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Neunzehntes Kapitel.

In der ersten schottischen Stadt, die wir erreichten, suchte mein Begleiter seinen Freund und Ratgeber auf, um mit ihm zu überlegen, wie auf fügliche und gesetzliche Weise das Pferd zu seinem rechtmäßigen Eigentum gemacht werden könne, das gegenwärtig nur durch jene eigenmächtigen Mittel ihm gehörte, die noch immer zuweilen in dieser einst gesetzlosen Gegend vorkommen. Es freute mich, ihn mit betrübter Miene zurückkehren zu sehen. Er war, scheint es, eher zu offenherzig gegen seinen vertrauten Freund, den Anwalt, gewesen, und erfuhr zu seinem großen Leidwesen auf seine rückhaltlose Freimütigkeit, daß Touthope indessen Friedensschreiber geworden und genötigt war, alle dergleichen Fälle dem Gericht anzuzeigen. Nach der Versicherung dieses behenden Polizeimitgliedes mußte das Pferd mit Beschlag belegt und gegen Hinterlegung von zwölf schottischen Schillingen per diem in Verwahrung genommen werden, bis die Frage über das Eigentumsrecht gehörig geprüft und entschieden worden sei. Er sprach sogar davon, daß seine Pflicht ihm auferlege, den ehrlichen Andreas selbst festzuhalten; doch auf die dringenden Bitten meines Führers stand er nicht allein von diesem Vorhaben ab, sondern schenkte ihm sogar einen kurzatmigen Klepper zur Fortsetzung seiner Reise. Für diese Handlung der Großmut mußte ihm der arme Andreas freilich seine Rechte und Ansprüche auf Thorncliffs stattliches Roß übertragen.

Andreas tat, als ich ihn hierüber befragte, sehr niedergedrückt; daß er so um etwas geprellt worden sei, was er sich mit Gefahr seines Halses angeeignet hatte, hätte ihn nicht halb so sehr gekränkt, meinte er, wenn es unter den Engländern geschehen wäre; aber es sei eine schlimme Sache mit anzusehen, wie eine Krähe der andern die Augen aushacke oder ein guter Schottländer einen andern betrüge. Doch ohne Zweifel habe sich alles in seinem Vaterlande sehr verändert seit der bösen und trübseligen Vereinigung beider Königreiche.

Nach diesem Ausgange der Sache glaubte ich, von aller Sorge um das Pferd befreit zu sein, und schrieb meinem Oheim, wie es nach Schottland gekommen sei, und daß es sich in den Händen der Gerechtigkeit und ihrer würdigen Stellvertreter befinde, an die ich ihn wegen des Nähern verwies.

Wir setzten nun die Reise in nordwestlicher Richtung fort, und weit langsamer, als wir zur Nachtzeit England verlassen hatten. Eine Reihe kahler, reizloser Hügel folgte der andern, bis sich das fruchtbare Tal des Clyde vor uns öffnete, und bald erreichten wir die Stadt Glasgow. Ein ausgedehnter stetig wachsender Handel mit Westindien und Amerika hat, soviel ich weiß, den Grund zu ihrem Reichtum und Wohlstand gelegt. Zu jener Zeit war die Morgenröte dieses Glanzes noch nicht angebrochen. Die Vereinigung mit England hatte zwar Schottland den Handel mit den englischen Kolonien eröffnet, aber Mangel an Kapital und die Nationaleifersucht der Engländer schlossen die schottischen Kaufleute noch großenteils von dem Gebrauche des Vorrechts aus, welches dieser denkwürdige Vertrag ihnen verliehen hatte. Glasgow galt schon damals für den wichtigsten Ort im westlichen Schottland. Der breite, nahe an den Mauern strömende Clyde gewährte die Mittel zu einem nicht unerheblichen inländischen Handel. Nicht allein, die fruchtbaren Ebenen der umliegenden Gegend, sondern auch die Bezirke von Ayr und Dumfries betrachten Glasgow als ihre Hauptstadt, in die sie ihre Erzeugnisse bringen, und dagegen feinere Handelsartikel und andre Gebrauchsartikel empfangen.

Die dunklen Gebirge des westlichen Hochlands schickten oft ihre wilden Stämme auf die Märkte von St. Mungos Lieblingsstadt. Herden von wilden, zottigen, zwerghaften Rindern und Pferden, von Hochländern geführt, die ebenso wild und zottig, und zuweilen auch so zwerghaft waren, wie ihre Tiere, sah man häufig in den Straßen. Fremdlinge blickten mit Ueberraschung auf die altertümliche, seltsame Tracht und lauschten auf die unbekannten, mißfälligen Töne ihrer Sprache, während die Gebirgsbewohner, selbst bei diesem friedlichen Verkehr mit Flinte und Pistole, Schwert und Dolch bewaffnet, voll Erstaunen auf Gegenstände der Ueppigkeit schauten, deren Gebrauch sie nicht kannten, und mit etwas beunruhigender Habsucht auf solche Dinge blickten, die sie kannten und schätzten. Der Hochländer verläßt immer ungern seine Wirrnisse, und in jenen frühen Zeiten war es, als ob man eine Fichte aus ihrem Felsen riß, wenn man sie wo andershin verpflanzen wollte. Allein schon damals waren die Täler des Hochlandes so reichlich bevölkert, daß viele ihrer Bewohner nach Glasgow wanderten, sich da niederließen, und Beschäftigung suchten und fanden, so verschieden sie auch von dem Leben war, das sie in ihrer Heimat geführt hatten. Dieser Zuwachs an starken und nützlichen Einwohnern hatte Einfluß auf den Wohlstand des Ortes, verschaffte die Mittel zur Fortsetzung einiger Industrien, die bereits der Stadt einen rühmlichen Namen gemacht hatten, und legten den Grund zu ihrem künftigen Reichtum.

Das Aeußere des Ortes paßte zu diesen verheißungsvollen Auspizien. Die vornehmste Straße war breit und ansehnlich, mit öffentlichen Gebäuden geschmückt, von mehr auffallender als geschmackvoller Bauart, und die hohen steinernen Häuser an den Seiten, deren Vorderseite gelegentlich reich mit Mauerwerk verziert war, gaben der Straße einen Ausdruck von Würde und Pracht.

Es war ein Sonntagmorgen, als ich mit meinem Begleiter in der westlichen Hauptstadt von Schottland ankam. Geläute schallte vom Turme, und das Gedränge der vielen Menschen, die zu der Kirche wollten, verkündete die Ehrfurcht für diesen heiligen Tag. Wir stiegen vor der Tür einer muntern Wirtsfrau ab, von der wir höflich empfangen wurden. Mein erster Gedanke war natürlich, Owen aufzusuchen, aber auf meine Nachfrage erfuhr ich, daß, bevor die Kirche aus sei, jede Bemühung vergebens sein würde. Die Wirtin und mein Führer versicherten einstimmig, im Hause Mac Vittie und Compagnie, an das ich mich zu wenden hatte, werde keine lebendige Seele, geschweige denn einer der Inhaber zu finden sein. Sie seien gesetzte Männer und würden sich da befinden, wo gute Christen zu dieser Zeit sein sollten, nämlich in der Kirche.

Ich beschloß denn, auch in die Kirche zu gehen, mehr mit dem Vorsatze, womöglich etwas von Owens Ankunft zu erfahren, als mich zu erbauen. Meine Hoffnung, wurde durch die Versicherung erhöht, daß Herr Ephraim Mac Vittie, wenn er am Leben sei, gewiß heute die Kirche besuchen und, wenn er einen Fremden beherberge, ihn ohne allen Zweifel mitnehmen werde. Diese Mutmaßung bestimmte mich in meinem Vorsatze und unter dem Geleit meines Reisebegleiters machte ich mich auf den Weg nach der Kirche.

Bei dieser Gelegenheit hatte ich indes seine Führung entbehren können, denn die Menschenmenge, welche den steilen, rauhen Steinweg hinanzog, um den beliebtesten Prediger von West-Schottland zu hören, hätte mir schon den Weg gewiesen. Als wir den Gipfel des Hügels erstiegen hatten, traten wir linker Hand durch eine große Flügeltür auf den weiten Kirchhof, der das Münster umgibt. Die Kirche ist ein wuchtiges, düsteres Gebäude in gotischer Bauart; allein ihr eigentümlicher Charakter hat sich so wohl erhalten und paßt so gut zu der Umgebung, daß der Eindruck, den sie auf den ersten Blick macht, im höchsten Grade ernst und feierlich ist.

In einer volkreichen und angesehenen Stadt gelegen, liegt über diesem ehrwürdigen, Gebäude doch die tiefste Einsamkeit. Hohe Mauern trennen es auf der einen Seite von der Stadt; auf der andern ist es von einer Schlucht begrenzt, durch deren Tiefe, unsichtbar dem Auge, ein Bach murmelt, dessen Geräusch die Feierlichkeit des Schlosses erhöht. Jenseits der Schlucht ragt eine steile Höhe empor, dicht mit Föhren bedeckt, deren dunkle Schatten sich düster über den Kirchhof verbreiten. Der Kirchhof selbst gewährt einen eignen Anblick; denn so geräumig er auch ist, bietet er doch nicht Raum genug für die, die hier beerdigt werden. Daher kann nirgends das lange, wuchernde Gras emporschießen, das gewöhnlich jene Stätten überzieht, wo die Bösen keinen Schaden mehr stiften und die Müden ruhen. Die breiten, flachen Denksteine sind so dicht an einander gerückt, daß der Kirchhof ganz damit überzogen scheint, und obwohl nur von dem Himmel überwölbt, gleichen sie dem Fußboden in einer unsrer alten englischen Kirchen, der mit Grabschriften bedeckt ist. Der Anblick dieser traurigen Denkmale der Sterblichkeit, der vergebliche Kummer, den sie berichten, die ernste Lehre, welche sie über die Nichtigkeit menschlicher Dinge erteilen, die weite Fläche, die sie decken, und ihr einförmiger trauriger Inhalt erinnerten mich an jene Rolle des Propheten, die da war »beschrieben inwendig und auswendig, und es waren darin geschrieben Klagen und Trauer und Wehe.«

Der Dom harmoniert in seiner ernsten Hoheit mit dieser Umgebung. Sein Bau ist schwerfällig, doch wäre die Wirkung des Ganzen zerstört, wenn er leichter gebaut oder mehr verziert wäre.


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