Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Des Gutsherrn Hans.

[Die Art wie diese kleine Erzählung dem Herausgeber des erwähnten Taschenbuches 1828 übersandt wurde, macht eine Vorrede entbehrlich.]


An den Herausgeber des Taschenbuches.

Ihr habt mich ersucht, Euch einen Stoff zu einem Bilde zu liefern, und ich empfinde die Schwierigkeit, Eurer Bitte nachzukommen, obgleich ich sicherlich an Dichtung gewöhnt, und in den Vorräthen der Geschichte und Ueberlieferungen nicht fremd bin, welche den besten Stoff für die Kunst des Malers darbieten. Obgleich aber der Spruch: Sicut pictura poësis, alt und wahr ist, d. h. obgleich Poesie und Malerei denselben Zweck einer Aufregung der menschlichen Einbildungskraft dadurch haben, daß sie der letzteren angenehme oder erhabene Bilder erdachter Auftritte vorführen: so sind doch oft die Gegenstände, welche sich für den Dichter oder Erzähler am meisten eignen, für den Maler gänzlich unbrauchbar, welcher durch einen einzigen Blick uns Alles geben muß, was seine Kunst uns mittheilen kann; denn der Eine wendet sich durch die Ohren an unser Begriffsvermögen, der Andere nur an die Augen. Der Maler kann weder die Vergangenheit wiederholen, noch die Zukunft andeuten, er kann nur einen Augenblick darstellen, und deßhalb können viele Gegenstände, die uns in Poesie oder Erzählungen, ob wirklich oder erdacht, entzücken, nicht mit Vortheil auf die Leinwand übertragen werden.

Indem ich gewissermaßen diese Schwierigkeiten erkenne, obgleich ich ohne Zweifel sowohl mit ihrer Ausdehnung als auch mit den Mitteln, durch welche sie bedingt oder überwunden werden können, gänzlich unbekannt bin: so habe ich es dennoch gewagt, folgende überlieferte Erzählung als eine Geschichte zu entwerfen, worin das Interesse, wenn die allgemeinen Einzelnheiten bekannt sind, so sehr in einen starken Augenblick heftigster Leidenschaft zusammengedrängt ist, daß man sie mit einem Blick verstehen und dadurch ein entsprechendes Gefühl empfinden kann. Sie mag deßhalb als ein Bild den zahlreichen Künstlern annehmbar sein, welche sich seit Kurzem in der Erschaffung und Erhaltung der brittischen Malerschule ausgezeichnet haben.

Genug ist erzählt und gesungen worden über den streitigen Boden der Grenze zwischen Schottland und England, um die Gewohnheiten der Stämme, welche vor der Vereinigung beider Länder dieselben bewohnten, den meisten Eurer Leser bekannt zu machen. Die rauhen und finstern Züge ihres Charakters wurden oft durch ihre Anhänglichkeit an die schönen Künste gemildert, wodurch das Sprüchwort entstand, auf der Grenze habe jedes Thal eine Schlacht, und jeder Bach ein Gedicht. Ein rohes Ritterthum war gewöhnlich, und Einzelkämpfe boten eine Vergnügung während der wenigen Zwischenräume von Waffenruhe, welche die Uebung des Krieges gestattete. Das Vorherrschen dieser Gewohnheit erhellet auch aus folgendem Vorfall.

Bernard Gilpin, der Apostel des Nordens, der Erste, welcher es unternahm, die protestantische Lehre den Grenzbewohnern zu predigen, erstaunte einst, als er beim Eintritt in eine Kirche einen Stahlhandschuh über dem Altare hängen sah. Auf seine Frage nach der Bedeutung eines an so heiligem Orte unziemlichen Symboles, benachrichtigte ihn der Küster, der Handschuh sei derjenige eines berühmten Schwertkämpfers, der ihn dort als Zeichen einer allgemeinen Herausforderung für Jedermann aufgehängt habe, welcher das verhängnißvolle Zeichen herabnehmen wolle. »Ueberreicht es mir,« sagte der ehrwürdige Geistliche. Der Küster und der Todtengräber lehnten das gefährliche Anerbieten ab, und der gute Bernard Gilpin mußte den Handschuh mit eigenen Händen wegnehmen, indem er den Anwesenden seinen Wunsch aussprach, dem Kämpfer zu sagen, daß Er und kein Anderer sich in den Besitz dieses Pfandes der Herausforderung gesetzt habe. Der Schwertkämpfer schämte sich aber ebenso, Bernard Gilpin entgegenzutreten, als die Kirchendiener Bedenken getragen hatten, das Zeichen der Herausforderung hinwegzunehmen.

Die Zeit der folgenden Erzählung fällt in die letzten Jahre der Regierung der Königin Elisabeth, und die Ereignisse geschahen in Liddesdale, einem hügeligen und zur Viehzucht benutzten Distrikt von Roxburghshire, welcher von England nur durch einen kleinen Bach getrennt ist.

Während der guten alten Zeiten des »Zerrens und Reißens,« unter welchem Namen man sich an die Thaten jener kriegerischen Zeit liebevoll erinnert, wurde das Thal hauptsächlich von dem Stamm der Armstrongs bebaut. Der Häuptling dieses kriegerischen Stammes war der Gutsherr von Mangerton. Zur Zeit, wovon ich rede, befand sich das Gut Mangerton nebst der Gewalt und Würde eines Häuptlings im Besitze von John Armstrong, einem Manne von bedeutender Körpergröße, Kraft und Muth. So lange sein Vater lebte, wurde er von Andern seines Stammes, die denselben Namen führten, durch den Beinamen des Gutsherrn Hans unterschieden. Diesen Namen zeichnete er durch so viele kühne und verzweifelte Kriegsthaten aus, daß er denselben auch nach dem Tode seines Vaters beibehielt, und sowohl in Urkunden, als in der Ueberlieferung damit bezeichnet wurde. Einige seiner Thaten sind in den Liedern der schottischen Grenze erwähnt, andere werden von gleichzeitigen Chroniken berichtet.

In der von uns angedeuteten Art des Einzelkampfes war des Gutsherrn Hans ohne Gleichen, und kein Schwertkämpfer von Cumberland, Westmoreland oder Northumberland konnte den gewaltigen Hieb des von ihm geführten großen zweihändigen Schwertes aushalten, welches nur wenig Andere emporzuheben vermochten. »Dies grauenvolle Schwert,« wie das Volk es zu nennen pflegte, war ihm von einem berühmten geächteten Engländer, Hobbie Noble genannt, hinterlassen worden, welcher nach Begehung einer That, wegen der er vor der Gerechtigkeit fliehen mußte, nach Liddesdale gekommen und ein Waffenbruder des berühmten Hans geworden war, bis er sich einst mit einem kleinen Geleit, einem treulosen Führer und einem einhändigen Degen statt seines schweren Flambergs nach England wagte und von der Uebermacht angegriffen, gefangen genommen und hingerichtet wurde.

Mit dieser Waffe und vermittelst seiner eigenen Kraft und Gewandtheit behauptete des Gutsherrn Hans den Ruf des besten Schwertfechters auf der Grenze, und besiegte oder tödtete Manche, die ihm seinen furchtbaren Titel streitig zu machen suchten.

Indeß die Jahre gehen über den Starken und Tapfern ebenso hinweg, als über den Schwachen und Furchtsamen. Im Verlauf der Zeit wurde des Gutsherrn Hans unfähig, seine Waffe zu führen, und zuletzt jede Uebung der Körperkraft, sogar diejenige der gewöhnlichsten Art, mitzumachen. Der geschwächte Krieger wurde endlich ganz an das Bett gefesselt, und in Bezug auf seine Behaglichkeit von der frommen Sorgfalt seiner einzigen Tochter abhängig, die ihn überall hin begleitete.

Außer diesem pflichtgetreuen Kinde besaß des Gutsherrn Hans einen einzigen Sohn, dem die gefährliche Aufgabe anheimfiel, den Clan in den Kampf zu führen und die kriegerische Ehre seines Vaterslandes zu erhalten, welche jetzt bei vielen Gelegenheiten von den Engländern streitig gemacht wurde. Der junge Armstrong war tapfer und stark, und brachte manche Denkzeichen entschiedenen Erfolges von gefährlichen Unternehmungen nach Hause; der alte Häuptling dachte aber, wie es schien, daß sein Sohn kaum durch Alter und Erfahrung Ansprüche auf die Anvertrauung des zweihändigen Schwertes besitze, durch dessen Gebrauch er sich selbst in so furchtbarer Weise ausgezeichnet hatte.

Zuletzt hatte ein englischer Kämpfer, mit Namen Foster, die Kühnheit, eine Herausforderung an den besten Schwertfechter in Liddesdale zu übersenden, und der junge Armstrong, welcher für sich eine ritterliche Auszeichnung ersehnte, nahm die Herausforderung an.

Das Herz des körperlich gelähmten alten Mannes schwoll vor Freude, als die Herausforderung übermacht und angenommen war, und das Zusammentreffen wurde auf einem neutralen Platze verabredet, welcher bei solchen Gelegenheiten gebraucht wurde, und wo er selbst manchen Sieg sich errungen hatte. Er war über den von ihm erwarteten Sieg so sehr entzückt, daß er, um seinen Sohn zu kühneren Anstrengungen aufzureizen, demselben als Kämpfer seines Clans und seiner Grafschaft die berühmte Waffe übertrug, die er bis dahin in seiner eigenen Verwahrung gehalten hatte.

Dieß war noch nicht Alles. Als der Tag des Zweikampfes erschien, beschloß der Gutsherr Hans, ungeachtet der liebevollen Vorstellungen seiner Tochter, ein persönlicher Zuschauer desselben zu sein, ob er gleich sein Bett zwei Jahre lang nicht verlassen hatte. Sein Wille galt noch immer als Gesetz seinen Leuten, welche ihn, in Mänteln und Betttüchern eingehüllt, an den Ort trugen, wo der Kampf stattfinden sollte, und ihn auf ein Felsstück setzten, welches man noch den Stein von des Gutsherrn Hans nennt. Dort blieb er, indem er seine Blicke auf den mit Schranken umschlossenen Platz heftete, innerhalb dessen die Kämpfer sich entgegentreten sollten. Seine Tochter, welche alles ihr Mögliche für seine Bequemlichkeit gethan hatte, stand bewegungslos neben ihm, voll Angst sowohl für seine Gesundheit, als für den Ausgang des Kampfes hinsichtlich ihres geliebten Bruders. Ehe der Kampf begann, blickten die alten Leute auf ihren Häuptling, den sie jetzt zum ersten Mal nach mehreren Jahren wieder sahen, und verglichen betrübt seine veränderten Züge und seinen abgenutzten Leib mit dem Muster von Kraft und männlicher Schönheit, dessen sie sich von früher der erinnerten. Die jungen Leute blickten auf seine große und gewaltige Gestalt wie auf einen vorsündfluthlichen Riesen, welcher der Zerstörung entgangen war.

Der Schall der Trompeten von beiden Seiten wandte die Aufmerksamkeit eines Jeden auf den Kampfplatz, der von einer Menge Zuschauer beider Nationen umringt war. Die Kämpfenden traten sich entgegen. Es ist nutzlos, das Zusammentreffen zu schildern. Der Schotte fiel, Foster setzte seinen Fuß auf seinen Gegner, ergriff das gefürchtete, in den Augen seines alten Eigenthümers so kostbare Schwert, und schwang es als Siegsbeute über seinem Haupte. Die Engländer ließen ein Triumphgeschrei erschallen, aber der Schrei der Verzweiflung des alten Mannes, welcher sein Vaterland entehrt und sein Schwert, so lange Zeit der Schrecken der Engländer, im Besitz eines solchen sah, wurde lauter als der Siegesruf vernommen. Einen Augenblick lang schien er von seiner früheren Kraft beseelt, denn er sprang vom Felsen auf, auf dem er saß; während die Kleider, worein man ihn gewickelt hatte, von seinem verwelkten Leibe fielen und die Trümmer früherer Kraft zeigten, hob er wild seine Arme zum Himmel empor und stieß einen Schrei des Unwillens, Schreckens und der Verzweiflung aus, welcher, wie die Überlieferung berichtet, auf übernatürliche Entfernung hin vernommen wurde, und mehr dem Gebrüll eines sterbenden Löwen, als einer Menschenstimme glich.

Seine Freunde fingen ihn in ihren Armen auf, als er durch die Anstrengung gänzlich erschöpft niedersank, und trugen ihn unter stummer Trauer in's Schloß zurück, während seine Tochter zugleich ihren Bruder beweinte, und die Verzweiflung ihres Vaters zu mildern suchte. Letzteres war aber unmöglich. Des alten Mannes einzige Verbindung mit dem Leben war zerrissen und sein Herz dabei gebrochen. Der Tod seines Sohnes hatte keinen Antheil an seinem Kummer. Wenn er an denselben überhaupt dachte, so geschah dieß nur, als an einen entarteten Knaben, durch den die Ehre seines Landes und Stammes verloren ging; er starb nach dem Verlauf von drei Tagen, wo er nicht einmal seines Sohnes Namen erwähnte, sondern ununterbrochene Klagen über den Verlust seines edlen Schwertes ausstieß.

Nach meiner Meinung ist der Augenblick, worin der edle Häuptling zu einer letzten Anstrengung durch den Schmerz des Augenblicks erregt wurde, ein günstiger Gegenstand für Malerei; es könnte dabei der Vortheil angewandt werden, die Gestalt des rauhen alten Mannes in wüthender Verzweiflung mit der Weichheit und Scheuheit der weiblichen Person in Gegensatz zu stellen. Der verhängnißvolle Kampfplatz würde sich in der Perspektive darstellen lassen, so daß die beiden Hauptfiguren gehörige Wirkung hätten, während die Darstellung eines Kriegers, der seinen Sohn erschlagen und die Ehre seines Vaterlandes verloren sieht, das Bild beim ersten Blick genug verständlich machen müßte. Würde es für nothwendig gehalten, die Natur des Kampfes deutlicher zu zeigen, so könnte dieß durch die Fahnen des St. Georg von der einen der Schranken, und die des St. Andreas von der andern angedeutet werden.

Ich bin etc. etc.
Euer ergebenster Diener,
der Verfasser des Waverley.


Druck der E. Hoffmann'schen Officin in Stuttgart.


 << zurück