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Fünftes Kapitel.

Am Tage nach ihrer Ankunft in Bogdaniec hielten Macko und Zbyszko Umschau auf ihrem alten Besitztum und überzeugten sich binnen kurzem, daß Zych aus Zgorzelic recht gehabt hatte, als er behauptete, daß sie anfänglich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben würden.

Mit der Bewirtschaftung des Feldes ging es noch einigermaßen. Mehrere Hufen Ackerlandes waren von den früher ansässigen Bauern oder von den durch den Abt neu angesiedelten bebaut worden. Dereinst pflegten in Bogdaniec weit größere Länderstrecken bestellt zu sein, allein seit der Zeit, in welcher durch die Schlacht bei Plowce das Geschlecht der »Grade« fast gänzlich vernichtet worden war, fehlte es an Arbeitskräften, und nach den Einfällen der Deutsch-Schlesier, sowie nach den Kämpfen der Grzymaliten mit Naleczy entstanden auf den ehemals so fruchtbaren Gefilden von Bogdaniec zum größten Teile Wälder. Macko war dem allem ratlos gegenüber gestanden. Vergeblich hatte er Jahre hindurch versucht, freie Bauern aus Krzesnia herbeizuziehen. Diese zogen es aber vor, auf ihrem eigenen »Hufen« zu sitzen, statt fremden Ackerboden zu bestellen. Mit einigen heimatlosen Leuten war es ihm indessen besser gelungen, aus verschiedenen Kriegen hatte er auch Gefangene mitgebracht, die sich Weiber nahmen, die sich Hütten bauten – und auf diese Weise entstand aufs neue ein Dorf. So schwer war ihm dies aber alles geworden, daß Macko sofort ganz Bogdaniec verpfändete, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Dabei ging er auch von zwei Voraussetzungen aus. Dem mächtigen Abte, so rechnete er, würde es erstens leichter fallen, das Land zu bebauen als ihm, und zweitens konnte er mittlerweile gemeinsam mit Zbyszko im Kriege Geld und Beute gewinnen. Der Abt wirtschaftete mit großer Umsicht. Die Arbeitskräfte in Bogdaniec vermehrte er um fünf Bauernfamilien, den Viehstand und die Zahl der Pferde vergrößerte er, und ließ nicht nur Speicher, sondern auch Vieh- und Pferdeställe aus Reisig errichten. Dagegen kümmerte der Abt sich nicht viel um die Gebäude, da er nur selten in Bogdaniec weilte, und Macko, der zuweilen geglaubt hatte, er werde bei seiner Heimkehr die Burg mit Wällen und Gräben umzogen finden, traf alles so an, wie es bei seinem Weggange gewesen war, vielleicht höchstens mit dem Unterschiede, daß einige der Pfeiler etwas schief standen, daß die Mauern niedriger erschienen, weil sie sich ein wenig gesenkt hatten.

Der Herrenhof bestand aus einer ungeheuern Halle, zwei geräumigen Stuben, aus Kammern und aus einer Küche. In den Stuben waren Fenster aus Schweinsblase, in der Mitte einer jeden, aus dem aus Lehm gebildeten Fußboden, standen Feuerherde, deren Rauch durch eine Spalte in der Decke seinen Ausgang fand. Diese völlig geschwärzte Decke diente in besseren Zeiten gewöhnlich auch als Rauchkammer, denn an den in das Gebälk geschlagenen Haken hingen dann Schweinskeulen, Keulen von Wildschweinen, von Bären, Elentieren, Hirsch- und Rehrücken, das Hinterteil von Ochsen und ganze Reihen Würste. In Bogdaniec freilich waren diese Haken jetzt leer, leer waren auch die in die Wände eingelassenen hölzernen Schäfte, auf welchen in andern »Höfen« Schüsseln aus Zinn oder Thon zu stehen pflegten. Nur die Wände unter den Schäften waren nicht mehr kahl, weil auf Zbyszkos Befehl hin die Leute sowohl die Panzer wie die Helme, kurze und lauge Schwerter daran aufgehängt hatten, nicht zu vergessen die Piken, die Bogen, die Lanzen, die Schilde, die Wappen und die Pferdedecken. Wohl mochte der Rauch nun mit der Zeit die Waffen schwärzen, so daß es häufiger nötig ward, sie zu putzen, aber dagegen hatte man sie auch rascher zur Hand, und der Wurm konnte dem Holze an den Lanzen, den Bogen und den Beilen nichts anhaben. Die kostbaren Gewänder ließ der fürsorgliche Macko jedoch in die Kammer bringen, in der er schlief.

In den vorderen Stuben standen in der Nähe der Fenster Tische aus Fichtenholz gezimmert und ebensolche Bänke, auf denen sich die Herren und die Knechte gemeinsam zum Speisen niederließen. Wenn nun aber auch die Leute durch die langen Kriegsjahre jede Bequemlichkeit entbehren gelernt hatten, gebrach es doch in Bogdaniec an Brot, Mehl und an den verschiedenen andern Vorräten, vornehmlich aber auch an Geschirr. Die Bauern trugen freilich herbei, was in ihren Kräften stand; außerdem rechnete Macko darauf, daß ihm die Nachbarn behilflich sein würden – und er täuschte sich nicht, wenigstens nicht in Betreff von Zych aus Zgorzelic.

Am Tage nach der Heimkehr saß der alte Edelmann just auf einen Baumstumpf vor dem Hause, um das herrliche Herbstwetter zu genießen, als Jagienka mit Wangen wie ein rotbäckiges Aepfelchen auf ihrem Rappen in den Vorhof sprengte. Ein Knecht, der in der Nähe des Zaunes Holz spaltete, wollte ihr vom Pferde helfen, allein sie sprang wie der Blitz zur Erde und eilte, ein wenig atemlos von dem schnellen Ritte, auf Macko zu.

»Gelobt sei Jesus Christus! Ich bringe Euch Grüße vom Vater, der sich nach Eurer Gesundheit erkundigen läßt.«

»Nicht besser ist es mir, als es mir unterwegs ging,« antwortete Macko, »allein man schläft doch in seinen eigenen vier Wänden.«

»Ihr müßt aber ja große Beschwerden leiden, und ein Kranker bedarf der Pflege.«

»Wir sind hart gewöhnt. Freilich im Anfange muß man jeder Bequemlichkeit entbehren, allein es fehlt auch an Nahrungsmitteln. Ich gab indessen Befehl, einen Ochsen und zwei Schafe zu schlachten, dann haben wir genug Fleisch. Die Frauen der Bauern brachten übrigens Mehl und Eier, doch immerhin nur wenig, und vor allem gebricht es uns an dem gewöhnlichsten Geräte und Geschirr.«

»Zwei Wagen ließ ich für Euch voll laden. Auf dem einen kommen Polster für Euch beide zum Schlafen, Geräte und Geschirr, auf dem andern allerlei Nahrungsmittel. Und was habe ich nicht alles für Euch bestimmt! Fladen und Mehl, und Speck, und getrocknete Pilze, und ein Fäßchen Bier, und Honig, kurz, von allem, was wir im Hause haben, erhaltet Ihr etwas.«

Macko, dem jede Zufuhr willkommen war, streckte die Hände aus, strich Jagienka über das Haar und sagte: »Gott lohne es Dir und Deinem Vater. Sobald die Wirtschaft wieder in gutem Stande ist, geben wir alles zurück.«

»Was fällt Euch denn ein!«

»Nun, so möge Euch Gott reichlich dafür lohnen. Der Vater erzählte mir, wie gut Du zu wirtschaften verstehst. Du herrschst nun fast ein Jahr allein über Zgorzelic.«

»Je nun! Wenn Euch noch irgend etwas nötig ist, schickt jemand, jedoch nur einen, der weiß, um was es sich handelt, denn das ist doch thöricht, daß bisweilen ein Abgesandter kommt und nicht weiß, weshalb er geschickt wird.«

Nach diesen Worten sah Jagienka etwas zaghaft umher, und Macko, der dies bemerkte, fragte lächelnd: »Nach wem schaust Du umher?«

»Nach keinem Menschen.«

»Ich sende Zbyszko zu Euch. Er möge Zych und Dir in meinem Namen danken. Gefällt Dir Zbyszko? Wie?«

»Ei, ich habe ihn noch nie angesehen.«

»So thue das jetzt, denn just kommt er.«

In der That kam Zbyszko von der Tränke, zu der die Pferde geführt worden waren, zurück und verdoppelte seine Schritte, als er Jagienka gewahr wurde. In ein Gewand von Elentierhaut gekleidet, eine runde Mütze auf dem Haupte, wie sie unter dem Helme getragen zu werden pflegte, mit über der Stirn gerade geschnittenen, in goldenen Ringeln frei über die Schulter herabwallenden Haaren, die von keiner Netzhaube gehalten wurden, näherte er sich dem jungen Mädchen hoch aufgerichtet, stattlich, einem Schildknappen aus edlem Hause zu vergleichen. Jagienka wich unwillkürlich zu Macko zurück, wie um zu zeigen, daß sie nur zu ihm gekommen sei, allein Zbyszko begrüßte sie fröhlich, ergriff ihre Rechte und führte diese trotz des ihm geleisteten Widerstandes an die Lippen.

»Weshalb küßt Ihr mir die Hand?« fragte sie. »Bin ich denn ein Diener des Herrn?«

»Wehrt Euch nicht, das ist nun so einmal der Brauch.«

»Und selbst wenn er Dir auch noch die andere Hand küßte,« warf Macko ein, »wäre es nicht zu viel für das, was Du gebracht hast.«

»Was brachte sie denn?« rief Zbyszko, der, trotzdem er seine Blicke umherschweifen ließ, nichts sah, als das Mädchen und dessen an dem Zaune festgebundenen Rappen.

»Die Wagen sind noch nicht eingetroffen, aber sie kommen,« entgegnete Jagienka.

Nun begann Macko aufzuzählen, was ihnen alles zugeschickt werde, als er indessen die beiden Polster erwähnte, erklärte Zbyszko: »Wenn ich auch gern auf gereinigten Häuten liege, danke ich Euch doch, daß Ihr meiner gedacht habt.«

»Nicht ich that dies, sondern der Vater,« bemerkte Jagienka errötend. »Wenn Ihr aber lieber auf Häuten, als auf Polstern schlaft, so thut Euch keinen Zwang an.«

»Ich ziehe Häute vor. Mehr als einmal pflegte ich im Kriege, nach einem Kampfe, einen erschlagenen Kreuzritter unter dem Kopfe zu haben, wenn ich schlief.«

»Wenn Ihr aber einmal von den Kreuzrittern getötet werdet? Seid Ihr denn sicher, daß dies nie geschieht?«

Statt aller Antwort lachte Zbyszko laut auf, Macko aber entgegnete: »Danke dem Schöpfer, Mädchen, daß Du ihn nicht kennst! Nichts, nichts hat er gethan, als auf die Deutschen eingehalten, daß es nur so sauste. Mit der Lanze, mit dem Schwerte, mit allem möglichen schlug er zu, und wenn er nur einen Kreuzritter von weitem erblickte, stürzte er sich auf ihn, selbst wenn man ihn mit aller Gewalt zurückhalten wollte. Vor Krakau band er sogar mit dem Gesandten Lichtenstein an, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre er deshalb um seinen Kopf gekommen. So ist dieser Bursche! Und von zwei Friesen kann ich Dir erzählen, von denen wir so viel Knechte und Beute gewonnen, daß wir mit der Hälfte Bogdaniec auslösen könnten.«

Ausführlich schilderte nun Macko den Kampf mit den Friesen und kam dann auf andere Abenteuer, die sie bestanden, auf andere Thaten, die sie ausgeführt hatten, zu sprechen. Er berichtete, wie sie sowohl innerhalb der Wälle wie auf offenem Felde mit den hervorragendsten Rittern aus den entferntesten Ländern zusammengestoßen waren. Was erzählte er nicht alles! Sie kämpften mit Deutschen, sie kämpften mit Franzmännern, sie kämpften mit Engländern und mit Burgundern. So stürmisch ging es gar häufig in dem Streite zu, daß Pferde, Leute, Waffen und die Deutschen mit ihren Federbüschen geradezu einen einzigen Knäuel zu bilden schienen. Und was sie nicht alles gesehen hatten! Schlösser der Kreuzritter mit roten Ziegeldächern, litauische Burgen, aus Holz erbaut, Kirchen, wie es um ganz Bogdaniec keine gab, Städte und ungeheure Wüsteneien mit ihren Heidentempeln, durch die des Nachts der Wind heulte, und viele, viele andere Herrlichkeiten. Wo es aber auch zum Kampfe gekommen sein mochte, hei, da war Zbyszko stets der erste gewesen, ihn hatten die berühmtesten Ritter bewundert.

Auf dem Baumstumpfe neben Macko sitzend, lauschte Jagienka mit offenem Munde dieser Erzählung, indem sie ihr Köpfchen, gerade als ob es in einer Schraube wäre, bald zu Macko bald zu Zbyszko drehte. Auf dem jungen Ritter aber ruhten ihre Blicke stets mit der größten Bewunderung. Als Macko schließlich zu Ende gekommen war, atmete sie tief auf und rief: »Daß doch Gott einen solchen Menschen erschaffen hat!«

Zbyszko aber, der während der ganzen Erzählung das junge Mädchen fast forschend betrachtet hatte, dachte augenscheinlich jetzt an etwas ganz anderes, denn er rief mit einem Male: »Und auch ein so schönes Mädchen!«

Darauf erwiderte Jagienka halb ärgerlich, halb schmerzlich: »Ihr seid viel schöner als ich.«

Ohne sich indessen einer Lüge schuldig zu machen, konnte ihr Zbyszko erwidern, daß er noch nicht viele gesehen habe, die sich ihr vergleichen ließen, war doch Jagienka das Bild von Jugend, Gesundheit und Kraft. Der alte Abt pflegte nicht mit Unrecht zu sagen, sie sei schön wie die Holderblüte und schlank wie die Tanne.

Und schön war alles an ihr: ihre schlanke Gestalt, die breiten Schultern, die roten Lippen, die blauen, scharfblickenden Augen. Sie war auch weit sorgfältiger gekleidet als damals im Walde, ihren Hals schmückten rote Perlen, sie trug ein grünes, mit Pelz gefüttertes, nach vorn geöffnetes Obergewand, mit einem Unterkleid aus gestreifter Leinwand, ihre Füße staken in neuen Schuhen. Sogar dem alten Macko fiel die prächtige Kleidung auf, und indem er das junge Mädchen aufmerksam betrachtete, fragte er: »Weshalb hast Du Dich geschmückt wie zum Kirchgange?«

Statt jeder Antwort rief sie aber: »Die Wagen kommen, die Wagen kommen!«

Kaum waren diese vorgefahren, sprang sie darauf zu, und Zbyszko folgte ihr. Das Abladen währte bis Sonnenuntergang, zur großen Genugthuung Mackos, der jeden einzelnen Gegenstand persönlich in Augenschein nahm und für jeden Jagienka aufs neue pries. Es dämmerte schon vollständig, als das junge Mädchen sich zum Weggehen anschickte. Das Pferd ward vorgeführt, und ehe sie auch nur ein Wort des Widerspruchs erheben konnte, hatte Zbyszko sie umfaßt und in den Sattel gehoben. Eine tiefe Röte überzog ihr Antlitz, sie wendete sich von ihm ab und sagte mit einer etwas gepreßten Stimme: »Was seid Ihr für ein kräftiger Bursche!«

Er hingegen, der durch die Dunkelheit weder ihr Erröten, noch ihre Verlegenheit zu bemerken schien, lächelte fröhlich und fragte: »Fürchtet Ihr Euch nicht vor wilden Tieren? Es ist ja schon Nacht.«

»Auf einem der Wagen liegt mein Speer, holt mir ihn.«

Zbyszko eilte zu dem Wagen, holte die Waffe und überbrachte sie Jagienka.

»Lebt wohl!«

»Lebt wohl!«

»Der Herr lohne Euch alles! Morgen oder übermorgen komme ich nach Zgorzelic um mich bei Zych und bei Euch für Euer nachbarliches Thun zu bedanken.«

»Ihr kommt also! Wie froh werde ich darüber sein. Vorwärts!« Und das Pferd antreibend, war sie binnen kurzem im Dickicht verschwunden.

Zbyszko trat nun zu seinem Ohm. »Es ist wohl Zeit für Euch, ins Haus zurückzukehren.«

Ohne sich indessen von dem Baumstumpfe zu erheben, rief Macko: »Hei! Welch ein Mädchen! Bei ihrem Kommen scheint alles in Sonnenlicht getaucht zu sein.«

»Das ist wahr!«

»Und zu kleiden weiß sie sich, und zu wirtschaften versteht sie, trotzdem sie kaum fünfzehn Jahre zählt.«

»Nun!« rief Zbyszko, »der alte Zych liebt sie auch wie seinen Augapfel.«

»Und er sagte, Moczydoly falle ihr zu, und dort auf den Wiesen weideten viele Stuten und Hengste.«

»In den Wäldern von Moczydoly befinden sich wohl große Sümpfe?«

»In denen zahllose Biberbaue sind.«

Aufs neue trat Schweigen ein. Macko warf einen prüfenden Blick auf Zbyszko, dann fragte er: »Ueber was sinnst Du? An was denkst Du?«

»Ach, seht Ihr. Jagienka erinnert mich so sehr an Danusia, daß mir das Herz weh thut.«

»Kehren wir in das Haus zurück!« bemerkte jetzt der alte Edelmann. »Es ist spät geworden.«

Und sich mühsam erhebend, stützte er sich auf Zbyszko, der ihn in die Kammer geleitete.

Schon am folgenden Tage begab sich Zbyszko nach Zgorzelic, dem Drängen Mackos folgend, welcher den Bruderssohn auch veranlaßte, um die Bedeutung des Besuches zu erhöhen, zwei Knechte mitzunehmen und sich selbst in den höchsten Staat zu werfen. Damit sollte Zych, dem man darthun wollte, wie sehr man ihm zu Dankbarkeit verpflichtet sei, ganz besonders geehrt werden. Zbyszko hatte sich auch in der That wie zu einem Feste gekleidet, trug er doch die prächtige weiße Atlasjacke, mit goldenen Fransen geziert und mit goldenen Greifen bestickt. Singend und mit offenen Armen empfing ihn Zych, Jagienka hingegen, die gerade in die Stube trat, blieb wie angewurzelt auf der Thürschwelle stehen, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ihr beim Anblick des Jünglings die Weinflasche aus den Händen gefallen, denn so wie er, dünkte ihr, könne nur ein Königssohn erscheinen. Mit ihrer sonstigen Kühnheit war es vorbei, still setzte sie sich nieder und rieb nur von Zeit zu Zeit die Augen, als ob sie eben aus dem Schlafe erwache. Der junge Ritter aber, dem es an Erfahrung gebrach, glaubte nicht anders, als daß sie aus einem ihm unbekannten Grunde ihn nicht gern hier sehe, und unterhielt sich infolgedessen ausschließlich mit Zych, dem er für seine nachbarliche Hilfsbereitschaft dankte und dem er sein Staunen über den Herrenhof in Zgorzelic aussprach, dem thatsächlich in nichts der in Bogdaniec verglichen werden konnte.

Allenthalben ließ sich hier Wohlstand, ja Reichtum erkennen. Die Scheiben der Stubenfenster bestanden aus Horn, welches so dünn und so glatt geschnitten war, daß es an Durchsichtigkeit fast dem Glase gleichkam. In der Mitte der Stuben befanden sich keine Herde, sondern es erhoben sich hohe Kamine, an deren Vorsprüngen Geweihe angebracht waren. Der reinlich gescheuerte Fußboden bestand aus Lärchenholz, an den Wänden hingen Waffen und eine Menge Schüsseln, glänzend wie die Sonne, abgesehen von dem schöngeschnitzten Löffelbrett mit einer Reihe von Löffeln, unter denen zwei silberne waren. Da und dort hingen auch Teppiche, teils im Krieg erbeutet, teils von wandernden Händlern gekauft. Unter den Tischen lagen ungeheure fahlgelbe Felle von Bisam, Auerochsen und Ebern. Voll freudigen Stolzes zeigte Zych seinen Reichtum und betonte dabei jeden Augenblick aufs neue, daß dies alles Jagienka bewirtschafte. Er führte Zbyszko auch in eine Seitenkammer, duftend nach Harz und Kräutern, in welcher an der Decke ganze Bündel Felle von Wölfen, Füchsen, Mardern und Bibern hingen. Dann zeigte er ihm das Käsehäuschen, den Aufbewahrungsort von Wachs und Honig, die Tonnen mit Mehl, den Aufbewahrungsort von gut gebackenem Brot, Flachs und getrockneten Pilzen. Auch in die Speicher führte er ihn, in die Viehställe, in die Pferde- und Schweineställe, in die Schuppen für die Wagen, für die Geschirre, für die Jagdgeräte, für die Fischnetze, und so sehr wußte er seinen Wohlstand Zbyszko vor Augen zu führen, daß dieser seinem Staunen unumwundenen Ausdruck verlieh. »Leben, nicht sterben möchte man in Eurem Zgorzelic!« rief er.

»In Moczydoly herrscht beinahe der gleiche Wohlstand,« bemerkte Zych. »Du kennst doch Moczydoly! Es liegt ganz nahe bei Bogdaniec. Früher stritten sich sogar unsere Väter wegen der Grenzen und schickten sich Forderungen zum Kampfe. Aber ich werde nicht streiten.«

Dann hielt er Zbyszko sein Glas mit Met entgegen und fragte: »Willst Du vielleicht etwas singen?«

»Nein,« sagte Zbyszko, »ich bin gespannt darauf, Euch zu hören.«

»Siehst Du, Zgorzelic werden die kleinen Bären bekommen, vorausgesetzt, daß sie deshalb nicht einander zerreißen.«

»Was für kleine Bären?«

»Na, die Bürschlein, Jagienkas Brüder.«

»Nun, die werden nicht nötig haben, an ihren Pfoten im Winter zu saugen.«

»Aber weshalb trinkst Du nicht? Jagienka schenke ihm und mir ein.«

»Ich esse und trinke soviel ich kann.«

»Wenn Du nicht mehr kannst, schnallst Du den Gurt ab. Ein schöner Gurt! Ihr müßt aus Litauen reiche Beute mitgebracht haben?«

»Wir können nicht klagen,« entgegnete Zbyszko, die Gelegenheit benützend, um zu zeigen, daß die Besitzer Bogdaniecs auch nicht zu unterschätzende Edelleute seien. »Einen Teil der Beute verkauften wir in Krakau und erhielten vierzig Mark Silber dafür.«

»Bei Gott dem Herrn, dafür kann man sich ja ein Dorf kaufen.«

»Es war eine mailändische Rüstung, welche der Ohm verkaufte, weil er sich selbst für verloren hielt, und daher ...«

»Ich weiß! Nun, da lohnt es sich, nach Litauen zu gehen. Ich wollte seiner Zeit auch gehen, aber ich fürchtete mich.«

»Weshalb? Vor den Kreuzrittern?«

»Ach, wer fürchtet sich vor den Deutschen! So lange sie Dich nicht totschlagen, ist kein Grund vorhanden, sich zu fürchten, und wenn sie Dich totschlagen, hast Du keine Zeit mehr dazu.«

»Ich fürchtete mich vor den Heidengöttern, das heißt vor den Teufeln. In den Wäldern hausen wahrscheinlich so viele wie Ameisen.«

»Wo sollen sie denn sonst hausen, da die Heidentempel niedergebrannt worden sind? Früher schwelgten sie in Reichtum und jetzt leben sie von Pilzen und Ameisen.«

»Hast Du sie auch schon gesehen?«

»Ich selbst sah noch keine, aber ich hörte, daß sie von andern gesehen wurden. Mancher von ihnen streckt zuweilen hinter einem Baume eine zottige Tatze hervor und hält sie hin, damit man ihm etwas geben soll.«

»Macko sagte uns das Gleiche,« warf hier Jagienka ein.

»Freilich! Dir und mir hat er davon unterwegs erzählt,« fügte Zych hinzu. »Nun, das ist nicht zu verwundern. Bei uns ertönt doch zuweilen ein Lachen aus den Sümpfen, trotzdem das Land längst zum Christentum übergegangen ist, und wenngleich die Priester daher auch darüber schelten, ist es doch angebracht, für die Hausgeister des Nachts in irgend einen Winkel eine Schüssel mit Essen zu stellen, denn sonst kratzen sie an den Wänden, daß man kein Auge schließen kann ... Jagienka, mein Töchterchen, gehe und stelle eine Schüssel auf die Schwelle!«

Jagienka brachte eine Schüssel voll Klößchen mit Käse und stellte sie auf die Schwelle, Zych aber fuhr fort: »Die Geistlichen schreien, strafen! Der Ruhm des Herrn Jesus wird aber durch ein paar Klöße nicht geschmälert, und wenn der Hausgott satt und zufrieden ist, dann schützt er vor Feuer und vor Diebstahl. – Willst Du jedoch nicht Deinen Gurt ablegen und ein wenig singen?« wandte er sich hierauf fragend an Zbyszko.

»Nein, Ihr müßt singen, denn ich sehe wohl, daß Ihr längst Lust dazu verspürt, oder vielleicht auch die Jungfrau Jagienka.«

»Wir werden der Reihe nach fingen,« rief Zych fröhlich. »Wir haben einen Knecht im Hause, der ganz nett zum Gesange auf einer hölzernen Pfeife zu quitschen versteht. Ruft mir ihn!«

Der Weisung ward Folge geleistet, der Knecht kam, setzte sich auf einen dreibeinigen hölzernen Schemel, steckte die Pfeife in den Mund und schaute, die Finger auf dem Instrumente ausbreitend, prüfend auf die Anwesenden, wie um sich zu vergewissern, wen er begleiten solle. Da jedoch keines den Anfang machen wollte, erhob sich zuerst ein lebhafter Streit. Endlich gebot Zych dem Töchterlein, mit gutem Beispiel voran zu gehen, und trotzdem sich Jagienka scheute, vor Zbyszko zu singen, stand sie doch von der Bank auf, steckte die Hände unter die Schürze und sang:

»Flügel hätt' ich so gerne
Wie ein Gänslein klein,
Nach Schlesien in die Ferne
Flög' ich zu Jasio mein.« ...

Zbyszko machte anfänglich große Augen, dann sprang er mit gleichen Füßen empor und rief mit lauter Stimme: »Wer hat Euch dies Lied gelehrt?«

Jagienka sah ihn staunend an: »Das singen doch alle. Was ist mit Euch?«

Zych indessen, der glaubte, Zbyszko habe zu viel getrunken, wendete sich zu diesem und meinte: »Schnalle Deinen Gürtel auf, dann wird Dir gleich leichter werden.«

Doch auf Zbyszkos Antlitz spiegelten sich die widersprechendsten Empfindungen. Endlich jedoch ward er seiner Erregung Herr und sagte zu Jagienka: »Verzeiht! Mir kam plötzlich etwas in den Sinn. Singt weiter.«

»Vielleicht stimmt Euch aber mein Gesang traurig?«

»Ei, kein Gedanke!« erwiderte Zbyszko mit etwas bebender Stimme. »Ich könnte Euch die ganze Nacht zuhören.«

So sprechend, setzte er sich wieder nieder und die Augen mit der Hand beschattend, verfiel er in tiefes Sinnen.

Jagienka sang nun auch die zweite Strophe, doch kaum damit zu Ende gekommen, gewahrte sie eine große Thräne, die sich zwischen den Fingern Zbyszkos hervorstahl.

Rasch eilte sie nun auf ihn zu, nahm neben ihm Platz und stieß ihn mit dem Ellenbogen an.

»Nun?« flüsterte sie, »was ist Euch? Ich will nicht, daß Ihr weint. Sprecht, was ist Euch?«

»Nichts, nichts!« entgegnete Zbyszko seufzend, »es lohnt sich nicht, darüber zu reden ... Es kam so über mich. Nun ist mir schon wieder leichter.«

»Möchtet Ihr vielleicht süßen Wein trinken?«

»Bei meiner Treu, Mädchen!« rief nun Zych, »weshalb redet Ihr Euch mit ›Ihr‹ an? Sage ›Du‹ zu ihm und nenne ihn Zbyszko, und Du, Zbyszko, nennst sie Jagienka. Ihr kennt Euch doch von Jugend an.« Und sich wieder zu der Tochter wendend, meinte er: »Daß er Dich einmal geprügelt hat, das schadet nichts. Jetzt wird er es nicht mehr thun.«

»Nein, das werde ich nicht mehr thun!« erklärte Zbyszko heiter. »Sie aber soll mir jetzt dafür Prügel geben, wenn sie Lust dazu hat.«

Daraufhin ballte Jagienka, in der Absicht, ihn recht lustig zu stimmen, die Hand zur Faust und gab sich lachend den Anschein, als ob sie Zbyszko schlagen wolle.

»Da hast Du es, für meine zerschundene Nase, da hast Du es, da hast Du es!«

»Wein her!« rief nun der Besitzer von Zgorzelic fröhlich.

Jagienka eilte in die Vorratskammer und erschien gleich darauf wieder mit einem steinernen Krug voll Wein, zwei schönen, von einem Breslauer Goldschmied gearbeiteten, in Silber getriebenen Bechern und einigen weithin duftenden Käschen.

Zych, der nicht mehr ganz nüchtern war, wurde bei diesem Anblick von Rührung übermannt; er ergriff den Krug, stellte ihn auf seinen Schoß und ohne Zweifel glaubend, dies sei Jagienka, fing er also zu reden an: »Ei, Du mein Töchterlein! O ich armer Verwaister! Was soll ich bedauernswerter Schlucker in Zgorzelic thun, wenn Du mir genommen wirst, was soll ich thun?«

»Und binnen kurzem werdet Ihr sie hergeben müssen!« rief Zbyszko.

Zychs Rührung hielt indessen nicht lange an, denn er brach gleich wieder in Lachen aus.

»Ha! ha! Das Mädchen ist erst fünfzehn Jahre alt, und es zieht sie schon zu den Burschen!«

»Väterchen! Du wirst sehen, daß ich fortgehe,« erklärte Jagienka.

»Nein, bleibe, mit Dir ist gut sein.«

Dann blinzelte er Zbyszko geheimnisvoll zu.

»Zwei schon haben sich hier eingestellt, der eine der junge Wilk, ein Sohn des alten Wilk aus Brzozowa, der andere Cztan aus Rogow. Wenn sie Dich hier erwischen, dann fallen sie Dich ebenso wütend an, wie sie sich wechselseitig anfallen.«

»Topp, es gilt!« rief Zbyszko.

Dann wandte er sich zu Jagienka, und sie der Aufforderung Zychs zufolge mit Du anredend, fragte er: »Und welchen wählst Du?«

»Keinen.«

»Wilk ist ein jähzorniger Bursche!« warf Zych ein.

»Möge er sich bei andern sein Mütchen kühlen!«

»Und Cztan?«

Jagienka lachte. »Cztan,« sagte sie hierauf, sich zu Zbyszko wendend, »dem fällt wie einem Schaf das Haar so zottig bis zur Nase, daß er kaum aus den Augen zu sehen vermag, und er ist so fett wie ein Bär.«

Bei diesen Worten schlug sich Zbyszko an die Stirn, als ob ihm plötzlich etwas einfiele, und er sagte: »Nun, das ist nur gut; ich möchte Euch nämlich um etwas bitten. Habt Ihr vielleicht Bärenfett im Hause? Dem Ohm soll es zum Heilmittel dienen, und in Bogdaniec fehlt es daran.«

»Wir hatten wohl,« entgegnete Jagienka, »aber die Bürschlein haben es in den Vorhof getragen, um die Bogen damit zu schmieren. Und den Rest, nun den haben die Hunde gefressen. Jetzt thut es mir leid.«

»Blieb nichts übrig?«

»Alles ist rein aufgeleckt!«

»Ei, da läßt sich eben nichts anderes thun, als im Walde nach anderem zu fahnden.«

»Stelle eine Treibjagd an, an Bären fehlt es nicht, und wenn Ihr die Jagdgeräte haben wollt, können wir sie Euch geben.«

»Weshalb sollte ich lange warten? Ich gehe des Nachts zu den Bienenstöcken.«

»Nimm fünf von unseren Knechten mit. Es sind tüchtige Bursche unter ihnen.«

»Mit einem solchen Haufen ist's nichts. Damit verscheucht man nur die wilden Tiere.«

»Wie gedenkt Ihr es zu machen? Wollt Ihr die Armbrust mitnehmen?«

»Was sollte mir im dunkeln Walde die Armbrust nützen? Wir haben ja jetzt nicht Vollmond. Ich nehme eine vielzackige Heugabel mit, ein gutes Beil und gehe morgen allein.«

Jagienka schwieg einige Zeit; auf ihrem Gesichte drückte sich jedoch sichtliche Unruhe aus.

»Im vorigen Jahre,« begann sie endlich wieder, »ging der Jäger Bezduch von uns weg und wurde von einem Bären zerrissen. Es ist immer eine gefährliche Sache, sich allein des Nachts in den Wald zu wagen, denn sieht der Petz gar einen einzelnen Menschen bei den Bienenstöcken, dann stellt er sich sofort auf die Hinterbeine.«

»Wenn er davonlaufen würde, könnte man ihn ja nicht packen!« rief Zbyszko.

Jetzt erhob sich plötzlich Zych, der ein wenig geschlummert hatte, und begann zu singen:

»Kuba stets von der Arbeit kommt,
Mir, Maczek, nur die Lustbarkeit frommt;
Frühmorgens mit der Sichel wir ziehn in die Au,
Doch im Korn allein nur nach Kascha ich schau.
Juchhe, Juchhe!«

»Siehst Du,« wandte er sich hierauf an Zbyszko, »es sind ihrer zwei: Wilk aus Brzozowa und Cztan aus Rogow ... Aber Du ...«

Da trat Jagienka, wohl aus Furcht, Zych könne in seinen Worten zu weit gehen, rasch auf Zbyszko zu und fragte: »Und wann willst Du gehen? Morgen?«

»Morgen nach Sonnenuntergang.«

»Und zu welchen Bienenstöcken?«

»Zu den unsrigen, in Bogdaniec, nicht weit von Euren Grenzhügeln, nahe bei den Sümpfen von Rudzik. Man sagte mir, dort werde ich sicherlich mit einem Bären zusammenstoßen.«


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