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Siebentes Kapitel.

Ein lang' Gefolg' von Knappen hinter sich,
Zierlich und bunt gekleidet, kommen Ritter.
Ein Knappe hält den Helm, die Lanz' der Andere,
Ein Dritter bringt den blanken Schild heran.
Das Roß stampft ungeduldig mit dem Fuß,
Wiehernd beschäumt's das goldene Gebiß.
Auf Rossen reiten Huf- und Waffenschmiede,
Feilen in Händen, Hämmer an der Seite;
Sie halten Nägel für gelöste Speere,
Und Riemen in Bereitschaft für die Schilde.
Trabanten steh'n in Reihen auf den Straßen,
Und Bauern kommen, Knittel in den Händen.

Palamon und Arcite.

Die Lage des englischen Volkes war zu jener Zeit elend genug. König Richard war als Gefangener abwesend, und in der Macht des treulosen und grausamen Herzogs von Oesterreich. Selbst der Ort seiner Gefangenschaft war ungewiß, und sein Schicksal den meisten seiner Unterthanen nur sehr unvollkommen bekannt, die inzwischen jeder Art untergeordneten Druckes zur Beute wurden.

Prinz Johann, im Bündniß mit Philipp von Frankreich, Löwenherzens tödtlichem Feinde, wendete allen seinen Einfluß bei dem Herzog von Oesterreich an, um die Gefangenschaft seines Bruders zu verlängern, von dem er doch so manche Gunst erfahren hatte. Inzwischen verstärkte er seinen Anhang im Königreich und bereitete sich vor, im Falle der König stürbe, dem rechtmäßigen Erben, dem Arthur, Herzog von der Bretagne, dem Sohne Gottfried's Plantagenet, dem ältern Bruder Johann's, die Thronfolge streitig zu machen. Es ist bekannt, daß er diese Usurpation später in Ausführung brachte. Da Johann's Charakter leichtsinnig, ausgelassen und treulos war, so zog er nicht nur alle Diejenigen leicht an sich, welche Ursache hatten, die Strafe Richard's wegen verbrecherischer Handlungen zu fürchten, die sie während seiner Abwesenheit begangen, sondern auch die zahllosen Classen gesetzloser Raufbolde, welche die Kreuzzüge ihrem Vaterlande zurückgeschickt hatten, erfahren in den Lastern des Orients, ohne Erwerbsquellen und verhärtet in ihrem Charakter, und die bei der allgemeinen Bewegung zu ernten hofften.

Zu diesen Veranlassungen allgemeiner Furcht und Besorgniß kam noch die Menge von Geächteten, die, durch den Druck des Adels und die strenge Anwendung der Forstgesetze zur Verzweiflung getrieben, sich in großen Banden zusammenrotteten, Wälder und unbewohnte Strecken Landes in Besitz nahmen und den Obrigkeiten des Landes trotzten. Die Edelleute selber, jeder durch seine befestigte Burg geschützt, und den Oberherrn seiner Besitzung spielend, waren die Anführer von Banden, nicht weniger gesetzlos und gefährlich als die anerkannten Räuber. Um diese Anhänger zu ernähren, und die Ausschweifung und die Prachtliebe zu unterstützen, wozu ihr Stolz sie bestimmte, erborgte der Adel große Summen von den Juden gegen sehr hohe Zinsen, die ihr Besitzthum gleich dem verzehrenden Krebs anfraßen, und wovon sie sich nicht anders befreien konnten, als wenn die Umstände ihnen Gelegenheit gaben, sich davon zu befreien, indem sie an ihren Gläubigern eine gewaltthätige Handlung verübten.

Unter den verschiedenen Lasten, welche dieser unglückliche Zustand der Dinge mit sich führte, litt das englische Volk für den Augenblick sehr und hatte große Ursache, in Zukunft noch schwereres Unheil zu fürchten. Um das Elend zu vermehren, verbreitete sich eine ansteckende Krankheit durch das Land und nahm viele hinweg, deren Schicksal die Ueberlebenden versucht waren zu beneiden, weil sie von den zu erwartenden Uebeln befreit wurden.

Doch bei diesem vielfachen Ungemach nahmen die Armen so wie die Reichen, die Gemeinen so wie die Adeligen an dem Ereigniß eines Turniers, welches das große Schauspiel jenes Zeitalters war, eben so viel Antheil als der halbverhungerte Bürger von Madrid, der keinen Real übrig hat, um Lebensmittel für seine Familie zu kaufen, an dem Ausgange eines Stiergefechtes nimmt. Weder Pflicht noch Schwachheit konnte Jugend oder Alter von solchen Vorstellungen abhalten. Das Turnier, welches zu Ashby in der Grafschaft Leicester stattfinden sollte, hatte die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, denn Kämpfer von der größten Berühmtheit sollten in Gegenwart des Prinzen Johann fechten, welcher selber dazu erwartet wurde, und eine ungeheure Menschenmenge aus allen Classen eilte an dem bestimmten Morgen zu dem Kampfplatze hin.

Die Scene war höchst romantisch. Am Rande eines Waldes, der etwa eine Meile von der Stadt Ashby entfernt war, befand sich eine Fläche, die mit dem schönsten grünen Rasen bedeckt, auf der einen Seite von dem Walde umgeben und auf der andern von einzelnen Eichen eingefaßt war, wovon einige eine ungeheure Größe erreicht hatten. Der Boden, als wäre er eigens zu diesem kriegerischen Schauspiel so eingerichtet worden, senkte sich allmälig von allen Seiten zu einem horizontalen Grunde herab, der mit den Schranken umgeben war, und einen Raum einschloß, der eine Viertelmeile lang und etwa halb so breit war. Die Form dieses eingeschlossenen Raumes war ein längliches Viereck, nur daß die Ecken beträchtlich abgerundet waren, um den Zuschauern größere Bequemlichkeit zu gewähren. Die Oeffnungen zum Eintritt der Kämpfer waren am nördlichen und südlichen Ende der Schranken, mit starken hölzernen Thoren versehen, weit genug, um zwei Reiter neben einander einzulassen. An jedem dieser Eingänge standen zwei Herolde nebst sechs Trompetern, eben so vielen Staatsboten und einer starken Abtheilung von Bewaffneten, um die Ordnung aufrecht zu erhalten und sich von der Beschaffenheit der Ritter zu überzeugen, die an diesem kriegerischen Spiele Theil zu nehmen beabsichtigten.

Auf einer Erhöhung jenseits des südlichen Einganges, von einer natürlichen Erhöhung des Bodens gebildet, waren fünf prächtige Zelte angebracht, mit rothen und schwarzen Fähnchen verziert, den gewählten Farben der fünf ausfordernden Ritter. Die Stricke, womit die Zelte gehalten wurden, waren von derselben Farbe. Vor jedem Zelte hing das Schild des Ritters, der dasselbe einnahm, und neben demselben stand sein Knappe, als ein wilder Mann verkleidet, oder in irgend einer andern phantastischen Kleidung nach dem Geschmack seines Herrn und der Rolle, die er während des Waffenspieles anzunehmen beabsichtigte. Das mittlere Zelt, als der Ehrenplatz, war Brian de Bois-Guilbert angewiesen worden, dessen Ruhm in allen Arten der ritterlichen Spiele, nicht minder als seine Verbindung mit den Rittern, welche diesen Waffengang unternommen hatten, ihn den Ausforderern nicht nur zum Gefährten, sondern auch zum Haupt und Anführer empfohlen hatte. An der einen Seite des Zeltes befanden sich die von Reginald Front-de-Boeuf und Philipp de Malvoisin, und auf der andern das Zelt Hugo's de Grantmesnil, eines Barons aus der Nachbarschaft, dessen Ahnherr Lord Groß-Steward von England zur Zeit des Eroberers und seines Sohnes, William Rufus, gewesen war. Ralph de Vipont, ein Johanniterritter, welcher einige alte Besitzungen zu Heather in der Nähe von Ashby de la Zouche hatte, nahm das fünfte Zelt ein. Von dem Eingange in die Schranken führte ein sauberer Weg, ungefähr zehn Ellen breit, zu der Erhöhung, auf der die Zelte standen. Dieser war auf jeder Seite mit einem starken Pfahlwerke versehen, sowie auch die Esplanade vor den Zelten, und das Ganze wurde von Bewaffneten bewacht.

Der nördliche Zugang zu den Zelten endigte sich in einem ähnlichen Eingang von dreißig Fuß Breite. Am äußersten Ende desselben war ein großer Raum eingeschlossen für solche Ritter, die den Ausforderern in den Schranken begegnen wollten, und hinter diesen waren Zelte aufgeschlagen, welche Erfrischungen aller Art zu ihrer Stärkung enthielten, nebst Waffen- und Hufschmieden und andern ähnlichen Handwerkern, um ihnen im Nothfall sogleich die gehörigen Dienste leisten zu können.

Der äußere Umfang der Schranken war zum Theil von Gallerien besetzt, die mit Teppichen und Kissen versehen waren, zur Bequemlichkeit der Damen und der Edlen, die als Zuschauer bei der Festlichkeit erwartet wurden. Ein enger Raum zwischen dieser Gallerie und den Schranken gewährte dem Mittelstande und den Zuschauern, die nicht ganz zum Pöbel gehörten, volle Bequemlichkeit. Er ließ sich gewissermaßen mit dem Parterre unserer Theater vergleichen. Die gemischte Menge mußte sich mit großen Rasenbänken behelfen, die zu diesem Zwecke angebracht, und bei der natürlichen Erhebung des Bodens die Sitzenden über die Gallerien hinwegschauen ließen, und ihnen eine freie Aussicht in die Schranken gewährten. Außer diesen Bequemlichkeiten hatten sich noch viele Hunderte Bäume zum Standpunkte ausersehen, ja sogar der Thurm einer benachbarten Dorfkirche war mit Zuschauern fast bedeckt.

Hinsichtlich der allgemeinen Einrichtung bleibt noch dies zu bemerken, daß eine Gallerie gerade im Mittelpunkte der östlichen Seite der Schranken, und folglich gerade der Stelle gegenüber, wo der Kampf selbst stattfinden mußte, höher als die übrigen gestellt, auch reicher verziert, und durch eine Art von Thron und Baldachin ausgezeichnet war, auf dem das königliche Wappen prangte. Knappen, Pagen und Dienstmannen in reicher Livree standen um diesen Ehrenplatz her, der für den Prinzen Johann und sein Gefolge bestimmt war. Dieser königlichen Gallerie gegenüber befand sich eine andere von der nämlichen Höhe an der westlichen Seite der Schranken, und wenn auch minder prächtig, doch heiterer und freundlicher geschmückt, als die für den Prinzen selbst bestimmte. Eine Menge von Pagen und jungen Mädchen, den schönsten, die man hatte finden können, anmuthig gekleidet in phantastische Gewänder von grüner und rother Farbe, umgaben einen Thron, der mit denselben Farben geschmückt war. Unter Wimpeln und Flaggen, die mit verwundeten, brennenden und blutenden Herzen, mit Bogen und Pfeilen geziert waren, meldete eine schimmernde Inschrift dem Betrachter, daß dieser Ehrenplatz bestimmt sei für die Königin der Schönheit und der Liebe! Doch wer die Königin der Schönheit und Liebe vorstellen werde, konnte Niemand errathen.

Unterdessen drängten sich Zuschauer aller Art vor, Sitze und Stände einzunehmen, nicht ohne vielfache Streitigkeiten in Ansehung derer, die sie einzunehmen berechtigt waren. Einige derselben wurden sogleich vom Militär ohne alle Umstände besetzt, indem diese Leute die Griffe ihrer Streitäxte und ihre Schwertgriffe schnell als Gründe geltend machten, die auch den Widerspenstigsten überzeugen mußten. Andere, die für Personen von höherem Range bestimmt waren, wurden von den Herolden oder den beiden Marschällen des Feldes, William de Wyvil und Stephan von Martival, angewiesen, welche, ganz gerüstet, an den Schranken auf- und niederritten, um die gute Ordnung unter den Zuschauern auf alle Weise aufrecht zu erhalten.

Nach und nach wurden die Gallerien mit Rittern und Edlen in ihren Friedensgewändern angefüllt, deren lange und reichgefärbte Mäntel zu den bunteren und glänzenderen Kleidungen der Damen einen Gegensatz bildeten, die sich in noch größerer Anzahl zu einem Schauspiel drängten, welches man für zu blutig und gefährlich hätte halten sollen, um ihrem Geschlechte viel Vergnügen zu gewähren. Der niedrigere und innere Raum war bald von wohlhabenden Landleuten und Bürgern, sowie von denjenigen Mitgliedern des niedern Adels angefüllt, die aus Bescheidenheit, Armuth oder wegen zweifelhaften Rufes keinen höhern Platz einzunehmen wagten. Unter diesen fanden natürlich die meisten Streitigkeiten wegen des Vorranges statt.

»Ungläubiger Hund!« rief ein alter Mann, dessen abgetragener Mantel von seiner Armuth, sowie sein Schwert und Dolch und goldene Kette von Anspruch auf hohen Rang zeugten – »infamer Hund! wagst Du einen Christen zu drängen, einen normännischen Edelmann von dem Blute der Montdidier?«

Diese rauhe und heftige Äußerung war an Niemand anders gerichtet, als an unsern Bekannten, den Juden Isaac, welcher reich, ja prächtig gekleidet in einen Mantel mit Spitzen besetzt und mit Pelzwerk gefüttert, versuchte in der vordersten Reihe unter der Gallerie für seine Tochter, die schöne Rebecca, einen Platz zu erhalten. Diese hatte ihn zu Ashby getroffen und hing jetzt an ihres Vaters Arm, nicht wenig erschrocken über das allgemeine Mißfallen, welches durch ihres Vaters ungewöhnlich kühnes Benehmen war erregt worden. Aber Isaac, obgleich wir ihn bei andern Gelegenheiten furchtsam genug gesehen haben, wußte wohl, daß er gegenwärtig nichts zu fürchten habe. Bei öffentlichen Lustbarkeiten, oder wo ihres Gleichen versammelt waren, wagte keiner der habsüchtigen oder bösartigen Adeligen ihm etwas zu Leide zu thun. Bei solchen Versammlungen standen die Juden unter dem Schutze des allgemeinen Gesetzes; und wenn das eine schwache Bürgschaft war, so fanden sich doch gewöhnlich unter den versammelten Personen einige Barone, die aus eigennützigen Beweggründen bereit waren, als ihre Beschützer aufzutreten. Bei gegenwärtiger Gelegenheit empfand Isaac mehr als gewöhnliche Zuversicht, da er wußte, daß der Prinz Johann eben im Begriff sei, eine bedeutende Anleihe bei den Juden von York zu machen und ihnen dafür gewisse Juwelen und Ländereien zu verpfänden. Isaac's eigener Antheil bei diesen Verhandlungen war beträchtlich, und er wußte sehr wohl, daß des Prinzen lebhafter Wunsch, die Anleihe zu Stande zu bringen, ihm in dieser schwierigen Lage seinen Schutz sichern werde.

Kühn gemacht durch diese Rücksichten, verfolgte der Jude seinen Zweck und drängte den normännischen Christen, ohne auf seine Abkunft, seinen Rang und seine Religion zu achten. Die Klagen des alten Mannes erregten indeß den Unwillen der Umstehenden. Einer von diesen, ein rüstiger, wohlgebauter Landmann in grüner Kleidung, der zwölf Pfeile in seinem Gürtel hatte, ein Schwertgehenk mit einem silbernen Schilde trug und einen sechs Fuß langen Bogen in der Hand hielt, wendete sich rasch um, und während sein Gesicht, welches vom Wetter so braun, wie eine Haselnuß geworden war, vor Aerger dunkler wurde, rieth er dem Juden zu bedenken, daß aller Reichthum, den er erlangt habe, indem er seinen unglücklichen Schlachtopfern das Blut ausgesogen, ihn nur angeschwellt habe wie eine vollgesogene Spinne, die man übersehen könne, so lange sie sich in der Ecke halte, die man aber zertreten werde, sobald sie sich an's Licht wage. Diese Andeutung, mit fester Stimme und finsterm Ausdruck in normännisch-englischer Sprache ausgesprochen, machte, daß der Jude zurückbebte; und er würde sich wahrscheinlich ganz aus einer so gefahrvollen Nähe entfernt haben, wäre nicht die Aufmerksamkeit Aller auf den plötzlichen Eintritt des Prinzen Johann gerichtet gewesen, der in diesem Augenblick in die Schranken trat, von einem zahlreichen und geputzten Zuge begleitet, der theils aus Laien, theils aus Geistlichen bestand, eben so leichtfertig in ihrer Kleidung und so munter in ihrem Benehmen, wie ihre Begleiter. Unter den Letzteren befand sich der Prior von Jorvaulx, in dem ritterlichsten Aufzuge, in dem ein hochgestellter Geistlicher nur immer zu erscheinen wagen durfte. Pelzwerk und Gold waren an seiner Kleidung nicht gespart; und die Spitzen seiner Stiefeln, welche die verkehrte Mode jener Zeit noch übertrafen, waren so weit aufgeschlagen, daß sie nicht, wie sonst, an den Knieen, sondern an seinem Gürtel befestigt waren und ihn im eigentlichsten Sinne verhinderten, seinen Fuß in den Steigbügel zu setzen. Dies war indeß eine geringe Unbequemlichkeit für den ritterlichen Abt, der sich im Gegentheil vielleicht über die Gelegenheit freute, seine vollendete Reiterkunst vor so vielen Zuschauern, besonders vor dem schönen Geschlechte zu zeigen, indem er sich dieser Hülfsmittel eines furchtsamen Reiters begab. Der Rest von Prinz Johann's Gefolge bestand aus den begünstigten Anführern seiner Miethstruppen, einigen räuberischen Baronen und ausgelassenen Anhängern des Hofes, nebst mehreren Templern und Johanniterrittern.

Es mag hier erwähnt werden, daß die Ritter dieser beiden Orden dem König Richard feindlich waren, da sie bei den langwierigen Streitigkeiten, welche in Palästina zwischen Philipp von Frankreich und dem löwenherzigen Könige Englands stattfanden, die Partei des Erstern ergriffen hatten. Es war die wohlbekannte Folge dieser Uneinigkeit, daß Richard's wiederholte Siege fruchtlos gemacht, seine romantischen Versuche, Jerusalem zu erobern, vereitelt, und die Frucht alles Ruhmes, den man erlangt, zu einem ungewissen Waffenstillstande mit dem Sultan Saladin eingeschrumpft war. Mit derselben Politik, die ihren Brüdern im gelobten Lande ihr Benehmen vorgeschrieben hatte, schlossen sich die Templer und Hospitaliter in England und der Normandie der Partei des Prinzen Johann an, da sie wenig Grund hatten, die Rückkehr Richard's nach England oder die Nachfolge Arthur's, seines rechtmäßigen Erben, zu wünschen. Aus dem entgegengesetzten Grunde haßte und verachtete Prinz Johann die wenigen bedeutenden angelsächsischen Familien, die noch in England existirten, und versäumte keine Gelegenheit, sie zu kränken und zu schmähen, da er wohl wußte, daß ihnen sowie auch dem größeren Theil der englischen Gemeinen, seine Person und seine Anmaßung nicht gefiele, weil sie noch weitere Eingriffe in ihre Rechte und Freiheiten von einem Monarchen mit Johann's ausschweifendem und tyrannischem Charakter fürchteten.

Von diesem ritterlichen Gefolge begleitet, sehr gut beritten, glänzend in Carmoisin und Gold gekleidet und einen Falken auf der Hand tragend, auf dem Kopfe ein mit reichem Pelzwerk besetztes Barett, mit einem Kreise köstlicher Steine geschmückt, unter welchem sein langes lockiges Haar hervorkam und sich über die Schultern breitete, ritt Prinz Johann auf einem muthigen grauen Rosse an der Spitze seiner jovialen Begleitung in den Schranken umher, lachte laut mit seinem Gefolge und beäugelte mit königlicher Kühnheit die Schönheiten, welche die hohen Gallerien schmückten.

Die Aufmerksamkeit des Prinzen wurde jetzt auf die noch nicht beruhigte Bewegung gerichtet, welche dem ehrgeizigen Vordringen des Juden zu höheren Plätzen der Versammlung gefolgt war. Das rasche Auge des Prinzen Johann erkannte sogleich den Juden, wurde aber noch angenehmer von der schönen Tochter Zions angezogen, die, erschreckt durch den Tumult, sich fest an den Arm ihres bejahrten Vaters hielt.

Rebecca hätte in der That mit den stolzesten Schönheiten Englands verglichen werden können, auch wenn sie von einem noch strengeren Richter, als dem Prinzen Johann, wäre beurtheilt worden. Ihre Gestalt war sehr symmetrisch und zeigte sich sehr vortheilhaft in einer Art orientalischer Kleidung, die sie nach der Sitte der Frauen ihrer Nation trug. Ihr Turban von gelber Seide stand sehr gut zu ihrer dunklen Gesichtsfarbe. Der Glanz ihrer Augen, der schöne Bogen ihrer Brauen, ihre wohlgebildete Adlernase, ihre Zähne, so weiß wie Perlen, ihre üppigen schwarzen Locken, die spiralförmig auf ihren lieblichen Hals und Busen niederfielen – Alles dieses bildete ein so liebenswürdiges Ganzes, welches der größten Schönheit der sie umgebenden Mädchen nichts nachgab. Freilich waren von den goldenen mit Perlen besetzten Haken, die ihr Kleid vom Halse an bis zur Taille zusammenhielten, die drei obersten wegen der Hitze offen geblieben, wodurch die Aussicht auf ihren schönen Busen etwas erweitert wurde. Ein diamantenes Halsband von unschätzbarem Werthe wurde auf diese Weise auch sichtbar. Eine Straußfeder, mit einer mit Brillanten besetzten Agraffe an ihrem Turban befestigt, war noch eine Auszeichnung der schönen Jüdin, worüber die stolzen Damen, welche über ihr saßen, höhnten und spotteten, sie aber insgeheim deßhalb beneideten.

»Bei dem kahlen Schädel Abrahams,« sagte Prinz Johann, »jene Jüdin muß das Modell jener Vollkommenheit sein, deren Reize den weisesten König, der je lebte, rasend machten! Was sagst Du, Prior Aymer? – Bei dem Tempel jenes weisen Königs, den unser weiser Bruder Richard nicht wieder zu erobern vermochte, sie ist die Braut des Hohenliedes!«

»Die Rose von Saron und die Lilie des Thales,« – antwortete der Prior in schmunzelndem Tone; »aber Eure Hoheit muß bedenken, daß sie immer nur eine Jüdin ist.«

»Ei,« fuhr Prinz Johann fort, ohne auf ihn zu achten, »und da ist mein ungerechter Mammon auch – der Marquis der Marken und der Baron der Byzantiner, der mit verarmten Kerlen um den Platz streitet, deren abgeschabte Mäntel keinen einzigen Kreuzer in den Taschen haben, um den Teufel zu verhindern, dort sein Spiel zu treiben. Bei dem Leibe des heiligen Marcus, mein Fürst der Aushülfe mit seiner liebenswürdigen Jüdin soll einen Platz auf der Gallerie haben! – Was ist sie, Isaac, Dein Weib oder Deine Tochter, jene orientalische Houri, die Du unter Deinen Arm schließest, als wäre sie Dein Schatzkasten?«

»Meine Tochter Rebecca, Eurer Hoheit zu dienen,« antwortete der Jude mit tiefer Verbeugung, ohne durch des Prinzen Gruß in Verlegenheit zu gerathen, der wenigstens eben so viel Spott als Höflichkeit enthielt.

»Um so weiser bist Du,« sagte Johann mit lautem Lachen, in welches seine muntern Begleiter folgsam mit einstimmten. »Aber Tochter oder Weib, sie sollte nach Maßgabe ihrer Schönheit und Deiner Verdienste vorgezogen werden. – Wer sitzt dort oben?« fuhr er fort, indem er seine Augen zu der Gallerie erhob. »Sächsische Kerle, die sich ihrer ganzen Länge nach ausstrecken! – Pfui über sie! – Laßt sie zusammenrücken und meinem Wuchererfürsten und seiner liebenswürdigen Tochter Platz machen. Diese Bauerlümmel sollen wissen, daß sie die hohen Plätze in der Synagoge mit denen theilen müssen, welchen die Synagoge eigentlich gehört.«

Die Personen, an welche er diese beleidigende und unhöfliche Anrede richtete, waren Niemand anders als die Familie Cedric's des Sachsen nebst seinem Verbündeten und Verwandten Athelstane von Coningsburgh, einem Manne, der wegen seiner Abkunft von den letzten angelsächsischen Monarchen Englands, von allen sächsischen Eingeborenen im nördlichen England mit der höchsten Achtung behandelt wurde. Doch nebst dem Blute seines alten königlichen Geschlechts waren viele von den Schwächen desselben auf Athelstane vererbt. Er hatte ein wohlgebildetes Gesicht, war massiv und stark von Körperbau und in der Blüthe seines Alters, aber ohne Leben in seinem Ausdruck, hatte nichtssagende Augen, niederhängende Brauen, war plump und schwerfällig in allen Bewegungen, so daß der Beiname eines seiner Vorfahren auf ihn vererbte, und er allgemein Athelstane der Unentschlossene genannt wurde. Seine Freunde, und er hatte deren viele, die ihm wie Cedric leidenschaftlich zugethan waren, behaupteten, daß seine Trägheit nicht von Mangel an Muth herrühre, sondern nur von Mangel an Entschlossenheit. Andere behaupteten, daß das angeerbte Laster der Trunkenheit seine Geisteskräfte, die nie sehr scharf gewesen, umnebelt habe, und daß der passive Muth und die nachgiebige Gemüthsart, welche noch zurückblieben, nur die Hefen eines Charakters wären, der vielleicht Lob verdient hätte, von dem sich aber alle schätzbaren Theile im Verlaufe langgewohnter Ausschweifungen losgetrennt hätten.

An die beschriebene Person richtete der Prinz den gebieterischen Befehl, für Isaac und Rebecca Platz zu machen. Athelstane, sehr bestürzt über einen Befehl, der nach den Sitten und Gefühlen jener Zeit etwas sehr Beleidigendes hatte, nicht Willens zu gehorchen, aber unentschlossen, auf welche Weise er sich widersetzen solle, stellte nur die vis inertiae dem Willen Johann's entgegen; und ohne sich zu regen, oder die geringste Bewegung zu machen, als wolle er gehorchen, öffnete er seine großen grauen Augen und starrte den Prinzen mit einem Erstaunen an, welches etwas außerordentlich Lächerliches an sich hatte. Doch der ungeduldige Johann betrachtete es nicht aus diesem Gesichtspunkte.

»Das sächsische Schwein ist entweder im Schlaf oder versteht mich nicht,« sagte er. »Weckt ihn mit Eurer Lanze, de Bracy,« fuhr er zu einem Ritter gewendet fort, der in seiner Nähe ritt und eine Schaar von Miethsoldaten anführte. Es entstand ein Gemurmel selbst unter den Begleitern des Prinzen Johann; aber de Bracy, dessen Stand ihn von allen Scrupeln befreite, streckte seine lange Lanze über den Raum aus, welcher die Gallerie von den Schranken trennte, und würde den Befehl des Prinzen ausgeführt haben, ehe Athelstane der Unentschlossene auch nur so viel Geistesgegenwart gesammelt hätte, um seine Person vor der Waffe zurückzuziehen, hätte nicht Cedric, eben so entschlossen als sein Gefährte zögernd, mit Blitzesschnelle das kurze Schwert gezogen, welches er trug, und mit einem einzigen Schlage die Lanzenspitze von dem Schafte getrennt. Das Blut stieg dem Prinzen Johann in's Gesicht. Er stieß einen seiner heftigen Flüche aus und war im Begriff eine entsprechende Drohung hinzuzufügen, als er zum Theil durch seine Begleiter, die sich um ihn drängten und ihn dringend baten ruhig zu sein, zum Theil durch den lauten Beifallruf des Volks über Cedric's entschlossenes Benehmen, von seinem Vorhaben abgebracht wurde. Der Prinz rollte unwillig die Augen, als wolle er ein sicheres und leichtes Schlachtopfer aussuchen, und da er zufällig dem festen Blicke des bereits erwähnten Bogenschützen begegnete, welcher die Geberde seines Beifalls ungeachtet des finstern Blickes fortsetzte, den der Prinz auf ihn richtete, so fragte er ihn, aus welchem Grunde er so schrie.

»Ich rufe immer mein Hallo mit,« sagte der Landmann, »wenn ich einen guten Schuß oder einen guten Streich gethan sehe.«

»Was Du sagst,« antwortete der Prinz; »da kannst Du wohl selber das Weiße treffen, vermuthe ich.«

»Eines Waidmanns Ziel auf die gewöhnliche Entfernung kann ich treffen,« antwortete der Landmann.

»Und Wat Tyrrel's Ziel auf hundert Schritt,« rief eine Stimme aus dem Hintergrunde, ohne daß man unterscheiden konnte, wer es war.

Diese Anspielung auf das Schicksal seines Großvaters Wilhelm Rufus beunruhigte und erbitterte den Prinzen zu gleicher Zeit. Er begnügte sich indeß damit, den Trabanten, welche die Schranken umringten, zu befehlen, ein wachsames Auge auf den Prahler zu haben, indem er auf den Landmann zeigte.

»Bei der heiligen Grizzel,« setzte er hinzu, »wir wollen die eigene Geschicklichkeit dessen auf die Probe stellen, der so bereit ist, die Thaten Anderer zu preisen.«

»Ich werde die Probe nicht scheuen,« sagte der Landmann mit einer Entschlossenheit, die sein ganzes Wesen bezeichnete.

»Inzwischen steht auf, Ihr sächsischen Kerle,« sagte der zornige Prinz; »denn, beim Licht des Himmels, da ich es gesagt habe, soll der Jude unter Euch sitzen!«

»Um Alles nicht, mit Eurer Hoheit Erlaubniß! Es paßt nicht für Leute, wie wir sind, neben den Herrschern des Landes zu sitzen,« sagte der Jude, dessen Ehrgeiz wegen des Vorranges, obgleich ihn derselbe bestimmt hatte, mit dem verarmten und heruntergekommenen Abkömmling des Geschlechtes der Montdidier um den Platz zu streiten, doch keineswegs so hochfahrend war, um sich in die Vorrechte der wohlhabenden Sachsen einzudrängen.

»Steh auf, ungläubiger Hund, wenn ich es Dir gebiete,« sagte Prinz Johann, »oder ich lasse Dir Dein gelbes Fell abziehen und zu Pferdegeschirr gerben!«

So angetrieben, begann der Jude die steilen und schmalen Stufen zu ersteigen, die zu der Gallerie führten.

»Laßt mich sehen,« sagte der Prinz, »wer wagen wird, ihn aufzuhalten!« wobei er sein Auge auf Cedric richtete, dessen Stellung seine Absicht andeutete, den Juden kopfüber hinunterzustürzen.

Die Katastrophe wurde durch den Narren Wamba verhindert, der zwischen seinen Herrn und Isaac sprang und als Antwort auf des Prinzen Worte rief: »Zum Henker, das will ich!« Zugleich hielt er dem Juden einen Schweineschinken als Schild an den Bart; jenen hatte er plötzlich unter seinem Mantel hervorgezogen und sich wahrscheinlich mit demselben versehen, um seinen Appetit stillen zu können, wenn das Turnier länger dauern sollte, als seine Enthaltsamkeit es zuließ. Da ihm das Verabscheute seines Geschlechts vor die Nase gehalten wurde, während der Possenreißer zu gleicher Zeit sein hölzernes Schwert um seinen Kopf schwang, fuhr der Jude zurück, trat fehl und rollte die Stufen hinunter – ein trefflicher Scherz für die Zuschauer, die ein lautes Gelächter begannen, in welches Prinz Johann und seine Begleiter von ganzem Herzen einstimmten.

»Theile mir den Preis zu, Vetter Prinz,« sagte Wamba; »ich habe meinen Feind in rechtlichem Kampfe mit Schild und Schwert besiegt.« Bei diesen Worten schwang er den Schinken in der einen und das hölzerne Schwert in der andern Hand.

»Wer und was bist Du, edler Kämpfer?« fragte Prinz Johann noch lachend.

»Ein Narr nach dem Rechte der Abkunft,« antwortete der Possenreißer: »ich bin Wamba, der Sohn des Witzlos, der ein Sohn war des Hammelhirn, der der Sohn war eines Alderman.«

»Macht Platz für den Juden vorne im untern Ringe,« sagte Prinz Johann, vielleicht nicht unwillig, eine Entschuldigung zu haben, von seinem ursprünglichen Vorhaben abzustehen; »den Besiegten neben den Sieger zu stellen, wäre falsche Heraldik.«

»Den Schelm neben den Narren wäre schlimmer,« antwortete der Possenreißer, »und den Juden neben den Schweineschinken das Allerärgste.«

»Vielen Dank, guter Kerl,« rief Prinz Johann, »Du gefällst mir – hier, Isaac, leihe mir eine Handvoll Byzantiner.«

Als der Jude, bestürzt über diese Forderung, zu furchtsam sie zu verweigern und sie ungern erfüllend, in der pelzbesetzten Tasche suchte, und vielleicht erst überlegte, wie viel wohl eine Handvoll ausmachen könnten, beugte sich der Prinz vom Pferde und endete dadurch Isaac's Unentschlossenheit, daß er ihm die Tasche selber von der Seite riß, Wamba ein paar von den Goldstücken zuwarf, die sie enthielt, seinen Weg um die Schranken fortsetzte und den Juden der Verhöhnung seiner Umgebung überließ und selber so viel Beifall von den Zuschauern empfing, als hätte er eine rechtschaffene und ehrenvolle Handlung ausgeführt.



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