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Fünftes Kapitel.

Die erfahrenen Forstleute ordneten unter der Leitung des Oberjägermeisters die Jäger in eine lange Reihe am Waldessaume, so daß sie, selbst halb versteckt, vor sich einen weiten, freien Raum hatten, wodurch ihnen die Handhabung der Armbrust und des Bogens erleichtert wurde. Die zwei Schmalseiten des Platzes waren mit Netzen bespannt, hinter welchen sich im Walde die Leute bargen, denen es oblag, die Tiere den Schützen zuzutreiben, oder wenn ihnen dies nicht gelang und die Tiere sich in den Netzen verwickelten, diese mit dem Speere zu töten. Die unzähligen Scharen von Kurpen, die in einem ungeheuern Kreis günstig aufgestellt worden waren, sollten alle lebenden Tiere aus dem Waldesdickicht auf den freien Platz jagen. Hinter den Jägern war ein zweites Netz gezogen, damit jedes Tier, das die Reihe durchbrach, aufgehalten und in den verhängnisvollen Maschen getötet werden konnte.

Der Fürst stand in der Mitte der Reihe in einer kleinen Vertiefung, welche sich über die ganze Breite des Platzes zog. Der Oberjägermeister hatte diesen Platz für ihn ausgewählt, weil er wußte, daß die größten Tiere der Waldwildnis in diese Vertiefung getrieben werden würden. Der Fürst selbst hatte die Armbrust in der Hand, und dicht neben ihm stand, an einen Baum gelehnt, der schwere Speer. Einige Schritte hinter ihrem Herrn befanden sich die beiden »Schützer«, in ihrer riesenhaften Größe den Baumstämmen des Waldes vergleichbar. Außer mit den Beilen, die sie auf den Schultern trugen, waren sie mit bereits gespannten Armbrusten bewaffnet, um sie dem Fürsten im Notfalle zu überreichen. Weder die Fürstin noch Jurands Tochter stieg von dem Pferde ab. Der Fürst gestattete dies niemals, war es doch leichter, sich vor den wütenden Bisons und Auerochsen in Fällen der Gefahr zu Pferde als zu Fuß zu retten. So bat denn auch de Lorche, trotzdem er von dem Fürsten aufgefordert worden war, sich zu seiner Rechten zu stellen, zum Schutze der Damen zu Pferde bleiben zu dürfen, und hielt, einer schmalen Klinge ähnlich, unweit der Fürstin hoch zu Roß, in der Hand die ritterliche Lanze, über welche, als eine für die Jagd wenig geeignete Waffe, die Masuren verstohlen lachten. Zbyszko, der seinen Speer unverweilt in den Schnee gestoßen und die Armbrust von der Schulter genommen hatte, blieb bei Danusias Pferde stehen. Zuweilen blickte er zu ihr empor, zuweilen flüsterte er ihr etwas zu, dann wieder umfaßte er ihre Füße und küßte ihre Knie, scheute er sich doch nicht mehr, seine Liebe vor aller Welt zu zeigen. Erst dann verhielt er sich ruhig, als der Oberjägermeister, der hier in der Wildnis es sogar wagte, über den Fürsten zu brummen, ihm aufs strengste zu schweigen befahl. Mit einem Male erklangen fern, fern aus der Tiefe der Wälder die Hornsignale der Kurpen, denen sofort der kurze laute Schall der Jagdhörner antwortete. Dann trat fast völlige Stille ein. Nur zeitweise ertönte das Gekrächze eines Eichelhähers auf den Wipfeln der Tannen, oder einer der als Treiber aufgestellten Leute krächzte wie ein Rabe. Angestrengt hielten die Jäger ihren Blick auf den freien Platz geheftet, auf welchem der Wind das mit Reif bedeckte Gestrüpp und die blätterlosen Gesträuche bewegte. Ein jeder harrte voll Spannung, was für ein Tier wohl zuerst in Schußweite kommen werde. Alle aber versprachen sich eine reiche, ergiebige Jagdbeute, weil die Wälder von Auerochsen, Bisons und Ebern wimmelten. Die Kurpen hatten außerdem auch mehrere Bären aus ihren Lagern aufgestört, welche nun wild und hungrig in den Wäldern umhertrappten, instinktmäßig witternd, daß ihnen binnen kurzem ein Kampf bevorstehe, bei dem es sich nicht um ruhigen Winterschlaf, sondern um Leben und Tod handelt.

Die Jäger mußten indessen lange warten, weil die Leute, welche die Tiere auf den ausgerodeten Platz in den engeren Kreis treiben sollten, eine gewaltige Strecke Waldes in so weiter Entfernung umstanden, daß zu den Ohren der Harrenden nicht einmal das Bellen der Hunde drang, die nach dem Ertönen der Hornsignale von der Koppel gelassen worden waren. Nur ein Hund der Meute, den man augenscheinlich früher freigelassen, oder der sich ungefesselt umhergetrieben hatte, lief, die Nase an der Erde, quer über den Platz, um schließlich zwischen den Jägern hindurch wieder davonzurennen. Dann trat abermals so lange vollständige Ruhe ein, bis mit einem Male die hinter den Netzen stehenden Treiber wie die Raben krächzten zum Zeichen, daß nun die Jäger auf ihrer Hut sein müßten. Noch wenige Minuten, und am Saume des Waldes zeigte sich ein Rudel Wölfe, diese wachsamsten aller Tiere, die daher auch als die ersten versuchten, aus dem sie umschließenden Kreise zu entkommen. Inmitten des freien Platzes angelangt und auch hier die Menschen witternd, verschwanden sie rasch wieder, indem sie sich offenbar einen andern Ausweg aus dem Dickicht bahnen wollten. Eine schwarze Kette bildend, tauchten gleich darauf mächtige Eber auf dem schneebedeckten Platze auf, von weitem einer Viehherde ähnlich, welche, dem Lockrufe der fürsorglichen Hausfrau folgend, mit gespitzten Ohren den Ställen zustrebt. Schnüffelnd und aufhorchend blieben sie plötzlich stehen, machten Kehrt, horchten wieder auf, näherten sich, die Treiber witternd, behutsam und grunzend den Jägern, bis mit einem Male das Knirschen der eisernen Schneller der Armbruste, das Zischen der Pfeile ertönte und die weiße Schneedecke mit dem ersten Blute befleckt ward.

Mit durchdringendem Gequieke stoben die Eber wie von einem Blitzstrahle getroffen auseinander: einige rannten blindlings davon, andere stürzten dem Netze zu, mehrere liefen vereinzelt hin und her, etliche mengten sich unter die anderen Tiere, die sich inzwischen auf der Waldeslichtung angesammelt hatten. Immer deutlicher ertönten jetzt die Hornsignale, Hundegekläff ward laut, sowie das verworrene Gemurmel einer sich nähernden großen Menschenschar. Aber auch die Zahl der vierfüßigen Waldbewohner, die von allen Seiten, weit und breit, aufgescheucht worden waren, mehrte sich in einer solchen Weise, daß schließlich der freie Platz dicht gefüllt war. Etwas Aehnliches konnte weder in fremden Ländern, noch in andern polnischen Gebieten vorkommen, da es dort nicht solche Waldwildnisse gab wie in Masovien. Wenn nun auch die Kreuzritter häufig in Litauen gewesen waren, wo es zuweilen vorkam, daß das Anstürmen von Auerochsen eine ganze Söldnerschar in Verwirrung Von ähnlichen Vorkommnissen erzählt Wigand aus Marburg. gesetzt hatte, erfüllte sie doch dieses Schauspiel ebenso wie den Herrn de Lorche mit dem größten Staunen. Einem Kraniche ähnlich bei der Fürstin und den Hofdamen Wache haltend, hatte der Lothringer sehnlichst dem Beginne der Jagd entgegengesehen, denn er fror nicht nur tüchtig in seiner eisernen Rüstung, sondern er fing auch schon an, sich zu langweilen, da er sich ja nicht verständlich machen konnte. Nun aber sah er mit einem Male ganze Rudel von leichtfüßigen Rehen, von fahlgelben Hirschen und von Elentieren mit ihren unförmigen Geweihen, voll Schrecken, sinnlos vor Angst, dahinstürmen, umsonst einen Ausweg suchend. Die Fürstin, in der sich, als Tochter von Kiejstut, bei diesem Anblick das väterliche Blut regte, schoß Pfeil auf Pfeil auf die buntscheckige Schar ab, jedesmal vor Freude jubelnd, wenn ein Hirsch oder ein Elentier sich zuerst hoch aufbäumte, um dann, zu Tode getroffen, rücklings auf den Schnee zu stürzen. Aber auch ein Hoffräulein nach dem andern hielt jetzt das Gesicht an die Armbrust, denn alle, samt und sonders, wurden von der Jagdlust ergriffen. Zbyszko allein bildete eine Ausnahme. Mit den Armen auf den Knien Danusias lehnend, das Haupt auf beide Hände gestützt, schaute er ihr in die Augen, sie hingegen versuchte, halb lächelnd, halb verschämt, ihm die Lider mit den Fingern zu schließen, gerade als ob sie seinen Blick nicht zu ertragen vermöge.

Nun aber wurde die Aufmerksamkeit des Herrn de Lorche durch einen gewaltigen, an Genick und Schaufeln grauen Bären erregt, der ganz in der Nähe der Jäger unvermutet aus dem Gestrüppe hervorbrach. Der Fürst schoß sofort die Armbrust gegen ihn ab, sprang dann unverweilt mit dem Speere auf ihn zu und tötete das Tier, das sich, furchtbar brüllend, auf die Hinterpfoten erhob, so rasch und gewandt vor den Augen des ganzen Hofstaates, daß keiner der beiden »Schützer« das Schwert gebrauchen mußte. Unwillkürlich sagte sich nun der junge Lothringer, daß wohl wenige der Herren auf den Höfen, in denen er unterwegs Rast gemacht hatte, sich einen derartigen Zeitvertreib erwählen würden, und daß mit einem solchen Fürsten, mit solchem Manne anzubinden, es wohl dereinst dem Orden schwer fallen würde. Und wenige Augenblicke darnach war de Lorche Zeuge, wie durch andere Jäger ganz auf die gleiche Weise ein grimmiger, mächtiger Eber mit großen weißen Hauern zu Tode getroffen ward, ein Tier, größer und gewaltiger als all' die, auf welche in den Gehölzen Nieder-Lothringens oder in den deutschen Wäldern Jagd gemacht wurde. Ein ähnliches Vertrauen in die eigene Kraft, eine so geschickte Führung des Speeres hatte der Lothringer noch nie zuvor bei Jägern gesehen. Wie dies aber gewöhnlich zu sein pflegt, ließen sich die Kraft und die Gewandtheit darauf zurückführen, daß alle die inmitten der unermeßlichsten Wälder ansässigen Menschen vom zehnten Jahre an Armbrust und Speer handhaben mußten und sich dadurch die größte Fertigkeit erwarben.

Der freie Platz war schließlich mit den Kadavern aller möglichen Tiere bedeckt. Von keiner Seite wurde indessen daran gedacht, die Jagd zu beendigen, sollte diese doch jetzt erst recht gefährlich und somit besonders aufregend werden. Von den Treibern gejagt, zeigten sich nämlich mit einem Male eine große Schar von Auerochsen und Bisons. Nicht getrennt, wie dies im Walde der Fall zu sein pflegte, sondern untereinander vermengt, trabten sie daher, weit eher Furcht erregend, als von Furcht oder Schrecken verblendet. Sie überstürzten sich auch nicht; nein, in ihrer ungeheuren Kraft zogen sie siegesgewiß dahin, überzeugt daß sie alle Hindernisse überwinden und einen Ausgang finden würden. Die Erde dröhnte geradezu unter der Schwere ihrer Tritte. Die Spitze des Zuges bildeten die bärtigen Bullen.

Mit zur Erde gesenkten Köpfen hielten sie zuweilen an, als ob sie darüber nachdächten, auf welcher Seite sie entkommen könnten. Gleich einem unterirdischen Getöse entrang sich ihren ungeschlachten Lungen ein dumpfes Gebrüll, ihre Nüstern dampften, und mit den Vorderfüßen den Schnee aufwerfend, schienen sie mit ihren blutrünstigen, von der Mähne fast ganz bedeckten Augen nach dem Feinde zu spähen.

Mittlerweile stießen die hinter den Netzen verborgenen Treiber laute Rufe aus, denen von allen Seiten hunderte von Stimmen in donnerähnlichem Geschrei antworteten. Die Hörner, die Pfeifen erklangen. Bis in seine tiefste Tiefe ward der Wald von dem Lärm erschüttert. Doch nicht genug daran! Mit entsetzlichem Geheule jagten die kurpischen Hunde, der Spur folgend, auf die Lichtung. Bei diesem Anblick wurden besonders die Weibchen, welche ihre Jungen bei sich hatten, nahezu rasend. Während sich die Tiere bis jetzt ruhig zu der Herde gehalten hatten, zerstreuten sie sich nun plötzlich in wahnsinniger Flucht über den ganzen Platz. Einer der Auerochsen, ein fahlgelber, gewaltiger Bulle, an Größe die Bisons überragend, raste in schwerfälligen Sprüngen auf die Reihe der Jäger zu. Dann aber machte er plötzlich gegen die rechte Seite der Lichtung Kehrt, blieb jedoch gleich darauf, in geringer Entfernung die Pferde inmitten der Bäume wahrnehmend, stehen und schien sich, brüllend und die Erde mit den Hörnern aufwühlend, zum Sprunge, zum Kampfe zu rüsten.

Bei diesem Entsetzen erregenden Anblick schrien die hinter den Netzen stehenden Treiber noch lauter auf, aus der Reihe der Jäger aber ertönte der Schreckensruf: »Die Fürstin, die Fürstin! Rettet die Herrin!« Zbyszko riß seinen in dem Schnee steckenden Speer an sich und sprang an den Waldessaum. Ihm folgten etliche Litauer, bereit zum Schutze der Fürstin das eigene Leben zu lassen. Da knirschte die Armbrust in deren Hand, ein Pfeil fuhr zischend über den gesenkten Kopf des Tieres hinweg und drang tief in dessen Genick ein.

»Bleibt zurück!« rief Anna Danuta, »kommt nicht ...«

Ihre weiteren Worte verklangen indessen ungehört, denn ein solch entsetzliches Gebrüll wurde laut, daß sich die Pferde vor Schrecken aufbäumten. Wie ein Sturmwind raste der Auerochs auf die Fürstin zu. Doch siehe da, im Galoppe kam der tapfere Herr de Lorche einher gesprengt und warf sich, tief über das Pferd gebeugt, mit der Lanze wie bei einem ritterlichen Turniere zum Stoße ausholend, dem Tiere entgegen.

Die Anwesenden waren Zeugen, wie die Lanze blitzesschnell in das Genick des Bullen eindrang, wie sie sich dann aber sofort gleich einem Haken bog und in kleine Stücke zerbrach. Da mit einem Male verschwand der mit riesigen Hörnern versehene Kopf des Tieres fast vollständig unter dem Bauche von Herrn de Lorches Roß, und bevor noch irgend jemand einen Entsetzensschrei ausstoßen konnte, flog der treffliche türkische Renner mitsamt dem Reiter vogelschnell in die Luft.

Auf die Seite stürzend, schlug das Pferd mit den im letzten Todeskampfe zuckenden Beinen wild um sich, wobei es sich in die eigenen hervorquellenden Eingeweide verwickelte, während Herr de Lorche in nächster Nähe bewegungslos wie ein eiserner Keil auf dem Schnee lag. Einige Minuten lang schien der Auerochs zu schwanken, ob er sich nicht abwenden und auf das andere Pferd stürzen solle, doch da er sein erstes Opfer dicht vor sich hatte, griff er dieses aufs neue an. Der beklagenswerte Renner diente zur Zielscheibe seiner Wut. Er zermalmte dessen Kopf, er bohrte die ungeheuren Hörner in den offenen Bauch.

Von allen Seiten ritten die Mannen aus dem Gefolge zur Rettung des fremden Ritters herbei. Zbyszko aber, dem es hauptsächlich darum zu thun war, die Fürstin und Danusia zu schützen, stieß als erster den spitzen Speer unter die Schaufel des Auerochsen. Er that dies jedoch mit einer solchen Kraft, daß ihm der Speer bei einer plötzlichen Wendung des Bullen aus der Hand entglitt, und er selbst auf das Gesicht in den Schnee stürzte.

»Er ist verloren! Er ist verloren!« schrien die zu Hilfe eilenden Masuren auf, als sie sahen, wie der Kopf des Tieres sich auf Zbyszko senkte, der dadurch auf der Erde festgehalten wurde. Jetzt stürmten auch die beiden riesigen Schützer des Fürsten herbei, allein ihre Hilfe wäre zu spät gekommen, wenn nicht zum Glücke der Böhme Hlawa, der ja auf Wunsch Jagienkas über Zbyszko wachen sollte, einen Vorsprung vor ihnen gewonnen hätte. Das breite Beil mit beiden Händen fassend, versetzte der Böhme dem Auerochsen einen wuchtigen Hieb in das Genick dicht bei den Hörnern.

So gewaltig war der Schlag, daß der Bulle, wie vom Donner gerührt, mit durchhauenem Genicke krachend zur Erde stürzte, bei seinem Falle Zbyszko unter sich begrabend. Blitzesschnell befreiten die beiden »Schützer« den jungen Ritter von dem schweren Tiere, während die Fürstin und Danusia von den Pferden sprangen und angsterfüllt herbeieilten.

Bleich und über und über sowohl von dem eigenen wie von dem Blute des Auerochsen bedeckt, richtete sich Zbyszko ein wenig in die Höhe. Er versuchte, sich zu erheben. Allein schwankend fiel er auf die Knie, und sich mit den Händen stützend, vermochte er nur das eine Wort hervorzubringen: »Danuska ...«

Dann trat Blut auf seine Lippen, Dunkelheit umnachtete ihn. Wohl umschlang ihn Danusia mit ihren Armen, allein sie vermochte nicht, ihn aufrecht zu erhalten und rief verzweifelt um Hilfe. Ihrem Rufe wurde von allen Seiten Folge geleistet. Man rieb Zbyszko mit Schnee, man flößte ihm Wein ein und bettete ihn schließlich, wie es der Jägermeister Mrokota aus Mocarzewa anordnete, auf einen Mantel, um das Blut mittels zarter Waldschwämme zu stillen.

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Das breite Beil mit beiden Händen fassend, versetzte der Böhme dem Auerochsen einen wuchtigen Hieb in das Genick dicht bei den Hörnern.

»Wenn er nur die Rippen und nicht das Rückgrat gebrochen hat, wird er wieder zu sich kommen!« erklärte der Jäger, sich zu der Fürstin wendend.

Inzwischen waren die Hoffräulein gemeinsam mit einigen Jägern um Herrn de Lorche bemüht. Sorgsam untersuchte man dessen Rüstung, um zu sehen, ob sich nicht irgendwo ein Loch oder wenigstens eine schadhafte Stelle vorfinde, allein außer den Spuren des Schnees konnte nichts entdeckt werden. Augenscheinlich hatte der Bulle seine ganze Wut an dem Pferde ausgelassen, das entsetzlich zugerichtet, leblos, tot auf der Erde lag. Ohne eine Wunde davongetragen zu haben, war Herr de Lorche nur durch den schweren Sturz ohnmächtig geworden, durch den er sich auch, wie es sich später herausstellte, das Gelenk der rechten Hand verrenkt hatte. Kaum hatte man ihn daher von dem schweren Helm befreit, kaum waren seine Lippen mit Wein benetzt worden, so schlug er die Augen auf und flüsterte, als sein Blick auf die beiden jungen schönen Mädchen fiel, die sich bekümmert über ihn beugten, in deutscher Sprache: »Gewiß bin ich im Paradiese und die Englein umstehen mich.«

Wenn nun aber auch die jungen Mädchen nicht verstanden, was er sagte, waren sie doch glücklich darüber, daß er wieder das Bewußtsein erlangte. Sie lächelten ihm daher zu und richteten ihn mit Hilfe der Jäger empor.

Stöhnend vor Schmerz in seiner rechten Hand, stützte er sich mit der Linken auf einen der »Engel«, blieb aber dann unbeweglich stehen, weil er sich nicht sicher auf den Füßen fühlte. Den noch immer etwas verschleierten Blick umherschweifen lassend, gewahrte er den fahlgelben Körper des Auerochsen, der in der Nähe einen noch gewaltigeren Eindruck machte, er gewahrte Danusia, er gewahrte Zbyszko, welchen jene, sich über ihn beugend, mit ihren Armen umschlungen hielt.

»Dieser Ritter hier ist mir wohl zu Hilfe gekommen?« fragte er nach kurzem Schweigen. »Lebt er noch?«

»Er hat schwere Verletzungen davongetragen!« entgegnete einer der Hofherren, welcher der deutschen Sprache mächtig war.

»Nicht gegen ihn, sondern für ihn werde ich von nun an kämpfen!« erklärte jetzt der Lothringer.

In diesem Augenblicke trat die Fürstin von Zbyszko hinweg auf ihn zu, um ihm ihre Bewunderung über sein kühnes Vorgehen auszusprechen. Sie selbst wie auch die andern Frauen habe er vor dräuender Gefahr, ja vor dem Tode gerettet, erklärte sie, und dadurch sei ihm nicht nur ritterlicher Ruhm gewiß, sondern jetzt und immerdar werde er dafür gepriesen werden. »In unserer heutigen verweichlichten Zeit,« fügte sie hinzu, »steht es gar schlimm mit der Tapferkeit der Ritter, welche die Welt durchziehen. Weilt daher recht lange bei uns als Gast, oder siedelt ganz nach Masovien über, denn meiner Huld seid Ihr gewiß, und die Liebe der Menschen erringt Ihr Euch leicht durch heldenmütige Thaten.«

Das nach Ruhm dürstende Herz des Lothringers floß bei diesen Worten geradezu über vor Wonne, und als er sich auch noch zum Bewußtsein brachte, daß solch mutige, ritterliche Thaten zu den Seltenheiten gehörten, daß er sich das ihm gespendete Lob in jenen fernen polnischen Landen errungen hatte, von denen man die wunderbarsten Mären im Osten erzählte, da fühlte er vor Freude kaum noch Schmerzen in dem verletzten Arme. Wenn ein Ritter an dem brabantischen oder burgundischen Hofe zu erzählen vermochte, er habe auf der Jagd das Leben der masovischen Fürstin gerettet, dann wandelte er fürderhin im Strahlenkranze der Ehre und des Ruhmes dahin, darüber konnte kein Zweifel herrschen. Von diesem Gedanken getragen, wollte er vor der hohen Frau auf die Knie fallen und ihr treuen Dienst geloben, allein die Fürstin war schon wieder mit Danusia um Zbyszko bemüht. Für wenige Minuten hatte dieser aufs neue das Bewußtsein gewonnen. Er lächelte Danusia zu, fuhr mit der Hand an die mit kaltem Schweiß bedeckte Stirn und verlor abermals die Besinnung. Als die erfahrenen Jäger bemerkten, wie sich seine Hände zusammenkrampften, wie er mit offenem Munde dalag, hielten sie ihn für verloren. Die noch erfahreneren Kurpen aber, von denen fast ein jeder die Spuren von Bärentatzen, von Eberhauern oder von Hörnern der Auerochsen an sich trug, behaupteten, die Hörner des Tieres seien zwischen den Rippen des jungen Ritters eingedrungen, er habe eine, höchstens zwei seiner Rippen gebrochen, das Rückgrat müsse indessen unversehrt geblieben sein, denn sonst hätte er sich selbst nicht auf einen Augenblick emporrichten können. Sie wiesen auch darauf hin, daß Zbyszko an einer Stelle gestürzt war, auf welcher der Schnee hochgetürmt lag, ein Umstand, dem er hauptsächlich seine Rettung verdanke, weil er, unter der Schwere des Tieres immer tiefer in den Schnee sinkend, davor bewahrt blieb, daß ihm Brust und Rückgrat völlig eingedrückt wurden. Unglücklicherweise hatte sich der Arzt des fürstlichen Paares, Pater Wyszoniek, von der Jagd ferngehalten, trotzdem er gewöhnlich dabei zu sein pflegte, weil er gerade in der Zeit mit der Herstellung von Oblaten beschäftigt war. Als dies dem Böhmen zu Ohren kam, machte er sich spornstreichs auf den Weg zu ihm, während Zbyszko von einigen Kurpen auf dem Mantel in den Jagdhof getragen ward.

Danusia wollte zu Fuß neben ihm hergehen, diesem Vorhaben widersetzte sich jedoch die Fürstin, weil der Weg sehr weit und infolge des tiefen Schnees sehr beschwerlich war. Man schickte sich indessen an, dem Leidenden zu Pferde zu folgen. Der Starost Hugo de Danveld beeilte sich, Danusia in den Sattel zu helfen, dann ritt er, sich mit ihr dicht hinter den Leuten haltend, die Zbyszko trugen, neben ihr her und sagte ihr auf polnisch in eindringlichem Tone, aber doch so, daß er nur von ihr gehört werden konnte: »Ich habe in Szezytno einen wunderthätigen, heilenden Balsam, den ich von einem Einsiedler in dem hereynischen Walde erhielt. Wenn Ihr es wünscht, soll davon längstens in drei Tagen in Euern Händen sein.«

»Gott möge Euch dafür lohnen!« antwortete Danusia.

»Der Herr gedenkt jeder barmherzigen That! Doch welchen Dank darf ich von Euch erhoffen?«

»Wie soll ich Euere Güte vergelten?«

Der Starost schwieg einige Minuten, um dann zaudernd zu antworten: »Eine Frau wird Euch den heilenden Balsam bringen. Später wollen wir dann von Euerem Danke reden.«


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