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Zweites Kapitel

Im Gärtnerhaus.

Das Heimathaus der vier Geschwister lag vor der Stadt, vor dem Tore eigentlich, denn die kleine, altertümliche Stadt besaß noch zwei wohlerhaltene Tore mit Türmen. Die Stadtmauer aber war längst gefallen, und wo sonst ein breiter Wassergraben die Stadt umgürtet hatte, gab es jetzt eine schöne, breite Promenade.

. Ein Stückchen weiter hinter den letzten Häusern der Stadt lag die Kunst- und Handelsgärtnerei von Rudolf Hesse, dem Vater der Kinder. Früher hatte das Haus einem etwas wunderlichen alten Herrn gehört, einem großen Gartenfreund und Blumenliebhaber. Der hatte Rudolf Hesse, der ein entfernter Verwandter seiner Frau war, als armes, verlassenes Waisenbüblein zu sich genommen, ihn erzogen und ihn Gärtner werden lassen. Das alte Haus mit dem Garten wurde zu einer großen Gärtnerei umgewandelt. Das hatte Onkel Dietrich noch erlebt, hatte auch noch den kleinen Dietrich aus der Taufe gehoben, dann aber war er sanft und friedlich gestorben. Er lebte aber fort in den Herzen der Seinen. Am Ende des Gartens lag sein Grab, so hatte er es selbst gewünscht, und die Blumen, die der alte Onkel so sehr geliebt hatte, blühten immer wohlgepflegt auf dem Grabe. Onkel Dietrichs Blumen zu begießen, war die liebste Beschäftigung der Kinder.

Dietrich, Lieselinchen, Babele und Bubele lebten ein glückliches Kinderleben in dem alten Haus. Wohl kam mal eine Krankheit, oder dem Vater verdarb ein Unwetter seine Pflanzungen, aber das alles waren keine allzu schweren Sorgen, sie gingen vorüber wie flüchtige Wolken, die über die Sonne ziehen, und trübten nicht lange die fröhliche Heiterkeit des Familienlebens. Von den arbeitsamen, gütigen Eltern geleitet, zwischen Blumen und Bäumen wuchsen die vier Kinder heran und waren alle Tage lustig und guter Dinge. Sie freuten sich am Wechsel der Jahreszeiten, an Alltagen und Festtagen und aßen ihr tägliches Brot mit so gutem Appetit wie den Sonntagskuchen. Sie waren auch manchmal wild und unartig und bekamen Schelte, wie es so geht. Sie waren aber doch rechte, fröhliche, gesunde Kinder. Von Vater und Mutter hatten sie es gelernt, alle Tiere und Pflanzen zu lieben, auf sie zu achten und, was ihnen gehörte, sorgsam zu pflegen.

Sie hatten daher alle vier auch keine Sorge, der Vater könnte das Äffchen scheel ansehen, und als er sich jetzt im Gartentor zeigte, rasten Bubele und Babele strahlend auf ihn zu. »Wir haben 'n Affen, Vater.« – »Einen lebendigen,« jauchzte Babele. – »Mit'm Loch im Kopf,« erklärte Bubele stolz.

Der Vater sah etwas verdutzt drein. Wenn Kinder ausziehen, einen Wagen zu kaufen, und einen Affen heimbringen, dann ist das freilich auch eine sonderbare Geschichte.

Nun schrieen auch Dietrich und Lieselinchen vergnügt: »Wir haben einen Affen, Vati, einen richtigen Affen!«

Es dauerte ein Weilchen, bis der Vater die Geschichte des Affenkaufs genau zu hören bekam, denn die Kinder redeten so durcheinander, daß endlich die Mutter die Sache erklären mußte.

»Er wird gesund,« versicherte Lieselinchen glückstrahlend, »Herr Doktor Lindner hat es gesagt.«

Es war gerade, als wollte das Äffchen zeigen, daß es Lieselinchens Worte verstanden habe, es öffnete ein wenig die Augen und stieß dann ein klägliches, winselndes Schreien aus, es klang beinahe, als weinte ein Kind.

»Tragt das Tierchen hinein,« gebot der Vater, »Fabian mag euch ein Lager zurechtmachen. Vor allem muß der kleine Kerl Wärme haben. Er ist ein südlicheres Klima gewohnt.«

»Fabian, Fabian!« riefen Bubele und Babele wie aus einem Munde und jagten in den Garten, um den langen Fabian zu suchen und ihm von dem neuen Hausgenossen zu erzählen.

Im breiten Mittelweg des Gartens trafen die Kinder Fabian. Er kam gerade, zwei mächtige Gießkannen tragend, vom Brunnen her. »Na?« knurrte er, als er die Kinder erblickte, und die wußten schon, das war eine Aufforderung, ihr Abenteuer zu erzählen.

Fabian war der Obergärtner, – so nannten ihn wenigstens die Gartenarbeiter, – eigentlich war er aber noch vieles andere. Fabian wußte im Haus und Garten Bescheid wie kein Zweiter, und wo es etwas zu tun, zu raten und zu helfen gab, immer wurde Fabian herbeigeholt. Fabian war Gärtner, Maurer, Tischler, er konnte die schönsten Sträuße winden, schadhafte Sachen ausbessern, Puppenstuben neu tapezieren, Vokabeln überhören, Gemüse auf dem Markt verkaufen, dem schwarzen Karo Künste beibringen, ja sogar dichten konnte Fabian. An Geburtstagen und Weihnachten verfaßte er Verschen für die Kinder, die sehr schön waren, worüber aber die Erwachsenen manchmal herzhaft lachten.

Das war Fabian. Zu ihm liefen die Kinder mit ihrem kleinen Patienten, und Fabian sagte zweimal »Hm,« das war sehr viel, denn lange Reden hielt er nicht gern. Fabian, der, wie er selbst sagte, so lang wie der Johannistag war, nahm einfach den Korb mit dem Affen auf den Arm und schritt dem Gewächshause zu. Dort gab es eine kleine, immer wohlig warme Kammer, die ihm als Affenwohnung recht passend erschien. Soviel Dietrich und Lieselinchen unterwegs auch darüber nachgedacht hatten, wo Joli wohnen könnte, diese Kammer war ihnen natürlich nicht eingefallen. An diese dachte nur Fabian.

Der machte auch geschwind ein weiches, warmes Heulager zurecht. Die Mutter kam und brachte eine alte wollene Decke, in die Joli wie ein kleines Kind gewickelt wurde, und dann kauerte das Tierchen still auf seinem Lager. Es schien ihm ganz gut zu gefallen; wohl winselte und stöhnte es bei jeder Berührung, aber plötzlich streckte es Lieselinchen seine kleine Pfote hin, als wollte es sagen: »Danke schön!«

»Er ist süß!« schrie Lieselinchen begeistert.

»Süß!« wiederholten Bubele und Babele und stürmten etwas ungestüm auf Joli los. Doch der fletschte da auf einmal wütend die Zähne, sah mit bitterbösen Augen auf die beiden Kleinen und kreischte laut.

Bubele und Babele flüchteten schreiend, und weil Babele zu weinen anfing, schluchzte Bubele mit. Da wurde plötzlich das Gesicht des Affen wieder sanft und traurig, und er streckte noch einmal seine Pfote aus, als wollte er reumütig sagen: »Ich hab' es doch nicht so bös gemeint!«

So war der Friede wieder hergestellt. Von diesem Augenblick an aber gingen zur großen Beruhigung der Mutter Babele und Bubele doch immer in einem großen Bogen etwas ängstlich um den neuen Hausgenossen herum. Frau Hesse war nicht ganz zufrieden mit dem Gast, sie wußte, daß Affen manchmal recht boshaft und bissig sind, und in der ersten Zeit beobachtete sie Joli immer besorgt. Würde er den Kindern nichts tun? – Doch Joli zeigte sich anfangs sehr friedsam. Er ließ sich pflegen und verwöhnen, selbst als der Tierarzt kam und nach seiner Wunde sah, war er nicht ungebärdig. Die Wunde heilte überraschend schnell, und schon nach wenigen Tagen konnte Joli allerlei Kletterkünste ausüben. Da zeigte er denn bald, daß er eigentlich ein rechter Schelm war und auf allerlei Dummheiten ausging. Er nahm Lieselinchens geliebtem Puppenkind Ninette den allerbesten Sonntagshut weg, schmückte sich damit und zerknüllte und zerzauste das hübsche Hütchen so, daß es niemand Ninette verdenken konnte, wenn sie den Hut nicht mehr tragen wollte. Die Wahrheit des alten Wortes, daß der Affe sehr possierlich ist, zumal wenn er vom Apfel frißt, bewahrheitete auch Joli. Seine Mahlzeiten waren für die Kinder ein Hauptvergnügen, und der Schelm merkte ihre Freude; je mehr sie lachten, desto tollere Grimassen schnitt er, desto emsiger zerzupfte er mit seinen braunen Händen die Speisen. Er leckte und schleckte, drehte sich und wand sich, daß die Kinder allemal in ein helles Lachen ausbrachen.

»Er ist ordentlich eitel, der kleine Kerl,« sagte der Vater. »Seht nur, er will immer bewundert sein.« Und es war wirklich so. Joli wollte Beifall haben für seine Taten. Als Fabian einmal mit den Kindern einer Mahlzeit zusah und etwas grimmig sagte: »Macht's ihm nur nicht nach! Schön sieht's nicht aus, wie er frißt,« warf ihm Joli einen angebissenen Apfel an den Kopf.

»Na, nu schlägt's dreizehn,« brummte Fabian. »So'n Frechling!«

Die Kinder lachten lustig, ihr Lachen aber reizte Joli erst recht, und schwapp! flog dem armen Fabian eine Mohrrübe an den Kopf. Das war dem aber doch zu viel: er stellte sich breitbeinig vor Joli hin und hielt dem Affen mit seiner tiefen Stimme eine lange Strafpredigt. Es war gewiß die längste Rede, die Fabian jemals in seinem Leben gehalten hatte. Sie ließ sogar die Kinder verstummen, die waren einfach paff über Fabians Sprachleistung, und Bubele riß sein Mäulchen so weit auf, als wollte er mindestens ein Vierpfundbrot verschlingen. Anfangs wollte Joli noch etliche andere Reste seiner Mahlzeit folgen lassen, aber jedesmal erhob Fabian drohend seine Stimme, dann kauerte sich das Äffchen erschrocken zusammen. Zuletzt fing es an zu greinen und zu klagen wie ein kleines Kind, und Fabian sagte befriedigt: »Es hat geholfen!«

Und es hatte wirklich geholfen. Joli hatte fortan einen ausbündigen Respekt vor Fabian. Er folgte ihm aufs Wort, anfangs etwas ängstlich und verschüchtert, nach und nach wurde er aber zutraulicher, und bald liebte er den langen Burschen genau so wie die Eltern und die Kinder. Denn Joli liebte wirklich die Familie, die ihn aufgenommen hatte; er war zutraulich zu allen, am meisten aber zu Lieselinchen. Es war, als ahnte er, was die Kleine für ein Opfer für ihn gebracht hatte. Kam sie, dann verklärte sich sein braunes Affengesicht ordentlich, und er streichelte manchmal mit seinen kleinen Pfötchen liebkosend Lieselinchens zarte Wangen. Er saß auch still auf ihrem Schoß und legte liebkosend seine Arme um seiner kleinen Herrin Hals. Solange Joli noch krank war, blieb er in seiner warmen Kammer am Gewächshaus, nachher durften ihn die Kinder mit hinaus nehmen in den Garten. Herr Hesse hatte ein Halsband mit einer feinen, langen Kette besorgt, das bekam der kleine Schelm umgelegt, damit er nicht ausriß oder im Garten vielleicht Unheil anrichtete.

Es waren gar wundervolle Herbsttage. Der Sommer schien noch einmal zurückgekehrt zu sein, um sich an der Farbenpracht und Früchtefülle des Bruders Herbst zu freuen, so warm und sonnenhell war es. Auf den Beeten blühten die Herbstblumen in greller Buntheit. Die Rosen hatten sich noch einmal mit kostbaren, duftenden Blüten geschmückt, und die Obstbäume schienen die Menschen förmlich zu bitten, doch ihren Reichtum zu nehmen, so tief neigten sie ihre Äste. In der Hesseschen Gärtnerei gab es alle Hände voll zu tun. Das Obst mußte abgenommen und für den Verkauf eingepackt werden. Von besonders köstlichen Sorten, die an Spalieren gezogen wurden, bekam jede Frucht eine Umhüllung von Seidenpapier. »Ein Sonntagskleidchen,« nannte es Lieselinchen. Die Kinder mußten in ihren Freistunden alle helfen, selbst Bubele und Babele suchten eifrig unter den Bäumen nach vorwitzig herabgefallenen Früchten.

.

Das Haus durchzog ein süßer Obstgeruch, und wenn eine Hausfrau kam, Blumen oder Früchte zu kaufen, dann atmete sie wohl tief den köstlichen Duft ein, und manche sagte auch: »Hier möchte ich wohnen.« Das fanden die Kinder begreiflich genug, denn auch ihnen gefiel es gut daheim, und wenn sie aus der Stadt kamen, in die sie zur Schule gingen, waren sie allemal froh, wenn sie schon von ferne den heimatlichen Garten sahen. Und Joli gefiel es auch gut. In der Menagerie hatte er oft hungern müssen, da waren verkrüppelte, halbschlechte Äpfel schon Leckerbissen gewesen, und hier gab es täglich die prächtigsten Früchte. Der kleine Kerl schmauste nach Herzenslust, er wurde gesund und frisch dabei und immer übermütiger. »Laßt nur den Joli nicht hinaus, er hat so listige Augen,« mahnte der Vater oft, »er sieht aus, als möchte er gern viele dumme Streiche machen.«

Dietrich und Lieselinchen verteidigten dann immer lebhaft ihren Schützling; das Äffchen war in ihren Augen ein richtiger kleiner Tugendspiegel, ein Wunder an Klugheit und Gelehrsamkeit. Der Kinder Schulkameraden bekamen jeden Tag von Joli erzählt, und Joli war in Dietrichs und Lieselinchens Klasse eine sehr bekannte Persönlichkeit. Manch ein Bube, manch ein Mädel ging in diesen sonnigen Herbsttagen zur Gärtnerei hinaus, um Joli zu sehen. Manche Mutter wunderte sich auch wohl, wie flink jetzt ihre Kinder dabei waren, von Hesses allerlei Obst oder Gemüse zu holen.

Auch Mutter Wicherten, die eine gute Kundin war, kam, um Joli zu sehen. Pustend und stöhnend, von dem weiten Wege etwas außer Atem, betrat sie Jolis Kammer. Der Affe hing gerade an einer Schaukel, die Fabian für ihn zurecht gemacht hatte. Nachdenklich betrachtete ihn die Obstfrau, dann schüttelte sie den Kopf und sagte etwas wegwerfend: »Nee, Kinder, so'n kleines Scheusal könnte mir partout nie nich gefall'n. Akkrat wie'n kleiner Teufel sieht das Biest aus!«

Der arme Joli aber meinte, gegen Gäste müßte man besonders höflich sein. Als besondere Höflichkeit nun erschien es ihm, Mutter Wicherten etwas näher anzuschauen. Dies wollte er auch ausführen, und hops! saß er der guten Alten auf der Schulter. Die Obstfrau stieß einen durchdringenden Schrei aus. Fabian stürzte herzu und nahm Joli fort, der ganz verstört in eine Ecke kroch und ängstlich kreischte.

»Du meine Güte, so'n Untier,« schimpfte Mutter Wicherten zornig und entfloh eilig. Draußen behauptete sie dann: »Mich bringen nicht hundert Pferde mehr da hinein. Schafft ihn ab, Kinder, schafft ihn ab! 'n Wagen ist allemal besser als 'n Affe. Glaubt mir's, das nimmt kein gutes Ende.«

Das war aber zu viel für Lieselinchen, so schlecht war ihr Liebling nicht. Weinend lief sie zu ihm zurück, Dietrich folgte ihr, und die Geschwister saßen lange still bei dem Äffchen, das wieder sanft und zutraulich war.

Als die Kinder in das Haus zurückkehrten, war die Obstfrau schon fort. Mit allerlei düsteren Prophezeiungen war sie gegangen, mit Worten, die besonders auf Lina, das Hausmädchen, großen Eindruck gemacht hatten. Sie wollte ohnehin nicht viel von Joli wissen und warnte: »Der richtet noch einmal großes Unheil an.«

»Armer, lieber Joli,« dachte Lieselinchen und huschte nach dem Abendessen noch einmal in das Gewächshaus, um nach ihrem Liebling zu sehen. Fabian, den sie traf, leuchtete ihr mit seiner Laterne, und beide betraten den Vorraum des Warmhauses. Aber was war das? – Die Tür von Jolis Kammer stand offen.

»Er ist fort,« stammelte Lieselinchen erschrocken. »Dietrich ist wohl drin,« brummelte Fabian, aber Dietrich war nicht drin und Joli auch nicht, die Kammer war leer. »Ausgerissen,« knurrte der Obergärtner.

»Ausgerissen?« schluchzte Lieselinchen, und bald hallte es durch Haus und Garten: »Joli ist ausgerissen! Joli ist fort!«

Mit Rufen und Locken durchzogen die Kinder den Garten. – »Joli, lieber, süßer Joli, komm doch!« – »Jolilein, Jolilein, wo bist du?« Aber kein Joli ließ sich sehen. Fabian durchleuchtete mit seiner Laterne alle Winkel, der Vater ging mit einer brennenden Fackel durch den Garten, – nirgends eine Spur von dem Vermißten.

»Wir müssen ihn doch finden,« sagte Herr Hesse ärgerlich, »sonst gerät er mir vielleicht unter mein Spalierobst, das wir morgen abnehmen wollen, und richtet Schaden an.«

»So einem Untier ist alles zuzutrauen,« versicherte Lina, die beinahe froh war, daß Mutter Wichertens Prophezeiungen sich so schnell erfüllen sollten.

Die Zeit verging, es wurde acht Uhr, ein halb neun. Endlich gegen neun Uhr rief Frau Hesse die Kinder herein. »Es hilft nichts, ihr müßt zu Bett gehen,« sagte sie ärgerlich. Babele und Bubele waren auch wirklich schon so müde, daß sie beinahe über ihre eigenen Beinchen stolperten. Lieselinchen hatte dick verweinte Augen, und Dietrich machte ein Gesicht wie vierzehn Tage Regenwetter und drei Meilen schlechter Weg.

»Joli ist uns ausgerissen, weil er so viel ausgescholten wurde,« klagte Lieselinchen im Mädchenzimmer.

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In diesem Augenblicke stieß Lina, die dem Babele gerade das Röckchen aufknöpfen wollte, einen gellenden Schrei aus. »Dort, dort, dort!« kreischte sie und deutete auf Babeles Bettchen, aus dem ein kleines, unnützes, schwarzbraunes Gesichtel hervorsah; Joli saß darin, die Puppe Ninette ganz zärtlich im Arm. »Ach, so'n Tier!« schrie Lina, »mir wird's ganz graulig!«

»Joli, lieber Joli!« jauchzte Lieselinchen, und auf ihren Ruf kamen aus dem Bubenstübchen Dietrich und Bubele angerannt, Bubele im Hemdlein, die Höschen wie eine Siegesfahne schwenkend:

»Joli ist da, Hurra,
unser Joli ist da!«

Der Lärm in den Kinderzimmern lockte die Eltern herbei, Fabian kam und Bartel, der Lehrling. Fabian beleuchtete mit seiner Laterne den Ausreißer und brummte befriedigt: »Er ist's!«

»Na freilich ist er's! Affen laufen hier zum Glück nicht wie die Hühner rum. In der ganzen Stadt hat sich kein Mensch so'n Untier auf dem Jahrmarkt gekauft,« zeterte Lina.

Aber Linas Brummen dämpfte der Kinder Freude nicht. Sie trugen den Ausreißer jubelnd in seine warme Kammer. Selbst Bubele schlüpfte noch einmal in seine Höslein, er mußte dabei sein. Nur Babele konnte die Augen nicht mehr offen halten, der Sandmann hatte zu viel seine Sandkörnlein hineingestreut.

Lieselinchen gab ihrem Liebling noch den Apfel, den sie vor lauter Jammer nicht zum Abendbrot hatte essen können, und Fabian hüllte den Ausreißer sorglich in eine Decke. »Dummer Kerl,« brummte er ordentlich zärtlich, »mußt nicht solche Sachen machen!«

Glücklich über Jolis Wiederfinden gingen die Kinder zu Bett. Es dauerte nicht lange, da schliefen alle vier süß und fest. Lieselinchen aber träumte in dieser Nacht, sie säße auf einem großen Schiff und Joli kauerte neben ihr, sah sie mit seinen klugen Augen an und sagte mit heller Stimme: »Ich möchte dir doch meine Heimat zeigen, Lieselinchen.«

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