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An die Nacht

Wandle schnell übers westliche Meer,
O Geist der Nacht!
Von des Ostens nebliger Höhle her,
Wo den Tag hindurch in einsamer Pracht
Du Träume von Lust und Leid gewebt,
Bei denen man jauchzt, bei denen man bebt, –
Komm schnell und sacht!

Hüll dich ein in ein dunkles Gewand
Mit Sternenzier!
Dein Haar verdunkle des Tages Brand,
Küß ihn, bis ganz er erlegen dir;
Dann wandre weit über Stadt und Land,
Bis dein Mohnstab Alles in Schlummer bannt –
O, komm zu mir!

Als ich erwachte im dämmernden Grau,
Ersehnt' ich dich;
Als im Sonnenscheine verdunstet der Thau,
Als des Mittags Schwüle die Flur beschlich.
Als der müde Tag sich wandte zur Rast,
Lang zögernd wie ein verhaßter Gast,
Ersehnt' ich dich.

Dein Bruder Tod frug sanft und lind:
»Willst du mich?«
Der blinzelnde Schlaf, dein süßes Kind,
Wie Bienengesumm mein Haupt umschlich:
»Soll ich mich schmiegen ans Herz dir? sag!
Riefst mich du an?« – Ich aber sprach:
O nein, nicht dich!

Der Tod kommt, wenn du todt bist, schon
Gar bald, zu bald;
Es kommt der Schlaf, wenn du entflohn;
Ihr Werben ist an mir verhallt –
So hör mich du, geliebte Nacht:
Breit um mich deiner Schwingen Pracht,
Komm bald, o bald!

*


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