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Vierzehntes Kapitel.

Wir verließen die Gesellschaft bei dem Zechgelage, in wilder Ausgelassenheit. Mordaunt, der wie sein Vater den Becher mied, nahm keinen Teil an der Fröhlichkeit, die der »muntre Seemann« mitsamt der »Schaluppe« verbreitete, bildete aber in seiner Trübnis ein um so willigeres Objekt für den redseligen Halcro, der sich an ihn anklammerte, wie die der Beute sichre Nebelkrähe an das sieche Lamm. Aber wie alles in der Welt, hätte auch Halcros Bericht über seinen freundlichen Schneiderwirt in Russel-Street mit allen Anhängseln über Kleidung und Moden und den Lebensbeschreibungen von fünf seiner engern Verwandten sein Ende gefunden, wäre er nicht durch Magnus Troils überlaute Stimme kurz vorher jäh unterbrochen worden .... »Was hat denn bloß unsern alten Magnus so in Hitze gebracht? Man sollte schier meinen, als wolle er seine Stimme gegen einen Sturm aus Nordwest versuchen!« meinte Halcro bei sich, Ueberlaut schrie er freilich, der alte Udaller, als ihm die Geduld riß bei den Meliorationsplänen, die ihm der Lord-Kämmerlings-Substitut jetzt rücksichtlos aufdrängen wollte...

»Bäume, Herr Kämmerlingsknecht,« rief er: »kein Wort mag ich davon hören... wir fragen den Teufel danach und wenn kein einziger auf der Insel wächst, hoch genug, daß ein Narr daran baumeln könnte. Wir wollen bloß Bäume haben, wie sie in unseren Häfen wachsen – Raaen aus Zweigen und Tauwerk als Blätter,«

»Aber die Austrocknung des Braebaster-Sees, von der ich sprach, Magnus Troil,« versetzte der beharrliche Verwalter, »und die meiner Ansicht nach von äußerster Wichtigkeit ist? ... Es gäbe zwei Wege, sie zu bewirken: die Ableitung des Wassers ins Linklater-Tal oder durch Stauung des Scalmester-Baches . . .«

»Ich wüßte noch einen dritten Weg, Herr Yellowley,« fiel ihm Magnus Troil ins Wort.

»Ich nicht, beim besten Willen nicht,« entgegnete Triptolemus mit einer Harmlosigkeit, wie sie kein Spaßvogel sich besser bei jemand wünschen kann, den er abtrumpfen will; »weil doch der Braebaster-Hill gegen Süden, die Anhöhe gegen Norden aber, deren Namen ich nicht behalten kann –«

»Nichts von Hügeln und Höhen, Herr Yellowley,« unterbrach ihn Magnus Troil, »einen dritten Weg noch gibt es, den See abzuleiten, und kein anderer soll, so lange ich lebe, versucht werden. Der Lord Kämmerer und ich, sagt Ihr, wären die gemeinschaftlicher Besitzer davon – mag sein! – Seht, jeder von uns braucht nur eine gleiche Quantität Branntwein, Zitronensaft und Zucker in den See zu tun, – ein Paar Schiffsladungen reichten hin dazu – und wenn wir dann alle muntern Udallars rund herum zu Gaste bitten, so wird, ich stehe Euch dafür, in vierundzwanzig Stunden trockner Grund und von dem Braebaster keine Spur mehr zu sehen sein.«

Ein lautes Beifallsgelächter antwortete auf diesen für Zeit und Ort so gut gewählten Scherz und brachte Triptolemus zum Schweigen. Eine lustige Gesundheit ward ausgebracht, ein munteres Lied angestimmt – das »Schiff« lud wieder aus – die »Schaluppe« machte ihre Runde, – das Duett zwischen Magnus Troil und Triptolemus, das durch seine überwiegende Lautheit die Aufmerksamkeit der Gesellschaft während eines Augenblickes ausschließlich beschäftigt hatte, ging in dem allgemeinen Gesprächschaos unter, und der, Poet Halcro suchte sich der Ohren seines jungen Freundes Mordaunt wieder zu bemächtigen.

»Wo blieb ich denn?« fragte er in einem Tone, der seinem ermüdeten Zuhörer deutlicher verkündetem, als Worte es zu tun vermocht hätten, wieviel von seiner Geschichte noch zu erzählen übrig sei ... »Ach ja, ich weiß schon – wir standen gerade vor der Tür des Kaffeehauses der hitzigen Köpfe – damals hielt es ein gewisser – – – Aber die Schwerenot!« rief er ärgerlich, »hier kann man kein vernünftiges Wort mehr sprechen, – hol' der Henker den Kerl aus Schottland! Er liegt sich schon wieder mit Magnus Troil in den Haaren.«

So war es in der Tat ... Fragen und Antworten, Bemerkungen und Erwiderungen wurden so lebhaft gegen einander ausgetauscht, daß der Disput einem Musketenfeuer nicht unähnlich war.

»Ei, so nehmt doch Vernunft an, Herr!« rief der Udallar, »und wenn Vernunft nicht zulangt, so wollen wir Euch mit Reimen dienen – Heda, kleiner Freund Halcro!«

Der kleine Sänger, mitten in dem zweiten Anfang seiner Erzählung gestört, fuhr bei dem Rufe auf, schnitt ein schlaues Gesicht, schlug mit der Hand auf den Tisch und markierte seine Bereitwilligkeit, seinem Wirte, wie es einem wohlgezogenen Gaste geziemt, den Rücken zu decken. Triptolemus erschrak ob dieser Verstärkung seines Gegners, hielt wie ein vorsichtiger General mit dem Angriff inne, den er auf Shetlands Rückständigkeit unternommen, und schwieg, bis er durch die beleidigende Frage des alten Udallars gereizt wurde: »Wo sind denn nun Eure Gründe, Herr Yellowley, womit Ihr mich vor einem Augenblick noch taub zu machen bemüht wart?«

»Nur Geduld,« versetzte der Ackerbauer, »was in der Welt könnt Ihr oder sonst jemand zur Verteidigung des Dinges sagen, das Ihr in diesem verblendeten Lande Pflug nennt? Selbst die wilden Hochländer in Caithreß und Sutherland können mit ihrem armseligen Werkzeuge mehr ausrichten!«

»Aber was habt Ihr denn daran auszusetzen, Herr!« fragte der Udallar, »laß mich Euren Tadel hören. Er pflügt unser Land, was verlangt Ihr mehr?«

»Nur einen Stiel hat er,« antwortete Triptolemus.

»Und wer zum Teufel,« rief der Poet, indem er sich bemühte, schlau dabei auszusehen, »wird zwei Stelzen nehmen, wenn er mit einer fortkommen kann?«

»Oder sagt,« fuhr Magnus Troil fort, »wie wäre es dem armen Neil aus Lupneß, der bei einem Sturz von der Klippe von Neckbreckan einen Arm verlor, möglich, einen zweistieligen Pflug zu regieren?«

»Das Geschirr ist von rohem Seehundsfell,« sprach Triptolemus weiter.

»So spart man das verarbeitete Leder,« entgegnete Magnus Troil.

»Er wird von vier armseligen Ochsen gezogen, die nebeneinander gespannt sind, und zwei Weiber müssen hinterdrein gehen, um die Furchen mit Schaufeln vollends zu stande zu bringen.«

»Trinkt einmal drauf, Herr Yellowley,« erwiderte der Udallar, »und laßt's Euch nicht verdrießen. – Unser Vieh ist zu mutig, als daß man eins hinter das andere spannen könnte; unsere Männer sind zu wohlerzogen, als daß sie die Feldarbeit ohne ihre Weiber verrichten möchten; unser Pflug pflügt unser Land – unser Land trägt uns Gerste; wir brauen unser Bier, essen unser Brot, und heißen Fremde dazu willkommen. Auf Euer Wohlsein, Herr Yellowley!«

Dies wurde in einem Tone gesprochen, der den Streit als beendigt zu erklären schien, und sogleich flüsterte auch Halcro seinem Freunde Mordaunt ins Ohr: »Die Sache ist abgemacht, und wir können nun wieder zu unserm Thema zurückkehren. – Ach richtig! wo blieb ich denn gleich? – Tim Timblethwaite schritt durch die Menge, kühn wie ein Löwe, und ich hinterher, ein kleines Päckchen unter meinem Arm, das ich zu tragen übernommen hatte, teils um meinem Hauswirt gefällig zu sein, denn der Ladendiener war gerade nicht bei der Hand, teils aber auch, daß ich um so sicherer eingelassen würde, denn nicht jedermann hatte Zutritt, wie begreiflich.« – Aber schon wieder wurde die Erzählung durch die laute Stimme des alten Udallars abgebrochen ...

»Ich will nichts weiter davon hören, Verwalter,« rief er.

»So möchte ich doch wenigstens noch etwas über die Pferdezucht sagen,« versetzte Triptolemus in einem fast um Gnade flehenden Tone ... »Eure Pferde hier, mein werter Herr! gleichen an Größen den Katzen und an Wildheit den Tigern,«

»Was ihre Größe betrifft,« erwiderte Magnus, »so kann man um so leichter auf und ab kommen –« (wie Triptolemus diesen Morgen selbst erfahren, dachte Mordaunt) »wem sie zu wild sind, der braucht sie ja nicht zu besteigen.«

Selbstbewußtsein verhinderte Yellowley, hierauf etwas zu erwidern. Er richtete einen kläglichen Blick auf Mordaunt, wie wenn er ihn bitten wollte, seinen Sturz von heute früh geheim zu halten; und der Udaller, seinen Vorteil gewahrend, ob ihm gleich die Ursache desselben nicht bekannt war, setzte ihm zu wie ein Mann, der sein ganzes Leben hindurch nicht gewohnt gewesen, Widerstand zu begegnen oder gar zu dulden.«

»Beim Blute St. Magnus des Märtyrers,« rief er aus, »Ihr seid ein schlauer Gesell, Herr Verwalter! Da kommt Ihr zu uns her aus einem fremden Lande, kennt weder unsere Gesetze, unsere Sitten, noch unsere Sprache, und doch wollt Ihr das Land regieren und uns alle zu Euren Sklaven machen.«

»Zu meinen Schülern nur, werter Herr!« sagte Yellowley, »und das allein zu Eurem eigenen Vorteil,«

»Wir sind zu alt, um in die Schule zu gehen,« antwortete der Shetländer. »Noch einmal laßt Euch sagen, wir wollen unser Korn säen und ernten, wie es unsere Väter getan – unser Brot essen, und unsere Türen offen halten wie sie. Fehlt's noch irgendwo in unseren Sitten, so werden wir das schon bei Zeit und Gelegenheit richtig ausgleichen. – Aber des gesegneten Täufers Feiertag wurde für fröhliche Herzen und flinke Beine geschaffen. Wer noch ein Wort von Gründen, wie Ihr es zu nennen beliebt, oder von ähnlichen Dingen spricht, soll ein Maß Seewasser verschlucken, – mein Wort drauf! – Und nun hier das gute Schiff, der muntere Seemann von Canton, noch einmal gefüllt zum Nutzen derer, die ihm treu bleiben! den andern sei es überlassen, sich nach dem Fiedelbogen der Geiger zu drehen, die uns da eben lustig aufgefordert haben. Allen Mädchen brennt's schon unter den Füßen, dafür stehe ich. – Nun, Herr Yellowley, ein freundlich Gesicht! – wie! spürt Ihr etwa die Wirkung »des munteren lustigen Seemanns,« – (und in der Tat zeigte Triptolemus etwas Unsicherheit in seinen Bewegungen, als er aufstand, um seinen Wirt zu begleiten) – »aber schadet nicht, wir wollen Euer schwaches Untergestell doch zum Tanzen bringen; – komm, komm, faß mich an, Triptolemus, – sonst trippelst Du, alter Triptolemus, ha, ha ha ha!«

Und nun segelte der mächtige, von Wind und Wetter mitgenommene Rumpf des Udallers, wie ein Kriegsschiff, das hundert Stürmen getrotzt, mit seinem Gaste im Schlepptau davon. Der größere Teil der Gesellschaft folgte ihrem Führer mit lautem Jubel; und nur einige, dem Becher sehr ergebene Trinker blieben zurück, die Wahl, die ihnen ihr Wirt gelassen, benutzend, um den muntern Seemann seiner neuen Ladung zu entledigen und die Becher fleißig zu leeren aufs Wohl des abwesenden Wirtes und auf das seines Hauses, was nebst andern freundlichen Wünschen als eine Apologie für den immer neu gefüllten Becher angesehen werden konnte.

Die übrigen erreichten bald den Tanzraum, einfach wie die Sitte der Zeit und des Landes. Gesellschafts- und Tanzsäle, außer in den Häusern der Adeligen, waren selbst in Schottland noch unbekannt; um so mehr war dies in Shetland der Fall; aber ein langes, niedriges, unregelmäßiges Gemach, dann und wann als Waren-Niederlage oder als Aufbewahrungsort für allerhand Gerät benutzt, war der ganzen Jugend von Dunroßneß als der Schauplatz jener fröhlichen Tänze bekannt, die bei Magnus Troils Festlichkeiten immer unter Freude und Jubel stattfanden.

Der erste Anblick dieses Raumes hätte eine Tanzgesellschaft der Gegenwart sicher zurückgeschreckt. Es war, wie gesagt, ein niedriger Raum, spärlich durch Lampen, Lichter, Schiffslaternen und ähnliche verschiedenartige Beleuchtungsanstalten erhellt, die nur ein dämmerndes Licht, sowohl auf den inneren freien Raum als auf die rund umher aufgehäuften Waren und Gerätschaften, Erntefrüchte, für den Wintervorrat angesammelt, oder Gegenstände warfen, die Neptun auf Kosten verunglückter Schiffe gezollt hatte, oder im Tausch gegen Fische oder andere Produkte seiner Besitzungen dem Hausherrn zugefallen waren, der, wie die meisten Eigentümer damaliger Zeit, zugleich Kaufmann und Landwirt war. Alle diese Kisten, Kasten und Ballen waren nun beiseite geschoben und aufeinander gehäuft worden, um Platz für die tanzenden Paare zu schaffen, die leicht und froh, als wäre ihnen der glänzendste Saal im Kirchspiel von St. James eingeräumt gewesen, ihre Nationaltänze mit liebenswürdigster Grazie aufführten.

Die dem Tanze zuschauende Greisengruppe mit ihren stark knochigen, durch den Kampf mit den Elementen verhärteten Gesichtern, dem rauhen Haar und Bart, den viele noch nach altnorwegischem Brauch trugen, sah ganz aus wie eine Schar ältlicher, die Spiele der Seenymphen belauschenden Tritonen. Die jungen Leute dagegen waren ungemein hübsch, schlank und wohlgebaut; die Männer mit langem, schönem Haar und von frischer roter Gesichtsfarbe, die bei dem weiblichen Teil in ein Kolorit voll unendlicher Zartheit überging. Bei ihrem guten musikalischen Gehöre begleiteten sie das Spiel eines Musikchors, dessen Klänge sich wohl anhörten, aufs genaueste, während die Alten entweder kritische Betrachtungen über die Tänzer anstellten, oder auch, von dem noch immer umherkreisenden Becher belebt, mit den Füßen den Takt traten.

Mordaunt blickte auf die Szene allgemeiner Freude mit schmerzlichem Gedanken an die bevorzugte Stelle eines Vortänzers, die ihm früher immer zugefallen war und die jetzt dem Kapitän Cleveland gehörte. Bemüht indessen, diese Kränkung sich nicht merken zu lassen, trat er jetzt zu seinen niedlichen Nachbarinnen, die ihn bei Tische so gern gesehen hatten, in der Absicht, eine von ihnen zum Tanz aufzufordern; aber die strenge alte Tante, die schon erwähnte Lady Glowrowrum, war durchaus nicht geneigt, die bei Tische geführte Unterhaltung weiter spinnen zu lassen, sondern erklärte Mordaunt, nachdem sie ihm für seine Artigkeit gedankt, daß ihre beiden Nichten, die mißvergnügt und schweigend neben ihr saßen, schon für den ganzen Abend versagt seien; was er aber bald als Ausflucht erkannte, denn die beiden Schwestern nahmen gleich darauf an dem Tanze teil mit den ersten besten Tänzern, die sie dazu aufforderten. Erbittert über diese offenbare Feindschaft, und nicht willens, sich einer zweiten solchen Kränkung auszusetzen, zog sich Mordaunt vom Tanze zurück, mischte sich unter die Zuschauer am untern Ende und versuchte dort, den Beobachtungen anderer entzogen, das Gefühl seiner Kränkung mit aller Philosophie seines Alters, nämlich gar keiner, – zu bekämpfen.


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