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Dreizehntes Kapitel

Heran, ihr Helden! laut rief's der Atride,
Und trennt euch von dem allgemeinen Kreis,
Wer durch Geschicklichkeit und Manneskraft
Den Gegner zu besiegen hoffen darf.
Hier, dieser Ochse ist für den bestimmt.
Der das beschwingte Rohr am weit'sten sendet.

Ilias.

Der Name Ivanhoe's war nicht so bald genannt worden, als er auch schon mit aller Schnelligkeit der Neugier von Ohr zu Ohr, von Mund zu Mund flog. Es dauerte nicht lange, so drang er auch zum Kreise des Prinzen, dessen Antlitz sich bei dieser Nachricht nicht wenig verfinsterte. Indessen schaute er doch mit einem Blicke der Verachtung umher, und sagte: »Mylords, und besonders Ihr, Herr Prior, was haltet Ihr von den Meinungen der Gelehrten in Beziehung auf angeborne Zuneigung und Antipathie? Mich dünkt, ich ahnte die Gegenwart des Lieblings meines Bruders schon, als ich ihn noch gar nicht hinter jener Rüstung vermuthen konnte.«

»Front-de-Boeuf muß sich wohl bereit halten, sein Lehen Ivanhoe zurückzugeben,« sagte Bracy, der, nachdem er seine Rolle in dem Turniere mit Ehren ausgeführt hatte, Helm und Schild ablegte und sich in des Prinzen Gefolge zurückbegab.

»Ja,« versetzte Waldemar Fitzurse, »der Tapfere wird wahrscheinlich das Schloß und Zubehör zurückfordern, welches ihm Richard anwies, und seitdem von Eurer Hoheit dem Front-de-Boeuf ist verliehen worden.«

»Front-de-Boeuf,« entgegnete Prinz Johann, »ist ein Mann, der eher drei Herrschaften wie die des Ivanhoe verschlingt, als eine wieder herausgibt. Uebrigens, meine Herren, hoffe ich, es wird mir Niemand das Recht abstreiten, die Lehen meiner Krone denen zu ertheilen, welche treu bei mir halten und stets bereit zu kriegerischen Diensten sind, und sie so an die Stelle derer treten zu lassen, welche in fremde Länder gewandert sind, und keine Dienste zu leisten vermögen, wenn sie dazu aufgefordert werden.«

Die Zuhörer waren zu sehr bei dieser Frage interessirt, als daß sie nicht das angesprochene Recht des Prinzen für unbezweifelt hätten erklären sollen. »Ein edelmüthiger Fürst, ein trefflicher Herr, der seine treuen Anhänger also zu belohnen verspricht!«

So erscholl es im Gefolge des Prinzen von Aller Munde, welche gleiche Verleihungen auf Kosten der Anhänger und Freunde König Richard's erwarteten, wenn sie dergleichen nicht bereits erhalten hatten. Prior Aymer stimmte dieser allgemeinen Ansicht gleichfalls bei, doch bemerkte er: daß das gesegnete Jerusalem eigentlich kein fremdes Land genannt werden könne. Es sei, sagte er, die communis mater – die gemeinschaftliche Mutter aller Christen! Indessen, meinte er, er wisse nicht, wie der Ritter Ivanhoe daraus einen Vortheil für sich ableiten könne, denn er (der Prior) sei überzeugt, daß die Kreuzfahrer unter Richard nie weiter denn bis Ascalon gekommen wären, welches, wie weltbekannt, eine Stadt der Philister sei, und auf kein Vorrecht der heiligen Stadt Anspruch zu machen habe.

Waldemar, dessen Neugier ihn vorwärts zu der Stelle getrieben hatte, wo Ivanhoe zu Boden gesunken war, kehrte jetzt zurück, und sagte: »Der tapfere Ritter wird wahrscheinlich Eurer Hoheit wenig Sorge mehr machen, und Front-de-Boeuf im ruhigen Besitze seines Gewinnes lassen – denn er ist sehr schwer verwundet.«

»Was auch aus ihm werden mag,« sagte Prinz Johann, »er ist der Sieger des Tages, und wäre er zehnmal unser Feind oder der entschiedene Freund unseres Bruders, welches vielleicht das Nämliche ist, so müssen seine Wunden doch untersucht werden; unser eigener Wundarzt soll ihn besorgen!«

Ein bitteres Lächeln schwebte bei diesen Worten um des Prinzen Mund. Waldemar Fitzurse erwiederte eiligst, Ivanhoe sei bereits aus den Schranken gebracht worden und befinde sich in der Pflege seiner Freunde.

»Ich war doch ein wenig erschüttert,« sagte er, »den Kummer der Königin der Schönheit und Ehre zu sehen, deren Herrschaft an diesem Tage durch den Vorfall in Trauer verwandelt worden ist. Ich bin nicht der Mann, den eines Weibes Klage um ihren Liebhaber rührt; allein diese Lady Rowena unterdrückte ihren Kummer mit so viel Würde, daß man ihn bloß aus ihren gefalteten Händen und ihrem thränenlosen Auge abnehmen konnte, welches zitterte, als es auf der leblosen Gestalt vor ihr haftete.«

»Wer ist denn diese Lady Rowena,« sagte Prinz Johann, »von der wir so viel gehört haben?«

»Eine sächsische Erbin ansehnlicher Besitzungen,« erwiederte Prior Aymer, »eine Rose an Liebenswürdigkeit, ein Juwel an Reichthum, die schönste unter Tausenden, ein Myrrhenbüschel, eine Kampfertraube.«

»Wir wollen ihren Kummer lindern,« sagte Prinz Johann, »und ihr Blut durch die Verheirathung an einen Normann verbessern. Sie scheint noch unmündig, und ist daher in Ansehung der Verehelichung zu unserer königlichen Verfügung. Was meinst Du, de Bracy? Wie wär's, wenn Du schöne Ländereien und Einkünfte durch Heirath einer Sachsin, nach Sitte der Anhänger des Eroberers, gewinnen könntest?«

»Da die Ländereien ganz nach meinem Geschmacke sind,« versetzte Bracy, »so werde ich mich auch leicht mit einer Braut befreunden, und höchlich werde ich mich Eurer Hoheit verpflichtet fühlen für ein gutes Werk, wodurch die Versprechungen erfüllt werden, welche zu Gunsten Eures Dieners und Vasallen geschehen sind.«

»Wir werden es nicht vergessen,« sagte Prinz Johann, »und um sogleich Hand an's Werk zu legen, so sage unserm Seneschall, daß er unverzüglich die Lady Rowena und ihre Gesellschaft, d. h. ihren rauhen Wächter und den sächsischen Ochsen, den der schwarze Ritter in diesem Turniere niederwarf, zum Bankett für diesen Abend befehlige. De Bigot,« setzte er zu seinem Seneschall hinzu, »Du wirst diese unsere zweite Aufforderung so artig ausrichten, daß dem Stolz dieser Sachsen dadurch geschmeichelt werde und sie dieselbe gar nicht ausschlagen können; obgleich artig mit ihnen umgehen die Perlen vor die Schweine werfen heißt.«

Eben war Prinz Johann im Begriff, das Zeichen zu geben, die Schranken zu verlassen, als ihm ein kleines Billet eingehändigt wurde.

»Woher das?« fragte der Prinz, indem er sich nach der Person umsah, die es überbracht hatte.

»Aus fremden Landen, Mylord, aber aus welchen, weiß ich nicht,« erwiederte sein Begleiter. »Es brachte ein Franzose hierher, welcher sagte, er sei Tag und Nacht geritten, um es Eurer Hoheit Händen zu überbringen.«

Der Prinz sah die Aufschrift und dann das Siegel genauer an. Letzteres war so angebracht, daß es den Seidenfaden zusammenhielt, womit das Billet umwunden war, und drei Lilien waren darauf im Abdrucke zu erkennen. Johann öffnete das Billet mit sichtbarer Bewegung, welche sich sehr vermehrte, als er den Inhalt las, der folgendermaßen lautete: »Nehmt Euch in Acht, denn der Teufel ist los!«

Der Prinz wandte sich um, bleich wie der Tod, blickte erst auf den Boden, dann zum Himmel, wie Jemand, der so eben das über ihn ausgesprochene Todesurtheil erhalten hat. Als er sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, nahm er Waldemar Fitzurse und Bracy bei Seite, und gab jedem das Billet besonders zu lesen.

»Das ist entweder falscher Lärm oder ein untergeschobener Brief,« sagte Bracy.

»Es ist des Königs von Frankreich Hand und Siegel,« versetzte der Prinz.

»So ist es denn auch Zeit,« sagte Fitzurse, »unsere Partei, sei's zu York oder in einem andern Mittelpunkte, zu sammeln. Wenige Tage später kann es leicht zu spät sein. Eure Hoheit muß der gegenwärtigen Mummerei schnell ein Ende machen.«

»Die Yeomen und Gemeinen,« sagte Bracy, »dürfen nicht unzufrieden entlassen werden, weil sie an den Festlichkeiten selbst nicht Antheil nehmen können.«

»Der Tag,« sagte Waldemar, »ist ja noch nicht weit vorgerückt; laßt doch die Bogenschützen einigemal nach der Scheibe schießen, und einen Preis dabei vertheilen. Das ist eine hinreichende Erfüllung des prinzlichen Versprechens, insofern es diese Heerde sächsischer Sclaven betrifft.«

»Ich danke Dir, Waldemar,« sagte der Prinz; »Du erinnerst mich, daß ich dem unartigen Bauer noch eine Schuld abzutragen habe, der gestern unsere Person beleidigte. Unser Gastmahl geht übrigens diese Nacht noch vor sich. Wäre diese Stunde auch die letzte meiner Gewalt, so müßte sie dem Vergnügen und der Rache gewidmet sein – der neue Morgen mag dann immerhin neue Sorgen bringen.«

Der Schall der Trompeten rief nun bald diejenigen Zuschauer zurück, welche bereits angefangen hatten, das Feld zu verlassen; und es wurde im Namen des Prinzen Johann kund gemacht, daß, obgleich wichtige öffentliche Geschäfte ihn nöthigten, die Fortsetzung der Festlichkeiten für den morgenden Tag zu unterbrechen, er doch nicht wolle, daß so viele seiner guten Landleute, ohne auch ihre Geschicklichkeit erprobt zu haben, von hinnen scheiden sollten; sie möchten daher heute, bevor sie sich entfernten, das für morgen festgesetzte Bogenschießen halten. Dem besten Bogenschützen ward als Preis ein in Silber gefaßtes Jagdhorn und eine seidene, reich verzierte Jagdtasche mit einem Medaillon des heiligen Hubertus, des Schutzpatrons der Jagd, ausgesetzt.

Mehr als dreißig Landleute stellten sich zuerst als Preisbewerber dar, von denen manche Unteraufseher und Beamte in den königlichen Forsten zu Needwood und Charnwood waren. Als indeß diese Schützen hörten, mit wem sie es aufnehmen sollten, so zogen sich an zwanzig freiwillig zurück, weil sie sich nicht der Schande einer ziemlich gewissen Niederlage aussetzen wollten. Denn in jener Zeit kannte man die Geschicklichkeit eines berühmten Schützen viele Meilen umher.

Die verminderte Liste der Bewerber und der Jagdruhm belief sich endlich nur auf acht Personen. Prinz Johann stand von seinem königlichen Sitz auf, um diese Landleute, von denen mehrere die königliche Livree trugen, in der Nähe zu betrachten. Nachdem er seine Neugier befriedigt hatte, schaute er sich nach dem Gegenstande seiner Rache um, der an demselben Orte stand, und in derselben gefaßten Stellung und Haltung, welche er an dem vorhergehenden Tage gezeigt hatte.

»Bursche!« sagte Prinz Johann, »ich vermuthete schon aus Deinem ungeziemenden Geschwätz, Du wärst kein Liebhaber vom langen Bogen, und ich sehe jetzt, Du wagst es nicht mit diesen wackern Männern, welche dort stehen, Deine Geschicklichkeit zu versuchen.«

»Mit Gunst, Herr,« versetzte der Landmann, »ich habe eine andere Ursache, welche mich vom Schießen abhält, außer der Furcht vor Unglück und Mißlingen des Schusses.«

»Und welches ist denn diese andere Ursache,« fragte der Prinz, der aus einem Grunde, welchen er vielleicht selbst nicht zu erklären wußte, eine peinliche Neugier hinsichtlich dieses Individuums fühlte.

»Weil ich nicht weiß,« erwiederte der Mann, »ob diese Landleute und ich gewohnt sind, nach demselben Ziele zu schießen, und weil ich außerdem auch nicht weiß, ob es Eure Gnaden gern sehen mochte, wenn den dritten Preis auch Jemand gewönne, der sich Euer Mißfallen unbewußt zugezogen hat.«

Prinz Johann entfärbte sich bei diesen Worten, doch fragte er: »Wie ist Dein Name, Landmann?«

»Locksley!« versetzte dieser.

»Wohl, Locksley!« sagte der Prinz, »Du sollst in Deiner Reihe schießen, wenn diese braven Landleute ihre Geschicklichkeit bewährt haben. Gewinnst Du den Preis, so füge ich noch zwanzig Nobles hinzu, fehlst Du aber, so wird Dir Dein grünes Wamms ausgezogen und Du mit Bogensehnen aus den Schranken gepeitscht, als ein frecher Prahler.«

»Und wenn ich nun unter solchen Bedingungen nicht schießen will?« sagte der Landmann, »Euer Gnaden kann mich wohl, da Ihr so viele Bewaffnete zur Unterstützung Eurer Macht habt, ausziehen und peitschen lassen, aber mich nicht zwingen, auch nur einmal meinen Bogen zu spannen.«

»Nimmst Du mein ehrliches Anerbieten nicht an,« sagte der Prinz, »so soll Dir der Profoß der Schranken den Bogenstrang zerschneiden und Bogen und Pfeile zerbrechen, auch Dich selbst als einen Feigherzigen davonjagen.«

»Es ist nicht schön von Euch, stolzer Prinz,« daß Ihr mich zwingt, meine Kunst gegen die besten Schützen von Leicester und Staffordshire zu zeigen, unter der Strafe, entehrt zu werden, wenn sie mich übertreffen. Indessen will ich gehorchen.«

»Gebt genau auf ihn Acht, Bewaffnete,« sagte Prinz Johann, »sein Muth ist gesunken; ich fürchte, er sucht der Probe zu entschlüpfen. Und ihr, brave Leute, schießt muthig nach der Reihe! Ist der Preis gewonnen, so erwarten euch Fleisch und Wein zur Erquickung dort im Zelte.«

Es wurde nun an's obere Ende der südlichen Allee, welche zu den Schranken führte, ein Ziel aufgestellt. Die Bogenschützen nahmen ihren Stand nach der Reihe in der Tiefe des südlichen Zugangs ein, und diese Entfernung zwischen der Stellung und dem Ziele gewährte eine hinreichende Entfernung für das, was man einen Schuß auf's Ungewisse zu nennen pflegte. Es wurde das Loos gezogen, um die Ordnung der Schüsse zu bestimmen, und Jeder hatte deren drei nach einander. Ein Profoß der Spiele ordnete das Ganze, denn die Marschälle des Feldes würden sich dadurch entehrt gefunden haben, wenn sie die Spiele der Landleute hätten leiten sollen.

Einer nach dem Andern trat nun vor und schoß. Von vierundzwanzig Schüssen trafen zehn das Ziel, und die andern kamen demselben so nahe, daß man, in Hinsicht der beträchtlichen Entfernung, wohl sagen konnte, es sei brav geschossen worden. Von den zehn Pfeilen, die das Ziel trafen, schoß Hubert, ein Förster in Malvoisin's Diensten, zwei innerhalb des innern Ringes, und er wurde daher als Sieger ausgerufen.

»Nun, Locksley,« sagte der Prinz mit bitterm Lächeln zu dem kühnen Landmanne, »willst Du's nun noch mit Hubert aufnehmen, oder willst Du Bogen und Jagdtasche und Köcher dem Profoß überliefern?«

»Weil's denn nicht anders sein kann,« sagte Lockley, »so will ich mein Glück versuchen, doch mit der Bedingung, daß, wenn ich zwei Pfeile noch über Hubert's Ziel geschossen habe, er verbunden sei, einen nach dem Ziele zu schießen, welches ich aufstecken werde.«

»Nun, das läßt sich hören,« sagte der Prinz, »und es soll Dir gewährt sein! Besiegst Du den Prahlhans, Hubert, so fülle ich Dir das Jagdhorn mit Silberpfennigen!«

»Ein Mann thut, so viel er kann,« versetzte Hubert, »mein Ahnherr führte bei Hastings einen guten Bogen, und ich denke seinem Andenken keine Schande zu machen.«

Das vorige Ziel wurde nun weggenommen und ein anderes von derselben Größe an seine Stelle gesetzt. Hubert, der als Sieger in dem ersten Schießen das Recht des ersten Schusses hatte, nahm sein Ziel mit großer Ueberlegung, maß die Entfernung lange mit den Augen, und hielt den gespannten Bogen fest in der Hand, den Pfeil auf der Sehne. Endlich trat er vorwärts, zog die Sehne an, und der Pfeil schwirrte durch die Luft; er traf in den innern Kreis der Scheibe, doch nicht gerade in den Mittelpunkt.

»Ihr habt nicht auf den Wind gerechnet, Hubert,« sagte sein Gegner, indem er seinen Bogen spannte – »das hätte sonst ein besserer Schuß werden müssen.«

Ohne die mindeste Aengstlichkeit zu verrathen, trat nun Locksley an die bestimmte Stelle, und schoß den Pfeil mit einer Schnelligkeit ab, welche kaum vermuthen ließ, daß er ordentlich gezielt habe. Er sprach noch, während er schon die Bogensehne anzog, und doch traf er zwei Zoll näher an den weißen Fleck, der den Mittelpunkt des Zieles machte, als Hubert getroffen hatte.

»Beim Lichte des Himmels!« sagte der Prinz zu Hubert, »Du wärst werth, auf die Galeeren zu kommen, wenn Du Dich von dem Landläufer übertreffen lassen wolltest!«

Hubert hatte überall nur eine Antwort. »Und wenn Eure Hoheit mich hängen ließen,« sagte er, »ein Mann thut, so viel er kann! Indessen mein Ahnherr führte einen guten Bogen.«

»Zum Henker mit Deinem Ahnherrn und der ganzen Sippschaft,« sagte der Prinz, »schieß, Schurke, schieß gut, oder es geht Dir wahrlich nicht gut!« – So ermuntert nahm Hubert seine Stelle wieder ein, und die Warnung seines Gegners nicht verachtend, nahm er auf den Zug des Windes Bedacht, und schoß nun so glücklich, daß sein Pfeil gerade im eigentlichen Mittelpunkte der Scheibe saß.

Ein lauter Freudenruf des Volks belohnte den Schützen, für den es sich mehr interessirte als für einen Unbekannten.

»Den Schuß kannst Du doch nicht übertreffen, Locksley!« sagte der Prinz mit höhnischem Lächeln.

»So will ich ihm doch in seinen Pfeil eine Kerbe machen,« versetzte Locksley.

Mit diesen Worten ergriff er seinen Bogen, schoß mit etwas mehr Behutsamkeit als sonst, und siehe, der im Ziele steckende Pfeil seines Nebenbuhlers wurde mitten entzwei gespalten. Das umstehende Volk war über solche Geschicklichkeit so erstaunt, daß es seinem Erstaunen nicht einmal durch den gewöhnlichen Freudenruf Luft machen konnte.

»Das muß der Teufel sein und kein Mensch von Fleisch und Blut,« flüsterte ein Landmann dem andern zu, »so ein Bogenschießen ist nicht erhört worden in Britannien, seit ein Bogen gespannt wird.«

»Und nun,« sagte Locksley, »bitte ich um Erlaubniß, ein Ziel aufzustecken, wie es bei uns im Norden gewöhnlich ist; und willkommen jeder brave Landmann, der einen Schuß versucht, der ihm ein freundliches Lächeln von seinem Mädchen verdienen muß!«

Indem er so die Schranken verließ, sagte er: »Eure Wachen mögen mir folgen, ich gehe nur, um einen Zweig von dem Weidenbusche zu holen.«

Prinz Johann gab der Wache schon ein Zeichen zu folgen, allein der allgemeine Ruf: »Schämt euch! schämt euch!« machte, daß der unedle Vorsatz nicht ausgeführt wurde.

Locksley kehrte sogleich mit einem Weidenzweige, ungefähr sechs Fuß lang, ganz gerade und ein wenig dicker als ein Mannsdaumen, zurück. Er fing nun an, denselben mit vieler Ruhe abzuschälen, bemerkend, daß es eigentlich eine Beleidigung für einen rechten Jägersmann sei, wenn er nach einem so breiten Ziele schießen sollte, als man bisher aufgestellt habe. In dem Lande, wo er geboren sei, sagte er, ließen sich's die Leute wohl auch gefallen, nach König Arthur's runder Tafel zu schießen, woran sechzig Ritter Platz finden können; ein Kind von sieben Jahren müsse ein solches Ziel mit einem stumpfen Pfeile erreichen können. »Aber,« setzte er hinzu, indem er langsam nach dem andern Ende der Schranken zuging, und den Weidenzweig aufrecht in den Boden steckte, »wer dieses Ziel auf hundert Ellen trifft, den nenne ich einen Schützen, der wohl Bogen und Köcher führen darf, selbst vor dem Könige, und wenn es der mannhafte Richard selbst wäre.«

»Mein Ahnherr,« sagte Hubert, »führte wohl einen guten Bogen bei Hastings, und doch schoß er in seinem Leben nach keinem solchen Ziele – auch ich werde es nicht! Trifft dieser Landmann aber dieses Ziel, so gebe ich ihm gewonnen Spiel – oder vielmehr, ich weiche dem Teufel, der in seinem Wamse steckt, und keiner menschlichen Geschicklichkeit. Ein Mann thut so viel er kann, und ich schieße nicht, wo ich gewiß bin, daß ich fehlen muß. Ich möchte eben so leicht auf einen Strohhalm, oder auf einen Sonnenstrahl halten, als auf einen solchen weißen Strich, den man kaum mit Augen sehen kann.

»Feiger Hund!« sagte Prinz Johann; »schieß, Locksley, und triffst Du Dein Ziel, so erkläre ich Dich für den ersten Schützen, den ich noch gesehen.«

»Ich thue, so viel ich kann, wie Hubert sagt,« versetzte Locksley, »kein Mensch kann mehr thun!«

Mit diesen Worten spannte er von Neuem seinen Bogen; allein jetzt betrachtete er doch mit mehr Aufmerksamkeit seine Waffe und veränderte die Sehne, weil er sie nach den vorigen Schüssen nicht mehr für fest genug hielt. Nun nahm er sein Ziel mit Bedacht, und die Menge erwartete mit athemlosem Schweigen den Ausgang. Der Schütze rechtfertigte aber ihre Meinung von seiner Geschicklichkeit, der Pfeil spaltete die Weidenruthe mitten entzwei. Allgemeiner Jubel ertönte, und selbst Prinz Johann verlor über der Bewunderung solcher Geschicklichkeit seinen Widerwillen gegen die Person des Schützen.

»Diese zwanzig Nobles,« sagte er zu ihm, »die Du nebst dem Jagdhorne gewonnen hast, sind Dein Eigenthum, aber Du sollst sogleich fünfzig erhalten, wenn Du als Yeoman unter unsere Leibgarde treten und künftig näher um unsere Person sein willst. Denn nie hat wohl eine so feste Hand den Bogen gespannt oder ein Auge den Pfeil so sicher geleitet.«

»Verzeihung, edler Prinz,« sagte hierauf Locksley, »allein ich habe gelobt, daß, wenn ich je Dienste nehme, ich nur bei Eurem königlichen Bruder Richard diene. Die zwanzig Nobles überlasse ich Hubert, der heute einen eben so guten Bogen gespannt hat, als sein Ahnherr bei Hastings. Hätte er aus Bescheidenheit den Versuch nicht verweigert, so würde er die Weide wohl eben so gut getroffen haben, als ich.«

Hubert schüttelte den Kopf, als er, wiewohl mit Widerstreben, das Geschenk des Fremden empfing, und Locksley, der sich nicht gern einer fernern Beobachtung aussetzen wollte, mischte sich unter den Haufen, und wurde nicht mehr gesehen. Er würde indessen Johanns spähenden Blicken doch nicht so leicht entgangen sein, hätten nicht andere und wichtigere Sorgen dessen Gemüth in diesem Augenblicke beschäftigt. Indem er das Zeichen gab die Schranken zu verlassen, rief er seinen Kämmerling zu sich, und befahl ihm eiligst nach Ashby zu reiten, und den Juden Isaac aufzusuchen. »Sage dem Hunde,« sagte er zu ihm, »er soll mir vor Sonnenuntergang zweitausend Kronen schicken. Er kennt schon die Sicherheit, aber Du kannst ihm auch noch diesen Ring als Pfand geben. Der Rest der Summe muß binnen sechs Tagen zu York ausgezahlt werden. Will er nicht, so soll mir der ungläubige Schurke mit seinem Kopfe bezahlen. Nimm Dich in Acht, daß Du ihn nicht unterwegs verfehlst, denn der beschnittene Sklave wollte hier seinen heimlichen Schacher treiben.«

Mit diesen Worten stieg der Prinz wieder zu Pferde und kehrte nach Ashby zurück, indeß sich die Menge, auf verschiedenen Wegen rückkehrend, zerstreute.



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