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Fünfzehntes Kapitel.

Der Jüngling, sagt Moralist Johnson, kümmert sich nicht um das Steckenpferd des Knaben, der Mann nicht um die Geliebte des Jünglings; und Mordaunt, da er sich von dem fröhlichen Tanze ausgeschlossen sah, mag manchem Leser lächerlich erscheinen, und dennoch würde sich derselbe in einer ähnlichen Stimmung befinden, wenn er sich in einem geselligen Kreise, freilich anderer Art, plötzlich von dem gewöhnlichen Platze, den er in demselben behauptete, verdrängt sähe. Es fehlte indes auch nicht an Unterhaltung für solche Gäste, die entweder dem Vergnügen des Tanzes abhold oder so unglücklich gewesen waren, keine Tänzerin nach ihrem Gefallen zu finden. Halcro, jetzt vollkommen in seinem Elemente, hatte ein Auditorium um sich versammelt, dem er seine Dichtungen, mit dem ganzen Enthusiasmus des alten ruhmgekrönten, von ihm vergötterten Dryden vordeklamierte, und von dem er dagegen all jene Lobsprüche entgegennahm, die dem Rezitator eigener Gedichte wenigstens so lange, als seine Ohren sich noch im Bereich der Kritik befinden, gespendet zu werden pflegen.

Halb zuhörend, halb in seine eigenen Betrachtungen versunken, stand Mordaunt Mertoun nahe der Zimmertür und in der äußersten Reihe des kleinen Kreises, der sich um den alten Halcro gebildet hatte, während dieser – nach einer dumpfen, wilden, einförmigen Weise, die nur zuweilen durch die Bemühung des Sängers, gewissen Stellen eine größere Anziehungskraft oder Nachdruck zu geben, Veränderung erlitt – die folgende Nachahmung eines nordischen Kriegsgesanges vortrug:

Blutrot sieht man die Sonne aufgeh'n,
Bang, drückend ist des Windes Weh'n;
Von Klippen steigt der Aar empor,
Der Wolf kommt aus der Kluft hervor;
Es späht der Hund aus dem Versteck,
Der Rabe lauscht auf seinem Fleck;
Man hört nur Kreischen, Krächzen, Stöhnen,
Und jedes sagt in wilden Tönen:
Ei, bald zum Totenmahl es geht!
Des blonden Harold Flagge weht!

Die Mähne fliegt im Winde wild,
Es glänzt der Helm, es blitzt der Schild,
Und mancher Arm die Streitaxt schwingt,
Die durch den Wald von Lanzen dringt.
Der Rosse Wiehern, Waffenklang
Tönt durch die dichten Reih'n entlang;
Führer rufen, Cymbeln klingen,
Laut hört man den Barden singen:
Kommt, Ihr Tapfern, Mann bei Mann;
Norweger! kommt zum Kampf heran!

Denkt nicht an Schlummer, nicht ans Mahl,
Erwäget Vorteil nicht, noch Zahl;
Muntre Schnitter, kommt, zu mäh'n
Die Halm' im Tal und auf den Höh'n;
Dicht oder dünn, hart oder weich,
Fall' alles unter Eurem Streich.
Vorwärts mit der breiten Schneide,
Bringt der Ernte blut'ge Beute!
Vorwärts, Fußvolk, – Reitersmann!
Auf, Norweger! – Mutig dran!

Die Ihr gewählet Kampf und Schlacht,
Euch Odins Tochter treu bewacht,
Hört, was sie Euch prophezeit:
Sieg und Reichtum, Herrlichkeit
Und Walhallas rauschend Heil
Wird Euch Tapfern dann zu Teil;
Der Tafel und des Kampfes Freuden
Wird Euch die Ewigkeit bereiten:
Zum Angriff, Fußvolk, Reiterei;
Kämpft wie Norweger, sterbet frei!

»Die armen, unglücklichen, verblendeten Heiden,« sagte Triptolemus mit tiefem Seufzer, »da sprechen sie von ihren ewig gefüllten Metkrügen, und ich zweifle, ob sie auch nur ein Stückchen Landes bearbeiten könnten!«

»Um so gescheitere Gesellen sind's gewesen, Nachbar Yellowley,« erwiderte der Poet, »wenn sie Bier ohne Gerste zu brauen verstanden.«

»Gerste! hilf Himmel!« rief der Ackerbauer, »wer hörte je von Gerste hierzulande? Vierzeiliges armseliges Zeug ist alles, was sie haben, und ein Wunder ist's, daß sie je eine Aehre davon sahen. Da pflügt ihr das Land mit einem winzigen Dinge, das ihr einen Pflug nennt, – ebensogut könntet ihr es mit den Zähnen eines Kammes aufwühlen; ja, wenn man so einen echt schottischen Pflug sieht, mit einem Kerl wie Simson zwischen den Stielen, der ein Gewicht darauf legt, stark genug, einen Berg niederzudrücken, und mit zwei stattlichen Ochsen und eben so vielen breitbrüstigen Pferden bespannt, wer so etwas gesehen, kann von andern Dingen schwatzen, als von diesen alten Geschichten von Krieg und Blutvergießen, dessen die Welt schon zuviel gesehen hat.«

»Ketzerei ist es,« rief der kleine Poet, sich aufblähend, als ob die Verteidigung der ganzen Inselflur auf seinen Schultern ruhe, »sein Vaterland nennen zu hören, wenn man nicht zu seiner Verteidigung bereit ist. Es gab eine Zeit, wo wir, wenn wir auch nicht gutes Bier und guten Aquavit zu brauen verstanden, doch gar wohl wußten, wo wir sie für uns bereits fertig fanden. Aber jetzt sind die Abkömmlinge von Seekönigen, Kämpen und Berserkern nicht mehr imstande, ihre Schwerter zu gebrauchen, gerade als ob es lauter Weiber waren.«

»Gesprochen wie ein Engel! Du edelster aller Poeten!« rief Cleveland, der sich während einer kleiner Tanzpause dem kleinen Kreise genähert hatte, der dieses Gespräch führte, – »Die alten Kämpen, von denen Ihr uns gestern abend erzähltet, waren kräftige Gesellen, Freunde der See, und Feinde von allem, was darauf schiffte – Männer, deren Taten Stoff für die Harfe boten . . Ihre Schiffe mögen plump gewesen sein, aber wenn es wahr ist, daß sie damit bis nach der Levante segelten, so haben sicher seit Menschengedenken bessere Burschen wohl nie ihre Segel aufgezogen.«

»Ja, ja,« versetzte Halcro, »in jenen Tagen konnte niemand sein Leben und sein Eigentum sein nennen, war sein Wohnsitz nicht wenigstens zwanzig Meilen von der blauen See entfernt. Wurden doch in allen Kirchen Europas öffentliche Gebete gehalten für die Befreiung vom Joch der Normannen. Und nun soll nicht einmal unsere Gerste ohne schottischen Beistand wachsen« – (bei diesen Worten warf er einen sarkastischen Blick auf den Verwalter) – »ich wollte, ich sähe die Zeit kommen, wo wir wieder unsere Waffen wider die Welt kehren können.«

»Fürwahr, gesprochen wie ein Held,« sagte Cleveland.

»Ja, ja,« fuhr der kleine Barde fort, »ich wollte, unsere Barken, einst die Meerdrachen der Welt, glitten noch einmal mit der rabenschwarzen Flagge über die Fluten, die Verdecke von glänzenden Waffen starrend, statt mit Stockfischen bedeckt, – mit unsern furchtlosen Händen dasjenige erringend, was der geizige Boden verweigert – jeden alten Groll, jede neue Beleidigung vergeltend – ernten, wo wir nicht gesäet, einsammeln, wo wir nimmer gepflanzt – froh und lachend durchs Leben ziehend, selbst dann noch lächelnd, wenn wir von hinnen gerufen werden.«

So sprach Claus Halcro in einer gewiß ganz nüchternen Stimmung, seufzte doch sein ohnehin nicht zu den stärksten gehörendes Gehirn unter der Last von fünfzig gut eingetrichterten Gesängen nebst fünf Pokalen »Usquebaugh« und Branntwein. Cleveland klopfte ihm, halb im Ernste, halb im Scherze, wieder auf die Schulter, und wiederholte sein: »Gesprochen wie ein Held.«

»Gesprochen wie ein Narr, so ist meine Meinung,« rief Magnus Troil, dessen Aufmerksamkeit durch die Heftigkeit des kleinen Poeten ebenfalls rege gemacht worden war, – »wo wollt Ihr denn kreuzen und gegen wen? wir alle, denke ich, sind Untertanen Eines Reiches, und ich gebe Euch zu bedenken, daß Euer Zug Euch leicht an den Galgen bringen könnte. Ich mag die Schotten nicht – nehmt's nicht übel, Herr Yellowley – das heißt, ich möchte sie ganz gut leiden, wenn sie ruhig in ihrem eigenen Lande blieben und uns mit unsern Sitten und Gebräuchen zufrieden ließen – dann sollten sie bis zum jüngsten Tage vor mir Ruhe haben. Mit dem, was uns, wie das Sprichwort sagt, die See spendet und das Land spendet, und was ehrliche Nachbarn uns verzehren helfen, sind wir, beim heiligen Magnus! meiner Meinung nach, fast zu glücklich.«

»Ich weiß, was der Krieg ist,« nahm ein alter Mann das Wort, »und ich möchte ebenso lieb durch den Roost von Sumbourgh in einer Muschelschale oder einem noch armseligern Fahrzeug schiffen, als mich noch einmal hineinwagen.«

»Und welche Kriege sahen Eure Tapferkeit?« fragte Halcro, der, ob er gleich aus Achtung seinem Wirte nicht widersprechen mochte, doch aber nicht der Mann war, so schnell seinen Satz aufzugeben.

»Ich wurde gepreßt,« antwortete der alte Triton, »um unter Montrose zu dienen, als er ums Jahr 1651 hierher kam, und einen Teil von uns, mir nichts dir nichts, hinwegführte, damit uns in den Wildnissen von Strathnavern die Kehlen abgeschnitten würden. – Nie werde ich es vergessen, wie schlimm wir mit Lebensmitteln daran waren, – was hatte ich nicht gegeben für einen Mundvoll von Burgh-Westras Roastbeef – oder für ein Gericht saure Fische? – Wenn unsere Hochländer so eine Trift Ochsen einbrachten, machten wir keine Umstände damit, schossen und schlugen drauf los, jagten das Fell ab, brieten und rösteten, so wie es jedem zur Hand kam, bis wir, gerade wenn unsere Bärte am fettesten waren, plötzlich – Gott sei bei uns – ein Pferdegetrappel hörten – dann fielen einige Schüsse –eine ganze Salve folgte, – und wenn uns dann die Offiziere zu stehen geboten, die meisten von uns aber sich nach dem Wege umsahen, auf dem sie am leichtesten davon laufen konnten, brachen sie plötzlich herein, zu Pferde und zu Fuß, den alten John Urry oder Hurry, wie sie ihn nannten, an ihrer Spitze, – und jagten uns; und wir fielen, dicht wie die Stiere, die vor fünf Minuten unter unsern Schüssen und Schlägen dahinstürzten.«

»Und Montrose,« fragte die sanfte Simme der reizenden Minna, »und was ward aus Montrose, und wie benahm er sich?«

»Wie ein Löwe, der mit dem Jäger kämpft,« erwiderte der Alte, »aber ich blickte nicht zweimal nach seinem Wege, denn der meine lag hinter den Hügeln.«

»Ihr verließet ihn also?« fragte Minna mit einem Tone tiefster Verachtung.

»Es war nicht meine Schuld,« entgegnete der Alte, etwas außer Fassung; »auch war ich dort nicht aus freier Wahl; überdies, was hätte ich auch ausrichten können? liefen doch alle übrigen wie Schafe davon.«

»Ihr hättet mit ihm in den Tod gehen müssen,« sagte Minna.

»Um mit ihm in unsterblichen Liedern, bis in alle Ewigkeit zu leben,« fügte Claud Halcro hinzu.

»Ich danke Euch, Miß Minna,« erwiderte der einfache Shetländer; »und auch Euch, alter Freund Claud! – Aber ich mag doch lieber Eure Gesundheit lebendig in diesem Becher trinken, denn als Toter von Euch besungen werden um der Ehre willen, daß ich vierzig oder fünfzig Jahre früher starb. – Aber was half es auch? Kampf oder Flucht war alles eins; – sie fingen Montrose, trotz seiner Heldentaten, und auch mich, der durchaus keine Heldentaten vollbrachte; er, der arme Teufel wurde gehangen, mich aber« –

»Euch peitschten sie doch und salzten Euch ein,« rief Cleveland, dem bei der Erzählung des feigen Shetländers der Geduldsfaden riß.

»Ei was, Pferde peitscht man und salzt Rindfleisch ein,« sagte Magnus. »Ihr glaubt doch nicht etwa, mit Eurer Schiffsherrnmiene unserm guten alten Nachbar Haagen die Schamröte ins Gesicht zu jagen, weil er froh ist, daß er nicht vor vierzig oder fünfzig Jahren totgeschlagen ward? Ihr habt zwar auch dem Tode ins Antlitz geschaut, mein mutiger junger Freund! aber mit den Augen eines jungen Mannes, der sich gern berühmt machen wollte; wir aber sind ein friedfertiges Volk, – friedfertig, so lange jemand friedfertig sein kann, das heißt, bis jemand unverschämt genug ist, uns oder unsern Nachbarn unrecht zu tun; geschieht das aber, so dürfte sich vielleicht das Blut in unsern Adern nicht viel kühler zeigen als das der alten Skandinavier, denen wir unsere Namen und unsere Abkunft verdanken. – Fort also jetzt zum Schwerttanz, damit sich die Fremden, die sich in unserer Mitte befinden, überzeugen, daß unsere Schwerter und unsere Hände einander durchaus nicht fremd geworden sind.«

Aus einer alten Waffenkiste wurde jetzt ein Dutzend Säbel vorgeholt, deren Rostfarbe bewies, wie selten sie ihre Schneiden verließen. Damit bewaffnete sich eine gleiche Zahl junger Shetländer, an die sich unter der Anführung von Minna Troil, sechs junge Mädchen anschlossen. Das Musikchor stimmte sofort eine Melodie an, derjenigen der alten Kriegstänze gleich, wie sie vielleicht noch jetzt auf diesen entlegenen Inseln gebräuchlich sind.

Der Anfang war anmutig und majestätisch; die Jünglinge hielten ihre Schwerter erhoben, ohne sonderliche Bewegung; aber die Musik und die damit übereinstimmenden Gebärden der Tänzer wurden allmählich immer belebter; sie schlugen mit ihren Schwertern taktmäßig gegeneinander, mit einer Gewalt, die diese Uebung in den Augen des Zuschauers als höchst gefährlich erscheinen ließ; obgleich die Sicherheit und die Genauigkeit, mit der die Tänzer im Takt blieben, die Gefahrlosigkeit der Schwertschläge verbürgten. Der am meisten bewunderte Teil der Darstellung aber war der Mut der Tänzerinnen, die, von den Schwertmännern umgeben, bald den Sabinerinnen in der Gewalt der Römer glichen; bald aber auch wieder, sich unter den stählernen Bogengang bewegend, den die Jünglinge gebildet, indem sich ihre Schwerter über den Häuptern ihrer schönen Tänzerinnen kreuzten, – jenen Amazonen glichen, die sich zuerst in dem phyrrischen Tanze den Begleitern des Theseus anschlossen. Aber am vorteilhaftesten zeichnete sich unstreitig Minna Troils Gestalt aus, die ganz dazu geschaffen schien, und daher von Halcro schon längst »Schwertkönigin« genannt worden war. Als letzte von allen blieb sie, als die Musik verklungen war, der Tanzregel gemäß, einen Augenblick lang auf dem Schauplatze, während die übrigen Tänzer und Tänzerinnen, die jetzt von ihrer Seite wichen, die Leibwache einer Fürstin zu sein schienen, die, sich auf ihren Wink entfernend, sie auf eine Weile in Einsamkeit läßt. Tief errötend, als schäme sie sich, der Gegenstand ungeteilter und allgemeiner Aufmerksamkeit gewesen zu sein, reichte sie mit vielem Anstande dem Kapitän Cleveland die Hand, der, obgleich er an dem Tanze keinen Anteil genommen, dennoch jetzt seine Pflicht erfüllte und sie zurück zu ihrem Sitze geleitete.

Als sie an Mordaunt vorübergingen, glaubte dieser zu bemerken, daß Cleveland seiner schönen Gefährtin etwas ins Ohr flüsterte, und daß ihre eilige Antwort von einer noch größeren Verwirrung begleitet war als sie noch vor kurzem, wo sie den Blicken der ganzen Gesellschaft ausgesetzt war, an den Tag gelegt hatte. Mordaunts Argwohn wurde dadurch ungemein geweckt, denn er kannte Minnas Charakter gar wohl und wußte recht gut, mit welcher Gleichgültigkeit sie bei anderen Gelegenheiten Schmeicheleien aufzunehmen pflegte, die ihr bei ihrer Schönheit und ihrer Lage ungemein häufig gespendet wurden.

»Wäre es möglich? Sollte sie wirklich diesen Fremden lieben?« war der erste trübe Gedanke, der jetzt in Mordaunts Gemüt emporstieg; – »und wenn dem so ist, was geht es mich an?« war der zweite, dem auf der Stelle die Betrachtung folgte, daß, obgleich er nie andere Rechte als die eines Freundes begehrte, die ihm jetzt entzogen schienen, er dennoch in Rücksicht auf dieses frühere Verhältnis Grund habe, über sie traurig und gegen sie aufgebracht zu sein, daß sie ihre Neigung an einen Menschen wegwerfe, den er derselben nicht würdig hielt.

Es mochte ungefähr um Mitternacht sein, als ein Pochen an der Pforte des Herrenhauses, von Musik begleitet, die Ankunft neuer Gäste verkündete, denen, der gastfreien Sitte dieses Landes gemäß, sofort die Türen geöffnet wurden.


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