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Hymne an die geistige Schönheit

Der Schatten einer unsichtbaren Macht
Umwaltet hehr uns, ob kein Aug' ihn sieht;
So rasch entgleitend, wie der West entflieht,
Der Blum' auf Blume seinen Gruß gebracht.
Wie Mondlicht flimmernd glänzt durch eines Tannichts Nacht,
Fällt er mit unbeständ'gem Licht
Auf Menschenherz und Angesicht;
Wie Abendroth und stilles Abendlied,
Wie sterndurchblitzter Wolkenflaum,
Verklungnen Liedes Echotraum,
Wie alles Holde, das uns lieb,
Und lieber noch, weil es Geheimniß blieb. –

O Geist der Schönheit, der mit deinem Strahl
Du Alles heiligst, drauf dein Schimmer fällt,
Wohin entflohst du aus der Menschenwelt?
Weshalb entschwindest du, und lässest fahl
Und öde unser Reich, dies dunkle Thränenthal?
Frag, warum nicht das Sonnenlicht
Sich stets in Regentropfen bricht;
Frag, warum Etwas, das einst war, zerfällt;
Warum Geburt und Tod und Schrecken
Die Erde so mit Graun bedecken;
Warum der Mensch ohn' Unterlaß
So reich an Kleinmuth, Hoffnung, Lieb' und Haß?

Kein Mund aus höhrer Welt, der, uns zu geben
Die Antwort solchen Fragen je verheißt!
So sind die Namen »Himmel«, »Dämon«, »Geist«
Denkmale nur von unsrem eitlen Streben;
Beschwörungsworte, die den Schleier nimmer heben.
Und Alles, was wir hören, sehn,
In Nacht und Zweifel lassen stehn.
Dein Licht nur, wie die Klänge, die entreißt
Der Nachtwind den verstummten Saiten,
Wie Nebel, die das Feld durchgleiten,
Wie Mondlicht auf der Wellen Saum,
Giebt Reiz und Wirklichkeit des Lebens Traum.

Selbstachtung, Lieb' und Hoffnung gehn und kommen,
Wie Wolken, unstät schweifend immerdar.
Unsterblich wär' der Mensch, allmächtig gar,
Wenn du, von hehrer Wunderpracht entglommen,
Für ewig deinen Sitz in seiner Brust genommen.
Du Bote jener heil'gen Gluthen,
Die Liebender Gefühl durchfluthen;
Du, der seit je dem Geiste Nahrung war,
Wie sich am Dunkel nährt das Licht;
Entfliehe wie dein Schatten nicht,
Daß nicht das Grab sei, wie das Leid
Und Leben, eine finstre Wirklichkeit!

Als ich ein Kind war, wollt' ich Geister sehn,
Durchforschend ängstlich Keller und Ruinen,
Und Wälder, die vom Sternenlicht beschienen –
Kein Todter wollte, ach! mir Rede stehn.
Die Popanznamen rief ich an mit heißem Flehn:
Nicht Einer kam und brach den Baun!
Doch als ich brütend übersann
Des Lebens Loos mit wehmuthernsten Mienen,
Im Lenz, wo Alles, was da lebt,
In Liedern und in Blüthen webt,
Umfing dein Schatten plötzlich mich –
Die Hände faltend, jauchzt' ich brünstiglich!

Ich schwor, für ewig meine Kraft zu weihn,
Dir und dem Deinen – Hielt ich nicht den Schwur?
Ruf' ich doch jetzt pochenden Herzens nur
Viel' Traumgebilde aus des Busens Schrein,
Darin sie schliefen, auf; sie haben still und rein,
Von Eifer oder Lieb' entfacht,
Die neidische Nacht mit mir durchwacht;
Denn nie erglänzte mir der Freude Spur,
Als in der Hoffnung, daß der Welt
Durch dich einst jede Kette fällt,
Daß du, o hehre Lieblichkeit,
Uns spendest, was kein Gott zu künden leiht.

Der Tag wird ernster, klarer, wenn der Brand
Des Mittags schied; ein sel'ger Friede ruht
Im Herbst, ein Glanz in seiner Lüfte Fluth,
Wie ihn der Sommer nimmermehr gekannt,
Als sei aus dessen Reich er allezeit verbannt.
O, möge so dein machtvoll Weben,
Das schon verschönt mein Jugendleben,
Auch fürder schenken seines Friedens Gut
Mir, der in Andacht dich verehrt,
Und jede Form, die du verklärt,
O holder Geist, der mich getrieben
Zu fürchten dich, und alle Welt zu lieben!

*


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