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Kapitel XXXIX

– – – – – Aumerle, vordem,
Doch weil er Richards Freund war, ist das hin.
Ihr müßt nun, Herzogin, ihn König Rutland nennen.

Richard der Zweite.
(Shakespeare, V. Aufz., 1. Sc.)

Die Aufklärungsscene wurde schnell von der Küche nach dem Teppichzimmer des Fräulein Wilson verlegt, demselben, das sie als Haushälterin schon bewohnt hatte. Es sei mehr gegen den Zugwind geschützt, sagte sie, als die Halle, welche sie für ihren Rheumatismus gefährlich gefunden, auch sei es für sie passender als das Zimmer des seligen, braven Herrn, das sie nur traurig stimme, das große getäfelte Zimmer werde nur geöffnet, um der Gewohnheit gemäß gelüftet, gescheuert und abgestäubt zu werden, es sei denn bei einer außerordentlichen Feierlichkeit. Beide saßen also in dem mit Matten belegten Zimmer, von Gefäßen mit Vicklas und sonstigem Eingemachtem umgeben, welches die ehemalige Haushälterin noch immer aus bloßer Gewohnheit bereitete, da weder sie, noch sonst jemand von diesen Süßigkeiten genoß, die sie so regelmäßig besorgte.

Morton, der seine Erzählung der Fassungskraft seiner Zuhörerin anpaßte, benachrichtigte sie in kurzen Worten von dem Untergange des Schiffes und aller Mannschaft, bis auf zwei oder drei Matrosen, die sich noch rechtzeitig des Boots bemächtigt hatten, und gerade von dem Schiffe abstoßen wollten, als er vom Verdecke in ihr Boot sprang, und sich ebenso unerwartet wie gegen ihren Willen zum Teilnehmer ihrer Reise und Rettung machte. Bei seiner Landung zu Vliessingen hatte er das Glück, einen alten Offizier, einen Kriegskameraden seines Vaters zu treffen. Auf seinen Rath reiste er nicht unmittelbar nach dem Haag, sondern sandte seine Briefe an den Hof des Statthalters.

»Unser Prinz,« sagte der Veteran, »muß es vor der Hand noch mit seinem Schwiegervater und Eurem König Karl halten, daher wäre es unklug von ihm, Euch durch seine Gunst auszuzeichnen, wenn Ihr Euch ihm als schottischer Mißvergnügter nähert. Erwartet also seine Befehle, ohne Euch seiner Aufmerksamkeit aufzudrängen, haltet Euch sehr zurückgezogen, nehmt für jetzt einen andern Namen an, vermeidet den Umgang mit britischen Verbannten und Ihr werdet Eure Klugheit gewiß nicht bereuen.«

Der alte Freund des Silas Morton urtheilte richtig. Nach geraumer Zeit kam der Prinz von Oranien, auf einer Reise durch die Vereinigten Staaten, in die Stadt, wo Morton, trotz der Ungeduld über seine Lage und sein langweiliges Incognito, sich immer noch aufhielt. Er erhielt eine geheime Audienz mit dem Prinzen, in welcher dieser sich sehr anerkennend über seine Einsicht, Klugheit und gemäßigten Ansichten aussprach, welche er über die Parteiungen seines Vaterlandes, über ihre Beweggründe und Pläne zu hegen schien.

»Ich würde Euch gern zu mir nehmen,« sagte Wilhelm, »aber das würde in England Anstoß geben. Doch will ich für Euch thun, was ich kann, sowohl aus Achtung für Eure Gesinnungen, als wegen der Empfehlungen, die Ihr mir überbracht habt. Hier ist ein Offizierspatent in einem Schweizerregimente, das jetzt in einer entfernten Provinz in Garnison liegt, wo Ihr wenig oder gar keinen von Euren Landsleuten treffen werdet. Bleibt vorläufig Kapitän Melville, (diesen Namen hatte Morton angenommen), bis Ihr in bessern Zeiten wieder Euren eignen Namen führen könnt.«

»So begann mein Glück,« fuhr Morton fort, »und meine Dienste sind bei verschiedenen Gelegenheiten von Sr. königlichen Hoheit ausgezeichnet worden, bis er als Befreier nach England kam. Seine Befehle müssen natürlich mein Stillschweigen gegen meine wenigen Freunde in Schottland rechtfertigen. Ich wundere mich nicht über die Nachricht von meinem Tode, da das Schiff Schiffbruch gelitten und ich keine Gelegenheit fand, die Wechsel zu benutzen, mit denen mich die Freigebigkeit meiner Freunde versehen hatte, ein Umstand, der die Vermuthung, daß ich gestorben sei, bestätigen mußte.«

»Aber, liebes Kind,« fragte Fräulein Wilson, »habt Ihr keinen Schotten an des Prinzen von Oranien Hofe gefunden, der Euch kannte? Ich hätte geglaubt, Morton von Milnwood müsse im ganzen Lande bekannt sein.«

»Ich wurde ja absichtlich in entferntem Dienste verwendet,« sagte Morton, »bis zu einer Zeit, wo ohne so innigen Antheil, wie der Eurige, Ailie, nur wenige das junge Bürschchen Heinrich Morton in dem Generalmajor Melville wieder erkannt hätten.«

»Melville war der Name Eurer Mutter,« sagte Fräulein Wilson, »aber Morton klingt weit besser für meine alten Ohren. Und wenn Ihr das Gut übernehmt, müßt Ihr auch wieder den alten Namen annehmen.«

»Mit beidem werde ich wahrscheinlich nicht sehr eilen, Ailie, denn ich habe Gründe, vorläufig keinen, außer Euch, wissen zu lassen, daß ich noch lebe. Was aber die Besitzung von Milnwood betrifft, die ist in guten Händen.«

»In guten Händen, Kind?« wiederholte Ailie. »Ihr meint doch hoffentlich nicht die meinigen? Die Einkünfte und Ländereien sind für mich nur eine große Bürde, und einen Ehemann nehmen mag ich auch nicht, obgleich Willie Mactrickit, der Schreiber, sehr in mich drang und gar freundlich zu mir sprach, aber ich bin ein zu altes Huhn, um mich so vom Fuchse ködern zu lassen. Mich kann er nicht so beschwadroniren, wie so manche andere. Auch dachte ich immer, Ihr würdet zurückkommen, und da würde ich wohl mein bischen Brod und Suppe haben, und Euch die Sachen zurecht halten, wie zu Eures armen Oheims Zeit, und es würde mir wahrlich eine große Lust sein, wenn Ihr gediehet in Eurer Wirthschaft und Hab und Gut zusammenhieltet; das werdet Ihr auch in Holland gelernt haben, denn die dort sind gute Wirthe, wie ich höre. – Aber Ihr wollt gewiß ein größeres Haus halten als der alte Milnwood selig; ich kanns Euch just nicht verdenken, wenn Ihr dreimal in der Woche Fleisch vom Metzger essen wollt, das hält die Blähungen ab.«

»Wir wollen davon ein ander Mal sprechen,« sagte Morton, den Ailies Großmuth ebenso wie ihre Sparsamkeit in Staunen setzte. »Ihr müßt wissen, daß ich nur einige Tage in sehr wichtigen Geschäften der Regierung im Lande bleibe und deshalb, Ailie, kein Wort davon, daß Ihr mich gesehen habt! Ich will Euch zu einer gelegeneren Zeit mit meinen Beweggründen und Absichten bekannt machen.«

»Gut, lieber Goldsohn,« sagte Ailie, »ich kann ein Geheimniß so gut bewahren wie meine Nachbarn, und das wußte der alte brave Milnwood recht gut, denn er sagte mir, wo er sein Geld hatte, und das halten doch die meisten Leute so geheim als möglich. – Aber kommt, Schatz, ich muß Euch doch das große getäfelte Zimmer zeigen, wie schön sichs erhalten hat, gerade als hätte ich Euch jeden Tag erwartet, – laß auch niemand darin aufräumen, das thu ich selbst. Es war mir immer eine Unterhaltung, obgleich mir zuweilen die Thränen in die Augen traten, und ich zu mir selbst sagte: Was machst Du Dir noch lange mit den Teppichen, Kissen und den großen metallenen Leuchtern zu schaffen? Ach, denen das rechtmäßig zugehört, die kommen doch nicht wieder!«

Mit diesen Worten nöthigte sie ihn in das Allerheiligste, dessen Bohnen und sorgfältige Reinigung ihre tägliche Beschäftigung war. Morton, der ihr ins Zimmer folgte, ohne sich die Sohlen abzuwischen, mußte sich einen kleinen Verweis gefallen lassen, womit die alte Ailie zeigte, daß sie ihre gewohnte Oberherrschaft noch nicht aufgegeben hatte. In diesem Gemache überkamen Morton die Empfindungen jener Ehrfurcht, von denen er als Knabe stets bei dem gelegentlich gestatteten Zutritte in das Zimmer ergriffen worden war, das, wie er damals glaubte, nur in fürstlichen Palästen seines Gleichen haben könnte. Es läßt sich denken, daß die geschnitzten Stühle mit ihren kurzen Beinen und geraden Lehnen, die Kupferleuchter, die Tapeten und manches andere jetzt viel von dem Einflusse auf sein Gemüth verloren hatten, doch zwei Gegenstände erfüllten ihn mit mannigfachen Empfindungen, »die Bilder zweier Brüder«, wie Hamlet sagt, von denen das eine seinen Vater in Lebensgröße darstellte, in vollständiger Rüstung, mit einem Antlitz, das seinen männlichen und entschlossenen Charakter bezeichnete, das andere das Porträt seines Oheims, in gestickten Sammet gekleidet, der aussah, als schäme er sich seines Putzes, obgleich er diesen nur der Freigebigkeit des Malers zu verdanken hatte.

»Es war ein alberner Einfall, den braven alten Herrn in so viel Geflunker zu stecken,« sagte Ailie, »der nie so etwas trug, sondern nur einen grauen Rock und einen Ueberschlag mit schmaler Einfassung.«

Morton konnte nicht umhin, ihr im Stillen zuzustimmen, denn alles, was sich dem Anzuge eines Edelmannes näherte, machte sich an seinem Oheim ebenso schlecht wie ein freigebiges Wort aus seinem geizigen Munde. Morton machte sich nun von Ailie los, um einige seiner Lieblingsplätze im nahen Walde aufzusuchen, während sie mit eigenen Händen dem Mittagsmahle noch einiges zufügte, was einem Huhn das Leben kostete, das ohne ein so bedeutendes Ereigniß, wie Mortons Ankunft, gewiß bis zu einem hohen Alter fortgegackert hätte, ehe Ailie sich des Tödtens und Bratens an ihm schuldig gemacht hätte. Das Mahl wurde gewürzt durch Gespräche von alten Zeiten und durch Pläne, welche Ailie für die Zukunft entwarf, wobei sie dem jungen Herrn alle klugen Gewohnheiten des alten Oheims empfahl und die Geschicklichkeit hervorhob, mit welcher sie dann ihr Amt als Haushofmeisterin versehen würde. Morton ließ die Alte während dieser frohen Augenblicke träumen und Luftschlösser bauen und verschob auf eine passendere Gelegenheit die Mittheilung seiner Absicht, wieder nach dem Continent zurückzukehren und dort sein Leben zuzubringen.

Seine nächste Sorge war jetzt, die militärische Kleidung abzulegen, da er durch sie seine Nachforschungen nach Burley behindert glaubte. Er vertauschte sie in einen grauen Rock und Mantel, seine ehemalige Tracht zu Milnwood, welche Fräulein Wilson aus einer Nußbaumtruhe hervorholte, in die sie die Kleider gelegt hatte, natürlich vergaß sie nicht, dieselben von Zeit zu Zeit sorgfältig zu bürsten und auszuklopfen. Degen und Pistolen, ohne die damals nur wenige Leute reisten, behielt Morton bei sich. Als er angekleidet erschien, meinte Fräulein Wilson, dieser Anzug stehe ihm recht gut, und obschon er nicht dicker geworden, sehe er doch männlicher aus, als zur Zeit, wo man ihn von Milnwood hinweggeführt habe. Sodann ließ sie sich weiter aus über den Vortheil alte Kleider aufzuheben, um Aushilfe zu haben, und war schon um ein Erkleckliches in der Geschichte eines Sammetmantels, der dem verstorbenen Milnwood gehörte, dann in einen Rock und hierauf in ein paar Hosen verwandelt worden war, und immer wieder wie neu aussah, vorgeschritten, als Morton den ferneren Bericht dieser Seelenwanderung dadurch unterbrach, daß er Abschied von der Alten nahm. In der That gab er ihren Gefühlen einen gewaltigen Stoß durch die Mittheilung, daß er durchaus noch diesen Abend seine Reise fortsetzen müsse.

»Wohin wollt Ihr denn? Warum wollt Ihr das thun? Warum wollt Ihr nicht in Eurem eigenen Hause schlafen, das Ihr seit so langen Jahren nicht gesehen habt?«

»Ich fühle, daß es unfreundlich von mir ist, Ailie, aber ich muß. Das war auch der Grund, weshalb ich mich Euch nicht zu erkennen geben wollte, da ich fürchtete, Ihr würdet mich nicht so leicht wieder von Euch lassen.«

»Aber wohin geht Ihr denn?« fragte Ailie nochmals. »Hat man je so etwas erlebt! Kaum seid Ihr einen Augenblick da, so wollt Ihr im nächsten auch schon wieder weg, wie ein Schuß aus der Pistole.«

»Ich muß hinunter zu Niel Blanes, des Pfeifers, Gasthof,« sagte Morton. »Er kann mir doch wohl ein Bett geben?«

»Ein Bett? Ei freilich kann er das,« antwortete Ailie, »und Ihr werdet noch dazu gehörig dafür blechen müssen. Lieber Gott, ich glaube, Ihr seid in der Fremde rappelig geworden, daß Ihr Euer Geld ausgeben wollt für ein Abendbrod und Bett, wo Ihr doch beides umsonst haben könnt, ja noch einen Dank dazu, wenn Ihrs nur haben wollt.«

»Ich versichere Euch, Ailie, es ist ein Geschäft von großer Wichtigkeit, bei dem ich viel gewinnen und durchaus nichts verlieren kann.«

»Ich sehe nicht ein, wie das möglich ist, wenn Ihr damit anfangt, vielleicht zwölf Schilling schottisch für Euer Abendbrod zu bezahlen, aber junge Leute sind immer waghalsig und denken auf diese Weise zu Geld zu kommen. Mein armer alter Herr ging einen bessern Weg und gab das Geld nicht so leicht wieder aus, wenn er es einmal hatte.«

Morton beharrte auf seinem Entschlusse, nahm Abschied von Ailie und bestieg sein Pferd, um nach der kleinen Stadt zu reiten, nachdem er ihr ein feierliches Versprechen abgenöthigt hatte, seine Rückkehr geheim zu halten, bis sie wieder von ihm sehe oder höre.

»Ich bin gewiß nicht zur Verschwendung geneigt,« dachte er auf dem langsamen Trabe nach dem Städtchen, »aber wenn Ailie und ich zusammen haushalten sollten, wie sie will, so würde wahrhaftig mein Aufwand der guten Alten das Herz brechen, ehe eine Woche vergangen wäre.«


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