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Harzburg, im Juni 1891.

Noch erfüllt von den frischen Eindrücken und angenehmen Erinnerungen meiner dritten kaukasischen Reise, die ich im vorigen Herbst, wie in Aussicht genommen, mit meiner Frau und Tochter ausgeführt habe, will ich meine weiteren Aufzeichnungen mit ihrer Beschreibung zunächst fortsetzen. Es wird dadurch dem Gegensatze am besten Ausdruck verliehen werden, in welchem diese mit allen erdenklichen Bequemlichkeiten als Vergnügungsreise unternommene Fahrt zu meinen beiden ersten Reisen nach Kedabeg stand.

Wir fuhren Mitte September von Berlin nach Odessa. Ich versäumte dort natürlich nicht, die Station der Indo-Europäischen Linie zu besuchen, und setzte mich in telegraphische Verbindung mit dem Direktor der Compagnie, Herrn Andrews in London. Ein solcher unmittelbarer telegraphischer Verkehr nach langer Reise hat stets etwas ungemein Anregendes, ich möchte fast sagen Erhebendes. Es ist der Sieg des menschlichen Geistes über die träge Materie, der einem dabei ganz unmittelbar entgegentritt.

Von Odessa setzten wir unsere Reise nach der Krim fort, die ich selbst früher nur an den Haltestellen der zwischen Odessa und Poti verkehrenden Dampfer kennen gelernt hatte. Wir beschlossen das Schiff in Sebastopol zu verlassen und den Weg nach Jalta zu Wagen zurückzulegen. Die Fahrt wurde von prächtigem Wetter begünstigt und ließ uns mit Muße die herrliche Küstenlandschaft bewundern, die sich von dem anfangs steilen Abfalle der südlichen Hochebene der Krim bis zum Meere hinzieht. Vieles erinnerte uns hier an die Riviera, ja wir mußten manchen Orten der Krimküste sogar den Vorrang vor jener zuerkennen. Paradiesisch schön ist die Lage der Lustschlösser Livadia und Alupka, die der kaiserlichen Familie gehören, sowie die mancher anderen Niederlassung russischer Großen. Es fehlt aber das frisch pulsirende Leben der Riviera, welches bei dieser die landschaftlichen und klimatischen Reize so wesentlich unterstützt. Das Klima der südlichen Krimküste ist angenehm und fieberfrei, und die stets schneller und bequemer werdenden Communicationsmittel werden ihr daher wohl bald einen größeren Touristenverkehr zuführen. Dagegen kann man von dem Klima der noch unvergleichlich viel schöneren und großartigeren östlichen Küste des hohen Kaukasus nicht ebenso Rühmliches sagen, denn es herrschen dort fast überall bösartige Wechselfieber, und die Aussicht, daß die ärztliche Wissenschaft diese große Plage der Menschheit überwinden werde, scheint bisher noch gering zu sein.

Es war ein interessantes Zusammentreffen, daß mich auf dieser dritten Reise nach dem Kaukasus gerade in den Gegenden, wo sich mir vor so vielen Jahren schon die Theorie aufgedrängt hatte, nach welcher das klimatische Fieber durch kleinstes Leben im Blute hervorgerufen würde, die frohe Botschaft erreichte, durch Kochs neueste Entdeckung sei eine Hauptplage der Menschheit, die Schwindsucht, besiegt. Die Heilung sollte durch Einführung des durch die Schwindsucht erzeugenden Bakterien selbst erzeugten Giftes, als welches ihre Lebensproducte auftreten, in den Säftelauf der Kranken erfolgen. Die mitgetheilten Resultate ließen an der Richtigkeit des Factums nicht zweifeln, und wir Deutschen hörten mit Stolz allseitig unseren Landsmann als einen Wohlthäter der Menschheit preisen. Doch die Kochsche Annahme, daß die Lebensproducte der krankheiterregenden Bacillen das wirksame, tödtende Gift bilden sollten, erregte schon damals meine Bedenken. Man könnte sich wohl vorstellen, daß dies selbsterzeugte Gift die Fortentwicklung der Bacillen in den von ihnen in Besitz genommenen Körpertheilen hinderte und dadurch die wunderbare Erscheinung sich erklärte, daß nicht jede Infectionskrankheit zum Tode des von ihr Befallenen führt, aber es erschien mir undenkbar, daß eine minimale Menge solcher giftigen Lebensproducte einer beschränkten Anzahl von Bacillen in einem anderen Körper so gewaltige Wirkungen hervorbringen könnte, wie sie nachgewiesen sind. Nur der Lebensproceß vermöchte dies, bei welchem nicht die Masse der eingeführten Keime, sondern die Lebensbedingungen, die für sie bestehen, und die Zeit, die ihre Vermehrung erfordert, für die Größe der Wirkung entscheidend sind. Die Frage nach der Entstehung dieser Keime, welche ein den Bacillen, denen sie entstammen, feindliches Leben entwickeln, scheint mir ungezwungen nur zu beantworten, wenn man annimmt, daß die Krankheit erzeugenden Lebewesen selbst Infektionskrankheiten unterworfen sind, durch welche sie ihrerseits in der Lebensthätigkeit gehindert und schließlich getödtet werden. Man müßte dabei annehmen, daß das Leben, und zwar sowohl das animalische wie das vegetabilische, nicht an die von uns noch durch Mikroskope erkennbaren Dimensionen geknüpft sei, sondern daß es Lebewesen gebe, die zu den Mikroben und Bakterien ungefähr in demselben Größenverhältniß stehen, wie diese zu uns. Es stehen dieser Annahme keine naturwissenschaftlichen Bedenken entgegen, denn die Größe der Moleküle liegt jedenfalls tief unter der Grenze, welche den Aufbau solcher Lebewesen einer niederen Größenordnung noch gestattet. Der räthselhafte Selbstheilungsproceß, die nachfolgende Immunität, die sonst unerklärliche Wirkung der Einführung von Lebensproducten der Krankheit erzeugenden Bacillen in den Säftelauf eines von derselben Krankheit befallenen Körpers würden bei dieser Annahme selbstverständliche Folgen der eingetretenen Infection der Krankheitserreger selbst sein, und die Aufgabe wäre künftig die, eine solche Infection herbeizuführen und zur möglichst schnellen Entwicklung zu bringen, da ja auch diese sekundären Krankheitserreger selbst schnell verlaufenden Infectionskrankheiten durch Mikroben einer noch niederern Größenordnung unterworfen sein könnten. Sind aber nicht die Lebensproducte, sondern die secundären Krankheitsträger der Bacillen das Heilmittel, so müssen die Bacillen erst recht krank werden, bevor ihr Inhalt als Heilmittel wirken kann. Vielleicht liegt hierin der Grund für die unbefriedigende Wirkung des Kochschen Tuberkulins, und diese Anregung gereicht dann der Forschung auf diesem für die gesammte Menschheit so ungemein wichtigen Gebiete zum Nutzen. –

In Tiflis trafen wir mit meinem Bruder Karl zusammen, der uns auf der Weiterreise nach Kedabeg und Baku und zurück bis Petersburg begleitete. Schon in Berlin hatte sich der Reichstagsabgeordnete Dr. Hammacher uns angeschlossen und blieb ebenfalls bis Petersburg unser treuer Reisegefährte. Tiflis erschien mir in den 23 Jahren, die seit meinem letzten Besuche verstrichen waren, äußerlich nicht sehr verändert, aber es hat den früheren vornehmen Anstrich verloren und kann sich heute nicht mehr rühmen, das asiatische Paris zu sein. Die Stadt war früher nicht nur großfürstliche Residenz, sondern auch Sitz des eingeborenen grusinischen Adels, der namentlich im Winter die Tifliser Geselligkeit beherrschte. Das ist jetzt anders geworden. Es residirt kein Großfürst mehr in Tiflis, und auch die vornehmen Grusiner sind fast ganz daraus verschwunden. Vor einem Vierteljahrhundert war die Stadt noch grusinisch, die besseren Grundstücke sowie auch die Stadtverwaltung waren in grusinischen Händen. Doch fing schon damals das Armenierthum an sich auszubreiten, und ganz allmählich ging der Grund und Boden in armenische Hand über. In früheren, kriegerischen Zeiten behaupteten die tapferen, kräftigen Grusiner den schlauen und geschäftsgewandten Armeniern gegenüber ihren Besitz und ihre gesellschaftliche Stellung. Das hörte aber auf, als unter russischer Herrschaft dauernder Friede und geordnete Rechtszustände eingetreten waren. Von der Zeit an stieg das armenische Element unaufhaltsam, und das grusinische mußte weichen. Jetzt ist so ziemlich der ganze städtische Besitz armenisch. Verschwunden sind die stolzen, in Waffenschmuck starrenden Gestalten der Grusiner von den Tifliser Straßen, der Armenier bewohnt ihre Paläste und regiert heute die Stadt.

Das Völkergemisch des Kaukasus ist überhaupt sehr geeignet, um Studien über den Einfluß des Zusammenlebens specifisch verschiedener Menschenracen in kriegerisch bewegten sowie in friedlichen Zeiten zu machen. Auffallend ist es, daß im Kaukasus das jüdische Element sich dem armenischen gegenüber nicht als widerstandsfähig erwiesen hat. Juden giebt es dort zwar in ziemlicher Anzahl, sie sind aber sämmtlich Fuhrleute und gelten allgemein für Grobiane, die gern von ihrer überlegenen Körperkraft Gebrauch machen. Dem Handel haben sie ganz entsagt. Die Russen sind meist kluge und gewandte Geschäftsleute, können indessen, wie sie selbst zugeben, gegen Armenier und Griechen nicht aufkommen. Den Ruf der größten Raffinirtheit in allen geschäftlichen Beziehungen besitzt im Kaukasus wie im ganzen Orient der Grieche, doch sind die Armenier dem immer nur einzeln operirenden Griechen überall da überlegen, wo sie in Masse auftreten.

Als wir unsere Reise nach einigen Tagen mit der Eisenbahn fortsetzten, fanden wir am Fuße des Kedabeger Hochplateaus eine neue Eisenbahnstation, Dalliar, von der die Straße nach Kedabeg über die neue schwäbische Kolonie Annenfeld hinaufführt. Hier trafen wir die schon erwähnte Rohrleitung im Bau, durch welche die mit der Bahn von Baku nach Dalliar geschaffte Naphtha tausend Meter hoch nach Kedabeg hinaufgepumpt werden soll. Die Arbeiten für die Rohrlegung sowie für die Einrichtung der Pumpstation waren im besten Gange, doch mußten wir die Hoffnung aufgeben, die Anlage noch vor Eintritt des Winters in Betrieb zu sehen.

Unsere Wagenfahrt von Dalliar nach Kedabeg gestaltete sich zum großen Ergötzen meiner Damen zu einem echt orientalischen Schauspiele. Die Begs der Umgegend hatten von der Ankunft der Besitzer des von ihnen angestaunten Hüttenwerkes gehört und ließen es sich nicht nehmen, uns mit ihren Hintersassen festlich zu begrüßen und nach Kedabeg zu geleiten. Diese Gesellschaft erneuerte und vergrößerte sich auf dem etwa vierzig Kilometer langen Wege fortwährend; sie umschwärmte auf ihren behenden kaukasischen Bergpferden, meist in starkem Galopp bergauf wie bergab unsre Wagen und bot in ihrem kaukasischen Kostüm und Waffenschmuck ein höchst anziehendes Schauspiel. Im Vorbeijagen machten die Leute die halsbrecherischesten Reiterkunststücke, wobei sie ihre Gewehre abschossen, so daß unser Zug mehr den Eindruck einer kriegerischen Begegnung als den eines friedlichen Empfanges erweckte. In der Nähe Kedabegs gesellte sich noch die ganze Bevölkerung des Ortes mit den Arbeitern der Grube und Hütte hinzu. Im Direktionsgebäude wurden wir von den Damen unseres Direktors, des Herrn Bolton, empfangen und auf das bequemste untergebracht. Wir profitirten während unseres Aufenthaltes etwas von dem einige Wochen zuvor stattgehabten Besuche des jungen Kronprinzen von Italien, der in Begleitung der russischen Großen des Kaukasus unser Berg- und Hüttenwerk besichtigt hatte. Zur Aufnahme und Bewirthung dieser Gäste waren natürlich außergewöhnliche Veranstaltungen getroffen, die sich namentlich auf Vorkehrungen für ein bequemes Befahren der Grube und Beschaffung eines improvisirten Salonwagens für unsere Eisenbahn erstreckt hatten. Wiederholt unternahmen wir in diesem auf der romantisch gelegenen, oft bedenklich kühn über Abgründe geführten Bahn die Fahrt nach dem Vorwerke Kalakent und dem Schamchor.

Trotz des oft etwas belästigenden Hüttenrauches genossen wir bei herrlichem Herbstwetter in vollen Zügen die Reize der schönen Umgebung Kedabegs. Zu den besonderen Genüssen war eine Bärenjagd zu zählen, die wir in dem sogenannten Paradiese abhielten. Diesen Namen führt eine kleine, von den Flüssen Schamchor und Kalakent begrenzte Hochebene, die herrlich gelegen und mit vielen wilden Obstbäumen bestanden ist. Der große Obstreichthum lockt im Herbste die Bären der Umgegend dorthin, und schon öfter hatten die Beamten unsres Hüttenwerkes erfolgreiche Bärenjagden in dieser Jahreszeit veranstaltet.

Wir übernachteten in der Filialhütte Kalakent und zogen bei Sonnenaufgang zur Jagd in die benachbarten Berge, die schon während der Nacht von unserem Hüttenförster mit einer Treiberkette umstellt waren. Es war ein wundervoll schöner Morgen, und der lautlose Marsch auf den einsamen Jagdwegen war in steter Erwartung der Bären nicht ohne Reiz. Nach längerer, in größter Spannung verbrachter Zeit hörte man ganz in der Ferne den Zuruf der Treiber von der Höhe der Berglehne erschallen, deren Fuß wir besetzt hielten. Sonst vernahm man in der allgemeinen Stille nur das herbstliche Fallen der Blätter, ein Geräusch, das ich bis dahin nur aus Romanen gekannt hatte. Ich war auf einem schmalen Bergwege zwischen Bruder Karl und Dr. Hammacher postirt. Mein Gewehr bestand in einer Büchsflinte, von der ein Lauf mit Kugel, der andere mit grobem Schrot geladen war. Aehnlich mangelhaft war die Bewaffnung meiner Jagdgenossen. Allmählich kam das Geräusch der Treiber näher, doch von Bären war lange nichts zu sehen und zu hören. Plötzlich machte uns der Förster durch Zeichen auf ein leichtes Geräusch vor uns aufmerksam und gab gleich darauf einen Schuß in der angedeuteten Richtung ab. Der Bär wich links ab, ohne getroffen zu sein; ein von Dr. Hammacher abgegebener Schuß hatte ebensowenig Erfolg. Dann krachte auf meiner anderen Seite ein Schuß meines Bruders und gleich darauf noch ein zweiter. Ich glaubte schon keine Aussicht mehr zu haben, noch zu Schuß zu kommen, als auf einmal ganz in meiner Nähe eine große braune Bärin, begleitet von einem Jungen, unsere Lichtung kreuzte. Ich gab meinen Kugelschuß auf die Bärin ab, wobei das Junge vor Schreck in die Kniee fiel, was den Glauben erweckte, ich hätte auf dieses geschossen. Mutter und Kind liefen aber ruhig den Berg hinab. Es glaubte natürlich Jeder von uns seinen Bären angeschossen zu haben, und das Gelände wurde eifrig nach den Blessirten abgesucht. Man entdeckte auch Blutspuren, doch weder jetzt noch nachher war von unseren angeschossenen Bären etwas zu sehen. Auch in dem weiteren Treiben wurde kein Bär erlegt, überhaupt kam nur noch ein einziger zum Vorschein und zwar dicht vor den Treibern. Diese und der Bär schienen gleich großen Schreck zu bekommen und stoben nach entgegengesetzten Richtungen auseinander, wobei die Treiber ein wahres Todesgeschrei ausstießen.

Eine der schönsten Touren in der weiteren Umgegend Kedabegs führt das Thal des Kalakentbaches oberhalb des Ortes Kalakent hinauf zur Höhe des Gebirges, das den großen Goktscha-See einfaßt. Von der Paßhöhe aus sieht man den gewaltigen See vor sich liegen, während die Bergketten des armenischen Hochlandes den Hintergrund der herrlichen Rundschau bilden. Meine Reisegefährten, die den anstrengenden Ritt bis zu diesem Aussichtspunkte nicht scheuten, hatten das Glück, eine ganz klare Fernsicht zu genießen, die ihnen die Schneekuppen des großen und die des kleinen Ararat in voller Klarheit zeigte.

Nachdem Bruder Karl und ich an den großen Fortschritten, die unser entlegenes Besitzthum in den letzten Jahren gemacht, hinlänglich Freude gehabt, und unsre Begleiter die Reize der umliegenden Waldgebirge durch ausgedehnte Ritte zur Genüge erforscht hatten, setzten wir die Reise nach Baku fort, um den von Alters her heiligen ewigen Feuern einen Besuch zu machen und die Quellen des zu ihnen gehörigen, jedenfalls viel größeren Segen stiftenden modernen Feuerträgers, des Petroleums, kennen zu lernen. Wir hatten dazu ganz besonders Veranlassung, da wir es ja nur der Naphtha, der Mutter des Petroleums, zu danken hatten, daß wir Kedabeg in munterem und hoffnungsvollem Betriebe fanden.

Die Reise führte über Elisabethpol, die Gouvernementsstadt von Kedabeg, in deren Nähe Helenendorf, die größte der schwäbischen Kolonien, liegt. Als die biedern Schwaben von unserer Anwesenheit in Kedabeg erfuhren, schickten sie ihren Ortsvorsteher mit einer Einladung an uns, auch Helenendorf zu besuchen. Natürlich nahmen wir sie an und wurden bei unserm Eintreffen in Elisabethpol von einer Bauerndeputation empfangen und in schneller Fahrt nach der etliche Meilen entfernten Ortschaft geleitet. Dort war die ganze Einwohnerschaft bemüht, den deutschen Landsleuten und namentlich ihrer schwäbischen Landsmännin Aufmerksamkeiten zu erweisen. Wir mußten Kirche, Schule und Wasserleitung besichtigen und hatten aufrichtige Freude an der alten, echt deutschen Ordnung, die allen entgegenwirkenden Einflüssen des Landes und Klimas getrotzt hat. Helenendorf ist die blühendste und wohlhabendste aller schwäbischen Kolonien im Kaukasus und verdankt dies zum Theil wohl dem gesunden Klima und der guten Lage in schöner, bergiger und wohlbewässerter Gegend. Seinen Bewohnern gebührt das Verdienst, deutsches Fuhrwerk im Kaukasus eingeführt zu haben. Neuerdings hat sich die Kolonie auf den Weinbau gelegt und stellt aus den einheimischen Trauben durch moderne Weinpflege ausgezeichnete Produkte her.

Die Eisenbahnfahrt durch die eintönige Steppe von Elisabethpol nach Baku bietet nicht viel Bemerkenswerthes. Die Vegetation ist sehr dürftig mit Ausnahme der Stellen, die an Wasserläufen liegen oder künstliche Bewässerung haben, von der freilich meist nur noch Spuren früheren Daseins zurückgeblieben sind. Nicht der Boden hat in solchen Gegenden Werth, sondern das Wasser, das ihm zugeführt werden kann. Die fortschreitende Kultur wird in dieser Hinsicht ja noch viel thun können, aber würden die Flüsse auch ihres ganzen Wassers beraubt, um die Felder zu befruchten, so würde dies doch nur einem kleinen Theile der großen Steppenflächen Rußlands zu Gute kommen. Es fehlt an der nöthigen Regenmenge; ob diese sich im Laufe historischer Zeiten absolut vermindert hat, wie aus manchen Erscheinungen geschlossen werden könnte, oder ob nur ihre Vertheilung eine andere geworden ist, läßt sich bis jetzt nicht entscheiden.

Die uns auffallende große Zahl von hölzernen, dreißig bis fünfzig Fuß hohen Aussichtsthürmen in ganz ebener Gegend, die nicht die mindeste Aussicht darbot, erklärte sich dadurch, daß die Bewohner in der schlimmsten Fieberzeit die Nächte auf diesen Thürmen zubringen, um dem Fieber zu entgehen.

Einen eigentümlichen Anblick gewährte gegen Ende der Fahrt eine ganze Stadt von ähnlichen, noch viel höheren und scheinbar nahe aneinander stehenden Holzthürmen, die den Gipfel eines nahen Höhenzuges krönten. Genauere Betrachtung durch ein Fernrohr ergab, daß es hohe Bohrthürme waren, wie man sie zur Ausführung von Tiefbohrungen zu erbauen pflegt. Es war das große Quellgebiet der Naphtha, die von dort durch zahlreiche Rohrleitungen der benachbarten »schwarzen Stadt« Baku, – nämlich dem neueren Theile derselben, welcher die zahlreichen Petroleumdestillationen enthält – zur Verarbeitung zugeführt wird. Merkwürdig ist, daß dicht neben einander liegende, zum Theil über tausend Fuß tiefe Bohrlöcher oft ganz verschiedene Resultate geben. Häufig entsteht beim Erreichen der Petroleum führenden Schicht eine Fontaine, in der die Naphtha über hundert Fuß hoch emporgeschleudert wird. Man hebt dann schnell im benachbarten Erdreich eine Vertiefung aus, um die hervorsprudelnde Naphtha zu sammeln. Die Ergiebigkeit der Quelle nimmt aber bald ab; nach wenigen Wochen pflegt sie überhaupt nicht mehr zu »schlagen«, wie man in Baku sagt, und die Naphtha muß nun aus der Tiefe des Bohrlochs heraufgepumpt werden. Die Bohrthürme läßt man daher gleich stehen, um sie später als Pumpthürme zu benutzen. Es ist schwer zu erklären, wie es kommt, daß in ganz geringem Abstande von einem Bohrloche, bei dem die Spannkraft der Gase, welche das Petroleum anfangs empordrückte, schon ganz absorbirt ist, eine neue mächtige Springquelle entstehen kann, da man doch annehmen muß, daß die sämmtlichen Quellen einer einzigen Lagerstelle der Naphtha entspringen. Ueberhaupt ist die Entstehungsgeschichte des Petroleums noch in Dunkel gehüllt und deshalb auch nicht zu sagen, ob dasselbe eine bleibende Stelle im Felde menschlicher Kultur behaupten wird. Welch großen Einfluß die Naphthaquellen von Baku auf Leben und Industrie in Rußland bereits ausüben, erkennt man schon an den langen Reihen von Reservoirwagen für den Transport von Petroleum und Masut, die man auf allen russischen Eisenbahnen antrifft. Da die Wälder Rußlands fast überall sehr stark gelichtet und Kohlen nur am Don in Menge vorhanden sind, so haben Masut und Rohpetroleum als billige und leicht transportirbare Brennmaterialien schnell große Bedeutung erlangt. Ein großer Theil der russischen Lokomotiven und Flußdampfer wird schon jetzt mit Petroleum geheizt, und für manchen russischen Industriezweig ist dieses wie für unsere Kedabeger Kupfergewinnung ein Retter in der Noth geworden.

Die alte Stadt Baku liegt schön am steil aufsteigenden Ufer des kaspischen Meeres. Außer dem Quellgebiete der Naphtha mit den sehr modernisirten ewigen Feuern, der »schwarzen Stadt«, und einer Reihe von interessanten architektonischen Erinnerungen an die Zeit, wo sie Residenz der persischen Chane war, bietet die Stadt dem Fremden wenig Reize. Doch kann er sich bei günstigem Wetter das Vergnügen machen, das kaspische Meer in Brand zu stecken, wenn er auf einem eisernen Dampfer zu einer Stelle nicht weit von der Küste hinausfährt, an der brennbare Gase vom Meeresboden aufsteigen. Diese lassen sich bei ruhigem Wetter anzünden und bilden dann oft längere Zeit ein Flammenmeer um das Schiff.

Die Rückreise machten wir zu Lande über Moskau und Petersburg. Beim Uebergange über den großen Kaukasus führte sie uns in der Einsattelung am Fuße des Kasbek durch großartig schöne, wilde Gebirgsthäler. Will man ihre Schönheit recht genießen, so thut man aber besser, in umgekehrter Richtung zu reisen, denn das wilde Terekthal, das den nördlichen Abhang des Gebirges bildet, wird beim Bergabfahren so schnell durchlaufen, daß man kaum Zeit hat, die Reize der Umgebung zu genießen, auch hindern daran die unangenehm kurzen Wendungen der in schnellster Fahrt durchmessenen, sonst wundervollen Straße. Von Wladikawkas, dem Anfangspunkte des russischen Eisenbahnnetzes, fuhren wir ohne Unterbrechung in drei Tagen bis Moskau. Leider entgingen uns bei dem trüben Wetter des ersten Tages die schönen Ansichten des großen Kaukasus, insbesondere der großartige Anblick des Elbrus. Interessant waren die zahlreichen Hünengräber zu beiden Seiten der Straße; sie zeigen, daß während langer Zeitabschnitte relativ hohe Kultur an den nördlichen Abhängen des Kaukasus geherrscht haben muß und hier vielleicht der Ausgangs- und Stützpunkt der Völkerstämme zu suchen ist, die zu verschiedenen Zeiten Europa überfluthet haben.

Ich widerstehe der Versuchung, Moskau zu beschreiben, und will nur hervorheben, daß man dort das Gefühl hat, ganz in Rußland, d. h. im Grenzlande europäischer und asiatischer Kultur zu sein. Man hat diese Empfindung lebhafter, wenn man, wie wir diesmal, aus Asien kommt und daher ein lebendiges Gefühl für asiatisches Leben und Wesen mitbringt. In bestimmte Worte ist sie kaum zu fassen. »In Asien«, sagte eine meiner Reisegefährtinnen, »sind Schmutz und Lumpen gar nicht abstoßend, hier sind sie es schon«. Es ist dies in der That ganz charakteristisch für den Uebergang von der asiatischen zur europäischen Kultur. Der Asiate zeigt trotz Schmutz und Lumpen immer einen gewissen Grad männlicher Würde, der dem Europäer in Lumpen ganz abgeht.

Der eigentliche Russe, der Großrusse, bildet eine richtige Uebergangsstufe zwischen Asiaten und Europäern und ist daher auch der richtige und erfolgreiche Träger europäischer Kultur nach Osten. Der umgekehrte Weg, von dem die panslavistisch gefärbten Russen jetzt vielfach träumen, die Auffrischung des »faulen Westens« durch asiatische Naturkraft, hat wohl keine große Aussicht, jemals realisirt zu werden. Es läßt sich zwar nicht leugnen, daß eine Gefahr für den Bestand der europäisch-amerikanischen Kulturentwickelung darin liegt, daß Europa der willige Lehrmeister Asiens in der Beschaffung und Benutzung der Machtmittel geworden ist, die es seiner Technik verdankt. Bei der großen Fähigkeit der Asiaten, nachzuahmen und das Erlernte nützlich anzuwenden, und bei der stets fortschreitenden Kunst, der räumlichen Entfernung durch Verbesserung der Communicationsmittel die trennende Kraft zu nehmen, könnte allerdings einmal das kleine Europa einer neuen, kulturzerstörenden Invasion von Asien her ausgesetzt sein, aber der erste, vernichtende Stoß würde dann die Zwischenländer, namentlich Rußland treffen, wie die Geschichte ja schon wiederholt gezeigt hat. Uebrigens wird diese Gefahr erst eintreten können, wenn der naturwissenschaftlichtechnische Fortschritt Europas einmal zum Stillstand kommt, so daß es den großen Vorsprung in seiner technischen Entwickelung verliert, der seine Kultur am sichersten vor jedem Einbruch barbarischer Völker schützt. Nur selbstmörderische innere Kämpfe könnten dahin führen, denn in geistiger Kraft und erfinderischer Begabung ist Europas Bevölkerung den Asiaten weit überlegen und wird dies auch wohl in Zukunft bleiben.

In Moskau war es schon recht winterlich kalt, in Petersburg begann bereits die Schlittenbahn und die Newa ging mit Eis, so daß wir uns nach der ohne langen Aufenthalt erfolgten Rückkehr noch an dem milderen Klima der Heimath erfreuen konnten.


Ich bin wie in den beiden vergangenen Jahren Ende Juni hierher nach Harzburg gegangen, um der Niederschrift dieser Erinnerungen abermals einige Wochen zu widmen, und gedenke nicht eher von hier fortzugehen, als ich damit zu Ende gekommen bin. Wiederholt habe ich in Charlottenburg versucht, diese einmal begonnene Arbeit fortzusetzen, aber es hat nicht gelingen wollen, den Blick dort, wo alles nach vorwärts drängt, dauernd nach rückwärts zu wenden. Es ist eben die Gewöhnung, welche uns die stärksten Fesseln anlegt. Niemals habe ich die Gedanken und Pläne, die mich gerade beschäftigten, vollständig verdrängen können, und vielfach hat mir dies den Genuß der Gegenwart verkümmert, denn ich vermochte mich ihm immer nur vorübergehend ganz hinzugeben. Andererseits gewährt aber ein solches, halb träumerisch grübelndes, halb thatkräftig fortstrebendes Gedankenleben auch große Genüsse. Es bereitet uns mitunter sogar vielleicht die reinsten und erhebendsten Freuden, deren der Mensch fähig ist. Wenn ein dem Geiste bisher nur dunkel vorschwebendes Naturgesetz plötzlich klar aus dem es verhüllenden Nebel hervortritt, wenn der Schlüssel zu einer lange vergeblich gesuchten mechanischen Combination gefunden ist, wenn das fehlende Glied einer Gedankenkette sich glücklich einfügt, so gewährt dies dem Erfinder das erhebende Gefühl eines errungenen geistigen Sieges, welches ihn allein schon für alle Mühen des Kampfes reichlich entschädigt und ihn für den Augenblick auf eine höhere Stufe des Daseins erhebt. Freilich dauert der Freudentaumel in der Regel nicht lange. Die Selbstkritik entdeckt gewöhnlich bald einen dunkel gebliebenen Fleck in der Entdeckung, der ihre Wahrheit zweifelhaft macht oder sie wenigstens eng begrenzt, sie deckt einen Trugschluß auf, in dem man befangen war oder, und das ist leider fast die Regel, sie führt zu der Erkenntniß, daß man nur Altbekanntes in neuem Gewande gefunden hat. Erst wenn die strenge Selbstkritik einen gesunden Kern übrig gelassen hat, beginnt die regelrechte, schwere Arbeit der Ausbildung und Durchführung der Erfindung und dann der Kampf für ihre Einführung in das wissenschaftliche oder technische Leben, in dem die meisten schließlich zu Grunde gehen. Das Entdecken und Erfinden bringt daher Stunden höchsten Genusses, aber auch Stunden größter Enttäuschung und harter, fruchtloser Arbeit. Das Publikum beachtet in der Regel nur die wenigen Fälle, wo glückliche Erfinder mühelos auf eine nützliche Idee gefallen und durch ihre Ausbeutung ohne viel Arbeit zu Ruhm und Reichthum gelangt sind, oder die Klasse der erwerbsmäßigen Erfindungsjäger, die es sich zur Lebensaufgabe machen, nach technischen Anwendungen bekannter Dinge zu suchen und sich dieselben durch Patente zu sichern. Aber nicht diese Erfinder sind es, welche der Entwickelung der Menschheit neue Bahnen eröffnen, die sie voraussichtlich zu vollkommeneren und glücklicheren Zuständen führen werden, sondern die, welche – sei es in stiller Gelehrtenarbeit, sei es im Getümmel technischer Thätigkeit – ihr ganzes Sein und Denken dieser Fortentwickelung um ihrer selbst willen widmen. Ob Erfindungen durch richtige Beurtheilung und Benutzung der obwaltenden Verhältnisse des praktischen Lebens zur Ansammlung von Reichthum führen oder nicht, hängt vielfach vom Zufall ab. Leider wirken aber die Beispiele mit glücklichem Erfolge sehr anreizend und haben ein Heer von Erfindern anwachsen lassen, das ohne die nöthigen Kenntnisse und ohne Selbstkritik sich aufs Entdecken und Erfinden stürzt und daran meist zu Grunde geht. Ich habe es stets als eine Pflicht betrachtet, solche verblendeten Erfinder von dem gefährlichen Wege abzuwenden, den sie betreten hatten, und es hat mich dies immer viel Zeit und Mühe gekostet. Leider haben meine Bemühungen aber nur selten Erfolg gehabt, und nur gänzliches Mißlingen und bitterste, selbstverschuldete Noth bringt diese Erfinder bisweilen zur Erkenntniß ihres Irrthums.

Es sind namentlich zwei Erfindungsgedanken, welche schon unzählige, zum Theil recht gut beanlagte und sogar auf ihrem eigenen Thätigkeitsgebiete hervorragend tüchtige Leute irre geführt und auch häufig zu Grunde gerichtet haben. Dies sind die Erfindungen des sogenannten perpetuum mobile d. h. einer selbstthätig Arbeitskraft leistenden Maschine und die der Flugmaschine und des lenkbaren Luftschiffs. Man sollte glauben, daß die Erkenntniß des Naturgesetzes der Erhaltung der Kraft schon so in das Volksbewußtsein übergegangen sei, daß die Hervorbringung von Arbeitskraft aus Nichts für ebenso naturwidrig gelten müßte wie die Erzeugung von Materie, doch es scheinen immer Generationen vorübergehen zu müssen, bevor eine neue Grundwahrheit allgemein als solche anerkannt wird. Ist Jemand einmal von dem unseligen Wahne ergriffen, daß er den Weg gefunden habe, allein durch mechanische Combinationen Arbeitsmaschinen herzustellen, so ist er einer meist unheilbaren geistigen Krankheit verfallen, die jeder Belehrung und selbst der schmerzlichsten Erfahrung trotzt. Aehnlich ist es mit den Bestrebungen, Flugmaschinen und lenkbare Luftballons herzustellen. Die Aufgabe selbst liegt ja für jeden mechanisch etwas geschulten Geist sehr einfach. Es ist unzweifelhaft, daß wir Flugmaschinen nach dem Vorbilde der fliegenden Thiere herstellen können, wenn erst die Grundbedingung dafür erfüllt ist, welche darin besteht, daß wir Maschinen haben, die so leicht und kräftig sind wie die Bewegungsmuskeln der fliegenden Thiere und keines viel größeren Brennmaterialverbrauches bedürfen als diese. Ist erst eine solche Maschine erfunden, so kann jeder geschickte Mechaniker eine Flugmaschine bauen. Die Erfinder fangen aber immer am verkehrten Ende an und erfinden Flugmechanismen, ohne die Kraft zur Bewegung derselben zu haben. Noch schlimmer steht es mit den lenkbaren Luftschiffen. Die Aufgabe, solche herzustellen, ist im Princip längst gelöst, denn jeder Luftballon kann durch einen passenden Bewegungsmechanismus, der in der Gondel angebracht ist, bei windstillem Wetter langsam in beliebiger Richtung fortbewegt werden. Dies kann aber nur langsam geschehen, weil einmal hinlänglich leichte Kraftmaschinen noch fehlen, um den voluminösen Ballon in größerer Geschwindigkeit durch die Luft oder gegen den Wind zu treiben, und weil zweitens das Material des Ballons einen starken Gegendruck der Luft gar nicht ertragen würde, wenn man auch solche Maschinen besäße. Die längliche Form, welche die Erfinder dem Ballon geben, damit er die Luft besser durchschneide, vermehrt sein Gewicht bei gleichem tragenden Volumen und ist daher ohne Werth. Ebenso die Anbringung von schiefen Ebenen, welche das Tragen des Gewichtes erleichtern sollen.

Außer diesen beiden Problemen giebt es noch eine Menge anderer, an welche Erfinder Zeit und Geld verschwenden, da sie nicht übersehen, daß der Technik die Mittel zu ihrer Durchführung zur Zeit noch fehlen.


Ich nehme nach diesen Abschweifungen den Faden meiner Lebenserinnerungen bei meinem Rücktritte von der politischen Thätigkeit wieder auf.

Der Krieg von 1866 hatte die Hindernisse niedergeworfen, welche der ersehnten Einheit Deutschlands entgegenstanden, und hatte zugleich den inneren Frieden in Preußen wiederhergestellt. Dem nationalen Gedanken war dadurch ein neuer Halt gegeben, und die bis dahin unbestimmten, gleichsam tastenden Bestrebungen der deutschen Patrioten erhielten jetzt eine feste Grundlage und bestimmte Richtung. Zwar schied die Maingrenze Deutschland noch immer in eine nördliche und südliche Hälfte, doch zweifelte Niemand daran, daß ihre Beseitigung nur eine Frage der Zeit wäre, wenn sie nicht durch äußere Gewalt befestigt würde. Daß Frankreich den Versuch dazu machen würde, erschien als gewiß, aber die Zuversicht war gewachsen, daß Deutschland auch diese Prüfung glücklich bestehen werde. Als Folge dieses großen Umschwunges der Volksstimmung ergab sich das allgemeine Bestreben, das Errungene schnell zu befestigen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Nord und Süd trotz Mainlinie zu kräftigen und sich auf die kommenden Kämpfe vorzubereiten.

Diese gehobene Stimmung machte sich durch erhöhte Thätigkeit auf allen Gebieten des Lebens geltend und blieb auch nicht ohne Rückwirkung auf unsere geschäftlichen Arbeiten. Magnetelektrische Minenzünder, elektrische Distanzmesser, elektrische Schiffssteuerung, um mit Sprengladung ausgerüstete Boote ohne Bemannung feindlichen Schiffen entgegenzusteuern, sowie zahlreiche Verbesserungen der Militärtelegraphie waren Kinder dieser bewegten Zeit.

Ich will hier nur auf eine in diese Zeit fallende, nicht militärische Erfindung näher eingehen, da sie die Grundlage eines großen neuen Industriezweiges geworden ist und fast auf alle Gebiete der Technik belebend und umgestaltend eingewirkt hat und noch fortdauernd einwirkt, ich meine die Erfindung der dynamo-elektrischen Maschine.

Bereits im Herbst des Jahres 1866, als ich bemüht war die elektrischen Zündvorrichtungen mit Hülfe meines Cylinderinductors zu vervollkommnen, beschäftigte mich die Frage, ob man nicht durch geschickte Benutzung des sogenannten Extrastromes eine wesentliche Verstärkung des Inductionsstromes hervorbringen könnte. Es wurde mir klar, daß eine elektromagnetische Maschine, deren Arbeitsleistung durch die in ihren Windungen entstehenden Gegenströme so außerordentlich geschwächt wird, weil diese Gegenströme die Kraft der wirksamen Batterie beträchtlich vermindern, umgekehrt eine Verstärkung der Kraft dieser Batterie hervorrufen müßte, wenn sie durch eine äußere Arbeitskraft in der entgegengesetzten Richtung gewaltsam gedreht würde. Dies mußte der Fall sein, weil durch die umgekehrte Bewegung gleichzeitig die Richtung der inducirten Ströme umgekehrt wurde. In der That bestätigte der Versuch diese Theorie, und es stellte sich dabei heraus, daß in den feststehenden Elektromagneten einer passend eingerichteten elektromagnetischen Maschine immer Magnetismus genug zurückbleibt, um durch allmähliche Verstärkung des durch ihn erzeugten Stromes bei umgekehrter Drehung die überraschendsten Wirkungen hervorzubringen.

Es war dies die Entdeckung und erste Anwendung des allen dynamo-elektrischen Maschinen zu Grunde liegenden dynamo-elektrischen Princips. Die erste Aufgabe, welche dadurch praktisch gelöst wurde, war die Construction eines wirksamen elektrischen Zündapparates ohne Stahlmagnete, und noch heute werden Zündapparate dieser Art allgemein verwendet. Die Berliner Physiker, unter ihnen Magnus, Dove, Rieß, du Bois-Reymond, waren äußerst überrascht, als ich ihnen im Dezember 1866 einen solchen Zündinductor vorführte und an ihm zeigte, daß eine kleine elektromagnetische Maschine ohne Batterie und permanente Magnete, die sich in einer Richtung ohne allen Kraftaufwand und in jeder Geschwindigkeit drehen ließ, der entgegengesetzten Drehung einen kaum zu überwindenden Widerstand darbot und dabei einen so starken elektrischen Strom erzeugte, daß ihre Drahtwindungen sich schnell erhitzten. Professor Magnus erbot sich sogleich, der Berliner Akademie der Wissenschaften eine Beschreibung meiner Erfindung vorzulegen, dies konnte jedoch der Weihnachtsferien wegen erst im folgenden Jahre, am 17. Januar 1867, geschehen.

Meine Priorität in der Aufstellung des dynamo-elektrischen Princips ist später, als sich dieses bei seiner weiteren Entwickelung als so überaus wichtig herausstellte, von verschiedenen Seiten angefochten worden. Zunächst wurde Professor Wheatstone in England fast durchgehends als gleichzeitiger Erfinder anerkannt, weil er in einer Sitzung der Royal Society am 15. Februar 1867, in der mein Bruder Wilhelm meinen Apparat vorführte, gleich darauf einen ähnlichen Apparat zeigte, der sich von dem meinigen nur durch ein anderes Verhältniß der Drahtwindungen des feststehenden Elektromagnetes zu denen des gedrehten Cylindermagnetes unterschied. Demnächst trat Herr Varley mit der Behauptung auf, er hätte schon Anfang des Herbstes 1866 einen eben solchen Apparat bei einem Mechaniker in Bestellung gegeben, auch später eine » provisional specification« darauf eingereicht. Es ist aber schließlich doch meine erste vollständige theoretische Begründung des Princips in den gedruckten Verhandlungen der Berliner Akademie und die derselben vorhergegangene praktische Ausführung als für mich entscheidend angenommen. Auch ist der von mir dem Apparat gegebene Name »dynamo-elektrische Maschine« allgemein üblich geworden, wenn ihn auch die Praxis vielfach in »der Dynamo« corrumpirt hat.

Schon in meiner Mittheilung an die Berliner Akademie hatte ich hervorgehoben, daß die Technik jetzt das Mittel erworben hätte, durch Aufwendung von Arbeitskraft elektrische Ströme jeder gewünschten Spannung und Stärke zu erzeugen, und daß dies für viele Zweige derselben von großer Bedeutung werden würde. Es wurden von meiner Firma auch sogleich große derartige Maschinen gebaut, von denen eine auf der Pariser Weltausstellung von 1867 ausgestellt wurde, während eine zweite im Sommer desselben Jahres von Seiten des Militärs zu elektrischen Beleuchtungsversuchen bei Berlin benutzt wurde. Diese Versuche fielen zwar ganz befriedigend aus, es stellte sich aber der Uebelstand heraus, daß die Drahtwindungen der Anker sich schnell so stark erhitzten, daß man das erzeugte elektrische Licht nur kurze Zeit ohne Unterbrechung leuchten lassen konnte. Die in Paris ausgestellte Maschine kam garnicht zur Prüfung, da in dem meiner Firma zugewiesenen Raume keine Krafttransmission vorhanden war und die Jury, der ich selbst angehörte, die Ausstellungen ihrer Mitglieder, die »hors concours« waren, keiner Prüfung unterzog. Um so mehr Aufsehen erregte eine von einem englischen Mechaniker ausgestellte Imitation meiner Maschine, die von Zeit zu Zeit ein kleines elektrisches Licht erzeugte. Durch den mir beim Schluß der Ausstellung ertheilten Orden der Ehrenlegion glaubte man mich hinlänglich anerkannt zu haben.

In späterer Zeit, als die Dynamo-Maschine nach wesentlichen Verbesserungen, namentlich durch Einführung des Pacinottischen Ringes und des von Hefnerschen Wickelungssystemes, die weiteste Anwendung in der Technik gefunden, und Mathematiker wie Techniker Theorien derselben entwickelten, da schien es fast selbstverständlich und kaum eine Erfindung zu nennen, daß man durch gelegentliche Umkehr der Drehungsrichtung einer elektromagnetischen Maschine zur dynamo-elektrischen gelangte. Dem gegenüber läßt sich sagen, daß die nächstliegenden Erfindungen von principieller Bedeutung in der Regel am spätesten und auf den größten Umwegen gemacht werden. Uebrigens konnte man nicht leicht zufällig zur Erfindung des dynamo-elektrischen Princips gelangen, weil elektromagnetische Maschinen nur bei ganz richtigen Dimensionen und Windungsverhältnissen »angehen«, d. h. bei umgekehrter Drehung ihren Elektromagnetismus fortlaufend selbstthätig verstärken.

In diese Zeitperiode fällt auch meine Erfindung des Alkoholmeßapparates, der ein äußerst schwieriges Problem sehr glücklich löste und daher seiner Zeit viel Aufsehen erregte. Die Aufgabe bestand darin, einen Apparat herzustellen, der fortlaufend und selbstthätig die Menge des absoluten Alkohols registrirt, der in dem ihn durchströmenden Spiritus enthalten ist. Mein Apparat löste diese Aufgabe so vollständig, daß er die auf die gebräuchliche Normaltemperatur reducirte Alkoholmenge ebenso genau angab, wie sie durch die exactesten wissenschaftlichen Controlmessungen nur bestimmt werden konnte. Die russische Regierung verwendet diesen Apparat seit fast einem Vierteljahrhundert als Grundlage für die Erhebung der hohen Abgabe, welche auf die Erzeugung von Spiritus gelegt ist, und viele andere Staaten Europas haben ihn später auch für diesen Zweck adoptirt. Abgesehen von einigen wichtigen praktischen Verbesserungen, die von meinem Vetter Louis Siemens herrühren, wird der Apparat noch jetzt in der ursprünglichen Form als ein wesentliches Fabrikationsobjekt von einer in Charlottenburg dazu errichteten Specialfabrik hergestellt. Eine Nachahmung desselben ist bisher nirgends erfolgreich gewesen, obschon er nicht durch Patentirung geschützt ist.


Der große Umfang, den die Firma Siemens & Halske nach und nach annahm, verlangte natürlich eine entsprechende Organisation der Verwaltung und die Beihülfe tüchtiger technischer und administrativer Beamten. Mein Jugendfreund William Meyer, der seit dem Jahre 1855 die Stellung eines Oberingenieurs und Prokuristen in der Firma bekleidete, hatte durch sein bedeutendes Organisationstalent nicht nur dem Berliner Geschäft, sondern auch besten Filialen in London, Petersburg und Wien äußerst werthvolle Dienste geleistet. Leider erkrankte er nach elfjähriger Thätigkeit im Geschäft an schwerem Leiden und starb nach längerem Siechthum, tief von mir als persönlicher Freund und treuer Mitarbeiter betrauert.

Nicht lange darauf, im Jahre 1868, zog sich mein alter Freund und Socius Halske aus der Firma zurück. Die günstige Entwickelung des Geschäfts – es wird dies Manchem auf den ersten Blick nicht recht glaublich erscheinen – war der entscheidende Grund, der ihn dazu veranlaßte. Die Erklärung liegt in der eigenartig angelegten Natur Halskes. Er hatte Freude an den tadellosen Gestaltungen seiner geschickten Hand, sowie an allem, was er ganz übersah und beherrschte. Unsere gemeinsame Thätigkeit war für beide Theile durchaus befriedigend. Halske adoptirte stets freudig meine constructiven Pläne und Entwürfe, die er mit merkwürdigem mechanischen Taktgefühl sofort in überraschender Klarheit erfaßte, und denen er durch sein Gestaltungstalent oft erst den rechten Werth verlieh. Dabei war Halske ein klardenkender, vorsichtiger Geschäftsmann, und ihm allein habe ich die guten geschäftlichen Resultate der ersten Jahre zu danken. Das wurde aber anders, als das Geschäft sich vergrößerte und nicht mehr von uns Beiden allein geleitet werden konnte. Halske betrachtete es als eine Entweihung des geliebten Geschäftes, daß Fremde in ihm anordnen und schalten sollten. Schon die Anstellung eines Buchhalters machte ihm Schmerz. Er konnte es niemals verwinden, daß das wohlorganisirte Geschäft auch ohne ihn lebte und arbeitete. Als schließlich die Anlagen und Unternehmungen der Firma so groß wurden, daß er sie nicht mehr übersehen konnte, fühlte er sich nicht mehr befriedigt und entschloß sich auszuscheiden, um seine ganze Thätigkeit der Verwaltung der Stadt Berlin zu widmen, die ihm persönliche Befriedigung gewährte. Halske ist mir bis zu seinem, im vorigen Jahre eingetretenen Tode ein lieber, treuer Freund geblieben und hat bis zuletzt stets reges Interesse für das von ihm mitbegründete Geschäft bewahrt. Sein einziger Sohn nimmt als Prokurist heute lebhaften Antheil an der Leitung des jetzigen Geschäftes.

Der Nachfolger Meyers wurde der frühere Leiter des hannöverschen Telegraphenwesens, Herr Karl Frischen, der nach der Annexion Hannovers in den Dienst des norddeutschen Bundes übergetreten war und mehrere Jahre hindurch die früher von Meyer bekleidete Stellung als Obertelegrapheningenieur der Staatstelegraphenverwaltung inne gehabt hatte. Das Geschäft gewann in Herrn Frischen eine hervorragende technische Kraft, die sich bereits durch viele eigene Erfindungen hervorgethan hatte. Ferner kam der Firma jetzt zu statten, daß sich unter ihren jüngeren Beamten, die ihre Schule im Dienste derselben gemacht hatten, tüchtige Verwaltungsbeamte und Constructeure herausgebildet hatten. Ich will unter ihnen nur Herrn von Hefner-Alteneck nennen, dem seine Leistungen als Vorstand unseres Constructionsbureaus einen Weltruf eingetragen haben.

Unterstützt von so tüchtigen Mitarbeitern konnte ich mich mehr und mehr auf die obere Leitung des Geschäftes beschränken und die Details mit vollem Vertrauen den Beamten überlassen. So erhielt ich größere Muße, mich mit wissenschaftlichen und solchen socialen Aufgaben zu beschäftigen, die mir besonders am Herzen lagen.

Mein häusliches Leben erfuhr eine vollständige Umgestaltung durch meine am 13. Juli 1869 erfolgte Wiederverheirathung mit Antonie Siemens, einer entfernten Verwandten, dem einzigen Kinde des verdienten und in der landwirthschaftlichen Technik wohlbekannten Professors Karl Siemens in Hohenheim bei Stuttgart. Ich habe in Tischreden und bei ähnlichen Veranlassungen oft scherzhaft gesagt, daß diese Verheirathung mit einer Schwäbin als eine politische Handlung zu betrachten sei, da die Mainlinie nothwendig überbrückt werden müßte und dies zunächst am besten dadurch geschähe, daß möglichst viele Herzensbündnisse zwischen Nord und Süd geschlossen würden, denen die politischen dann von selbst bald nachfolgen würden. Ob mein Patriotismus hierbei nicht wesentlich durch die liebenswürdigen Eigenschaften dieser Schwäbin, die wieder warmen Sonnenschein in mein etwas verdüstertes, arbeitsvolles Leben gebracht hat, beeinflußt worden ist, will ich hier nicht näher untersuchen.

Am 30. Juli 1870, als die telegraphische Nachricht in Charlottenburg eintraf, Kaiser Napoleon habe die deutsche Grenze bei Saarbrücken überschritten und der folgenschwere Krieg zwischen Deutschland und Frankreich sei damit eröffnet, schenkte meine Frau mir ein Töchterchen, dem zwei Jahre später noch ein Sohn folgte. Der Tochter gab ich den Namen Hertha in Folge eines Gelübdes, sie so zu nennen, wenn das deutsche Kriegsschiff dieses Namens, auf das die französische Flotte in allen Meeren Jagd machte, sich nicht fangen lassen würde. Meine vier älteren Kinder waren zur Zeit der Kriegserklärung Frankreichs im Bade Helgoland und mußten mit der ganzen Badegesellschaft eiligst flüchten, um nicht durch die Blockade an der Rückkehr gehindert zu werden. Als ein Beweis der tiefen, muthigen Bewegung, die das ganze deutsche Volk ergriffen hatte, kann eine Depesche meines ältesten, damals sechszehn Jahre alten Sohnes Arnold aus Kuxhaven gelten, des Inhaltes »ich muß mit«. Das ging zum Glück nicht, da vor vollendetem siebzehnten Jahre Niemand ins preußische Heer aufgenommen wird.

Der Krieg gegen Frankreich ging wie der von 1866 schnell, mit gewaltigen, für Deutschland siegreichen Kämpfen vorüber. Das freudige Bewußtsein, daß das ganze Deutschland zum ersten Male im Laufe seiner Geschichte brüderlich unter denselben Fahnen kämpfte und siegte, ließ die schweren Opfer, mit denen die ruhmvoll errungenen Siege erkauft werden mußten, erträglicher erscheinen und milderte die tiefe Trauer und das Leid, welches der Krieg im Gefolge hatte. Es war eine große, erhebende Zeit, die bei Allen, welche sie erlebten, unvergeßliche Eindrücke hinterlassen hat, und die auch in den kommenden Generationen das Gefühl dankbarer Verehrung nicht erlöschen lassen wird, welches die Nation den großen leitenden Männern schuldet, die ihre schmachvolle Zersplitterung und Uneinigkeit beendeten und sie einig und mächtig machten.


Obwohl ich der politischen Thätigkeit seit dem Jahre 1866 gänzlich entsagt hatte, wendete ich den öffentlichen Angelegenheiten doch fortgesetzt rege Theilnahme zu. Eine Frage, der ich schon früher besonderes Interesse gewidmet hatte, war die des Patentwesens. Es war mir längst klar geworden, daß eines der größten Hindernisse der freien und selbstständigen Entwicklung der deutschen Industrie in der Schutzlosigkeit der Erfindungen lag. Zwar wurden in Preußen sowohl wie auch in den übrigen größeren Staaten Deutschlands Patente auf Erfindungen ertheilt, aber ihre Ertheilung hing ganz von dem Ermessen der Behörde ab und erstreckte sich höchstens auf drei Jahre. Selbst für diese kurze Zeit boten sie nur einen sehr ungenügenden Schutz gegen Nachahmung, denn es lohnte sich nur selten, in allen Zollvereinsstaaten Patente zu nehmen, und dies war auch schon aus dem Grunde gar nicht angängig, weil jeder Staat seine eigene Prüfung der Erfindung vornahm und manche der kleineren Staaten überhaupt keine Patente ertheilten. Die Folge hiervon war, daß es als ganz selbstverständlich galt, daß Erfinder zunächst in anderen Ländern, namentlich in England, Frankreich und Nordamerika, ihre Erfindungen zu verwerthen suchten. Die junge deutsche Industrie blieb daher ganz auf die Nachahmung der fremden angewiesen und bestärkte dadurch indirect noch die Vorliebe des deutschen Publikums für fremdes Fabrikat, indem sie nur Nachahmungen und auch diese großentheils unter fremder Flagge auf den Markt brachte.

Ueber die Werthlosigkeit der alten preußischen Patente bestand kein Zweifel; sie wurden in der Regel auch nur nachgesucht, um ein Zeugniß für die gemachte Erfindung zu erhalten. Dazu kam, daß die damals herrschende absolute Freihandelspartei die Erfindungspatente als ein Ueberbleibsel der alten Monopolpatente und als unvereinbar mit dem Freihandelsprincip betrachtete. In diesem Sinne erging im Sommer 1863 ein Rundschreiben des preußischen Handelsministers an sämmtliche Handelskammern des Staates, in welchem die Nutzlosigkeit, ja sogar Schädlichkeit des Patentwesens auseinandergesetzt und schließlich die Frage gestellt wurde, ob es nicht an der Zeit wäre, dasselbe ganz zu beseitigen. Ich wurde hierdurch veranlaßt, an die Berliner Handelskammer, das Aeltestencollegium der Berliner Kaufmannschaft, ein Promemoria zu richten, welches den diametral entgegengesetzten Standpunkt einnahm, die Nothwendigkeit und Nützlichkeit eines Patentgesetzes zur Hebung der Industrie des Landes auseinandersetzte und die Grundzüge eines rationellen Patentgesetzes angab.

Meine Auseinandersetzung fand den Beifall des Collegiums, obschon dieses aus lauter entschiedenen Freihändlern bestand; sie wurde einstimmig als Gutachten der Handelskammer angenommen und gleichzeitig den übrigen Handelskammern des Staates mitgetheilt. Von diesen schlossen sich diejenigen, welche ein zustimmendes Gutachten zur Abschaffung der Patente noch nicht eingereicht hatten, dem Berliner Gutachten an, und in Folge dessen wurde von der Abschaffung Abstand genommen.

Dieser günstige Erfolg ermuthigte mich später zur Einleitung einer ernsten Agitation zur Einführung eines Patentgesetzes für das deutsche Reich auf der von mir aufgestellten Grundlage. Ich sandte ein Circular an eine größere Zahl von Männern, bei denen ich ein besonderes Interesse für die Sache voraussetzen konnte, und forderte auf, einen »Patentschutzverein« zu bilden, mit der Aufgabe, ein rationelles deutsches Patentgesetz zu erstreben. Der Aufruf fand allgemeinen Anklang, und kurze Zeit darauf trat der Verein unter meinem Vorsitze ins Leben. Ich gedenke gern der anregenden Verhandlungen dieses Vereins, dem auch tüchtige juristische Kräfte wie Professor Klostermann, Bürgermeister André und Dr. Rosenthal angehörten. Das Endresultat der Debatten war ein Patentgesetzentwurf, der im wesentlichen auf der in meinem Gutachten von 1863 aufgestellten Grundlage ruhte. Diese bestand in einer Voruntersuchung über die Neuheit der Erfindung und darauf folgender öffentlicher Auslegung der Beschreibung, um Gelegenheit zum Einspruche gegen die Patentirung zu geben; ferner Patentertheilung bis zur Dauer von fünfzehn Jahren mit jährlich steigenden Abgaben und vollständiger Publikation des ertheilten Patentes; endlich Einsetzung eines Patentgerichtes, das auf Antrag jederzeit die Nichtigkeit eines Patentes aussprechen konnte, wenn die Patentfähigkeit der Erfindung nachträglich mit Erfolg bestritten wurde.

Diese Grundsätze gewannen allmählich auch beim Publikum Beifall, und selbst die Freihandelspartei strenger Observanz fand sich durch die volkswirthschaftliche Grundlage der Patentertheilung beruhigt, die darin lag, daß der Patentschutz als Preis für die sofortige und vollständige Veröffentlichung der Erfindung erschien, wodurch die neuen, der patentirten Erfindung zu Grunde liegenden Gedanken selbst industrielles Gemeingut wurden und auch auf anderen Gebieten befruchtend wirken konnten. Es dauerte aber doch noch lange, ehe die Reichsregierung sich entschloß, gesetzgeberisch in der Angelegenheit vorzugehen. Ich vermuthe, daß eine Eingabe, die ich als Vorsitzender des Patentschutzvereins an den Reichskanzler richtete, bei der Entscheidung für den Erlaß eines Reichspatentgesetzes wesentlich mitgewirkt hat. In dieser Eingabe betonte ich den niederen Stand und das geringe Ansehen der deutschen Industrie, deren Produkte überall als »billig und schlecht« bezeichnet würden, und wies gleichzeitig darauf hin, daß ein neues festes Band für das junge deutsche Reich erwachsen würde, wenn Tausende von Industriellen und Ingenieuren aus allen Landestheilen in den Reichsinstitutionen den lange ersehnten Schutz für ihr geistiges Eigenthum fänden.

Im Jahre 1876 wurde eine Versammlung von Industriellen sowie von Verwaltungsbeamten und Richtern aus ganz Deutschland zusammenberufen, welche ihren Berathungen den Gesetzentwurf des Patentschutzvereins zu Grunde legte und ihn auch im wesentlichen als Grundlage beibehielt. Der aus diesen Berathungen hervorgegangene Gesetzentwurf wurde vom Reichstage mit einigen Modifikationen angenommen und hat in der Folgezeit außerordentlich viel dazu beigetragen, die deutsche Industrie zu kräftigen und ihren Leistungen Achtung im eigenen Lande wie im Auslande zu verschaffen. Unsere Industrie ist seitdem auf dem besten Wege, die Charakteristik »billig und schlecht«, die Professor Reuleaux den Leistungen derselben auf der Ausstellung in Philadelphia 1876 noch mit Recht zusprach, fast in allen ihren Zweigen abzustreifen.


Ich will jetzt meine Mittheilungen über die Entwicklung der von uns begründeten Geschäfte da fortsetzen, wo ich die Wandlungen beschrieb, welche unser Londoner Haus nach den unglücklichen Kabelunternehmungen zwischen Spanien und Algerien im Jahre 1864 durchzumachen hatte. Die seit jener Zeit vom Berliner Geschäfte getrennte Firma »Siemens Brothers« hatte sich unter Bruder Wilhelms Leitung schnell und regelmäßig entwickelt, sowohl als Fabrikations- wie als Unternehmungsgeschäft. Da Wilhelm gleichzeitig auch in dem privatim von ihm betriebenen Ingenieur-Geschäft große Erfolge hatte und seine Zeit und Kräfte dadurch sehr in Anspruch genommen waren, so wurde in ihm Ende der sechsziger Jahre der Wunsch rege, daß Bruder Karl die specielle Leitung des Londoner Telegraphen-Geschäftes übernehmen möchte. Karl ging darauf ein, da er seit dem Ablaufen der russischen Remonteverträge keinen großen Wirkungskreis mehr in Rußland fand.

In dieselbe Zeit fiel auch der Entschluß Halskes, sich aus der Berliner Firma zurückzuziehen, und wir drei Brüder beschlossen daher eine gänzliche Umformung der geschäftlichen Verbindung unserer verschiedenen Firmen. Es wurde ein Gesammtgeschäft gebildet, welches sie alle umfaßte. Jede Firma behielt ihre selbstständige Verwaltung und Rechnungsführung, ihr Gewinn und Verlust wurde aber auf das Gesammtgeschäft übertragen, dessen Inhaber und alleinige Theilnehmer wir drei Brüder waren. Das Petersburger Geschäft wurde einem tüchtigen Beamten unterstellt, während Karl zur Uebernahme der speciellen Leitung der Londoner Firma nach England ging.

Wie großartig sich das jetzt »Siemens Brothers & Co.« genannte Londoner Haus in der nun folgenden Periode entwickelte, ist in dem schon erwähnten Buche des Herrn Pole über meinen Bruder Wilhelm ausführlich dargestellt. Ich beschränke mich daher hier auf einige Mittheilungen über meine und meines Bruders Karl persönliche Mitwirkung dabei.

Als Karl im Jahre 1869 nach London übersiedelte, war die Fabrik in Charlton bereits in voller Thätigkeit als mechanische Werkstätte zur Anfertigung von elektrischen Apparaten aller Art; auch ein Umkabelungswerk war mit ihr verbunden, in welchem schon ansehnliche Kabellinien hergestellt waren. Der bei den Prüfungen der englischen Regierungskabel von mir aufgestellte Grundsatz, daß ein Kabel nur dann Garantie der Dauer geben könnte, wenn es in allen Stadien seiner Fabrikation mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und Schärfe geprüft würde, hatte gute Früchte getragen, und das damals ausgearbeitete System der Kabelprüfungen hatte sich in der Folge vorzüglich bewährt.

Der ausgezeichnete Erfolg der Malta-Alexandria-Linie, die wir nach diesem System für die englische Regierung prüften, hatte unsern technischen Credit in England wesentlich gehoben, und vielleicht aus diesem Grunde machte uns die einzige Fabrik, welche damals in England nach meiner Methode nahtlos mit Guttapercha umpreßte Drähte herstellte, Schwierigkeiten bei der Lieferung von gereinigter Guttapercha, die wir von ihr bezogen. Wir entschlossen uns daher, selbst eine Guttaperchafabrik anzulegen, und führten dies auch mit bestem Erfolge durch. Auf diese Weise wurde es uns erst möglich, selbst große Kabelanlagen zu übernehmen und damit das Monopol des inzwischen gebildeten großen Kabelringes zu brechen, der darauf ausging, die gesammte submarine Telegraphie zu monopolisiren. In der That gelang es meinen Brüdern eine Gesellschaft ins Leben zu rufen, die uns die Anfertigung und Legung eines unabhängigen, directen Kabels zwischen Irland und den Vereinigten Staaten in Auftrag gab. Das erforderliche Kapital wurde auf dem Continente zusammengebracht, da der englische Markt uns durch die übermächtige Concurrenz verschlossen war.

Bruder Wilhelm bewies sein großes Constructionstalent durch den Entwurf eines eigens für Kabellegungen bestimmten großen Dampfers, der von uns »Faraday« getauft wurde. Bruder Karl übernahm das Kommando desselben bei der Legung des Kabels. Ich hielt Karl für besonders befähigt zu dieser Aufgabe, da er ruhig überlegend, dabei ein guter Beobachter und entschieden in seinen Entschlüssen war. Ich selbst ließ es mir nicht nehmen, auf dem mit dem Tiefseekabel befrachteten Faraday bis zum Ausgangspunkte der Legung Ballinskellig Bai an der Westküste Irlands mitzufahren und dort die Leitung der Operationen der Landstation während der Legung zu übernehmen.

Es war ziemlich günstiges Wetter, und alles ging gut von statten. Der schwierige steile Abfall der irischen Küste zu großer Meerestiefe war glücklich überwunden und den elektrischen Prüfungen zufolge der Zustand des Kabels untadelhaft. Da trat plötzlich ein kleiner Isolationsfehler ein, so klein, daß nur außerordentlich empfindliche Instrumente, wie wir sie anwendeten, ihn constatiren konnten. Nach bisheriger Kabellegungspraxis würde man diesen Fehler unberücksichtigt gelassen haben, da er ohne jeden Einfluß auf die telegraphische Zeichenbildung war. Doch wir wollten eine ganz fehlerfreie Kabelverbindung herstellen und beschlossen daher, das Kabel bis zu dem Fehler, der noch dicht hinter dem Schiffe liegen mußte, wieder aufzunehmen. Dies ging auch zunächst trotz der großen Meerestiefe von 18 000 Fuß ganz gut von statten, wie uns vom Schiffe fortlaufend telegraphirt wurde. Plötzlich flog aber die Skala unseres Galvanometers aus dem Gesichtsfelde – das Kabel war gebrochen! Gebrochen in einer Tiefe, aus der das Ende wieder aufzufischen ganz unmöglich erschien.

Es war ein harter Schlag, der unser persönliches Ansehen wie unsern geschäftlichen Credit schwer bedrohte. Die Nachricht durchlief noch in derselben Stunde ganz England und wurde mit sehr verschiedenen Empfindungen aufgenommen. Niemand glaubte an die Möglichkeit, aus so großer Tiefe ein abgerissenes Kabelende wieder aufzufischen, und auch Bruder Wilhelm rieth telegraphisch, das verlegte Kabel aufzugeben und die Legung von neuem zu beginnen. Ich war aber überzeugt, daß Karl, ohne den Versuch der Auffischung gemacht zu haben, nicht zurückkehren würde, und beobachtete ruhig die steten Schwankungen der Skala des Galvanometers, um Anzeichen zu finden, die auf Bewegung des Kabelendes durch den Suchanker hindeuteten. Solche Anzeichen traten auch häufig ein, ohne weitere Folgen zu haben, und es vergingen zwei bange Tage ohne irgend welche Nachricht von dem Schiffe. Auf einmal heftige Spiegelschwankung! Das Ende des Kupferdrahtes mußte metallisch berührt sein. Dann mehrere Stunden lang schwaches, regelmäßiges Zucken des Spiegelbildes der Skala, woraus ich auf stoßweises Heben des Kabelendes durch die Ankerwinde schloß. Doch stundenlange, darauf folgende Ruhe ließ die Hoffnung wieder sinken. Da wiederum starke Spiegelschwankung durch Schiffsstrom, die mit nicht enden wollendem Jubel des Stationspersonals begrüßt wurde. Das Unglaubliche war gelungen. Man hatte aus einer Tiefe, die die Höhe des Montblanc über dem Meeresspiegel übertraf, in einer einzigen Operation das Kabel gefunden und, was noch viel mehr sagen will, ungebrochen zu Tage gebracht. Es mußten viele günstige Verhältnisse zusammentreffen, um dies möglich zu machen. Guter, sandiger Meeresgrund, gutes Wetter, zweckmäßige Einrichtungen für das Suchen und Heben des Kabels und ein gutes, leicht lenkbares Schiff mit einem tüchtigen Kapitän fanden sich hier glücklich zusammen und machten mit Hülfe von viel Glück und Selbstvertrauen das unmöglich Erscheinende möglich. Bruder Karl bekannte mir aber später, daß er während des ununterbrochenen Niederlassens des Suchankers, der sieben Stunden brauchte, um den Meeresgrund zu erreichen, was ihm erst eine klare Anschauung von der Größe der bekannten Meerestiefe gegeben habe, doch die Hoffnung auf guten Erfolg schon verloren hatte und dann selbst von diesem überrascht wurde.

Nach glücklich erfolgter Beseitigung des Fehlers und Wiederherstellung der Verbindung mit dem Lande ward die Legung einige Tage ohne Störung fortgesetzt. Dann meldete das Schiff rauhes Wetter, und bald darauf trat wieder ein kleiner Fehler im Kabel auf, den man jedoch bis zur Erreichung flachen Wassers an der Newfoundland Bank liegen ließ, um ihn dann bei besserem Wetter aufzusuchen und zu beseitigen. Die Wiederaufnahme erwies sich hier aber als sehr schwierig, da der Meeresgrund felsig und das Wetter dauernd schlecht war. Es ging dabei viel Kabel verloren, und der Faraday mußte unvollendeter Sache nach England zurückkehren, um neues Kabel und Kohlen an Bord zu nehmen. Doch auch die folgende Expedition führte nur zur engen Begrenzung, aber noch nicht zur Beseitigung des Fehlers, und es bedurfte einer dritten, um die Kabelverbindung vollständig fehlerfrei herzustellen.

Diese unsre erste transatlantische Kabellegung war nicht nur für uns außerordentlich lehrreich, sondern führte überhaupt erst zur vollen Klärung und Beherrschung der Kabellegungen im tiefen Wasser. Wir hatten gezeigt, daß man auch bei ungünstigem Wetter und in schlechter Jahreszeit Kabel legen und repariren kann, und zwar auch bei großen Meerestiefen und mit einem einzigen, freilich gut eingerichteten und hinlänglich großen Schiffe. Die Kabelverluste, die wir bei den Reparaturen gehabt hatten, führte Bruder Karl auf die Unzweckmäßigkeit der Construction des Kabels zurück, welche die bei dem ersten gelungenen transatlantischen Kabel gewählte war. Es wurden bei dieser zur Verringerung des specifischen Gewichtes des Kabels Stahldrähte zur Umhüllung und zum Schutze des Leiters verwendet, welche mit Hanf oder Jute umsponnen waren. Diese drillten das Kabel bei starkem Zuge und bildeten dann auf dem Meeresboden Kabelwülste, die das Ausnehmen sehr erschwerten oder ganz verhinderten. Wir haben nach dem Vorschlage Karls später nur eine geschlossene Stahldrahthülle verwendet und dadurch alle Schwierigkeiten beseitigt, die unsre erste Tiefseekabellegung so sehr erschwerten.

Auf die weiteren technischen Verbesserungen der Kabellegungsmethode in tiefem Wasser, zu denen uns diese Legung führte, kann ich hier nicht eingehen. Ich will nur anführen, daß meine, schon bei der Legung des Cagliari-Bona Kabels im Jahre 1857 aufgestellte Legungstheorie sich vollständig bewährt hat. Ich habe diese Theorie, wie bereits erwähnt, in einer der Berliner Akademie der Wissenschaften und der Society of Telegraph Engineers and Electricians in London vorgelegten Abhandlung weiter entwickelt und mathematisch behandelt und glaube, daß sie damit so ziemlich ihren Abschluß gefunden hat.

Die Legung dieses unseres ersten transatlantischen Kabels führte für uns Brüder viele aufregende Momente mit sich, von denen einer mich in einem sehr ungünstigen Zeitpunkte traf und tief ergriff.

Ich war tut Jahre 1874 von der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu ihrem ordentlichen Mitgliede erwählt, eine Ehre, die bisher nur Gelehrten von Fach zu Theil geworden war, und beabsichtigte an dem dazu festgesetzten Tage meine observanzmäßige Antrittsrede in der Festsitzung der Akademie zu halten, als ich beim Fortgehen von Hause eine Depesche aus London bekam des Inhaltes, daß nach einer Kabelnachricht der Faraday zwischen Eisbergen zerquetscht und mit seiner ganzen Besatzung untergegangen sei. Es erforderte nicht geringe Selbstbeherrschung von meiner Seite, niedergedrückt von dieser schrecklichen Kunde doch meinen nicht verschiebbaren Vortrag zu halten! Nur wenige intime Freunde hatten mir die gewaltige Erregung angesehen. Freilich hoffte ich vom ersten Augenblicks an, daß es ein Liebeswerk unsrer Gegner wäre, diese Schreckenskunde in Amerika, woher sie telegraphirt wurde, erdichten zu lassen. Und so stellte es sich bald heraus. Es war nirgends ein fester Anhalt für die Herkunft der Nachricht zu finden, und nach Verlauf etlicher banger Tage meldete sich der Faraday wohlbehalten aus Halifax; er war durch starken Nebel längere Zeit in offener See festgehalten.

Die glückliche Vollendung des amerikanischen Kabels hob das Londoner Geschäft mit einem Schlage auf eine viel höhere Stufe des englischen Geschäftslebens. Die Prüfung der elektrischen Eigenschaften des Kabels durch die höchste Autorität auf diesem Gebiete, durch Sir William Thomson, hatte ergeben, daß es durchaus fehlerfrei war und eine sehr hohe Sprechfähigkeit besaß. Von großer Bedeutung war es, daß der Kabelring, der sich unter Sir William Penders Auspicien gebildet hatte, jetzt durchbrochen war. Freilich wurde der Versuch gemacht, ihn wiederherzustellen, indem das von uns verlegte Kabel nachträglich dem Ringe eingefügt wurde. Dies gereichte uns aber zum Vortheil, denn es bildete sich bald eine andere und zwar eine französische Gesellschaft, welche ein »ringfreies« Kabel durch unsere Firma legen ließ. Auch dieses wurde nach kurzer Frist vom Globe, wie der Kabelring benannt war, angekauft, doch wurde hierdurch amerikanisches Kapital der Kabeltelegraphie zugeführt. Bruder Wilhelm erhielt im Jahre 1881 ein Kabeltelegramm, in welchem der bekannte Eisenbahnkönig Mr. Gould ein Doppelkabel nach Amerika bestellte, welches ganz wie das letzte von uns gelegte – das französische sogenannte Pouyer-Quertier Kabel – beschaffen sein sollte. Es ist ein Zeichen des hohen Ansehens, dessen sich unsre Firma auch jenseits des Oceans erfreute, daß Herr Gould es ablehnte, einen Abgesandten zum Kontraktabschlusse zu empfangen, »da er volles Vertrauen zu uns habe«, und dies durch Anweisung einer hohen Anzahlung bekräftigte. Es war dies um so bemerkenswerther, da Mr. Gould als sehr vorsichtiger und scharfer Geschäftsmann in Amerika bekannt ist und es sich hier um viele Millionen handelte. Jedenfalls hatte er aber richtig speculirt, denn sein unbeschränktes Vertrauen nöthigte meine Brüder zur Stellung möglichst günstiger Bedingungen und zur besten Ausführung. Auch die Gouldschen Kabel sind nach etlichen Concurrenzkämpfen mit dem Globe vereinigt, doch wieder durchbrach Amerika das Kabelmonopol. Im Jahre 1884 bestellten die bekannten Amerikaner Mackay und Bennett bei Siemens Brothers zwei Kabel zwischen der englischen Küste und New-York, welche binnen Jahresfrist tadellos angefertigt und gelegt wurden und bis jetzt ihre Unabhängigkeit vom Kabelringe bewahrt haben.

Diese sechs transatlantischen Kabel sind sämmtlich durch den Dampfer Faraday gelegt, der sich dabei als ein ausgezeichnetes Kabellegungsschiff bewährt und als solches den concurrirenden Firmen zum Vorbilde gedient hat. Die Doppelschraube mit gegen einander geneigten Axen, welche bei ihm zuerst zur Anwendung kam, hat dem großen Schiffe von 5000 Tons Rauminhalt einen bis dahin unerreichten Grad von Beweglichkeit gegeben, der es möglich machte, die Kabellegungs- und Reparaturarbeiten in allen Jahreszeiten und auch bei ungünstigem Wetter auszuführen.

Bruder Karl war bereits im Jahre 1880 nach Petersburg zurückgekehrt, nachdem vorher auf seine Veranlassung das Londoner Geschäft in eine Art Familien-Aktiengesellschaft verwandelt war. Bruder Wilhelm ward leider schon im Jahre 1883 durch einen ganz unerwarteten, schnellen Tod uns und seiner rastlosen Thätigkeit entrissen. Als leitender Direktor der Londoner Firma wurde von uns unser langjähriger Beamter Herr Löffler eingesetzt, dem in neuerer Zeit ein jüngeres Familienmitglied, Herr Alexander Siemens, folgte.


Meine Ernennung zum ordentlichen Mitgliede der Berliner Akademie der Wissenschaften war nicht nur sehr ehrenvoll für mich, der ich nicht zur Klasse der Berufsgelehrten gehörte, sie hatte auch einen tiefgehenden Einfluß auf mein späteres Leben. Wie mein Freund du Bois-Reymond, der als präsidirender »Sekretarius« der Akademie meine Antrittsrede beantwortete, richtig hervorhob, gehörte ich nach Beanlagung und Neigung in weit höherem Maaße der Wissenschaft als der Technik an. Naturwissenschaftliche Forschung war meine erste, meine Jugendliebe, und sie hat auch Stand gehalten bis in das hohe Alter, dessen ich mich jetzt – erfreue kann ich wohl kaum sagen. Daneben habe ich freilich immer den Drang gefühlt, die naturwissenschaftlichen Errungenschaften dem praktischen Leben nutzbar zu machen. Ich drückte das auch in meiner Antrittsrede aus, indem ich den Satz entwickelte, daß die Wissenschaft nicht ihrer selbst wegen bestehe zur Befriedigung des Wissensdranges der beschränkten Zahl ihrer Bekenner, sondern daß ihre Aufgabe die sei, den Schatz des Wissens und Könnens des Menschengeschlechtes zu vergrößern und dasselbe dadurch einer höheren Kulturstufe zuzuführen. Es war bezeichnend, daß Freund du Bois in der Beantwortung meiner Rede mich schließlich willkommen hieß »im Kreise der Akademie, welche die Wissenschaft nur ihrer selbst wegen betriebe«. In der That darf wissenschaftliche Forschung nicht Mittel zum Zweck sein. Gerade der deutsche Gelehrte hat sich von jeher dadurch ausgezeichnet, daß er die Wissenschaft ihrer selbst wegen, zur Befriedigung seines Wissensdranges betreibt, und in diesem Sinne habe auch ich mich stets mehr den Gelehrten wie den Technikern beizählen können, da der zu erwartende Nutzen mich nicht oder doch nur in besonderen Fällen bei der Wahl meiner wissenschaftlichen Arbeiten geleitet hat. Der Eintritt in den engen Kreis der hervorragendsten Männer der Wissenschaft mußte mich daher in hohem Maaße erheben und zu wissenschaftlichem Thun anspornen. Dazu kam noch, daß die Satzungen der Akademie einen wohlthätigen Zwang auf mich ausübten. Jedes Mitglied muß in einer feststehenden Reihenfolge der Akademie einen Vortrag halten, der dann in ihren Verhandlungen gedruckt wird. Da es sehr unangenehm war, sich dieser Verpflichtung zu entziehen, so zwang sie mich zum Abschluß und zur Publikation von Arbeiten, die ich unter anderen Umständen vielleicht anderen, interessanter erscheinenden nachgesetzt oder ganz unvollendet gelassen hätte. Während ich daher bis zu meiner Aufnahme in die Akademie nur selten zur Publikation einer wissenschaftlichen Arbeit kam und mich in der Regel mit der durch sie erworbenen Vermehrung meines Wissens begnügte, nicht ohne mich später darüber zu ärgern, wenn meine Resultate von Anderen ebenfalls gefunden und dann veröffentlicht wurden, mußte ich jetzt jährlich eine oder zwei Arbeiten abschließen und publiciren. Diesen Verhältnissen ist es auch zuzuschreiben, daß ich in meinen akademischen Vorträgen weniger Gegenstände meines Specialfaches, der elektrischen Technik, als Themata allgemein naturwissenschaftlichen Inhalts behandelte. Theils waren es vereinzelte Gedanken und Betrachtungen, die sich bei mir im Laufe des Lebens angesammelt hatten, welche jetzt zusammengefaßt und wissenschaftlich bearbeitet wurden, theils neue Erscheinungen, die mein besonderes Interesse erregten und mich zur speciellen Untersuchung veranlaßten. Ich werde auf diese rein wissenschaftlichen Publikationen am Schlusse dieser Erinnerungen noch einmal zurückkommen.

Obwohl ich mich seit meiner Aufnahme in die Akademie erheblich mehr als früher mit rein wissenschaftlichen Aufgaben beschäftigte, die in keiner Beziehung zu meinem geschäftlichen Berufe standen, versäumte ich deshalb nicht, diesem auch ferner die nöthige Zeit zu widmen. Die Oberleitung der Berliner Firma und die damit verbundenen technischen Arbeiten nahmen sogar gewöhnlich meine ganze Tagesarbeitszeit in Anspruch. Durch die große Vielseitigkeit und weite räumliche Ausdehnung, welche die Thätigkeit der Firma allmählich gewonnen hatte, wurde meine Aufgabe sehr erschwert, und wenn mir auch tüchtige Mitarbeiter einen wesentlichen Theil der Last abnahmen, blieb es doch für mich eine ruhelose, arbeitsvolle Thätigkeit.

Es war mir schon früh klar geworden, daß eine befriedigende Weiterentwicklung der stetig wachsenden Firma nur herbeizuführen sei, wenn ein freudiges, selbsttätiges Zusammenwirken aller Mitarbeiter zur Förderung ihrer Interessen erwirkt werden könnte. Um dieses zu erzielen, schien es mir erforderlich, alle Angehörigen der Firma nach Maaßgabe ihrer Leistungen am Gewinne zu betheiligen. Da meine Brüder diese Anschauung theilten, so verschaffte sich dieser Grundsatz in allen unseren Geschäften Geltung. Festbegründet wurden dahingehende Einrichtungen bei der Feier des fünfundzwanzigjährigen Geschäftsjubiläums der Berliner Mutterfirma im Herbst des Jahres 1872. Wir bestimmten damals, daß regelmäßig ein ansehnlicher Theil des Jahresgewinnes zu Tantièmen für Beamte und Prämien für Lohnarbeiter, sowie zu Unterstützungen derselben in Nothfällen zurückgestellt werden sollte. Ferner schenkten wir den sämmtlichen Mitarbeitern der Firma ein Kapital von 60 000 Thalern als Grundstock für eine Alters- und Invaliditäts-Pensionskasse mit der Verpflichtung des Geschäftes, der von den Betheiligten direct gewählten Kassenverwaltung jährlich fünf Thaler für jeden Arbeiter und zehn Thaler für jeden Beamten zu zahlen, wenn diese ein Jahr lang ohne Unterbrechung im Geschäfte gearbeitet haben.

Diese Einrichtungen haben sich in den fast zwanzig Jahren ihres Bestehens außerordentlich bewährt. Beamte und Arbeiter betrachten sich als dauernd zugehörig zur Firma und identificiren die Interessen derselben mit ihren eigenen. Es kommt selten vor, daß Beamte ihre Stellung wechseln, da sie ihre Zukunft im Dienste der Firma gesichert sehen. Auch die Arbeiter bleiben dem Geschäft dauernd erhalten, da die Pensionshöhe mit der ununterbrochenen Dienstzeit steigt. Nach dreißigjährigem, continuirlichem Dienst tritt die volle Alterspensionirung mit zwei Dritteln des Lohnes ein, und daß dies von praktischer Bedeutung ist, beweist eine stattliche Zahl von Alterspensionären, die noch gesund und kräftig sind und neben ihrer Pension ihren Arbeitslohn unverkürzt weiter beziehen. Doch fast mehr noch als die Aussicht auf eine Pension bindet die mit der Pensionskasse verbundene Wittwen- und Waisen-Unterstützung die Arbeiter an die Firma. Es hat sich herausgestellt, daß diese Unterstützung ein noch dringenderes Bedürfniß ist als die Invaliditätspension, da den Arbeiter das unsichere Loos seiner Angehörigen nach seinem Tode in der Regel schwerer drückt als sein eigenes. Der alternde Arbeiter liebt fast immer seine Arbeit und legt sie ohne wirkliches, ernstes Ruhebedürfniß nicht gern nieder. Daher hat auch die Pensionskasse der Firma trotz liberaler Anwendung der Pensionsbestimmungen durch die Arbeiter selbst nur den kleineren Theil ihrer Einnahmen aus den Zinsen des Kassenkapitals und den Beiträgen der Firma für Pensionen verbraucht, der größere Theil konnte zu Wittwen- und Waisen-Unterstützungen, sowie zur Vermehrung des Kapitalstocks der Kasse verwendet werden, der dazu bestimmt ist, bei etwaiger Aufgabe des Geschäftes die Pensionsansprüche der Arbeiter sicher zu stellen.

Man hat dieser Einrichtung den Vorwurf gemacht, daß sie den Arbeiter zu sehr an die betreffende Arbeitsstelle binde, weil er bei seinem Abgange die erworbenen Anrechte verliere. Es ist dies ganz richtig, wenn die darin liegende Härte auch dadurch sehr gemildert wird, daß bei Arbeiterentlassungen wegen mangelnder Arbeit jeder entlassene Arbeiter einen Schein erhält, der ihm ein Vorrecht zum Wiedereintritt vor fremden Arbeitern giebt. Freilich die Freiheit zu streiken wird dem Arbeiter durch die Pensionsbestimmungen wesentlich beschränkt, denn bei seinem freiwilligen Austritte verfallen statutenmäßig seine Altersrechte. Es liegt aber auch im beiderseitigen Interesse, daß sich ein fester Arbeiterstamm der Fabrik bildet, denn nur dadurch wird diese befähigt, die Arbeiter auch in ungünstigen Zeiten zu erhalten und ihnen auskömmlichen Lohn zu zahlen. Jede größere Fabrik sollte eine solche Pensionskasse bilden, zu der die Arbeiter nichts beitragen, die sie aber trotzdem selber verwalten, natürlich unter Controle der Firma. Auf diese Weise ließe sich der Streik-Manie, welche die Industrie und besonders die Arbeiter selbst schwer schädigt, am besten entgegentreten.

Es ist allerdings etwas hart, daß die Bestimmungen der allgemeinen staatlichen Alterspension auf die bereits bestehenden oder noch zu gründenden Privatpensionskaffen keine Rücksicht nehmen, die betreffenden Fabriken also doppelt für die Pensionirung ihrer Arbeiter zahlen müssen. Indessen ist das friedliche Verhältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welches durch die Privatpensionskassen gesichert wird, sowie eine ständige Arbeiterschaft von so großem Werthe, daß eine solche Mehrausgabe gut angebracht ist.

Der durch die beschriebenen Einrichtungen erzeugte Corpsgeist, der alle Mitarbeiter der Firma Siemens & Halske an diese bindet und für das Wohl derselben interessirt, erklärt zum großen Theil die geschäftlichen Erfolge, die wir erzielten.

Es führt mich dies auf die Frage, ob es überhaupt dem allgemeinen Interesse dienlich ist, daß sich in einem Staate große Geschäftshäuser bilden, die sich dauernd im Besitze der Familie des Begründers erhalten. Man könnte sagen, daß solche großen Häuser dem Emporkommen vieler kleineren Unternehmungen hinderlich sind und deshalb schädlich wirken. Es ist das gewiß auch in vielen Fällen zutreffend. Ueberall, wo der Handwerksbetrieb ausreicht, die Fabrikation exportfähig zu erhalten, wirken große concurrirende Fabriken nachtheilig. Ueberall dagegen, wo es sich um die Entwicklung neuer Industriezweige und um die Eröffnung des Weltmarktes für schon bestehende handelt, sind große centralisirte Geschäftsorgane mit reichlicher Kapitalansammlung unentbehrlich. Solche Kapitalansammlungen lassen sich heutigen Tages für bestimmte Zwecke allerdings am leichtesten in der Form von Aktiengesellschaften herbeiführen, doch können diese fast immer nur reine Erwerbsgesellschaften sein, die schon statutenmäßig nur die Erzielung möglichst hohen Gewinnes im Auge haben dürfen. Sie eignen sich daher nur zur Ausbeutung von bereits vorhandenen, erprobten Arbeitsmethoden und Einrichtungen. Die Eröffnung neuer Wege ist dagegen fast immer mühevoll und mit großem Risiko verknüpft, erfordert auch einen größeren Schatz von Specialkenntnissen und Erfahrungen, als er in den meist kurzlebigen und ihre Leitung oft wechselnden Aktiengesellschaften zu finden ist. Eine solche Ansammlung von Kapital, Kenntnissen und Erfahrungen kann sich nur in lange bestehenden, durch Erbschaft in der Familie bleibenden Geschäftshäusern bilden und erhalten. So wie die großen Handelshäuser des Mittelalters nicht nur Geldgewinnungsanstalten waren, sondern sich für berufen und verpflichtet hielten, durch Aufsuchung neuer Verkehrsobjecte und neuer Handelswege ihren Mitbürgern und ihrem Staate zu dienen, und wie dies Pflichtgefühl sich als Familientradition durch viele Generationen fortpflanzte, so sind heutigen Tages im angebrochenen naturwissenschaftlichen Zeitalter die großen technischen Geschäftshäuser berufen, ihre ganze Kraft dafür einzusetzen, daß die Industrie ihres Landes im großen Wettkampfe der civilisirten Welt die leitende Spitze, oder wenigstens den ihr nach Natur und Lage ihres Landes zustehenden Platz einnimmt. Unsere staatlichen Einrichtungen beruhen fast überall noch auf dem mittelalterlichen Wehrsystem, wonach der Landbesitz fast ausschließlich als Träger und Erhalter der Staatskraft angesehen und geehrt wurde. Unsere Zeit kann diese Beschränkung nicht mehr als richtig anerkennen; nicht im Besitze – welcher Art er auch sei – ruhen heute und künftig die staatserhaltenden Kräfte, sondern in dem Geiste, der ihn beseelt und befruchtet. Wenn auch zuzugeben ist, daß ererbter Grundbesitz durch Tradition und Erziehung die Inhaber fester an den Staat bindet und daher staatserhaltender ist als häufig wechselnder Grund- und leicht beweglicher Kapitalbesitz, so genügt er heutigen Tages doch nicht mehr, um den Staat vor Verarmung und Verfall zu schützen. Dazu ist heute das zielbewußte Zusammenwirken aller geistigen Volkskräfte nöthig, deren Erhaltung und Fortentwicklung eine der wichtigsten Aufgaben des modernen Staates ist.


Wenn mir die Thatsache, daß ich meine Lebensstellung der eigenen Arbeit verdanke, auch stets eine gewisse Befriedigung gewährt hat, so habe ich doch immer dankbar anerkannt, daß mir der dahin führende Weg durch die Aufnahme in die preußische Armee und dadurch in den Staat des großen Friedrich geebnet wurde. Ich betrachte die Kabinetsordre Friedrich Wilhelm III., die mir den Eintritt in die preußische Armee gestattete, als die Eröffnung der einzigen für mich damals geeigneten Bahn, auf der meine Thatkraft sich entfalten konnte. Vielfach habe ich in meinem späteren Leben Gelegenheit gehabt zu erkennen, wie wahr der Ausspruch meines Vaters gewesen ist, daß trotz aller Unzufriedenheit mit der damaligen preußischen Politik der heiligen Alliance, doch Preußen der einzige feste Punkt in Deutschland und der einzige Ankergrund für die Wünsche deutscher Patrioten sei. Ich habe daher auch meine, ich kann wohl sagen angestammte Liebe zum deutschen Vaterlande stets in erster Linie Preußen zugewandt und bin ihm und seinen fünf Königen, unter deren Herrschaft ich lebte, immer treu und dankbar ergeben gewesen. Es waren nicht allein die Kenntnisse, die ich mir auf den preußischen Militärschulen erwerben konnte, und die dort erlangte geistige Ausbildung, welche mir das spätere Fortkommen im Leben erleichterten, es war auch die in Preußen so angesehene Lebensstellung als Officier, welche mich dabei wesentlich unterstützte.

Preußen war, wie ich schon an anderer Stelle hervorhob, bis zur Mitte dieses Jahrhunderts noch wesentlich Militär- und Beamtenstaat, nur mit dem Adel und ländlichen Grundbesitz waren besondere Ehrenrechte verknüpft. Eine eigentliche Industrie fehlte gänzlich, trotz aller Anstrengungen, die erleuchtete Beamte wie Beuth machten, um eine solche aus dem wenig entwickelten Handwerke heranzubilden. Da ferner der Handel des Landes sehr beschränkt war, so fehlte auch ein wohlhabender, gebildeter Mittelstand als Gegengewicht für Militär, Beamte und adligen Grundbesitz. Unter diesen Umständen war es in Preußen von großem Werthe, als Officier zur Hofgesellschaft zu gehören und in allen Gesellschaftskreisen Zutritt zu haben.

Es ist am preußischen Hofe gebräuchlich, daß diese Zugehörigkeit jedes, also auch des bürgerlichen Officiers zur Hofgesellschaft fortlaufend geübt wird. So wurde ich schon im Winter des Jahres 1838 als junger Officier der Artillerie- und Ingenieurschule zu großen Festen im königlichen Schlosse befohlen, und seit der Zeit, also über ein halbes Jahrhundert hindurch, war es mir häufig vergönnt, diese großen Schloßgesellschaften zu besuchen, die ein Spiegelbild der Berliner Gesellschaft darstellen und deutlich den gewaltigen Umschwung kund gaben, den Preußen und mit ihm ganz Deutschland während dieser Zeit durchgemacht hat. Auf diesen Gesellschaften habe ich vielfach Gelegenheit gehabt, den Königlichen Herrschaften persönlich näher zu treten.

Wie schon erwähnt, hatte ich bereits in einer früheren Periode meines Lebens Ursache, dem Prinzen von Preußen für das Wohlwollen Dank zu schulden, mit dem er mich in Petersburg aus einer drückenden Lage befreite. Ich habe diesen Dank auch stets im Herzen getragen, kam aber leider durch die Politik dazu, den Monarchen erzürnen zu müssen, indem ich als Abgeordneter meiner damaligen Ueberzeugung gemäß gegen die Armeereorganisation stimmte. Als die Kriegserklärung gegen Oesterreich wirklich erfolgt war und die glänzenden Siege des reorganisirten preußischen Heeres die Zweckmäßigkeit der durch die Reorganisation bewirkten Verstärkung der Armee klar erwiesen hatten, war ich zwar eifrig bemüht, die nachtheiligen Folgen des parlamentarischen Widerstandes gegen die Reorganisation beseitigen zu helfen, und kämpfte erfolgreich für die Bewilligung der so großherzig von dem siegreich heimkehrenden Herrscher beantragten Indemnitätserklärung, doch glaubte ich kaum, je wieder auf das mir früher erwiesene Wohlwollen des Monarchen hoffen zu dürfen. Um so freudiger war ich überrascht, als mir nach dem Schluß der Pariser Weltausstellung von 1867 mit dem französischen croix d'honneur zugleich auch der preußische Kronenorden verliehen wurde.

Der Kaiser gab diesem erneuten Wohlwollen aber einige Jahre später einen noch weit entschiedeneren Ausdruck mit einer Herzensgüte, die kaum größer zu denken ist. Ich war bereits eine Reihe von Jahren Mitglied des Aeltestencollegiums der Berliner Kaufmannschaft und wurde nach dem herrschenden Brauche von dem Vorsitzenden des Collegiums zur Ernennung als Commerzienrath vorgeschlagen, ohne daß ich etwas davon wußte. Der Kaiser hatte die Ernennung auch vollzogen, und der Polizeipräsident war so freundlich, mich aufzusuchen und mir die erfreuliche Nachricht von dieser kaiserlichen Gnadenbezeugung persönlich zu überbringen. Mir sagte der Titel Commerzienrath aber nicht zu, da ich mich mehr als Gelehrten und Techniker wie als Kaufmann betrachtete und fühlte. Der Polizeipräsident, der mir das Unbehagen bald anmerkte, wollte diesen Grund nicht gelten lassen und fragte mich, was er dem Kaiser, der mir doch eine Gnade hätte erweisen wollen, denn sagen sollte. Da entschlüpfte mir die Bemerkung, Premierlieutenant, Doctor phil. honoris causa und Commerzienrath vertrügen sich nicht, das mache ja Leibschmerzen! Der Polizeipräsident versprach mir schließlich, dem Kaiser die Bitte vorzutragen, meine Ernennung zum Commerzienrath nicht publiciren zu lassen, und verabredete mit mir einen Ort, wo ich ihn auf dem an demselben Abende stattfindenden Hofballe erwarten solle. Er kam denn auch dort mit heiterem Gesichte zu mir und berichtete, er habe dem Kaiser meine Bedenken wegen der Leibschmerzen mitgetheilt; der Kaiser habe sehr darüber gelacht und gemeint, er fühle selbst schon so etwas, ich solle mir nur eine andere Gnade dafür ausbitten, wenn er mich anreden würde. Dies war mir nun leider nicht möglich. Einen meiner Lebensrichtung mehr entsprechenden Titel gab es in Preußen für Nichtbeamte nicht, und dem Rathe des Präsidenten, mtr einen höheren Orden zu erbitten, konnte ich unmöglich Folge leisten, da man einen solchen, wie ich ihm sagte, dankend annimmt, aber nicht darum bittet. Den Polizeipräsidenten verdroß diese Ablehnung, und da der Kaiser bald darauf an mir vorüberging, ohne mich anzureden, glaubte ich schon, mir aufs neue seine Ungnade zugezogen zu haben. Umsomehr erfreute, ja beschämte es mich fast, als mir der Polizeipräsident mittheilte, er habe dem Kaiser gesagt, daß ich nichts von ihm zu erbitten wüßte, und derselbe habe darauf erwiedert »dann stellen Sie ihn meiner Frau vor«.

In Folge einer Personenverwechslung fand diese Vorstellung damals nicht statt, und ich unterließ es auch später, mich auf dem üblichen Wege der Kaiserin vorstellen zu lassen, da es mir widerstrebte, mich an die hohen Herrschaften heranzudrängen, wie das ja so vielfach geschieht. Daß dies nicht unbemerkt geblieben war, erfuhr ich später durch die Kaiserin selbst. Während der Wiener Weltausstellung von 1873 ließ diese sich die deutschen Preisrichter vorstellen, zu denen auch ich gehörte. Nach Beendigung der Vorstellung rief sie mich noch einmal zu sich heran und sagte »Mit Ihnen, Herr Siemens, habe ich noch ein Hühnchen zu pflücken, Sie drücken sich vor uns, das soll Ihnen aber künftig nicht mehr gelingen«. In der That hat die hohe Frau mir späterhin oft Zeichen ihrer Anerkennung und Huld gegeben, indem sie unsere Fabriken besuchte oder mich zu Vorträgen über elektrische Themata aufforderte.

Einer dieser Vorträge, die ich im kaiserlichen Palais halten mußte, hatte dadurch eine besondere Bedeutung, daß der Großherzog von Baden mir am Tage vorher mit der Aufforderung, den Vortrag zu halten, ein ganz festes Programm für Umfang und Inhalt desselben übersandte, welches der Kaiser selbst ihm diktirt hatte. Das Thema lautete »Wesen und Ursache der Elektricität und ihre Anwendung im praktischen Leben«. Es war nicht leicht, den theoretischen Theil des Programmes zu erfüllen, da unsere Kenntniß vom Wesen der Elektricität noch sehr gering ist, aber schon die Aufstellung eines solchen Programmes zeigt, welch tiefgehendes Interesse der Kaiser den Naturwissenschaften widmete, deren große Bedeutung für die weitere Entwicklung der menschlichen Kultur er vollständig erkannte.

Auch die Kronprinzlichen Herrschaften haben stets das regste Interesse an dem allmählichen Aufblühen und den wissenschaftlich-technischen Leistungen unseres Institutes an den Tag gelegt und unsere Fabriken häufig durch ihren Besuch geehrt. Dieser huldvollen und wohlwollenden Anerkennung meiner Bestrebungen verdanke ich auch die Aufnahme in die Liste der Gnadenerweise, die Kaiser Friedrich bei seiner Thronbesteigung vornahm. Ohne die übliche Vorfrage war ich in dieselbe aufgenommen und erfuhr meine Nobilitirung zu meiner großen Ueberraschung erst durch die Zeitungen.


Wenn ich auch durch meine wissenschaftlichen Arbeiten und meine geschäftliche Thätigkeit sehr in Anspruch genommen war, so verlor ich doch nie das Interesse an den Fragen des öffentlichen Lebens. Ich war ein thätiges Mitglied vieler wissenschaftlichen und technischen Gesellschaften, betheiligte mich sowohl geschäftlich wie persönlich an den groben Ausstellungen und wurde von der Regierung häufig zu Specialcommissionen für wissenschaftliche und technische Fragen herangezogen. Von dieser vielseitigen Thätigkeit will ich hier nur einige Punkte hervorheben, die mir der Anführung werth erscheinen.

Als das Reichspatentgesetz im wesentlichen meinen Vorschlägen entsprechend ins Leben trat, erging an mich die Aufforderung, dem zu bildenden Patentamte wenigstens für eine Reihe von Jahren als Mitglied beizutreten. Ich that dies gern, um dahin wirken zu können, daß die Ausführungspraxis mit den angenommenen Grundsätzen des Patentgesetzes in Einklang blieb. Auf diese Weise erhielt ich die Qualität als Reichsbeamter und wurde als solcher vom Fürsten Bismarck für die Verleihung des Titels »Geheimer Regierungsrath« vorgeschlagen. Ich nahm denselben auch dankend an, da die Führung eines Titels in Preußen allgemein gebräuchlich ist und meine Collegen, die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, diesen größtentheils führten.

Im Vereine zur Beförderung des Gewerbfleißes, der von Beuth, dem Vater der preußischen Industrie, ins Leben gerufen wurde und sich unter dem langjährigen Präsidium des Ministers Delbrück große Verdienste um die industrielle Entwicklung Deutschlands erworben hat, war ich ein thätiges Mitglied und eine Reihe von Jahren Stellvertreter des Vorsitzenden.

An der Gründung des elektrotechnischen Vereins durch den Staatssecretär Dr. von Stephan bin ich wesentlich betheiligt gewesen. Ich war der erste active Präsident des Vereins und habe viele meiner technischen Arbeiten zuerst durch Vorträge in diesem Vereine publicirt. Nach dem Vorgange des Berliner elektrotechnischen Vereins wurden an vielen Orten ähnliche Vereine begründet; auch der verdienstvolle, von meinem Bruder Wilhelm ins Leben gerufene ältere Verein der telegraph Engineers in London erweiterte jetzt Titel und Programm durch Annahme der Elektrotechnik als Vereinszweck. Die Bildung des Berliner Vereins ist als die Geburt der Elektrotechnik als gesonderten Zweiges der Technik zu betrachten; der Name Elektrotechnik selbst tritt im Titel des Vereins zum ersten Male auf. Durch Annahme der später von mir beantragten Resolution »die Regierungen zu ersuchen, an allen technischen Hochschulen Professuren der Elektrotechnik zu errichten, damit die jüngeren Techniker Gelegenheit erhielten, den Nutzen kennen zu lernen, den die Elektrotechnik ihrem Specialfach bringen könnte«, hat der Verein sich um die schnelle Entwicklung der Elektrotechnik in allen ihren Zweigen sehr verdient gemacht, denn der Resolution wurde fast überall Folge geleistet. Auch durch seine Bestrebungen, ein internationales elektrisches Maaßsystem zu gewinnen, hat sich der Verein große Verdienste erworben. Die Anregung dazu ging von dem Congresse aus, der sich an die internationale elektrische Ausstellung von 1881 in Paris knüpfte. Dieser richtete an die französische Regierung die Aufforderung, auf diplomatischem Wege das Zusammentreten einer internationalen Delegirten-Conferenz zu erwirken, deren Aufgabe die Feststellung eines wissenschaftlich geordneten Maaßsystems für die Elektrotechnik sein sollte.

Eine solche Conferenz, zu der von dem deutschen Reiche Helmholtz, Wiedemann, Clausius, Kirchhoff und ich deputirt waren, trat im folgenden Jahre in Paris zusammen und entschied sich im Princip für das absolute Maaßsystem Wilhelm Webers, mit der Modifikation, daß das c.g.s.-Maaß, für das man sich in England bereits entschieden hatte, als Widerstandsmaaß adoptirt wurde. Bei der geringen Genauigkeit aber, mit der bis dahin die Webersche absolute Widerstandseinheit praktisch dargestellt werden konnte, wurde beschlossen, als Grundlage der Bestimmungen die von mir vorgeschlagene Quecksilbereinheit anzunehmen und die Gelehrten aller Staaten aufzufordern, das Verhältniß der modificirten Weberschen c.g.s.-Einheit zu der damals schon weit verbreiteten Siemens-Einheit durch Versuche festzustellen. Als Mittel aus allen in Folge dessen vorgenommenen Bestimmungen ergab sich für dieses Verhältniß der Werth 1,06, und demgemäß wurde von der im Jahre 1884 stattfindenden Schlußconferenz ein Quecksilberfaden von 1 qmm Querschnitt und 106 cm Länge bei 0º C. unter dem Namen »Ohm« als internationale, gesetzliche Widerstandseinheit festgesetzt. In ähnlicher Weise wurden auch für die übrigen Einheiten des Systems die Namen verdienter Physiker gewählt; zu bedauern ist dabei, daß der Name Wilhelm Webers, des Schöpfers dieses absoluten Maaßsystems, nicht berücksichtigt wurde, obwohl man ihm diese Ehre doch in erster Linie hätte erweisen sollen, wenn man sein System adoptirte. Für mich war es ein kleiner Triumph, daß eine Reproduction meiner Quecksilbereinheit, die Lord Rayleigh nach einer von der meinigen etwas abweichenden Methode vornahm, doch bis auf ein Zehntausendstel mit den von meiner Firma ausgegebenen Maaßetalons übereinstimmte.

Es war freilich etwas hart für mich, daß meine mit so vieler Mühe und Arbeit zu Stande gebrachte Widerstandseinheit, die überhaupt erst vergleichbare elektrische Messungen ermöglicht hatte, dann über ein Decennium in der ganzen Welt benutzt und von der internationalen Telegraphenconferenz als gesetzliches internationales Widerstandsmaaß für die Telegraphie angenommen war, nun plötzlich unter meiner eigenen Mitwirkung beseitigt werden mußte. Die großen Vorzüge eines theoretisch begründeten, consequent durchgeführten und allgemein angenommenen Maaßsystems machten dieses der Wissenschaft und dem öffentlichen Interesse gebrachte Opfer aber nöthig.


Meine schriftstellerische Thätigkeit beschränkte sich im allgemeinen auf die Darstellung meiner wissenschaftlichen und technischen Arbeiten und die Beschreibung der von mir construirten Mechanismen. Oefters mußte ich aber auch Angriffe, welche direct oder indirect gegen meine Firma oder gegen mich persönlich gerichtet waren, durch Entgegnungen zurückweisen. Es war dies um so nöthiger, als meine Firma nie annoncirte und nur durch gute Leistungen Reclame machte. Unbegründete Angriffe auf ihre Leistungen durften daher nicht ohne direkte Zurückweisung bleiben, was häufig nur durch Berufung auf das Preßgesetz zu ermöglichen war, da die Zeitungen gewöhnlich mehr Sympathie für die regelmäßigen Einsender einträglicher Annoncen hatten.

Ich will von solchen Berichtigungen hier nur eine im April 1877 der Elberfelder Zeitung gesandte hervorheben, da sich ein allgemeineres Interesse an sie knüpft. Der anonyme Schriftsteller, der mich zu dieser Berichtigung veranlaßte, hatte die dynamo-elektrischen Maschinen des Herrn Gramme in Paris gerühmt, den er als den verdienstvollen Erfinder der dynamo-elektrischen Maschine und der elektrischen Beleuchtung hinstellte, und für dessen Anerkennung er die deutsche Gerechtigkeitsliebe mit hochtönenden Worten in Anspruch nahm, ohne der deutschen Betheiligung an diesen Erfindungen überhaupt nur Erwähnung zu thun. Ich hob in meiner Entgegnung zunächst das unzweifelhafte Verdienst Grammes an der Entwicklung der dynamo-elektrischen Maschine hervor, welches in der Combinirung des Pacinottischen Ringes mit meinem dynamo-elektrischen Principe bestand, konnte dann aber nicht unterlassen, dem Appell an die deutsche Gerechtigkeitsliebe zu Gunsten fremder Verdienste die umgekehrte Richtung zu geben, indem ich darauf hinwies, daß der Deutsche immer geneigt sei, das Fremde, Weitherkommende mehr anzuerkennen als das Einheimische. Dies sei, führte ich aus, ein großes Hinderniß für die Entwicklung der deutschen Industrie, da dieselbe durch die Vorliebe für fremdes Fabrikat vielfach gezwungen würde, ihre besseren Leistungen unter fremder Flagge auf den Weltmarkt zu schicken, woher es käme, daß das deutsche Fabrikat überall mit Unrecht als mittelmäßige, billige Waare charakterisirt würde.

Ich habe schon bei früherer Gelegenheit hierauf hingewiesen und namentlich die geradezu selbstmörderische Gewohnheit, die besseren deutschen Fabrikate als englische, französische oder gar amerikanische auf den Markt zu bringen, als unpatriotisch und unwürdig gekennzeichnet. Es ist schwer zu entscheiden, ob die Schuld hauptsächlich am deutschen Publikum oder an den deutschen Gewerbetreibenden liegt, jedenfalls ist es eine Wechselwirkung zwischen dem Vorurtheil des ersteren und der Kurzsichtigkeit der letzteren, die nur ihren augenblicklichen Vortheil im Auge haben. Seit der Begründung des neuen deutschen Reiches und dem damit verbundenen nationalen Aufschwunge ist ja unzweifelhaft eine Besserung in dieser Hinsicht eingetreten, aber es fehlt noch sehr viel an der vollständigen Ausrottung des Uebels. Unsern Gewerbetreibenden mangelt noch zu sehr das stolze Bewußtsein, nur gute Waare zu liefern, und unserm Publikum die Erkenntniß, daß gute Waare auch bei höherem Preise die billigste ist. Erst aus der Wechselwirkung beider entwickelt sich der Nationalstolz auf die Leistungen der eigenen Industrie, der die beste Schutzwehr für dieselbe bildet. Wie stark das Gefühl der Ueberlegenheit der eigenen Leistungen über alle fremden sich in England entwickelt hat, empfand ich recht schlagend, als ich einst mit Bruder Wilhelm der Ausladung eines Schiffes zusah, das zum ersten Male aus einem norwegischen Hafen Eis nach London brachte. Das Eis war in prachtvollen, würfelförmigen Blöcken am Ufer gelagert und wurde mit offenbarem Interesse von Kauflustigen betrachtet. Mein Bruder knüpfte mit einem derselben eine Unterhaltung an, indem er das schöne Aussehen der Blöcke lobte. » O yes«, sagte darauf der Angeredete, ein herkulischer Schlächtermeister, » it looks very well, but it has not the english nature«. Selbst das englische Eis mußte nothwendig kälter sein als das fremde. Dieses Vorurtheil für die heimische Waare, das jeder Engländer besitzt und das seine Wahl stets beeinflußt, befestigt den Stolz des englischen Handwerkers und Fabrikanten auf die Güte seiner Arbeit und läßt dadurch vielfach das Vorurtheil zur Wahrheit werden.

Von meinen sonstigen populären Publikationen will ich hier nur meine Vorträge »Die Elektricität im Dienste des Lebens« vom Jahre 1879 und »Das naturwissenschaftliche Zeitalter« vom Jahre 1886 anführen.

In ersterem Vortrage entwickelte ich den damaligen Stand der Elektrotechnik und knüpfte daran Betrachtungen über die mit Zuversicht zu erwartenden weiteren Fortschritte derselben, welche sich daraus ergeben würden, daß die Elektricität jetzt mit Hülfe der dynamo-elektrischen Maschine auch schwere Arbeit leisten könnte, während sie bis dahin nur durch die Schnelligkeit ihrer Bewegung nützlich gewesen wäre, indem sie Nachrichten und Signale übermittelte, dirigirte und commandirte, jedoch die Ausführung der schweren Arbeit selbst anderen Naturkräften überließ.

Der Vortrag »Ueber das naturwissenschaftliche Zeitalter«, den ich in der Eröffnungssitzung der Gesellschaft der Naturforscher und Aerzte im Herbst des Jahres 1886 zu Berlin hielt, behandelte das Thema der Veränderung der socialen Zustände durch die schnell wachsende Herrschaft des Menschen über die Naturkräfte. Ich setzte auseinander, daß die auf naturwissenschaftlicher Grundlage ruhende Technik dem Menschen die bisherige schwere körperliche Arbeit, die ihm zur Erhaltung seines Lebens von der Natur auferlegt sei, mehr und mehr abnähme, daß die Lebensbedürfnisse und Genußmittel durch immer geringere körperliche Arbeitsleistung herzustellen seien, also billiger und damit allen Menschen zugänglicher würden, daß ferner durch die Kraftvertheilung und das nothwendige Herabgehen des Zinsfußes das Uebergewicht der großen Fabriken über die Einzelarbeit mehr und mehr aufgehoben würde und mithin die praktischen Ziele der Socialdemokratie ohne gewaltsamen Umsturz des Bestehenden allein durch die ungestörte Entwicklung des naturwissenschaftlichen Zeitalters erreicht werden würden. Auch suchte ich in meinem Vortrage den Nachweis zu führen, daß das Studium, der Naturwissenschaften in seiner weiteren Ausbildung und Verallgemeinerung die Menschheit nicht verrohen und idealen Bestrebungen abwendig machen würde, sondern sie im Gegentheil zu demüthiger Bewunderung der die ganze Schöpfung durchdringenden und unfaßbaren Weisheit führen, sie also veredeln und bessern müsse. Es erschien mir nützlich, für diese meine Ueberzeugung gerade an jener Stelle öffentlich einzutreten, da der unerschütterliche Glaube an die segensreichen Folgen der ungestörten Entwicklung des naturwissenschaftlichen Zeitalters allein im Stande ist, die alle menschliche Kultur bedrohenden fanatischen Angriffe von rechts und links erfolgreich zu bekämpfen.

Es genügt aber nicht, die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Technik ungestört fortschreiten zu lassen, es ist vielmehr nothwendig, sie nach Möglichkeit zu fördern. Dafür geschieht in Deutschland allerdings schon viel durch das hochentwickelte System des naturwissenschaftlich-technischen Unterrichtes, für welchen auf den zahlreichen Universitäten und polytechnischen Lehranstalten die denkbar besten Einrichtungen getroffen sind. Es fehlte aber an jeder Organisation zur Unterstützung wissenschaftlicher Forschungsthätigkeit, also zur Erweiterung des Gebietes unserer Naturerkenntniß, von der auch der technische Fortschritt abhängig ist. In Preußen hatte man schon vor Jahren die Nothwendigkeit eines Institutes erkannt, welches die wissenschaftliche Unterstützung der Technik und namentlich der Präcisionsmechanik zur Aufgabe hätte, und eine Commission, zu der auch ich berufen wurde, hatte den Plan für ein solches Institut ausgearbeitet, das an das neue, im Bau begriffene Polytechnikum zu Charlottenburg angeschlossen werden sollte. Dies war aber keine Lösung der Aufgabe, die wissenschaftliche Forschungsthätigkeit selbst zu fördern.

Die Nothwendigkeit eines Institutes, das nicht dem Unterrichte, sondern ausschließlich der naturwissenschaftlichen Forschung diente, hatte sich bei den Conferenzen über die Feststellung internationaler elektrischer Maaße in Paris recht schlagend herausgestellt. Es fand sich in ganz Deutschland kein geeigneter Platz, um die schwierigen Arbeiten der exacten Darstellung der Weberschen absoluten Widerstandseinheit auszuführen. Die Laboratorien der Universitäten sind ihrer Bestimmung gemäß für Unterrichtszwecke eingerichtet und dafür in der Regel auch ganz in Anspruch genommen. Die deutschen Gelehrten haben sie zwar trotzdem in den Mußestunden, die der Lehrberuf ihnen ließ, zur Ausführung ihrer Forschungsarbeiten benutzt und damit auch Großes geleistet, doch waren für umfangreiche, grundlegende Arbeiten weder die Arbeitsräume und ihre Einrichtung noch die Mußestunden der Gelehrten selbst ausreichend. Mein Vorschlag, dem geplanten Institute zur wissenschaftlichen Unterstützung der Technik ein zweites anzugliedern, welches ausschließlich der naturwissenschaftlichen Forschung dienen sollte, fand zwar viel Sympathie, doch hielt man die Durchführung des Planes unter den obwaltenden Verhältnissen für unmöglich. Es fehlte ein geeignetes, hinlänglich großes und Erschütterungen durch den Fuhrwerksverkehr nicht preisgegebenes Grundstück, und es erschien auch sehr schwierig, dem beträchtlichen Geldaufwande für die Errichtung und die spätere Erhaltung eines solchen Institutes Aufnahme in den preußischen Etat zu verschaffen.

Ich hatte bereits in meinem Testamente eine ansehnliche Geldsumme dafür bestimmt, zur Förderung der naturwissenschaftlichen Forschung verwendet zu werden, doch wäre bis zu meinem vielleicht noch ziemlich fernen Tode kostbare Zeit verloren gegangen, und namentlich wäre dann die günstige Gelegenheit versäumt, durch Verbindung des geplanten, für die wissenschaftliche Forschung bestimmten Institutes mit dem im Princip schon festgestellten wissenschaftlich-technischen ein großes und dem Zeitbedürfniß entsprechendes Unternehmen ins Leben zu rufen. Deshalb entschloß ich mich, meinen Tod nicht abzuwarten, sondern der Reichsregierung das Anerbieten zu machen, ihr ein großes, für den Zweck völlig geeignetes Grundstück oder den entsprechenden Kapitalbetrag für ein der naturwissenschaftlichen Forschung gewidmetes Reichsinstitut zur Verfügung zu stellen, wenn das Reich die Baukosten tragen und die künftige Unterhaltung des Institutes übernehmen wollte. Mein Vorschlag wurde von der Reichsregierung angenommen, vom Parlamente bestätigt, und es ist auf dieser Grundlage die physikalisch-technische Reichsanstalt in Charlottenburg erwachsen, die unter der Leitung des ersten Physikers unserer Zeit, des Geheimraths von Helmholtz, jetzt eine deutsche Heimstätte für die wissenschaftliche Forschung bildet.



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