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Wanderleben

Schon seit geraumer Zeit hatte ich sehnsüchtige Blicke nach dem Norden geworfen, wenn mir von den Gipfeln der Berge aus, die ich bei Aibukit erstieg, die hoch oben im Meere, außerhalb des Gürtels der Riffe liegende Insel Kreiangel gezeigt wurde. Eine kleine, ganz unbeweglich liegende Wolke deutete gewöhnlich die Stelle an, wo sich dieses Atoll (Koralleninsel) nur wenige Fuß über dem Meere erhob. Es war die erste jener wunderbaren Koralleninseln, die ich erblickte, wie sie, umgürtet von Ringen schneeweißer Wellen, in ihrem eingeschlossenen See und ihrem von Palmenhainen beschatteten Lande den tiefsten Frieden einer beruhigten Natur zu schlafen scheinen. Ich hatte mir vorgenommen, diese eine wenigstens genauer zu sehen, sie zu betreten und ihrem von keinem Europäer bisher entweihten Boden die Geheimnisse abzuzwingen, die er mir für das Verständnis des Lebens solcher Inseln zu bergen schien. Ein fehlgeschlagener Versuch, das westliche Außenriff von Babeltaob zu untersuchen, steigerte nur mein Verlangen; und von jetzt an ließ ich alle andern Arbeiten ruhen und betrieb mit verdoppeltem Eifer die Vorbereitungen zu einer Expedition, von der ich mir die reichsten Ergebnisse versprach.

Meine zu solchen Vorbereitungsarbeiten gehörende Vermessung der westlichen Riffe führte mich häufiger als bisher nach den nördlicher gelegenen Ortschaften, von denen die höherliegenden in einem aufrichtig freundschaftlichen Vasallenverhältnisse zu Aibukit standen. Die bedeutendste unter diesen war Roll. Wir brachen am 15. dahin auf. Bei hoher Flut brachte uns die etwa zweistündige Fahrt an der Westseite in eine dicht mit Mangrovengebüsch bewachsene Bucht, und dem gepflasterten Fußsteig folgend, der aus dem Sumpf entspringend gleich den Abhang hinauf den Wanderer leitet, gelangten wir nach kurzem Marsch auf die Höhe der hier von zahlreichen Palmen beschatteten Hügel. Hin und wieder lichteten sich die Palmenhaine oder machten Wiesen, die von üppigem Grase bewachsen waren, oder struppigem Gebüsche Platz, aus welchem mit ihren steifen, sperrigen Ästen, die nur an den Spitzen Blätterbüschel trugen, Pandanusbäume hervorragten. Arakalulk führte mich auf eine kleine Anhöhe, von der aus ich einen trefflichen Überblick über den ganzen nördlichen Teil der Insel gewann. Die Stelle, wo wir standen, war in westöstlicher Richtung die schmälste, kaum eine halbe Stunde breit. Gleich dahinter aber, gegen Norden zu, weitete sich das Land wieder bedeutend aus, so daß das nördlichste Reich Arakalong mit seinen befreundeten Staaten auf einer mit dem Hauptlande nur durch eine schmale Landenge verbundenen Insel zu liegen scheint.

»Siehst du, Doktor,« sagte mir mein Freund, »hier dicht vor unsern Füßen geht die Grenze zwischen dem Feindesland und unserm Reiche. Arakalong ist jetzt mit Korror befreundet. Das war früher anders. Als noch dort unten (im Süden), an jener Spitze Landes, die du dort so weit gegen West ins Meer hinaustreten siehst, der Staat Arzmau blühte, waren wir alle hier im Norden miteinander verbündet. Das ist freilich schon lange her, und ich selbst lebte noch nicht, auch mein Vater nicht. Nur ganz alte Leute habe ich als Kind gekannt, die behaupteten, dabeigewesen zu sein, als jener Cabel Wils (Kapitän Wilson, der Wiederentdecker der Palau-Inseln, 1783) hier nach Palau kam und den Leuten von Korror half in ihrem Kriege gegen Meligeok. Dieser Staat hieß damals Athernal. Das waren furchtbare Schlachten, die geliefert wurden. Die Engländer brachten ihre langen Flinten und Kugeln und Pulver mit, die wir noch nicht kannten, und besiegten mit den Leuten von Korror unsere Freunde von Meligeok und uns auch. Wir mußten Frieden schließen; die Leute aus dem Westen waren schon damals zu stark für uns. Ohne sie freilich hätten die Männer von Korror nichts gegen uns machen können, denn sie sind feig, und ihr Staat ist nur klein. Aber sie sind sehr schlau. Die Engländer zogen bald weg. Einer von ihnen aber blieb in Korror und brachte seinen neuen Freunden die schönen Waffen mit, die wir so fürchten gelernt hatten. Das benutzte Ebadul. Er schloß mit Meligeok Frieden; bald nachher aber suchte er Streit mit Arzmau, das wir nicht zu unterstützen wagten, weil nun Arakalong nicht gegen die Leute von Korror focht. Arzmau wurde gänzlich zerstört; die Bewohner wanderten aus nach Meligeok. Und Ebadul hat verboten, daß es je wieder aufgebaut werde. Jetzt ist es wohl schon zu spät, die alten Leute von Arzmau leben nicht mehr, und Cabel Mul ist auch schon zu alt, um uns zu helfen, und du, Doktor, sagst ja immer, daß du nicht mit uns in den Krieg gegen Korror ziehen kannst. Ist denn das bei euch im Westen so, daß ihr dort euren Freunden nicht helft?« »Ach, Arakalulk,« erwiderte ich ihm, »das ist bei uns ganz anders. Wohl helfen sich die Freunde gegenseitig, aber doch nicht, um sich totzuschießen; dies tun sie nur, wenn der allergrößte Rupak, der King, gesagt hat, daß der Krieg erklärt werden soll. Dann aber schießen sie ganz anders aufeinander, als ihr es hier tut. Wir nehmen zwar nicht die Köpfe der Feinde mit nach Hause wie ihr; wie könnten wir auch? Da hätten wir viel zu tragen. So viele Menschen, wie ihr alle hier auf Palau seid, ganz Aibukit und Arakalong und Meligeok, Korror und Pililu zusammengenommen, werden bei uns mitunter an einem Tage getötet, und dann ist der Krieg noch immer nicht zu Ende. Da werden Städte zerstört, in denen mehr Menschen leben als auf allen euern Inseln zusammen; so weit, wie von hier nach Manila über das Meer, marschieren die Soldaten in das Feindesland hinein, und ihre Feste feiern sie dann, statt in der Heimat, oft in der fremden Stadt. – Doch sieh, was ist das für ein Dorf, das hier so dicht vor uns unter diesem Hügel liegt?« – »Das ist ein kleiner feindlicher Staat, der zu Arakalong gehört.« – »Was meinst du, Arakalulk,« sagte ich, die Flinte erhebend, »soll ich deinen Feinden einmal eine Kugel hinschicken und ihnen zeigen, daß sie vor deines Freundes langer Flinte dort nicht mehr sicher sind?« – »Nein, ja nicht, Doktor,« schalt mich mein Begleiter, »das ist gegen die Sitte. Wir machen unsern Krieg auf unsere Art. Willst du dich mit mir dort unten im Busche verstecken, so bin ich bereit; wir sind vielleicht glücklich und bringen einen Kopf mit nach Hause. Aber ins Dorf schießen, das geht nicht.« – »Nun, beruhige dich nur, ich hätte es auch gewiß nicht getan. Aber dich beschützen soll meine Flinte doch, wenn uns hier auf dem Wege vielleicht ein Feind auflauert.«

Nun ging es wieder vorwärts in nordöstlicher Richtung. Weithin gegen Norden bis dicht vor Artebiang und südlich bis hart an Aural erstreckten sich die Palmenwälder, auf der Höhe wie an dem westlichen Abhange. Unter den Palmen und durch das dichte verwahrloste Gebüsch hindurch, das hier und da mit jenen abwechselte, deuteten gepflasterte Wege, halb unter abgefallenem Laube versteckt, mit ihren nun längst verwitterten und rauh gewordenen mittlern Reihen großer Steine das Leben an, welches früher hier geherrscht haben mochte. In Gras und Gebüsch verborgen, erkannte ich deutlich die freien Plätze, welche einstmals die Häuser umgaben, und auf denen Knaben spielten, die längst Männer geworden sind oder gar schon in dem hart daranstoßenden Grabe ruhen, während nun einige grüngolden schillernde Eidechsen hier ihrer muntern Jagd nach den sich sonnenden Insekten obliegen. Bald näherten wir uns dem nicht weit vom östlichen Ufer liegenden jetzigen Dorfe Roll. Auch hier waren die Wege schlecht gehalten und von Gräsern und Gebüsch bewachsen. Die großen Bajs mit ihren steinernen, teilweise schon umgefallenen Sitzen auf dem Platze davor und ihren schönen Baumgruppen machten den Einbruch als seien sie nicht für die wenigen heutigen Bewohner bestimmt. Hätten diese doch insgesamt in einem viel kleinern Hause Platz gehabt! An den Kokospalmen hingen zahlreiche Nüsse, deren Menge offenbar den Bedarf der Bevölkerung bedeutend überstieg, und die mastbaumgleichen Bongapalmen senkten ihre langen Ähren goldgelber Früchte der Erde zu, während ihre Wipfel hoch das Dach und selbst die höchsten nebenstehenden Kokospalmen überragten.

Umgossen von dem Glanze der tropischen Sonne, umrauscht vom Getöse der brandenden Wogen des Meeres, nur halb beschattet von dem schwanken Palmenhain, lag so das verfallene Roll – ein ergreifendes Bild – vor meinen Augen. Welch ein Gegensatz! überallhin dringt hier der wärmende Strahl der Sonne, der Erzeugerin und Ernährerin alles Lebens auf Erden; Bäume und Sträucher hängen voller Blumen und strotzen von Früchten, und das Weltmeer zu unsern Füßen mahnt uns an die nie rastende Tätigkeit anderer Völker. Hier aber leben die wenigen Nachkommen eines vor Zeiten mächtigen und tätigen Völkchens in untätigem Genuß. Ihnen wirft ja die Sonne den Preis des Lebens ohne Mühe in den Schoß. – Einst war das freilich anders. Noch ist es vielleicht kaum ein Jahrhundert, da war Roll mit allen seinen weit die Höhen ansteigenden gepflasterten Wegen und freien Plätzen ein belebter, volkreicher Ort. Seine Fürsten, nicht untätig wie jetzt, berieten über das Wohl und Wehe des Staats in langen ernsten Sitzungen; ihre Macht gab ihnen auch nach außen hin die nötige Würde und Unabhängigkeit, während sie jetzt in kriechender Demut an den Beratungen der Vornehmen zu Aibukit als Fürsten zweiten Ranges teilnehmen. Feste auf Feste folgten sich; denn alle andern Stämme bewarben sich um die Freundschaft des mächtigen Reiches, und Weiber und Kinder benutzten gern jede Gelegenheit zu einem Staatsbesuch (Klökadauel) in Roll, da nirgends sonst eine solche Fülle reicher Gaben und herrlicher Lebensmittel geboten wurde. Zu dem freien Dienst in den Bajs drängten sich die jungen Mädchen aller Städte heran, ja, sie ließen sich gern in ganzen Klöbbergölls von den befreundeten Männer-Klöbbergölls aus Roll entführen! Heute aber müssen die eigenen Weiber den wenigen Männern das Essen in die Bajs bringen. Weit nach Nord und Süd zogen damals die großen Kriegsamlais aus, einen Schimpf zu rächen oder einem befreundeten Staate beizustehen – jetzt haben die Bewohner kaum Amlais genug, um auf das hohe Meer zum Fischfang hinauszufahren.

Auch Arakalulk hatte sich offenbar Betrachtungen über den hier so sichtbaren, tief ergreifenden Verfall des Nachbarstaats hingegeben. Er erzählte mir manches von der frühern Bedeutung des Staates Roll. »Aber wie mag es nur kommen,« schloß er, »daß jetzt so viele Menschen sterben? Früher waren die Kriege viel blutiger – jetzt genügt ein einziger Kopf zu einem großen Siege. Sollten unsere Frauen recht haben? Sie sagen, früher wären sie gesünder gewesen als jetzt. Wir haben hier keine solchen Krankheiten wie ihr dort in Angabard (Westen); Cabel Mul hat mir erzählt, wie bei euch oft Tausende in wenig Tagen sterben. Aber die Frauen hier sagen, sie wollten keine Kinder mehr bekommen. Seitdem nämlich die Ingleses mit Cabel Wils hier waren, sterben sie immer mit dem Kinde bei der Geburt, und deshalb fürchten sie sich davor und suchen es zu vermeiden, solche zu bekommen. Der böse Cabel Wils, der ist an allem unserm Unglück schuld. Da soll von ihm ein großes › book‹ sein in Korror – ich habe es nicht gesehen –, da soll drin stehen, wie es hier und in Korror aussah, wie in Angabard und auf den großen Schiffen von da. Wenn nur jemand von uns das › book‹ verstehen könnte. Ebadul bewahrt es in einem Schranke, ganz in der Ecke des Hauses, er hat es so lieb wie seinen Sohn.« – »Nun, da kann ich dir helfen, Arakalulk; ich glaube, ich kenne das › book‹. Wenn es das ist, welches ich meine, so ist es freilich schon lange her, als es geschrieben wurde. Es kann wohl auch ein anderes sein. Soll ich dir erzählen, was ich drin gelesen habe?« – »O ja, Doktor, aber warte noch ein wenig, ich will erst Asmaldra und Rabacalo und die andern Freunde rufen, die wollen es auch gewiß hören.«

Und als sie sich nun alle im Kreise um mich gesetzt hatten, begann ich ihnen aus dem Buche folgendes zu erzählen, das auch meinen Lesern zum Verständnis des Spätern dienen mag.

»Es ist lange her, nun gerade 80 Jahre – zweimal so alt wie du, Asmaldra, bist –, da war Cabel Wils ein kleiner Rupak in einem großen Lande, genannt India. Dies Reich wurde regiert nicht von einem King, sondern von vielen Rupaks, die aber eigentlich nur Kaufleute waren wie Cabel Mul. Sie schickten, um immer mehr Geld zu verdienen, viele Kapitäne mit großen Schiffen aus, und darunter war auch Cabel Wils, damit sie hier bei euch und anderswo Trepang und Perlmutter und Öl und andere schöne Sachen kaufen sollten. Cabel Wils aber mit seinem Schiffe war unglücklich; er strandete nicht weit von Korror und mußte sich auf Urulong – nicht wahr, du kennst die Insel, Arakalulk? – viele Monate aufhalten, bis er ein neues Schiff gezimmert hatte. Da nun Urulong sehr dicht bei Korror ist, so kamen die Leute von da bald zu den Ingleses, und da sie sehr schlau sind, so machten sie Freundschaft mit den Männern von Angabard und versuchten nicht, ihnen die schönen Sachen zu stehlen, die sie mitgebracht hatten. Das freute die Engländer wieder sehr, die eigentlich gefürchtet hatten, hier unter Menschenfresser geraten zu sein. – Ist das eigentlich wahr, Arakalulk, daß ihr hier euere Feinde verzehrt?« – »Du bist ein böser Mensch, daß du mich so fragst; oder steht das im › book‹? Dann hat auch Cabel Wils arg gelogen. Ich sehe, ihr weißen Männer seid gerade so schlimm wie wir auch.« – »O nein, Freund, das steht nicht drin; aber anderswo hier im großen Meere, dort weit hinaus gegen Osten, da gibt es viele Menschen, die auch so aussehen wie ihr Bewohner von Palau, die aber doch Menschen verzehren. Also die Engländer fürchteten sich erst; aber bald wurden sie sehr gute Freunde mit den Leuten von Korror, und sie unterstützten einander, wo es ging. Nun fingen sie ihren Klökadauel an. Zuerst kam Arra Kuker, und während dieser bei den Ingleses blieb, ging der Bruder von Cabel Wils nach Korror, um den King von da zu besuchen. Der nannte sich aber nicht Ebadul (d. h. Fürst von Korror), sondern King von ganz Palau. Nicht wahr, das war schlau?« – »O ja,« meinte Arakalulk, »die Leute von Korror sind ›stark in der Politik‹.« – »Nun kam auch bald der King nach Urulong und bewunderte sehr die Sachen der Ingleses. Aber kurz nach seiner Rückkehr wurden die Ingleses wieder furchtsam; denn die Leute von Korror benahmen sich nicht mehr so freundlich gegen sie. Doch kam es nicht zum Streite, und als der Friede wieder geschlossen war, bat Ebadul die wiedergewonnenen Freunde um Unterstützung gegen seine Feinde. Fünf Engländer, jeder mit einer Flinte bewaffnet, gingen mit in den ersten Krieg gegen Athernal. Als die große Muschel das Kriegszeichen gab, hatte Ebadul von Korror mehr als 150 Kriegsamlais bei sich. Die fünf Engländer hatten sich verteilt und waren ganz voran; und als nun Arra Kuker das Zeichen zum Angriff gab, schossen sie mit ihren Flinten einen der Feinde tot, und die andern liefen davon. Das war ein großer Sieg. Auf der Rückfahrt sang man Lieder, und die jungen Mädchen brachten ihnen überall süßen Eilaut und Kokosnüsse, und in Korror wurden die Freunde aus Angabard (Westen) zwei Tage lang gefeiert mit Tänzen und Gesängen. Aber der Staat Athernal war nicht gerüstet gewesen, und sein stolzer King wollte keinen Frieden mit Korror machen. So kam es zum zweitenmal zum Krieg. Diesmal gingen zehn Engländer mit, und als sie nach Athernal kamen, hatten sie mehr als 200 große Amlais.« – »Ach, Doktor, das waren doch schöne Zeiten, als noch so viele Menschen in den Krieg ziehen konnten. Jetzt können wir in ganz Palau kaum 200 Kriegsamlais aufbringen.« – »Ja, und dieser zweite Krieg war auch viel größer als der erste. Ebadul war selbst mit dabei, und er gab das Zeichen zum Angriff. Aber die Leute von Athernal kamen nicht hinaus ins Meer, sondern blieben am Ufer. Nun sandte Ebadul seine Befehle durch die Amlais mit den weißen Federn (Ordonnanzboote). Eine Menge Amlais legten sich hinter einer Landspitze in Hinterhalt. Dann griffen die andern an; aber die Muschel wurde geblasen, nun gingen sie alle zurück und taten, als wollten sie fliehen. Und als das die Leute von Athernal sahen, kamen sie heraus und eilten den Feinden nach; und dann kamen hinter ihnen die versteckten Amlais hervor. Nun kehrten die erstem wieder um, und die Schlacht begann. Da fielen manche euerer Freunde aus Athernal, ohne zu wissen, warum; denn die Leute von Korror machten einen furchtbaren Lärm, und jene hörten die Schüsse nicht, aber die Kugeln machten ihnen tiefe Löcher. Neun von ihren Leuten wurden verwundet gefangengenommen, darunter ein Rupak; sie wurden alle getötet. Ebadul aber zog bei allen Staaten in der Nachbarschaft vorbei und zeigte hier die toten Feinde; das war ein großer Sieg für ihn. Und die Ingleses wurden wieder bei dem Siegesfeste in Korror besungen wie das erstemal.

Athernal war besiegt, aber sein König wollte noch immer nicht Frieden machen. So erklärte Korror ihm zum dritten Male den Krieg. Diesmal aber nahmen die zehn Engländer neben ihren kleinen Flinten auch noch eine von den großen mit, die wir Kanonen nennen. Das war ein großer Zug von Amlais, die sich nun gegen Athernal bewegten; von allen Seiten waren Bundesgenossen herbeigeeilt. Aber auch Athernal hatte seine Freunde um Hilfe gebeten; da waren denn auch wohl euere Leute von Aibukit und Arzmau mit dabei. Und die Schlacht selbst war noch viel größer; wie viele von den Gütern fielen, erzählt Cabel Wils nicht, aber von den Leuten von Korror blieben 3 tot, und 40 wurden verwundet, obgleich sie auch diesmal wieder die Sieger waren. Damit war endlich der Stolz des Königs von Athernal gebrochen. Nun ward Friede geschlossen. Der Ruhm von Korrors Macht und der Tapferkeit der Ingleses ging weit nach Süden, und als einen Monat später Ebadul einen Kriegszug gegen Pililu unternahm, wagten die Leute von dort keinen Widerstand zu leisten, sondern machten gleich Frieden.

Unterdessen hatten die andern Ingleses das Schiff fertig gebaut, und kurze Zeit nach dem Zuge gegen Pililu reisten sie ab. Die Freundschaft zwischen Cabel Wils und Ebadul aber war so groß, daß dieser ihm seinen Sohn Libu mit auf die Reise gab, damit er in Angabard (Westen) sich recht umsehen und lernen solle, so schöne Sachen zu machen wie die Ingleses. Libu war froh, daß er einmal das fremde Land sehen sollte. Sein eigenes aber hat der Arme nicht wieder gesehen. In London, einer großen, großen Stadt, wo die Ingleses wohnen, starb er an einer Krankheit. Zurückgekommen nach Palau ist er aber doch, wenn das Buch, das Ebadul haben soll, das ist, wovon ich dir erzähle. Denn darin ist der junge Rupak gerade so abgezeichnet, wie er dort in Angabard aussah; seine Knochen freilich ruhen im kalten, fremden Lande. – Auch nicht alle Ingleses gingen damals von hier fort, einer von ihnen hatte großen Gefallen an euerm Leben hier gefunden, der blieb in Korror und erhielt beim Abschied eine Menge schöner Sachen von seinen Freunden. Hast du von ihm nie etwas gehört?«

»O ja, der ist aber schon lange tot«, erwiderte mir Arakalulk; »doch sage mir, steht nichts davon im Buche, wie nachher Korror immer größer wurde und Arzmau besiegte, und wie dann später die › Manila men‹ kamen und viel Unglück anrichteten?« – »Wie sollte dies doch drin stehen, das › book‹ ist ja viel früher geschrieben.« – »Wie schade das ist, ich hätte so gern noch von dir gehört, was dann später alles bei uns passiert ist. Weißt du, Doktor, unsere Leute lügen gar sehr und erzählen viele Geschichten, die machen dann ihren Weg durch das ganze Reich, und die meisten Menschen glauben sie. Nun sagen die Leute von Korror immer, ihr Ebadul sei King von ganz Palau. Das ist aber nicht wahr; und doch haben die Ingleses es ihnen geglaubt. Und ebenso sagen sie, ihr Staat sei immer der mächtigste gewesen, das ist aber auch nicht wahr. Selbst jetzt, da Arzmau zerstört und Roll so verfallen ist und immer viel mehr Menschen sterben, als geboren werden in unserm Staate, hat Korror doch noch viel weniger Männer als wir hier bei uns in Aibukit. Wo sollten sie auch früher auf ihrer kleinen Insel soviel Menschen gehabt haben? Wir haben uns nur lange vor den Flinten und Kugeln gefürchtet, die Korror hatte. Jetzt aber sollen sie nur kommen. Nun haben wir auch solche Flinten und gute Kanonen, und wenn nur der man-of-war (Kriegsschiff) nicht gekommen wäre, so hätten wir längst schon Korror besiegt. – Nun aber, Doktor, müssen wir gehen; ich habe den Rupaks von Rallap schon Bescheid gesagt, daß wir in zwei Tagen dahin kommen, und du willst ja vorher noch einmal nach Tabatteldil zurück.«

So brachen wir auf. Auf dem Rückwege aber dachte ich noch lange an das schöne, stille Roll, an den in der Fremde gestorbenen Libu und das Schicksal, dem dies kleine Völkchen seit seinem intensivern Verkehr mit den Europäern unrettbar verfallen zu sein scheint. – Ist das unsere vielgerühmte Kulturmission auf dem Erdenrund, daß wir zur Ausbreitung unserer Zivilisation erst die Völker vernichten müssen, die sie nicht ertragen können? Pfui über die Elenden, die ihren Eigennutz in die Farben der Humanität kleiden und Hekatomben von Menschen opfern, ohne zu schaudern, aber dem Wilden nicht verzeihen, daß er den Kopf seines erschlagenen Feindes als Trophäe nach Hause nimmt! Pfui über die jämmerlichen Wichte, die zur Erreichung ihres Zieles sich keiner Mittel scheuen denkt an das Opium in China! – und doch nicht den Mut haben, zu gestehen, daß sie im Kampfe ums Dasein jede Waffe und jede Kampfesweise für berechtigt halten! Wohl wünschte ich allen, welche die Segnungen unserer europäischen Kultur so hochstellen, daß sie glauben, alle andern Völker tief verachten zu dürfen, die solche Stufe nicht erreichten – wohl wünschte ich ihnen, daß sie einmal ihr eigenes Gemüt in dem Spiegel des Herzens eines solchen »Wilden« sähen: sie würden sicherlich, wie ich, den Untergang so manches Stammes als eine unerbittliche Naturnotwendigkeit anerkennen, aber trotzdem und gerade deshalb es mit mir beklagen, daß Menschen zugrunde gehen müssen durch unsere Kultur, deren sie nicht bedurften, um glücklich zu sein wie wir, oder selbst glücklicher!

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Die geplante Reise nach Rallap wurde wider Erwarten durch kein unvorhergesehenes Ereignis verzögert. Am 21. zog die gesamte Bevölkerung von Tabatteldil, mit Ausnahme von Alejandro, der als Hüter zurückblieb, über Aibukit und die dahinter liegenden Höhen an die Ostküste, wo ich in dem Baj der Rupaks von Rallap mein Lager aufschlug. Asmaldra, wie gewöhnlich mit einer Flinte, jagte mir Tauben und Enten. Arakalulk blieb immer bei mir und unterstützte mich treu in der nun beginnenden langweiligen und mühseligen Arbeit, um derentwillen allein ich die Exkursion unternommen hatte. Auf der Westseite der Insel war die Aufnahme der Riffe und der sie trennenden Kanäle so weit vollendet, als es bis dahin möglich gewesen war und als mir nötig geschienen hatte, um die Untersuchung der ganz anders gebauten östlichen Riffe beginnen zu können. Dort lag das Außenriff mit seinen hochgehenden Brechern mehr als eine deutsche Meile in nordöstlicher Richtung von Tabatteldil entfernt. Hier bei Rallap konnte man vom Strande aus deutlich die Reiher erkennen, die sich bei Ebbezeit, um zu fischen, auf den Spitzen der trockengelegten Korallenblöcke aufgestellt hatten. Dort vor Tabatteldil durchzog die durch das sinkende Meer täglich zweimal trockengelegte weite Fläche ein Labyrinth von kleinern Kanälen, die sich alle in den nur in weitester Ferne wie ein schmaler blauer Streifen daliegenden Hauptkanal ergossen. Die tiefgehenden Wogen des hohen Meeres brachen sich an der Korallenmauer und verloren sich an der Oberfläche des Außenriffes schäumend und sich köpfend. Die Wellen aber, die mitunter bei heftigem Winde gegen die Pfosten meines Hauses schlugen, erinnerten mich durch ihre kurzen, rasch und heftig sich folgenden Stöße an diejenigen unserer Süßwasserseen oder der Binnenmeere, die, ohne Flut und Ebbe, nie jene langgezogenen Wogen zu erregen vermögen wie die Weltmeere, die uns mit ihrem mächtigen, auch in der völligsten Meeresstille nie ganz einschlafenden Seegange, Botschaft aus andern Welten zu bringen scheinen. Dagegen brachen sich am östlichen Ufer die Fluten des hohen Ozeans in fast unverminderter Kraft, und von ihrer abfressenden Gewalt zeugten Ströme schwärzlichen Basalts, die hier und da bis an das Meer herantraten, dann aber stets weit hinein eine Unmasse kleiner Blöcke getragen hatten, als endlich die über dem ausgefressenen Fuße überhängenden Felsmassen durch ihr Gewicht zusammengestürzt waren. Zwischen dem Außenriff und dem eigentlichen Ufer ward die Rifffläche mit Ausnahme einiger Löcher immer bei Ebbe ganz trocken, so daß dort, wo wenige Stunden vorher die hohe Flut einen lebhaften Verkehr zwischen Süd und Nord gestattete, nun die öde Sandfläche von Scharen von Knaben und Weibern belebt wurde, die bis an das nahe Außenriff heran ihre Jagdzüge nach eßbaren Tieren ausdehnten.

Hier nun hatte ich mir vorgenommen, auch meine Tätigkeit zu entfalten. Zunächst maß ich am Ufer eine Standlinie von etwa 15 000 Fuß Länge, und dann versuchte ich durch Triangulation, indem ich die Winkel mit meinem Theodolithen maß, in möglichst weiter Ausdehnung von Nord nach Süd das Riff in allen seinen Einzelheiten aufzunehmen. Das war nun freilich keine leichte Arbeit, und mein Freund Arakalulk meinte mehr als einmal, daß in der Tat die Geduld eines Mannes von Angabard (Westen) dazu gehöre, ein solches Unternehmen auch wirklich durchzuführen. Das erste Ausmessen der Standlinie am Ufer, die ich jedoch wegen der vorspringenden Basaltströme teilweise auf dem Riffe selbst bei Ebbe abzustecken hatte, kostete uns volle drei Tage Arbeit. Dann galt es, auf den vorspringenden Ecken der Riffe und auf den höchsten Korallenblöcken Signalflaggen aufzustellen. Sie sollten mir zur Bezeichnung der Punkte dienen, von denen aus ich die Winkelabstände und Höhenwinkel der verschiedenen Bergkuppen oder sonstigen Landmarken gemessen hatte. Auch dies nahm uns mehrere Tage vollauf in Anspruch. Endlich glaubte ich mein Ziel erreicht zu haben. Am sechsten Tage hatte ich begonnen, von verschiedenen Punkten der Uferstandlinie die Winkel nach jenen Flaggen, von denen nur eine einzige durch die Brandung umgeworfen war, zu messen. Dabei hatte ich, um keine allzu spitzen Winkel der Berechnung zugrunde zu legen, von einem Punkte immer nur nach den nächsten Flaggen visiert. Leider aber hatte ich dazu Stücke des weißen Kaliko nehmen müssen, wie ihn dort die Männer so sehr schätzen. Und als ich nun am Morgen des dritten Tages, voller Freude über die bald vollendete Arbeit, wieder die Winkelmessung begann, wurden mir so nahe dem Ziele und vor meinen Augen gerade die wichtigsten Flaggen gestohlen. Als ich dann im Fürstenrate von Rallap meinem bittern Unmut über die zerstörte Arbeit Luft machte, mußte ich mir die halb lächelnd, halb würdevoll gemachte Äußerung gefallen lassen, daß es doch auch von mir nicht schön gewesen sei, ihre Leute so, wie ich es getan, in Versuchung zu führen. Hätte ich ihnen den Kaliko verkaufen wollen, statt ihn da draußen so schnöde vom Winde zerreißen zu lassen, so hätte ich gewiß viele schöne Sachen dafür erhalten können. Mit dem leidigen Troste, daß auch hier die Menschen nicht anders sind als in »Angabard« und auch sie das alte Wort vom Schaden und Spott recht gut kennen, und danach handeln, packte ich meine Instrumente zusammen und wanderte wieder nach Tabatteldil, um dort endlich die Vorbereitungen für meine Fahrt nach Kreiangel zu beginnen.

Eigentlich hatte ich dort in meiner fürstlichen Wohnung, die übrigens schon etwas schlecht zu werden begann, nicht viel andres zu tun, als meine Sammlungen, Tagebücher und Instrumente einzupacken und einer sichern Person zu übergeben, so daß ich von ihrer Absendung nach Manila überzeugt sein konnte, im Fall mein Ausflug nach dem Norden unglücklich enden sollte. Daß eine Fahrt über das hohe Meer in den schwankenden Amlais für mich, der ich doch nicht so mit dem nassen Element umzugehen gewohnt war, wie die Bewohner dieser Inseln, nicht ohne einige Gefahr sein würde, hatte ich längst eingesehen. Das hielt mich zwar nicht ab von dem Unternehmen, aber ich ließ absichtlich meinen Theodoliten, Sextanten, meine gute Uhr, Mikroskop – kurz, alle Instrumente zurück, da ich sie der sichern Taufe durch das überspritzende Seewasser nicht aussetzen wollte. Nur mit Meßleine, Signalflaggen und dem Kompaß versehen, ging ich auf die Reise. Zum Hüter meiner Sachen ließ ich meinen Alejandro in Tabatteldil, und mein »Vater« Krei und seine Frau, meine »Mutter«, zogen am Tage meiner Abreise hinunter in das Haus, um es gegen jeden Angriff von feiten irgendwelcher Feinde zu beschützen.

Am 2. Juli war alles bereit; mein Bündel war geschnürt, und nachdem ich Krei und seiner Frau, Marisseba und andern Vornehmen, die das Abschiedsfest zu feiern hinuntergekommen waren, die Hände geschüttelt hatte – was sie übrigens nur mit Leuten aus Angabard tun – wanderte ich am 2. Juli mit meinem treuen Arakalulk zum zweiten Male nach Rallap. Hier sollten wir ein Amlai finden; natürlich war es nicht da. Der eine sagte, es käme gleich, der andere, sein Eigentümer sei eben damit nach Roll gefahren. Das gab eine lange Unterhaltung; ich ließ sie schwatzen, wanderte am Strande herum und suchte Tiere und glaubte in jedem rein weißen Lendengürtel der mir Begegnenden meine kürzlich gestohlenen Signalflaggen zu erkennen.

Den ganzen Tag mußte ich meine Ungeduld meistern; das Amlai kam und kam nicht. Die untergehende Sonne sah mich träumerisch unter Palmen am Strande liegen, und aus dem Halbschlummer, in den ich hier verfiel, träumte ich mich hinein in den süßesten Schlaf, der mich bald auf dem harten Boden des fürstlichen Bajs umfing.

Früh am Morgen weckte mich Arakalulk mit froher Nachricht. »Das Amlai ist da, Doktor, steh schnell auf. Cabalabal ist auch noch gekommen, um mitzufahren, und unsre Leute essen schon. Hier hast du deine Schokolade, auch frische Bananen. Nun iß rasch, dann wollen wir fort.« Ich war bald reisefertig und auf dem Strande. Die Sonne stand etwas über dem Horizont, und in ihrem Lichte sah man die Wellen sich nur noch an den höchsten Korallenblöcken des Außenriffes brechen. »Rasch, Leute, das Amlai gehoben, daß ihr es nicht an jenen Stein stoßt. So, nun schwimmt es, Doktor; mach, daß du hineinkommst.« Und nun geht es fort, erst etwas gegen Norden, dem Kanäle folgend, dann quer gegen das Riff unter die Wogen, die sich hoch genug erheben, ohne sich freilich zu brechen. Doch kommt bald diese, bald jene Welle in unser Amlai hinein – da auf einmal ein Ruck, wir stoßen gegen einen Felsen, und im Nu sind alle Insassen, selbst Arakalulk, im Wasser drin, halb watend, halb schwimmend. Ihre Lendengürtel hatten sie vorher abgelegt und sorgfältig verpackt, um sie gegen das Wasser zu schützen. – Wir mußten zurück, das Meer war schon im Sinken und das Außenriff für diesmal nicht mehr zu passieren. Also wieder nach Rallap, wo ich mein dolce far niente vom Tage vorher fortsetzte, trotz dem besten Lazzaroni von Neapel. Nun machte ich es gerade so wie meine Besucher von Tabatteldil, wenn sie stundenlang in der Tür meines Hauses schliefen, » di melil«. Es war wirklich ein Hochgenuß, unter dem Rauschen der Palmenbäume halb zu träumen, halb zu schlafen. In Europa ist das Schlafen eine Zeitverschwendung; in den Tropen gehört es mit zu dem vollen Ausleben und der intensivsten Behaglichkeit des physischen Daseins.

Nun ging es am nächsten Tage noch früher hinaus. Diesmal sorgte ich selbst dafür, daß meine Leute rechtzeitig geweckt wurden; ich hatte endlich genug bekommen von dem ewigen Schlafen in Rallap. Wir suchten heute eine weiter nach Norden gelegene, günstigere Stelle aus als die, wo wir gestern die Überfahrt versucht hatten. Aber auch hier war die Brandung noch hoch genug. Bis etwa 20 Schritt an den Außenrand des Riffes waren wir gekommen, nicht ohne Mühe und manchen Schrecken, den uns eine besonders hohe Welle oder ein nichtgesehener Fels eingejagt hatte. Wer jemals eine Reise auf der See – ich meine auf dem Weltmeere – gemacht, oder einmal, statt träumend am Ufer zu wandeln, das Spiel der an der festen Erde unaufhörlich rüttelnden Wellen beobachtet hat, der weiß, daß ziemlich regelmäßig auf hohem Meere, weniger gleichmäßig am Ufer, aber doch immer erkennbar, drei große Wellen einer sehr niedrigen folgen. Das wußten die Insulaner ebensogut wie wir. So weit als möglich, so gut es eben noch ging, um das Boot nicht gerade unter die Brecher zu stellen, waren wir an das Außenriff herangefahren. Die dritte große Welle war eben vorüber. »Vorwärts, rasch«, ruft Arakalulk. Und alle Hände schieben mittels langer Bambusrohre das Amlai pfeilschnell über die tanzenden Wogen dahin. Nur noch einige Stöße – halt, wir müssen zurück. Da ist die Welle schon. Und so scheinbar friedfertig kräuselt die anrückende Woge nur eben die äußersten höchsten Spitzen, lächelnd in ihrer anscheinenden Harmlosigkeit; aber mit jedem Blicke des Auges wächst sie heran, näher und näher – unsre Leute schieben aus allen Kräften das Boot wieder zurück – immer drohender schwillt ihr Kamm, und gleich darauf köpft sie sich und stürzt uns nach mit Donnergetöse, zischend und sprudelnd und zürnend, daß die Beute ihr entgangen. Nur noch eine einzige kleine weißliche Locke ihres zerzausten Kammes wirft sie uns ins Boot hinein. Drei davon hätten freilich genügt, es zu füllen. Nun kam die zweite Welle, die wir schon nicht mehr zu fürchten hatten, dann die dritte. »Nun, warum geht es nicht vorwärts?« – »Nur Geduld, Doktor, diesmal bleibt uns keine Zeit. Siehst du, der Fels da kam eben etwas weiter aus dem Meere heraus als gewöhnlich, wenn die großen Wellen vorüber sind. Das ist ein Zeichen, daß die nächste nicht klein sein wird.« Und triumphierend zeigt mir Arakalulk den gekräuselten Kamm der Woge, die gegen die Regel sogar höher stieg als ihre Vorgänger. Endlich – die Sekunden kamen mir vor wie Stunden, wenn ich so eifrig wie meine Freunde das Spiel der Wellen beobachtete, um den günstigen Moment der Ruhe zu erspähen – endlich, nun ist es Zeit. Selbst Arakalulk hilft mit, ich ergreife auch eine Stange und versuche mit zu schieben. Wie das fliegt! Da macht das Boot eine kleine Wendung, ich verliere das Gleichgewicht und falle. Zum Glück hält mich Cabalabal, der Steuermann, nur mein Arm taucht ins Wasser ein. Aber wieder war der günstige Moment verpaßt; denn der kleine Unfall hatte der anrückenden Welle einige Sekunden Vorsprung gegönnt. Abermals zurück, wieder vorwärts – nun stießen wir gegen einen Stein, wir waren fast dem Sinken nahe, da der Welle nicht früh genug ausgewichen worden. Jetzt mußte das Wasser erst ausgeschöpft werden. »Seid ihr fertig? Dann vorwärts, alle Kraft darangesetzt. Diesmal muß es gelingen. – Hurra, Doktor, wir sind auf dem Riff! Siehst du die Klippen hier nebenan? Vorwärts, Burschen, vorwärts!« Schon hebt sich das Meer, ganz langsam schwillt die Welle an, keiner beachtet sie, sondern vorwärts treiben sie alle das Amlai, gönnen sich keinen Moment Ruhe – endlich sieht sich Arakalulk, der ganz vorn gestanden, mit ängstlicher Miene um. »So, Doktor, nun sind wir drüben,« sagt er jedoch, zugleich befriedigt seinen Stab niederlegend und nach dem Ruder greifend, »es war hohe Zeit. Siehst du, wie dicht hinter uns die Welle sich schon köpft? Jede große Woge bricht sich so mehrere Male, und solange man zwischen diesen Linien von Brechern ist, darf man sich nicht umsehen. Das nehmen die Götter des Meeres übel. Jetzt können wir gleich den Mast aufrichten und das Segel setzen.«

Wir hatten bald die weiße Schaumlinie der Brecher hinter uns. Aber immer noch konnten wir deutlich die Korallen am Grunde des Meeres erkennen, obgleich wir schon reichlich eine Seemeile östlich vom Außenriffe entfernt waren. Absichtlich steuerten wir weit ins hohe Meer hinein, da die Wellen auf der ganz allmählich aus der unmeßbaren Tiefe emporsteigenden Rifffläche mächtig anschwollen, und wir auf hohem Meere ruhigeres Fahrwasser gewinnen wollten. Der günstige Wind trieb uns rasch nach Norden, und bald hatten wir die Höhe des Berges von Aracalong erreicht und sahen westlich die äußerste Insel neben uns, die noch mit von dem Riffe von Babeltaob umschlossen wird. Dann ließen wir auch diese im Süden liegen, und nun steuerten wir wieder westlich und kamen endlich in das ruhige Fahrwasser des Kanals von Kossol. Die Bank dieses Namens ist von hufeisenförmiger Gestalt; sie ist gegen Nord und Ost gänzlich geschlossen durch das hier sehr hohe und bei Ebbe trockene Außenriff, während nach Süden und Südwesten hin auch bei tiefstem Wasserstande eine Einfahrt in den einer Lagune ähnlichen mittleren Raum möglich ist. Das Wasser in dem Kanal von Kossol ist hellblau, obgleich man den Meeresgrund noch nicht erkennen kann; nur mitunter erheben sich aus der Tiefe senkrecht emporsteigende einzelne Felsen bis zu 3-6 Faden von der Oberfläche des Meeres herauf – zum Beweise, daß Kossol nichts andres ist als eine unterseeische Fortsetzung der Inselgruppe der Palaus. Wenn man in das Innere des hufeisenförmigen Riffes eindringt, mehren sich diese Korallenfelsen und verwachsen schließlich, indem sich der Meeresboden ganz langsam erhebt, mit der inneren Seite des eigentlichen Riffes. Auf diesem verzehrten wir unser Mittagsmahl, dem wir als Leckerbissen einige ganz besonders große Riesenmuscheln hinzugefügt hatten. Dann ging es an der Nordwestseite, nicht ohne einige Mühe uns durch die mäandrisch verschlungenen Kanäle hindurchwindend, wieder hinaus ins offene Meer. Ein starker westlicher Seegang empfing uns. Hier aber war der äußere Abfall des Riffes ein außerordentlich steiler; denn schon 150-200 Schritt von seinem Rande war die Farbe des Meeres dunkler als in 1-2 Seemeilen Entfernung vom östlichen Riffe und in dem Kanal von Kossol, in dem die Tiefe aber nach den Angaben der Karten nur zwischen 40 und 60 Faden schwanken soll.

Nun konnten wir auch schon deutlich die hohen Palmenbäume der Inselgruppe Kreiangel erkennen; denn es trennte uns nur noch der 4 Seemeilen breite Kanal von dem ersehnten Atoll. Fortwährend blieb der Wind günstig und trieb unser Amlai rasch über die dunkelblaue, fast schwärzliche Wassermasse des Kanals hin, in dem hier und da kleine Wirbel von der Gewalt des von Westen nach Osten eilenden Stromes zeugten. Schon traten die einzelnen Inseln hervor, wir sahen deutlich den schneeweißen Saum des Sandes am Fuße der Palmenhaine und der niedrigen, schon in ihren einzelnen Baumformen deutlicher werdenden Gebüsche. Aus einem derselben steigen Rauchwolken kräuselnd empor. Nun kommt Leben in die Sandklippen und Felsen, sie scheinen sich rhythmisch zu heben und zu senken, – das sind die sich brechenden Wellen, die bis hart an den Fuß der Inseln heranschlagen. Mehr und mehr tritt die Schaumlinie hervor, indem sie sich von der südlichsten Insel entfernt, die wir als deutlich von den übrigen gesondert erkennen können. Nun bemerken wir auch gegen Westen den Schaum der gebrochenen Wellen, aber weitab vom Lande, ohne die Spur einer Insel. An der südwestlichsten Ecke ragen mächtige schwarze Blöcke zwischen den weißen Wellköpfen hervor – ob das wohl Lavablöcke sein mögen? Jetzt ist der Kreis ganz geschlossen. Wohin wir sehen, gegen Nord und Süd, Ost und West, ein Ring von so reiner Weiße, wie sie nur noch der Tropikvogel, der Karamlal, in seinem Gefieder zeigt, und von dem blendenden Weiß eingeschlossen ein See vom durchsichtigsten Blau und Grün, dessen glatte Oberfläche nur noch hin und wieder von dem allmählich ersterbenden Winde gekräuselt wird. Uns aber warfen draußen die Wogen des »Stillen« Ozeans tüchtig auf und ab, als wir uns nun anschickten, abermals den gefährlichen Riffübergang zu versuchen. Noch war das Wasser zu niedrig. So mußten wir, draußen vor dem Außenriff ankernd, einige Stunden warten, bis endlich – die Sonne war schon im Sinken – das Wasser so hoch stand, daß wir den Übergang wagen konnten. Wir waren glücklicher als am Morgen. Ohne Unfall, gleich beim ersten Anlauf, gelangten wir über das Riff in die Lagune und ruderten nun, da gänzliche Windstille herrschte, mit lautem Hallo und begleitet von einigen andern Amlais, die uns zu begrüßen gekommen waren, an den kleinern Inseln des Südens vorbei der einzigen bewohnten nördlichsten zu.

Die Sonne warf uns, schon zur Nachtruhe in ihr »Haus« niedergetaucht – um mich eines der einheimischen Phantasie erwachsenen Bildes zu bedienen – noch einen glühenden Scheidegruß zu, als wir schon ganz nahe dem Ufer waren. Wenige Minuten später umhüllt uns dunkelste Nacht. Aber dort unter den Palmen, die in der Dunkelheit wie mächtige Riesen in den Himmel zu wachsen scheinen, bewegen sich kleine glühende Punkte, Leuchtkäferchen gleich, dem Ufer zu. Weithin hallt der langgezogene Gesang, mit dem unsere Leute im Takt den Ruderschlag begleiten. In einer Lücke zwischen den Küstern Palmen, die jetzt scheinbar über unser Boot herüberhängen, glänzt das südliche Kreuz uns entgegen. Nun sind wir am Ufer. Alle Leute springen ins Wasser, um das zarte Amlai gegen jeden Unfall zu bewahren, im nächsten Augenblicke steht es fest im Sande, und Arakalulk gibt mir die Hand, mich zu stützen bei dem Sprunge ans trockene Land. »Olokoi! Freund Arakalulk, du?« so ruft einer der gespenstigen Schatten, die uns mit ihren lustig geschwungenen Fackeln grell ins Gesicht leuchten. »Jawohl, Freund Aruangl, ich bin es – und das hier ist Doktor, mein weißer Bruder. Er will euer Land sehen; denn er ist sehr neugierig. Doch ist der King nicht da?« – »Der schläft schon lange in seinem Baj.« – »Nun gut, das macht nichts. Vorwärts, ihr Leute, hier nehmt die Sachen, Doktor ist müde und auch Gonzalez – ein kleiner Rupak aus Manila – Freund Aruangl, will gern schlafen.« Es dauerte nicht lange, so umfing uns alle im Baj des Freundes von Arakalulk der sanfteste Schlaf.


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