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Era Tabatteldil

So verging eine Woche nach der andern in Ausflügen zu benachbarten Ortschaften, in gleichförmiger Wiederholung zoologischer Arbeiten und der Unterhaltungen am häuslichen Herd zu Tabatteldil. Manchmal nahmen diese schon den Ton einer echten Robinsonade an. Meine gewohnten Lebensmittel waren zu Anfang September fast völlig aufgebraucht, und mein Tisch war abends wie mittags mit landesüblichen Speisen besetzt. Spiritus und Gläser waren verbraucht, Kisten zum Einpacken der Sammlungen nicht mehr aufzutreiben, ja, selbst mein Papier zum Zeichnen und Schreiben nahte sich seinem Ende. Und vor mir lag die alte »Lady Leigh« noch immer traurig auf die Seite geneigt, und an ihrem Kiel, der hoch über Wasser emporragte, hämmerte ihr bejahrter Kapitän Woodin, »Cabel Mul«, Tag für Tag, Woche für Woche, von morgens früh bis in die Nacht hinein, ohne daß ich einen Fortschritt in seinen Arbeiten bemerken konnte. Wenn ich ihn dann des Sonntags, von ihm zu Tisch geladen, nach unserer Abreise befragte, so erhielt ich immer dieselbe Antwort – ganz im Stile des Landes –, »ich weiß nicht«, und klagend und kopfschüttelnd erzählte mir der arme Mann, wie seine Tauschartikel immer mehr abnähmen, sein Vorrat an Trepang aber nicht dementsprechend zuzunehmen scheine. Auch Arakalulk äußerte sich darüber, freilich vorsichtig genug, daß der Handel mit Trepang in Auru nicht günstig genug vonstatten gehe, und daß gar viele Sachen von Cabel Mul ihren Weg ins Dorf fänden, aber man wisse nicht recht, für welche Leistungen. Die »Lady Leigh« sei ja so alt und gebrechlich, er könne mit seinem Fuße den Boden derselben an einigen Stellen einstoßen, so durchfressen sei er von den Schiffswürmern. Mein Palast in Tabatteldil begann bereits an manchen Stellen den Regen durchzulassen, und mit Bangen sah ich mich schon dazu verurteilt, mit Woodin und Barber ins Dorf hinaufzuziehen, dort meine Wohnung im Baj aufzuschlagen und der Erlösung durch ein anderes Schiff zu harren. Aber wie lange konnte das noch dauern! Das düstere, regnerische Wetter und die getäuschten Hoffnungen brachten mich in eine melancholische Stimmung. Tagelang eingeschlossen in Tabatteldil, wütete ich förmlich unter den Seetieren des Meeres, die mir meine Leute jetzt täglich ins Haus brachten, und meine Enttäuschungen suchte ich abends im Gespräch mit Arakalulk und den anderen Bewohnern des Hauses zu vergessen. Auch war ich matt von den überstandenen Anstrengungen, und heftige rheumatische Schmerzen hielten mich zu Hause fest.

Meiner trüben Stimmung suchte ich dann immer dadurch Meister zu werden, daß ich mich in meine Rolle des angehenden Palaubewohners mit Anstand einzuleben versuchte. Ich ging in das Dorf und nahm meinen mir zuständigen Platz bei den Beratungen der Rupaks ein, und in meinen Gesprächen mit Mad und Krei verhandelte ich nun eingehender als je zuvor ihre eigenen Angelegenheiten. Hielt ich es doch für Pflicht, meinen Einfluß auf diese scheinbar mit so guten Anlagen ausgerüsteten Menschen nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. Den Vorschlag, die Reiskultur bei ihnen einzuführen, ergriffen sie mit großen Freuden, und in zwei Tagen hatten Arakalulk und seine Leute unter Anleitung Alejandros ein Stück Land urbar gemacht, auf dem wir nun unsern letzten halben Sack von ungestampftem Reis aussäeten. Trefflich ging er auf; aber nach wenig Tagen schon hatten die Ratten, die in Unzahl auf der Insel lebten, den grünenden Acker völlig kahl gefressen und unsere Hoffnung auf reiche Ernte zerstört. Dann fuhr ich mit dem Klöbbergöll meines Bruders Arakalulk zum Makesang (Arbeitsleistung) aus, um mich im Fischfang zu üben, und an den jetzt sich unaufhörlich folgenden Festen des Klökadauel nahm ich regen Anteil. Dabei litt freilich meine Zuneigung zu diesem Völkchen, die ich bisher gehegt, gewaltige Einbuße; denn ihren Charakter lernte ich nun von einer Seite kennen, die mir bisher verhüllt geblieben war. Ehrlich und treu waren sie mir fast durchweg erschienen; aber ein Diebstahl, der nun geschah, und den ich in allen seinen Einzelheiten kennenlernte, zeigte mir, wieviel mehr die Furcht vor Lächerlichkeit oder Verletzung der guten alten Sitte Ursache sei an ihrer bisher bewiesenen Enthaltung von Dieberei, als wirkliche Scheu vor Aneignung fremden Eigentums. Das Geld spielt hierbei, wie überall, die größte Rolle. Die Reichen, fürchtend, daß nach den bestehenden Gesetzen ihnen ihr Geld – und damit ihre Macht – genommen werde als Sühne für den durch eins ihrer Familienmitglieder begangenen Diebstahl, halten ihre Kinder aus Eigennutz zur strengsten Ehrlichkeit an. Die Armen schämen sich noch mehr vor der Lächerlichkeit und der Schande, die auf sie fällt, wenn sie nicht die Sühne für die Vergehen ihrer Kinder zu leisten vermögen. Ihre bürgerliche Ehre haben sie damit eingebüßt. Aber die Begehrlichkeit nach fremdem Eigentum, das sie reizt, lebt dennoch in ihnen, so lebhaft wie in irgendeinem andern wilden Völkchen, und wo sie glauben, ungestraft ihrer Neigung folgen zu dürfen, da ist nichts vor ihren diebischen Griffen sicher. Ein Beispiel ist Korror; seine Bewohner werden von Woodin als die abgefeimtesten Spitzbuben und Diebe geschildert, die er je gesehen. Schon Wilson und seine Begleiter hatten stark unter ihren Griffen zu leiden. – So vergingen Wochen und Wochen, der September war vorüber, der Oktober schon nahte sich seinem Ende. Längst war die Möglichkeit jeder nutzbringenden Arbeit ausgeschlossen. Ich aß und trank und schlief wie der beste Eingeborene, und ging ich di melil »mich amüsieren« in die Dörfer und setzte mich in die Türen ihrer Häuser, wo ich oft träumend einschlief, wie sie selbst es früher bei mir in Tabatteldil getan. Allnächtlich sah ich von meinem Stammschloß aus die Sonne in ihr Haus gegen »Angabard« zur Nachtruhe einkehren; doch das Schiffs das mich ihr nachziehend in meine Heimat bringen sollte, lag noch immer entmastet und seitwärts gesenkt am Riffe, und längst schon vermochten die Hammerschläge des alten Woodin nicht mehr, mir Hoffnungen zu erwecken. – Manchmal träumte ich dann noch von schönen kommenden Tagen; aber das Morgengrauen weckte mich regelmäßig wieder auf als »Era Tabatteldil«, zu dem ich nun wirklich geworden war!

Eben hatte »Era Tabatteldil« seinen Morgenimbiß, aus gebratenem Kukau (dem sogenannten Döllul) und süßem Eilaut bestehend, eingenommen und stand gerade im Begriffe, mit Aideso und Korakel zusammen auf das Riff zu fahren, um Muscheln und Schnecken zu suchen: da ertönte von fernher der dumpfe, langgezogene Ton der Kriegsmuschel. Bald nachher erschienen zwischen der »Lady Leigh« und der vorspringenden Landzunge, welche die Bucht von Tabatteldil im Südwesten abschloß, drei große Kriegsamlais, jedes wohl mit 30-40 Männern darin. Um sie herum spielten eine Menge kleinerer, in denen höchstens 4-6 Mann waren. Wie schwangen diese die Ruder, als sie an dem alten Cabel Mul, der an seinem Schiffe emsig arbeitend saß, vorüberfuhren. »Olokoi, Era Tabatteldil, das ist der Krieg. Nun kommen sie doch, diese Schurken! Siehst du das größte Amlai da, der da drin in der Mitte auf der Plattform sitzt, das muß Aituro von Armlimui sein. Nun, Mad und Krei werden sie schon gut empfangen. Wir aber müssen jetzt in Tabatteldil bleiben, deine Sachen mit zu behüten; das sind große Diebe, die Leute von Armlimui.« So eiferte Aideso, während ich ruhig die wenigen Sachen, die mir noch geblieben waren, meine Instrumente und Zeichnungen in den Koffer tat und diesen verschloß; dann holte ich meine Flinte, die weiter schoß als die besten Kanonen im Lande, und meine Patronentasche mit der Munition umhängend, sagte ich zu Alejandro und Aideso: »Ihr bleibt hier und verlaßt das Haus nicht und paßt auf meine Sachen auf. Sollten sie Miene machen, das Haus zu plündern oder anzuzünden, so erhebt nur ein großes Geschrei, daß es Cabel Mul hört, der wird dann schon kommen und euch verteidigen. Seht ihr, sie wollen hier gar nicht bei uns landen. He, Freund, wohin so eilig?« rief ich einem rasch vorübergehenden Manne von Aibukit zu. »Bescheid an Krei bringen; das ist Krieg, den uns die Leute aus dem Süden machen wollen!« lautete die Antwort. Und ihm nach, den Landweg einschlagend, eilte nun auch Era Tabatteldil, als eben das letzte feindliche Amlai in den Mangroven des Hafens verschwunden war, so rasch er konnte, auf Aibukit zu. Wie schnell fuhren doch die Amlais, deren Muscheln von Zeit zu Zeit geblasen wurden, kaum konnte er mit ihnen gleichen Schritt halten. Nun war er am Fuße der Anhöhe, worauf das Dorf in seinem Palmenhaine lag. Aus einem Seitenwege einbiegend, begegnete ihm hier Arakalulk, auch bewaffnet. »Du weißt es schon?« – »Jawohl, haben wir es doch immer dieser Tage erwartet. Aber vorwärts, wir haben keine Zeit zu verlieren.« Bald waren wir im Dorfe; Arakalulk eilte in sein Baj, wo der Klöbbergöll schon versammelt war, während Era Tabatteldil, ganz seiner Würde vergessend, mehr laufend als gehend, dem Baj der Fürsten zueilte. Schon war der ganze Aruau versammelt, in schweigendem Gleichmut der Dinge harrend, die da kommen sollten.

»Das ist schön von dir, Era Tabatteldil, daß du auch kommst; nimm deinen Platz an Ardas Seite und lege deine Flinte hinter dich, so daß die Feinde sie nicht sehen. Wir werden bald hören, was sie wollen.« Tiefes Schweigen folgte der Rede Mads; nur Arda, der neben ihm saß, nickte dem Ankömmling freundlich lächelnd zu. Ihm schlossen sich Eilo und Inarabai an – die beiden Schenke des Königs, welche bei Festen die Gaben zu verteilen haben – auf der einen Seite, gegenüber saß Inateklo, der Großalmosenier desselben. Am andern Ende des Baj, Mad gegenüber, hatte Krei Platz genommen, und sein Gefolge bildeten einige kleinere Rupaks. So waren beide Gewalten im Staate dort in Fülle und Glanz durch gewichtige Männer vertreten. Hier Mad, der allein das Recht hat, das Blul (Verbot, Tabu) über Fische und Früchte, über Berge und Täler, Gräber und Menschen auszusprechen, mit seinen Vornehmen, denen vor allem die Sorge um das geistige und leibliche Wohl des Volks obliegt. Dort Krei, der kühne Held und Anführer im Kriege mit seinen Gefolgsherren, sämtlich schon erregt durch die Aussicht, nun bald einen Feindeskopf im Triumph mit nach Hause zu bringen. Aber alle blickten auf Era Tabatteldil; lag doch hinter ihm die schöne Flinte, mit der er so rasch und weit schießen konnte. Wie fühlten sich die Fürsten sicher in ihrem Besitze! Da, wieder der Ton der Muschel, nun ganz aus der Nähe. Jetzt kommen sie!

Tiefes Schweigen im Baj, wie ringsum im Dorfe. Man kann das Schnalzen der kleinen Geckos im Hause weithin hören. Gemessenen Schrittes kommt eine lange Reihe von rotbemalten Männern im Gänsemarsch auf das Baj zu. Der da vorangeht, mit dem ganz kleinen Korb und dem übermäßig langen, buntbemalten Bambusrohr in der Hand, das ist Aituro, der erste Rupak von Armlimui. Er schreitet gerade auf die Tür zu, innerhalb welcher Mad und die andern sitzen; ohne Zögern tritt er herein ins Haus und setzt sich, immer schweigend, jenem gegenüber an die andere Seite des Eingangs. Die übrigen Rupaks aber biegen seitlich ab und treten teils zu den Seitentüren in das Baj herein, wo sie sich rasch niederkauern, teils bleiben sie draußen neben dem Hause stehen. Alles aber geschieht in tiefstem Schweigen. Endlich unterbricht Aituro die Stille. »Ich will sprechen«, sagt er. »Wir haben einen großen Sieg erfochten über Meligeok. Dicht bei Rablissa hat einer der Unserigen einen Rupak unserer Feinde erschlagen. Seinen Kopf hat er im Triumph nach Hause gebracht, wie es hier alter, guter Gebrauch ist. Unsere Mädchen haben gleich ein neues Siegeslied gedichtet, und nun ziehen wir im Lande herum, überall unsern Siegesklökadauel zu feiern. Erst waren wir in Korror, da erhielten wir gleich die Kokosnuß, Boganuß und Betelpfeffer als Zeichen der Freundschaft; drei Tage lang, wie es unsere Sitte vorschreibt, blieben wir dort. Wir feierten mit Tänzen und Gesängen den Sieg über den toten Feind. Sein Kopf war auf dem Hauptplatze der Stadt aufgestellt. Auch Eirei und Eimelig bewillkommneten uns freundlich und nahmen unfern Klökadauel an. Nun wollen wir hinauf nach Arakalong. Da haben sie unsere Botschaft nicht so beantwortet wie ihr Leute von Aibukit. Wir haben euch dreimal Boten geschickt, zu fragen, ob ihr unser Siegeslied hören und uns die Friedensgaben bringen wollt. Aber ihr habt unsere Abgesandten immer ohne Antwort und mit Hohn zurückgeschickt, und ihr wißt doch, daß es von jeher Sitte war, nach einem Siege auch wieder Frieden zu schließen. Jetzt scheint ihr den Krieg fortführen zu wollen. Euere Meinung hierüber zu hören, bin ich begierig. Ich habe gesprochen.«

Eine Pause entstand. Dann hub Mad an zu sprechen und sagte: »Wir Männer von Aibukit sind auch heute noch die Freunde von Meligeok. Das war von jeher so unser Gebrauch. Als Ebadul die vielen Kriege mit Kokerangl, dem König von Meligeok, führte, da fiel in einer Schlacht auch mein Großvater, der ihnen zu Hilfe geeilt war. Dann schlossen Korror und Meligeok Frieden; damals nahmen auch wir die Friedensboten an, und drei Tage lang tanzten die Männer von Korror hier in Aibukit und wurden festlich bewirtet. Hat aber nun Armlimui mit Meligeok Frieden gemacht? Ihr habt ihn gar nicht angeboten, ihr wißt recht gut, daß Kokerangl ebenso mächtig ist wie ihr und bloß um einen Toten euch den Friedenspreis nicht zahlt. Wenn aber unsere Freunde noch mit euch im Kriege sind, wie könnt ihr verlangen, daß wir euch hier tanzen lassen und mit Siegesgeschenken empfangen sollen? Das hättet ihr wissen können, daß Mad von Aibukit seine Freunde nicht verläßt. Also laßt den toten Kopf nur in den Amlais und hütet euch, das neue Siegeslied zu singen; wir werden das hier nicht dulden. Geht damit zu euern Freunden nach Arakalong. Ich habe gesprochen, Aituro.«

Wieder entstand eine würdevolle Pause; hatten doch die Könige so viel zu denken! Eifrig, als wollte er seine Gedanken damit fördern, stampfte Aituro seinen Betel in dem schön verzierten Gefäß mit dem großen, weißen, aus einer Muschel kunstvoll geschnitzten Stoßer. Dann schüttete er Kalk aus seinem langen Bambusrohr darauf, und mit einem kleinen Löffel aus Schildkrötenschale schob er nun den weißlichen Brei in seinen Mund; denn Aituro war schon alt und konnte die Bonganuß nicht mehr gut zerbeißen. Endlich brach er das Schweigen und sprach:

»Freund, du vergißt, daß noch früher Aibukit und Armlimui gute Freundschaft hielten, und ist nicht meine Großmutter aus deinem Geschlechte gewesen, Mad? Und wer hat damals die Treue gebrochen? Wir gewiß nicht. Warum wollt ihr nun den neuen Freund über den allen stellen? Auch ist es nicht klug von euch. Ob wir uns vor Meligeok fürchten oder nicht, ist ganz gleichgültig, seit die Männer aus dem Westen hier im Lande sind. Ihr wißt recht gut, was die Ingleses schon für Ebadul von Korror getan haben. Immer ist durch ihre Hilfe noch Kokerangl von Meligeok besiegt worden; nicht einen einzigen Kopf hat er erbeutet seit jener Zeit. Nach Meligeok aber kommen die Männer aus dem Westen doch nie. Wollt ihr nun nicht Freundschaft mit uns schließen, so rufen wir die Leute von Korror. Dann muß Cabel Mul von hier fort und wieder nach Malakka, wie früher; er hat kein Recht, hier bei euch zu bleiben, und wenn er es doch tut, so werden wir ihn abschneiden. Als Preis für den Frieden müßt ihr dann aber den einzigen Brack bezahlen, den ihr besitzt, und freien Handel treiben, wie früher, dürft ihr dann auch nicht mehr.«

Hier aber brauste der alte Krei auf, der sich, einem Zeichen Mads folgend, beim Beginn der zweiten Rede Aituros in die Nähe gesetzt hatte; er als ungestümer Krieger und vielbesungener Städteeroberer und reichster Mann des Landes durfte ungestraft die Klugheit des Fürsten vergessen:

»Schämst du dich nicht, Aituro, das zu sagen, und du siehst doch, daß dir gegenüber der große Rupak aus dem Westen, Era Tabatteldil, sitzt und alle deine Worte hört? Du glaubst wohl, er versteht dich nicht? Da irrst du dich sehr, er kennt die Sitten von Palau und unsere Sprache sehr gut, und seit langem ist er hier bei uns auch Rupak und nimmt mit teil an unsern Beratungen. Er und Era Kaluk, sie lachen dich aus mit deiner Drohung, ihr Schiff abzuschneiden; sie haben viel bessere Kanonen und Flinten als ihr. Versucht es nur einmal, ihnen Krieg zu machen. Sie brauchen gar nicht ein Kriegsschiff zu rufen, um euch zu besiegen. – Und ich, Krei, muß dir noch etwas sagen, Aituro. Ich bin der Vater von allen Männern aus dem Westen, die hierher kommen, und ich dulde es nicht, daß ihr ihnen Krieg macht und sie zwingen wollt, nach Malakka zu gehen. Ich weiß, sie wollen lieber hier bleiben; drum muß ich sie beschützen. Und das soll auch geschehen. Wer gibt denn dem Ebadul von Korror das Recht, den Männern aus dem Westen vorzuschreiben, was sie hier tun sollen? Und steht es vielleicht auch in euern Bildern zu lesen, daß der King von Korror auch King von ganz Palau ist? Dann lügen euere Bilder; und Era Tabatteldil weiß dann besser wir ihr Männer vom Süden, was hier in Aibukit alter Gebrauch und gute Sitte ist. Er weiß, daß wir hier nie Schiffe abgeschnitten haben, wie euere Freunde von Korror das in Kreiangel und Bölulakap (Yap) getan haben. Er weiß, daß Ebadul King war von einer ganz kleinen Insel und wenig Leuten. Jetzt aber haben wir Flinten; und wenn wir auch nur die eine hätten, die Era Tabatteldil gehört, und die weiter schießt als euere Kanonen, oder nur seine kleine Flinte, die immer schießt, ohne daß er sie zu laden braucht, so würden wir euch doch nicht fürchten. Nun könnt ihr den Krieg erklären, wenn ihr wollt, wir tun es nicht; aber wir dulden euern Klökadauel hier auch nicht. Den müßt ihr schon nach Arakalong tragen.«

Und nun fing der kleine Krei auch an, seinen Betel im Becher mit raschen Stößen zu zermalmen, und ihm gegenüber saß Aituro und stampfte ebenso eifrig in dem seinen herum. Mit grimmigen Blicken maßen sich beide; aber ihre Würde als Fürsten vergaß keiner von ihnen so weit, daß sie auch nur Miene gemacht hätten, aufzuspringen. Alle ihre Wut stampften sie stillschweigend in ihre Becher hinein; weithin in das Dorf aber schallte das von ihnen erregte Getöse.

Nun nahm Mad wieder das Wort. »Ich will sprechen,« sagte er, »hört ihr beide mich an. Du, Krei, hast gut gesagt, daß du Vater der Leute aus dem Westen bist und sie deshalb beschützen mußt. Aber du hast vergessen zu sagen, daß auch ich und die andern Rupaks alle bereit sind, Era Kaluk und Era Tabatteldil in Schutz zu nehmen. Sie sollen hier in Aibukit ihren Handel treiben, ganz wie sie mögen, und Ebadul von Korror soll nicht wagen, uns zwingen zu wollen, daß wir unsere weißen Freunde von hier wegjagen. Wenn wir auch in dem letzten Kriege gegen den Ingles (Engländer) viele Kriegsamlais verloren haben, so können wir diese doch wieder bauen, und Flinten und Pulver haben wir jetzt mehr als genug. – Du aber, Aituro, höre noch dieses. Ihr sandtet vor vier Tagen den ersten Boten mit der Bitte, hier tanzen zu dürfen. Das hätte ich nie erlaubt; aber ich wollte wissen, ob ihr bloß dies wolltet, oder ob ihr die Absicht hattet, uns wirklich mit Krieg zu überziehen. Da habe ich denn meinen Kalid befragt durch die Blätter der Kokospalme, und der sagte mir, daß ihr nicht Krieg machen, wohl aber uns einschüchtern und zwingen wolltet, Cabel Mul wieder nach Korror hinunterzujagen. Nun könnt ihr, wenn ihr wollt, meinen Kalid zum Lügner machen; dann aber wird es euch schlecht ergehen. Gib also Befehl, Aituro, daß deine Leute nicht mit dem Kopfe des Erschlagenen herauf ins Dorf kommen, wir dulden das nicht; und ihr sollt hier im Baj bewirtet werden, wie es sich geziemt für einen Rupak. Abreisen kannst du heute doch nicht mehr; denn die Ebbe hat den Kanal schon trockengelegt, und deine Amlais können nicht mehr zurück. Ich habe gesprochen, jetzt will ich gehen.«

Und nun verließen, schweigsam, wie die unliebsamen Gäste gekommen waren, die Rupaks von Aibukit das Baj. Voran ging Mad zu seiner Tür hinaus, ihm folgte Arda, dann Era Tabatteldil mit seiner schönen Flinte, die er, wie unabsichtlich, den Aituro sehen ließ; und auf der entgegengesetzten Seite ging Krei, noch immer den Betelbecher in der Hand, mit seinem kühnen Gefolge hinaus. Um Aituro aber scharten sich die fremden Rupaks zu eifrigem Gespräch, nicht achtend der Aufforderung der Armungul, vor dem Mittagsmahl sich noch ein wenig der Ruhe hinzugeben, da sie ermüdet seien. Galt es doch Rat zu pflegen über das Wohl des Staates Armlimui; man hatte einen solchen Stolz nicht mehr von den Großen im Staate Aibukit erwartet, der ja seiner schönsten Amlais im letzten Kriege beraubt worden war. Aber freilich, Era Kaluk war ein mächtiger Bundesgenosse für ihre Feinde; wie hatte der alte Mann sie nicht alle bei seiner letzten Reise in Zittern und Zagen versetzt! Und dann Era Tabatteldil, der nicht einmal im Baj vor den Kalids seinen Hut abnahm, das mußte ein mächtiger Rupak sein, der gewiß auch bald ein Kriegsschiff rufen würde, wenn er das nötig hätte. Aber mit seiner langen Flinte und dem kleinen Gewehr brauchte er das ja gar nicht; das waren Waffen, gewiß nicht von Menschen, sondern von Kalids gemacht, so wunderbar. Um die eine zu laden, mußte er sie immer zerbrechen und dann wieder ganz machen; das ging aber viel rascher als das Laden der ihrigen, die doch immer unversehrt blieben. Und die kleine Flinte brauchte gar nicht einmal geladen zu werden!

So saßen Aituro und sein Gefolge stundenlang im Baj, beratschlagend, was zu tun; aber unter ihnen war niemand so kühn wie Krei und so klug wie Mad. Ratlos saßen sie also da und wurden immer müder und hungeriger und stiller; und als nun die Armungul kamen, sie wiederholt zum festlichen Mahle einzuladen, da freuten sich alle, wie Aituro sich erhob, seinen Platz am gastlichen Herde einzunehmen. Ein helles Feuer hatten die dienstbereiten Mädchen angezündet, um den Döllul und den Kukau warm zu erhalten. Rund um die Lohe herum standen rote Schüsseln und zierlich mit Muscheln verzierte Trinkschalen aus Kokosnuß; zur Seite eines jeden Platzes aber lag eine gleich große Menge frisch gepflückter Bonganüsse und saftiger Betelblätter. Den süßen Trank der Kokosblüte schenkten die Armungul, von einem zum andern gehend, in die Trinkschalen ein; der Gäste Wünsche erfüllten sie freudig. Hatten sie doch lange keine so vornehmen Fremden zu bedienen gehabt; und Mad hatte ihnen ganz besonders eingeschärft, den Fürsten von Armlimui zu zeigen, daß die gute alte Sitte noch nicht in Aibukit ausgestorben sei. Nach dem eingenommenen üppigen Mahle aber ließen die Rupaks sich gern zur Mittagsruhe auf weißer Matte von den freundlichen Armungul auffordern.

Era Tabatteldil aber und Krei und viele der andern Rupaks trafen sich wieder in einem andern Baj und unterhielten sich lange noch von dem Übermut der Fremden, und wie ihr Stolz doch endlich einmal gedemütigt worden sei. Denn daß Aituro den Krieg nicht erklären würde, sahen sie alle ein, und sie hatten diesen Tag einen Triumph gefeiert wie seit langer Zeit nicht mehr. Da war der stolze Verbündete von Ebadul gekommen, weil er glaubte, den durch den Ingles gedemütigten Bewohnern von Aibukit den Fuß auf den Nacken setzen zu können. Nun konnte er nicht einmal im Zorn und unter Drohungen davonfahren, sondern mußte sich die Gastfreundschaft des gehaßten Feindes gefallen lassen. Wohl war das ein Sieg, würdig begangen zu werden; und die Armungul in ihrem Baj setzten sich schon im Kreise hin, um ein Lied auf diesen Tag zu dichten. Aber Mad wehrte den Übermütigen mit frommer Rede: »Höhnt doch die Gastfreunde nicht, ihr törichten Mädchen; morgen früh ziehen sie fort, dann ist es Zeit, euere Lieder zu singen. Wißt ihr nicht mehr, was die gute Sitte hier in Palau verlangt?« Durch das Dorf aber lief rasch die Kunde, daß der Krieg nicht erklärt würde; und in den Bajs wie in den Häusern wurde bis spät in die Nacht hinein von nichts anderm gesprochen als von den schönen Reden, die Mad und Krei gehalten, und wie gut es gewesen sei, daß Era Tabatteldil mit seiner Flinte dabeigewesen war. Der aber mußte von Haus zu Haus gehen; alle wollten ihn sehen, erst seine »Mutter«, Kreis Frau, dann Mads Schwester, die Königin von Aibukit und alle Frauen der Rupaks. Wo er aber hinkam an jenem Abend, da hieß er nicht mehr Doktor, sondern Era Tabatteldil; und eine Künstlerin unter den Frauen – sie wurde weithin gerufen nach Roll, ja bis nach Meligeok, um die künstlichen Figuren auf den Beinen der Frauen zu zeichnen –, diese Künstlerin meinte, nun müsse doch auch Era Tabatteldil sich bald von ihr zeichnen lassen, da er jetzt endlich einer der Ihrigen geworden sei.

War es ein Wunder, daß er nicht daran dachte, am Abend nach Tabatteldil zurückzukehren? Nun mußte er ja auch, gleich den andern Rupaks, im Baj schlafen, wenn er wirklich zu ihnen gehören wollte. Was sollte er auch noch am Meeresstrande tun? Arbeiten konnte er nicht mehr; denn nur noch ein dünnes Tagebuch stand ihm zur Verfügung. Sollte er sich da unten am Strande immer durch Woodin daran mahnen lassen, daß er eigentlich ein Fremdling im Lande sei?

Die einbrechende Nacht sah, auch ihn im Baj der Rupaks von Aibukit, und früh am nächsten Morgen zog er aus mit seinem Freunde Arakalulk, sich im nächsten Bache zu baden und zu waschen. »Höre,« sagte er diesem, »ich muß nun doch euer Land noch besser kennenlernen; ich will jetzt bald einmal nach Meligeok, und dann nach Korror, um Ebadul dort zu besuchen. Willst du mich dahin begleiten?« – »Jawohl, ich bin dein Freund, und ich verlasse dich nicht. An beiden Orten habe ich gute Freunde, die uns gewiß gern aufnehmen werden. Nach Meligeok müssen auch bald wohl Mad und Krei hin, denn der King von da liegt krank und wird gewiß nächstens sterben. Da könnten wir mit ihnen gehen.« – »Das ist vortrefflich; jawohl, ich will das gleich Krei sagen, wenn wir wieder im Dorfe sind.«

Wieder vergaß Era Tabatteldil, als er sich den Häusern näherte, daß er als Rupak nicht so eilig laufen dürfe. Arakalulk hatte Mühe, ihn zurückzuhalten, ihn, der nun schon wieder an nichts anderes dachte als an seine Reise nach Meligeok. Wenn nur der alte König von dort recht bald sterben wollte! »Pfui, Era Tabatteldil«, rief ihm da Doktor zu. Nun war er am Hause Kreis. »Ist Krei da oder nicht?« – » Diak« (nein), war die Antwort seiner Frau; »aber was willst du von ihm? Krei hat viel zu tun, erst muß er sich bei Aituro verabschieden, und dann muß er nach Rallap, um dort Arda zu holen. Sie wollen heute abend noch fort.« – »Fort? Krei und Arda? Und wohin? Weshalb?« – »Nun, Era Tabatteldil, nicht so ungestüm; sie wollen fort nach Meligeok.« – »Nach Meligeok? Der König ist tot? Arakalulk, jetzt reisen wir auch heute abend! Rasch laufe hinunter nach Tabatteldil und sage Alejandro, er soll mir schnell ein paar Hemden und Hosen waschen. Ich will jetzt zu Mad und sehen, ob ich auch Matten auftreiben kann – wie viele nimmt denn Krei mit?« – »Wohl zwanzig, von der allerfeinsten Sorte,« antwortete meine ›Mutter‹, »etwa sechs kann ich dir noch verschaffen.« – »Schön, nun will ich gehen. Au Mittag esse ich bei dir.« Und nun stürmte Era Tabatteldil fort, erst in den Aruau, wo er gerade noch von dem scheidenden Aituro Abschied nehmen konnte. Hier auch traf er Mad; aber dieser ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen. Als er endlich nach vielem Sprechen den gutmütigen König bewogen, ihm auch einige Matten zu geben, die er als Totengeschenk darzubringen dachte, eilte er weiter, nach Rallap zu Asmaldra, dann wieder zurück zu Cordos Vater, von einem zum andern, sich zu verabschieden oder um Matten zu erbetteln. Die Sonne stand im Westen, als er endlich wieder bei seiner »Mutter« in Aibukit anlangte.

»Du kommst spät; ich hatte so schönen Döllul für dich gemacht. Ich habe ihn warm gehalten, da ist er; aber gewiß schmeckt er nicht mehr so gut wie vorhin. Was du doch für ein sonderbarer Mensch bist! Krei ist ärgerlich, daß er nach Meligeok gehen muß; aber er muß dem verstorbenen König die letzten Ehren erweisen, das ist einmal so Sitte hier in Palau. Aber du hast nichts damit zu tun und könntest dich hier so gut amüsieren; statt dessen läufst du dich jetzt müde, bloß um mit auf die Reise zu gehen.« – »Ja, und geht Arda nicht auch? Und bin ich nicht Era Tabatteldil, ein vornehmer Rupak bei euch hier in Aibukit? Drum will ich auch hingehen und dem toten König meine Matten bringen. So, ›Mutter‹, der Döllul hat gut geschmeckt. Hast du eine Matte für mich? Ich bin müde und will etwas schlafen.«

Er mochte lange geschlafen haben, trotz des Lärms um ihn herum, den die spielenden Knaben machten. Da rüttelte ihn plötzlich ziemlich unsanft sein Freund Arakalulk aus dem Schlafe. »Doktor, Era Tabatteldil! wache auf, ich komme von unten, dich zu holen; Cabel Mul ist in deinem Hause und will dich sprechen; er sagt, es habe Eile.« – »Cabel Mul? Was mag der wollen? Du aber vergißt, daß ich nicht mehr Doktor bin. Nun gut, laß uns gehen; du kommst doch mit? Wir wollen meine Sachen aus Tabatteldil holen und zurückkehren, damit wir morgen früh genug in Rallap sind, um mit Mad absegeln zu können nach Meligeok. Good bye, ›Mutter‹«, rief er scheidend noch Kreis Frau zu, die sich auch rasch, wie Arakalulk, an den englischen Abschiedsgruß gewöhnt hatte.

»Was wohl der alte Kapitän wollen mag? Weißt du das, Arakalulk?« – »Nein.« – »Hast du ihm von unserer Reise erzählt? Auch nicht? Was er wohl will! Liegt das Schiff noch auf seiner alten Stelle, Freund?« – »Ja, aber es liegt gerade, und die Masten stehen auch wieder.« – »Wahrhaftig, Freund? Vorwärts, Arakalulk, rasch, daß ich Cabel Mul treffe. Mir ahnt etwas.« – »Was denn?« fragte jener, als Era Tabatteldil innehielt. – »Nichts, nichts; wahrhaftig, da liegt das Schiff ganz gerade vor Anker. Wie sie wieder schmuck aussieht, die alte ›Lady Leigh‹; sie ist um zwanzig Jahre jünger geworden. Da fährt ein Boot; das muß Cabel Mul sein. Nun kommen wir doch zu spät.«

Gleich darauf sind sie in Tabatteldil. »Wo ist Cabel Mul?« – »Eben fort; aber hier den Brief hat er hinterlassen, Senjor«, sagt Alejandro. Hat Era Tabatteldil keinen Blick für die muntere Miene seines Dieners? Nein, wahrlich nicht; wie sollte er auch beim Lesen dieses Briefs! »Hurra, Arakalulk, jetzt bin ich wieder Doktor! Cabel Mul schreibt, daß wir in vierzehn Tagen nach Hause segeln!« – »Und ich verliere meinen besten Freund«, erwidert wehmütig Arakalulk. – –

 


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