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5. Der Abschied

Nun lebte Joseph den ganzen Sommer hindurch in einer Welt voll eitel Glück und Wonne und seliger Erwartung noch schönerer Zukunft. Kaum konnte er es manchmal fassen, daß er dies schönste aller Wesen sein eigen nennen und diese Welt von Liebreiz in seine Arme schließen dürfe, und immer neu erschien sie ihm in der Frische des Morgens, der Glut des Mittags und der seligen Ruhe des Abends. Aber die Tage glitten dahin, eilend wie ein munterer Bach, der im Sonnenschein blitzende Lichter wirft, und ehe er es sich versah, war der Herbst ins Land gekommen. Da saß er eines Tages mit Hechta auf dem Stein unter der schönen Buche, die schon einen Kreis roten Laubes um sich ausgebreitet hatte. Aus dem fahlen Grün der wilden Rosen leuchteten wie Scharlach die Hagebutten hervor und farbige Herbstschmetterlinge schwankten umher oder plätteten ihre Flügel auf besonnten Steinen, Die blaßvioletten Herbstzeitlosen blühten ringsum, seines Gespinst zog durch die klare Luft und hoch aus dem Blau kamen die Rufe wandernder Kraniche. Die beiden Liebenden waren verstummt und schauten still hinaus in die sonnige Vergänglichkeit. Da griff Hechta zu der schönen, goldbesaiteten Laute, die neben ihr lehnte, und während ihre schönen Finger sanft darüber hinglitten, daß es klang wie leises Quellengeriesel und das Flüstern des Laubes im sanften Abendwinde, begann sie zu singen:

»Abschiedshauch durchweht die Lüfte,
Letzte Farben, letzte Düfte,
Und ein letzter holder Klang. –
Wo sind jene schönen Tage,
Da aus jedem Blütenhage
Tönte Nachtigallensang?

Zwar noch blüht die letzte Rose.
Doch die bleiche Herbstzeitlose
Schimmelt schon im Wiesengrün.
Sie verschlief das beste Wetter,
Und nun eilt sie, ohne Blätter
Sich beizeit noch auszublühn.

Träumerisch in sich versunken
Und wie von Erinnrung trunken
Liegt die Welt so blau und weit.
Sehnsuchtsvoll, mit sanfter Klage,
Still gedenkend goldner Tage
Und der schönen Rosenzeit!«

»Hörst du es rufen in der Luft?« fragte sie dann. »Es geht zum Abschied, meine Zeit ist um.«

Joseph erschrak, denn daran hatte er noch gar nicht gedacht. Er sah ihr fragend in die Augen. Ein leiser Luftzug kam von den Bergen das Thal entlang, rauschte durch das Gezweige der schönen Buche und sandte einen rotgoldenen Regen welken Laubes herab.

»Die Blätter fallen,« sagte Hechta zusammenschauernd, und strich das rote Laub von ihrem Schoß, »ich muß hinunter. Morgen wirst du mich nicht mehr sehen. Hab Dank für deine Liebe und lebe wohl für immer!«

Joseph war durch diese Mitteilung ganz zu Boden geschlagen und faßte sie kaum. Als sie dann seine Verzweiflung sah, da ging es wie ein helles Licht über ihre Züge, und sie sprach:

»Möglich ist es, daß wir uns wiedersehen, ja, daß wir für immer vereinigt leben im höchsten Glück, Aber eine Probe mußt du bestehen, allzu schwer für den menschlichen Wankelmut. Du mußt mir Treue bewahren, bis der Frühling ins Land kommt, bis das erste Buchengrün im hellen Lichte steht.«

Joseph konnte nicht fassen, wie sie daran zweifeln möge. Das war doch eine Bedingung, allzu leicht zu halten. Denn wie könnte er wohl Augen haben für ein anderes weibliches Wesen in der Welt, da sich ihm die Schönheit selbst lieblich geneigt hatte. Sie aber sprach mit stillem Ernst:

»Achte die Prüfung nicht gering, die ich dir auferlege, denn ein Schimmer wie aus einer schöneren Welt wird um dich sein, wenn du wieder ins Dorf zurückkehrst, und sie werden dir nachstellen. Es gibt liebliche Dirnen da draußen, und kein Menschenherz wird gefunden, das nicht einmal seine schwache Stunde hätte. Bedenk es wohl, es ist dein sicherer Tod, wenn du dein Versprechen brichst, in dreien Tagen mußt du dann sterben.«

Als nun aber Joseph seine unwandelbare Liebe beschwor und sie anflehte, ihm ihr Vertrauen zu schenken, da strahlten ihre Augen von unendlicher Liebe und sie sprach:

»O, du Holder, ja, ich glaube dir! So komm denn und nimm das Zeichen unseres Bundes.« Sie wickelte dann um den Ringfinger seiner linken Hand eine seine Strähne ihres goldfarbigen Haares, zog eine blitzende Schere hervor, schnitt das Haar ab und drückte einen Kuß darauf. Da ward es zu einem festen goldenen Ringe, der den Finger eng umschloß, »Dieser Ring mag dich stets mahnen an dein Versprechen. So du aber im geringsten dagegen handelst, wird sich sein Glanz trüben. Wird er aber gar schwarz werden, dann wehe dir, denn das ist das Ende.«

Derweilen hatten sich fern um den Abendberg schwere Dünste gelagert, der Himmel hatte sich verfinstert und der Sonnenglanz schwand plötzlich hinweg. Im Walde wogten die Wipfel durcheinander und eine wirbelnde Säule welken Laubes erhob sich hoch in die Luft. Dann kam sie eilend über die Wiese herangewandelt, und als Hechta dies sah, da rief sie klagend:

»Weh, so früh schon, ach, so früh schon!«

Sie umarmte Joseph eilend und küßte ihn; dann kam der Sturm heran und riß sie von ihm hinweg, während rauschend und brausend die letzten Blätter der schönen Buche in die Luft flogen. Aus einer dichten Wirbelwolke roten Laubes hörte Joseph noch einmal Hechtas Ruf: »Leb wohl, leb wohl!« und als sich diese Wolke lockerte und zerstreute und mit dem Sturme weiterzog, da war das schöne Waldfräulein verschwunden. Es half Joseph nichts, daß er sich fast die Finger wund klopfte und die Luft mit seinen Wehrufen erfüllte; nur durch die blattlosen Zweige der schönen Buche säuselte der Wind ein sanftes Klagelied.


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