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4. Das Waldfräulein

Am anderen Morgen in der Frühe, als noch nebelgraue Dämmerung im Walde lag, erwachte Joseph auf seinem harten Lager, hielt seine Morgenmahlzeit zu einem frischen Trunk aus dem Bach, und als die ersten Strahlen der Sonne die Wipfel streiften, setzte er seine Wanderung fort. Ihr Ziel war näher, als er dachte, denn da er, dem Laufe des Baches folgend, um eine vorspringende Felsenkuppe bog, schien es licht durch die Stämme und eine kurze Weile später lag vor seinen Augen ein herrliches Wiesenthal, eingeschlossen von sanft ansteigenden Bergwänden. Da er so lange den Anblick reichen, frischen Grüns entbehrt hatte, so däuchte ihn diese blumige Wiesenmulde, durch die der Bach in blanken Bögen dahinging, während ihm plätschernde Quellen von allen Seiten zueilten, ein wahres Paradies. Nun hatte er gefunden, was er suchte, und eilend machte er sich auf den Rückweg. Es gelang ihm, den großen Windbruch mit seinen giftigen Insassen zu vermeiden, und da er nun nicht mehr gezwungen war, in die Irre zu gehen, erreichte er schon nach wenigen Stunden das Dorf auf einem Wege, der gar keine Schwierigkeiten darbot. Dort herrschte große Freude über die geglückte Unternehmung, und am nächsten Morgen in aller Frühe schon zog er mit seinen Kühen zu dem neu entdeckten Paradiese.

O, wie die Tiere brüllten, als sie den Duft der frischen Wiesen witterten. Die matten Augen begannen zu glänzen, und obwohl sie durch lange Entbehrung kraftlos und von der weiten Wanderung ermüdet waren, so rannten sie doch ihrem Hirten davon, und bald standen sie alle bis an die Kniee in dem frischen Grün und rupften nach Behagen das fette Gras und die saftigen Kräuter. Joseph sah ihnen vergnüglich eine Weile zu, dann ließ er sie unter der Obhut seines getreuen Hundes und wanderte in der Gegend umher, in der Hoffnung, eine Höhle oder sonst einen Unterschlupf zu finden, oder einen Platz, der zur Anlegung einer Hütte geeignet sei. In der Mitte dieses lieblichen Thales war ein kleiner Hügel gelegen wie eine Insel. Auf seinem Gipfel trug er eine mächtige Buche, und unter dieser leuchtete es in rötlichem Schimmer, denn der ganze Hügel war mit wilden Rosenbüschen bedeckt, die tausende von zarten Blüten dem Lichte darboten. Die Büsche mit ihren dornigen Zweigen hielten dort alles umsponnen, nur ein schmaler Pfad führte zu dem Baume empor. Als nun Joseph dort oben stand in den Rosendüften unter der Buche, deren reiner Stamm schimmerte wie mattes Silber, da ward ihm wunderlich zu Mut, denn ihm war immer, als stünde jemand neben ihm, als fühle er den Anhauch eines warmen Menschenleibes. Ein süßes Grauen überlief ihn. Ueber den Rosen spielten die Schmetterlinge in der Luft, im Sonnenschein standen glänzende Schwebefliegen, und in den Blättern des Baumes säuselte zuweilen ein leichter Wind, daß es klang wie sanfte Musik, gleich dem holden Gesange, den er in der vorletzten Nacht gehört hatte. Dann, wenn der Wind schwieg und wieder Stille herrschte, nur unterbrochen von dem leisen Rieseln der Gewässer, da glaubte er sanfte Atemzüge zu vernehmen, und zuweilen ging es wie ein Seufzer durch die Luft. Da ihm solches diesen lieblichen Ort unheimlich machte, so wanderte er weiter durch das Thal und kam in eine Gegend, wo es durch eine zerklüftete Wand begrenzt wurde und große, herabgestürzte Steinblöcke im Grase lagen. Auf den Vorsprüngen der steilen Felsen hatten sich rankende Gewächse angesiedelt und hingen aus den Spalten hernieder, zarte, grüne Schleier über den grauen Stein hinbreitend, und dort, wo sie am dichtesten, fast bis auf den Boden niederhingen, ward in den Lücken ein tiefes Schwarz sichtbar. Joseph schob die Ranken beiseite und fand den Eingang zu einer geräumigen Höhle, welche Entdeckung er mit Freuden begrüßte. Er schaffte alsbald seine auf dem Rücken und den Hörnern der Kühe mitgebrachten Geräte und Vorräte hinein, bereitete sich ein Lager aus weichem Laub, sammelte Feuerholz in dem benachbarten Walde, griff unter den Steinen des Baches einige stattliche Forellen und war so bald aufs schönste eingerichtet. Er hielt seine Mahlzeit, trieb gegen Abend seine Kühe in diese Gegend zum Melken und saß dann noch eine Weile auf dem Stein vor seiner Höhle, während der Tag langsam in die helle Juninacht hinüberdämmerte. Zu seinen Füßen lag der Hund und ringsum die satten Kühe, behaglich wiederkäuend. Dann, als der Mond groß und rot hinter fernen Tannenzacken emporstieg und die Gewässer lauter durch die Stille der Nacht rauschten, streckte er sich auf sein Lager und entschlief bald süß und sanft. Doch um Mitternacht erwachte er wieder von einem leisen Winseln seines Hundes, das aber sogleich wieder verstummte. Ein apfelartiger Duft nach den Blättern der wilden Rose war in der Höhle verbreitet, vielleicht stand der Wind gerade von dem kleinen Hügel her. Er stützte den Kopf auf und horchte eine Weile. In der Oeffnung der Höhle stand die weißliche Junimondnacht, und nichts war vernehmlich als die unablässige Musik der Gewässer oder ein vereinzelter Glockenton, wenn eine Kuh das Haupt bewegte. Schon wollte er sich niederlegen, da vernahm er wieder den wunderbaren Gesang näher und deutlicher als damals, ja, sogar die Worte konnte er verstehen:

»Die Rosen blühen im Mondenschein
In der silbernen Juninacht,
Wenn alles schläft – mein Herz allein.
Mein Herz nur pocht und wacht.

Die Rosen blühen ohne Zahl
Beisammen froh gesellt,
Die Quellen rieseln und rauschen zu Thal
Selbander in die Welt.

Ich weiß eine Blume, die blüht allein
In der stillen Mondennacht,
Wenn alles schläft – mein Herz allein.
Mein Herz nur pocht und wacht.«

Ein holdes Grauen überlief Joseph bei diesem Gesang, und lange noch lauschte er, als er verstummt war. Doch alles blieb still, und über dem vergeblichen Lauschen schlief er endlich ein.

Am andern Morgen in der Dämmerung, als er von dem Läuten der weidenden Kühe erwachte, war wieder der Duft nach wilden Rosen das erste, das ihm bemerklich ward, und als er sich aufrichtete, sah er bei dem einfallenden Morgenlichte, daß überall im Umkreise seines Lagers und über ihn hinweg dergleichen zarte Blumen gestreut lagen, und ein verwunderliches Grübeln befiel ihn über diese seltsame und liebliche Thatsache. Und als er nachsann, welch ein Wesen es wohl sei, das seine Einsamkeit teile und sich durch so anmutige Kundgebungen bemerklich mache, da fiel ihm eine Märe ein, die man im Dorf erzählte, und die er, wer weiß wie oft schon, gehört hatte.

»Draußen hinter dem Abendberge,« so erzählte man, »liegt eine wunderschöne Wiese. Dort wohnt das Waldfräulein Hechta in einem Rosenhage. Wenn man dreimal an die schöne Buche klopft, die dort steht, so tritt sie herfür, und wem sie ihre Liebe schenkt, der wird zum Glücklichsten unter den Sterblichen. Denn so er die Probe besteht und dem Fräulein die Treue bewahrt, steigt aus dem Rosenhügel ein prächtiges Schloß empor und er wird herrschen mit ihr über alle Lande weit umher. Aber ringsum in den Wäldern wächst das Irrkraut, und niemand findet vor oder zurück, der sich dort hineinwagt.«

Diese Geschichte ging dem jungen Manne den ganzen Morgen durch den Kopf, und unablässig sah er von ferne nach dem kleinen Hügel hinüber. Dorthin zog es ihn mit sehnsüchtiger Gewalt, und dennoch hielt ihn wieder eine bange Scheu zurück. Endlich um die Mittagszeit konnte er diesem seltsamen Drange nicht mehr widerstehen und immer näher kam er dem Orte seiner Sehnsucht. Die Sonne glühte am wolkenlosen Himmel und kein Grashalm regte sich. Verschlafen rieselten die Quellen über den steinigen Grund, und der Bach murmelte und rauschte wie im Traum. In dem Wipfel der Buche, die mit blanken, glänzenden Blättern regungslos dastand und ihre flachen Zweige wie Hände offen hielt, um den Sonnenschein aufzunehmen, saß ein Pirol und ließ unablässig seine flötenden Rufe ertönen; es war, als riefe er lockend zu unsäglichem Glücke. Joseph stieg langsam den Pfad zwischen den Rosen empor und stand nun vor dem silbergrauen Stamm der schönen Buche. Ihn schauderte, denn wie ein zitternder Seufzer der Erwartung hauchte es wieder durch die Luft.

Sein Herz pochte, daß er es zu hören glaubte, als er nun den Zeigefinger krümmte und langsam die Hand erhob. Eine Weile schwebte sie zögernd, dann in raschem Entschluß klopfte er dreimal leicht an den Stamm, Da ging es wie ein leichtes, silbernes Lachen durch die Luft, wie ein Lachen der Erlösung, und ihm war, als höre er auf der anderen Seite des Baumes ein sanftes Geräusch. Als er sich zögernd dorthin wandte, sah er auf dem Stein unter der Buche eine helle, weibliche Gestalt sitzen, so schön, daß er bis ins Herz hinein erschrak. Sie erhob sich, das lange Haar von der Farbe des roten Goldes wallte zurück, und mit einer Gebärde lieblicher Hoheit streckte sie ihm die Hand entgegen.

»Sei mir gegrüßt. Holder,« sagte sie; »du bliebst gar lange.«

Joseph wagte es kaum, diese rosendurchschimmerte Lilienhand zu ergreifen, und stand stumm und hölzern vor der wunderbaren Schönheit dieses Weibes. Sie war gekleidet in ein weißes, sich anschmiegendes Gewand, darin blühende Ranken wilder Rosen in zarten Farben eingewebt waren, aber lieblicher noch als jenes Weiß schimmerten die schönen Arme, der wohlgerundete Nacken und das blühende Antlitz.

Als nun Joseph so Hand in Hand mit ihr dastand und ihm die Purpurröte ins Gesicht stieg über dies liebliche Abenteuer, da ging ein sanftes Lächeln über das Antlitz des Waldfräuleins und die Schöne sprach: »Warum küssest du mich nicht, da du doch der Rechte bist? Ach, wie lange schon wart' ich dein!«

Damit legte sie den Kopf an seine Brust und sah vertraulich zu ihm empor. Und der Blick dieser Augen, die bald im dunkelsten Blau des Himmels, bald in jenem herrlichen Grün leuchteten, das der bewegten See im Sonnenschein eigen ist, berauschte Joseph, daß er sich, seine Scheu vergessend, zu den so lieblich dargebotenen Lippen niederbeugte. Und der Pirol im Wipfel der schönen Buche erhob noch einmal seinen Jubelruf, dann schwang er sich auf und zog, goldglänzend im Schein der Sonne, zum Walde hinüber.


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