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Charlottenburg, im Juni 1892.

Ich hoffte im vorigen Jahre diese Erinnerungen in Harzburg abzuschließen, wurde aber durch eine Erkrankung meiner Frau und viele andere Störungen daran verhindert. Im Herbste hatte ich selbst einen schweren Influenzaanfall zu überstehen, der mich nöthigte, den Winter im Süden zu verbringen. Von meiner Frau und jüngsten Tochter begleitet, begab ich mich im Dezember nach Corfu. Zwar ist dort für Kranke nicht viel Fürsorge getroffen, und das Klima ist im Januar und Februar ungefähr das eines regnerischen norddeutschen Sommers, aber die herrliche Lage und die schöne Umgebung der Stadt gewähren auch um diese Jahreszeit hohen Genuß. Corfu zehrt noch heute von den Wohlthaten, welche die englische Oberherrschaft früher der Insel gebracht hat. Die von den Engländern erbauten schönen Straßen, obwohl zum Theil schon verfallen, gewähren noch immer gute Verbindung zwischen den wichtigsten Punkten der Insel; auch die englische Wasserleitung, welche die Stadt Corfu zu einem gesunden Orte gemacht hat, ist glücklicherweise noch in Thätigkeit. Bis vor kurzem lebte der Corfiote in alter phäakischer Behaglichkeit von den Einnahmen, welche die zahllosen alten Oelbäume der Insel ihm gewährten; er nahm sich nicht einmal die Mühe, die Früchte regelrecht zu ernten, sondern wartete ab, bis sie von selbst zur Erde fielen und sammelte dann die noch gut erhaltenen. Neuerdings hat aber das Petroleum die Oelpreise sehr hinabgedrückt, und die Sorgen ums tägliche Brod fangen nun auch im Phäakenlande an, sich fühlbar zu machen. Man wendet daher dem Weinbau jetzt größere Aufmerksamkeit zu, der zwar viel mehr Arbeit kostet, dafür aber auch weit lohnender ist als der Oelbau. Mit Bedauern sieht man in manchen Gegenden der Insel die alten malerischen Oelbäume fallen, die der einträglicheren Weinkultur Platz machen müssen. Fast die einzigen Fremden, die sich dauernd in Corfu aufhalten, sind französische Händler, die allen Wein aufkaufen. Die große Menge rothen Farbstoffes, die der korfiotische Wein enthält, mag ihn wohl sehr geeignet zur Fabrikation echten Bordeaux machen. In früheren Zeiten durfte kein Wein aus der Insel exportirt werden, da die Corfioten ihren Wein selbst trinken wollten. So ändern sich uralte Gewohnheiten in unserer nichts Unveränderliches duldenden Zeit!

Ende Februar, als die Obstbäume zu blühen begannen, verließen wir Corfu und gingen nach Neapel, wo wir besseres Wetter und mehr Unterhaltung zu finden hofften. Aber die Apenninen waren noch tief verschneit, selbst der liebe Vesuv trug einen leichten Schneemantel und in Neapel regnete es noch viel anhaltender und stärker als in Corfu. Dafür erfreuten wir uns dort des angenehmen Verkehrs mit Freund Dohrn und seiner liebenswürdigen Familie. Vier Wochen später gingen wir nach Amalfi, aber erst in Sorrent lachte uns endlich der lang ersehnte blaue italienische Himmel. Dort spürte ich zuerst die Rückkehr meiner Kräfte, als ich auf einem Spaziergange mit meiner Frau durch das Bestreben einen schönen Aussichtspunkt zu gewinnen, zum höchsten Punkte der Umgebung, dem Kloster Deserto, geführt wurde. Meine Hoffnung, dem Vesuv nochmals einen Besuch abstatten zu können und vielleicht noch einmal einen Einblick in die Quellen seiner wechselnden Thätigkeit zu gewinnen, blieb des ungünstigen Wetters wegen leider unerfüllt Es hat mir aber viel Freude gemacht, ihn wiederzusehen, denn man hängt an Personen und Sachen, denen man Dank schuldet. Hatte mir doch der Vesuv bei einer im Jahre 1878 ausgeführten Besteigung durch seine regelmäßig wiederkehrenden explosionsartigen Auswürfe so unzweifelhafte Fingerzeige über die Ursache seiner Thätigkeit gegeben, daß der Kreis meiner Vorstellungen über die Gestaltung des Erdinneren und die in demselben thätigen Kräfte dadurch sehr erweitert wurde.

Anfang Mai kehrten wir in die Heimath zurück, leider hatte ich aber noch zweimal heftige Fieberanfälle zu erleiden. Nachdem ich auch sie nun glücklich überwunden habe, hoffe ich, daß die Krankheitsperiode meines Alters damit beendet ist und mir noch ein ruhiger und heiterer Lebensabend im Kreise meiner Lieben beschieden sein wird.


Meiner Geschwister habe ich im Vorhergehenden schon häufig gedacht, bei dem großen Einfluß, den sie auf meinen Lebensgang ausübten, fühle ich mich aber gedrungen, ihr Leben noch kurz im Zusammenhange zu schildern.

Zunächst will ich meines uns leider so früh durch den Tod entrissenen Bruders Wilhelm gedenken. Wie dieser sich in einem ihm fremden Lande, das er ohne alle Bekanntschaften und Empfehlungen mit sehr beschränkten Mitteln betrat, zu einer hoch angesehenen Lebensstellung hinaufgearbeitet hat, das hat eine so berufene englische Feder wie die des Mr. Pole verständlich geschildert. Es haben ja viele Ausländer und darunter auch Deutsche ihr Glück in England gemacht, aber dies war meist einseitig und beruhte auf besonderen Glücksfällen, zu denen auch eine vereinzelte Erfindung von großer materieller Bedeutung in der Regel zu zählen ist. Wilhelm erreichte mehr, er gewann die öffentliche Meinung Englands dafür, ihn schon bei Lebzeiten und in noch hervorragenderer Weise nach seinem Tode als einen der leitenden Führer zu feiern, denen das Land den großen Aufschwung seiner Technik durch Verbreitung und Anwendung naturwissenschaftlicher Kenntnisse verdankt. Durch unausgesetzte Thätigkeit in dem hochentwickelten Vereinsleben, das in England den früheren Mangel einer guten technischen Vorbildung mit bestem Erfolge ersetzt hat, trug Wilhelm viel dazu bei, die englische Technik auf das Niveau der fortgeschrittenen Naturwissenschaft zu erheben, und es gereicht England zur Ehre, dieses Verdienst auch bei einem Nichtengländer vorurtheilslos anerkannt zu haben. Wesentlich unterstützt wurde Wilhelm bei seinem Wirken durch die ununterbrochene innige Verbindung mit seinen Brüdern und durch seine Verheirathung mit der liebenswürdigen Miß Gordon aus angesehener schottischer Familie, die es ihm erleichterte, auch im englischen Gesellschaftsleben festen Fuß zu fassen.

Wilhelm starb am 19. November 1883 in seinem sechszigsten Lebensjahre an einem langsam entwickelten und wenig beachteten Herzleiden. Sein fast plötzlich erfolgter Tod ereilte ihn auf der Höhe seiner Lebensthätigkeit. Es waren auf Wilhelm schon alle Ehren gehäuft, die für einen Gelehrten und Techniker in England zu erreichen sind. Er war wiederholt Präsident der hervorragendsten wissenschaftlichen und technischen Gesellschaften, so auch der erste Präsident der von ihm selbst begründeten Society of telegraph engineers and electricians. Die höchsten, von diesen Gesellschaften ertheilten Anerkennungen und Preise wurden ihm zuerkannt, die Universitäten von Cambridge und Oxford promovirten ihn zu ihrem Ehrendoctor, und die Königin von England verlieh ihm als Sir William Siemens die Ritterwürde. Sein Tod wurde in ganz England als ein nationaler Verlust betrauert und von allen Zeitungen in diesem Sinne beklagt. Das Begräbniß ward in der Westminster-Abtei feierlich begangen. Ein Jahr nach seinem Tode fand daselbst unter persönlicher Theilnahme der hervorragendsten englischen Naturforscher und Techniker die Einweihung eines Kirchenfensters statt, das die wissenschaftlichen und technischen Vereine Englands ihm zu Ehren gestiftet hatten. Seine tiefgebeugte Gattin hat sich auf ihren schönen Landsitz Sherwood bei Tunbridge Wells zurückgezogen, den ihr die Fürsorge ihres Gatten hinterlassen hatte, und betrauert dort den Verlust ihres Lebensglückes. Wir Brüder und namentlich ich, für den Wilhelm noch mehr als Bruder war, empfanden seinen unerwarteten Tod als einen harten Schlag, den das bald darüber verflossene Jahrzehnt wohl mildern, aber nicht überwinden konnte.

Von meinen Brüdern Hans und Ferdinand, die Landwirthe geworden waren, hatte sich Hans später der landwirthschaftlichen Technik zugewandt und den Betrieb einer Spiritusbrennerei in Mecklenburg übernommen. Zwar spann er dabei nicht viel Seide, fand aber Gelegenheit, sich zu verlieben und zu verloben. Nach seiner Verheirathung erwarb er mit meiner Beihülfe eine Flaschenglashütte bei Dresden, die er bis zu seinem im Jahre 1867 erfolgten Tode betrieb. Ferdinand lebt noch heute auf seinem Rittergute Piontken in Ostpreußen. Er hat sich im Jahre 1856 wieder verlobt und dann verheirathet; eine seiner beiden Töchter ist die Gattin meines Sohnes Wilhelm und hat mir schon vor Jahren den ersten Enkel bescheert.

Mein Bruder Friedrich hatte sich in den fünfziger Jahren lebhaft an den Bemühungen Wilhelms um die Verbesserung seiner Regenerativ-Dampfmaschinen und Verdampfungsapparate betheiligt. Im Jahre 1856 kam er auf die glückliche Idee, das bis dahin noch wenig erfolgreiche Regenerativsystem auch für pyrotechnische Zwecke und insbesondere für Flammöfen anzuwenden. Eine Reihe von Patenten, die er zum Theil allein, zum Theil gemeinsam mit Wilhelm auf eine vervollkommnete Form der Regenerativ-Gasöfen in verschiedenen Ländern nahm, bildete die Grundlage eines von Wilhelm und ihm begründeten Ofenbaugeschäftes. Um dieses in Deutschland und Oesterreich zu betreiben, siedelte er kurz nach seiner Verheirathung, im Jahre 1864, nach Berlin über. Im Jahre 1867 übernahm er dann nach dem Tode unseres Bruders Hans dessen Flaschenglashütte bei Dresden und erhob sie durch seine technische Begabung und Thatkraft bald zu einer Musterhütte für die Glasfabrikation. Durch Einführung des Regenerativofen-Systems und später des Ofenbetriebes mit freier Flammenführung gab er den Anstoß zu einem epochemachenden Umschwunge der Pyrotechnik und insbesondere der Glasindustrie. In neuerer Zeit hat er die Dresdener Hütte und die zu ihr gehörigen Hütten in Böhmen einer Aktiengesellschaft übertragen, da sie ihm nicht Stoff genug für erfinderische Thätigkeit mehr boten. Heute ist er eifrig mit der Vervollkommnung seines regenerativen Heizprocesses und der Stahlfabrikation beschäftigt. Auch auf einem ganz abgelegenen Gebiete, dem der Gasbeleuchtung, hat er große Verbesserungen eingeführt, indem er das Princip der selbstthätigen Vorwärmung bei den Gasbrennern zur Anwendung brachte und auf diese Weise die Leuchtkraft des Gases um ein mehrfaches vergrößerte. Er hat dadurch den Sieg des elektrischen Lichtes über die Gasbeleuchtung bedeutend erschwert, was unserer brüderlichen Eintracht aber keinen Abbruch thut. Nach Wilhelms Tode übernahm er auch dessen Ingenieurgeschäft in England und hat es mit bestem Erfolge fortgeführt. Eine liebenswürdige Frau und eine reizende Kinderschaar werden ihn hoffentlich noch lange Jahre beglücken und dadurch für weiteres rastloses Streben kräftigen.

Karl hatte in Rußland einen seinen Fähigkeiten sehr entsprechenden Wirkungskreis gefunden und durch die glückliche Durchführung unserer großen russischen Unternehmungen zur festen Begründung und financiell gesunden Entwicklung unseres Geschäftes sehr wesentlich beigetragen. Als aber im Jahre 1867 unsere russischen Remonte-Contracte abliefen und die russische Regierung die weiteren Telegraphenanlagen in eigener Regie ausführte, schien die Petersburger Firma von der erlangten Bedeutung herabsteigen zu müssen. Da nun um dieselbe Zeit Karls Frau leidend wurde und ein Klimawechsel für sie dringend nöthig erschien, so verlegte Karl seinen Wohnsitz nach Tiflis und übernahm die Leitung der dort begründeten Filiale sowie unseres, schon zu größerer Ausdehnung herangewachsenen Bergwerks Kedabeg. Leider verschlimmerte sich der Zustand seiner Frau aber immer mehr, auch ein längerer Aufenthalt in Wien und Berlin stellte ihre Gesundheit nicht wieder her; sie starb im Jahre 1869 zu Berlin und ließ Karl mit einem Sohne und zwei Töchtern zurück. Ich schlug Karl jetzt vor, ganz in Berlin zu bleiben und sich an der Leitung der Berliner Firma zu betheiligen. Wir planten auch schon, weil wir beide Wittwer waren, uns ein gemeinsames Haus zu bauen, da trat Wilhelm mit dem Wunsche hervor, Karl möchte nach London übersiedeln. Karl ging auf diesen Vorschlag ein und leitete dann bis zum Jahre 1880 gemeinsam mit Wilhelm die Geschäfte der Firma Siemens Brothers & Co. Er erwies sich in London ebenso wie in Petersburg als weitsichtiger Geschäftsmann und als tüchtiger Organisator und Leiter großer Unternehmungen. Die in Charlton bei Woolwich angelegte Fabrik wurde auf sein Betreiben bedeutend erweitert, namentlich das Kabelwerk sehr vergrößert und ein eigenes Guttaperchawerk eingerichtet. Nach mehrjährigem Aufenthalte in England fing aber Karls, früher immer sehr kräftige Gesundheit an schwächer zu werden; er konnte auf die Dauer das feuchte englische Klima nicht vertragen. Dazu kam, daß sich bei seinen Kindern eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrem Geburtslande Rußland entwickelte. Aus diesen Gründen ging Karl im Jahre 1880 mit ihnen nach Petersburg zurück und übernahm wieder die Leitung des dortigen Geschäftes, das er bald zu neuer Blüthe brachte. Seine beiden Töchter haben sich in Rußland verheirathet; sein Sohn unterstützt ihn, bei der Geschäftsleitung, soweit ihm ein Augenleiden, mit dem er leider behaftet ist, dies gestattet. Karls eigene Gesundheit hat sich seit dem Verlassen Englands wieder gekräftigt. Er selbst wie die von ihm geleitete Firma, die sich jetzt hauptsächlich mit der Einrichtung elektrischer Beleuchtungsanlagen und Kraftübertragungen beschäftigt, stehen in Rußland in hohem Ansehen.

Die jüngsten Brüder Walter und Otto sind beide in Tiflis gestorben und ruhen dort in einem gemeinsamen Grabe. Walter starb, wie ich schon mittheilte, in Folge eines unglücklichen Sturzes mit dem Pferde. Er war ein schöner, stattlicher Mann mit angenehmen Umgangsformen, die ihn im Kaukasus schnell beliebt machten; uns Brüdern hat er stets die größte Anhänglichkeit bewiesen. Otto erlag etliche Jahre später seiner schwachen Gesundheit, die er nicht immer genügend berücksichtigte. Er war ein braver, sehr talentvoller Mensch, besaß aber nicht immer die nöthige Selbstbeherrschung und Charakterstärke und hat daher uns älteren Brüdern oft Sorge gemacht. Als er sich in London, wo er unter Wilhelms Leitung zum Techniker ausgebildet werden sollte, eine bedenkliche Lungenkrankheit zugezogen hatte, ließen wir ihn auf einem guten Segelschiffe eine Reise um die Welt machen, in der Hoffnung, daß ihn dies kuriren würde. Er kam auch anscheinend ganz gesund in Australien an, konnte dort aber der Versuchung nicht widerstehen, sich einer Expedition anzuschließen, die den Continent durchqueren wollte, um die Spuren des verschollenen Reisenden Leichhardt aufzusuchen. Doch er war den Strapazen nicht gewachsen und wäre in dem wüsten Inneren des Landes beinahe an den Folgen eines Blutsturzes zu Grunde gegangen. Als er nach einer Reihe von weiteren Abenteuern nach England zurückkehrte, schickten wir ihn nach dem Kaukasus, der sich Lungenkranken schon oft als heilsam erwiesen hatte. In der That schien ein längerer Aufenthalt in Kedabeg ihn völlig wiederhergestellt zu haben. Nach Walters plötzlichem Tode trat er in dessen Funktionen ein. Im Hause des Fürsten Mirsky, Gouverneurs des Kaukasus, lernte er die Wittwe des im Krimkriege gefallenen Generals Fürsten Mirsky, eines Bruders des Gouverneurs, kennen und lieben. Leider löste sein Tod schon nach wenigen Jahren die Verbindung des glücklichen Paares.

Unsere Schwester Mathilde, die Gattin des Professors Himly, ist im Sommer 1878 in Kiel gestorben, als liebevolle und treue Schwester von uns betrauert. Schwester Sophie hat leider schon vor Jahren ihren Gatten, der zuletzt Anwalt beim Reichsgericht in Leipzig war, verloren.

Ueber mein eigenes Leben in den letzten Jahren bleibt mir noch anzuführen, daß ich seit dem Beginn des Jahres 1890 die Geschäftsleitung der Firma Siemens & Halske zu Berlin, Charlottenburg, Petersburg und Wien den bisherigen Socien, meinem Bruder Karl und meinen Söhnen Arnold und Wilhelm überlassen habe und nur noch als Commanditist an der Firma betheiligt bin. Es gereicht mir zur großen Freude, hier bezeugen zu können, daß meine Söhne sich ihrer schweren und verantwortlichen Stellung vollständig gewachsen gezeigt haben, ja daß mein Ausscheiden offenbar der Firma einen neuen, jugendlichen Aufschwung gegeben hat. Dies ist um so anerkennenswerther, als auch meine alten Gehülfen in der technischen Oberleitung, die Herren Frischen, von Hefner und Lent ausgeschieden sind, von denen der erste leider durch den Tod seiner Thätigkeit entrißen wurde. Es geht eben den Geschäftshäusern wie den Staaten, sie bedürfen von Zeit zu Zeit einer Verjüngung ihrer Leitung, um selbst jung zu bleiben. Das Londoner Geschäft und meine Privatunternehmungen wurden durch mein Ausscheiden aus der Firma Siemens & Halske nicht berührt und geben mir auch ferner hinreichende technische Beschäftigung.

Meine Kinder erster Ehe sind sämmtlich glücklich verheirathet. Mein Erstgeborener, Arnold, heirathete die Tochter meines Freundes von Helmholtz und hat bereits ebenso wie sein Bruder durch zwei Enkel für den Familienstamm gesorgt.


Wenn ich zum Schluß mein Leben überblicke und die bedingenden Ursachen und treibenden Kräfte aufsuche, die mich über alle Hindernisse und Gefahren hinweg zu einer Lebensstellung führten, welche mir Anerkennung und innere Befriedigung brachte und mich überreichlich mit den materiellen Gütern des Lebens versah, so muß ich zunächst anerkennen, daß das glückliche Zusammentreffen vieler Umstände dazu mitgewirkt hat und ich überhaupt dem glücklichen Zufall viel dabei zu danken habe. Ein solches glückliches Zusammentreffen war es schon, daß mein Leben gerade in die Zeit der schnellen Entwicklung der Naturwissenschaften fiel, und daß ich mich besonders der elektrischen Technik schon zuwandte, als sie noch ganz unentwickelt war und daher einen sehr fruchtbaren Boden für Erfindungen und Verbesserungen bildete. Andererseits habe ich aber im Leben auch vielfach mit ganz ungewöhnlichem Mißgeschick zu kämpfen gehabt. William Meyer, mein lieber Jugendfreund und treuer Genosse, bezeichnete diesen steten Kampf mit ganz unerwarteten Schwierigkeiten und unglücklichen Zufällen, die mir bei meinen Unternehmungen anfangs in der Regel entgegentraten, deren Ueberwindung mir aber meist mit großem Glücke gelang, recht drastisch mit dem studentischen Ausspruche, ich hätte »Sau beim Pech«. Ich muß die Richtigkeit dieser Auffassung anerkennen, glaube aber doch nicht, daß es nur blindes Schicksalswalten war, wodurch die Wellenlinie von Glück und Unglück, auf der sich unser Leben bewegt, mich so häufig den angestrebten Zielen zuführte. Erfolg und Mißerfolg, Sieg und Niederlage hängen im menschlichen Leben vielfach ganz von der rechtzeitigen und richtigen Benutzung sich darbietender Gelegenheiten ab. Die Eigenschaft, in kritischen Momenten schnell entschlossen zu sein und ohne lange Ueberlegung das Richtige zu thun, ist mir während meines ganzen Lebens so ziemlich treu geblieben, trotz des etwas träumerischen Gedankenlebens, in das ich vielfach, ich könnte fast sagen gewöhnlich versunken war. In unzähligen Fällen hat mich diese Fähigkeit vor Schaden bewahrt und in schwierigen Lebenslagen richtig geleitet. Freilich gehörte immer eine gewisse Erregung dazu, um mir die volle Herrschaft über meine geistigen Eigenschaften zu geben. Ich bedurfte ihrer nicht nur, um meinem Gedankenleben entrissen zu werden, sondern auch zum Schutze gegen meine eigenen Charakterschwächen. Zu diesen rechne ich vornehmlich eine allzu große Gutmüthigkeit, die es mir ungemein schwer machte, eine an mich gerichtete Bitte abzuschlagen, einen erkannten Wunsch nicht zu erfüllen, ja überhaupt Jemand etwas zu sagen oder zu thun, was ihm unangenehm oder schmerzlich sein mußte. Zu meinem Glücke stand dieser, besonders für einen Geschäftsmann und Dirigenten vieler Leute sehr störenden Eigenschaft die andere gegenüber, daß ich leicht erregt und in Zorn versetzt werden konnte. Dieser Zorn, der immer leicht in mir aufstieg, wenn meine guten Absichten verkannt oder mißbraucht wurden, war stets eine Erlösung und Befreiung für mich, und ich habe es oft ausgesprochen, daß mir Jemand, mit dem ich Unangenehmes zu verhandeln hatte, keinen größeren Dienst erweisen könnte, als wenn er mir Ursache gäbe, zornig zu werden. Uebrigens war dieser Zorn in der Regel nur eine Form geistiger Erregung, die ich niemals aus der Gewalt verlor. Obwohl ich in jüngeren Jahren von meinen Freunden mit dem Spitznamen »Krauskopf« benannt wurde, womit sie einen gewissen Zusammenhang zwischen meinem krausen Haar und krausen Sinn andeuten wollten, so hat mich mein leicht aufbrausender Zorn doch nie zu Handlungen verleitet, die ich später hätte bereuen müssen. Zum Leiter großer Unternehmungen war ich auch in anderen Beziehungen nur mangelhaft geeignet. Es fehlte mir dazu das gute Gedächtniß, der Sinn für Ordnung und die consequente, unnachsichtige Strenge. Wenn ich trotzdem große Geschäftshäuser begründet und mit ungewöhnlichem Erfolge geleitet habe, so ist dies ein Beweis dafür, daß mit Thatkraft gepaarter Fleiß vielfach unsere Schwächen überwindet oder doch weniger schädlich macht. Dabei kann ich mir selbst das Zeugniß geben, daß es nicht Gewinnsucht war, die mich bewog, meine Arbeitskraft und mein Interesse in so ausgedehntem Maaße technischen Unternehmungen zuzuwenden. In der Regel war es zunächst das wissenschaftlich-technische Interesse, das mich einer Aufgabe zuführte. Ein Geschäftsfreund hänselte mich einmal mit der Behauptung, ich ließe mich bei meinen Unternehmungen immer von dem allgemeinen Nutzen leiten, den sie bringen sollten, fände aber schließlich immer meine Rechnung dabei. Ich erkenne diese Bemerkung innerhalb gewisser Grenzen als richtig an, denn solche Unternehmungen, die das Gemeinwohl fördern, werden durch das allgemeine Interesse getragen und erhalten dadurch größere Aussicht auf erfolgreiche Durchführung. Indessen will ich auch die mächtige Einwirkung nicht unterschätzen, welche der Erfolg und das ihm entspringende Bewußtsein, Nützliches zu schaffen und zugleich Tausenden von fleißigen Arbeitern dadurch ihr Brot zu geben, auf den Menschen ausübt. Dieses befriedigende Bewußtsein wirkt anregend auf unsere geistigen Eigenschaften und ist wohl die Grundlage des sonst etwas bedenklichen Sprüchworts: »Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verstand dazu«.

Eine wesentliche Ursache für das schnelle Aufblühen unserer Fabriken sehe ich darin, daß die Gegenstände unserer Fabrikation zum großen Theil auf eigenen Erfindungen beruhten. Waren diese auch in den meisten Fällen nicht durch Patente geschützt, so gaben sie uns doch immer einen Vorsprung vor unsern Concurrenten, der dann gewöhnlich so lange anhielt, bis wir durch neue Verbesserungen abermals einen Vorsprung gewannen. Andauernde Wirkung konnte das allerdings nur in Folge des Rufes größter Zuverlässigkeit und Güte haben, dessen sich unsere Fabrikate in der ganzen Welt erfreuten.

Außer dieser öffentlichen Anerkennung meiner technischen Leistungen sind mir persönlich sowohl von den Herrschern der größeren Staaten Europas wie von Universitäten, Akademien, wissenschaftlichen und technischen Instituten und Gesellschaften Ehrenbezeugungen in so reichem Maaße erwiesen worden, daß mir kaum noch etwas zu wünschen übrig bleibt.

Ich begann die Niederschrift meiner Erinnerungen mit dem biblischen Ausspruche »Unser Leben währet siebenzig Jahr und wenn's hochkommt, so sind's achtzig Jahr«, und ich denke, sie wird gezeigt haben, daß auch der Schluß des Denkspruches »und wenn es köstlich gewesen, so ist es Mühe und Arbeit gewesen« sich an mir bewährt. Denn mein Leben war schön, weil es wesentlich erfolgreiche Mühe und nützliche Arbeit war, und wenn ich schließlich der Trauer darüber Ausdruck gebe, daß es seinem Ende entgegengeht, so bewegt mich dazu der Schmerz, daß ich von meinen Lieben scheiden muß, und daß es mir nicht vergönnt ist, an der vollen Entwicklung des naturwissenschaftlichen Zeitalters erfolgreich weiter zu arbeiten.



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