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Der Zauberspiegel.

Vorliegende Erzählungen waren ursprünglich für die Chronik von Canongate bestimmt; sie erschienen jedoch in einem von dem deutschen Buchhändler, Herrn Ackermann in London, veranstalteten Taschenbuche, welches derselbe nach Art der in Deutschland gewöhnlichen, unter dem Namen Keepsake, in England herausgab. Als dieser Herr Ackermann den Verfasser um Beiträge ersuchte, gab er ihm die drei kleinen Erzählungen, welche er damals gerade geschrieben hatte.

Die Novelle mit dem Titel: »der Zauberspiegel«, ist die bloße Umschrift einer Geschichte, welche einen großen Eindruck auf den Verfasser während seiner Kindheit hervorbrachte; er hörte dieselbe am Kamin von einer durch Tugend, sowie durch ein nicht unbeträchtliches Theil von Talent ausgezeichneten alten Dame, welche aus dem alten und ehrenwerthen Hause Swinton stammte. Dieselbe war mir nahe verwandt, und starb später auf eine furchtbare Weise, indem sie durch eine Magd, welche ihr halbes Leben lang bei ihr gewesen war, in einem Anfall von Wahnsinn getödtet wurde. Ich kann mich jetzt, obgleich noch ein Kind, als das Unglück eintraf, ihrer nicht erinnern, ohne zugleich in schmerzhafter Weise die ersten Bilder des Schauders mir wieder vorzustellen, welcher durch das wirkliche Leben meiner Seele eingeprägt wurden. Diese gute unverheirathete Dame hatte nach ihrer Gemüthsbeschaffenheit eine starke Neigung zum Aberglauben und pflegte, nebst anderen Grillen, allein und laut in ihrem Schlafzimmer zu lesen, während ihre Kerze in einer Art Leuchter befestigt war, den sie sich aus einem Menschenschädel hatte verfertigen lassen. Während einer Nacht erlangte dieß sonderbare Geräth plötzlich das Vermögen sich von der Stelle zu bewegen und sprang, nachdem es einige Strecken auf ihrem Kamine zurückgelegt hatte, auf den Fußboden hinab, um dort über den Boden zu rollen. Frau Swinton ging ruhig in's Nebenzimmer, um sich ein anderes Licht zu holen, und hatte das Vergnügen, sogleich das Geheimniß zu durchschauen. Es fand sich eine Menge von Ratten in dem alten von ihr bewohnten Gebäude, und einer derselben war es gelungen, sich in dem Lieblings- Memento mori der alten Dame zu verstecken. Obgleich sie somit einen mehr als weiblichen Antheil von Nervenstärke besaß, hegte sie auch zugleich einen starken Glauben an übernatürliche Einwirkungen, welcher damals noch nicht für eine unpassende Beigabe für ernste und alte Leute ihres Standes gehalten wurde. Auch war die Geschichte des Zauberspiegels eine derjenigen, an welche sie mit besonderem Vertrauen glaubte; sie behauptete, daß eine Dame ihrer eigenen Familie ein Augenzeuge der berichteten Ereignisse gewesen sei.

»Die Mähr' erzähl' ich, wie ich sie vernahm.«

Geschichten derselben Art werden sich der Erinnerung derjenigen meiner Leser, welche sich mit dieser Art Sagen abgegeben haben, zur Genüge darbieten; was mich betrifft, so muß ich gestehen, daß ich zu einer gewissen Zeit meines Lebens mich so sehr damit beschäftigt habe, daß ich durch dieß Geständniß eben keine Ehre erlangen werde.


Der Zauberspiegel.

Wohl giebt es Zeiten,
In denen Phantasie, den Sinnen trotzend,
Ihr Spiel zu treiben pflegt. Dann scheint der Stoff
Uns schattenhaft, der Schatten uns als Stoff,
Als sei die scharfbestimmte Scheidungslinie
Von dem was ist und nicht ist, aufgelös't,
Und als vermöge dann der Seele Blick
Keck über diese Welt hinaus zu dringen.
So schattenhafter Träume Stunden sind
Mir theurer als die plumpe Wirklichkeit.

Ungenannter Verfasser.

Meine Muhme Margarethe war eine Dame jener achtbaren Schwesterschaft, welcher alle Unruhe und Bekümmernisse anheim fallen, die mit dem Besitz von Kindern verbunden sind, mit Ausnahme der einzigen Beschwerden, welche den Eintritt derselben in die Welt begleiten. Wir waren eine große Familie von sehr verschiedenem Charakter und Körperbeschaffenheit. Einige waren dumm und hölzern – man schickte sie zur Tante Margarete, damit sie dort Unterhaltung hätten; einige waren roh, zänkisch und lärmend – man schickte sie zur Tante Margarete, damit sie dort ruhig gehalten oder vielmehr weit genug entfernt würden, so daß man sie nicht mehr hören konnte; diejenigen, welche krank waren, wurden mit der Aussicht, dort gepflegt zu werden, fortgeschickt – diejenigen, welche störrig waren, wurden ihr in der Hoffnung zugesandt, daß die Milde ihrer Disciplin sie unterjoche; kurz, Tante Margarete hatte alle verschiedenen Pflichten einer Mutter zu erfüllen, ohne daß ihr die Achtung und Würde des mütterlichen Charakters zu Theil wurde. Das geschäftige Treiben ihrer mannigfachen Sorgfalt ist vorüber – von den kranken und starken, den sanften und zänkischen, den tölpischen und angenehmen Kindern, die sich vom Morgen bis Abend in ihrem Zimmer drängten, ist Niemand mehr am Leben, mit Ausnahme meiner Person; ich war an Kinderkrankheiten häufig leidend, einer ihrer schwächlichsten Zöglinge, habe aber dennoch alle Andern überlebt. Ich pflege noch jetzt meine geachtete Verwandte dreimal wöchentlich zu besuchen, und werde es auch niemals unterlassen, so lange ich noch den Gebrauch meiner Glieder habe. Ihre Wohnung liegt ungefähr eine halbe Meile von den Vorstädten entfernt, worin die meinige sich befindet; sie ist zugänglich sowohl von der Heerstraße aus, von welcher sie etwas entfernt liegt, als auch auf einem über schöne Wiesen hinführenden Fußweg. Ich habe jetzt so wenig, was mich im Leben quält, daß eine meiner größten Plagen in der Kunde besteht, diese entlegenen Felder seien jetzt zu Bauplätzen bestimmt. In demjenigen, welches der Stadt zunächst liegt, sind Schubkarren mehrere Wochen lang in solcher Anzahl beschäftigt worden, daß ich wirklich glaube, die ganze Oberfläche sei bis zur Tiefe von wenigstens 18 Zoll in diesen einräderigen Transportmitteln zu einer und derselben Zeit aufgeladen gewesen, um von einem Orte zum andern verrückt zu werden. Große dreieckige Haufen von Brettern sind ebenfalls auf verschiedenen Theilen jenes dem Untergange geweihten Gütchens aufgehäuft, und eine kleine Baumgruppe, welche das sanft sich erhebende östliche Ende noch ziert, hatte ebenfalls durch eine Sudelei in weißer Farbe die Kündigung erhalten, daß sie den Platz räumen, und einem sonderbaren Haine von Schornsteinen weichen müsse.

Vielleicht würden Andere in meiner Lage nur mit einem schmerzlichen Gefühle gedenken, daß diese kleine Strecke Weidegrund meinem Vater angehörte, welcher eine nicht unbedeutende Stellung in der Welt einnahm; daß derselbe ferner stückweise verkauft wurde, um die schweren Verluste wieder auszugleichen, in welche er durch seine Versuche gerieth, seinem verminderten Vermögen durch Handelsspekulationen wieder aufzuhelfen. Während die Bauentwürfe sich in voller Ausführung befanden, erinnerte mich oft daran diejenige Klasse meiner Freunde, welche zu besorgen pflegt, daß man irgend einen Theil seines Unglücks unbeachtet lasse. – »Solcher Weidegrund! – gerade an der Stadt gelegen – für Rüben und Kartoffeln umgebrochen, würde der Pacht 20 Pfd. per Acre einbringen, und zu Bauplätzen verpachtet, müßte derselbe eine wahre Goldgrube sein! – und Alles das für eine Kleinigkeit, aus dem alten Familiengute verkauft!« Meine Tröster können bei mir hierüber keine Reue erwecken. Könnte ich auf die Vergangenheit ohne Unterbrechung zurückschauen, so würde ich sehr gern den Genuß des gegenwärtigen Einkommens und die Hoffnung zukünftigen Gewinnes denjenigen überlassen, welche Alles, was mein Vater verkaufte, gekauft haben. Ich bedaure die Veränderung des Bodens allein deßhalb, weil sie Gedankenverbindungen zerstört, und ich würde nach meiner Meinung den Park lieber in den Händen Fremder sehen, wenn er dadurch seinen Waldwuchs behielte, als daß ich ihn mit dem Pfluge umgerissen oder mit Gebäuden bedeckt erblicken müßte. Ich theile das Gefühl des armen Logan:

»Gepflügt ist selbst die Rasenflur
Die ich als Kind durchwandelt habe;
Vom Wald erblick' ich keine Spur,
Worin ich oft geweilt als Knabe.«

Wie ich jedoch hoffe, wird die gedrohte Verheerung zu meinen Lebzeiten nicht ausgeführt werden. Obgleich der spekulirende Geist der Zeit, der jetzt sehr gemindert ist, die Unternehmung veranlaßte, so bin ich doch jetzt zu dem Gedanken ermuthigt, daß die kürzlichen Vorfälle die Lust zu angeblich gewinnreichen Unternehmungen sehr abgekühlt haben, und daß deßhalb der noch übrige Fußpfad, welcher zur Wohnung der Tante Margaret führt, während ihres und meines Lebens ungestört bleiben wird. Ich bin dabei sehr interessirt, denn jeder Schritt des Weges bietet mir, nachdem ich über die schon erwähnte Wiese gekommen bin, irgend eine Erinnerung meiner Jugend. Dort ist die Sonnenuhr, hinsichtlich derer ich mich erinnere, daß eine mürrische Kindsmagd mir meine Körperschwäche vorwarf, als sie mich rauh und sorglos über die steinigen nach derselben führenden Stufen riß, welche meine Brüder jubelnd mit Sprüngen erstiegen. Ich erinnere mich der damals gefühlten, aber bitteren Empfindungen und des Neides, als ich, meiner Schwächen mir bewußt, die leichten Bewegungen und elastischen Schritte meiner glücklicher gebildeten Brüder betrachtete. Ach, diese schönen Fahrzeuge sind sämmtlich aus dem weiten Ocean des Lebens untergegangen, und nur dasjenige Schiff, welches die See am wenigsten auszuhalten schien, hat den Hafen erreicht, als der Sturm vorüber war. Dort ist auch der Teich, in welchen mein Bruder, als er eine kleine, aus breiten Blättern der Schwertlilie gebildete Flotte zu steuern suchte, hineinfiel und kaum gerettet werden konnte, um später auf der brittischen Flotte unter Nelsons Flagge zu sterben. Hier auch ist das Haselgebüsch, worin mein Bruder Henry Nüsse zu suchen pflegte, während es ihm nicht einfiel, daß er einst in einer indischen Dschungel beim Aufsuchen von Rupien sterben würde.

Auf dem kleinen Spaziergange bieten sich mir so viele Erinnerungen, daß ich jetzt, wenn ich auf mein krückenartiges Spazierrohr mich stütze, und das, was ich war, mit demjenigen, was ich jetzt bin, vergleichend mich umsehe, beinahe bezweifle, ob ich noch dieselbe Person bin, bis ich mich vor dem mit Gaisblatt umrankten Säulengange vor der Hausthüre meiner Tante, und vor dem unregelmäßigen Vorderbau mit sonderbar vorspringenden und mit Gittern versehenen Fenstern befinde, bei welchen die Arbeitsleute es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen, daß keines in Gestalt, Größe, oder in dem altmodischen steinernen Gebälke und den zur Verzierung angebrachten Anhängseln, dem andern gleiche. Auf dieß Haus, früher das Lusthaus des Parkes, besitzen wir noch einen kleinen Anspruch; es war nämlich, einem früheren Familienvertrag gemäß, der Tante Margarete auf Lebenszeit angewiesen worden. Auf diesem kleinen Eigenthum haftet gewissermaßen der letzte Schatten der Familie Bothwell von Earl's Closes, nebst ihrer letzten lockeren Verbindung mit ihren ererbten Gütern. Der einzige Repräsentant wird alsdann ein alter schwacher Mann sein, welcher sich nicht ungern dem Grabe zu bewegt, das bereits alle seine Theuren verschlungen hat.

Habe ich mich einige Minuten lang solchen Gedanken hingegeben, so betrete ich das Wohnhaus, welches ursprünglich nur die Wohnung eines Parkaufsehers gewesen sein soll; dort finde ich ein Wesen, auf welches die Zeit wenig Eindruck gemacht zu haben scheint, denn die Tante Margarete von heute steht zu der Tante Margarete meiner Jugend in demselben Verhältniß der Jahre, wie der zehnjährige Knabe zum sechsundfünfzigjährigen Manne. Der alten Dame unveränderter Anzug hat ohne Zweifel Antheil an der Bestätigung der Meinung, daß die Zeit in Bezug auf Tante Margarete still gestanden ist.

Das braune oder chokoladefarbene seidene Kleid mit Spitzen desselben Stoffes am Ellbogen, welche mit Spitzen aus Mecheln durchzogen sind – die schwarzen seidenen Handschuhe oder Klapphandschuhe – das weiße, über eine Rolle zurückgekämmte Haar – die Haube von fleckenlosem Battist, welche das ehrwürdige Antlitz umschließt – Alles das war eben so wenig 1780 wie 1826 in Mode; es war vielmehr der Tante Margarete eigenthümliche Kleidungsweise. Dort sitzt sie noch wie vor dreißig Jahren mit dem Spinnrade oder dem Strickstrumpf – des Winters ihre Arbeit am Kamine, des Sommers am Fenster; an einem ungewöhnlich schönen Sonnabend wagt sie sich auch wohl unter das Portal hinaus. Ihr Körper vollbringt noch wie ein gut gebauter Automat die Verrichtungen, wozu er bestimmt schien; die Maschinerie macht ihre Runde mit einer allmälig sich mindernden Thätigkeit, wobei jedoch keine Wahrscheinlichkeit sich ergibt, daß dieselbe bald zum Schlusse kömmt.

Die Sorgsamkeit und das liebevolle Wesen, welches die Tante Margaret zur freiwilligen Sklavin von allen Plagen der Kinderstube machte, hat jetzt die Gesundheit und Behaglichkeit eines alten schwachen Mannes zum Zwecke; es ist der einzige noch übrige Verwandte ihrer Familie und der einzige, welcher noch an den von ihr bewahrten Erzählungen Interesse findet; sie gleicht nämlich dem Geizhals, welcher das Gold versteckt, hinsichtlich dessen er wünscht, daß es Niemand nach seinem Tode genieße.

Meine Unterhaltung mit Tante Margaret bezieht sich im Allgemeinen wenig auf Gegenwart und Zukunft; für die Vergangenheit besitzen wir, soviel wir brauchen, und Keines von uns wünscht sich mehr; hinsichtlich der Zukunft hegen wir für diese Seite des Grabes weder Hoffnung, noch Furcht, noch ängstliche Wünsche. Wir blicken deßhalb natürlicherweise in die Vergangenheit zurück, und vergessen das jetzt verschwundene Vermögen, sowie die verminderte Bedeutung unserer Familie, indem wir uns der Stunden ihres Reichthums und Glückes erinnern.

Nach dieser kleinen Einleitung wird der Leser von der Tante Margaret und ihrem Neffen genug wissen, um folgendes Gespräch zu begreifen.

Als ich letzte Woche an einem Sommerabend die alte Dame besuchte, bei welcher ich jetzt meinen Leser eingeführt habe, wurde ich von ihr mit der gewöhnlichen Liebe und Güte empfangen, während sie zugleich zerstreut und zum Schweigen geneigt schien. Ich fragte sie nach dem Grunde. »Die alte Kapelle,« sagte sie, »ist ausgeräumt worden; John Clayhudgeons hat wie es scheint bemerkt, daß die dort befindliche Erde – wie ich glaube, der Staub unserer Vorfahren – sich sehr gut zur oberen Düngung unserer Wiesen eigne.«

Hier fuhr ich mit größerer Heftigkeit auf, als es mir seit Jahren gewöhnlich war. Ich setzte mich jedoch wieder hin, als meine Tante ihre Hand auf meinen Aermel legend hinzufügte: »Die Kapelle, mein Lieber, ist lange als Gemeindegrund betrachtet, und als Hühnerhaus benützt worden, wie könnt Ihr also etwas dagegen haben, daß der Mann sein Eigenthum zu seinem Nutzen gebraucht? und außerdem habe ich mit ihm gesprochen, und er hat mir sehr bereitwillig und artig das Versprechen gegeben, daß Knochen oder Grabmäler, die er finden würde, sorgfältig geachtet und wieder an ihre Stelle gelegt werden sollen; konnte ich ihn um mehr ersuchen? Der erste Stein, den man fand, führte den Namen Margarete Bothwell 1585. Ich ließ ihn sorgfältig bei Seite legen, sowie es nach meiner Meinung den Todten gebührt; nachdem er meiner Namens-Cousine 200 Jahre gedient hat, ist er jetzt zur rechten Zeit aufgegraben worden, um mir dieselben guten Dienste zu leisten. Mein Haus ist längst bestellt, soweit es die kleinen irdischen Angelegenheiten erheischen; wer wird aber sagen können, daß die Rechnung mit dem Himmel in gleicher Weise geordnet ist!«

»Nach dem was Ihr gesagt habt, Tante, müßte ich vielleicht meinen Hut nehmen und fortgehen, und dieß würde ich auch thun, hätte nicht das Metall unserer Andacht einigen Zusatz erhalten. Der Gedanke an den Tod ist zu jeder Zeit eine Pflicht; es ist jedoch ein Aberglaube, schließt man deßhalb auf seine Nähe, weil man einen alten Grabstein fand; bei Euch hätte ich am allerwenigsten eine solche Schwäche wegen Eures starken Verstandes vorausgesetzt, welcher so lange Zeit die Stütze einer sinkenden Familie war.«

»Ich würde auch Euren Verdacht nicht verdienen, Vetter,« erwiderte Tante Margaret, »sprächen wir von irgend einem Vorfall im wirklichen Geschäfte des menschlichen Lebens. Aber trotz alle dem webe ich in einem Gefühl des Aberglaubens, welches ich nur ungern aufgeben würde. Es ist ein Gefühl, welches mich von dieser Zeit trennt, und mich mit derjenigen verknüpft, nach welcher ich jetzt hineile; wenn es sogar wie jetzt mich an den Rand des Grabes zu führen scheint, und mir darauf zu blicken gebietet, so habe ich nicht gern, daß es vertrieben wird. Es macht auf meine Einbildungskraft einen angenehmen Eindruck, ohne auf meine Vernunft oder auf mein Benehmen Einfluß zu üben.«

»Ich gestehe, gute Dame,« erwiderte ich, »daß ich bei jeder andern Person, welche eine solche Erklärung gegeben hätte, eben solchen Eigensinn, wie bei dem Geistlichen vorausgesetzt haben würde, welcher ohne seine falsche Leseart zu rechtfertigen, aus Gewohnheit sein altes Mumpsimus dem neueren Sumpsimus vorzog.«

»Wohlan,« erwiderte meine Tante, »ich muß meine Unbeständigkeit in dieser Angelegenheit dadurch erklären, daß ich sie mit einer andern vergleiche. Wie Ihr wißt, bin ich ein Stück von jenem altmodischen Ding, welches man einen Jakobiten nennt; dieses jedoch mehr nur in Gedanken und im Gefühl; denn ein loyalerer Unterthan als ich hat niemals für die Gesundheit und Wohlfahrt Georgs IV. gebetet, welchen Gott lange Zeit erhalten möge! Ich behaupte jedoch, daß dieser gutmüthige Fürst schwerlich glauben würde, eine alte Frau thue ihm viel Schaden, wenn sie, in ihren Armstuhl beim Zwielicht zurückgelehnt, an die feurigen Männer denkt, deren Pflichtgefühl sie gegen seinen Großvater unter Waffen rief, und welche dann in einer Sache, die sie für diejenige ihres rechtmäßigen Fürsten und ihres Vaterlandes hielten,

So lange fochten bis die Hand erstarrt an ihren Degen,
Dem Schicksal trotzend wie der Macht, und nie im Muth erlegen.

In einem solchen Augenblick, wenn mein Kopf voll ist von hochländischen Mänteln, Gesängen und Degen, müßt Ihr nicht von meiner Vernunft verlangen, daß sie zugesteht, was sie nicht läugnen kann, nämlich das gemeine Wohl habe unbedingt geboten, daß diese Dinge endlich aufhören mußten. Ich muß die Gerechtigkeit Eurer Schlüsse zugestehen; da Ihr aber mich gegen meinen Willen überzeugt, werdet Ihr nur wenig durch Eure Darlegung gewinnen. Ihr könnt einem bethörten Liebhaber ebenso ein Verzeichniß von den Unvollkommenheiten seiner Geliebten vorlesen; ist er gezwungen worden Euren Schlüssen zuzuhören, so werdet Ihr nur zur Antwort bekommen, daß er die Dame deßhalb nur um so mehr liebt.«

Es war mir lieb, daß die düsteren Gedanken meiner Tante eine andere Richtung genommen hatten, und ich entgegnete in demselben Tone: »Wohlan, ich kann mich der Ueberzeugung nicht erwehren, daß unser guter König der loyalen Anhänglichkeit der Frau Bothwell um so sicherer sein kann, da zu seinen Gunsten sein Geburtsrecht als Stewart, ebenso wie die Parlementsakte über die protestantische Thronfolge spricht.«

»Vielleicht würde meine Anhänglichkeit, wenn deren Quelle eine Gewichtigkeit hätte, um so wärmer empfunden, wäre die von Euch erwähnte Vereinigung der Rechte vorhanden; allein auf mein Wort, dieselbe wäre eben so aufrichtig, wenn des Königs Recht nur auf dem Willen der Nation beruhte, wie er während der Revolution ausgesprochen war; ich gehöre nicht zu den Anhängern des göttlichen, Rechtes.«

»Und dennoch seid Ihr Jakobit!«

»Und dennoch bin ich Jakobit, oder vielmehr ich ertheile Euch Erlaubniß, mich zu der Partei zu rechnen, die man zur Zeit der Königin Anna die launenhafte nannte, weil sie sich bisweilen durch Gefühl, bisweilen durch Grundsätze bestimmen ließ; überhaupt seid Ihr sehr grausam, daß Ihr einer alten Frau nicht jene Unbeständigkeit in ihren politischen Meinungen gestatten wollt, welche die Menschen im Allgemeinen während ihres Lebenslaufes zeigen. Ihr könnt keinen Sterblichen aufweisen, welchen nicht Leidenschaften und Vorurtheile fortwährend von dem Wege ablenken, auf welchen die Vernunft hinweist.«

»Allerdings, Tante, Ihr seid aber ein Wanderer, welcher absichtlich vom Wege abweicht.«

»Verschont mich, ich bitte Euch,« erwiderte meine Tante, »erinnert Euch des galischen Gesanges, der mit der Lehre anfängt, daß man die in Träume Versunkenen nicht wecken dürfe; auch kann ich es Euch sagen, Vetter, daß diese Art wachender Träume, welche meine Phantasie ausspinnt, und welche, wie Euer Lieblingsdichter Wordsworth sagt, ›den Launen als Eigenthum meiner Seele angehören,‹ mir eben so viel Genuß gewähren, wie mein tägliches Leben. Anstatt vorwärts zu blicken, wie ich in der Jugend zu thun pflegte, und mir Feenpaläste am Rande des Grabes zu erbauen, wende ich meine Augen rückwärts auf die Tage meiner bessern Zeit; alsdann dringen die schwermüthigen aber erheiternden Erinnerungen so dicht und Interesse erregend auf mich ein, daß ich es beinahe für eine Entweihung halten würde, wollte ich klüger oder vernünftiger oder weniger in Vorurtheilen befangen sein, als diejenigen, die ich in meiner Jugend vor Augen hatte.«

»Ich glaube Euch jetzt zu verstehen,« erwiderte ich, »und kann jetzt begreifen, weßhalb Ihr gelegentlich das Dämmerlicht der Täuschung dem hellen Lichte der Vernunft vorzieht.«

»Haben wir keine Arbeit zu vollbringen,« erwiderte sie, »so können wir im Dunklen sitzen, so bald uns dieß beliebt; wollen wir aber arbeiten, so müssen wir Lichter kommen lassen.«

»Und bei solchem schattenhaften und zweifelhaften Licht,« fuhr ich fort, »bildet die Phantasie ihre bezaubernden Gesichte und drängt sie bisweilen den Sinnen als etwas Wirkliches auf.«

»Ja,« sagte Tante Margaret, die eine sehr belesene Dame ist, »für diejenigen, welche die Art des Tasso haben,«

Des Dichters, dessen Seele nie bezweifelt
Die Wunder all', die er im Lied besungen.

»Dazu ist nicht erforderlich, daß Ihr für die peinlichen Schrecken empfänglich find, die ein wirklicher Glaube an das Wunderbare hervorruft – ein solcher Glaube wird heutzutage nur von Thoren und Kindern gehegt. Es ist nicht erforderlich, daß Eure Ohren klingen, oder Eure Wangen erblassen, wie die von Theodor bei der Annäherung des gespenstigen Jägers. Das einzige Erforderniß für den Genuß des milderen Gefühls übernatürlicher Eindrücke besteht nur darin, daß Ihr für den leichten Schauder empfänglich seid, welcher Euch bei einer schreckhaften Erzählung beschleicht – einer gut verbürgten Erzählung, die der Berichterstatter, nachdem er zuerst seinen allgemeinen Unglauben an alle solche Sagen ausgesprochen hat, deßhalb auswählt und vorträgt, weil sie Etwas enthält, dessen Erklärung aufzugeben er gezwungen wurde. Ein zweites Zeichen des erforderlichen Eindrucks besteht in einem augenblicklichen Bedenken sich umzusehen, sobald die Spannung der Erzählung sich auf dem höchsten Punkt befindet; und das dritte endlich ist der Wunsch, jeden Blick auf einen Spiegel zu vermeiden, wenn man sich des Abends allein in einem Zimmer befindet. Dieß, meine ich, sind die Zeichen, welche die Krisis anmelden, wodurch eine weibliche Einbildungskraft in die gehörige Stimmung zum Genuß einer Geistergeschichte geräth. Ich mache keine Ansprüche darauf, diejenigen zu beschreiben, welche dieselbe Stimmung bei einem Manne ausdrücken.«

»Das letztere Zeichen, theure Tante, ich meine die Vermeidung des Spiegels, scheint beim schönen Geschlechte selten vorzukommen.«

»Ihr seid ein Neuling im Verfahren der Toilette, mein theurer Herr Vetter. Alle Weiber befragen den Spiegel mit Aengstlichkeit, bevor sie sich in Gesellschaft begeben; kehren sie nach Hause zurück, so hat der Spiegel für sie nicht mehr denselben Reiz. Der Würfel ist alsdann geworfen – die Gesellschaft ist für sie hinsichtlich des gewünschten Eindrucks entweder glücklich oder unglücklich ausgefallen. Ohne jedoch Euch tiefer in die Geheimnisse des Toilettentisches einzuweihen, kann ich Euch sagen, daß ich selbst, wie viele ehrliche andere Leute, nicht gern den leeren schwarzen Hintergrund eines großen Spiegels in einem dunkel erleuchteten Zimmer sehe, wo der Widerschein des Kerzenlichtes sich eher in der tiefen Dunkelheit der Glasfläche zu verlieren, als in das Zimmer zurückgeworfen zu werden scheint. Der Raum des tintenschwarzen Dunkels scheint ein Feld zu sein, worin die Phantasie sich ihren Ausschweifungen überläßt. Sie kann uns andere Züge als die unsrigen entgegen halten, oder eine unbekannte Gestalt blickt uns vielleicht über die Schulter, wie in dem Zaubermärchen, welches uns in der Kindheit erzählt wurde. Kurz, befinde ich mich in der Laune des Geistersehens, so lasse ich von meiner Kammerfrau die grünen Vorhänge über den Spiegel ziehen, bevor ich mich in das Zimmer begebe, damit dieselbe den ersten Schrecken von der Erscheinung hat, wenn eine solche wirklich zu erblicken ist. Um Euch jedoch die Wahrheit zu sagen, so beruht mein Widerwille zu gewissen Zeiten und Orten in einen Spiegel zu sehen, ursprünglich auf einer Geschichte, welche mir von meiner Großmutter erzählt wurde; diese aber spielte eine Rolle bei den Auftritten, von denen ich Euch jetzt berichten will.«


Erstes Kapitel.

Ihr hört ja gern, sagte meine Tante, den Schilderungen jener Gesellschaft zu, welche schon lange von der Bühne verschwunden ist. Ich wollte, daß ich Euch den Sir Philip Forester beschreiben könnte, welcher am Schluß des 17. Jahrhunderts der privilegirte Wüstling in der höchsten schottischen Gesellschaft war. Ich habe ihn niemals gesehen, indeß meine Mutter berichtete noch immer von seinem Witz, seiner Galanterie, und seiner Verschwendung. Dieser lebenslustige Ritter stand am Schluß des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts in voller Blüthe. Er war der Lovelace oder der Don Juan seiner Zeit und seines Vaterlandes, berühmt durch die Zahl der von ihm gefochtenen Duelle, und der von ihm erfolgreich durchgeführten Liebesintriguen. Die Herrschaft, die er in der modischen Welt erlangt hatte, war unumschränkt; bedenken wir eine oder zwei Anekdoten von seinen Thaten, für welche er den Strick verdient haben würde, wenn die Gesetze für alle Stände gleich wären, so erweist wirklich die Beliebtheit eines solchen Menschen, daß man in gegenwärtiger Zeit weit mehr auf Anstand, wo nicht auf Tugend hält als früher, oder daß die äußere Anmuth auch in höheren Klassen weit schwerer zu erwerben war, als das jetzt dort gewöhnliche äußere Benehmen, daß folglich derjenige, welcher in Erwerbung dieses Vorzugs besonderes Glück gehabt hatte, dafür auch im Verhältniß Anspruch auf Nachsicht und Vorrechte erhielt. Kein Stutzer dieser Tage könnte eine so häßliche Geschichte wie die jener hübschen Müllerstochter in Sillermills durchführen; ja es hätte sich sogar der General-Staatsanwalt beinahe eingemischt. Sir Philip Forester litt aber dadurch ebensowenig Schaden, als Steinplatten durch Hagelkörner, er wurde ebenso gut in der Gesellschaft aufgenommen, als früher, und speiste beim Herzog A – an demselben Tage, an welchem das arme Mädchen begraben wurde. Sie starb an gebrochenem Herzen. Indeß das hat mit meiner Geschichte nichts zu schaffen.

Jetzt müßt ihr ein paar Worte über Verwandtschaft anhören; ich verspreche euch dabei, daß ich nicht weitläufig sein werde. Damit ihr aber die Bewährtheit meiner Geschichte begreift, müßt ihr wissen, daß Sir Philip Forester durch seine hübsche Gestalt, sein anmuthiges Benehmen und modische Sitten die jüngere Miß Falconer of Kings-Copland als Braut gewann. Die ältere Schwester dieser Dame hatte früher meinen Großvater, Sir Geoffroy Bothwell geheirathet und ein hübsches Vermögen unserer Familie gebracht. Miß Jemima oder Miß Jemmie Falconer, wie sie gewöhnlich genannt wurde, hatte ebenfalls 10,000 Pfd. – für die damaligen Zeiten eine beträchtliche Mitgift.

Die beiden Schwestern waren sehr verschieden, obgleich eine jede im ledigen Stande ihre Bewunderer gehabt hatte. Lady Bothwell hatte etwas vom alten Blute der Kings-Copland. Sie war kühn, wenn auch nicht bis zum Grade der Verwegenheit, ehrgeizig und bestrebt, die Bedeutung ihres Hauses und ihrer Familie zu erhöhen; meinem Großvater, einem sonst trägen Mann, soll sie ein sehr scharfer Sporn gewesen sein; wenn den Klatschereien hinsichtlich seiner zu trauen ist, so wurde er durch seine Gemahlin in politische Angelegenheiten verwickelt, in die er sich nicht hätte mischen sollen. Sie war ein Weib von hohen Grundsätzen und männlichem Verstande, wie einige ihrer Briefe bezeugen, die sich noch in meinem getäfelten Schrank befinden. Jemmie Falconer war das Gegentheil ihrer Schwester in jeder Hinsicht. Ihr Verstand ging nicht über das gewöhnliche Maß, wenn er dasselbe überhaupt wirklich erreichte. Ihre Schönheit, so lange sie dauerte, bestand in einer Zartheit der Gesichtsfarbe und einer Regelmäßigkeit der Züge ohne irgend eine Kraft des Ausdrucks. Sogar diese Reize schwanden unter den Leiden hinweg, welche die Heirath eines nicht für einander geeigneten Ehepaars begleiten. Sie hegte leidenschaftliche Anhänglichkeit an ihren Gemahl, welcher sie mit hartherziger, wenn auch artiger Gleichgültigkeit behandelte, die für eine Dame von ebenso zartem Herzen als schwachem Urtheil vielleicht peinlicher war, als wirklich schlechte Behandlung. Sir Philip war ein Wollüstling, d. h. ein vollkommen selbstsüchtiger Egoist, dessen Gemüthsbeschaffenheit und Charakter dem von ihm getragenen Stoßdegen glich – glatt, scharf, glänzend, aber unbiegsam und ohne Mitleid. Da er die gewöhnlichen Formen gegen seine Gemahlin beobachtete, so gelang es ihm, durch sein berechnetes Benehmen ihr sogar das Mitleid der Welt zu rauben; so nutzlos dasselbe auch dem Leidenden sein mag, dem es zu Theil wird, so erregt doch das Bewußtsein, daß es nicht ertheilt wird, ein höchst schmerzliches Gefühl in einem weiblichen Charakter, welcher demjenigen der Lady Forester ähnlich ist.

Die Klatschereien der Gesellschaft thaten ihr Möglichstes, um den sündhaften Mann über seine leidende Frau zu stellen. Einige nannten dieselbe ein ärmliches, schwaches Ding, und erklärten, daß sie mit einigem Muth ihrer Schwester einen jeden Sir Philip zur Vernunft hätte bringen können, und wäre es der Zänker Falconbridge in eigener Person. Der größere Theil ihrer Bekannten stellte sich aufrichtig und sah Fehler auf beiden Seiten, obgleich in Wirklichkeit nur ein Unterdrücker und eine Unterdrückte vorhanden waren. Der Inhalt solcher Kritiken war alsdann etwa folgender; »Sicherlich wird Niemand den Sir Philip Forester rechtfertigen; wir kennen ihn ja aber sämmtlich, und Jemmie Falconer mußte also vorher wissen, was sie von ihm zu erwarten hatte. Warum hat sie ihren Kopf auf Sir Philip gesetzt? Er würde sie niemals angesehen haben, hätte sie sich mit ihren ärmlichen 10,000 Pfd. ihm nicht an den Hals geworfen. Sicherlich hat er seinen Markt verdorben, wenn er Geld brauchte; bei der und der wäre es ihm weit besser gegangen – wenn sie aber den Mann durchaus haben wollte, so mußte sie auch den Versuch machen, ihm sein Haus angenehmer zu machen; seine Freunde öfter einladen, und ihn nicht mit Kindergeheul plagen, und Sorge tragen, daß Alles hübsch und nett im Hause wäre. Ich bin überzeugt, Sir Philip würde einen sehr häuslichen Ehemann abgegeben haben, hätte er eine Frau bekommen, die ihn zu führen verstände.«

Diese Kritiker des schönen Geschlechtes hatten bei Errichtung ihres tief erdachten Baues von häuslichem Glück nur den Umstand vergessen, daß der Schlußstein dabei fehlte; hätte nämlich gute Gesellschaft dort gut bewirthet werden sollen, so hätte Sir Philip die Mittel hergeben müssen; das durch Verschwendung geminderte Einkommen desselben genügte aber nicht für die verlangte Gastfreundschaft, während es zugleich für die kleinen Vergnügungen des guten Ritters bestimmt war. Ungeachtet aller weisen Meinungen seiner Freundinnen brachte Sir Philip seine gute Laune überall außerhalb seines Hauses an, und ließ dort seine Frau in Einsamkeit sich härmen.

Zuletzt beschloß Sir Philip, als er sich wegen Geldangelegenheiten in Verlegenheit befand, und sogar über die kurze Zeit verdrießlich wurde, die er in seinem ihm langweiligen Hause verbringen mußte, eine Reise nach dem Festlande als Freiwilliger in dem damaligen Kriege zu machen. Dies Verfahren war damals bei modischen Leuten gewöhnlich; unser Ritter glaubte vielleicht, daß ein kleiner Anstrich von militärischem Charakter, welcher gerade genügen würde, um seine Eigenschaften als Beau garçon zu erhöhen, ohne demselben einige Pedanterei zu ertheilen, ihm von großen Nutzen sein werde, um die hohe Stellung zu behaupten, welche er in den Reihen der Mode einnahm.

Sir Philip's Entschluß erfüllte sein Weib mit den schmerzhaftesten Schrecken, welche dem würdigen Baronet so widerlich waren, daß er, seiner Gewohnheit entgegen, sich einige Mühe gab, ihre Besorgnisse zu vermindern; er veranlaßte sie noch einmal zum Weinen, wobei Ihr Kummer nicht gänzlich unvermischt mit Vergnügen war. Lady Bothwell ersuchte Sir Philip um die Erlaubniß, ihre Schwester und deren Familie während seiner Abwesenheit auf dem Festlande in ihr eigenes Haus aufzunehmen, als werde ihr dadurch eine Gunstbezeugung erwiesen. Sir Philip gab sehr gern seine Einwilligung zu einem Vorschlage, welcher ihm Kosten ersparte und alberne Leute zum Schweigen brachte, die von verlassener Frau und Familie hätten reden können, und endlich auch der Lady Bothwell nicht unangenehm war, vor welcher er stets einige Achtung als vor einer Dame hegte, die ihm häufige Vorstellungen stets mit Freimuth und bisweilen mit Strenge machte, ohne sich durch seinen Spott oder das Blendwerk seines Rufes abschrecken zu lassen.

Einige Tage vor der Abreise Sir Philip's nahm Lady Bothwell sich die Freiheit, ihm in Gegenwart ihrer Schwester die bestimmte Frage vorzulegen, welche dieselbe oft an ihn zu richten gewünscht, aber niemals gewagt hatte.

»Bitte, Sir Philip, welchen Weg wollt Ihr einschlagen, wenn Ihr das Festland erreicht habt?«

»Ich reise von Leith nach Helvoetsluys mit einem Postschiffe.«

»Das verstehe ich vollkommen,« sagte Lady Bothwell mit trockenem Ausdruck, »und begreife ebenso gut, daß Ihr nicht lange in Helvoetsluys bleiben wollt; somit wünsche ich zu erfahren, was das nächste Ziel Eurer Reise ist.«

»Ihr legt mir da, theure Dame,« erwiderte Sir Philip, »eine Frage vor, die ich noch nicht selbst an mich zu richten gewagt habe. Die Antwort ist vom Kriegsglück abhängig. Ich begebe mich natürlich zum Hauptquartier, an welchem Orte sich dasselbe auch befinden mag, gebe meine Empfehlungsbriefe ab, lerne soviel von der edlen Kriegskunst, als für einen armen pfuschenden Liebhaber genügt, und sehe mir dann die Dinge an, von denen wir so Mancherlei in den Zeitungen lesen.«

»Und, wie ich hoffe, Sir Philip,« sagte Lady Bothwell, »werdet Ihr nicht vergessen, daß Ihr ein Gemahl und Vater seid; wenn Ihr es für passend haltet, Euren militärischen Launen Euch hinzugeben, so werdet Ihr Euch nicht in Gefahren einlassen, deren Bestehen sich nur für Personen vom Gewerbe eignen.«

»Lady Bothwell erweist mir zu viel Ehre,« erwiderte der auf Abenteuer ausziehende Ritter, »indem sie einen solchen Umstand auch nur mit der geringsten Theilnahme betrachtet; damit Eure Ladyschaft jedoch die mir schmeichelhafte Angst vermindert, so hoffe ich, dieselbe werde bedenken, daß der ehrwürdige und väterliche Charakter, den ihr mir auf eine so verbindliche Weise meinem Schutze empfehlt, dem Zufall nicht ausgesetzt werden kann, ohne daß auch ein ehrlicher Kerl, Philip Forester genannt, in einige Gefahr geräth – ein Kamerad, mit dem ich jetzt seit 30 Jahren in Gesellschaft lebe, und von dem ich mich durchaus nicht trennen will, obgleich einige Leute ihn für einen Gecken halten.«

»Wohlan, Sir Philip, Ihr seid der beste Richter in Euren eigenen Angelegenheiten; ich besitze kein Recht, mich einzumischen – Ihr seid nicht mein Gemahl.«

»Gott behüte!« – fiel Sir Philip hastig ein, er fügte jedoch sogleich hinzu: »Gott behüte, daß ich meinem Freunde Sir Geoffrey ein so unschätzbares Juwel rauben sollte!«

»Ihr seid jedoch der Gatte meiner Schwester,« erwiderte die Dame, »und ich vermuthe, daß Ihr ihre jetzige Niedergeschlagenheit erkannt habt.«

»Wenn eine Sache, von der ich den ganzen Tag früh vom Morgen an bis spät in die Nacht hören muß, erkannt werden kann,« sagte Sir Philip, »so muß ich allerdings etwas davon wissen.«

»Ich mache keine Ansprüche, Sir Philip,« erwiderte Lady Bothwell, »auf die Fähigkeit, Euch eine Erwiderung mit gleichem Witz zu geben; Ihr müßt jedoch erkennen, daß alle Niedergeschlagenheit Eurer Gemahlin durch Besorgnisse hinsichtlich Eurer persönlichen Sicherheit veranlaßt ist.«

»In dem Fall muß ich erstaunen, daß Lady Bothwell wenigstens sich soviel um eine so unbedeutende Sache bekümmert.«

»Durch die Theilnahme an meiner Schwester läßt sich die Aengstlichkeit erklären, womit ich Einiges vom Treiben Sir Philip Forester's zu erfahren wünsche, hinsichtlich dessen er sonst nicht gern sehen würde, daß ich mich darum bekümmere. Auch habe ich Grund, Besorgnisse hinsichtlich der Sicherheit eines Bruders zu hegen.«

»Ihr meint den Major Falconer, Euren Bruder von mütterlicher Seite; was kann der jetzt mit unserem angenehmen Gespräch zu schaffen haben?«

»Ihr habt mit ihm Worte gewechselt, Sir Philip,« sagte Lady Bothwell.

»Natürlich, wir sind ja Verwandte,« erwiderte Sir Philip; »als solche haben wir stets mit einander den gewöhnlichen Verkehr gehabt.«

»Das ist eine ausweichende Antwort,« erwiderte die Dame; »unter Worten verstehe ich zornige Worte, hinsichtlich der Behandlung Eurer Frau.«

»Wenn,« erwiderte Sir Philip Forester, »Ihr den Major Falconer für so einfältig haltet, daß er mir seinen Rath, Lady Bothwell, in meinen häuslichen Angelegenheiten aufzudrängen sucht, so habt Ihr allerdings Grund zu dem Glauben, daß ich mit seiner Einmischung unzufrieden genug sein werde, um ihn zu ersuchen, er möge seinen Rath so lange für sich behalten, bis man ihn darum bittet.«

»Da Ihr so mit ihm steht, wollt Ihr Euch zu demselben Heere begeben, worin mein Bruder Falconer jetzt Kriegsdienste leistet?«

»Niemand kennt den Weg zur Ehre besser als Major Falconer,« sagte Sir Philip. »Ein Mann, der wie ich sich erst um den Ruhm bewerben will, kann keinen bessern Führer finden, als wenn er sich genau an seine Fußstapfen hält.«

Lady Bothwell stand auf und ging zum Fenster, während ihr die Thränen aus den Augen drangen.

»Dies herzlose Scherzen,« sagte sie, »ist also die einzige Rücksicht, die unseren Besorgnissen über einen Streit erwiesen wird, welcher die furchtbarsten Folgen nach sich ziehen kann? Guter Gott, woraus müssen die Herzen von Männern bestehen, welche so mit dem Schmerz Anderer spielen können!«

Sir Philip Forester ward gerührt, er gab den spöttischen Ton auf, worin er bisher geredet hatte.

»Theure Lady Bothwell,« sagte er, indem er ihre Hand ungeachtet ihres Widerstrebens ergriff, »wir Beide haben Unrecht; Ihr seid zu ernst, ich vielleicht bin dieß zu wenig. Der Streit, den ich mit Major Falconer hatte, war höchst unbedeutend. Wäre etwas zwischen uns vorgekommen, welches par voie du fait, wie man in Frankreich sagt, auszumachen wäre, so sind wir Beide keine Leute, die eine solche Zusammenkunft lange verschieben würden. Erlaubt mir zu sagen, daß, im Fall die Besorgnisse der Lady Forester und die Eurigen hinsichtlich dieser Katastrophe allgemein bekannt wären, dieß gerade das Mittel sein müßte, ein sonst unwahrscheinliches Ereigniß herbeizuführen. Ich kenne Euren gesunden Menschenverstand, Lady Bothwell; Ihr werdet mich deßhalb verstehen, wenn ich sage, daß meine Angelegenheiten meine Abwesenheit auf einige Monate wirklich erfordern; Jemima kann dieß nicht begreifen; von ihr vernehme ich die stete Wiederkehr der Fragen: ›warum könnte ich nicht dieß oder jenes, oder ein drittes?‹ und wenn ich ihr bewiesen habe, daß alle ihre Hülfsmittel unwirksam sind, so will sie immer dieselbe Runde von vorne wieder anfangen. Nun aber sagt ihr, theure Lady Bothwell, daß Ihr zufrieden gestellt seid; Ihr müßt gestehen, daß sie eine derjenigen Personen ist, bei welchen der Autoritätsglaube mehr vermag, als das eigene Urtheilsvermögen. Schenkt mir nur ein wenig Vertrauen; alsdann sollt Ihr sehen, daß ich es reichlich zurückbezahle.«

Lady Bothwell schüttelte den Kopf, als sei sie nur halb zufrieden. »Wie schwierig ist es, Vertrauen auszudehnen, wenn die Grundlage, worauf dasselbe beruhen müßte, so sehr erschüttert ist! Ich will jedoch alles nur Mögliche thun, um Jemima zu beruhigen; weiterhin kann ich nur sagen, daß ich Euch Gott und den Menschen dafür verantwortlich mache, daß Ihr auf Eurer gegenwärtigen Absicht besteht.«

»Besorgt nicht, daß ich Euch betrüge,« erwiderte Sir Philip; »die sicherste Weise, mir Briefe zu übersenden, wird diejenige vermöge des Generalpostamtes nach Helvoetsluys sein; an letzterem Orte werde ich Maßregeln treffen, damit die Briefe mir übersandt werden. Was Falconer betrifft, so wird unser einziges Zusammentreffen bei einer Burgunderflasche stattfinden; seid also hinsichtlich seiner unbesorgt.«

Lady Bothwell gab aber deßhalb nicht ihre Besorgniß auf; sie erkannte übrigens, daß ihre Schwester ihrer eigenen Sache schaden würde, wenn sie zu heftig auf ihrem Willen bestände, und vor jedem Fremden durch ihr Benehmen und bisweilen sogar durch Worte ihre Unzufriedenheit über die Reise ihres Gemahls zeigte, denn es schien gewiß, daß dergleichen Aeußerungen ihm zu Ohren kommen und ihm mißfallen müßten. Der häusliche Zwist ließ sich jedoch nicht beseitigen, und ward auch erst am Tage der Trennung beendet.

Ich kann leider nicht genau das Jahr angeben, in welchem Sir Philip sich nach Flandern übersetzen ließ; es war jedoch eines derjenigen, in welchem der Feldzug mit ungemeiner Wuth eröffnet wurde; viele blutige, wenn auch unentscheidende Treffen wurden zwischen den Franzosen und Alliirten geliefert. Unter allen Verbesserungen der neuesten Zeit ist vielleicht diejenige der Beförderung von bestimmten Nachrichten die bedeutendste, wodurch die Verwandten der Offiziere und Soldaten die schnellste Kunde über das Befinden derselben sogleich nach irgend einem Gefechte haben können. Zur Zeit der Feldzüge Marlboroughs wurden aber die Leiden der großen Menge von Leuten, welche ihre Verwandten beim Heere hatten, in hohem Maße durch Ungewißheit gesteigert, worin sie sich Wochen lang befanden, nachdem sie von blutigen Schlachten gehört hatten, woran diejenigen, für welche ihr Herz aus Besorgniß klopfte, aller Wahrscheinlichkeit nach betheiligt gewesen waren. Zu denjenigen, welche den meisten Schmerz der Ungewißheit empfanden, gehörte auch die verlassene Gemahlin des leichtfertigen Sir Philip Forester. Ein einziger Brief hatte sie von seiner Ankunft auf dem Festlande in Kenntniß gesetzt; andere empfing sie nicht. Nur eine Angabe fand sich in den Zeitungen, in welcher der Freiwillige Sir Philip Forester als ein Mann erwähnt wurde, welcher eine ihm anvertraute gefährliche Recognoscirung mit größtem Muth, Verstand und Geschick ausgeführt und dafür den Dank des commandirenden Offiziers erhalten hatte. Diese Gewißheit, daß er sich ausgezeichnet habe, färbte die bleiche Wange seiner Gemahlin mit augenblicklicher Röthe; dieselbe wich aber sogleich einer aschenfarbenen Blässe, als sie der Gefahr gedachte. Hierauf langten weitere Nachrichten weder von Sir Philip, noch von dessen Schwager, Major Falconer, an. Die Lage der Lady Falconer war in Wirklichkeit nicht von derjenigen so vieler Anderer verschieden, allein eine schwache Seele ist nothwendig reizbar, und die Ungewißheit, die einige Frauen von kälterem Charakter mit Gleichgültigkeit oder philosophischer Ergebung, und andere mit einer Neigung, das Beste zu glauben und zu hoffen, ertragen, war der Lady Forester, einer einsam lebenden, empfindlichen, entmuthigten und aller Seelenstärke, sowohl der natürlichen als erworbenen, gänzlich entbehrenden Dame unerträglich.


Zweites Kapitel.

Als Lady Forester keine weitere Nachrichten von Sir Philip auf direktem oder indirektem Wege erhielt, begann sie sogar einen Trost in dem sorglosen Wesen zu suchen, welches ihr früher so häufige Pein verursacht hatte. »Er ist so gedankenlos, wiederholte sie tausendmal ihrer Schwester, daß er niemals an das Schreiben denkt, wenn seine Angelegenheiten einen günstigen Verlauf haben; das ist so seine Art; wäre ihm etwas zugestoßen, so würde er uns davon in Kenntniß gesetzt haben.«

Lady Bothwell hörte auf ihre Schwester, ohne deren Tröstung zu versuchen. Vielleicht glaubte sie, daß sogar die schlimmste Kunde, welche aus Flandern anlangen konnte, einige Tröstung gewähren würde; die verwittwete Lady Forester, wenn es ihr Schicksal sei, so genannt zu werden, könne eine Quelle des Glückes erlangen, die sie als die Gemahlin des leichtfertigsten und schönsten Herrn in Schottland niemals gekannt hatte. Diese Ueberzeugung wurde stärker, als man nach Erkundigungen im Hauptquartier erfuhr, Sir Philip befinde sich nicht mehr beim Heere; es konnte jedoch keiner seiner Landsleute im Lager der Alliirten nicht einmal als Vermuthung angeben, ob er in einem der fortwährend vorkommenden Scharmützel, worin er sich vorzugsweise auszuzeichnen suchte, gefallen sei, oder ob er aus unbekanntem Grunde, oder aus launenhafter Veränderung seiner Entschlüsse den Kriegsdienst freiwillig verlassen habe. Mittlerweile wurden seine Gläubiger ungeduldig, setzten sich in Besitz seines Eigenthums und bedrohten seine persönliche Freiheit, im Fall er unbesonnen genug wäre, nach Schottland zurückzukehren. Dieses weitere Unglück erhöhte den Unwillen der Lady Bothwell gegen den flüchtigen Ehegatten, während ihre Schwester darin nur Veranlassung fand, ihren Gram wegen der Abwesenheit des Mannes zu steigern, den ihre Einbildungskraft ihr, wie vor der Ehe, als tapfer, munter und liebevoll darstellte.

Um diese Zeit kam nach Edinburg ein Mann von eigenthümlicher Erscheinung und sonderbaren Ansprüchen. Man nannte ihn gewöhnlich den Doctor von Padua, weil er seine Erziehung auf jener hochberühmten Universität der Republik Venedig erlangt hatte. Man glaubte von ihm, daß er einige seltene Recepte besitze, womit er nach der allgemeinen Behauptung höchst merkwürdige Kuren ausgeführt habe. Obgleich ihn ihrerseits die Aerzte von Edinburg als einen Quacksalber bezeichneten, so gab es doch viele Leute, und darunter auch manche aus der Geistlichkeit, welche zwar die Wahrheit seiner Heilungen und die Kraft seiner Mittel zugestanden, zugleich aber auch behaupteten, daß der Doctor Baptista Damiotti Zaubereien und unerlaubte Künste anwende, um in seiner ärztlichen Praxis Erfolg zu erlangen. Es wurde sogar feierlich gegen ihn gepredigt: suche man Hülfe von ihm zu erlangen, so bestrebe man sich die Gesundheit durch Götzendienst zu erhalten, und vertraue auf die Hülfe, die aus Egypten kommen werde. Der Schutz jedoch, welcher dem Doctor von Padua durch einige einflußreiche und hochstehende Freunde erwiesen ward, setzte ihn in Stand, diesen Beschuldigungen zu trotzen und sogar in der Stadt Edinburg, so berühmt dieselbe auch wegen ihres Abscheus gegen Hexen und Zauberer war, den gefährlichen Charakter eines Verkündigers der Zukunft anzunehmen. Zuletzt ging sogar ein Gerücht, der Doctor Baptista Damiotti könne gegen eine Belohnung, welche natürlich nicht unbeträchtlich war, das Schicksal der Abwesenden verkünden, und sogar seinen Besuchern die persönliche Gestalt ihrer abwesenden Freunde und die Handlung zeigen, bei welcher sie im Augenblick betheiligt seien. Dies Gerücht kam der Lady Forester zu Ohren, welche denjenigen Grad des Seelenschmerzes erreicht hatte, worin der Leidende Alles thun oder ertragen wird, um die Pein der Ungewißheit durch eine bestimmte Kunde zu beseitigen.

So sanft und furchtsam diese Dame in den meisten Fällen auch war, so wurde sie durch ihren Seelenzustand in gleicher Weise hartnäckig und sorglos. Auch vernahm Lady Bothwell mit nicht geringerer Ueberraschung als Besorgniß die Erklärung ihres Entschlusses, diesen Mann der Kunst zu besuchen, um das Schicksal ihres Gemahls von demselben zu vernehmen. Lady Bothwell machte ihr Vorstellungen über die Unwahrscheinlichkeit, daß solche Ansprüche auf übernatürliche Leistungen, wie sie sie der Fremde erhob, eine andere Begründung als die des Betrugs haben könnten.

»Ich kümmere mich nicht darum,« sagte die verlassene Gattin, »obgleich ich mir einen Grad der Lächerlichkeit aufbürde; habe ich unter hundert Mitteln nur die Aussicht, daß ich durch eines derselben Gewißheit über das Schicksal meines Gemahls erlange, so würde ich dieses gegen alle Vortheile nicht unversucht lassen, welche mir die Welt im entgegengesetzten Falle darbieten könnte.«

Lady Bothwell machte zunächst die Gesetzwidrigkeit eines Schrittes geltend, durch welche solche Quellen verbotener Kenntniß als Zuflucht aufgesucht würden.

»Schwester,« erwiderte die Leidende, »derjenige, welcher vor Durst verschmachtet, kann sich nicht enthalten, sogar vergiftetes Wasser zu trinken. Diejenige, welche durch stete Ungewißheit leidet, muß sich Kunde zu verschaffen suchen, sogar, wenn unheilige und höllische Mächte dieselbe mir darbieten. Ich will allein fortgehen, um mein Schicksal zu erkunden; noch diesen Abend will ich es wissen; die Sonne, die sich morgen röthet, wird mich, wenn auch nicht glücklicher, doch wenigstens gefaßter, wie heute, finden.«

»Schwester,« erwiderte Lady Bothwell, »wenn Ihr zu diesem unbedachten Schritt entschlossen seid, so sollt Ihr nicht allein gehen. Ist dieser Mann ein Betrüger, so seid Ihr vielleicht zu sehr erregt in Eurem Gefühle, um seine Schlechtigkeit zu entdecken. Wenn einige Wahrheit in demjenigen, worauf er Anspruch macht, sich vorfindet (woran ich jedoch nicht glauben kann), so sollt Ihr nicht allein einer Mittheilung so außerordentlicher Art ausgesetzt werden; ich will Euch begleiten, wenn Ihr wirklich zu gehen entschlossen seid; überlegt jedoch noch einmal Euer Vorhaben und verzichtet auf Nachforschungen, die nicht ohne Schuld und vielleicht auch nicht ohne Gefahr sich anstellen lassen.«

Lady Forester warf sich in die Arme ihrer Schwester, drückte sie an ihren Busen und dankte ihr hundertmal für das Anerbieten ihrer Gesellschaft, während sie mit einer Trübsinn bezeugenden Bewegung den freundschaftlichen Rath ablehnte, womit dasselbe verbunden war.

Als die Stunde des Zwielichts nahte, – die Zeit, worin der Paduanische Doktor die Besuche derer empfing, welche bei ihm sich Raths erholen wollten, – verließen die beiden Damen ihre Wohnung in Canongate zu Edinburg, nachdem sie sich als Frauen niederer Stände verkleidet und mit ihren Mänteln den Kopf in der Weise eingehüllt hatten, wie es bei jener Classe gebräuchlich war; in jenen Tagen der Aristokratie wurde nämlich der Stand gewöhnlich durch die Weise, in welcher der schottische Mantel getragen wurde, ebenso wie durch dessen Schönheit im Gewebe angezeigt. Lady Bothwell hatte diese Art Verkleidung angerathen, theils um die Beobachtung zu vermeiden, wenn sie sich zum Hause des Geisterbeschwörers begeben, theils auch um seinen Scharfsinn dadurch auf die Probe zu stellen, daß sie in einem angenommenen Charakter vor ihm erschienen. Lady Foresters Bedienter, ein Mann von erprobter Treue, war vorher zum Doktor geschickt worden, um dessen Gunst durch eine passende Belohnung zu gewinnen, und ihm zu verstehen zu geben, daß die Frau eines Soldaten das Schicksal ihres Mannes zu erfahren wünsche – ein Gegenstand, über welchen der Weise aller Wahrscheinlichkeit nach sehr häufig befragt wurde.

Bis zum letzten Augenblick, als die Uhr des Palastes acht schlug, beobachtete Lady Forester sorgfältig ihre Schwester, in der Hoffnung, daß dieselbe ihr unbesonnenes Unternehmen aufgeben möge; so wie aber Sanftmuth und sogar Blödigkeit bei Zeiten zu heftigem und bestimmtem Entschluß fähig ist, blieb auch Lady Forester unbeweglich, bis der Augenblick des Fortgehens gekommen war. Unzufrieden mit der Unternehmung, allein entschlossen, ihre Schwester in solcher Krise nicht zu verlassen, begleitete Lady Bothwell Lady Forester durch manche dunkle Straße und Gasse, indem ein Diener voranging und den Weg zeigte. Zuletzt wandte sich derselbe plötzlich in einen engen Hof und klopfte an eine gewölbte Thüre, die zu einem ziemlich alten Gebäude zu gehören schien. Dieselbe ward eröffnet, ohne daß ein Portier sich zeigte; der Bediente trat vor dem Eingange bei Seite und forderte die Damen auf, sich in das Haus zu begeben. Sobald letzteres geschehen war, ward die Thür wieder verschlossen, so daß der Führer außen blieb. Die beiden Damen befanden sich auf einer kleinen Hausflur, welche durch eine düstere Lampe erleuchtet, nach dem Verschließen der Thüre keine Verbindung mit dem Licht oder der Luft außen hatte. Die Thüre eines inneren Gemaches befand sich theilweise geöffnet an der hinteren Seite der Hausflur.

»Wir dürfen jetzt kein Bedenken tragen, Jemima,« sagte Lady Bothwell, und ging in das innere Zimmer, wo von Büchern, Karten, physikalischen Instrumenten und anderem Geräth eigenthümlicher Form umgeben, der Mann der Kunst sich aufhielt.

Das Aeußere des Italieners bot nichts Auffallendes; er hatte die dunkle Gesichtsfarbe und die scharfen Gesichtszüge seiner Nation, schien so Jahre alt zu sein, und war zierlich, wenn auch einfach, mit einem schwarzen Anzuge bekleidet, welchen die Aerzte der damaligen Zeit allgemein zu tragen pflegten. Große Wachskerzen in silbernen Leuchtern erleuchteten das mit Möbeln gehörig ausgestattete Gemach. Als die Damen eintraten, stand er auf. Ungeachtet ihrer unscheinbaren Kleidung empfing er dieselben mit den ihrem Stande schuldigen Achtungsbezeugungen, welche Fremde gewöhnlich bei denjenigen sorgfältig zu beachten pflegen, denen dieselben gebühren.

Lady Bothwell bemühte sich, ihr beabsichtigtes Incognito zu bewahren, und machte, als der Doktor sie an das obere Ende des Zimmers führte, eine Bewegung, um diese Artigkeit als ihrem Stande nicht gebührend, abzulehnen. »Wir sind arme Leute, Herr,« sagte sie, »nur der Kummer meiner Schwester hat mich hieher gebracht, um Euer Gnaden um Rath zu fragen, ob –«

Er lächelte, als er sie unterbrach. »Ich kenne, Madame, den Kummer ihrer Schwester und dessen Ursache, auch weiß ich, daß ich mit einem Besuch von zwei Damen des angesehensten Standes, der Lady Bothwell und der Lady Forester beehrt werde. Könnte ich dieselben von der Klasse der Gesellschaft nicht unterscheiden, welche deren gegenwärtige Kleidung anzuzeigen scheint, so würde ich ihnen schwerlich die Kunde zu ertheilen vermögen, die sie einzuholen hieher gekommen sind.«

»Ich kann begreifen,« sagte Lady Bothwell –

»Verzeiht meine Kühnheit, daß ich Euch unterbreche, Mylady,« fiel der Italiener ihr in die Rede, »Ihr wolltet sagen, daß Ihr begreifen könnt, wie ich die Kenntniß Eurer Namen durch Euren Bedienten erlangt habe. Durch diesen Glauben jedoch erweist Ihr ein Unrecht der Treue Eures Dieners und, wie ich hinzufügen darf, auch der Geschicklichkeit eines Mannes, welcher nicht weniger Euer unterthäniger Diener ist – des Baptista Damiotti.«

»Ich beabsichtige keines von beiden, Herr,« erwiderte Lady Bothwell mit dem Tone der Fassung, obgleich etwas überrascht; »die Lage ist mir etwas Neues; wißt Ihr, wer wir sind, so wißt Ihr auch, was uns hieher gebracht hat.«

»Die Neugier, das Schicksal eines schottischen Herrn von Rang zu erfahren, welcher sich jetzt auf dem Festlande befindet,« erwiderte der Seher; »sein Name ist il Cavaliero Philippo Forester; es ist ein Herr, welcher die Ehre hat, der Gemahl dieser Dame zu sein, und welcher, wenn ich mit Eurer Ladyschaft Erlaubniß mich offen ausdrücken darf, diesen unschätzbaren Vortheil unglücklicherweise nicht nach Gebühr würdigt.«

Lady Forester seufzte tief und Lady Bothwell erwiderte:

»Da Ihr jetzt unsere Absicht kennt, ohne daß wir dieselbe Euch eröffneten, so habe ich nur noch an Euch die einzige Frage zu richten, ob Ihr das Vermögen besitzt, die Angst meiner Schwester zu mildern.«

»Ich besitze dies Vermögen, Madame,« erwiderte der Paduanische Gelehrte; »zuvor jedoch muß ich Euch noch eine Frage vorlegen: besitzt Ihr den Muth, mit eigenen Augen zu sehen, was Sir Philipp Forester gegenwärtig treibt, oder wollt Ihr dieß nach meinem Berichte vernehmen?«

»Diese Frage muß meine Schwester selbst beantworten,« sagte Lady Bothwell.

»Ich will mit eigenen Augen sehen, was Ihr mir zu zeigen vermögt,« erwiderte Lady Forester mit demselben entschiedenen Wesen, welches ihre Handlungsweise bestimmt hatte, nachdem ihr Entschluß einmal gefaßt war.

»Es kann Gefahr damit verbunden sein.«

»Wenn Gold die Gefahr auszugleichen vermag« – sagte Lady Forester, indem sie ihre Börse zum Vorschein brachte.

»Ich thue dergleichen nicht des Gewinnes wegen,« unterbrach sie der Fremde; »ich wage es nicht, meine Kunst zu dem Zweck zu verwenden. Nehme ich das Gold der Reichen, so geschieht es nur, um es den Armen zu geben; auch nehme ich niemals mehr, als die Summe, die ich schon von Eurem Diener erhalten habe. Steckt Eure Börse wieder ein, Madam, ein Adept bedarf nicht Eures Goldes.«

Lady Bothwell hielt diese Zurückweisung des von ihrer Schwester gemachten Anerbietens für den bloßen Kunstgriff eines Quacksalbers, um sie zu verleiten, daß sie ihm eine größere Summe aufzudringen suche. Um zu veranlassen, daß der Auftritt begonnen und beendet werde, bot sie dem Italiener ihrerseits einiges Gold mit der Bemerkung an, dasselbe möge dazu dienen, um den Bereich seiner Wohlthätigkeit zu erweitern.

»Möge Lady Bothwell den Bereich ihrer eigenen Barmherzigkeit erweitern,« sagte der Paduaner, und zwar nicht allein im Almosengeben, woran sie, wie ich weiß, es nicht fehlen läßt, sondern auch in der Beurtheilung des Charakters von Andern; sie möge dem Baptista Damiotti sich dadurch verbindlich machen, daß sie ihn so lange für ehrlich hält, bis sie entdeckt, daß er ein Schelm ist. Erstaunt nicht, Madame, daß ich eher Eure Gedanken als Eure Ausdrücke beantworte, und sagt mir noch einmal, ob Ihr den Muth besitzt, dasjenige, was ich Euch zeigen will, anzuschauen?«

»Ich gestehe, Herr,« sagte Lady Bothwell, »daß Eure Worte bei mir einige Furcht erwecken; was jedoch meine Schwester zu sehen wünscht, werde ich ohne Bedenken zugleich mit ihr erblicken.«

»Die Gefahr besteht allein darin, daß Eure Entschlossenheit wankend werden könnte. Der Anblick kann nur sieben Minuten lang dauern; würdet Ihr die Vision durch ein einziges Wort unterbrechen, so wäre nicht allein der Zauber gelöst, sondern eine Gefahr könnte sich auch für die Zuschauer ergeben. Könnt Ihr aber die sieben Minuten lang das Schweigen mit aller Festigkeit beobachten, so wird Eure Neugier ohne das geringste Wagniß befriedigt werden; darauf setze ich meine Ehre ein.«

Innerlich glaubte Lady Bothwell die Sicherheit vor Gefahr sei ihr nicht verbürgt; sie unterdrückte jedoch ihren Verdacht, als glaube sie, daß der Adept, dessen dunkle Gesichtszüge ein schon halb gebildetes Lächeln zeigten, sogar ihre geheimsten Gedanken errathen könne. Es folgte eine feierliche Pause, bis Lady Forester Muth genug faßte, um dem Arzt, wie er sich nannte, zu erwidern, daß sie mit Festigkeit und Schweigen die Vision erwarten werde, die er ihnen zu zeigen versprochen hatte. Hierauf machte er ihnen eine tiefe Verbeugung und verließ das Gemach mit der Aeußerung, er werde Anstalten treffen, um ihren Wünschen nachzukommen. Die. zwei Schwestern setzten sich Hand in Hand, als suchten sie durch diese genaue Vereinigung die ihnen vielleicht drohende Gefahr abzuwenden, auf zwei unmittelbar mit einander verbundene Stühle; Jemima suchte eine Stütze in dem männlichen Charakter und dem zur Gewohnheit gewordenen Muthe der Lady Bothwell; diese andererseits war erregter, als sie erwartet hatte, und suchte sich durch den verzweifelten Entschluß zu stärken, zu dessen Ergreifung ihre Schwester durch die Umstände gezwungen war. Die Eine dachte vielleicht, ihre Schwester habe niemals etwas gefürchtet; die Andere dagegen, dasjenige, wobei ein Weib von so schwachem Charakter, wie Jemima, keine Furcht empfinde, könne auch keine Besorgniß bei einer so charakterfesten und entschlossenen Person, wie sie selbst war, erregen.

Nach wenigen Augenblicken wurden die Gedanken beider durch eine so eigenthümlich liebliche und feierliche Musik abgewandt, daß dadurch die ernste Stimmung erhöht wurde, welche die vorhergehende Unterredung hervorgerufen hatte; die Musik schien zugleich darauf berechnet, jedes der Harmonie widerstrebende Gefühl zu verscheuchen. Sie stammte von einem Instrumente, mit welchem Beide unbekannt waren; meine Verwandte kam durch spätere Umstände zu dem Glauben, es sei die Musik einer Harmonika, die sie in einer späteren Zeit ihres Lebens zu hören Gelegenheit hatte. Als diese himmlischen Töne schwiegen, öffnete sich eine Thüre am oberen Gemache, und sie sahen, wie Damiotti auf einer Erhöhung von zwei oder drei Stufen stand, und ihnen ein Zeichen gab, näher zu treten. Seine Kleidung war von derjenigen, die er einige Minuten früher getragen hatte, so sehr verschieden, daß sie ihn kaum wieder erkennen konnten; die tödtliche Blässe seines Antlitzes und eine gewisse finstere Spannung der Muskeln, wie sie bei Männern stattzufinden pflegt, welche eine sonderbare und kühne Handlung unternehmen, hatte den etwas spöttischen Ausdruck gänzlich verändert, womit er Beide und besonders Lady Bothwell betrachtet hatte. Er war barfuß, mit Ausnahme einer Art von Sandalen antiker Form; seine Beine waren unter den Knieen nackt, über denselben trug er ein Beinkleid und ein Wams von eng anliegender carmoisinrother Seide und über denselben einen weiten Mantel von schneeweißer Leinwand, welcher einigermaßen einem Chorhemde glich; der Hals war unbedeckt und sein langes, straffes, schwarzes Haar war in voller Länge sorgfältig niederwärts gekämmt.

Als die Damen auf sein Geheiß näher traten, zeigte er keine Bewegung der ceremoniösen Höflichkeit, womit er früher so freigebig gewesen war. Im Gegentheil, er gab das Zeichen zum Vortreten mit dem Ausdruck des Befehles in seinen Zügen; als die Schwestern Arm in Arm mit unsicheren Schritten dem Orte, wo er stand, sich näherten, legte er den Finger an seine Lippen, mit einem finsteren Blick der Warnung, als wiederhole er sein Gebot unbedingten Schweigens; alsdann schritt er voran und führte sie in's nächste Zimmer.

Dieß war ein großes, mit schwarzem Tuch ausgehängtes Gemach, als sei dasselbe für ein Begräbniß hergerichtet. Am oberen Ende stand ein Tisch oder vielmehr Altar, welcher mit einem Tuch derselben Trauerfarbe und mit verschiedenen Gegenständen, den gewöhnlichen Geräthen der Zauberei, bedeckt war. Diese Gegenstände waren noch nicht sichtbar, als sie in das Zimmer traten; das Licht, welches dieselbe erleuchtete, war nur ein sehr schwaches, von zwei dem Verlöschen nahen Lampen. Der Maestro, um den italienischen Ausdruck für Leute dieser Art zu gebrauchen, näherte sich dem oberen Ende des Zimmers mit einer Kniebeugung, wie sie Katholiken vor dem Cruzifix zu machen pflegen, und bekreuzte sich zu gleicher Zeit. Die Damen folgten schweigend und Arm in Arm. Zwei oder drei niedrige breite Stufen führten auf eine Fläche vor dem Altare, hier nahm der Maestro seinen Stand und stellte die Damen sich zur Seite, indem er noch einmal ernstlich durch Zeichen seine Befehle zu schweigen wiederholte. Alsdann streckte er seinen nackten Arm aus seinem leinenen Mantel hervor, und wies mit seinem Zeigefinger auf fünf große Fackeln, die zu jeder Seite des Altars standen. Dieselben entzündeten sich bei der Annäherung seiner Hand oder vielmehr seines ausgestreckten Zeigefingers und verbreiteten ein starkes Licht im Gemache; dadurch konnten die beiden Damen erkennen, daß auf dem Altäre zwei große, gekreuzte Schwerter lagen; es war dort ferner ein großes Buch aufgeschlagen, wie sie dachten, die heilige Schrift, jedoch in einer für sie unbekannten Sprache; neben diesem geheimnißvollen Buch stand ein Menschenschädel; am meisten aber war den Schwestern ein großer, breiter Spiegel auffallend, welcher den ganzen Raum hinter dem Altare ausfüllte und von den brennenden Fackeln erleuchtet, das Bild der geheimnißvollen, vor denselben liegenden Gegenstände zurückwarf.

Der Maestro stellte sich alsdann zwischen beide Damen, wies auf den Spiegel und nahm jede bei der Hand, ohne jedoch eine Sylbe zu reden. Sie blickten starr auf den glänzenden und dunklen Raum, worauf er ihre Aufmerksamkeit gewandt hatte. Plötzlich bot die Oberfläche eine neue und wunderbare Erscheinung. Sie zeigte nicht länger das Bild der vor ihr befindlichen Gegenstände, sondern Gegenstände begannen innerhalb des Spiegels zum Vorschein zu kommen, als ob derselbe eine besondere Ansicht enthalte; zuerst erschienen die Dinge in ungeordneter, unbestimmter, gemischter Weise, als entstehe Ordnung aus einem Chaos; zuletzt zeigten sich deutlich und bestimmt deren Form und Ebenmaß. Nach einigem Wechsel des Lichts und der Dunkelheit auf der Fläche des wunderbaren Spiegels ordnete sich von beiden Seiten eine lange Perspektive von Bögen und Säulen, und ein gewölbtes Dach erhob sich auf dem oberen Theil derselben; nach vielen Schwingungen erhielt die ganze Vision einen bestimmten und bleibenden Charakter; es war das Innere einer fremden Kirche. Die Pfeiler waren stattlich und mit Wappenschildern behängt, die Bögen hoch und prächtig, der Fußboden mit Grabschriften bedeckt. Es fanden sich aber keine abgesonderte Kapellen; man sah weder Bilder noch auf dem Altare einen Kelch oder ein Kreuz; es war somit eine protestantische Kirche auf dem Festlande. Ein Geistlicher mit dem Genfer Predigerrock und Hemdkragen stand am Communiontische; die Bibel war vor ihm aufgeschlagen und sein Küster wartete im Hintergründe; er schien Vorbereitungen getroffen zu haben, um irgend eine geistliche Handlung der Kirche zu vollziehen, zu welcher er gehörte.

Zuletzt trat in das Schiff der Kirche eine zahlreiche Gesellschaft, wie es schien, ein Hochzeitszug, denn eine Dame und ein Herr gingen Hand in Hand voran, und es folgte eine große Menge von Personen beider Geschlechter in festlicher, sowie prächtiger Kleidung. Die Braut, deren Züge deutlich gesehen wurden, schien nicht älter als 16 Jahre und ungemein schön zu sein. Der Bräutigam bewegte sich einige Sekunden lang, indem er ihnen den Rücken zuwandte; die Zierlichkeit seiner Gestalt und seines Schrittes riefen aber bei den Schwestern plötzlich dieselbe Besorgniß hervor; als er sein Gesicht schnell auf sie hinrichtete, wurde die letztere auf furchtbare Weise bestätigt, denn sie erkannten in dem geschmückten Bräutigam den Sir Philip Forester. Seine Frau stieß einen unvollkommenen Ausruf aus, bei dessen Schall der ganze Auftritt in Unordnung gerieth und sich zu trennen schien.

»Ich kann es mit nichts vergleichen,« sagte Lady Bothwell, wann sie später die wunderbare Geschichte wieder erzählte, »als mit der Störung eines von ruhiger Wasserfläche zurückgeworfenen Bildes, wenn plötzlich ein Stein hineingeworfen wird, so daß die Schattirungen sich zerstreuen und zerbrechen müssen.«

Der Maestro drückte heftig die Hände der beiden Damen, als wolle er sie an ihr Versprechen und an die Gefahr erinnern, welcher sie sich aussetzten. Der Ausruf erstarb auf der Zunge der Lady Forester, ohne zum deutlichen Schall zu werden, und der Auftritt im Spiegel nahm, nach dem Schwanken einer Minute, wiederum den Anschein eines wirklichen Auftritts an, welcher innerhalb des Spiegels vorhanden zu sein schien; das Ganze war gleichsam ein Gemälde, mit der Ausnahme, daß die Figuren sich bewegten, anstatt eine bleibende Stellung einzunehmen.

Das Bild Sir Philip Foresters war jetzt in Gestalt und Gesichtszügen deutlich sichtbar. Man sah, wie er jenes schöne Mädchen zu dem Geistlichen hinführte, die Dame schritt zugleich mit Mißtrauen und einer Art liebevollen Stolzes vor. Mittlerweile betrat eine andere Gruppe von Personen, worunter zwei oder drei Offiziere sich befanden, ebenfalls die Kirche, gerade als der Geistliche die Brautgesellschaft geordnet hatte, und im Begriff stand, die Trauung zu vollziehen. Jene Gesellschaft trat zuerst heran, als wolle sie nur bei der Trauung zuschauen; plötzlich aber sprang einer der Offiziere, dessen Rücken den Zuschauern zugekehrt war, aus der Mitte seiner Gefährten heraus, stürzte hastig auf die Brautgesellschaft zu, welche sich sämmtlich nach ihm hinwandte, als sei sie durch einen Ausruf bestürzt worden, welcher sein Vortreten begleitete. Rasch zog der sich Eindrängende seinen Degen; auch der Bräutigam riß sein Schwert aus der Scheide und stürzte auf ihn zu; andere Anwesende zogen ebenfalls ihre Degen, sowohl diejenigen von der Brautgesellschaft, als auch mehrere von denen, welche zuletzt in die Kirche gekommen waren. Es entstand Verwirrung; der Geistliche und einige ältere, ernste Personen gaben sich offenbar Mühe, den Frieden zu erhalten, während die hitzigeren Herrn auf beiden Seiten drohend ihre Degen gegen einander schwangen. Jetzt aber war der Schluß des kurzen Zeitraums eingetroffen, während dessen der Wahrsager nach seiner Behauptung seine Kunst zeigen durfte. Die Dünste floßen wieder zusammen und lösten sich allmälig auf, so daß sie der Beobachtung entzogen wurden; die Gewölbe und Säulen der Kirche rollten auseinander und verschwanden; die Fläche des Spiegels warf wieder den Schein der Fackeln und die düstern Vorrichtungen auf dem Altar oder dem Tische zurück.

Der Doktor führte die Damen, welche seiner Stütze sehr bedurften, in das Zimmer zurück, von wo sie gekommen waren; dort war Wein, starkriechende Mischungen und andere Mittel, um eine unterbrochene Lebensthätigkeit wiederherzustellen, während seiner Abwesenheit herbeigeschafft worden; er nöthigte sie zum Sitzen, und sie befolgten schweigend seine Aufforderung; Lady Forester besonders rang dabei ihre Hände und richtete ihre Blicke zum Himmel, ohne jedoch ein Wort zu sagen, als befinde sich noch immer das Zauberspiel vor ihren Blicken.

»Ist dasjenige, was wir gesehen haben, gegenwärtig im Geschehen begriffen?« fragte Lady Bothwell, indem sie mit Schwierigkeit ihre Fassung wieder sammelte.

»Das,« antwortete Baptista Damiotti, »kann ich nicht bestimmt und mit Gewißheit sagen, was Ihr aber gesehen habt, ist jetzt im Geschehen begriffen oder erst vor kurzer Zeit geschehen, es ist das letzte bemerkenswerthe Ereigniß, worin der Cavaliero Forester eine Rolle spielte.«

Lady Bothwell sprach alsdann Besorgnisse hinsichtlich ihrer Schwester aus, deren veränderte Gesichtszüge und offenbare Bewußtlosigkeit dessen, was um sie her vorging, sie befürchten ließ, daß es vielleicht nicht möglich sein würde, sie wieder nach Hause zu bringen.

»Dazu habe ich Vorkehrungen getroffen,« erwiderte der Adept, »ich habe Eurem Diener Auftrag gegeben, Euren Wagen so nah an dies Haus zu schicken, als es die Enge der Straße gestattet. Hegt keine Besorgnisse wegen Eurer Schwester; gebt ihr aber, wenn Ihr nach Hause kehrt, diese beruhigende Arznei, alsdann wird sie sich Morgen früh besser befinden. Nur wenige,« fügte er mit einem schwermüthigen Tone hinzu, »verlassen dieß Haus so gesund, als sie es betreten. Da die Folgen der Bestrebungen, Kunde durch geheimnißvolle Mittel zu erlangen, solcher Art sind, so überlasse ich es Euch zu beurtheilen, von welcher Art der Zustand derjenigen sein mag, welche das Vermögen besitzen, solche dem gewöhnlichen Leben widerstrebende Neugier zu befriedigen. Lebt wohl, und vergeßt nicht den Trank.«

»Ich will ihr nichts geben, das von Euch kömmt,« sagte Lady Bothwell, »ich habe schon genug von Eurer Kunst gesehen. Vielleicht würdet Ihr uns Beide vergiften, damit Eure Zauberei geheim bleibt. Wir sind jedoch Personen, welche weder der Mittel, um ein uns erwiesenes Unrecht bekannt zu machen, noch des Beistandes von Freunden entbehren, um dieß wieder auszugleichen.«

»Ihr habt von mir kein Unrecht erduldet, Madame,« sagte der Adept. »Ihr habt einen Mann aufgesucht, der Euch wegen solcher Ehre keinen Dank weiß. Er sucht Niemand auf, und ertheilt nur denjenigen Antworten, die ihn auffordern und zu ihm kommen; übrigens habt Ihr nur etwas früher das Unglück erfahren, welches Euch zu ertragen beschieden ist. Ich höre den Schritt Eures Dieners an der Thüre, und will Eure Ladyschaft sowie Lady Forester nicht länger aufhalten. Die nächste Post vom Festlande wird Euch erklären, was Ihr zum Theil schon gesehen habt; laßt den Brief, wenn ich Euch rathen darf, nicht plötzlich in die Hände Eurer Schwester gelangen.«

Mit den Worten wünschte er der Lady Bothwell eine gute Nacht. Die Beiden gingen, indem der Adept ihnen leuchtete, in die Hausflur, wo derselbe hastig einen schwarzen Mantel über seine sonderbare Kleidung warf, die Thüre öffnete und die beiden Damen der Sorgfalt ihres Dieners anvertraute. Nur mit Schwierigkeit konnte Lady Bothwell ihre Schwester zum Wagen führen, obgleich derselbe nur etwa 20 Schritte entfernt war. Als sie nach Haus kamen, bedurfte Lady Forester der ärztlichen Hülfe. Der Familien-Arzt erschien und schüttelte den Kopf, als er ihren Puls fühlte.

»Hier ist,« sagte er, »eine heftige und plötzliche Erschütterung der Nerven eingetreten; ich muß die Ursache erfahren.«

Lady Bothwell gestand, daß sie den Geisterbeschwörer besucht hatten, und daß Lady Forester äußerst schlimme Nachrichten hinsichtlich ihres Gemahls Sir Philip erhalten habe.

»Dieser schurkische Quacksalber,« sagte der Doktor, »würde mich zum weisen Mann machen, wenn er in Edinburg bliebe; dieß ist schon der siebente Fall heftiger Nervenleiden, den er mir für meine Praxis durch die Wirkung des Schreckens hergeschafft hat.«

Er untersuchte alsdann die beruhigende Arznei, welche Lady Bothwell, ohne daran zu denken, in der Hand hielt, kostete dieselbe und erklärte, sie entspreche der ganzen Geschichte und würde den Gebrauch des Apothekers für alle Zukunft beseitigen. Alsdann schwieg er, warf der Lady Bothwell einen sehr ausdrucksvollen Blick zu und sagte zuletzt: »wie ich glaube, darf ich Eurer Ladyschaft wohl keine Frage über das Treiben dieses Hexenmeisters vorlegen.«

»Allerdings, Doctor,« erwiderte Lady Bothwell, »betrachte ich die Vorgänge als solche, die meiner Verschwiegenheit anvertraut sind; obgleich der Mann vielleicht ein Schelm ist, so müssen wir doch, da wir so thöricht waren, ihn zu befragen, auch so ehrlich sein, seinen Rath zu befolgen.«

»Ob er vielleicht ein Schelm ist? Still, still,« sagte der Doctor; »mich freut es nur, von Eurer Ladyschaft zu hören, daß Ihr diese bloße Möglichkeit bei Etwas noch gelten laßt, was aus Italien kommt.«

»Was aus Italien kommt, ist vielleicht eben so gut, Doctor, als das, was aus Hannover kommt. Wir wollen aber gute Freunde bleiben, und damit dieß der Fall ist, wollen wir nichts von Whigs und Tories mit einander sprechen.«

»Ich wenigstens nicht,« sagte der Doctor, indem er sein Honorar einsteckte und den Hut nahm; »mir ist ein Goldstück mit dem Bildniß von König Carl ebenso lieb, als ein anderes mit dem Bildniß von König Wilhelm. Allein ich möchte gern wissen, weßhalb die alte Lady St. Ringans und ihre ganze Genossenschaft ihre zusammengeschrumpften Lungen dazu braucht, um diesen fremden Kerl auszuposaunen.«

»Ha! es wäre wohl für Euren Zweck am geeignetsten, daß Ihr ihn für einen Jesuiten ausgäbet, wie der Schlaukopf im Schauspiele anräth.«

Somit trennten sich Beide nicht in der besten Stimmung.

Die arme Kranke, deren Nerven wegen der außerordentlichen Spannung in bedeutendem Grade erschlafft waren, fuhr fort, mit einer Art Blödsinn, der Folge abergläubischen Schreckens, zu kämpfen, als furchtbare Nachrichten aus Holland für sie anlangten, welche sogar die Erfüllung ihrer schlimmsten Erwartung verkündeten.

Dieselben wurden von dem berühmten Grafen Stair übersandt und verkündeten das traurige Ereigniß eines Duells zwischen Sir Philip Forester und dem Halbbruder der Frau desselben, Kapitän Falconer von den schottisch-holländischen Truppen, wie man dieselben damals nannte. Kapitän Falconer war in dem Duell getödtet worden. Durch die Ursache des Streites wurde die Nachricht um so betrübender. Wie es schien, hatte Sir Philip das Heer plötzlich verlassen, weil er eine große Geldsumme nicht bezahlen konnte, die er an einen andern Freiwilligen im Spiele verloren hatte. Er hatte seinen Namen verändert und seinen Wohnsitz in Rotterdam aufgeschlagen, wo er die Gunst eines alten und reichen Bürgermeisters erwarb, und zugleich durch seine schöne Gestalt und sein anmuthiges Benehmen die Liebe der Tochter desselben, eines einzigen Kindes, gewann, welche sehr jung, sehr schön und die Erbin eines sehr großen Vermögens war. Der reiche Kaufmann, welcher eine zu hohe Meinung vom brittischen Charakter besaß, als daß er Vorsichtsmaßregeln getroffen hätte, um sich nach der Lage und den Umständen seines zukünftigen Schwiegersohnes zu erkundigen, war entzückt über dessen anziehendes Benehmen, und gab seine Einwilligung zu der Heirath. Dieselbe sollte in der Hauptkirche der Stadt vollzogen werden, als die Trauung durch ein unerwartetes Ereigniß unterbrochen ward.

Kapitän Falconer war nach Rotterdam entsendet worden, um einen Theil der Brigade von schottischen Hülfstruppen, welche dort im Quartier lagen, dem Heere des Herzogs von Marlborough zuzuführen. Ein angesehener Mann in der Stadt, mit welchem er früher bekannt gewesen war, machte ihm den Vorschlag, zu seinem Vergnügen sich mit ihm in die Hauptkirche zu begeben, um dort der Trauung eines seiner Landsleute mit der Tochter eines reichen Bürgermeisters zuzusehen. Kapitän Falconer begab sich nebst einigen Offizieren der schottischen Brigade, von seinem holländischen Bekannten begleitet, in die Kirche. Man kann sich sein Erstaunen denken, als er seinen eigenen Schwager, einen verheiratheten Mann, dort erblickte, wie derselbe im Begriff stand, das unschuldige und schöne Mädchen zum Altar zu führen, welches er auf ebenso niederträchtige als unmännliche Weise betrogen hatte. Er verkündete auf der Stelle dessen Schurkerei, und die Vermählung wurde natürlich dadurch beseitigt. Der Meinung besonnener Männer entgegen, welche Sir Philip Forester als einen Schurken betrachteten, der sich der Stellung eines Mannes von Ehre begeben habe, gestand ihm Kapitän Falconer noch das Vorrecht eines solchen zu, nahm eine Herausforderung zum Duell an, und erhielt in dem Kampfe eine tödtliche Wunde.

Solcher Art sind die für uns geheimnißvollen Wege der Vorsehung. Lady Forester erholte sich niemals von der Erschütterung dieser betrübenden Nachricht.


»Geschah dies traurige Ereigniß,« fragte ich, »genau zur Zeit, als das Bild im Spiegel gezeigt wurde?«

»Es ist schlimm genug, muß man den Eindruck einer erzählten Geschichte in etwas lähmen; um jedoch die Wahrheit zu gestehen, muß ich sagen, daß sie einige Tage vor der Erscheinung im Spiegel sich ereignete.«

»Somit,« sagte ich, »ist auch die Möglichkeit gegeben, daß der Künstler durch eine geheime und schnelle Mittheilung eine frühzeitige Kunde von dem Vorfall erhielt.«

»Das behaupteten auch die Ungläubigen,« erwiderte meine Tante.

»Was wurde aber aus dem Adepten?« fragte ich.

»Nun, ein Verhaftsbefehl wurde bald darauf gegen ihn ausgestellt, um ihn wegen Hochverrats und als Agnaten des Ritters von St. Georg in's Gefängniß zu bringen. Lady Bothwell erinnerte sich der Winke, welche dem Doctor, einem eifrigen Freunde der protestantischen Thronfolge entwischt waren, und es fiel ihr somit ein, daß der Italiener hauptsächlich von den alten Damen ihrer eigenen politischen Partei gepriesen wurde; es schien ziemlich wahrscheinlich, daß Nachrichten vom Festlande, welche durch einen thätigen und einflußreichen Agenten übersandt wurden, den Paduanischen Doctor befähigten, das von ihr gesehene Zauberbild vorzubereiten. Es fanden sich aber so viele Schwierigkeiten für eine natürliche Erklärung, daß sie bis zu ihrem Todestage über den Gegenstand in Zweifel und geneigt blieb, den gordischen Knoten durch Zulassung übernatürlicher Einwirkung zu zerhauen.«

»Aber theure Tante,« fragte ich, »was ist aus dem Zauberer geworden?«

»Er war ein zu guter Wahrsager, um nicht das tragische Schicksal vorherzusehen, welches ihn erwarten würde, wenn er der Ankunft des Mannes mit dem silbernen Hühnerhund auf seinem Aermel, d. h. des Staatsboten, nicht aus dem Wege ginge. Er traf, wie man zu sagen pflegt, Maßregeln zu einer Wohnungsveränderung um Mitternacht; man hat niemals ihn seitdem gesehen oder von ihm gehört. Es entstand einiger Lärm über Papiere oder Briefe, die man in seinem Hause gefunden haben wollte, allein man vergaß die Sache zuletzt und sprach vom Doctor Baptista Damiotti bald ebenso wenig, als von Galenus oder Hippokrates.«

»Und ist auch Sir Philip Forester,« fragte ich weiter, »für immer von der öffentlichen Bühne verschwunden?«

»Nein,« erwiderte meine gütige Erzählerin, »man hörte wieder von ihm bei einer merkwürdigen Gelegenheit. Man sagt, daß wir Schotten, wenn wir wirklich als besondere Nation existiren, unter unsern vollen Scheffeln von Tugenden auch einige Gerstenkörner Laster haben. Besonders wirft man uns vor, daß wir Kränkungen und Unrecht selten verzeihen und niemals vergeben, daß wir unsere Rache ebenso zu unsern Götzen machen, wie die arme Lady Constance ihren Gram, und daß wir, wie Burnes sagt, ›unsern Grimm gehörig pflegen, damit wir ihn recht warm halten.‹ Lady Bothwell war nicht ohne dies Gefühl, und ich glaube, daß, mit Ausnahme einer Restauration der Stewarts, kein Ereigniß für ihre Empfindungen so entzückend gewesen wäre, als eine Gelegenheit, um an Sir Philip Forester wegen der tiefen und doppelten Verletzung Rache zu nehmen, wodurch er sie einer Schwester und eines Bruders beraubt hatte. Man hörte aber nicht eher von ihm, als bis viele Jahre verschwunden waren.«

Zuletzt – es war an einem Fastnachtsabend, an welchem die ganze modische Gesellschaft von Edinburg sich in größter Vollständigkeit versammelt hatte, zu einer Zeit ferner, in welcher Lady Bothwell ihren Sitz unter den Ausschüssen zur Leitung der Bälle und anderer Festlichkeiten einnahm, als ein Bedienter der Gesellschaft ihr in's Ohr flüsterte, ein Herr wünsche sie im Geheimen zu sprechen.

»Im Geheimen? und in einem Gesellschaftssaale? er muß verrückt sein; sagt ihm, er möge mich morgen früh besuchen.«

»Ich habe das schon gesagt,« erwiderte der Bediente, »der Mann hat mich dann ersucht, Euch dies Billet zu überreichen.«

Sie erbrach das Schreiben, welches sonderbar zusammengelegt und versiegelt war. Auf der Adresse standen nur die Worte: » In Angelegenheiten über Leben und Tod,« und zwar in einer Handschrift, die sie niemals vorher gesehen hatte. Plötzlich fiel es ihr ein, die Angelegenheit möge die persönliche Sicherheit eines Mannes aus ihrer politischen Partei betreffen; sie folgte deßhalb dem Boten in ein kleines Gemach, wo Erfrischungen zubereitet wurden, und wo die allgemeine Gesellschaft keinen Zutritt hatte. Sie fand einen alten Mann, welcher bei ihrer Annäherung aufstand und ihr eine tiefe Verbeugung machte. Sein Aeußeres bezeugte eine untergrabene Gesundheit; seine Kleidung, obgleich sorgfältig der Etiquette des Ballsaales gemäß angelegt, war abgetragen, von verschossenen Farben, und hing in Falten um seine abgemagerte Gestalt. Lady Bothwell stand im Begriff, ihre Börse hervorzuholen, um sich den Bittenden mit ein wenig Geld vom Halse zu schaffen; die Besorgniß jedoch, daß sie sich irren könnte, hielt ihre Hand zurück. Sie gab deßhalb dem Manne Zeit, seine Sache anzubringen.

»Habe ich die Ehre mit Lady Bothwell zu sprechen?«

»Ich bin Lady Bothwell; erlaubt mir Euch zu sagen, daß hier weder Zeit noch Ort für eine lange Erklärung ist; was steht Euch zu Befehl?«

»Eure Ladyschaft,« sagte der alte Mann, »besaß einst eine Schwester.«

»Allerdings, ich liebte sie wie meine eigene Seele.«

»Ferner einen Bruder.«

»Den tapfersten, gütigsten und liebevollsten Bruder,« sagte Lady Bothwell.

»Diese beiden geliebten Verwandten verlort Ihr durch die Schuld eines Unglücklichen,« fuhr der Fremde fort.

»Durch das Verbrechen eines unnatürlichen, blutgierigen Mörders,« sagte die Dame.

»Ich habe meine Antwort erhalten,« erwiderte der alte Mann mit einer Verbeugung, um Abschied zu nehmen.

»Halt, Herr! ich befehle es Euch,« sagte Lady Bothwell; »wer seid Ihr, daß Ihr an solchem Ort und zu solcher Zeit furchtbare Erinnerungen in mir zurückruft; ich bestehe darauf, dieß zu erfahren.«

»Ich bin Jemand, welcher gegen Lady Bothwell nichts Uebles beabsichtigt, der ihr im Gegentheil die Mittel verschaffen will, eine That christlicher Barmherzigkeit zu vollbringen, worüber die Welt erstaunen müßte, und welche der Himmel belohnen wird; ich finde sie jedoch nicht in einer Stimmung für solch ein Opfer, welches von ihr zu ersuchen ich mich vorbereitet hatte.«

»Sprecht es aus, Herr, was wollt Ihr?« sagte Lady Bothwell.

»Der Elende, welcher Euch so tief gekränkt hat,« begann der Fremde auf's Neue, »liegt jetzt auf seinem Todtenbette; seine Tage waren die des Elends, seine Nächte schlaflose Stunden der Angst – er kann nicht ohne Eure Vergebung sterben. Sein Leben war eine ununterbrochene Buße – er wagt jedoch nicht, sich von seiner Bürde zu trennen, so lange Euer Fluch auf seiner Seele ruht.«

»Sagt ihm,« erwiderte Lady Bothwell mit finsterem Ausdruck, »er möge Verzeihung von dem Wesen erflehen, welches er so tief gekränkt hat, nicht aber von einer dem Irrthum ausgesetzten Sterblichen wie ich. Wozu kann ihm meine Vergebung helfen?«

»Sie kann ihm von großer Bedeutung sein,« erwiderte der alte Mann; »sie kann ihm eine Vergebung verkünden, die er alsdann von seinem Schöpfer, Mylady, und von dem Eurigen erflehen kann. Bedenkt, Lady Bothwell, daß auch Ihr ein Todtenbett zu erwarten habt; Eure Seele muß, wie alle menschlichen Seelen, den Schrecken empfinden, vor das letzte Gericht mit den frischen und schmerzenden Wunden eines nicht geheilten Gewissens zu treten – wie würde Euch dann der Gedanke quälen – ›Ich habe keine Gnade ertheilt – wie darf ich um dieselbe flehen?‹«

»Mann, wer du auch sein magst,« erwiderte Lady Bothwell, »dränge mich nicht in so grausamer Weise. Es wäre gotteslästerliche Heuchelei, würden meine Lippen die Worte äußern, gegen welche jeder Schlag meines Herzens sich auflehnt. Bei ihnen würde sich die Erde öffnen, um die verwelkte Gestalt meiner Schwester – die blutige Gestalt meines gemordeten Bruders zu entsenden – ihm vergeben? niemals.«

»Großer Gott!« rief der alte Mann, indem er die Hände emporhielt, »so also, so also gehorchen die Würmer, welche du aus dem Staube erschufst, den Befehlen ihres Schöpfers? Lebe wohl, stolzes und erbarmungsloses Weib! Frohlocke, daß du zu einem Tode in Mangel und Schmerzen die Pein religiöser Verzweiflung hinzugefügt hast; niemals aber wieder verhöhne den Himmel durch ein Gesuch um die Verzeihung, welche du zu gewähren dich weigertest.«

Er wandte sich von ihr ab.

»Halt!« rief sie aus, »ich will es versuchen, ja, ich will es versuchen, ihm zu verzeihen.«

»Edle Dame,« sagte der alte Mann, »Ihr werdet die schwer beladene Seele erleichtern, die sich nicht von ihrem sündigen Gefährten von Erde zu trennen wagt, ohne mit Euch den Frieden geschlossen zu haben. Was weiß ich – Eure Vergebung bewahrt vielleicht der Buße die Hefen eines elenden Lebens.«

»Ha!« rief die Dame aus, indem ihr ein plötzliches Licht aufging; »es ist der Schurke selbst!« Sie ergriff den Sir Philip Forester – denn dieser war es in eigener Person – am Rockkragen, während sie ausrief: »Mörder, Mörder, verhaftet den Mörder!«

Bei einem an solchem Orte so auffallenden Ausrufe stürzte die Gesellschaft in das Zimmer, allein Sir Philip Forester war aus demselben verschwunden. Er hatte sich von Lady Bothwell losgerissen und war aus dem Gemache hinausgelaufen, dessen Thüre an den Ausgang der Haupttreppe stieß. In dieser Richtung schien sein Entkommen unmöglich, denn mehrere Personen kamen die Treppe hinauf, und andere gingen dieselbe hinab, allein der unglückliche Mann war verzweifelt; er sprang über das Treppengeländer und gelangte mit einem Sprunge von wenigstens 15 Fuß auf die Hausflur, von wo er auf die Straße stürzte und sich dort im Dunkel verlor. Einige Mitglieder der Familie Bothwell verfolgten ihn, und würden den Flüchtling vielleicht erschlagen haben, hätten sie ihn eingeholt, denn damals floß das Blut heiß in den Adern der Schotten. Die Polizei mischte sich nicht ein, weil das größere Verbrechen vor langer Zeit und in fremdem Lande sich ereignet hatte. Man war übrigens immer der Meinung, daß dieser außerordentliche Auftritt weiter nichts als ein heuchlerischer Versuch von Sir Philip war, welcher die Gewißheit zu erlangen wünschte, ob er, vor der Rache einer Familie gesichert, die er so schwer verletzt hatte, nach Schottland zurückkehren könne. Da das Ergebniß seinen Wünschen entgegen ausfiel, so ist er wahrscheinlich zum Festlande zurückgekehrt und dort in Verbannung gestorben.



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