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IX.
Squatter-Leben

Von dem Augenblicke an, wo wir uns fürs Bleiben entschieden, war auch die rauhe Rinde von Nathans Charakter gewichen, und unser Verhältnis gestaltete sich freundlicher; eine gewisse behagliche Ruhe trat an die Stelle des halbversteckten lauernden Mißtrauens, – ein zwangloseres Sein und Seinlassen an die des eckigscharfen Anstoßens. – Zwar war unser beiderseitiges Verhältnis noch weit von unserem französischen Empressement oder herzlicher Vertraulichkeit entfernt, aber es hatte wieder die schöne Seite, daß es, von gemeiner Familiarität sowie von der aus dieser erwachsenden Zudringlichkeit gleich verschieden, eine dauernd freundliche Stimmung verbürgte und auf gegenseitige Achtung gegründet war.

Und in dieser Hinsicht muß ich gestehen, wenn mich, als Europäer, in meinen späteren Berührungen mit Amerikanern ihre Apathie und Schroffheit oft mit einer unangenehmen Kälte durchfror, diese Erstarrung wieder sehr wohltätig durch den angebornen Takt, möchte ich sagen, aufgetaut wurde, den der gemeinste Amerikaner in einem gewissen Grade besitzt; jene gleichmütig gentlemanische Ruhe, die gelassen den Fremdling sich aussprechen läßt und erst nach diesem Ausspruche das entsprechende Benehmen einrichtet. – Ich bin später in tausendfache Berührungen mit Ihren und, ich mag nun wohl sagen, auch meinen Landsleuten gekommen; aber bei allen Gelegenheiten, in Gasthöfen und Kneipen, auf Heerstraßen und Dampfschiffen, in den Gesellschaften der feinen sowie der gemeinen Welt nur äußerst selten durch den in Europa in dieser Beziehung so gewöhnlichen Unverstand belästigt worden. In den Vereinigten Staaten kann man als Regel annehmen, daß, solange man sich als Gentleman benimmt, man als solcher behandelt wird. – Nie war ich in dem unangenehmen Falle, daß sich einer etwas vor mir herausgenommen hätte; in dieser Hinsicht sind die Amerikaner das preiswürdigste Volk auf Erden – und es ist dieser Zug ein wahrhaft und essentiell republikanischer. –

Doch, um wieder auf unsern Nathan zurückzukommen.

Nachdem das Mittagessen vorüber, machte er uns den Vorschlag, mit dem Major einen Ritt in die Niederlassung zu tun, zu dem er uns Pferde und seinen Joshua geben wollte. Er selbst müßte bei der Sortierung der Tabaksblätter zugegen sein, von der der Kredit seines Hauses abhänge; auch wäre es ihm lieb, wenn wir mit unseren eigenen Augen sähen und demgemäß unsere Notions über die Niederlassung formten.

Gegen diesen Vorschlag hatten wir natürlich nicht das mindeste einzuwenden, und so bestiegen wir denn die für uns eingefangenen Pferde, drei mexikanische Krausköpfe, kurz zuvor aus den Prärien von Texas eingebracht, die aber auch unsere ganze Reitkunst in Anspruch nahmen. – Der vierzehnjährige Joshua, sein jüngster Sohn, war unser Wegweiser.

Bisher waren unsere Gedanken auf ganz andere Dinge als auf die Niederlassung gerichtet gewesen; jetzt warfen wir das erstemal skrutinierende Blicke umher, begierig, mit eigenen Augen zu sehen, was denn diese Amerikaner so Großes geleistet hätten, um sich eine so imperturbable Suffisance beizulegen. –

Die Niederlassung lief, wie ich bereits erwähnt, von Südost gegen Nordwest, dem Scheitel eines fünfzehn Meilen langen Kammes entlang, der etwa siebzig Fuß von dem eine halbe Meile entfernten Sumpfe heranschwoll und sich ebenso sanft wieder auf der nördlichen Seite zur Prärie herabdachte. Auf diesem Kamme oder Sattel waren die Pflanzungen der vorzüglichsten Gemeindeglieder gelegen, und eine schönere oder zweckmäßiger gewählte Anlage ließ sich kaum denken. – Auf der einen Seite hatten wir die noch nicht lange zuvor dem Urwalde abgewonnenen sogenannten Clearings Eine gelichtete Waldstrecke., auf der andern die ungeheure Prärie mit ihrem klafterhohen Grase, die Köpfe der weidenden Rinder und Pferde wie rollende Steinklumpen gegeneinander prallend, die Schellentöne der Leitkühe, im sanften Luftzuge an unsere Ohren klingend, und in weiter blauer Ferne den wundersam schillernden Nebeldunst, auf einzelnen Punkten die Wälder durchschimmernd, – das Ganze in eine ahnungsvolle Stille begraben, nur selten durch den dumpfen Ton einer die Arbeiter aus den Feldern rufenden Seemuschel unterbrochen.

Die Landschaft hatte etwas ungemein Anheimelndes, zur Schwärmerei Verführendes.

Wir hatten schweigend geschaut, betrachtet, unsere Bemerkungen gemacht, dann unsern tanzenden Rennern die Zügel schießen lassen. So hatten wir Nathans Blockhaus allmählich aus dem Auge verloren, aber die Felder dehnten sich wohl eine halbe Meile weiter fort.

Er und die Seinigen waren mit einem halben Dutzend Neger in einem Tabaksfelde beschäftigt – weiter trafen wir auf ein anderes mit Welschkorn, dessen Kolben von den Hülsen entblößt, um schneller zu reifen, uns ob ihrer Größe in Erstaunen setzten. – Über ein drittes Feld war eine dichte Rauchwolke hingelagert, die nur an einzelnen Punkten die nackten, ihrer Blätter und Rinden beraubten, erstorbenen Riesenstämme durchschimmern ließ, die nun sieben Jahre getötet noch immer dastanden, ihre kolossalen Arme wie jammernd in die Luft streckend. An andern Orten lagen sie zu Boden, und Haufen vertrockneter Baumwollenstauden, die unter ihnen angezündet wurden, wirbelten dichte Rauchwolken empor. Wie wir sahen, wurden die herrlichen Bäume, die das berühmte und beste Schiffsbauholz der Welt liefern, bloß wegen ihrer sehr gesuchten Asche verbrannt. In Frankreich würde ein einziger solcher Stamm, deren hier Dutzende verglommen, mit Tausenden von Livres bezahlt worden sein.

»So lauteten unsere damals noch europäischen Bemerkungen«, bemerkte der Graf.

»Wir waren etwa eine Meile in südöstlicher Richtung geritten, als ein Clapboard-Dach, das sich bescheiden hinter einer Gruppe von Magnolien und Catalpas verbergen zu wollen schien, uns eine zweite größere Pflanzung ankündigte. Zu unserer Rechten hatten wir wieder Urwald, die ungeheuren Stämme so durchflochten mit Cyanen und wilden Reben, daß, trotz der heißen Nachmittagssonne, kein Strahl in diese nächtliche Dunkelheit zu dringen vermochte. – Wir konnten uns beim Anblicke dieses Urwaldes nun, um mit Nathan zu reden, eine Notion von der Arbeit bilden, die es gekostet haben mußte, diesen unwirtlichen Wald zu lichten. Während dieser Betrachtungen kamen wir dem Blockhause näher.

Es war kleiner, als das Nathans, gleichfalls aus Baumstämmen aufgezimmert, mit Clapboards gedeckt und lag rauh und trotzig unter den herrlichen, noch immer blühenden Magnolien und einer oder zwei Immergrüneichen; für Hinterwäldler eine nicht üble Wohnung, die aber durch eine gewisse Rauheit beleidigte. Zwar hatte sie nicht das schmutzige Aussehen der Akadierhütten, aber ebenso weit war sie von den vergleichsweise eleganten Villen entfernt, die wir in den Attacapas gesehen und deren Außenseiten wenigstens das Auge angenehm ansprechen – wenn auch ihr Inneres wieder die Sinne beleidigt. Die Wohnungen in den Attacapas mit ihren vorgeschobenen Dächern und den sie stützenden schlanken Säulen und grünen Jalousien sind in der Tat ungemein anziehend, besonders wenn man sie mit den rohen amerikanischen Blockhütten, die wie Frösche auf allen Vieren ausgestreckt sich hinbreiten, vergleicht. – Wir ritten an dem Waldvorsprung vorbei und hatten jetzt eine Partie vor uns – eine wunderschöne Partie! – herrlicher durch den unvergleichlichen Rahmen, in den sie gefaßt war. Es war ein Landschaftsgemälde, etwa tausend Schritte oder darüber lang und breit, sanft gegen den Sumpf hin abgedacht, gegen welchen es durch einen Waldsaum, der stehen geblieben war, geschützt war. Zu unsern Füßen lag ein Feld von etwa vier Äckern reifer Baumwolle, die Kapseln aufgesprungen, ein Schneefeld, das in der Luft zu schweben schien, auf matt grünem Grunde ruhend, in Zwischenräumen von dreißig bis vierzig Fuß immer ein Riesenstamm in die Luft starrend, das Ganze aber durch den hohen Urwald, der in einer über alle Begriffe gehenden üppigen Vegetation prangte, zu einem wunderlieblichen Landschaftsgemälde vereinigt. –

Wir ritten weiter. – An das Baumwollenfeld stieß ein kleineres, mit Tabak bebaut. – Wir stiegen ab und gingen dem Hause zu. Es war verlassen von seinen Bewohnern. Auf dem Porch hing Ackergeräte und Riemenzeug; Pflüge, Äxte, Hacken lagen und standen umher; wir betraten die Stube, die mit rohen Tischen, Bänken, Stühlen ausstaffiert, gegenüber dem Reichtume der Felder einen seltsam ärmlichen Kontrast darbot. Ich konnte mich nicht enthalten, zu fragen, wie dieser Mann bei seinem Reichtume so ärmlich wohnen könne.

Der Major erwiderte bedeutsam: ›Der Amerikaner denkt zuerst an das Nötigste, und dann erst ans Bequeme.‹

Wir fanden es so. – Ein längerer Blick in dieses Hauswesen gab uns über das Rätsel, das in Nathans Worten lag, Aufschluß. Hier sah man wirklich schaffige Arme, rege Hände, die das Land erblühen und sprossen und gedeihen machen mußten. Ein Kreole würde die erste Ernte dazu verwendet haben, sein Haus, seine Zimmer, sich selbst herauszuputzen und durch einen Schein zu imponieren, dem er in der Wirklichkeit nie zu entsprechen imstande sein konnte. – Nicht so die Squatters. Alles war kunstlos, unzivilisiert, rauh, aber natürlich, poetisch-rauh möchte ich sagen, die ersten Elemente einer werdenden Pflanzung, aber diese so zweckmäßig angebracht, die Materialien so ganz dem Boden entsprossen, entnommen, durch keinen heterogenen Flitterstaat beleidigend, ein so klug gelassener, berechnender, Schritt für Schritt bemessener Sinn sprach sich überall aus! Man sah es deutlich, daß der Besitzer bloß einen Gedanken im Kopfe hatte, mit unverwandtem Blicke diesen Gedanken Schritt für Schritt verfolgte, und mit jener Nüchternheit, die uns Franzosen so sehr abgeht.

Ich glaube erwähnt zu haben, daß die Idee, uns in Louisiana einen Herd zu gründen, ein alter Lieblingsgedanke war. Schon zu Hause, als unsere Angelegenheiten eine so verzweifelte Wendung zu nehmen begannen, war dieser Gedanke in uns aufgestiegen, es war der Anker, an dem wir uns gehalten, inmitten des Schiffbruches unserer Partei, – das Lieblingsthema unserer Unterhaltungen, die leuchtende Hoffnungssonne, an die unsere künftige Familienexistenz sich geknüpft. Mit den Trümmern unseres Vermögens, so wenig zureichend sie waren, uns in Europa standesgemäß zu erhalten, konnten wir nicht nur leben, wir konnten auch – unsern sehnlichsten Wunsch in Ausführung bringen – unsern Geliebten, mit denen wir nun seit Jahren verlobt waren, ein Obdach zu bereiten, das sie gegen alle Unbilden der europäischen sturmbewegten Welt zu schützen imstande war. War dieses Franzosen, Spaniern, Deutschen mit weit weniger Ressourcen in diesem Lande gelungen, erfreuten sie sich nun eines Wohlstandes, der dem unserer reichsten Familien die Wage hielt, – warum nicht auch uns, die wir noch jung, mit Kenntnissen ausgerüstet, tätig, unternehmend, von treuer Liebe angespornt, eine Welt voll Kraft in uns fühlten! – Nichts fehlte uns, als die Anleitung, ein Wegweiser, um sogleich zum Werke zu schreiten. – Das Wie und auf welche Weise – das war die einzige Frage. Eine große Frage aber war es. – Wir verstanden nichts von der Landwirtschaft, um die wir uns nicht weiter bekümmert hatten, als insofern es sich um unsere Pächter und Verwalter handelte, oder vielmehr um die Renten, die sie uns einlieferten. Wir hätten wohl eine bedeutende Pflanzung kaufen und sie durch Aufseher verwalten lassen können; aber selbst wenn wir hinlängliche Fonds dazu gehabt, so verstanden wir nichts von der Pflanzerwirtschaft, hätten uns ganz auf die Aufseher verlassen müssen, und unser Letztes auf diesen Wurf zu wagen, der uns in dem ersten Jahre auf immer ruinieren konnte, ja mußte, wäre wahre Raserei gewesen. Alles das war uns erst im Verkehr mit den Kreolen der Attacapas klar, unsere schönen Träume so wieder halb zu Seifenblasen geworden. Gleich jenen blaugewirkten Dunstsäumen, die uns aus der Ferne so magisch herüberleuchten, in der Nähe aber erstickende Sumpfluft werden, hatten sie uns angezogen, um uns mit einer fieberischen Rastlosigkeit anzustecken, die uns die letzten Wochen unseres Aufenthaltes in den Attacapas zur wahren Hölle gemacht; unseres Bleibens war nirgends mehr gewesen, wie Fieberkranke hatten wir uns umhergetrieben, etwas suchend, das wir nicht zu finden – dem wir nicht einmal einen Namen zu geben wußten.

Erst bei Nathan war uns das, was wir wollten, deutlicher geworden; wir hatten in ihm den Mann gefunden, der uns den Weg zeigen konnte; – allein selbst bei ihm sahen wir nichts von der Pflanzung, obwohl sie auf einem vorzüglichen Fuße eingerichtet war, unsere Ideen waren auf ganz andere Dinge gerichtet. Wir mußten erst seine Pflanzung verlassen, eine zweite sehen, um, durch die neuen Eindrücke plötzlich aufgerüttelt, zum Bewußtsein dessen zu kommen, was wir eigentlich wollten. Und dieses Bewußtsein hatten wir nun wirklich in dieser zweiten Pflanzung erlangt, hier gerade das Ding gefunden, das wir so lange vergeblich gesucht, den geradezu leitenden Wegweiser, der uns zum Führer dienen und zum gewünschten Ziele zu bringen vermochte; eine Art ABC-, ein Buchstabier-, ein Lesebüchlein, das uns Neulingen die schwere Kunst des getting along in the backwoods Gedeihen, Fortkommen in den Hinterwäldern. ebenso stufenweise, systematisch beizubringen imstande war wie jene Büchlein den Kindern die Rudimente des Lesens und Schreibens. Es bedurfte hier nicht einmal der Fingerzeige des Majors, wir selbst fanden die Anfangsgründe, den Elementarunterricht des Pflanzerlebens, das ABC in den neuen Clearings, den Waldbrüchen, den frisch geringelten Kotton- und Immergrün-Eichenbäumen, das Buchstabieren in den schon seit einigen Jahren abgestorbenen und angebauten Waldesteilen, in der rauhen, kunstlosen Wohnung, den rohen, von den Hinterwäldlern selbst verfertigten Möbeln, den Pferde- und Kuhställen, den ersten, die wir in den Attacapas fanden. Alles das sahen wir deutlich, sahen ebenso deutlich, daß wir bloß zu tun brauchten, was diese Squatters getan, um zu eben dem Ziel zu gelangen; das Resultat ließ sich gar nicht bezweifeln. Und voll Begierde und Verlangen, den Weg unverzüglich einzuschlagen, untersuchten, prüften wir mit einer Eile, einer Hast, einer Ängstlichkeit, muß ich sagen – bei jedem Schritte kalkulierend, um mich Nathans Ausdruckes zu bedienen, – eilten wir aus der Stube in die Ställe, aus dem Gemüsegarten in die Neubrüche, die Felder; wir glichen ganz Pedanten, die den Schlüssel zu einer schwierigen Leseart, einer klassischen Stelle aus einem neuerlich aufgefundenen Manuskripte entdeckt und darüber Zeit und Ort, Essen und Trinken, Schlaf und alles vergessen. Nur derjenige, der selbst die schwierige Aufgabe des getting along in the backwoods, wie sie es nennen, zu lösen gehabt, wird sich einen Begriff von der beinahe kindischen Hast machen können, mit der wir jeden neuen Gegenstand verschlangen. Für uns hatte nun die Embryopflanzung, die Blockhütte einen unaussprechlichen Reiz. Wir dachten mit Wonne an den nicht sehr entfernten Zeitpunkt, wo unsere Teuern, Lieben im häuslich einfachen Gewande uns von der Schwelle entgegenkommen würden. –

Der Major hatte uns als Mentor bei unsern Ausflügen in die Felder, die Ställe, überallhin begleitet, Aufschlüsse gebend, Tadel, Lob aussprechend und die Verfahrungsweise des Pflanzens kommentierend. Er bemerkte, daß wir hier den großen Vorteil hätten, selbst Hand anzulegen und uns so in reger Tätigkeit zu erhalten, ohne daß dieses unserem Charakter als Offiziere zum Nachteil in den Augen der Gemeinde gereichen würde.

Wir erwiderten, daß eben dieses der größte Reiz für uns wäre und daß uns gerade dieser Umstand hier so anzöge; wir seien des faulen Lebens in den Attacapas, obwohl wir es nur eine kurze Zeit versucht, gänzlich überdrüssig.

Er bemerkte ferner, wir müßten die Attacapas nicht nur, sondern auch manches, was wir uns da beigelegt, vergessen und zurücklassen, nur unter dieser Bedingung könnten wir hoffen, hier zu bestehen.

Wir sahen ihn an, verstanden ihn aber nicht.

Aber dafür, tröstete er uns, würden wir mehrere sehr gebildete Familien hier in der Niederlassung antreffen, vorausgesetzt, wir brächten aus den Attacapas nichts mit, das uns die Häuser verschlösse.

Diese letztere Bemerkung erregte endlich unsere Aufmerksamkeit.

›Uns die Häuser verschlösse?‹ fragte ich.

›Sie werden das finden,‹ erwiderte der Major; ›der Amerikaner ist in diesem Punkte äußerst kitzlich; ich wünschte – doch wir sind in einer neuen Niederlassung.‹

Wir waren nämlich an der dritten Pflanzung angekommen. Dieselbe Tätigkeit, Regsamkeit, Einfachheit des Verfahrens. Uns kam jetzt das Ganze so leicht vor, wir träumten uns bereits in Lederwämsern.

In dieser Pflanzung trafen wir die Leute zu Hause und über ihrem Mittagsmahle. – Sie gehörte Mister Dreadnought, der gerade mit den Seinigen über einer gewaltigen Schüssel Homony saß, die von einer zweiten mit Schinken flankiert war. Als eine Art Dessert wurde ein gewaltiger Korb gesottenen, halbreifen Welschkornes in Kolben aufgetragen, die, mit Butter- und Salz genossen, uns später gleichfalls zur Lieblingsspeise wurden. Als Getränke hatten die Leute Milch in blechernen Bechern vor sich.

Der Empfang jedoch, der uns hier zuteil wurde, stimmte wieder unsere sanguinischen Erwartungen stark herab.

Wären wir damals gefragt worden, was uns an den Amerikanern am meisten auffalle, die Antwort wäre gewesen: eine zurückhaltende Kälte gegen Fremde, ein abstoßend finsterer Widerwillen, eine Apathie, die absolute Gemütsöde, wenn nicht Bosheit, verraten. Dieses Urteil wäre ohne Zweifel ungerecht gewesen, denn der Amerikaner des Westens Das heißt: westlich von dem Alleghany-Gebirge. ist, im ganzen genommen, weit herzlicher als der des Ostens, ja, er weicht gewiß keinem an Warmherzigkeit und menschenfreundlichem Entgegenkommen. Aber gewöhnt an das fröhliche Willkommen unserer Landsleute, den freudigen Händedruck des ungestümen Kreolen, mußte uns der Kontrast notwendig unangenehm auffallen. Weder Dreadnought noch einer der Seinigen regten oder bewegten sich bei unserem Eintritte, kaum, daß sie uns einen Blick zuwarfen, fuhren sie dann wieder fort, den Löffel einer allgemeinen Schüssel zuzulenken. Selbst der weibliche Teil der Tischgesellschaft, sonst so geneigt, wohlgebildeten Fremden einen Blick der Überraschung zu schenken, wandte sich kalt und, wie es schien, mit Widerwillen von uns. Obwohl daran gewöhnt, uns selbst zu beherrschen, war es uns doch nicht möglich, dem Beispiele des Majors zu folgen, der einen Sessel nahm und die Unterhaltung eröffnete. Wir blieben stehen, ohne daß uns einer auch nur eines Wortes gewürdigt hatte. Wohl fünfzehn Minuten dauerte diese Sitzung, bis wir endlich, nicht mehr imstande, es auszuhalten, ohne ein Wort zu sagen, weggingen. Der Major blieb.

›Was für furchtbar rauhe, rohe, unzugängliche Menschen!‹ konnte ich mich nicht enthalten, auszurufen, als der Major endlich wieder sich an uns angeschlossen hatte.

›Sie mögen recht haben,‹ versetzte dieser, ›aber diese rauhe Unzugänglichkeit hat ihre Ursachen, ihre guten Ursachen; – ein sehr strikt sittliches Gefühl liegt ihr zugrunde.‹

Wir sahen den Major an. Sein Ton war so trocken wie seine Zunge, er schien uns seit dem Eintritte in das Haus um einige Grade kälter geworden zu sein.

›Major! Sie bringen diese rauhe Unzugänglichkeit dieser Hinterwäldler auf eine Weise mit ihrem sittlichen Gefühle in Verbindung, die, die Wahrheit zu gestehen, für uns eine eben nicht sehr schmeichelhafte arrière-pensée im Hintergrunde zu halten scheint.‹

›Möglich‹, versetzte der Major, der so, wie viele Amerikaner, etwas vom dogmatisch Präzisen der Puritaner an sich hatte. Möglich, aber ich sehe kein Unrecht darin, daß Leute, die für die Sittenreinheit ihrer Kommunität besorgt sind, Fremden, deren Grundsätze mit den ihrigen nicht übereinstimmen, nicht mit offenen Armen entgegenkommen.‹

Bei diesen Worten sah uns der Major starr an.

›Welche Grundsätze meinen Sie?‹ fragten wir, die Zügel unserer Pferde anziehend und so die Tiere zum Stehen bringend.

›Die Grundsätze, auf denen jede bürgerliche Gemeinde beruht, sie mag groß oder klein sein, Heiligkeit des Eigentums, der Ehe.‹

›Aber ich hoffe, Sie und Ihre Hinterwäldler halten uns doch für keine Balots oder Vidals?‹ fragte Lassalle heftig.

›Ich halte Sie für Gentlemen, Messieurs!‹ bedeutete der Major dem Baron, ›für Gentlemen, als die ich ohne Ausnahme die französischen Stabsoffiziere, mit denen ich die Ehre zu verkehren hatte, kennen gelernt.‹

›Aber trotzdem, daß Sie uns für Gentlemen halten, halten Sie auch dafür, daß unsere Grundsätze der Sittenreinheit der Gemeinde eben nicht förderlich werden dürften?‹

›Von meiner Meinung ist eigentlich nicht die Rede, da ich bei der Sache nicht beteiligt bin.‹

›Aber wenn Sie beteiligt gewesen wären?‹ fragte ich dringlicher – denn ich wollte den Mann auf alle Fälle zu einer runden Erklärung bringen.

›Wenn ich beteiligt wäre,‹ versetzte er, ›so würde ich es für Pflicht halten, die Gefahren, die ein Skandal notwendig für die Gemeinde nach sich ziehen müßte, abzuwenden.‹

›So glauben Sie, daß unsere Anwesenheit einen Skandal für die Gemeinde nach sich ziehen müßte?‹ fuhr Lassalle heraus. – ›Mein Herr, Sie werden beleidigend. Wenn Sie ein Gentleman sind, so werden Sie wissen, daß französische Stabsoffiziere sich nicht ungestraft beleidigen lassen.‹

Der Major blieb ganz ruhig.

›Verstehen Sie mich recht!‹ versetzte er kalt. ›Ich sage nicht, daß Ihre Anwesenheit einen Skandal für die Gemeinde nach sich ziehen müßte, sondern daß ich es für Pflicht halten würde, die Gefahren, die ein Skandal notwendig mit sich bringen müßte, von der Gemeinde, deren Mitglied ich bin, abzuwenden. Eine bürgerliche Gesellschaft, so wie die unsrige, die sich selbst regiert und in der alle Glieder gleiche Rechte haben, muß vorzüglich darüber wachen, daß jene Grundsätze, auf denen ihre Moralität beruht und die sie in Ehren zu halten alle Ursache hat, nicht auf eine grobe Art verletzt werden.‹

›Aber zu allen T–ln! Was reden Sie hier von grober Verletzung von Grundsätzen? – In was haben wir Ihre Grundsätze verletzt? Wir, die wir Sie und Ihre Gemeinde heute zum erstenmal gesehen.‹

›Ob Sie diese Grundsätze verletzt, davon ist hier nicht die Rede, würde die Gemeinde auch ganz und gar nicht interessieren; aber es ist von größter Bedeutung für sie, daß sie vor der Gefahr der Ansteckung, der sie die Verletzung derselben notwendig aussetzen müßte, bewahrt werde. Was mich betrifft, so kann ich nur so viel sagen, daß ich die Scheu und Zurückhaltung Mister Dreadnoughts und der Seinigen, über die Sie sich so sehr beklagen, unter Amerikanern ganz in der Ordnung finde, ja, daß Sie diese Zurückhaltung nicht nur in den übrigen Häusern der Niederlassung, sondern bei einem zweiten Besuche auch die Türen der Häuser geschlossen finden dürften; – selbst Nathan –‹

›Was mit Nathan?‹ riefen wir empört.

›Hat mich ersucht, über diesen heiklen Punkt mit Ihnen zu sprechen, und im Falle, daß Sie nicht abständen, Ihnen zu eröffnen, daß er sich Ihre Besuche ein für allemal verbitte. Er ging deshalb nicht mit.‹

Wir standen sprachlos vor Verlegenheit, Scham und Zorn.

›Ich habe mich nur ungerne mit einem Auftrage befaßt, der an sich so heikler Natur ist, aber als gewesener Waffenbruder so vieler Ihrer wackern Landsmänner, und überzeugt, auf diesem Wege Ihnen sowohl als den Leuten hier nützlich sein und Unannehmlichkeiten ersparen zu können, die für Sie, glauben Sie mir, sehr schlimme Folgen haben dürften – habe ich mich entschlossen.‹

Sacrée!‹ – fuhr Lassalle heraus, vor Wut schäumend. ›Bei allen T–ln!‹ schrie ich, denn der Mann hatte ein so kühles, schwer grobes Fell und gab uns seine Impertinenzen so scheffelweise, mit einem so imperturbablen Gleichmute, die uns, alle weiteren Rücksichten vergessend, nun wirklich in Harnisch brachten. ›Was meinen, was wollen Sie? – Sie scheinen es darauf angelegt zu haben, uns herauszufordern! – Doch, wollen die Sache kurz machen. – Wollen Amadee um unsere Pistolen senden.‹

›Zuerst will ich mich des übernommenen Auftrages entledigen, und dann das Weitere,‹ sprach der Major ruhig.

›Keine Beleidigung mehr, – wir haben deren genug gehört!‹ schrie Lassalle heftig. – Wir waren durch des Mannes imperturbable Starrheit aufs Äußerste gebracht.

›Hören Sie! Nathan läßt Ihnen sagen, daß Sie ihm und den Seinigen ein ganz lieber Nachbar sein sollen, – immer vorausgesetzt, Sie bringen die Farbige, die Sie sich, wie er von dem jungen Akadier und aus Ihrem eigenen Munde gehört, beigelegt, nicht mit.‹

›Wir bringen die Farbige, die wir uns beigelegt, nicht mit!‹ schrie ich. – ›Welche Farbige?‹

›Die Farbige, mit der Sie in den Attacapas eine galante Liaison haben und für welche Sie, wie es verlautet, das Land ersteigert, um ihr hier eine Retraite einzurichten.‹

Lassalle brach in ein lautes Gelächter aus. – Nicht so ich; denn die Affäre war wirklich eine sehr verdrießliche, und so sonderbar wir einen unberufenen Vermittler in la belle France angeschaut haben würden, hier, das wußten wir aus unseren Attacapas-Erfahrungen, war die Sache eine andere. Um vieles kühler versetzte ich:

›Obwohl die Art und Weise, in der Sie diesen Gegenstand aufs Tapet gebracht haben, für uns eben nicht schmeichelhaft, ja, im Gegenteile, beleidigend ist, so glauben wir doch, uns über diese Bedenklichkeiten hinwegsetzen und Ihnen erklären zu müssen, daß das Ganze nichts als eine elende Klatscherei ist und wir so wenig im Sinne hatten, eine Farbige hieher zu bringen, als wir je mit einer liiert waren.‹

Der Major sah mich zweifelhaft an.

›Klatscherei, was in den ganzen Attacapas als Tischgespräch zirkuliert! Weiß nicht, aber sei es oder sei es nicht. Was Sie unten getan haben, geht die Gemeinde hier nichts an, vorausgesetzt, Sie bringen den Gegenstand des Anstoßes nicht hierher.‹

›Hier ist nicht von der Gemeinde, hier ist von unserem Worte, von unserem Ehrenworte die Rede‹, fiel Lassalle hitzig ein. ›Wem glauben Sie mehr, zwei Stabsoffizieren, Kavalieren von altem Hause, oder ein paar rohen Akadiern? Wohl, wir sagen Ihnen auf unser Ehrenwort, daß wir diese Farbige nicht weiter kennen, daß wir sie zufällig ein einziges Mal gesehen – daß wir sie selbst dieses einzige Mal nicht gesehen hätten, wäre der Sturm nicht über unseren Häuptern hereingebrochen, wir, mit einem Worte, verirrt gewesen, als wir unsere Milchkuh suchten.‹

›Und das wäre wirklich so?‹

›So ist es; wir sahen die Familie einmal, und kein zweites Mal mehr.‹

›Und die täglichen Besuche, Tanzpartien?‹

›Hat das Gerücht hinzugefügt. – Die Mädchen führten einen Tanz auf, aber wir nahmen keinen Anteil. – Verstehen Sie mich aber wohl, diese Erklärung geben wir Ihnen nicht, um uns zu rechtfertigen oder zu verantworten, wir erkennen weder in Ihnen noch in den Hinterwäldlern Richter, die befugt wären, von unserem Betragen Rechenschaft zu fordern; aber wir geben sie Ihnen, weil wir es uns selbst schuldig zu sein glauben, alberne Gerüchte zu widerlegen, ein so undankbares Geschäft sonst dieses auch ist, und so wenig die rohen, ungebildeten Menschen es verdienen.‹

›Ob diese Leute so roh und ungebildet sind, wie Sie meinen, ob sie diese Rücksicht verdienen oder nicht, das werden Sie nach und nach sehen. Ich kann also Ihr Ehrenwort darauf nehmen, daß an der ganzen Sache nichts ist?‹

›Wir haben es einmal gesagt; das ist, glauben wir, hinreichend.‹

›So warten Sie hier, ich muß noch einige Worte mit Dreadnought sprechen.‹

›Wenn Sie den Hinterwäldler über diesen Punkt berichtigen wollen, so ist dieses überflüssig, denn wir denken nicht mehr daran, uns hier niederzulassen, und es ist uns gleichgültig, was dieser rohe, anmaßende Bauer von uns hält.‹

›Warten Sie doch noch einen Augenblick,‹ versetzte der Major, der zum Hause zurücksprengte, – von dem wir uns nur einige hundert Schritte entfernt hatten.

Nach einer Weile kam er, den Zügel seines Pferdes in der Hand, mit Dreadnought an uns herangeschritten.

›Höre, seid auf dem Wege, einen Blick auf die Niederlassung zu tun,‹ rief uns der Hinterwäldler zu. ›Will Euch nicht aufhalten, nur sagen, daß Ihr mir ein Vergnügen erzeigen würdet, wolltet Ihr bei Eurer Rückkehr vorsprechen.‹

›Das können wir nicht wohl versprechen; haben an einem Besuche zur Genüge – und dann, was würde Eure Familie dazu sagen?‹ versetzte ich. – ›Sie schien unsern ersten Besuch nicht ganz angenehm zu finden. Was würde erst ein zweiter?‹

›Ei, wir hielten Euch eben für nicht besser als viele Eurer Landsleute, die nichts mit herüber bringen als ihre Liederlichkeit, und solche Leute sieht man lieber vor der Türe als innerhalb. Höre jedoch, seid wackere Leute, und sollt willkommen sein. Erwarten Euch zum Abendessen.‹

Mit diesen Worten schüttelte er uns die Hand und ging wieder zurück.

›Was sagen Sie nun?‹ fragte der Major, während er sein Pferd bestieg.

›Daß wir noch keinen Grund finden, unser Wort zurückzunehmen, und daß uns dieses rauh anmaßend klatschsüchtige Wesen nicht gefällt, und uns die Lust so ziemlich benommen hat, unser Heil in dieser Nachbarschaft zu versuchen.‹

›Wenn Sie das abschreckt, was einen Amerikaner gerade anziehen würde, dann freilich läßt sich nichts sagen. Ich kann wohl begreifen, daß Sie, als französische Kavaliere und Offiziere in diesen Punkten anders oder, wie Sie sagen, liberaler denken; aber das ist eine böse Liberalität, die zum Glück bei uns noch nicht Eingang gefunden hat. – Falls Sie in guter Nachbarschaft leben wollen, müssen Sie sich der öffentlichen Meinung bequemen.‹

›Nicht diesem puritanisch sittenrichterlich zensorialen Wesen, dieser malevolenten Klatschsucht? Schade, daß Nathan – in dem wir einen ganz andern Mann gesucht hätten –‹

›Sie irren sich‹, fiel mir der Major ein. ›Kein Amerikaner würde da zurückhalten, ohne sich gegen die Gemeinde, deren Glied er ist, gröblich zu vergehen. Sie müssen bedenken, daß bei uns, die wir von keiner starken Hand regiert werden, keiner Priesterschaft, keiner Polizei, keiner Armee von Zivil- und Militärbeamten, keinem Könige, der durch eine lettre de cachet den Skandal in eine Bastille begraben kann – daß wir, sage ich, die gewissermaßen von Prinzipien regiert werden, den Hochverrat gegen diese ebenso strenge bestrafen, wie bei Ihnen der Hochverrat gegen Ihre sogenannten unverletzbaren Herrscher bestraft wird. Wehe uns, wenn diese letzten und einzigen Schranken bei uns niedergerissen werden, wir müßten in eine Anarchie, ja, in eine Zügellosigkeit verfallen, größer als selbst die, deren Ihre Sansculotten beschuldigt waren, und unheilbarer.‹

›Das mag alles sein, aber ein solches Schildwachestehen vor seines Nachbars Tür ist ebenso jeder Convenance wie Sitte entgegen und muß sowohl den Charakter verderben wie jedes aufrichtig loyale Verhältnis zwischen Nachbarn unmöglich machen.‹

›Sie werden das Gegenteil erfahren. Zeigen Sie sich Ihren Nachbarn als ein Mann von Grundsätzen, und man wird Ihnen mehr durch die Finger sehen als in irgendeinem andern Lande. Ich versichere Ihnen, kein glücklicheres Leben, als der amerikanische Gentleman, der mit seinen Nachbarn in Harmonie lebt und Herr und Meister auf seiner Scholle und in seinem Hause ist. Er ist der einzig freie Mann auf Erden.‹

›Beneiden diesen freien Mann nicht, sind aber nicht gesonnen, zu erlauben, daß man sich mit uns solche Freiheiten nimmt.‹

›Wie Sie wollen‹, versetzte der Major. ›Wer zu uns kommt in der Erwartung, seinen Leidenschaften frönen zu können, wird sich sehr getäuscht finden.‹

Hier brach die Unterhaltung ab. Das ewige Hin- und Herreden gefiel uns so wenig wie der Ton des Majors und die impertinente Achtung, die die Gemeinde über uns ausgesprochen. – Unser Stolz fand sich abermals an einem empfindlichen Flecke verwundet. Der Gedanke, diese sittenrichterlichen, rauhen Gesellen zu Nachbarn zu haben, war uns so widerwärtig geworden, – wären unsere Freunde näher gewesen, wir hätten dem Hinterwäldlerleben für immer Lebewohl gesagt.

Verstimmt ritten wir weiter, mehr, weil wir allein nicht umkehren, eben nichts Besseres tun konnten.

So kamen wir an einer sogenannten Gabel an, von deren beiden Zacken die eine in nord-, die andere in südöstlicher Richtung auslief. Wir schlugen letztere ein und gelangten nach einem kurzen Ritte durch den Immergrün-Eichen-, Magnolien- und Bohnenbäume-Urwald auf einen Knitteldamm, den Anfang eines Zypressenwaldes oder, was beinahe gleichlautend ist, Sumpfes, wo wir absteigen mußten.

›Aber wo wollen wir hin?‹ fragten wir.

›Wir sind an Ort und Stelle‹, war die Antwort des Majors, der von seinem Pferde stieg, bedächtig eine Klappe an den Pistolenhalftern öffnete, dann die andere, und zu unserer Verwunderung ein Paar Reiterpistolen herauszog. Wir sahen einander an.

Was wollte der alte Revolutionär? Warum hatte er die Waffen mitgenommen? Hier den Kampf auszufechten? – Der Ort war nicht ungeeignet dazu. Der ganze Wald glich mehr einer Todesgruft als sonst irgend etwas; schauerlich erhoben sich rings umher die düstern Zypressen, jedem Sonnenstrahl undurchdringlich, außer da, wo der Knitteldamm sich hinzog, eine lange Avenue bildend, durch deren Vistas die gebrochenen Strahlen einfielen und kämpfend mit der nächtlichen Dunkelheit ins düstere clair-obscur übergingen. Bloß das schrille Geschrei einzelner Spechte und das höhnische Gelächter der Nachteulen ließ sich hören. Wir hielten, gespannt in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.

›Halten Sie Ihre Pferde sorgfältig am Mundstück und schreiten Sie mir nicht vor‹, mahnte der Major, der sich nun in Bewegung setzte.

›Aber wohin wollen Sie, wozu brachten Sie uns hierher?‹

›Sehen Sie sich diesen Knitteldamm an, aber recht aufmerksam.‹

Wir sahen also den Knitteldamm an, der, wie gesagt, da anhob, wo der Immergrün-Eichenwald sich dem Sumpfe zusenkte. Der Damm war rauh, aber mit vieler Sorgfalt etwa zwanzig Fuß breit gelegt, Knittel an Knittel. Allmählich wurden diese Knittel zu Baumstämmen, zu dickeren, zu den dicksten Zypressenstämmen, die wohl fünf, ja bis sieben Fuß im Diameter hielten. Wie wir näher in den Sumpf eindrangen, fanden wir diese Stämme zweifach, endlich dreifach übereinander gelegt, und die ungeheuern Tröge, die durch die Kurvatur der Zypressen verursacht waren, durch dünnere Stämme ausgefüllt. Es war, wie wir nun sahen, eine Straße, die durch den Zypressensumpf führte. Wir sahen sie im Lichtsaume, der von oben herab einfiel, sich durch den Sumpf fortschlängeln; auf beiden Seiten zahllose Zypressenstumpen, die drei bis vier Fuß aus dem Schlamme emporragten – wie Grabsteine.

Der Major hatte kein Wort gesprochen, seine Augen vorwärts gerichtet, schritt er bedächtig fort.

Auf einmal hob er eine Hand, zielte, und im nächsten Momente schoß er eine der Pistolen los.

Ein furchtbarer Aufruhr in dem schauerlichen Sumpfe. Nachteulen, Ahingas, Alligatoren, Spechte brachen in ein heulendes, lange nachhallendes Geächze, Geschnatter, Gebrülle aus. Der Schall rollte gleich dem entfernten Donner durch die düstere Waldung.

›Ein Alligator, der uns den Weg versperrte‹; mit diesen Worten wandte sich der Major zu uns. Das Gezücht macht sich aus seinem Schlammbette heraus, und da unsere Pferde keine Schellen haben, die sie in der Regel verscheuchen, so ist einige Vorsicht von nöten. Wir können nun wieder vorwärts; hat seinen Teil ins linke Auge bekommen.‹

Wir schauten, sahen aber nichts, gingen etwa dreißig Schritte vorwärts und fanden den in seinem Todeskampf sich wälzenden Alligator. Er hatte das tödliche Blei richtig ins linke Auge erhalten.

›Aber wozu bringen Sie uns in diesen Sumpf, Major?‹

›Um ihnen von den eingebildeten rohen Bauern eine richtige Idee zu geben‹, versetzte der Major. ›Sehen Sie, dieser Knittel- und Zypressendamm führt eine halbe Meile durch den Sumpf, an einigen Orten sind die Stämme doppelt, ja dreifach übereinander gelegt.‹

›Wir sehen, und weiter!‹

›Weiter‹, versetzte er, ›führt die Straße zu einer kleinen Ansiedlung, die jenseits des Sumpfes liegt und aus etwa zwanzig Familien besteht.‹

›So! Und was haben wir mit all diesem zu schaffen?‹

›Bis jetzt noch nichts; von dieser Ansiedlung führt die Straße durch einen Eichenwald, ein Palmettofeld, einen zweiten Sumpf, der aber nicht so breit und tief wie dieser, nur die Hälfte des Jahres unter Wasser steht; von da geht sie durch einen Kiefernwald und einen dritten Sumpf dem Redriver zu.‹

›So haben diese Hinterwäldler also eine Straße an den Redriver angelegt? Und sie hätten das getan, allein und ohne Beihilfe der Regierung?‹ fragten wir, zweifelhaft die Köpfe schüttelnd, ›ohne von der Regierung unterstützt zu sein?‹

›Zweifle, ob sie ein Wort davon weiß‹, versetzte der Major. ›Das Werk war ein ungeheures, sowohl was den Plan als die Ausführung betrifft. – Ich wollte es Ihnen zeigen, um Ihnen eine Idee von den Leuten zu geben.‹

›Das ist wirklich eine für eine so kleine Niederlassung ungeheure Arbeit.‹

›Gewiß,‹ versetzte der Major, ›aber die Arbeit ist nicht größer als das Resultat, das die Gemeinde dadurch gewann. Der Amerikaner unternimmt keine Arbeit, ausgenommen, es sei denn das Resultat auch ein lohnendes. Hier ist es ein lohnendes. Die Niederlassung hat durch diese Straße eine Verbindung mit den Staaten oben, mit Neuorleans unten gewonnen, sie kann ihre Produkte stündlich, täglich, wöchentlich absetzen. Das ist mehr, als irgendeine Niederlassung in Louisiana, die nicht am Mississippi liegt, von sich sagen kann.‹

Wir schwiegen, mußten aber dem Manne recht geben.

›Sehen Sie, haben sie in den Attacapas noch so viele Rinder, Pferde, Kühe, so sind sie bei all ihrem Reichtum doch bettelarm; das Fleisch verfault ihnen, ihre schönsten Produkte verderben, und sie selbst mit, weil sie zu träge, sich eine Verbindung zu öffnen, sich auf die beschränken, die ihnen die La Fourche- und die Plaquemine-Bayous vier Monate das Jahr hindurch gewähren. Diese Leute verstehen ihre Sachen besser – das erste, was sie taten, als sie eine hinlängliche Anzahl Arme hatten, war, diese Straße anzulegen.‹

›Diese Leute berechnen wirklich auf eine Weise, die wir uns nicht hätten träumen lassen.‹

›Wenn Sie nur noch vierundzwanzig Stunden blieben, so stehe ich Ihnen dafür, Sie halten sie nicht mehr für ungebildet, roh‹, sprach der Major bedeutsam, ›noch deuten Sie es Ihnen übel, wenn sie sich den Fremdling zuvor ansehen, ehe sie ihn zum Mitgenuß von Vorteilen zulassen, die sie mit Aufopferung so vieler Kräfte, ja mancher Leben errungen; – denn, merken Sie wohl, obgleich sie meistens zur Zeit arbeiteten, wo der Sumpf ganz oder doch großenteils ausgetrocknet war, so kostete diese Arbeit doch mehrere wertvolle Menschenleben.‹

Wir schwiegen. –

›Hoffe jetzt,‹ sprach der Major artig, ›Sie nehmen das Wort beleidigend zurück, das Sie vorhin anzuwenden beliebten.‹

›Vergebung, Major!‹ versetzte ich. ›Sie wissen, daß, wo zwei so verschiedenartige Elemente, wie Franzosen und Amerikaner, in Berührung kommen, es ohne eine kleine Reibung nicht abgeht. – Wir sind vollkommen von der Größe dieses Werkes durchdrungen und können den Leuten wirklich unsere Bewunderung nicht versagen.‹

Der Mann schien mit unserer Apologie zufrieden, und das gute Vernehmen war so wieder hergestellt.

Übrigens konnten wir den Leuten wirklich unsere Bewunderung nicht versagen; denn das Unternehmen war in der Tat eines, dessen sich die Regierung von Louisiana selbst nicht zu schämen brauchte, ja, keine Regierung; – und dieses Unternehmen war von hundertundzwanzig Familien ausgeführt. Welchen praktischen Sinn, welchen sozusagen gang und gäbe gewordenen Kombinationsgeist verriet nicht dieses Unternehmen! Wie schroff stachen dagegen unsere Landsleute und ihre Abkömmlinge, die Kreolen, ab, mit ihren ewigen Bällen und kindischen Plaisirs menus, ihrem Faulleben, in dem sie nun an die fünfzig Jahre vegetierten, ohne je an Besserung ihrer Lage gedacht zu haben. Wären Franzosen hier gewesen, so wäre ein Tanzsaal, ein Liebhabertheater ohne Zweifel das erste gewesen, was ihre vereinte Energie geschaffen hätte. – Wir konnten uns nicht enthalten, unsern Empfindungen Worte zu leihen, ein gewisses, unbehaglich neidisch peinliches Gefühl bemeisterte sich unser.

›Ah,‹ versetzte der Major; ›in der französischen Natur gibt es aber auch wieder Stoff – den wahren reellen Stoff, der Großes bereiten kann, wenn er will. Dürfen auch wieder nicht vergessen, daß die Kanadier es waren, die Louisiana zuerst entdeckten und da ihren Herd aufschlugen. Hätte sie ihre Regierung tun und schalten lassen und ihnen gelegentlich mit ein paar Schiffsladungen Ackergeräte, Vieh, Waffen und derlei Dingen, die für sie mehr Wert hatten als Fässer voll Dublonen, unter die Arme gegriffen – sie wären vielleicht ebenso weit gekommen wie die englischen Kolonisten oben. Sind tüchtiger Stoff, diese Kanadier, auf alle Weise. Aber ihre Regierung wollte, wie jede despotische, alles regieren, ihre Hände überall im Spiele haben, und dieses ist ein großer Fehler, und nirgends mehr als bei der Gründung von Kolonien. Ihre Regierung nahm die Sache in ihre eigene Hand und leitete von Versailles aus Unternehmungen, von denen sie nicht viel mehr wußte als wir vom Monde; sandte Kolonisten, die nichts taugten, und einen Schwarm von Beamten, die sie gut salarierte und damit alles getan zu haben glaubte, und die natürlich sobald als möglich darauf bedacht waren, ihre Salarien gemächlich zu verzehren, Theater-, Tanz- und Spielhäuser bauen ließen, kurz, Lousiana auf einmal zivilisieren wollten. Ei, das ist der Fluch von Louisiana; sie brachten eine debauchierte Zivilisation in ihrem Gefolge mit, die gleich dem Wurme im Innern der Frucht nagt und, befürchte, die schöne Frucht früher oder später faul machen wird. –

Doch, wollen zurück,‹ beschloß er, ›der Abend rückt heran, und Mistreß Strong würde mir keinen Dank wissen, wenn ich Sie ihr, mit dem Fieber behaftet, ins Haus brächte.‹

Wir kehrten also zurück. Unsere Verstimmung gegen die Hinterwäldler war zum Teile gewichen; denn, wie gesagt, wir konnten nicht umhin, ihnen alle die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die ihr reeller Sinn so sehr verdiente; – immer jedoch war noch ein gewisser Widerwille gegen das, was wir nach unsern Begriffen für Anmaßung hielten, in uns zurückgeblieben. Unser Entschluß, uns hier niederzulassen, der einige Stunden vorher zur Reife gediehen, war wieder wankend geworden.

Unter diesen widersprechenden Empfindungen kamen wir vor Dreadnoughts Blockhause an.

Er selbst empfing uns an der Türe, nahm uns die Pferde ab und führte sie in den Stall, worauf er uns seine Familie vorstellte.

Unser Empfang war nun ein ganz anderer. Mutter, Töchter und Söhne schüttelten uns warm die Hände, wünschten uns herzlich Willkommen und gingen dann wieder an ihre Geschäfte; die Söhne an das Aufräumen des Hofes, des Porches, die Frauen an das der Stube und die Zurechtsetzung des Soupertisches. Bloß der Herr des Hauses machte eine Ausnahme und blieb bei uns, die wir am Porche Platz genommen hatten.

Und wie wir so saßen und dem häuslichen Walten der Familie zusahen, sprach uns allmählich dieses stille, häusliche Schalten der Familie auch an. Die amerikanischen Frauen haben in diesem Punkte wieder einen eigenen Takt. Alles geht so stille, so ruhig vor sich, arbeitet sich so gemächlich, geräuschlos in die Hände, man hört so selten eine schreiende, laute Stimme, so ungemein selten etwas, das einem Gezänke, auch nur im entferntesten, gleicht; so anständig gelassen und doch wieder ungemein lebendig bringen sie ihr Haus in Ordnung, erhalten es! – Es war Sonnabend, den sie bekanntlich bereits als Anfang des Sonntages feiern; die Mädchen hatten bereits ihre halbsonntägige Toilette gemacht und waren sehr gefällig in Roben von Woll- und Leinstoffen gekleidet, die ihnen vortrefflich zu ihren schlanken Gestalten standen. Die etwas demokratischen Hände und Füße abgerechnet, konnten sie für sehr hübsch gelten.

Die Tafel wurde auf dem Porch zugerichtet, von dem wir die Aussicht auf die im blauen Dunste verschwimmende Prärie hatten, deren äußerste Ränder, mit Waldpartien eingefaßt, eine herrliche Fernsicht darboten. Die in den Strahlen der untergehenden Sonne verglühenden Waldmassen vor unsern Augen aufleuchtend, in die herrlichsten Tinten verschmelzend – die Lüfte so rein, so elastisch, so erfrischend! – ein unbeschreiblich behagliches Gefühl kam über uns, als wir nun in diesem Familienschoße so saßen – inmitten ihrer selbstgeschaffenen Herrlichkeit und der Gottesnatur.

Vor uns wurden mehrere Bouteillen feinen Sherrys aufgestellt, der unsere Zungen bald beredter, die Unterhaltung lebhafter machte; von der Straße, die wir gesehen, ging sie auf die Hinterwäldlerwirtschaft, die Schwierigkeiten und Arbeiten einer Hinterwäldleransiedlung über. – Dreadnought tröstete uns, daß der Anfang nirgends leichter sei als in einer Niederlassung, die unlängst angefangen und wo jeder neue Ankömmling des tätigen Beistandes seiner neuen Nachbarn sich zu erfreuen habe. Die größten Schwierigkeiten seien für die eigentlichen Gründer der Niederlassung, Mister Strong und die Seinigen, eigentlich die Männer, die das Werk in Gang gesetzt, und für alle anderen gearbeitet; ihm sei die Hauptsache zu verdanken.

Diese Unterhaltung, für uns natürlich in unsern dermaligen Umständen die interessanteste, spann sich in die Länge, die Töchter und Söhne hatten sich schon seit geraumer Zeit vom Tische erhoben, die Sonne war untergegangen, und wir saßen im Silberscheine des aufgehenden Vollmondes, in der deliziösen Abendkühle, als auf einmal Töne an unsere Ohren schlugen – Töne, so himmlisch, daß wir auffuhren, Ohren und Augen aufrissen, dem Luftzuge entgegenhielten.

Wir schauten, wir horchten, aber kein Laut entfuhr uns, gleichsam, als befürchteten wir, unsere unheiligen Worte würden die himmlischen Töne verscheuchen.

Abermals erklangen die himmlischen Töne, in langen Schwingungen kamen sie wie Musik verklärter Geister auf den Fittichen des Zephirs an die Ohren – was sage ich, an die Ohren – an jede unserer Fibern schlugen sie, durchdrangen uns mit einem Schauer, den wir noch nie so heilig gefühlt.

Es waren langgezogene Töne, die in dem Abendlüftchen herangeschwollen kamen, voll, melodisch, nun wie der Jubelgesang himmlischer Geister, wieder wie die sanften Schwingungen einer Äolsharfe. Rings um uns herum Stille und die prachtvolle Flur in weiter Ferne, in die Silberstrahlen des vertikal einfallenden Mondlichtes getaucht, die Nähe noch im Zwielichte der Dämmerung begraben. – Weit jenseits der Prärie die wie verklärten Riesendome der Magnolien und Immergrün-Eichen, – und wir zitternd vor nie gefühlter Lust, die himmlische Musik in den Ohren.

Wir saßen keines Wortes mächtig.

Mister Dreadnought riß uns endlich aus unserer Verzückung.

›Es ist die Singschule; unsere Kinder halten ihre wöchentliche Singschule; es ist Sonnabend.‹

›Könnten wir nicht hin?‹

›Ohne Zweifel, die Pferde stehen gesattelt. – Ohnedem ist sie heute beim Reglähter.‹

Wir eilten aus dem Hause, bestiegen die Pferde und eilten im raschen Trabe Nathans Hause zu. Je näher wir dem Hause kamen, desto voller schlug uns der Gesang der jungen Hinterwäldler an die Ohren. Freilich verlor er das Himmlische, Geläuterte, das uns zuerst so sehr entzückt, bei unserer allmählichen Annäherung; aber die vereinigten Stimmen von sechzig bis siebzig Jünglingen und Jungfrauen, die ihrem Schöpfer Lob und Preis singen, hat immer etwas so Erhebendes, Läuterndes, in höhere Regionen Versetzendes. – Wir waren, wie gesagt, in wahrer Verzückung.

»Wundern Sie sich nicht, Gentlemen!« fährt der Graf nach einer kurzen Pause fort. »Wir hatten die Zauberflöte und Iphigenie gehört, die Entführung aus dem Serail und das Miserere der sixtinischen Kapelle, aber sie hatten nicht die ergreifende Wirkung dieser siebzig Hinterwäldlerstimmen auf uns. Seit länger als einem halben Jahre hatten wir keinen Ton, keine Stimme gehört. Jetzt zum erstenmal seit so langer Zeit schlugen uns die kräftigen, schönen Naturtöne einer jungen, dem Höchsten Ehre und Preis darbringenden Gemeinde an die Ohren; die Scharen der unsichtbaren Geisterwelt schienen uns in den Tönen zuzurufen, ihre Schatten uns zu umflattern. Unsere Stimmung war eine religiöse geworden – wir vergossen Tränen des Entzückens.

Die junge Gemeinde sang die erhebenden, prachtvollen Lieder der presbyterianischen Kirche; die Melodien, wie Sie wissen, waren damals noch ganz im Choralstile, der so ungemein ergreifend wirkt, komponiert. Wie wir an den Außengebäuden des Blockhauses ankamen, fanden wir wohl an die hundert Reitpferde angebunden. Es war beinahe die ganze Gemeinde in und vor dem Hause und dem Porche versammelt. Die Männer und Frauen in der Stube sitzend, die Jünglinge und Mädchen in einem weiten Kreise in zwei Abteilungen. – Innerhalb dieses Kreises bewegte sich eine langbeinige, hagere Gestalt auf und ab, der wahre Typus eines neuenglischen Schul- und Singmeisters, die Hände auf- und wieder abschnellend, wie schlappe Segeltücher an den Masten eines Schiffes – aber ein Meister in der Kunst des heiligen Gesanges.

Die Leute machten, uns still und herzlich die Hände drückend, Platz. Wir setzten uns, horchten – sahen und hörten. Nie hatte ein Konzert in Versailles oder Trianon so eifrige Horcher gesehen. Alle Verstimmung war gewichen.

Es ist doch einzig um die Religion! Sie ist doch das Band, das Wesen und Wesen aneinanderknüpft und dem Hinterwäldler und dem Pair in dem, der droben über den Sternen thront, den Vater zu erkennen gibt! Diese Stunde hatte mehr zu unserer Verständigung beigetragen als alle früheren und nachfolgenden Debatten zusammengenommen. – Von dieser Stunde an waren und blieben wir Freunde.«


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