Willi Seidel
Der Sang der Sakije
Willi Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Diener der ganz Verworfenen

Und an jenem Tag wird der Sünder seine Hände beißen und sprechen: »Oh, daß ich doch einen Weg mit dem Gesandten gegangen wäre!«

                    Koran, Sure der Unterscheidung.

Als Daûd in derselben Mandara erwachte, tat ihm sein ganzer Körper weh. Gleichwohl erhob er sich, kleidete sich unverzüglich an und stellte sich pünktlich der Abmachung gemäß auf der Bank ein. Er ward dem Direktor durch einen Kawassen gemeldet.

Succetti=Pascha erhob sich von seinem Mahagonidrehstuhl und führte ihn in ein Räumchen, das er ihm als seine künftige Wohnung vorstellte. Hier gab er ihm einen Anzug von englischem Stoff, der an dem jungen Orientalen hinlänglich exentrisch aussah. Und während Daûd sich umzog, kam des Direktors große Nase, sein greller, prüfender Blick noch mehrmals durch die Tür herein und kritisierte dies und das, ja, der Mächtige half ihm selbst (auch wo es augenscheinlich erübrigte) bei der Metamorphose. So trug denn Daûd von nun an glockenförmige Hosen, und sein Jackett stand von den Hüften ab. Die sehr tief ausgeschnittene Weste ward durch eine billige, schreiend gelbe Krawatte gehoben. Ein giftgrünes Hemd fand Succetti=Pascha hübsch und entzückte seinen Träger. An die Füße zog man dem Jungen ausgetretene Tennisschuhe. Daß er den Tarbusch aufbehielt, verdient keine Betonung.

Succetti-Pascha erfreute sich, was sein Privatleben anlangte, nicht gerade des blendendsten Leumunds. Lange im Orient ansässig, hatte er sich dessen anrüchige Eigenschaften (somit also die dem Fortkommen hierzulande förderlichen) mit der Mimikry des Juden zu eigen gemacht. Geizig, jäh in Aufwallungen und aus Gemütsbeschränktheit skrupellos, war er von einer geradezu habgierigen Lüsternheit besessen, die die der Eingeborenen schier noch überbot – und dazu gehörte etwas! Man erzählte sich unter den niederen und karrierelüsternen Angestellten, daß, um ihn geneigt zu stimmen, eine zeitweise Überschreibung selbst nächster weiblicher Verwandten auf ihn von großem Vorteil sei, und daß er Toleranz in diesen Dingen äußerst hoch einzuschätzen wisse. Bisweilen ließ er sogar einen einseitigen Schwachkopf bis zum Bureauchef gedeihen, wenn man seine Schwäche für ein diskretes Angebinde bewußter Art unaufdringlich auszubeuten verstand...

Doch eine Sicherheit war das keinesfalls und durchaus kein Spiel mit reellen Werten, denn es konnte geschehen, daß er dem Ärmsten aus heiterem Himmel heraus ein Bein stellte, als tückischer Boreas sein Existenzgebäude brutal aus den Fugen blies und ihn unverdientermaßen wild beschimpfte... erklärlich darum, daß es viele gab, die ihn haßten. Aber seine Macht war groß; und er brütete sie immer reifer wie je ein Geierweibchen, das auf seinen Eiern saß und nach Störenfrieden hackte.

Daûd ward zunächst einem niederen Beamten als Beihilfe zuerteilt. Hier erhielt er ein enthaltsames Drehstühlchen, und der fadenscheinige Grieche, der ihn beschäftigte, war seine einzige Gesellschaft. Sie konnten sich französisch verständigen. Der Grieche war stets betrübt und hatte die Farbe von Leberkranken in dem regelmäßig geschnittenen, aber unjugendlich faltigen Gesicht. Es hieß, daß er zwei wunderschöne Schwestern besitze... Einmal erschienen diese in der Bank mit riesigen rosa und blauen Straußfederhüten und großen Battistrüschen unter den ovalen, leeren Gesichtern. Sie schwatzten außerordentlich schnell, wobei sie mit kleinen Seidenschirmen gestikulierten. Sie kamen, um Succetti-Pascha um Aufbesserung ihres Bruders zu bitten... Man wies sie ins Office, und nach einer zweistündigen Unterredung hatten sie ihren Zweck erreicht.

Der Grieche war, was Daûd in Erstaunen setzte, sehr gleichgültig über diese Zulage. Ja, sein Gesicht schien seitdem noch faltiger und noch gelber zu werden... Hätte man dem jungen Ägypter auch einen Blick durch die soziale Brille des europäischen Empfindens gegönnt, er hätte nichts gesehen; vielleicht hätte ihn das Unpraktische an dieser Moral sogar zum Lachen gereizt. So aber blieb es ihm vorbehalten, sich vergebens abzugrübeln, was wohl der Grund von des Griechen Trübsinn sei. Bei den großen Volksfesten verwandelte er sich in den früheren Daûd. Dann steckte er mit Abu-Katkûs und dessen scherzhafter Tafelrunde zusammen und verpraßte sein halbes Monatsgehalt in elementaren Genüssen. Jedes Pfund, das er einnahm, mahnte ihn an den nächsten glänzenden Markstein seines dürren Drehstuhldaseins. Derlei Erholungen waren: das dreitägige Beiramfest, der Gedenktag der Seijide-Seynab, das Jom-Aschûra mit seinem toll-berauschenden Blutdunst in der Khamsani, die Rückkehr der Mekkapilger, die großen Prophetenfeste und das Chamm-en-Nessim, mit dem man den Frühling begrüßt... Doch wenn er sich auch bei diesen dröhnenden Volksbelustigungen, bei dem herrlichen Taumel in den engen Gassen (unter dem rötlichen Schein unendlicher Lampen und grob geschliffener Kronleuchter) von ganzer Seele ausgab, mitschrie, mitrannte – den Kopf, ja, das ganze Wesen erfüllt von allumschlingender, zujubelnder Wonne –, so geschah es doch, daß er nach Schluß der Bank in seinem europäischen Anzug zu Shepheards Terrasse ging, sich dort in einen Korbstuhl setzte, einen Kaffee trank und mit grübelndem Blick das reiche englische Publikum musterte, das dort aus und ein wandelte; ja, sich sogar bei unbewußter Kopie solchen Gehabens ertappte... Dabei drängte sich die verklungene Zeit wieder unmittelbar heran mit all ihrem Gemisch von lähmender Befangenheit und Ablehnung, von Stolz und schwerblütigem Neid... Er begriff jetzt, daß all dies Wohlleben nur die äußere, unausbleibliche Frucht einer emsigen, zähen Arbeit war; daß diese Leute die Pfunde, die sie in Bewegung setzten, in saurer Eigenbeherrschung verdient hatten, in honett durchgeführten Intrigen, in schweißerzeugender Hirnarbeit und durch geheime Selbstentäußerung, die ihnen tausend gründlich überdachte und hundertfach debattierte Bestechungen gekostet... bis sie dastanden, bis sie die Fäden vereinigten, bis sie sagen durften: »Verzeihung, aber dies Ressort ist nicht mehr zu vergeben!« Es sagen durften erbosten Würdenträgern ins Gesicht, mit kalter Sachlichkeit; eine Hand in der Militärverwaltung, der knappen Maschinerie, die das Land zu seinem eigenen Schutz bezahlt! – Und die andere leger zu freundschaftlichem Shakehand vorgestreckt...

Aber er war reifer geworden! Es war ihm jetzt klar, daß er, wenn er auf Kosten dieser Leute in die Höhe kommen wolle, einen Kompromiß mit dem allen schließen müsse! Und – nachdem er die Notwendigkeit des Kompromisses klar erkannt – (hatte er ihn nicht schon geschlossen, als er sich für die Bank dieses Succetti-Pascha werben ließ?), sah er ihn überall, und in seiner Ausübung lag alle Kunst, lag die große und einzige Kunst dieser politisch so wankelmütigen und geschäftlich so vielfarbigen Tage.

Ja, von seinem Finanzbuch aus, als kleiner, schlecht bezahlter Buchhalter, merkte er die Unruhe, die in dem Betriebe steckte, den Puls der Machinationen des jungen Ägyptens, die immer üppiger aufschießenden Umsaßtriebe, beherrscht von jener zahlen- und zukunftsschwangeren Nachricht, die die provisorische Vollendung des Staudamms meldete. Er kannte den pompösen Riegel, den man dem Wasser vorschob, um es zu zwingen, mit der aufgestauten Wucht eines Kubiklilometers seinen Segen durch ein Netz sinnreicher neuer Kanäle über ein doppeltes Areal kulturfähigen Bodens zu pressen... Dort war es gewesen, in Assuan, wo Daûd seine wildesten Herzaufwallungen ausgetobt; wo jener Tempel ertrank; wo der weiße Knabe ihn vor sich Hergetrieben und mit knapper Geste unter die Fuchtel gezwungen hatte: – die Fuchtel eben des jetzigen Regimes. Dagegen nützte keine Kraft; man mußte es schleichend anbohren und seinen Spionen mit gleich verstecktem Eifer Widerpart halten! Was nützte aufheulender Krampf, groteskes Zurschaustellen eigener Rassenohnmacht! Was nützte Gefühlsverschwendung diesem Maschinenvolk gegenüber, das das Land mit eraktem Griff an sich riß! Das dem Khediven keinen Thron, sondern nur einen kleinen Schemel zugestand, von dem aus er – Farce eines Herrschers – keine Ordern mehr ausgeben durfte als die, mit denen er sich als Privatmann bereicherte!

Es dem Khediven nachzutun, sich wenigstens mit Geld zu verbarrikadieren, in der Eingeborenenregierung zu sitzen und englischen Subalternen die Zähne zu blecken – das war die Losung dieser Zeit. Den Geist beweglicher Semiten an Stelle dieser frostig kalten und in Hochmut erstarrten Gehirne zu setzen! In die meisten höheren Stellen waren bereits diese fremden, aufdringlichen Kuckuckseier gelegt, die in der überreichen ägyptischen Sonne in gleichem Tempo reiften wie all die netten panislamischen Pläne, die sie mit ihrer harten Schale aus dem Wege drückten!

Denn dem eingeborenen Araber war das Geschäft von jeher Elementartrieb und willkommene Befeuerung seines trägen Daseins; nun endlich ist die Zeit da, das Großgeschäft klopft an seine Tür, und er möchte gern heran! Jetzt verschmäht er keine Zinsen mehr; jetzt wird er euch zeigen, ihr bleichen Fischblütigen, daß er gleich euch zum Spekulanten geboren ist! Und es wird sich zeigen, womit man mehr erreicht, mit verschmitzter Kombination hinter brauner Stirn oder mit eurer billig zugreifenden Grobheit! – – – – – –

Mit dem Publikum war Daûd trotz seinem Verlangen noch nicht in den Schalterkontakt geraten, der Einblick in den Umsatz einer Bank gestattet. Succetti-Pascha beeilte sich auch noch nicht, ihn avancieren zu lassen; allem Anschein nach war er zu schwer beschäftigt, um die Wahl neuer Kandidaten für das nächsthöhere Vertrauensfach in Berechnung zu ziehen. Da wollte es der Zufall, daß Daûd einmal ins Office trat, als Succetti-Pascha schlief.

Mehrere Dokumente lagen offen auf dem Tisch. Daûd wollte sich zunächst empfehlen, um den Machthaber nicht zu stören. Der Direktor hielt die kaum erloschene Zigarre noch in der Hand; es sah aus, als habe die Erschöpfung seines verantwortungsvollen Amtes ihn plötzlich überwältigt. In Wahrheit hatte er bei Befolgung gewisser diskreter Bedingungen, die er an die Karriere eines Angestellten geknüpft, des Guten zuviel getan: davon zeugte ein durchdringendes Parfüm, das die Luft noch schwängerte, und die Lider, die schlaffer als sonst auf den vorgewölbten Augäpfeln ruhten.

Der Mittelpunkt des Ganzen schlief! Das Zentrum des fiebernden Verkehrs war gelähmt!!

Daûd überlegte. Er schlich näher und gestattete sich einen Einblick in die offenen Papiere. Siehe da: er erkannte, sorgfältig gebucht, eine große Schiebung, einen Trick von außerordentlicher Tragweite und genialer Unverfrorenheit, bei verfrühter Verlautbarung ohne Zweifel dazu angetan, dem Urheber zu jahrelanger zwangsweiser Überprüfung bei unauffälliger Lebensweise zu verhelfen.

Nachdem Daûd dies erkannt, dämmerte ihm, daß die Möglichkeit gegeben sei, sein Avancement zu beschleunigen, so wie man einem störrischen Esel einen kleinen, aufmunternden Tritt gibt. Er machte einen scheinbar absichtslosen Lärm, und der Würdige wachte auf. Zunächst wohl fuhr seine Hand erschrocken nach der bewußten Bilanz; dann jedoch, als Daûd eitel Unschuld schien, verwies er ihm mit großer Heftigkeit, unangemeldet hereinzukommen.

Daûd krauste die Nase und nahm den Verweis entgegen. Doch sprach sich etwas in seiner Miene aus, was dem Direktor nicht entging ... er blinzelte und versank in Brüten, wobei er den Blick stier auf die offenen Papiere heftete ...

Nach der darauffolgenden Unterhaltung schied Daûd als geheimer Vertrauensmann.

Er war die wandelnde Diskretion. Er nahm die Last des widerwillig Geoffenbarten auf sich wie ein unbescholtenes Mädchen eine beginnende Schwangerschaft. Ein Schweigen strahlte eisig von ihm aus; die Mitwisserschaft machte ihn stumm, gewandt und frech. In der nächsten Zeit war er oft im Office. Man redete lange und leise; und lauschende Ohren kehrten sich resigniert von der Tür ab. Dort drinnen gebaren sich unergründlich verschlungene Unternehmungen; jedesmal schoß Daûd erhitzt heraus, als ob er der Kühlung bedürfe. Seinem Dienst kam er mechanisch nach.

Plötzlich, mit schlanker Überspringung jenes Griechen, erhielt er einen besseren Platz in der Buchhaltung.

An seinem neuen Posten nun sah er schnell genug, wie eine neue Zeit sich unverkennbar äußerte: Diese Abteilung war ein wahrer Taubenschlag von Papieren aller Art, die hinaus und herein flatterten, begleitet von dem unablässigen Geklingel der Pfundstücke auf den abgenützten Marmorschaltern. Hei, und was waren das für Papiere? Finstere, unbekannte, von gestrigen Gründungen ausgegebene; die wimmelten heran, trugen am Kopf pompöse Bezeichnungen blutjunger, großenteils nur auf Prospekten vorhandener Gesellschaften und heckten Geld, in kurzer Zeit viel Geld; das mußte man ihnen zugute halten. Offenbar also ging es mit dem wirtschaftlichen Aufschwung rapid in die Höhe; und die bewährtesten dieser neuen Vögel, die Egyptian Estates, wurden auf einmal zu Heiligtümern und bekamen gleichsam einen goldenen Rand; man packte sie nicht mehr in Bündeln und mißmutig als totes, hoffnungsarmes Kapital auf die Seite, sondern man ergriff sie mit spitzen Fingern einzeln und tat sie voll Ehrfurcht in den Tresor. Man blickte sie liebevoll an; man riß sich um sie und behielt ihre gesegneten Nummern im Kopf.

Und Daûd überlief es oft wie ein Fieberschauer. Allah! Was war das! Was kam jetzt für verschiedenartiges Volk in der Halle unter dem Glasdach zusammen! Er hatte ganz große Augen; seine Hände unterfertigten, schoben Quittungen auf die Messingrutschbahn der benachbarten Kasse; seine helle, wohllautende Stimme überschlug sich vor Eifer und verzweifelter Neugier ...

Klaren Blick mußte er sich wahren! Was wollte der schmutzige Fellache dort? Eine »Ritz«? – »Es ist gut! Nur schnell heran! O Abu-Nôm, du Vater des Schlafes! – Hast du Geld?« – »Aiowa! Hier!« – Und die schmutzige Hand fischte zwei Pfund aus dem schäbigen Wollbausch und raffte die Aktie an sich ...

Von überall flogen die Papiere heran und wurden zugelassen. Auf jeden Fetzen kahlen Sandes ... Drei, vier Leute taten sich zusammen, nannten sich »Gezírê Development Co.«, steckten die Grundrisse ab und kümmerten sich nach dieser Scheintätigkeit keinen Deut mehr um die Plätzchen, während sie selbst mit wackelnden Tarbuschen an den Börsenschaltern klebten, um mit innigem Vergnügen wahrzunehmen, wie man sich um ihre Papiere stritt. Sie ließen sie sich zu phantastischen Kursen gemächlich aus den Klauen reißen und diktierten auf Wochen hinaus vor Behagen wiehernd die Prozente für die nächste Serie.

Daûd erkannte einige der fetten Schnarcher aus dem Hammam wieder, und sie selbst waren keineswegs verblüfft darüber, daß sie seine Bekanntschaft an dieser Stelle erneuerten. Ja, sie weihten ihn ein; sie überließen ihm kulant unter zärtlich heiserem Flüstern mehrere Papiere weit unter dem Kurswert ... Kurz, Daûd profitierte. Und vom erstenmal ab, wo er das tat, dämmerte ihm, daß er von nun an auf eigene Rechnung Geschäfte machen könne, in großem Stil ...

Doch noch hatte er kein Geld, keine Basis!

Eines schönen Tages erschien Abu-Katkûs. Es gab Daûd einen leichten, freudigen Chok, als er ihn sah, und seine Augen funkelten. Er bediente ihn mit zehn Hotelaktien, schweren, trächtigen Vögeln einer neuen, sehr viel versprechenden Gründung. Abu-Katkûs schüttete sein Gold aus dem mitgebrachten Seidensäckchen und wollte bereits von hinnen wandeln, als Daûd ihn anrief und ihn bat, ihm später, nach Börsenschluß, eine Unterredung zu gönnen. Sie begaben sich seitwärts und setzten sich in ein Café ganz in die Ecke. Abu-Katkûs glänzte vor geschäftlicher Genugtuung. »O mein Freund,« sagte Daûd, »ich werde dich um etwas bitten, und du wirst mein Herz nicht betrüben.«

»Gott wird dir geben, du Ursprung der Grazie«, erwiderte Abu-Katkûs und stieß auf, denn er hatte soeben einen Kognak auf eine fette Hammelmahlzeit gesetzt. Er sah Daûd mit schwimmenden Augen an und dachte dabei an die Zeit zurück, da dieser mit der gleichen, verschämt-frechen, etwas gefallsüchtigen Pose als erfolgreicher Magnet hinter seinen Schuhen geweilt. Er gedachte auch jener Abschiedsmahlzeit in seinem Hause, und eine gewisse, von Entsagung und ausschweifenden Wünschen angenehm belebte Schwäche kam ihn an, als habe etwa ein vertrautes Laster ihm einen anheimelnden Stoß in die Weiche versetzt; ein Laster, das ihn von jeher möglich und amüsant dünkte wie allen seinesgleichen in dieser – ach! – so herrlich verderbten und ausgiebigen Stadt.

»Was heißt das: Gott wird dir geben!« sagte Daûd mit gereiztem Lächeln. »Ich bin nicht meskin und will keinen kleinen Piaster. – Es gilt eine große Sache: horche zu.« Und er teilte ihm etwas mit, worüber der Kaufmann seine Gedankengänge flugs in eine andere Richtung steuerte; ja, mit der Zeit rückte er schwer und wuchtig samt seinem Stuhl heran, so daß Daûd halb unter den breiten Falten seines olivfarbenen Kaftans verschwand. Abu-Katkûs' Kopf bebte auf dem feisten Hals; seine Augen wurden grellrund; er begann asthmatisch, wie ein Stier, zu schnaufen und vertilgte unzählige Zigaretten, während die Mitteilung, die Daûd in blitzschnellem Satzgefüge hervorstieß, in sein Hirn einging und darin zu schimmern begann wie eine angeschürfte schwere Erzader in bisher ungenütztem Stollen.

Es war davon die Rede, daß eine belgische Gesellschaft mit großem Kapital von einer riesigen Gründung einen großen Posten Aktien blanko auf den Markt werfen werde; eine felsensichere Sache. Sich hier im voraus zu engagieren: ha, das hieße ein Geschäft! Es überlief Daûd wiederum heiß und kalt, als er dies Geheimnis Succetti-Paschas dem Krämer verriet.

»Doch der Preis für die Indiskretion – horche zu, Abu-Katkûs – ist der, daß du mir eine große Summe in die Hand gibst. Das ist dir eine Kleinigkeit. Wir machen die Sache getrennt. Der Direktor darf keinen Wind bekommen, sonst legt er die Hand früher auf das Geschäft und wirft mich heraus. Die ›,Expreß-Nile-Co.‹, – lausche mir gut, du Schêsch der Schustergilde! – sind eine horrend fruchtbare Anlage. Ich weiß es aus bester Quelle ...« Und Daûd setzte ihm noch die Gründe blitzschnell auseinander, die Chancen, die die Papiere hatten, die wahrscheinliche große Hausse ... Dann verstummte er plötzlich, verstummte jäh.

Wem sagte er das alles?

Abu-Katkûs saß schwer atmend da und stierte ihn ohne den geringsten Ausdruck an wie aus einem Trancezustand heraus. Der junge Daûd, der alles aufs Spiel gesetzt, ward von einer dunklen, peinigenden Angst ergriffen. Wie? Wenn dieser Mann jetzt aufstünde und hinausginge? Wenn er ein Schwein wäre und mit der Beute dieser billig erlangten Kenntnis skrupellos Wucher triebe? Wenn er ihn überginge? – Was war er selbst, er, Daûd? Ein Junge noch, dem man die Ärmel um die Ohren schlagen durfte!

Daûd betete im Inneren: »O Abu-Katkûs, ändere deine Mienen; o sprich, du alter Halunke, entlaste mein Gewissen, laß ein einziges solidarisches Fältchen in deinen Zügen erblühen!«

Doch Abu-Katkûs schwieg und stierte ihn an. Zwischendurch trommelte er einen kleinen verlornen Marsch mit seinem Stöckchen, das er zwischen den Schenkeln hielt. Es war Daûd, als sei der Takt dieses Stöckchens der einzige Lärm in einer hoffnungslosen Wüste ... Kaum vernehmbar daneben schien der Schritt des griechischen Kellners, der, vom Fieber der Zeit ergriffen, in schwerer Neugier sich in der Nähe unnütz zu schaffen machte ...

Endlich kam es wie eine Erlösung über Daûd ... Es fiel ihm etwas ein. Ja, es fiel ihm ein, daß Abu-Katkûs' Gewissen selber nicht sauber sei, und daß es nur einer vorsichtigen Erkundung bei Succetti-Pascha bedürfe, um dem Krämer heimzuleuchten, noch ehe er sich von der gefürchteten Seite zeige ... Ja, das war es jetzt auch zweifellos, was jener bedachte; er überlegte offenbar nur noch, ob er ihm, Daûd, diesen Schritt zutrauen könne. Im Laufe dieses verbissenen gegenseitigen Gedankenlesens gewann Daûds Gesicht den früheren Ausdruck wieder; ja, es schimmerte plötzlich von Keckheit und gaminhaftem Gleichmut.

Nun war Abu-Katkûs mit seiner Überlegung fertig, blies die Backen auf und erklärte sich unter großem Gebärdenspiel zu dem Streich bereit. Es kam jetzt auch zutage, daß sich seine Überlegung just so abgespielt hatte, wie Daûd angenommen, und als die offenen Bekenntnisse gefallen waren, begann Abu-Katkûs zu lachen: mit tiefer Halsstimme, rasselnd, ausdauernd und dröhnend, und zwischendurch schlug er seinem Spießgesellen klatschend auf die Knie ...

Am nächsten Tag rief Succetti-Pascha Daûd ins Office. Ehe er sprach, beroch er ihn gleichsam mit seiner Säbelnase, doch Daûd hielt stand. »Abu-Katkûs war heute hier«, sagte er. »Er hat sich tausend Aktien vornotieren lassen, de Vries, die erst morgen zur Ausgabe gelangen.«

»Ich habe sie ihm nicht verkauft«, bekundete Daûd, und er nannte einen anderen Clerk, dem er die Sache unter einem Vorwand zugeschoben hatte. »Maalesh!«

»Das ist euer verflucht billiges Wort!« krächzte der Direktor auf. »Schwindle nicht, Hundesohn! Du hast es diesem Gauner verraten!«

Daûd nahm sich zusammen, so krampfhaft, daß ihm die Tränen ins Auge schossen. Den »Hundesohn« steckte er ein. Hier handelte es sich um mehr als um die Hinnahme einer landesüblichen Beschimpfung.

»Sie wissen so gut wie ich, daß Abu-Katkûs Talente hat. Er hat das anderswoher erfahren; mein Gott, Succetti-Pascha, die Leute haben ihre Quellen ... Denken Sie, wie überall die Ohren offen stehen jetzt, wo jeder Fellache Kredit auf imaginäre Aktien bekommt! Ich für meine Person habe ihm nichts verraten ...« Er sagte noch manches vom Interesse der Bank und beteuerte ein zweites Mal seine Unschuld, freilich mit Umgehung jeder Eidesformel, was Succetti-Pascha jedoch nicht merkte.

Hier stand dieser geborene Betrüger im großen Stil, dessen Hände hinter dem Rücken dreimal soviel verbrachen, als sie von vorn Gutes stifteten, und fragte ihn mit Grabesstimme und moralschwangerer Betonung: »Ist das wahr?« – – – Und Daûd, regungslos, erwiderte: »Fragen Sie ihn selbst!« Worauf Succetti-Pascha, die Komik der Verhandlung erkennend, und müde, an einen Orientalen ein Gewissensvotum zu stellen, unwirsch zu einer anderen Besprechung überging ..

Abu-Katkûs verdiente im Laufe der nächsten Zeit an jedem Papier vier Pfund, und wenn man ihn später darauf anredete, pflegte er zu sagen: »Was hat Gott nicht gegeben!« Er liquidierte zwar noch etwas zu früh, doch war er sich in dieser Vorsicht mit Daûd einig, der ihm das Vorgestreckte mit Zinsen pünktlich zurückerstattete und selbst ein kleines Vermögen erhielt.

Er war selig. Er hatte nun alle Möglichkeit, auf eigene Hand Geschäfte zu machen.

Hei! Und die Zeit wurde immer lebendiger. Eine Menge von kleinen Gesellschaften konstituierte sich. Daûd, von seinem Schalter aus, durchschaute bald genug das Anrüchige, das diesen Gründungen anhaftete; und Succetti-Pascha erkannte immer mehr, welch eine wertvolle Kraft er sich in ihm (auch zu seinem rein persönlichen Gebrauch) gekapert. Denn wo gab es einen, der so geschickt und zuverlässig kombinieren konnte, welch einen Preis eine Aktie vertrug? Wo gab es einen, der gleich liebenswürdig und unschuldig am Schalter zu geschäftsunkundigen Leuten sprach: »Glauben Sie mir (im Vertrauen gesagt!), die ›,Baehler‹, erleben noch ihre zwanzig Prozent!« oder der mit leichtem Augenaufschlag so nebenhin fallen ließ: »Welche Chancen, mein Herr!« Wo gab es einen, der gleich darauf ins Office stürzte und rief: »Die ›,Baehler‹, stoßen wir lieber heute als morgen ab, ich glaube, sie sind faul!«

Oh, Daûd, dies Lamm am Schalter war eine Perle, und je mehr Succetti-Pascha sich davon überzeugte, desto weniger steckte er seine Nase in dessen Privatgeschäfte, desto seltener fragte er danach, mit welchem Gelde der operierte, der notorisch als besitzloser Handlungsgehilfe bei ihm eingetreten war!

Denn er selber (das wußte Daûd genau – und diese Mitwisserschaft war seine stärkste Stütze!) war, stärker als billig, von dem allgemeinen Fieber ergriffen und machte auf eigene Faust Geschäfte, für die er sich mehr interessierte als für das Gedeihen der Bank. Und dar* aus, daß er ihn nicht hinderte, schloß Daûd untrüglich, daß er sich als solidarisch mit der großen Macht betrachten durfte, und daß man es ihm vergönnte, in dem großen Glücksspiel mitzuspielen.

Die Hauptsache für ihn war, klaren Kopf zu behalten und sich nicht in die Karten sehen zu lassen; denn er wurde von seinen Kollegen längst mit einem gewissen neidischen Misstrauen verfolgt, gegen das selbst seine hilfsbereite, anmutige Liebenswürdigkeit und die gelegentliche Preisgabe kleinerer Manipulationen machtlos blieb...

Dritter Teil


 << zurück weiter >>