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2. Herr Picus

Als sich am frühen Morgen des nächsten Tages der Abendberg wieder in voller Klarheit zeigte, so daß man jegliches Bäumchen und jeden Stein auf seinem Gipfel zählen konnte, und sich der Himmel ebenso glänzend blau über das Thal wölbte wie immer, da packte die alte Bäuerin allerlei Gaben in einen Korb, die sie für geeignet hielt, den Herrn Picus günstig zu stimmen. Da hinein kam ein Häflein Lindenhonig vom vorigen Jahre, weißgelb und schon verzuckert, aber noch von köstlichem Geschmack, dazu eine stattliche Rauchwurst, dergleichen niemand in der ganzen Gegend so wohl gelang als ihr, und ein paar Flaschen vom Besten, der schon zwölf Jahre im Keller lag. Während sie so kramte, fiel ihrem Sohn Joseph ein Ring ins Auge aus gelbem Metall, der auf dem Bort lag. Der war daumsdick, von länglicher Form und so groß, daß man die vier Finger der ganzen Hand hineinstecken konnte. Dieses sonderbare Gerät, dessen Gebrauch niemand im Dorfe zu erklären wußte, hatte er einst unter einem großen Stein gefunden, wo es in alter Zeit wohl jemand verborgen haben mußte. Da ihm nun einfiel, daß Herr Picus für derlei seltsame Dinge und Altertümer eine besondere Liebe zeigte und allerlei Steinbeile, bronzene Schwerter und sonstiges altes Gewaffen sorglich aufbewahrte, so legte er auch diesen merkwürdigen Ring mit in den Korb und machte sich auf den Weg. Dieser war sonst gar beschwerlich, denn er führte auf steilen Pfaden über das Gebirge; jetzt aber, da die Bäche fast leer waren, konnte man viel näher und ganz bequem zu dem Wohnorte dieses seltsamen Laboranten kommen durch eine schmale Felsschlucht, die sonst wegen der brausenden Gewässer eines Baches unzugänglich war, desselben, der später das freundliche Thal in seiner ganzen Länge durchfloß.

Joseph wanderte aufwärts und stand bald vor der steilen Felswand, aus deren schmaler Schlucht der Bach hervorkam. Hier war es glühend heiß, die Sonne strahlte von dem grauen Felsen zurück, und nichts Lebendiges war zu bemerken als einige Schmetterlinge, die dort lautlos umherflogen. Dazu herrschte Stille ringsum, nur das leise Rieseln der spärlichen Wasserader auf dem Grunde des Baches war vernehmlich.

Eine angenehme Kühle umfing ihn, als er in die Schlucht eintrat, und wachsende Dämmerung, je weiter er sich vorwärts bewegte, denn die Wände zu beiden Seiten stiegen mächtig empor, und von oben schaute nur ein schmales Streifchen des blauen Himmels herein. So schritt er eine lange Weile zwischen den feuchten, tropfenden Steinmauern dahin und kletterte über die Felsblöcke immer höher empor, bis es allmählich lichter ward und vor ihm helles Grün im Schein der Sonne glänzte. Er verschnaufte eine Weile und hörte nun vor sich ein schnelles, taktmäßiges Hacken und dazwischen zuweilen den gellen Schrei eines Schwarzspechtes.

Der Bach durchströmte hier ein kleines, fast überall von steilen Seitenwänden umgebenes Thal, aus dem zwischen umhergestreuten Felsblöcken einige gewaltige Edeltannen aufgeschossen waren. In einem sonnigen Winkel dieses Thales, wo die mächtige Platte eines aus der Wand vorragenden Felsblockes ein natürliches Dach bildete, hatte sich Herr Picus angesiedelt und sich aus Balkenwerk und Steinen ein wunderliches, aber warmes und wetterdichtes Haus gebaut, in dessen einzigem großen Raum er sicher und behaglich hauste und auf einem gewaltigen steinernen Feuerherde seine mannigfaltigen Elixiere und Kräutertränke kochte.

Das emsige Hacken und das Schreien des Schwarzspechtes dauerte fort, als Joseph die unregelmäßigen Steinstufen emporstieg, die aus dem Bette des Baches zu jenem Thalgrunde hinaufführten, und schon erblickte er das wunderliche Haus und die vor ihm aufgespeicherten Brennholzvorräte, als sich plötzlich von einem Haufen gelblich-weißer Späne mit gellendem Warnungsgeschrei und großem Geräusch ein Schwarzspecht erhob und die Flucht ergriff. Man sah die rote Kappe des seltsamen Gesellen noch einmal aufleuchten und dann war er verschwunden, ob hinter der großen Edeltanne oder in der schwarzen Thüröffnung des Hauses, das blieb zweifelhaft. Dort, wo der Vogel scheinbar gesessen hatte, waren lange, schmale Späne zum Feueranmachen teils sauber aufgeschichtet, teils lagen sie neben einem großen Holzscheit, als seien sie eben erst heruntergehauen worden. Das hatte ja fast den Anschein, als sei das Tier dort mit Holzkleinmachen beschäftigt gewesen. Dem guten Burschen ward etwas wunderlich zu Mut und das Herz klopfte ihm bänglich, als er nun langsam auf das Haus zuschritt. Rings herrschte ein schwerer, narkotischer Duft, denn an einzelnen sonnigen Stellen war der Boden urbar gemacht worden, und allerlei seltsame, aromatische Pflanzen standen dort mit unerhörten Blüten geziert. Aus dem hoch aufgemauerten Schornstein des Hauses kam ein leichter, veilchenfarbiger Rauch und verlor sich allmählich in die Zweige der Edeltannen.

Als Joseph in den dämmerigen Raum eintrat, war er zu Anfang geblendet, bald aber erkannte er den Herrn Picus, der sich gerade an dem Feuerherde zu thun machte und neues Holz in die Flammen warf. Aus dem Kessel darüber tönte ein feines, weinerliches Singen und Miauen, das sich gar seltsam anhörte. Herr Picus war ganz schwarz gekleidet und trug auf dem Haupt ein feuerrotes Käppchen, darunter schaute ein pergamentenes Vogelgesicht hervor mit gelben, stechenden Augen und einer langen, spitzen Nase, mit der er, wenn er nach seiner Gewohnheit den Kopf lebhaft bewegte, stets nach irgend etwas zu hacken schien. So warf er nun auch plötzlich den Kopf zu Joseph herum und fragte mit einer hohen, gellenden Stimme:

»Nun, was bringst du? Was willst du haben? Denn wenn der Bauer was bringt, will er auch was haben!« Dann kicherte er, als hätte er den schönsten Witz gemacht, und fuhr fort: »Soll's was sein für den Magen oder für das Herz, gegen die Gicht oder für die Liebe? Es ist alles da, alles da!« rief er und schwenkte seine Hand gegen die Hinterwand seines Zimmers, wo auf Borten unzählige Fläschchen standen von den wunderlichsten Formen, kugelige mit langen Hälsen und vierkantige mit kurzen, bauchige und schlanke, kleine und große. In den einen leuchtete es wie Rubin, in den anderen wie Smaragd, in diesen veilchenblau, in jenen goldgelb.

Joseph hob den Deckel von seinem Korbe und sagte:

»Meine Mutter schickt hier ein paar Kleinigkeiten und läßt Euch einen schönen Gruß sagen.«

»Weis her, weis her!« rief Herr Picus eifrig und holte das Honighäflein hervor. »Süße Sachen, süße Sachen!« murmelte er befriedigt. »Schön, schön!« Dann hob er die Wurst heraus und fuhr mit seiner Nase darauf los, als wolle er gleich hineinhacken. Er beroch sie mit Kennermiene und rief dann: »Lecker, lecker! Gefällt mir!« Darauf hielt er eine der Flaschen gegen das Licht und schmunzelte: »Kenn' ich, kenn' ich! Ist von dem alten!« Und seine spitze Zunge kam hervor und befeuchtete wohlgefällig die schmalen ledernen Lippen. Dann sah er auf dem Grund des Korbes noch etwas schimmern, und dem aufmerksamen Joseph entging es nicht, mit welcher Gier er nach dem Ringe griff und wie seine gelben Augen dabei funkelten. Er nahm ihn, wog heimlich in der Hand seine Schwere und drehte ihn sehr eifrig hin und her; dann suchte er seine Aufregung zu dämpfen und sich ein gleichgültiges Aussehen zu geben. »Danke, danke für das Ringelchen!« sagte er. »Kann's zwar nicht gebrauchen, aber weil's ein altes Stück ist.« Und damit legte er ihn scheinbar gleichgültig zu dem übrigen.

Joseph nahm ihn sofort wieder an sich und sprach:

»Der gehört nicht dazu, der ist wohl nur zufällig in den Korb gekommen.«

Der Alte war aber fest entschlossen, das Stück an sich zu bringen, denn er hatte sofort erkannt, daß es ein sogenannter Eidring war aus alter Heidenzeit von dem reinsten Gold und wohl über hundert Thaler wert. Er sagte darum in schmeichlerischem Ton:

»Söhnchen, Söhnchen, nun sag, was wünschest du von mir? Um den Ring werden wir schon einig!«

»Ihr sollt ihn gern haben, wenn Ihr mir sagt, was ich wissen will,« erwiderte Joseph, der das begehrte Kleinod fest umschlossen hielt, und dann trug er ihm sein Anliegen vor.

Herr Picus fing an, erklecklich zu wimmern, als er vernahm, was der junge Mensch wollte.

»Ja, das glaub' ich. Söhnchen, das glaub' ich, Söhnchen! In dem verwunschenen Wald am Abendberg da wachsen die herrlichsten Kräuter der Welt. Wenn da erst jeder ungestraft herumstapfen darf, da würden die anderen Laboranten bald kommen und mir alles fortrupfen und ich hätte das Nachsehen. Dann könnten sie ebenso gute Tränke machen als ich. Ja, ja!«

Joseph drehte den Ring in seiner Hand, ließ ihn in der Sonne blitzen und steckte ihn dann langsam in die Tasche. Herr Picus aber geriet in große Unruhe, kraute sich hinter den Ohren und lief in seinem Zimmer umher, während er mit den Armen schlug, als ob er aufstiegen wollte, und von Zeit zu Zeit, sonderbare Wehrufe ausstieß; dann kramte er zwischen seinen unzähligen Flaschen und schloß endlich eine eisenbeschlagene Truhe auf und wühlte darin längere Zeit. Endlich schien er gefunden zu haben, was er suchte, und näherte sich Joseph wieder.

»Es ist nicht um den Ring,« sagte er, »aber ich hab' dich immer gern gehabt, Söhnchen, und dann dauert mich auch eure Not, dauert mich wirklich. Wenn du schweigen kannst und schwören willst, es nie zu verraten, da will ich dir das Mittel geben. Du brauchst nur deinen Ring in die rechte Hand zu nehmen und zu sagen: ›Ich schwör's!‹«

Als Joseph sich hiezu gern bereit erklärte, da öffnete Herr Picus seine Hand, überreichte dem jungen Burschen ein winziges pergamentenes Päckchen und sagte: »Wer Farnsamen bei sich trägt in seinen Schuhen, der ist gefeit gegen das Irrkraut. Und nun gib mir den Ring.«

Joseph traute dem Alten noch nicht so recht.

»Ist es auch wirklich das rechte Mittel?« fragte er mißtrauisch, indem er das unscheinbare Päckchen zwischen den Fingern drehte.

»Der Habicht soll mich schlagen, wenn's nicht wahr ist!« rief Herr Picus, »Gib her, ich schwör's dir auf den Ring.«

So wurden denn die beiden Leute handelseins, und Joseph machte sich vergnügt wieder auf den Abstieg, während Herr Picus ebenso vergnügt zurückblieb, seinen goldenen Ring in der Sonne glänzen ließ und zuweilen in ein anhaltendes, vergnügtes Kichern ausbrach.


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