und dabei berührte ich mehrmals Anielkas Hand und sah ihr tief in die Augen. Wonnige Seligkeit erfüllte mich, und ich erkannte wieder, daß es weit mehr als geschwisterliche Neigung war, was in ihrem Herzen – ihr selber noch verborgen – für mich sich regte.

15. Mai.

Das Wetter ist wieder herrlich, die Wege sind wieder trocken, und heute ist denn auch unser Besuch gekommen.

An diesen fünfzehnten Mai werde ich lange denken, denn er ist ein Tag von großer Wichtigkeit in meinem Leben geworden.

Die Damen waren sehr heiter gestimmt. Klara trug ein helles gestreiftes Kleid, in welchem ihre Figur nicht ganz so groß erschien. Uebrigens war Anielka erstaunt über ihre Schönheit, denn davon hatte ich noch nie gesprochen, wie ich ja manches kaum beachtet hatte, weil eben mein ganzes Sinnen sich auf Anielka konzentriert. So war mir, obwohl ich schon zweimal bei Sniatynskis gewesen bin, noch nicht aufgefallen, daß Frau Sniatynska das Haar kurz geschnitten trägt. Das kleidet sie vorzüglich, denn das blonde Gelock, das ihr so keck in die Stirn fällt, gibt ihr das Aussehen eines rotbäckigen Buben. Sie ist jetzt wieder gut mit mir – ihr Mann hat ihr jedenfalls erzählt, wie schlecht mir selber die Suppe bekommt, die ich mir eingebrockt habe, und da alle Frauen ein Faible für einen unglücklich Verliebten haben, so habe ich nun wieder einen Stein bei ihr im Brett.

Trotz aller Herzensgüte war Anielka zuerst ein wenig steif und förmlich gegen Klara, und das ungezwungene, lustige Wesen der Frau Sniatynska half viel, sie einander näher zu bringen. Klara war ganz entzückt von Anielkas Schönheit, und in ihrer Gepflogenheit, alles, was sie denkt, mit künstlerischer Ungeniertheit herauszusagen, sprach sie ihre Bewunderung unverhohlen aus, tat es aber mit so aufrichtiger Begeisterung, daß Anielka es ihr nicht übelnehmen konnte und daß Anielkas Mutter sich vor Freude im siebenten Himmel fühlte. Sniatynski ergriff diesen Gegenstand sofort und ließ sich des näheren über den Typus von Frauenschönheit aus, als welchen man Anielka bezeichnen könnte, und er sprach über die vom ästhetischen Standpunkt vollendete Erscheinung mit so spaßhafter Sachlichkeit, als sei es ein Porträt an der Wand, um das es sich handelte, nicht aber eine Person, die mitten unter uns saß. Anielka aber wurde so verlegen und errötete so tief, daß sie wie ein kleines Mädchen und somit noch viel reizender aussah.

Die Tante gab dem Gespräch eine andere Wendung, denn als Wirtin fühlte sie sich verpflichtet, die Rede auf Klaras letztes Konzert zu bringen. Ich wunderte mich hier über meine Tante, erstens bekundete sie so ausgezeichnete Musikkenntnisse, wie ich sie ihr nicht zugetraut hätte, und zweitens konnte sie, die sonst so frisch von der Leber reden konnte und so unverblümte Grobheiten zu sagen verstand, im reinsten Geiste des achtzehnten Jahrhunderts Komplimente machen – eine Kunst, die wir nur noch bei vornehmen Damen der früheren Generationen vorfinden, denn unsere Zeit gibt nichts mehr darauf.

Klara gefiel das sehr gut und sie stand an ausgesuchter Höflichkeit nicht hinter ihr zurück. »Mein Bestes,« sagte sie, »gebe ich aber immer gern in einem kleinen Kreise, wo mir jeder einzelne Zuhörer sympathisch ist. Wenn ich so frei sein dürfte, so möchte ich gleich nach dem Frühstück die Probe ablegen.«

Meine Tante war sehr erfreut, denn sie hatte sehnlichst gewünscht, Anielka und Frau Celina möchten doch auch einmal die große Künstlerin hören, nur hatte sie nicht recht gewußt, ob sie sie zum Spielen auffordern dürfe, da man sie zu Besuch geladen hatte.

Klara spielte dann ein paar Stellen aus Mozarts »Don Juan«. Sobald sie die ersten Töne angeschlagen hatte, war sie eine andere. Sie war nicht mehr das lustige Mädchen, das eben noch sich mit uns unterhalten hatte, sie war eine heilige Cäcilia, und das Gemeinsame zwischen ihrem Aeußeren und ihrer Kunst, die Harmonie ihrer Kunst und ihrer Erscheinung verlieh ihr etwas, wodurch sie über das gewöhnliche Niveau eines Weibes emporgehoben wurde. Und bei diesem Anblick wurde ich mir über etwas Neues klar.

Ich verglich Anielka mit der hoheitsvollen Klara, und Anielka saß in der Ecke, klein, schüchtern, fast beklommen. Aber ich fühlte: so wie sie war, so klein und unscheinbar gegen die Künstlerin – so war sie mir die Teuerste, die Liebste!

Das Bild, das die Allgemeinheit von einer Frau hat, ist nie das richtige. Nur der Liebende kann ihren vollen Wert ergründen. Ihre absolute Vollkommenheit steht in direktem Verhältnis zu der Größe der Liebe, die sie einflößt.

Ich prüfte, was die anderen für Gesichter machten, während Klara spielte, und bemerkte dabei, daß Anielka ihrerseits mich beobachtete. Tat sie das aus Neugierde, oder veranlaßte sie hierzu die ihr selber unbewußte Herzensregung, jenes Bangen, das ihr selber noch unerklärlich ist? Wenn dies der Fall wäre, so hätte ich hierin einen neuen Beweis, daß sie mich liebt. Ich nahm mir vor, noch heute eine Antwort auf diese Frage zu erlangen.

Nun wich ich nicht mehr von Klaras Seite und sprach mit ihr mehr und in herzlicherem Tone als je zuvor. Als wir am Morgen im Walde spazieren gingen, war ich neben ihr und blickte nur hin und wieder auf Anielka, die mit Sniatynskis ging. Als sie zu uns traten, bat ich Klara, sie möchte die ganze Schönheit dieses Waldes mit dem Sonnenglanze, den rauschenden Bäumen, den zwitschernden Vögeln, dem lichten und dunklen Grün in Töne übersetzen, und sie sagte gleich, in ihrer Seele erklinge schon ein Lied vom Lenze und sie wolle versuchen, ob sie es zu Hause spielen könne. Dabei strahlte ihr Angesicht und ihre Wangen erglühten, sie glich einer Harfe, in der es von Gesängen und Klängen zitterte. Anielka aber mußte sich zusammennehmen, um ihre Mißstimmung zu verbergen. Sniatynskis waren vergnügt wie Schulkinder und jagten einander, daran nahm auch Klara teil, was ihr freilich gar nicht anstand, denn im schnellen Laufen verlor ihre große Gestalt alle Grazie. Jetzt trat ich zu Anielka, denn es erschien mir am Platze, sie auf ihre Verdrossenheit hinzuweisen.

»Du fühlst Dich heute nicht wohl, Anielka?« fragte ich. – »O doch! mir fehlt gar nichts.«

»Du bist mißgestimmt, gefällt Dir Klara nicht?«

»Sehr gefällt sie mir. Ich kann es wohl begreifen, daß alle Welt für sie schwärmt.«

Ich konnte jedoch das Gespräch nicht fortsetzen, denn die anderen kamen hinzu, und es war Zeit zur Heimkehr. Sniatynski fragte, ob Klara wirklich so sehr mit der Aufnahme, die ihr in Warschau bereitet worden sei, zufrieden wäre. »Ei gewiß!« antwortete sie. »Sie sehen ja, ich möchte gar nicht wieder fort.«

»Wir werden uns bemühen. Sie für immer hier festzuhalten,« sagte ich.

Klara sah mich verwundert an und wußte nicht, was sie vor Verlegenheit antworten sollte. Ich wußte wohl, daß es eigentlich niederträchtig von mir war, Klara durch solche Worte aufs Eis zu führen, aber mir war jetzt nur darum zu tun, zu erproben, wie eine solche Andeutung auf Anielka wirken würde. Aber ich konnte leider die Wirkung nicht erkennen, denn sie bückte sich, ihren Handschuh zuzuknöpfen, und ihr Hut verdeckte mir ihr Gesicht. Aber schon in dieser Bewegung glaubte ich den gewünschten Erfolg zu konstatieren.

Wir saßen bis etwa um neun bei Tische, dann gab Klara ihr Lied vom Lenz zum besten, und sicherlich ist in Ploshow noch nie eine derartige Musik vernommen worden, aber ich war nicht bei der Sache, all meine Gedanken weilten bei Anielka. Ich saß neben ihr – das Zimmer war dunkel, denn Klara hatte darum gebeten, kein Licht zu bringen. Anielka saß ganz still und ich hätte darauf schwören mögen, sie dachte über mich und Klara nach und was wohl meine Worte im Walde besagt hätten. Ich erriet unschwer, daß es ihr schmerzlich war, meine Zuneigung zu verlieren, mich eine andere lieben zu sehen, selbst wenn sie mich nicht liebte und keine Ahnung davon hatte, wie leidenschaftlich ich sie in Wahrheit liebte. Denn eine Frau, die in ihrer Ehe nicht glücklich ist, klammert sich an jeden, der ihr ein wärmeres Gefühl entgegenbringt, und sie wäre jetzt vielleicht – ob auch noch so entsetzt – doch außer sich vor Seligkeit gewesen, wenn ich zu ihren Füßen hingesunken wäre und ihr meine Liebe gestanden hätte. Wenn ich mit dieser Vermutung das Rechte traf, so war es am besten, ich machte dieses Geständnis sobald wie möglich.

Nun kam es nur noch auf die Form an und sofort sann ich darüber nach, in welcher Form ich es tun könnte. Das war nicht leicht zu entscheiden, denn ich begriff, welch ein entscheidender Wendepunkt mit einem solchen Geständnis meinerseits im Leben Anielkas eintreten müsse, und mir war bange um sie. Um mich selber seltsamerweise nicht.

Es war jetzt hell im Salon – der Mond war aufgegangen und warf seinen Schein herein. Ich sah Anielka an, aber ihr Blick hing unverwandt an Klara, die jedoch ihr Spiel nun zu Ende führte, denn Sniatynskis erinnerten daran, daß es Zeit sei, sich auf den Heimweg zu begeben.

Wir schickten auf meinen Vorschlag den Wagen ein Stück voraus und gingen bis dahin zu Fuße. Ich hatte damit gerechnet, daß meine Tante nicht mitkommen und ich dann auf dem Rückweg mit Anielka allein sein würde. Ich führte Klara, Anielka ging ganz still mit Sniatynskis. Endlich hatten wir den Wagen erreicht, die Gäste fuhren davon – und ich war mit Anielka allein.

Schweigend gingen wir auf das Haus zu. Mit Absicht schwieg ich eine Weile, damit Anielka fühlen sollte, daß etwas Unausgesprochenes zwischen uns liege. Halbwegs begann ich dann:

»Was war das heute für ein köstlicher Tag! Meinst Du nicht auch?«

»Ja, eine so schöne Musik habe ich noch nie gehört!«

»Und doch warst Du betrübt. Ich habe es gesehen, denn ich habe für nichts anderes Augen als für Dich.«

»Heute hast Du Dich aber den Gästen widmen müssen – es ist ja sehr nett von Dir – aber mir fehlt wirklich nichts.«

»Ich habe auch heute nur Dich allein im Auge gehabt. Soll ich es Dir beweisen, indem ich Dir sage, was Du den ganzen Tag über gedacht hast?«

Und ich wartete nicht ab, daß sie mich dazu auffordern würde, sondern setzte gleich hinzu: »Du hast bei Dir gedacht, es sei ganz überflüssig von mir gewesen, Dich um Freundschaft und Teilnahme zu bitten, denn ich hätte mich ja früher schon an eine andere gewandt. Sei doch aufrichtig – hast Du nicht das gedacht?«

»Allerdings,« antwortete sie unwillig, »wenn Du es durchaus wissen willst – aber darüber kann ich ja nur froh sein.«

»Wieso?«

»Nun, ich meine, wenn Du mit Klara auf freundschaftlichem Fuße stehst –«

»Sie ist mir genau so gleichgültig wie alle anderen Frauen – und weißt Du auch, weshalb?« – Meine Stimme bebte, denn ich wußte, der entscheidende Augenblick war gekommen. – »Es muß Dir doch ganz klar sein,« fuhr ich fort, »daß ich Dir allein gehöre, daß ich allzeit nur Dich geliebt habe, daß ich Dich noch jetzt wahnsinnig liebe!«

Wie versteinert blieb sie stehen – aber wenn ihr in diesem Augenblick zu Mute war, als würde aller Boden ihren Füßen entzogen, so setzte ich ja auch meine ganze Seele aufs Spiel.

»Antworte nicht,« fuhr ich rasch fort, »denn ich verlange von Dir nichts – hörst Du wohl, gar nichts! Ich wollte Dir nur sagen, daß mein Leben Dir allein geweiht ist – Du kannst mich von Dir stoßen – aber kommen und Dir mein Elend klagen, das mußte ich tun – denn ich habe sonst keinen Menschen – und so sag' ich es denn Dir, Dir, meiner Schwester, wie unglücklich ich bin – unglücklich durch die grenzenlose Liebe zu einer Frau, die einem anderen gehört!«

Wir waren nahe am Tore – auf einen Augenblick war es mir, als neige sie sich zu mir – schon wollte ich sie in die Arme schließen – da raffte sie sich auf und rief im Tone einer nervösen Beherztheit, die ich ihr nicht zugetraut hätte:

»Laß mich damit in Ruhe, Leon – ich will's nicht hören – ich will nicht!«

Damit verließ sie mich und verschwand im Schlosse.

Ich blieb zurück – Schrecken, Mitleid, Bestürzung waren meine ersten Empfindungen – dann aber fühlte ich Zufriedenheit, denn die schweren Worte, die für uns beide ein neues Leben anbahnen sollten, waren nun wenigstens gesprochen. Fürs erste hatte ich nichts weiter erwarten können – das Samenkorn, aus dem alles andere sich entwickeln konnte, war ausgestreut.

Morgen will ich nach Warschau reisen und dadurch Anielka Zeit lassen, über meine Worte in Muße nachzudenken. Außerdem fürchte ich selber mich ein wenig vor einem Wiedersehen mit ihr, und ich möchte das, was nun kommen muß, noch ein wenig hinausschieben.

Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich eine schwere Schuld auf mich geladen, indem ich den Keim meiner Schlechtigkeit in ihre reine Seele gestreut habe. Doch nein! der Kern alles Unheils ist nur ihre Ehe mit einem Manne, den sie nicht liebt. Was ist sittlich reiner: meine Liebe oder ihr Bund mit jenem Manne, der von Liebe nichts weiß? Das rechtlichste Verhältnis wird zum Frevel, wenn es mit Liebe nichts zu tun hat. Uebrigens wirft das eine Wort: Ich liebe! diese eine große erhabene Tatsache, alle theoretischen Bedenken über den Haufen.

19. Mai.

Das Fazit, das ich aus meinen Erwägungen ziehe, ist: Ich spiele um mein Leben, aber das Spiel steht so, daß ich es nicht verlieren kann. Ich fuße auf dem Recht, das jedes lebende Wesen hat: dem Recht der Selbstverteidigung. Ich habe nichts, keine Ueberzeugungen, kein Dogma, keine Grundsätze, das alles hat mir mein Skeptizismus genommen – ich habe nur noch den Willen zum Leben, der jedem Menschen angeboren ist, und dieser Wille geht in der Liebe zu diesem Weibe auf. Wie der Ertrinkende nach einer Planke greift, die ihn retten soll, so greife ich nach dieser Liebe. Wird sie mir entzogen, so ist es um mein Leben geschehen. Wenn man dagegen die Frage aufwirft, warum ich denn nicht Anielka zur Frau genommen habe, so kann ich darauf nur antworten, weil ich ein Krüppel bin, – weil meine beiden Ammen, der Hang zum Reflektieren und die kritische Veranlagung, mich zum Krüppel werden ließen. Wenn sie heute frei würde, so heiratete ich sie ohne Säumen – aber wenn sie nicht einen anderen Mann geheiratet hätte – je nun! so wäre ich vielleicht nicht so sehr närrisch nach ihr, und ich würde wahrscheinlich wieder über alle Kleinigkeiten in meinem und ihrem Wesen so lange tüfteln und grübeln, bis mir wieder ein anderer sie weggeschnappt hätte. Der Teufel hole alles Grübeln – ich will lieber gar nicht darüber nachdenken!

20. Mai.

Heute habe ich darüber nachgedacht, was wohl zu tun ist, wenn Anielka mir ihre Liebe gestanden hat. An Ehescheidung in Ploshow auch nur zu denken, erscheint mir unerhört. Eher könnte das Haus einstürzen. Die alten Damen könnte womöglich gleich der Schlag rühren. Und trotzdem bin ich fest entschlossen, die Ehescheidung zu proklamieren, und Anielka muß sich mit dem Gedanken befreunden. Aber freilich werden wir wohl warten müssen, bis die Tante und Frau Celina nicht mehr sind. Ob Kromitzki das recht ist oder nicht, das kommt gar nicht in Frage.

Wohl hintergehe ich Anielka, wenn ich ihr versichere, ich begehre nichts von ihr – aber das ließe sich nur dann als Lüge bezeichnen, wenn meine Liebe selber eine Lüge wäre. Sie ist aber die erhabenste Wahrheit – und so ist dieser Vorwand gewissermaßen ein Gefühlskniff, wie sie in der Diplomatie der Liebe erlaubt sind.

21. Mai.

Ich beabsichtige, meines Vaters Sammlungen nach Warschau zu überführen und ein Museum der Familie Ploshowski anzulegen. Das wird dann die erste nützliche Tat sein, die aus meiner Liebe zu Anielka entspringt, und somit gewissermaßen ein Verdienst Anielkas. Da fällt mir auch ein – jene Madonna von Sassoferrato hat ja mein Vater seiner zukünftigen Schwiegertochter vermacht. Ich will sie mir gleich schicken lassen – ich kann sie gut gebrauchen.

22. Mai.

Ich kann es vor Sehnsucht nicht mehr aushalten – ich muß Anielka vor Augen haben – morgen fahre ich wieder nach Ploshow. Es sieht so aus, als wollte ich mich der Verantwortung entziehen. Wenn es auch in der Ordnung war, nach der Erklärung abzureisen – jetzt muß ich wieder hinfahren.

Ich besuchte Sniatynskis und Klara und nachher eine Frau Korytzka – eine berühmte Schönheit, die ein wenig mit mir zu kokettieren anfing.

Ich trage mich mit dem Gedanken, irgend etwas zu beginnen, um in Anielkas Achtung zu steigen – sie denkt in diesem Punkte ziemlich verschroben, und ich möchte aus persönlicher Eitelkeit und, um ihr zu gefallen, mich um eine hervorragende Stellung bewerben. Ich werde zusehen, was sich machen läßt, zunächst meines Vaters Sammlungen herüberkommen lassen, dann mehrere öffentliche Einrichtungen unterstützen und zunächst mit meinem Geldbeutel operieren. Was solch eine Frau wie Anielka doch für einen Einfluß übt! Auf einmal erinnere ich mich an allerlei Verpflichtungen, an die ich früher mit keinem Gedanken dachte. Sie ist mein guter Genius – ich will wieder zu ihr eilen.

Als ich nach Ploshow zurückkehrte, sah Anielka angegriffen aus, aber sie empfing mich mit Fassung. Ohne Zweifel hatte sie sich ihre Lage bedacht und war sich klar darüber geworden, wie sie mit mir zu verfahren hätte. Du guter Engel Du! wolltest Du Dich darauf einlassen, mit mir zu rechten? ich glaube ja an keine Wahrheit, an kein Gesetz, an keine Gründe – für mich gibt es nur eine Wahrheit: meine Liebe! Du magst gegen mich anführen, was Du willst, ich mag noch soviel Mitleid mit Dir hegen – das alles rettet Dich nicht – denn je engelgleicher, je reiner Du Dich zeigst, um so heißer wird meine Liebe, um so wilder mein Begehren.

Als Frau Celina auf der Veranda eingeschlummert war, gab mir Anielka einen Wink, und wir schritten ein Stück in den Garten hinein. Sie war blaß, und es schien sie allen Mut und alle Tatkraft zu kosten, um die Unterredung durchzuführen, die sie sich vorgenommen hatte.

»Ich war in diesen letzten Tagen sehr unglücklich,« begann sie.

»Nun, meinst Du, ich sei auf Rosen gebettet gewesen?«

»Gewiß nicht, und darum will ich Dich um etwas bitten. Du bist sehr verständig und lieb und großmütig – Du wirst daher gern tun, um was ich Dich bitte.«

»Nun, was soll ich tun?«

»Ins Ausland reisen und nicht zurückkehren, so lange meine Mama gezwungen ist, in Ploshow zu bleiben.«

Ich hatte es mir denken können, daß das kommen würde – dennoch stellte ich mich, als sei ich für den Moment um eine Antwort verlegen.

»Du hast über mich zu entscheiden,« antwortete ich dann. »Aber Du wirst mir doch wohl sagen, weshalb Du mich ins Exil schickst?«

»Von Exil ist doch keine Rede – Du weißt doch allein –«

»Gewiß,« versetzte ich mit aufrichtiger Trauer, »weil ich für Dich mein Herzblut hingeben könnte, wenn ich Dein Leben damit retten könnte – weil ich gerne alles Unheil auf mich nehmen würde, wenn ich es Dir damit ersparen könnte – weil ich Dich über alles liebe – weil Du mir teurer bist als mein Leben –«

»Nein,« fiel sie mir ins Wort, alle Kraft zusammennehmend, »deswegen nicht – sondern weil ich die Frau eines Mannes bin, den ich lieb habe, den ich hochschätze – und weil ich dergleichen nicht hören mag!«

Da ergriff mich heftiger Ingrimm, ich wußte ganz genau, sie belog mich – ich wußte auch, daß alle Frauen, wenn sie an diesem Scheidewege stehen – sich dieser Lüge schuldig machen – doch versetzten mir die Worte Anielkas einen so erschütternden Schlag, daß ich die Lippen aufeinanderbeißen mußte, um nicht zu rufen: »Du Lügnerin! Du liebst ihn nicht. Du schätzest ihn auch nicht!«

Doch ich bedachte noch im rechten Moment, daß sie am Ende ihrer Kräfte angelangt sei, und sagte demütig: »Sei mir nicht gram, Anielka, ich werde ja verreisen.«

Diese Demut nahm ihr im Nu alle Härte – sie unterdrückte mit fast übermenschlicher Kraft die Tränen, die ihr in die Augen traten, und krampfhaftes Schluchzen zerriß ihr die Brust.

»Kann es Dich denn wunder nehmen, wenn ich mich nicht gleich bereit erklärte?« fügte ich hinzu. »Unrecht tust Dir mir damit, trotz alledem. Ich habe Dir ja gesagt: ich verlange nichts – nur die gleiche Luft mit Dir will ich atmen, und ich soll der einzige Mensch auf der Welt sein, der nicht nach Ploshow kommen, Dich sehen, mit Dir sprechen darf – und warum nicht? bloß weil Du diejenige bist, die mir auf der Welt das Allerteuerste ist. Du sprichst mir damit das Todesurteil, denn Du nimmst mir die Möglichkeiten meiner Existenz. Ich kam ja auf Deine Anregung hin ins Vaterland zurück, weil ich hoffte, in der Arbeit fürs Vaterland Ruhe zu finden und wieder gut zu machen, was ich früher gefehlt habe. Eben erst war ich willens, die Sammlungen meines Vaters herschicken zu lassen. Und nun soll ich alles im Stich lassen und wieder in die weite Welt wandern, ohne Ziel, ohne Zweck, ohne Sonnenschein, wie früher? Gut denn! wenn Du nach drei Tagen Deine Forderung wiederholst, so will ich gehen – denn vorläufig glaube ich noch, Du hast Dir nicht vergegenwärtigt, was das für mich heißen will. Gib mir also diese Frist von drei Tagen!«

Anielka schlug die Hände vors Gesicht. »O mein Gott! mein Gott!« stöhnte sie.

»In einem Falle würde ich sogleich reisen,« sagte ich. »Wenn ich nämlich wüßte, daß Du nicht bloß die Absicht hast, Dir einen unglücklichen Menschen aus den Augen zu schaffen, sondern daß es Dir dabei um Deinen inneren Frieden zu tun ist. Ich spreche jetzt zu Dir als Bruder. Ich weiß ja, daß Du früher mich geliebt hast – und wenn Du mich noch liebst, gut, dann will ich morgen abreisen.«

Diese Worte gab mir mein ehrlicher Kummer ein, aber dennoch stellte ich damit Anielka eine Falle, denn sie konnte jetzt leicht mit einem Bekenntnis herausplatzen – aber sie schreckte zurück, als wenn ich eine Wunde mit rauher Hand berührt hätte. Mit der Röte des Zornes auf den zarten Wangen, rief sie leidenschaftlich:

»Nein! das ist nicht wahr! bleib meinetwegen oder reise ab – aber das ist nicht wahr!«

Aber an diesem Aufbrausen glaubte ich gerade zu erkennen, daß es doch wahr sein könnte – und ich wollte ihr das schon rückhaltlos ins Gesicht sagen, da trat die Tante zu uns.

Anielka konnte sich nicht rasch genug fassen, und die Tante bemerkte ihre Aufregung und fragte sogleich:

»Was ist geschehen? wovon war die Rede?«

»Anielka kann es noch immer nicht verschmerzen, daß Gluchow verkauft ist, weil die Gesundheit ihrer Mutter darunter sehr leidet.«

An dieser Lüge mußte sich Anielka nun stillschweigend beteiligen, und das machte das Maß ihres Grames voll. Sie brach in Tränen aus, und die Tante drückte sie an sich und liebkoste sie wie ein kleines Kind.

»Anielka,« sagte sie, »man muß sich drein fügen, was Gott schickt. Mir hat letztens auch der Hagel fünf Vorwerke zerstört.«

25. Mai.

Der dritte Tag nach unserem Gespräch ist verflossen, Anielka hat ihre Forderung nicht wiederholt, und so bleibe ich. Sie hält sich viel in ihrem Zimmer auf und spricht wenig mit mir, indessen meidet sie mich nicht in auffallender Weise, und die alten Damen merken nichts. Nichtsdestoweniger haben wir aber schon ein gemeinsames Geheimnis vor der Tante und Frau Celina. Soweit haben die Tatsachen uns schon geführt, wenn auch Anielka sich dagegen zu sträuben versucht hat – ein Band besteht schon zwischen uns. Mit der Zeit wird sie sich daran gewöhnen. Aus meiner Liebe webe ich ein tausendfädiges Netz, das ich über sie werfe und das uns immer fester ineinander verstricken muß.

26. Mai.

Heute habe ich Sniatynski mitgeteilt, daß ich die Sammlungen meines Vaters nach Warschau kommen lassen will. Er soll die Nachricht in die Zeitungen lancieren – die werden dann von meinem Verdienst um die Nation schwärmen, und Anielka soll dadurch gezwungen werden, mich mit Kromitzki zu vergleichen. Außerdem habe ich durch ein Telegramm die umgehende Zusendung jenes Madonnenkopfes von Sassoferrato angeordnet.

Absichtlich im Beisein der anderen Damen sagte ich beim Frühstück Anielka, der Vater hätte ihr testamentarisch einen Madonnenkopf vermacht. Sie wußte, daß der Vater damals in ihr die zukünftige Schwiegertochter erblickt hatte. In der Tat war ihr Name im Testament auch gar nicht genannt, es hieß darin nur: Den Madonnenkopf No. soundso soll meine zukünftige Schwiegertochter erhalten. Und deswegen soll ihn eben nun Anielka bekommen. An diese Madonna knüpfen sich für uns viele schöne Erinnerungen, und es war ja besonders mein Zweck gewesen, Anielka in jene Tage zurückzuführen, da sie mich geliebt hatte. Wenn sie auch im Gedanken daran noch immer Ursache hatte, mir zu zürnen, ich hatte damals ja immer noch im letzten Augenblick Sniatynski geschickt und alles wieder gut zu machen versucht. Und außerdem wußte Anielka ja nun, daß ich sie liebte, daß ich tiefe Schmerzen litt, daß ich schwere Buße tat und daß auch sie mit schuld daran ist, wenn wir nun beide unglücklich sind. Wenn Anielka auch nur noch einen Funken Liebe für mich hat – wenn ihr unsere gemeinsame Vergangenheit noch teuer ist, dann muß sie die Meine werden. Wenn ich mir dieses Glück ausmale, so bin ich nicht imstande, ruhig zu denken. An der Meeresküste gibt es tückische Dünen, die den Wanderer, dessen Fuß sich auf sie wagt, rettungslos verschlingen. Meine Liebe ist so eine Düne – ich ziehe Anielka hinein, aber ich gehe auch selbst unter.

Sei es drum – wenn wir nur zusammen sterben!

28. Mai.

Heute stand in den Zeitungen die Geschichte von der Ehescheidung der Frau Korytzka. Es ist die größte Sensation von Warschau, und ich benutze den Anlaß, Anielka einige Anschauungen beizubringen, die ihr bisher fremd waren.

»Was Frau Korytzka tut,« sagte ich, »ist nach meiner Meinung durchaus rechtlich und vernünftig. Gibt es denn etwas Widersinnigeres und Unnatürlicheres als zu verlangen, daß man dem, den man liebt, eines anderen wegen, den man nicht liebt, entsagen soll? Die Ehe ist nur dann heilig und unantastbar, wenn sie auf der Liebe beruht – im anderen Fall ist sie nur ein Vertrag, der der Religion und der Moral ins Gesicht schlägt und deshalb zu lösen ist. Freilich, Treubruch ist ein häßliches Wort, aber man muß sich darüber klar sein: das Weib begeht einen Treubruch schon in dem Moment, wo sie den Mann nicht mehr liebt – nicht erst dann, wenn sie von ihm geht. Was hinter dem faktischen Treubruch kommt, das hängt nur davon ab, ob die Frau den Mut hat, die logischen Konsequenzen zu ziehen, und ob ihr Herz die Fähigkeit hat zu lieben oder nicht. Frau Korytzka liebte den Mann, um dessentwillen sie sich jetzt scheiden läßt, schon lange, ehe sie die Ehe mit einem anderen einging, und diesen letzteren heiratete sie nur aus Mißverständnis, weil sie in einer Vernachlässigung, die ihr Geliebter ihr nur aus Eifersucht zuteil werden ließ, eine wirkliche Gleichgültigkeit erblickte. Das war freilich ein Fehler, aber sie will ihn nun wieder gut machen, denn sie begreift, daß es Pflicht ist, sich zu ihrer Liebe zu bekennen und sie nicht aus Rücksicht auf gesellschaftliche Formen verkümmern zu lassen. Hieraus können ihr nur Heuchler oder Leute, die die Augen verbunden tragen, einen Vorwurf machen.«

Das beruhte teils auf Wahrheit, teils war es erlogen. Frau Korytzka war als leichtfertige Frau bekannt, die man nicht in Schutz zu nehmen brauchte. Die Geschichte von ihrer ersten Liebe war eine Erdichtung von mir, mit der ich nur die Übereinstimmung dieses Falles mit dem Falle zwischen Anielka und mir besser herausarbeiten wollte. Ich merkte auch, daß Anielka mich verstand, denn sie zitterte, ihre Wangen glühten, und als ich schwieg, erwiderte sie:

»Beweise sind ja ganz gut und schön, aber wenn man etwas Böses vorhat, so warnt einen das Gewissen davor und es läßt sich durch nichts dazu bekehren, das Böse für etwas Gutes zu halten.«

Anielkas einfache, im Vertrauen auf ihr Dogma gesprochenen Worte genügten, alle meine Beweise zu entkräften. Die Theorie, daß der Wille da aufhöre, wo die Liebe anfange, läßt sich freilich widerlegen, aber aller Disput hört da auf, wo das Dogma einsetzt, dagegen gibt es gar keine Einwendung. Die Frauen gehen auf alle Logik nur so lange ein, als sie darin keine Gefahr erblicken. Fühlen sie sich aber im mindesten unsicher, dann retten sie sich sofort hinter ihre Glaubenslehren, und dagegen ist dann nichts mehr zu machen. Darin beruht die Schwäche der Frauen – aber auch ihre Stärke – denn wenn sie auch im Denken schwächer sind als der Mann, im Glauben sind sie stärker – ja unter Umständen unüberwindlich.

29. Mai.

Heute stand im Speisezimmer Anielka auf einem Stuhl und stellte die Zeiger der Uhr. Der Stuhl geriet ins Schwanken, ich hatte gerade noch Zeit, ihr zuzurufen: »Du wirst fallen!« – dann sprang ich hin und fing sie in den Armen auf. Als sie auf die Füße kam, ließ ich sie sofort los – aber einen Augenblick hatte sie doch an meiner Brust gelegen – Schwindel ergriff mich, ich mußte mich an die Stuhllehne halten, um nicht zu fallen. Sie sah es – und auch hieran hat sie erkannt, wie unbeschreiblich ich sie liebe!

30. Mai.

Chwastowski hat Frau Celina empfohlen, nach Gastein zu gehen. Das ist glücklicherweise so weit von Baku, daß Kromitzki wohl nicht daran denken wird, mitzukommen. Ich aber werde mitfahren. Die Bergluft wird mir gut tun – besser aber noch Anielkas Nähe!

Ich habe mich bereit erklärt, alles auf mich zu nehmen und die Damen in Gastein aufs beste zu versorgen. Ich will den größten Teil der Kosten auf mich nehmen. Von früh bis spät hört nun Anielka mich von allen Seiten loben. Meine Tante hält von jeher große Stücke auf mich. Chwastowski nennt mich eine erfreuliche Ausnahme unter den Dekadenten. Frau Celina ist mir wieder gut, weil ich so liebevoll für sie sorge. Ja es tut ihr jetzt sehr leid, daß ich nicht ihr Schwiegersohn geworden bin. So wird es Anielka fortwährend indirekt nahegelegt, daß ich ein liebenswürdiger Mensch bin – und Du allein, o Geliebte, solltest Dich dem widersetzen? O, wann wirst Du vor mich hintreten und sagen: »Nimm mich hin – ich bin Dein!«

31. Mai.

Man spricht davon, daß ich Absichten auf Klara hätte. Mir ist das ganz recht, aber als ich das letzte Mal mit Sniatynski bei ihr war, endete unser Beisammensein in unerfreulicher Weise. Klara hatte uns eine neue Komposition vorgespielt. Auf unsere Bitte wiederholte sie den Schlußsatz.

»Das ist mein Abschied,« sagte sie plötzlich. »So muß auf der Welt schließlich alles Abschied nehmen.«

»Sie wollen doch nicht fort von uns?« fragte Sniatynski.

»In zehn Tagen muß ich in Frankfurt sein,« erwiderte sie.

»Und Du,« wandte Sniatynski sich an mich, »was meinst Du dazu? Hast Du uns nicht Hoffnungen gemacht, Fräulein Hilst solle immer bei uns bleiben?«

»Ich wiederhole,« antwortete ich, »in der Erinnerung wird sie immer bei uns weilen.«

»So habe ich Ihre Worte auch aufgefaßt,« sagte Klara in naiver Betrübnis.

Der Gedanke, Klara könnte mich wirklich lieben und sich Hoffnungen gemacht haben, war mir sehr peinlich. Daß sie Neigung für mich hegte, hatte ich gewußt, aber ich hatte nicht geglaubt, daß diese Neigung zu einem bestimmten Verlangen werden könnte. Es mißfiel mir, daß sie mir mit dieser geplanten Abreise gewissermaßen einen Wink mit dem Zaunpfahle hatte geben wollen. Es bleibt mir nun nichts weiter übrig, als freundlich von ihr Abschied zu nehmen. Ich ging in tiefer Mißstimmung fort und begab mich in eine Buchhandlung, um Lektüre für Anielka auszusuchen.

Ich überlege schon eine ganze Woche lang, was ich ihr zu lesen geben soll. Auch in dieser Weise möchte ich auf sie einwirken, wenn auch dieses Mittel, da man nur sehr langsam zu einem Erfolge gelangt, ziemlich illusorisch ist. Ich kann höchstens erwarten, Anielka würde sich durch gewisse Bücher über freie Anschauungen und weitgehende Gefühle unterrichten – mehr will ich wohl auch gar nicht erreichen.

1. Juni.

Gestern habe ich Bescheid aus Gastein erhalten, daß eine Wohnung für die Damen gemietet worden ist. Ich habe die Nachricht sofort nach Ploshow weitergehen lassen.

Anielka wird wahrscheinlich zum Wettrennen hier sein. Es geht ihrer Mutter einigermaßen besser, und sie will ihr nun diese kleine Zerstreuung gönnen. Anielka hat ja sonst auch gar nichts in Ploshow. Ich freue mich unsäglich darauf. Der bloße Gedanke, daß sie in meinem Hause weilen wird, versetzt mich in Entzücken. In diesem Hause ist ja doch unsere Liebe erwacht, in diesem Hause hat nach jener Abendgesellschaft, die die Tante mir zu Ehren veranstaltete, ihr Herz zum erstenmal für mich geschlagen. Daran wird sie sich nun hier erinnern.

2. Juni.

Es ist nur gut, daß ich die Säle noch nicht zum Museum umgewandelt habe – jetzt werde ich ein paar Leute einladen zu einem kleinen Diner nach dem Rennen. Ich will nur solche aussuchen, die Anielka gern hat. Auf diese Weise halte ich sie ein Weilchen länger in meinem Hause, und außerdem soll es ihr nicht verborgen bleiben, daß das Diner nur ihr zu Ehren gegeben wird.

3. Juni.

Ich habe die ganze Treppe und zwei Gemächer reich mit Blumen geschmückt. Anielkas Zimmer habe ich ganz so gelassen, wie es damals war, als sie noch darin wohnte. Während ich schreibe, werde ich so recht gewahr, wie segensreich es für mich ist, wenn ich mir eine Beschäftigung mache. Die einfache Arbeit, die Nägel einzuschlagen, an denen die Bilder des künftigen Museums hängen sollen, wäre für mich weit nützlicher, als das fortwährende Grübeln und Sinnieren.

Warum kann ich kein einfacher schlichter Mensch mehr sein? Wenn ich es im rechten Zeitpunkt hätte sein können, wäre ich jetzt der glücklichste Mensch auf Erden!

4. Juni.

Anielka und die Tante sind angekommen. Anielka sieht sehr verändert aus – blasser und magerer. Bei ihrem Anblick ergreift mich Reue und Erbarmen, denn ohne Frage ist diese auffallende Veränderung auf die Seelenkämpfe zurückzuführen, in die ich sie gestürzt habe. O, wenn sie doch diesem Kampfe ein Ende machen wollte! Ihr Herz spricht für mich – so möge sie doch dem Zuge ihres Herzens folgen – dann würde sie Ruhe und Zufriedenheit finden!

Ich führte Anielka und die Tante die Treppe hinauf. Sie waren über meinen prachtvollen Blumenschmuck erstaunt.

»Damit wollte ich Euch überraschen,« sagte ich, indem ich leise Anielkas Arm drückte, »ich gebe ein kleines Festessen nach dem Rennen.«

Anielka war bei so guter Stimmung, daß sie mir einen flüchtigen Blick zuwarf und sich lächelnd auf die Lippen biß.

Das erschien mir wie ein Zug schelmischer Koketterie und entzückte mich umsomehr, als ich sonst keine Spur von Koketterie an ihr entdeckt hatte. Es ist ganz ausgeschlossen, dachte ich nun bei mir, daß sie ganz frei von aller Eigenliebe sein und sich nicht ein bißchen geschmeichelt fühlen sollte, daß ich so viel Umstände ihretwegen mache.

Die Tante begab sich sogleich nach dem Rennplatz, um ihr Pferd vor der Entscheidung noch einmal zu besichtigen, denn sie hoffte, daß ihr Renner der Sieger des Tages sein werde. Währenddessen legte ich Anielka das Verzeichnis derer, die ich zu dem Diner geladen hatte, vor.

»Es sind nur Leute, von denen ich weiß, daß Du sie gern hast,« sagte ich. »Wenn Du aber sonst noch jemand eingeladen haben willst, so brauchst Du nur zu befehlen, und es kann sofort nachgeholt werden.«

»Sprich mit der Tante darüber,« sagte sie.

»Nein, die Tante wird auf dem Ehrenplatz sitzen. Du aber sollst die Stelle der Hausfrau einnehmen.«

Anielka errötete, und ich gab dem Gespräch eine andere Wendung.

»Tante wird sich sehr freuen,« sagte ich, »wenn nun bald die Sammlungen des Vaters in Warschau sein werden, das ist schon lange ihr sehnlichster Wunsch. Es schreiben schon alle Zeitungen darüber. Du glaubst gar nicht, wie ich dafür gelobt werde.«

Sofort klärte ihr liebes Gesicht sich auf.

»Ei, lies doch mal vor,« sagte sie.

Mich ergriff stürmische Freude. Wenn sie sich gar nichts aus mir machte, so würde sie sich nicht so sehr darüber freuen, daß ich öffentlich gelobt wurde.

»Nein, wenn Tante da ist, will ich es vorlesen,« antwortete ich. »Ach, wenn ich auch gelobt werde, das Verdienst ist doch das Deine. Wenn ich doch diesen Journalisten zurufen könnte: »Wenn das so eine Großtat wäre, dann pilgert nach Ploshow und huldigt einer gewissen Dame.«

»Aber, Leon!« rief sie.

Ich sprach nun von den Aenderungen, die im Hause vorgenommen werden sollten, und sagte, daß nur ihr Zimmer im alten Zustande bleiben sollte. Ich führte sie in das Gemach, und sie rief: »Ach, die schönen Blumen!«

Ich aber sagte ihr leise ins Ohr: »Die schönste Blume bist doch Du! Du wirst wohl nicht daran zweifeln, wenn ich Dir sage, in diesem Zimmer möchte ich sterben.«

Ueber ihr Antlitz flog ein Schatten, Die Worte ergriffen sie tief. Sie zitterte heftig, aber sie faßte sich und sagte ernst:

»Mach mir doch keinen Kummer. Ich möchte so gern ohne Zwang mit Dir verkehren.«

»Wie Du willst,« antwortete ich. »Ich gebe Dir mein Wort.«

Die Tante kehrte in sehr vergnügter Stimmung aus den Rennställen wieder. Als ich ihr die Zeitungsberichte vorlas, strahlte sie vor Freude, sah mich über die Brille weg bewundernd an und murmelte:

»Das stimmt alles – da ist kein Wort zuviel – so bist Du immer gewesen.«

Das Wettrennen war das große Ereignis des Tages. Es endete mit dem Siege des Pferdes, das meine Tante hatte starten lassen. Anielka war wie berauscht von all dem, was sie an diesem Tage gesehen hatte. Das Festessen mit der sehr belebten Unterhaltung tat noch das seine dazu. Die Damen sind für die Nacht in meinem Hause geblieben. Jetzt ist es drei Uhr, schon graut der Morgen. Meine Tante will den ganzen folgenden Tag noch in Warschau bleiben, und ich werde allein mit Anielka nach Ploshow zurückfahren. Das Herz steht mir still, wenn ich daran denke, daß ich nun die Heißgeliebte bald an die Brust drücken, daß sie mir bald das Geständnis ihrer Liebe ins Ohr flüstern wird! Ich habe dieses Gemüt in meinem Geiste herangeschult. Ich fühle mich in dieser Nacht wie ein Feldherr, der alles bis aufs genaueste berechnet hat und in der Nacht vor der Entscheidungsschlacht noch einmal Musterung hält.

Anielka schläft im anderen Flügel. Sie träumt gewiß von mir. Sie sieht im Schlafe mein Bild, sie streckt die Hände danach aus. Unser so von Schlechtigkeiten, Torheiten, Zweifeln und Gefahren ausgefülltes Leben hat in der Tat nur einen Reiz, um den es sich verlohnt zu leben: das ist die Liebe – außer ihr und über ihr gibt es nichts.

4. Juni.

Ich bin mit Anielka nach Ploshow zurückgefahren. Ich zweifle daran, ob ich noch bei Sinnen bin. Ich habe Anielka nicht an die Brust gedrückt – sie hat mir auch nicht ihre Liebe gestanden. Vielmehr hat sie keinen Moment gezaudert – sondern mich mit so wilder Entrüstung von sich gestoßen, daß ich aus allen meinen Himmeln herabgestürzt bin.

Bin ich denn verrückt? Ist sie denn ganz herzlos? Was ist schuld an diesem Mißerfolg? Mein Verstand ist derart durcheinander gerüttelt, daß ich keinen klaren Gedanken fassen kann. Ich kann mich nur immer wieder und wieder fragen: Woher dieser Mißerfolg?

7. Juni.

In irgend einem Punkte habe ich mich völlig geirrt – irgend ein Moment im Wesen dieser Frau habe ich ganz falsch beurteilt.

Und doch ist es ganz unmöglich, daß sie diesen Kromitzki liebt. Sie hat ihn ohne Liebe geheiratet, und er hat schon ihr Vertrauen gemißbraucht, indem er Gluchow verkaufte und so die Mutter unglücklich machte. Sie fühlt nichts für ihn, was den Namen Liebe verdiente. Sie verwehrt es sich nur, ihn zu verachten. So steht es in Wahrheit mit ihr. Ich müßte mit Blindheit geschlagen sein, wenn mir das nicht ganz klar wäre.

Sollte ich mir denn nur eingebildet haben, sie liebe mich? Ich sehe doch, wie ihre Seele kämpft – ich fürchte, daß diese Seelenkämpfe sie zu Grunde richten könnten. Und sind diese Kämpfe nicht Beweise, daß sie mich liebt? Und dabei hat sie mich nicht einmal reden lassen – nicht das geringste Zugeständnis hat sie mir gemacht. Ihre Augen flammten vor Zorn – als ich ihre Hände mit Küssen bedecken wollte, entriß sie sie mir, sie drohte, sie werde aus dem Wagen springen, und mit dieser Energie, auf die ich gar nicht gefaßt gewesen war, hat sie mich überrumpelt und aus dem Felde geschlagen. Als ich von Scheidung sprach, war es, als wenn ich sie mit einem glühenden Eisen berührt hätte. Alles, meine Liebe, meine Bitten faßte sie als Beleidigung auf, stieß es von sich und trat es mit Füßen. Und jetzt geht sie wieder so sanft, so lammfromm umher, daß man sich fragt: ist denn das dasselbe Weib, das so wild sein konnte?

Ich bin aufs Haupt geschlagen. Wenn ich die Kraft dazu hätte, würde ich heute noch Meilen zwischen mich und sie legen.

8. Juni.

Etwas wissen und mit etwas rechnen, das ist zweierlei. Ich hatte wohl gewußt, daß Anielka und ich zwei grundverschiedene Wesen seien, aber ich hatte das außer acht gelassen und vermutet, sie würde unter den gegebenen Verhältnissen nicht anders handeln als ich. Es ist niederdrückend, aber doch die unumstößliche Wahrheit: wir sind zwei ganz verschiedene Charaktere. Ich habe tausendmal mehr Aehnlichkeit mit einer Laura Davis als mit einer Anielka, und hier liegt der Hase im Pfeffer – das ist's, woran meine Kalkulationen zerplatzt sind wie Seifenblasen. Mir ist es zur zweiten Natur geworden, alle Grundsätze zu zerlegen, zu zerstückeln und so schließlich zu Staub zu zerreiben. Für Anielka aber ist es ganz unbegreiflich, wie man einen Grundsatz, der im Katechismus steht und vom guten Ton anerkannt ist – nicht als unumstößliches Gesetz hochhalten kann. Für sie gibt es kein Zweifeln, kein Schwanken. Mit einer Sicherheit, die sie nie im Stiche läßt, weiß sie Spreu von Weizen zu unterscheiden. Gemäß dieser schlichten Auseinanderhaltung von Gut und Böse gehört die Frau zum Manne, und wenn sie sich einem anderen hingibt, begeht sie eine Sünde.

Und gegen diese Festigkeit in den zehn Geboten kann ich mit all meiner Philosophie der Liebe nichts ausrichten. Ein so religiös gesinntes Weib kann sich wohl von einer verbotenen Liebe durchstürmen lassen, als wenn ein Orkan ihr durch die Seele brause, aber daß eine solche Liebe zu Recht bestünde, davon wird sie sich im ganzen Leben nicht überzeugen lassen.

Vielleicht ist die Verzweiflung, in der ich jetzt alles aufgebe, nur vorübergehend – vielleicht sehe ich morgen nicht mehr ganz so schwarz – vorderhand aber scheint jede Aussicht auf Erfolg ausgeschlossen.

Wenn ich der Meinung bin, daß den Mädchen die Schamhaftigkeit gewissermaßen eingeimpft wird, so gilt das auch von Anielka. Sie wird eher vor mir auf der Totenbahre liegen wollen, als sich einmal mit nackter Brust vor mir sehen lassen. Und dabei erwarte ich von dieser Frau noch etwas? Das ist der reine Wahnwitz.

Aber was soll ich denn anfangen? Verreisen? nein, ich bleibe! Und von jetzt ab handle ich aufs Geratewohl. Es ist genug kalkuliert, bedacht, geklügelt worden. Dabei schaut nichts heraus. Von nun an mag es gehen, wie es wolle.

9. Juni.

Heute hat uns Herr Zawliowski mit seiner Tochter besucht. Als sie gegangen waren, begann meine Tante mit deutlicher Absicht von der jungen Dame zu schwärmen. Ich war abgespannt und verstimmt und antwortete daher barsch: »Ich weiß, worauf Du hinauswillst. Wenn es Dir mehr am Herzen liegt, mich zu verheiraten, als mich glücklich zu sehen, so kann ich ja meinetwegen morgen schon die Zawliowski heiraten. Mir ist ja doch schon alles einerlei.«

Meine Tante war verblüfft und ging hinaus. Anielka aber wurde bleich wie die Wand. Sie hatte doch begreifen müssen, daß ich diese Worte nur im Zorn hinwarf. Durch Kalkulationen zu der Annahme zu gelangen, daß ich ihr nicht gleichgültig sei, und den Beweis der Tatsache so deutlich vor Augen zu haben, das war denn doch etwas ganz anderes. Dieses jähe Erblassen, dieses Zittern ihrer Hände wird mir unvergeßlich sein. Alle meine Hoffnungen wurden wieder wach, und der Gedanke, daß ihre Energie in kurzer Zeit versiegen und ich sie dann an mich ziehen könnte, belebte mich wieder.

»Anielka,« sagte ich, »ich denke im ganzen Leben nicht daran, die Zawliowski zu heiraten. Du allein weißt, daß das niemals geschehen kann.«

»Wie froh wäre ich, wenn Du es tätest!« stieß sie mühsam hervor.

»Das ist nicht wahr, Anielka – Du erblaßtest, ich sah es wohl . . .«

»Laß mich gehen –«

»Anielka, liebe Anielka, belüge Dich doch nicht – Du liebst mich!«

Wieder wurde sie leichenblaß.

»Nein!« rief sie, »aber ich fürchte, ich werde Dich noch hassen müssen.«

Damit lief sie zur Mutter. Es ist ganz begreiflich, daß ein Weib, das gegen eine verbotene Liebe ankämpft, auf den Gedanken kommt, den Mann, der ihr diese verbotene Liebe einflößt, zu hassen. Aber trotz alledem ist dieses Wort ein arger Dämpfer für die Freude, die mich eben noch ergriffen hatte.

Mir kommt der Gedanke: Was würde wohl geschehen, wenn ich zu ihr sagte: »Schließ mich in Deine Arme, oder ich erschieße mich vor Deinen Augen.« Ich glaube, auch dann würde Anielka nicht nachgeben, sondern mich sterben lassen und meinetwegen dann vor Gram selbst sterben. Und eben weil ich das weiß, eben deshalb muß ich sie nur umsomehr lieben, und zu der sinnlichen Glut, die diese Frau in mir auflodern läßt, kommt nun noch eine hündische Anhänglichkeit. Ich kann nicht von ihr los kommen. Ich kann mich an ihren Haaren, ihren Augen, ihrem Nacken nicht satt sehen, aber ich fühle es zugleich im tiefinnersten Herzen, daß ihr Wesen, abgesehen von allen körperlichen Reizen, mir das Teuerste auf Erden ist. In dieser zwiespältigen Weise und so ganz und gar hat mich noch nie ein Weib in Beschlag genommen. Ich verstehe das bisweilen selber nicht – wenn ich dem Problem aber einmal auf den Grund zu gehen versuche, so fallen die Untersuchungen stets sehr zu meinem Nachteil aus.

Ich habe den Zenith meines Lebens überschritten – es geht nun bergab – und aus dem dunklen Abgrund weht Kälte mich an. Dieses eine Weib hätte mich wieder mit Lust am Leben erfüllen können. Wenn sie mir verloren geht, so ist auch das Leben für mich wertlos, und der Tod mag kommen. Wenn ich Anielka liebe, so ist es nicht nur Sinnenlust, sondern Selbsterhaltungstrieb – ich liebe sie nicht nur aus ganzer Seele, sondern auch aus dem horror vacui. Anielka kann das freilich nicht wissen, aber dennoch muß sie Erbarmen haben, denn selbst ich, der ich ohne Erbarmen mit ihr umgehe, würde meine Seele hingeben, wenn ich ihr die Last leichter machen könnte. Des Nächsten Weib zu begehren, ist immer ein großes Unglück, denn man kommt dadurch in den Zwang, die Person, für die man das Leben lassen könnte, auf die Folter zu spannen. Und so geht es von einem Labyrinth ins andere. Dabei ist Anielka noch nicht so beklagenswert wie ich – denn sie hat doch noch ihren Glauben, der ihr Halt verleiht – ich aber bin wie ein Kahn, der ohne Steuer und Ruder in den Sturm verschlagen wird.

10. Juni.

Heute kamen zwei Briefe an, einer von meinem Notar in Rom, der andere von Sniatynski.

Mein Notar schreibt mir, die Hindernisse, die die Regierung der Ausfuhr von Altertümlichkeiten entgegensetzt, seien hinsichtlich meines Vaters Sammlung überwunden, und die Sachen könnten nun abgeschickt werden. Nun muß mein Haus in Warschau dazu hergerichtet werden – und mir liegt jetzt gar nichts mehr daran. Das Interesse ist dahin. Wenn nicht soviel darüber geredet worden wäre, so ließe ich die ganze Geschichte jetzt bleiben.

Ich habe schlaflose Nächte – aber meiner armen Anielka geht es nicht anders. Heute ist sie über ihrer Handarbeit eingeschlafen. Sie sah so klein und schwach aus und atmete so schwer. Ich hatte ein Gefühl, als sei sie mein kleines Baby.

11. Juni.

Der Madonnenkopf von Sassoferrato ist aus Rom gekommen, ich habe ihn im Beisein der Tante Anielka überreicht als ein ihr ausgesetztes Legat – sie mußte ihn daher wohl oder übel annehmen. Ich habe das Bild selber in ihrem Schlafzimmer angebracht, es sieht dort sehr hübsch aus. Der Gedanke, Anielka wird, sobald sie ihn ansieht, an mich erinnert werden, tut mir wohl. Auf diese Weise wird der Gedanke an meine Liebe für sie mit etwas Frommem und Heiligem verwoben. Das ist ein alberner Trost – aber wenn man keinen anderen hat, nimmt man damit vorlieb.

Als das Bild an der Wand hing, trat Anielka zu mir und sagte: »Ich danke Dir!«

Ich hielt ihre Hand einen Augenblick in der meinen. Als sie sie mir entzog, fragte ich leise:

»Anielka, hassest Du mich wirklich?«

»Ach nein!« antwortete sie kopfschüttelnd.

Was lag nicht alles in diesen zwei Wörtchen!

12. Juni.

Sniatynskis Brief enthielt eine Einladung zu einem Abschiedsessen zu Ehren Klaras. Ich habe nicht daran teilgenommen, aber ich bin auf den Bahnhof gegangen und habe von Klara Abschied genommen. Sie hat ihren Groll vergessen, und wir sagten uns aufs herzlichste Lebewohl. Ich fühlte, daß sie mir doch ein wenig fehlen würde, daß ich meine Einsamkeit nun noch furchtbarer empfinden würde. Klara hätte mir vielleicht helfen können – nun ist auch sie fort – und ich bin tief traurig.

Ich kann nichts denken – ich habe nur den einen Gedanken: weg von hier. Aber dann müßte ich Anielka allein lassen, und das wäre nicht nur feige, sondern auch gemein. Wenn ich auch alles andere tun könnte, abreisen kann ich nicht.

Chwastowski ist der rettende Engel. Er sagt, Frau Celina sei jetzt soweit auf dem Posten, daß sie in acht Tagen die Reise nach Gastein antreten könnte. Gott sei Dank! Nur weg von hier – wohin es auch sei! Ich werde ihnen schon zureden – auch die Tante muß mit, dann fällt es weniger auf, wenn ich sie begleite. Wie oft werde ich in Gastein mich um Anielka bemühen können – wir werden uns dort weit näher kommen als in Ploshow.

Es ist Regenwetter – das macht mich ganz melancholisch. Nun ist es Nacht. Der Regen fällt noch immer rieselnd auf die Dächer – aber durch die Wolken schimmert doch hier und dort ein Sternlein.

13. Juni.

Kromitzki ist wieder da . . .

 


 


 << zurück weiter >>