Charles Sealsfield
Tokeah
Charles Sealsfield

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Dreiundvierzigstes Kapitel

Eine Stunde darauf verließen die Indianer das Bayou in demselben Kanu, in dem sie gekommen waren. Sie fuhren den Mississippi hinauf und schossen dann in die Mündung des Redrivers hinein, auf dem sie ihre Fahrt fortsetzten. Am zehnten Tage nach ihrer Abfahrt befanden sie sich, immer aufwärts steigend, auf der Hochebene, wo die westlichen Grenzen von Louisiana und Arkansas mit den östlichen Mexikos zusammenstoßen. Vor ihnen lagen die noch immer mit Schnee bedeckten Häupter der Ozarkgebirge, jenseits welcher sich ungeheure Steppen gegen die Felsengebirge oder Rockymountains dehnen. Die Sonne sank soeben hinter die Schneeberge, als sie an dem westlichen Ende des langen Tafelfelsens landeten, der, wie bekannt, am linken Ufer des roten Flusses wallartig, einem ungeheuern Würfel gleich, emporsteigt. Als sie ihr Kanu verlassen hatten, gingen sie einem Felsen zu, der sich unfern dem Ufer in der öden Salzsteppe erhebt, und in dessen Mitte sich eine Grotte befindet, einem gemauerten Gewölbe nicht unähnlich. Da schlugen sie ihr Nachtquartier auf. Dieser Felsen bildet die imaginäre Grenzlinie, die die Pawnees des Toyaslstammes, die Consas und die Osagen für ihre Jagdreviere sich gesetzt haben. Der junge Häuptling befahl den Seinigen, ein Feuer anzuzünden; denn der alte Mann, aus dem heißen Klima Louisianas gekommen, zitterte vor Kälte. Nachdem sie ihr sparsames Nachtmahl eingenommen hatten, streckte sich der alte Häuptling mit seinen Oconees vor dem Feuer nieder und entschlief. El Sol horchte noch einer Legende, die einer seiner Cumanchees erzählte, als ein ferner Laut an seine Ohren schlug. Die drei Krieger sprangen zugleich auf ihre Füße und streckten ihre Köpfe in der Richtung des Luftzuges, der den Laut an ihre Ohren brachte.

»Hunde!« murmelte der junge Cumanchee, »sie knurren gegen einen Feind, der ihnen eine Wunde schlug, wenn es in seiner Macht stand, sie zu vernichten«, und indem er die drei Schläfer aufweckte, flog er dem Ufer zu, wo sie das Kanu gelassen hatten. Er winkte dem Miko und seinen Oconees einzusteigen, während er selbst mit seinen Cumanchees an dem schmalen, längs dem Wasser sich hinabwindenden Rande fortschlich. Das Kanu war ungefähr eine halbe Meile den Strom hinabgeglitten, als es hielt und der junge Häuptling mit seinen beiden Gefährten einstieg, nachdem sie zuvor mehrere Aste und Zweige des aus den Felsenritzen aufgeschossenen Gebüsches abgebrochen hatten. Sie fuhren den Strom bis zum Ende des Tafelfelsens hinab, wo der junge Cumanchee den alten Häuptling ließ und sich mit den übrigen Wilden längs dem Felsen der Steppe zuschlich. Eine Truppe von zwanzig bis fünfundzwanzig Pferden hielt am Fuße des Felsens. Einige der Wilden waren abgesessen und untersuchten die Lagerstätte, die unsere Indianer kurz zuvor inne hatten, und indem sie die aus der Grotte führenden Fußstapfen im Mondlichte auf der Erde fortkriechend maßen und verfolgten, war es zweifelhaft, ob es wirklich Menschen oder Amphibien waren, die im nächtlichen Zeitvertreibe sich aus den wässerigen Tiefen an das Land gestohlen hatten. Die Hälfte der Wilden hielt noch immer auf ihren Pferden. Der junge Häuptling hatte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit jede Bewegung seiner Feinde beobachtet, und sein Ohr an den Felsen haltend, stand er wie eine Marmorstatue. Auf einmal jedoch winkte er seinen Gefährten, und die fünf Indianer krochen nun mit solcher Sicherheit und Behendigkeit durch die Salzsteppe an die zurückgebliebenen Wilden heran, daß auch das geübteste Ohr nicht das leiseste Geräusch zu vernehmen imstande gewesen wäre. Bloß eine sanfte Wellenhöhe trennte sie noch von ihren Feinden. El Sol horchte; einzelne Laute schlugen im Zuge des scharfen Nordwestwindes an sein Ohr. Eine Weile hielt er, dann richtete er sich auf seine Knie, sah hinauf zur silbernen Mondscheibe, die nun aus einer Schneewolke trat und die dunkeln Gestalten der Wilden in ihrem vollen Umrisse erkennen ließ. Langsam seinen Stutzen richtend, gab er seinen Gefährten ein Zeichen, und im nächsten Augenblicke stürzten fünf Wilde zu Boden. Ein fürchterliches Geheul schallte durch die Lüfte. Schnell, wie der Blitz, war der Mexikaner auf die entsetzten Feinde herangestürzt, die mit einem zweiten fürchterlichen Geheul davonsprengten. Nur der außerordentlichen Behendigkeit des jungen Häuptlings und seiner Cumanchees konnte es gelingen, ein halbes Dutzend der halbwilden Rosse zu fangen. So schnell jedoch waren ihre Bewegungen gewesen, daß die Zügel oder vielmehr Stricke der Pferde beinahe aus den Händen ihrer Feinde in die ihrigen fielen; die übrigen Tiere bäumten sich entsetzt, wieherten nochmals und brachen dann in die weite wüste Nacht der Steppe.

Die Cumanchees waren auf die Rücken der erbeuteten Pferde gesprungen und rasch dem Ufer zu gesprengt. Sie hatten aber kaum ihr Kanu bestiegen, ihre Pferde im Strome nach sich ziehend, als die Kugeln und Pfeile ihrer nachsetzenden Feinde um ihre Ohren zu pfeifen und zu schwirren begannen.

»Will mein Sohn dem Miko versprechen, ein guter Vater der Oconees zu sein?« fragte der alte Häuptling mit einer hohlen Stimme, während noch immer einzelne Kugeln an ihnen vorüberpfiffen.

»Ein Vater und ein Bruder«, versetzte der Cumanchee. »Aber warum diese Frage, mein Vater? Mein Vater wird sich lange mit seinen Kindern freuen!«

»Will El Sol es bei dem großen Geiste versprechen?« wiederholte der alte Mann dringender und in einem röchelnd hohlen Tone.

»Er will es«, erwiderte der junge Häuptling.

»Will er versprechen, Tokeah und seinen Vater inmitten der Gräber seines Volkes zu begraben? der großen Cumanchees zu begraben?«

»Er will«, sprach El Sol unwillkürlich schaudernd.

»Sie werden seinen und seines Vaters Leib denn nicht verspotten können,« stöhnte er; »aber es ist der Wille des großen Geistes, daß Tokeah die Länder der Cumanchees nicht sehen soll; er ist verdammt, auf dem Lande der Weißen zu sterben.«

Er röchelte, murmelte noch einige abgebrochene Worte in die Ohren seiner Oconees, die in das wildeste Schmerzensgeheul ausbrachen, und El Sol umfing ihn, der in Todeszuckungen noch krampfhaft den Sarg auf seine Brust drückte. Allmählich lösten sich seine Arme, und er fiel entseelt in das Kanu zurück. Eine Kugel hatte ihn zwischen Nacken und Hals durchbohrt. Das Leben war gewichen. Der junge Häuptling warf sich in stummem Schmerze auf die Leiche. Das Kanu war schon lange an dem jenseitigen Ufer, und noch immer lag er bewußtlos über den Körper hingestreckt, bis ihn endlich das leise Flüstern seiner Getreuen auf die Gefahr aufmerksam machte; dann lud er den Körper auf seine Schultern, legte ihn über den Rücken des Pferdes, sprang selbst darauf und zog so mit seinen trauernden Gefährten dem Wigwam der Pawnees des Toyaskstammes zu, wo sie am folgenden Tage, unter dem erschütternden Todesgesange der Wilden, ihren Einzug hielten.


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