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Siebentes Kapitel

Mit einiger Schwierigkeit fand ich das mir bestimmte Zimmer und schloß mich für den Rest des Abends ein.

Warum hatte mein Vater mich in diese seltsame Familie gesandt? war meine erste und natürlichste Frage. Offenbar empfing mich mein Oheim, als wenn ich einige Zeit bei ihm verweilen sollte. Aber es war klar, daß ihm gar nichts daran gelegen war, ob ich da war oder nicht da war.

Meine Vettern waren bloß ungeleckte Bären, in deren Umgang ich alles hätte verlernen können, was ich an anständiger Sitte und feiner Bildung erworben hatte, ohne dafür etwas andres zu lernen, als wie man Hunde pflegen, Pferde behandeln und Füchse jagen müsse. Nur einen Grund konnte ich mir denken, und das war vermutlich der wahre. Mein Vater betrachtete die Lebensweise im Schlosse Osbaldistone als diejenige, welche natürlich und unvermeidlich alle Gutsbesitzer pflegten, und wollte mir Gelegenheit geben, sie zu beobachten, da er wußte, wie sehr sie mir mißfallen werde, um, wo möglich, mich geneigter zu machen, einen tätigen Anteil an seinem Geschäfte zu nehmen. Unterdessen sollte Rashleigh Osbaldistone ins Kontor eintreten. Er hatte aber hundert Mittel, ihn vorteilhaft zu versorgen, wenn er ihn los sein wollte. Und ich beruhigte mich bei dem Gedanken, daß mein Vater völlig Herr seiner Angelegenheiten und ein Mann war, der sich nicht hintergehen oder durch irgend jemand bestimmen ließ. Auch hatte ich ja alles, was ich zum Nachteil des jungen Mannes wußte, von einem seltsamen, unbesonnenen Mädchen erfahren, dessen unkluge Offenherzigkeit mir Zweifel gegen die Richtigkeit und Genauigkeit des Angegebenen einflößen konnte.

Meine Gedanken lenkten sich nun natürlich auf Fräulein Vernon. Ich gedachte ihrer ausnehmenden Schönheit, ihrer so besondern Lage, wo sie allein von ihrer eignen Ueberlegung und ihrem eignen Geiste beschützt und geleitet werden konnte. Ich hatte Verstand genug, um einzusehen, daß die Nähe dieses sonderbaren jungen Mädchens und unser häufiger und vertraulicher Umgang meinen Aufenthalt im Schloß erheitern, aber auch dessen Gefahr erhöhen würde; allein ich konnte, so sehr ich meine Vernunft anstrengte, es nicht über mich gewinnen, ausnehmendes Leid über diese neue, besondre Gefahr zu empfinden, der ich mich ausgesetzt sehen sollte. Unter diesen Betrachtungen schlief ich ein, und Diana war natürlich mein letzter Gedanke.

Ob ich von ihr geträumt habe, weiß ich nicht, denn ich war müde und schlief fest. Aber an sie dachte ich zuerst, als bei Tagesanbruch die muntern Töne des Waldhorns mich erweckten. Ich sprang auf, ließ mein Pferd satteln und war in wenigen Minuten im Schloßhofe, wo ich Menschen, Hunde und Pferde in voller Vorbereitung fand. Mein Oheim, der vielleicht nicht berechtigt war, in seinem im Ausland erzognen Vetter einen sehr behenden Jäger zu erwarten, schien bei meinem Anblick überrascht, und sein Morgengruß kam mir nicht so herzlich und gastfreundlich vor als seine erste Bewillkommnung.

Dann begrüßte ich Fräulein Vernon, die sich mir herzlich näherte. Auch zwischen meinen Vettern und mir fand eine flüchtige Begrüßung statt; als ich aber bemerkte, daß sie meine Kleidung und Ausrüstung, vom Hut bis zum Steigbügel, boshaft musterten und alles höhnisch belächelten, was ihnen neu oder fremd vorkam, so überhob ich mich der Mühe, ihnen viel Aufmerksamkeit zu erweisen, vergalt ihr Grinsen und Flüstern, mit einem Ausdruck der größten Gleichgültigkeit und Verachtung, und gesellte mich zu Fräulein Vernon, als der einzigen Person in der Gesellschaft, deren Umgang mir angemessen schien. An ihrer Seite ritt ich daher zu dem bestimmten Gehege, welches ein Wald am Rande einer ausgedehnten Trift war. Indem wir ritten, sagte ich zu Diana, daß ich meinen Vetter Rashleigh nicht bei der Jagd sehe, woraus sie erwiderte: »O nein – er ist ein gewaltiger Jäger, nach Nimrods Weise, und sein Wild ist der Mensch.«

Die Hunde brachen nun in das Gehölz, ermuntert von dem Zuruf der Jäger – allenthalben Beschäftigung, Lärm und Tätigkeit. Meine Vettern nahmen bald so viel Anteil an der Morgenarbeit, daß sie sich nicht weiter um mich bekümmerten; nur hörte ich Richard, den Pferdejungen, leise Wilfred, dem Narren, zuflüstern: »Gib acht, ob unser französischer Vetter nicht beim ersten Satz herunterfällt.«

»Leicht möglich,« antwortete Wilfred; »er bindet den Hut so seltsam und ausländisch auf.«

Thorncliff jedoch, der auf seine rohe Weise nicht ganz unempfindlich gegen die Schönheit seiner Muhme sein mochte, schien entschlossen, sich in unsrer Nähe zu halten, vielleicht um zu beobachten, was zwischen uns vorginge, vielleicht aber auch, um sich an dem Jagdunfall zu ergötzen, den sie von mir erwartet hatten. Darin sah er sich nun freilich getäuscht. Ein Fuchs ward aufgejagt, und trotz der übeln Vorbedeutung, auf französische Art meinen Hut aufzubinden, behauptete ich mich als Reiter, zur Bewunderung meines Oheims und des Fräuleins, und zum geheimen Verdrusse derjenigen, die es anders erwartet hatten. Nachdem jedoch der Fuchs eine Strecke Weges heftig gejagt worden war, erwies er sich für seine Verfolger zu schlau, und die Hunde verloren die Fährte. Ich bemerkte zu dieser Zeit in Dianas Benehmen Zeichen der Ungeduld über Thorncliffs unablässige Begleitung, und da das lebhafte Mädchen nie sich bedachte, den lebhaften Wunsch des Augenblicks durch die geschwindesten Mittel zu befriedigen, so sprach sie zu ihm im Tone des Vorwurfs: »Ich wundre mich, Thorncliff, warum Ihr den ganzen Morgen hinter meinem Pferde her bummelt, da Ihr wißt, daß der Fuchsbau über der Mühle nicht verstopft ist.«

»Kein Gedanke dran, Diana; der Müller hat mir versichert, er habe ihn heute nacht um zwölf Uhr verstopft.«

»O, pfui über Euch, Thornie! Wollt Ihr Euch auf das Wort eines Müllers verlassen? Und gerade dieser Bau, wo wir den Fuchs dreimal dies Jahr verloren! und Ihr könnt auf Eurem Schimmel in zehn Minuten hin und zurück galoppieren.«

»Gut, ich will hinreiten, und wenn der Bau nicht verstopft ist, so werde ich dem Müller dafür das Fell über die Ohren ziehen.«

»Tut das, lieber Thorncliff; peitscht den Schurken, wie sichs gebührt – schnell davon und daran« – Thorncliff sprengte fort – »oder laßt Euch selber peitschen, was ebensogut meinem Zweck entspräche. Ich muß sie alle in der Zucht halten und meinem Befehle gehorchen lehren. Ich errichte ein Regiment, müßt Ihr wissen. Thorncliff wird mein erster Wachtmeister, Richard mein Stallmeister und Wilfred mein Paukenschläger.«

»Und Rashleigh?«

»Rashleigh wird mein Kundschafter.«

»Und werdet Ihr keine Stelle für mich finden, mein liebenswürdigster Obrist?«

»Ihr sollt die Wahl haben, entweder Zahlmeister oder Beutemeister des Korps. Doch seht, wie die Hunde umherirren. Kommt, die Fährte ist kalt; sie werden sie nicht sogleich wieder finden. Folgt mir, ich hab eine Aussicht zu zeigen.«

Und sie sprengte eine sanfte Anhöhe hinan, auf deren Gipfel man eine weite Gegend überblickte. Nachdem sie umhergeschaut, ob niemand in unsrer Nähe war, zog sie ihr Pferd unter einige Birken, die uns vor dem übrigen Jagdbezirk verbargen. »Seht Ihr jenen spitzigen, braunen, heidigen Hügel, mit einem weißlichen Flecken auf der Seite?« fragte sie.

»Am Ende des langen Strichs sumpfigen Hochlands? Ich seh ihn genau.«

»Dieser weiße Fleck ist ein Felsen, die Hawkesmore-Klippe, und die liegt in Schottland.«

»Wirklich? Ich glaubte nicht, Schottland so nahe zu sein.«

»Es ist so, in zwei Stunden kann Euer Pferd Euch hinbringen.«

»Ich werde ihm schwerlich diese Mühe machen; die Entfernung muß doch achtzehn Meilen betragen.«

»Ihr sollt mein Pferd haben, wenn Ihrs für leichter haltet. Ich sag Euch, in zwei Stunden seid Ihr in Schottland.«

»Und ich sage, es liegt mir nichts dran, da zu sein. Was soll ich in Schottland?«

»Für Eure Sicherheit sorgen, wenn ich deutlich reden soll. Versteht Ihr mich nun, Herr Franz?«

»Nicht im geringsten; Ihr werdet immer rätselhafter.«

»Dann habt Ihr entweder ein ungerechtes Mißtrauen gegen mich und könnt Euch besser verstellen, als Rashleigh Osbaldistone, oder Ihr wißt nicht, wessen man Euch beschuldigt, und dann ist es kein Wunder, daß Ihr mich auf diese ernste Weise anstarrt, die ich kaum ohne Lachen sehen kann.«

»Auf mein Ehrenwort, Fräulein Vernon,« sprach ich mit einiger Ungeduld über ihre kindische Lachlust, »ich habe nicht die geringste Vorstellung von dem, was Ihr meint. Es freut mich, Euch einen Gegenstand zur Belustigung darzubieten; aber ich weiß durchaus nicht, worin er besteht.«

»Nein, es ist dennoch kein Scherz,« sprach Diana, sich sammelnd; »man sieht nur so lächerlich aus, wenn man wirklich verblüfft ist; aber die Sache ist ernsthaft genug. Kennt Ihr einen gewissen Morris, oder wie er sonst heißt?«

»Nicht daß ich mich erinnern könnte.«

»Denkt ein wenig nach. Seid Ihr nicht kürzlich mit jemand gereist, der so hieß?«

»Der einzige Mann, mit dem ich eine Zeitlang reiste, war ein Mensch, dessen Seele in seinem Felleisen zu liegen schien.«

»Dieser Mann ist beraubt worden und hat Euch als Mitschuldigen des Raubes angeklagt.«

»Ihr scherzt, Fräulein Vernon!«

»Gewiß nicht – es ist Tatsache. Ihr seid angeklagt, diesen Mann beraubt zu haben, und mein Oheim glaubts so gut, wie ich es tat.«

»Auf Ehre, ich bin meinen Freunden sehr für ihre gute Meinung verbunden!«

»Nun, schnaubt und starrt nur nicht so! Es ist keine solche Beleidigung, wie Ihr glaubt – Ihr seid keineswegs eines schlechten oder gemeinen Raubes beschuldigt. Dieser Mensch führte Geld von der Regierung bei sich, in Barschaft und Wechseln, zur Bezahlung der Truppen im Norden, und es heißt, man habe ihm auch sehr wichtige Briefschaften abgenommen.«

»Also des Hochverrats, und nicht eines gewöhnlichen Raubes, werde ich beschuldigt?«

»Gewiß; und der, wißt Ihr, hat zu allen Zeiten für das Verbrechen vornehmer Herren gegolten. Ihr werdet in dieser Grafschaft viele Leute, und jemand nicht weit von Eurem Ellbogen finden, die es für verdienstlich halten, dem Hause Hannover auf alle mögliche Weise zu schaden.«

»Weder meine Politik noch meine Moral, Fräulein Vernon, ist von so geschmeidiger Art.«

»Ich fange wirklich an, Euch für einen Presbyterianer und Hannoveraner in vollem Ernste zu halten. Aber was gedenkt Ihr zu tun?«

»Diese abscheuliche Verleumdung sogleich zu widerlegen! Bei wem ist die seltsame Beleidigung vorgebracht worden?« fragte ich.

»Bei dem alten Herrn Inglewood, der sie ungern genug annahm. Er hat, vermute ich, meinem Oheim angeraten, Euch nach Schottland hinüber zu schaffen, damit der Verhaftsbefehl Euch nicht erreichen könne. Mein Oheim aber weiß, daß seine Religion und alte Vorliebe ihn der Regierung gehässig machen, und daß, wenn man ihn auf solchen Wegen ertappte, er als Jakobit, Papist und verdächtiger Mensch entwaffnet und wahrscheinlich, was ihm das Aergste wäre, unberitten gemacht werden würde.«

»Ich begreife das; eh' er seine Jagdpferde verlieren wollte, würd' er lieber seinen Neffen aufgeben.«

»Neffen, Nichten, Söhne, Töchter, wenn er sie hätte, und sein ganzes Geschlecht,« sprach Diana. »Darum traut ihm nicht einen Augenblick, sondern macht Euch auf den Weg, ehe der Haftbefehl vollzogen wird.«

»Auf den Weg werde ich mich gewiß machen, aber nach dem Hause dieses Inglewood. Wo liegt es?«

»Ungefähr fünf Meilen weit, im Grunde hinter jenem Gehölz; Ihr könnt den Turm des Glockenhauses sehen.«

»In wenigen Minuten will ich da sein,« sprach ich und setzte mein Pferd in Bewegung.

»Und ich will Euch begleiten und Euch den Weg zeigen,« erwiderte Diana und setzte ihren Zelter gleichfalls in Trab.

»Denkt nicht daran, mein Fräulein, es ist nicht schicklich – Fräulein Vernon, Ihr handelt aus wahrem Wohlwollen, das am besten in der Stunde der Not sich erweist. Aber ich darf um Eurer selbst willen, wegen einer möglichen Mißdeutung, nicht zugeben, daß Ihr dem Antriebe Eurer Großmut folgt. Dies ist eine so öffentliche Gelegenheit; es ist beinah, als sich in einen offnen Gerichtshof wagen.«

»Und wenn es nicht beinahe, sondern wirklich so wäre, glaubt Ihr, ich würde nicht hingehen, sobald ich es für recht hielte und einen Freund zu beschützen wünschte? Ihr habt niemand, der Euch beisteht; Ihr seid ein Fremder, und hier an der Grenze erlauben sich die Landrichter seltsame Dinge. Mein Oheim hat nicht Lust, sich in Eure Sache zu mischen; Rashleigh ist abwesend, und wenn er hier wäre, wer weiß, welche Partei er ergreifen würde; von den übrigen ist immer einer dümmer und roher als der andre. Ich begleite Euch, und es macht mir keine Furcht, daß ich Euch nützlich sein kann. Ich bin keine feine Dame, die vor Rechtsbüchern, rauhen Worten und dicken Perücken bis auf den Tod erschrickt.«

»Aber, mein teures Fräulein« –

»Aber, mein teurer Herr Franz, seid ruhig und geduldig, und laßt mich meinen eignen Weg gehen; denn wenn ich das Gebiß zwischen die Zähne nehme, so kann kein Zügel mich aufhalten.«

Geschmeichelt durch den Anteil, den ein so liebenswürdiges Wesen an meinem Schicksale zu nehmen schien, jedoch verlegen über den lächerlichen Anstrich, wenn ich ein achtzehnjähriges Mädchen als Sachwalterin mit mir führte, und endlich besorgt wegen der Mißdeutungen ihrer Beweggründe, suchte ich sie von dem Entschlusse, mich zu Inglewood zu begleiten, abzubringen. Das eigenwillige Mädchen sagte mir rund heraus, daß meine Vorstellungen durchaus umsonst wären, daß sie eine echte Vernon sei, und keine Rücksicht sie bewegen könne, einen Freund in der Not zu verlassen, selbst wenn sie ihm nur wenig Beistand zu leisten vermöge. Sie sei gewohnt, nur ihre Meinung gelten zu lassen.

Während Diana also sprach, näherten wir uns Inglewoods Hause, einem stattlichen, obwohl altfränkischen Gebäude, dem man es ansah, daß angesehene Leute drin wohnten.


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