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Eine seltsame Geschichte.

Gestern Abend, als ich eben eingeschlafen war, wachte ich wieder auf, denn der Mond leuchtete mir gerade ins Gesicht und das Zimmer war ganz von seinem silbernen Schein erfüllt. Als ich so lag und in behaglicher Trägheit schwankte, ob ich die Vorhänge niederlassen sollte oder nicht, kam ein dröhnender Klang von ferne herüber; es war die Thurmuhr auf der Lukaskirche und es schlug Zwölf. Kaum war der letzte Schlag verhallt, so erhob sich im Zimmer ein eigenthümliches Wispern und Rascheln, und in der Weinflasche, die noch von meinem Abendtrunk her auf dem Tisch stand, geschah ein kribbelndes Rumoren, als seien Maikäfer darin eingesperrt. Es dauerte eine Weile und dann kam oben aus dem Halse der Flasche ein blondes Köpfchen zum Vorschein. Es arbeitete sich weiter und weiter, und endlich stand ein kleines wohlbeleibtes pausbäckiges Figürchen auf dem Flaschenhalse und schaute sich um. Dann kniete es nieder, wisperte ein wenig in die Flasche hinein und schwebte in den Mondschein hinaus. Nun kamen immer mehr und mehr dergleichen kleine Kerle aus der Flasche hervorgearbeitet. Einige glitten an der Flasche hernieder und sprangen übermüthig auf dem Tische umher, andere hielten sich bei den Händen und tanzten Ringelreihen auf dem Rande des Weinglases.

Unterdeß war auf meinem Schreibtisch ein Sprühen und Rauschen entstanden; ich sah aus dem Sandfaß den Sand wie die Garbe eines Springbrunnens aufsprühen, und wo er den Tisch berührte, gingen kleine erdgraue Männlein daraus hervor, welche mit verdrossenem Quäken sich umherwälzten, während aus dem Tintenfaß ein behender schwarzer Kobold nach dem andern hervortauchte. Diese schienen sehr kriegerischer und reizbarer Natur zu sein, denn sie gingen gleich auf einander los mit Schreibfedern, welche sie wie Lanzen eingelegt trugen, und überall, wo sie hintraten, ließen sie häßliche schwarze Tintenflecke zurück.

Dann ging es wie Windesrauschen durch meine Papiere und es flatterten und krochen allerlei seltsame Thierchen draus hervor, kleine schwarze Drachen mit Ringelschwänzen und allerlei häßliches, schwirrendes Insektenvolk mit Stacheln und Saugerüsseln. Mit einem Male schob sich eine Schieblade meines Schreibtisches leise auf, ein anmuthiges Singen und Klingen und ein sanfter rosiger Schimmer ging von ihr aus, und ein Duft von Rosen und Veilchen erfüllte das Zimmer. Ach, es waren allerlei rosa Briefchen, vertrocknete Blumen, Bänder und Schleifen darin, und ich seufzte unwillkürlich, als ich daran dachte. Der Schein ward stärker, und kleine rosige Engelchen stiegen in ihm empor. Sie hatten Flügelchen an den Schultern und trugen Bogen und Köcher mit kleinen Pfeilen.

Das ganze Zimmer war jetzt von lustigen Gestalten erfüllt, und mit einem Male schwirrten sie zu einer dichten Wolke zusammen und kamen unter singendem Gesumme auf mein Bett zu. Unwillkürlich wollte ich mich bewegen, allein wie gebannt lagen meine Arme auf der Bettdecke und ich mußte ruhig erdulden, was nun mit mir geschah. Die Unbeholfneren senkten sich auf meine Bettdecke nieder und kribbelten dort umher, allein es blieben noch genug in der Luft, um eine dichte Wolke zu bilden. Aus dem Geschwirr und Gewirr sonderten sich die kleinen Flaschengeister und tanzten in wildem Wirbel um mein Haupt. Dazu schwangen sie kleine blitzende Becher, und es klang mir in den Ohren wie lustige Lieder, die ich einst mit fröhlichen Genossen gesungen. Und aus all dem Gesinge und Gesumme tönte es hervor: »Sing und Sang, Kling und Klang – Weingold, Rheingold, Klingelingeling! – Jugendblut, goldne Gluth – Blink und blank, Schlägerklang! – Weingold, Rheingold, Klingelingeling! – Sing und Sang, Kling und Klang!« .... und so fort, und immer tönte das feine Klingen der Gläser dazwischen. Unterdessen kam es auf der Bettdecke an meinen Kopf herangekrabbelt und gekrochen, die Flaschengeister verschwanden in der Wolke, und die grauen Erdmännlein tanzten mit trägen Sprüngen um mein Gesicht und sangen dazu mit knarrenden Stimmen: »Diff'rential, Integral, Logarithmus, Logarithmus! – Sitzen, Schwitzen, Tag und Nacht! – Armer Tropf – brummt der Kopf! Cubus, Cubus, Cubus, Cubus, Diff'rential, Integral!« ... und es klang immer dazwischen wie das Knirschen von Schreibfedern. Die schwarzen Tintenteufelchen hatten aber über ihnen in der Luft einen Kreis gebildet und wirbelten in anderer Richtung herum und kreischten dazwischen: »Jambus, Jambus, Daktylus! Hinkefuß! – Kurz und lang, Kling und Klang; Herzen, Schmerzen; Liebe, Triebe; Schnickschnack, Schnickschnack, Schnickschnack, Schnickschnack!« .... und dazu machten sie ein so höhnisches Recensentengekicher, daß es mir in allen Fingern kribbelte, aber ich konnte mich nicht rühren.

Es war gut, daß nun Ablösung kam. Ein liebliches Singen und Klingen und ein Rosenschein ward um mich her; und alle die kleinen Engel mit den zarten Flügeln schwebten herbei, und wie ferner Nachtigallensang und wie Säuseln des Frühlingswindes hallte es, was sie sangen: »Rosen – Rosen – Rosenschein, Mägdelein, Mägdelein, zart und fein! Jung an Jahren, braun von Haaren, Blumenduft und Mondenschein! Mägdelein Mägdelein, Rosen – Rosen – Rosenschein!«.. Dazwischen aber kreischten die schwarzen Teufelchen wieder: »Schnickschnack, Schnickschnack!« ... und die Sandmänner kamen wieder hervor und knarrten mit ihren verdrossenen Stimmen: »Diff'rential, Integral, Logarithmus, Logarithmus!« .... Und dann mischte und wirbelte sich wieder Alles durcheinander und die kleinen Drachen und das übrige Sorgengevögel schwirrten hervor. Es huschte mit Fledermausflügeln um meinen Kopf, kleine tückische Augen funkelten mich an, und auf der Bettdecke kam es langsam gekrochen und züngelte mit spitzigen Zungen. Ein höhnisches Schwirren und Kichern ward um mich her, und da – plötzlich stieß eines der geflügelten Wesen nieder auf mein Haupt, ich fühlte einen leisen stechenden Schmerz und da flog es davon und trug ein schimmerndes Haupthaar in seinen Krallen. Und nun immerfort mit Krallen und spitzigen Schnäbeln, mit rosigen Händchen und zierlichen Fingern stieß es auf mich hernieder, es war ein fortwährendes Prickeln auf meinem Haupte, und mir schwindelte bei dem unendlichen Geschwirre. Ich hörte noch, wie die Uhr dröhnend Eins schlug, und dann verlor ich die Besinnung.

Am andern Morgen, als ich vor dem Spiegel stand und wehmüthig den helleren Schein betrachtete, der auf meinem Haupte seit einigen Jahren langsam und sicher sich ausbreitet, fiel mir das nächtliche Erlebniß wieder ein und zum Angedenken für mich und zu Nutz und Frommen derer, so da Freunde von allerlei Traumgespinnsten sind, habe ich es also niedergeschrieben.


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