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Rede an die Studenten

Herbst 1945

Meine lieben jungen Freunde!

Nach schreckenvollen Jahren, nach tiefsten Erschütterungen unseres Glaubens, unserer geistigen und physischen Existenz, finden wir uns in den Trümmern unserer Hochschule wieder zusammen, um für unser Leben den neuen Grundstein zu legen. In Trümmern liegt unser Reich, in Trümmern unsere Stadt, in Trümmern liegt in so manchem von euch alle Zuversicht, aller Glaube an die Echtheit des fremden, des eigenen Gefühls. So zögert wohl mancher, zwischen Trotz und Bestürzung schmerzhaft hin und her gerissen, dem Sinn noch zu trauen, den wir euch weisen wollen. Ja, uns zu trauen, die selbst in tiefster Bekümmerung um solchen Sinn uns mühen. Und reißt ihn eine dunkle Lebenskraft auch hinüber in ein dumpfbegehrtes Morgen – sein grübelndes Sinnen wird doch immer zurückgeholt in jenes Dämmerreich, das unsere Toten birgt, wo sie alle, die von den Fronten, die aus den berstenden Mauern, die aus den Kerkern, nun still zusammentreten und schweigend Schicksal spüren, wo wir noch qualvoll fragen.

Über solchem Grund, über unseren schweigenden Toten, wollen wir unser neues Tagewerk aufbauen. Möge es uns gelingen, daß wir aus ihrem Schweigen einen tieferen Sinn für unser Dennoch heraufheben.

Auch wir kehrten einst heim, als wir in euerem Alter waren, aus einem argen Krieg. Auch wir geschlagen, auch wir von den Erlebnissen draußen aufs tiefste verwundet in unserem Vertrauen in ein gütiges Leben. Schreckbilder der Schlachten grollten in uns nach, und manch eine Seele war damals schwer vom Sterben, fand nicht mehr zurück ins Gleichmaß seines wirkenden Tags.

Viele waren es, doch mehr wir anderen. Bei uns obsiegte der Glaube. Ja, dieser Glaube an eine besser einzurichtende Welt, an ein tieferes Vertrauen von Mensch zu Mensch, an ein Dichten und Bilden, das solchen Glauben, solches Vertrauen unmittelbarer ausdrücken sollte. Es hob uns hinüber über den Abgrund des Selbstverlustes. Es zwang uns aus der äußeren Not hinauf ins Abenteuer des Geistes. Mag sein, daß manchem von uns das Abenteuerliche allzusehr verlockte, daß wir darunter den echten Wurzelgrund verloren, der unserer Äußerung die tiefste Begründung, die volle Wahrhaftigkeit hätte sichern müssen. So flocht sich wohl manch unbewußte Lüge mit ins Gewebe unseres Lebensteppichs. Aber unser Glaube an das Göttliche im Leben war doch echt, und wir waren guten Willens. Aufrichtigen Herzens begannen wir unsere Arbeit am Leben.

Wir spürten es nicht oder ließen es uns doch nicht genug bekümmern, daß damals schon ein Riß drohte mitten durch die Generation, daß damals schon dumpfe Ressentiments über den Ausgang des Krieges und seine Folgen sich ballten, die alle Einsicht in eigene Mängel, in eigene Schuld an dem argen Geschehen zerstampften und jenen Neubeginn versäumen ließen, der uns Rettung schien. Wir spotteten ihrer in unserem Glaubensübermut. Wir gruben uns nicht tief genug hinein ins Volk, um dessen dumpfe Triebe zu lösen. So sahen wir kaum, daß wir weniger wurden, daß das Dunkle von hinten uns anfiel und untergrub. Doch davon später. Unsere Heimkehr war Glaube, war Wagnis und Beginn.

Wie anders ihr, Heimkehrer ohne Heim, ohne Zukunft, ohne tragende Vergangenheit. Vielen von euch hat der Krieg das Heim, gar die Heimat geraubt. Den meisten hat er die Zukunft mit bitteren Zweifeln verhängt, mit geistigen, mit materiellen Schwierigkeiten überbürdet und euere Vergangenheit, die Vergangenheit so vieler unter euch ward schmählich begraben, begraben durch die Schmach jener, die sie als blendende Gegenwart einzurichten sich unterfangen hatten. Nun wird euch ob dieser Vergangenheit das Schuldig gesprochen. Und ihr selbst seid unsicher geworden an euerem gestrigen Glauben.

Aber auch ihr anderen, die ihr früh schon die Trugbilder der Verführer durchschautet, euch abwandet und euch doch dem heraufbeschworenen Schicksal opfern mußtet – und ihr seid nicht weniger als jene –, auch ihr dürft nicht sicher sein. Auch euch ist der Glaube so furchtbar erschwert durch die Gegnerschaft einer Wirklichkeit, die euch nicht aufnimmt, durch die Zweifel am kulturellen Gefüge, an dem weiterzuwirken ihr doch berufen seid. Der Alptraum, mit dem jene die Massen schreckten, der in sehr anderer Tiefe in uns selbst bohrt –, daß diese Kultur bedroht sei vom Ende, ausgelebt sei und schon Brachland für ein rätselschwer aufziehendes Neue –, er hat für euch viel weiter vorgetriebene Wirklichkeit angenommen, als noch für uns damals. Er grinst heute in Ruinen und Gräbern in euer taghelles Leben herein und spukt durch euere Alltagssorgen und durch euere tieferen Ängste.

Ihr alle also, Verführte und Gegner des gebrochenen Systems, ihr beide seid Opfer. Ihr tragt euer Unsichersein nun heim in ein im Tiefsten verstörtes, in seinem Leben bedrohtes Volk. Wie könnte euch – wie es uns noch beschieden war – ein Glaube ans Wagnis gelingen. So steht ihr am Ende des grauenvollen Spuks in gleicher Verstörtheit vor euch selbst, wie wir an dessen Beginn, die gleiche furchtbare, das Selbst vernichtende Frage wälzend: Hat es noch Sinn zu leben? Ja, wie wir damals.

Ich denke ein Jahrzwölft zurück: Wie zerstörend brach der Umsturz in unser akademisches Leben herein. Was bislang eine im geistigen Streben verbundene Gemeinschaft schien, brach jäh und immer tiefer auseinander. Mit bitterem Schmerz sahen wir Älteren so manchen unserer Studenten plötzlich erkalten, wenn die Rede auf die Geschichte unseres Volkes kam. Ein kalter Fanatismus brach durch die jugendlichen Züge vor, und jähes Mißtrauen entgegnete unserer Warnung. Dem Mißtrauen folgte oft die Verachtung. Der tragende Grund unter Lehrer und Schüler war unterhöhlt.

Immer wieder mußte ich mich fragen, wie ist es möglich, daß diese gesunde und glaubensstarke Jugend der Narrenlockung verfällt? Wie ist es möglich, daß sie die Verbiegungen berechtigter Wünsche, die Unterschiebungen falscher Ansprüche, mit denen dort Volkspolitik betrieben wurde, nicht erkennt? Gewahrt sie denn nicht den Stempel der Subalternität, der auf die Stirnen all jener Führer, das Geheimzeichen der Brutalität, das auf so viele ihrer Antlitze gezeichnet war? Wo bleibt ihr gesundes Ahnen?

Ich mußte begreifen: Jugend sieht nur sich selbst. Von sich aus sieht sie die Welt, eine Welt, die ihren Erwartungen so wenig entspricht, und tritt an zum Protest. Und wahrlich, sie wäre nicht Jugend – wollte sie nicht protestieren! Da hört sie draußen den Schrei des Protests und vernimmt nicht, daß er aus haßheiserer Kehle dringt. Da sieht sie die Becher des Unmuts gigantisch gehoben und gewahrt nicht, wie brüchig sie sind, von tönernen Götzen gehoben. Sie schüttet ihren Glauben hinein und wähnt ihn geborgen. Und immer noch, während die Götzen ihn lächelnd schlürfen, während er schon verseucht ist vom Gifte der Spieler, immer noch funkelt er in ihren Herzen.

Ach, ein teuflisches Spiel ward mit euch getrieben. Man zerrte Ideen aus dem heiligen Grund des Volkstraumes empor, warf sie der Sentimentalität des Spießers zum Fraß hin, verdarb sie, bis sie, zu Fratzen erstarrt, zu grotesken Fanatismen ausgeglüht, die Welt bedrohten. Ja, die Gemeinschaft des Volkes, in einer vitalen Ordnung der Stände zum Volksstaat gegliedert, – ist sie nicht ein hehres Ziel, wenn sie sich in die Gemeinschaft anderer Völker einfügt zu ausgewogenem Grunde höhergreifender Ideen! Ja, der völkisch bestimmte Sozialismus – ist er nicht Sehnsucht der Zeit und ihr ehernes Gebot, seit einem Jahrhundert in Revolutionen und Kriegen erstrebt, wert des um ihn vergossenen Blutes, Rettung vor dem Fluch der Maschine, Rettung des Menschen zu sich selbst! Ja, die politische Geltung solcher Werte in der Welt, – muß sie als Wünschen nicht immer sich regen in einem Volk, das einstmals in seiner Geschichte seinen Wert hatte verwirklichen dürfen in einem starken Reich und das seither, noch zu vital, solchen Anspruch ins Geistige zu sublimieren, unter dem Mißverhältnis gespürten Wertes und versagter Geltung leidet!

Was aber hatten diese plumpen Spieler aus solchem Ideengut gemacht? Volksgemeinschaft – sie wurde verzerrt zu erbärmlicher Spießerherrschaft, zu Parteizwang und ärmlicher Lüge. Volkssozialismus – er ward um den Judaslohn klingender Milliarden verraten, jenen ausgeliefert, die Macht und Geltung verbürgten, zu verbürgen schienen, die die Waffen schmiedeten für eiserne Grimassen. Der Volksstaat in der Geltung der Welt – er ward unter den Händen jener zum Vampir, der weiterraste, der würgend und zermalmend um sich griff, bis er selbst zerbarst.

Das war ja das Satanische dieser Bewegung, daß sie, ihr Teuflisches listig zu verbergen, auch an Ideenwurzeln ansetzte, die dem gesunden Volk teuer waren, daß sie die Würde der Idee benützte, um auch manche unter jenen zu bannen, die den Demagogen durchschauten, die ihn verachten mußten. So antwortete ihm oft und auch von Gegnern, wenn auch kein Ja, so doch nur ein zages Nein. Denn in irgendeinem Grunde schien er in den Augen dieser Zagen noch recht zu haben, ein Zipfelchen Recht, das er dann aber zum Schrecken aller zum Monstrum Unrecht aufblies.

Und irgendwo traf er von der anderen Seite her auch bei vielen Zweiflern noch auf dumpfe Instinkte, die ihn heimlich-unheimlich bejahten, auf überkrustetes Minderwertigkeitsgefühl, das sich als Überheblichkeit jetzt legitimiert sah, auf verhärtete Feigheit und Kriecherei, die jetzt im Umschlag zur Grausamkeit gesetzlicher Duldung, ja Förderung gewiß sein durfte. So lockte er die einen aus ihren guten, die anderen aus ihren bösen Instinkten hinunter in den Abgrund der Schuld, die nun dem Volk als Ganzem aufgebürdet wird.

Über all dem ward ein für die Massen nebuloser Begriff vergottet: Ja, war es der vom »Volk«, war es der vom »Staat«? Mit ihm wurde abgeriegelt, was höhergreifen wollte, empor zur Würde des Menschen, zur Ehrfurcht, zum Heiligen. Ganz unten aber wurden die Feuer des Hasses geschürt, Haß gegen die Andersrassigen, Haß gegen die Juden, mit seinen schwelenden Flammen das dreist zusammengebogene Instinktgewirre zu durchglühen. Brutaler Haß, letzte Zuflucht aller Untermenschen, er sollte zusammenschmelzen, was Stümper und Narren ausschrien als Kultur. Doch nie, seit die Welt steht, hat Haß Kulturen errichtet.

Die Jugend damals – und vielfach bis gestern – sie durchschaute das Spiel nicht. Ihre kaum flügge Wahrheit verfing sich im Lügengewebe, trank den Haß ein als Tatenersatz und stolperte – ein Zug der Blinden – ins Opfer. Hier ziemt uns zu schweigen.

Nun ist euch alles zerbrochen. Unerbittliche Wirklichkeiten haben die schillernden Kelche zerschlagen, in denen ihr euer Vertrauen, eueren Glauben geborgen wähntet. Nun kehrt ihr zu uns zurück und begehrt zu wissen. Die einen unter euch begehren nur jenes Wissen, kraft dessen sie einen Beruf, sei es in eigener Verpflichtung, sei es nur in plumper Notwendigkeit zur Fristung der äußeren Existenz, ergreifen können. Manch anderer begehrt Tieferes zu wissen, begehrt Aufschluß über das Wie, das Warum des ganzen Geschehens, das über uns hingebrochen, das uns zermalmt hat. Begehrt Aufklärung über sein Volk, über sich selbst.

Weder dies eine noch jenes andere Wissen können und wollen wir Älteren euch so leichthin geben, gewiß nicht jenes andere ohne Grundlegung durch dieses eine. Wir wollen nicht aufbauen auf Trotz und Trümmern und Verzweiflung. Wir wollen sicheren Grund schaffen, auf dem euer Leben sich austragen kann. Das fordert viel innere Mühsal bei euch und bei uns. Vor allem – es fordert Wahrhaftigkeit und Vertrauen. Wir wollen die Mühsal auf uns nehmen. Wir wollen wahrhaftig sein, und wir wollen einander vertrauen.

Einander vertrauen – dazu gehört, einander helfen, die Schuld am Leben zu tragen, an unserem deutschen Leben. Wir Älteren wollen euch Jüngere nicht allein lassen im Bewußtsein, geirrt zu haben. Wir wollen uns euch gesellen im Bewußtsein, schuldig geworden zu sein an uns selbst. Wie durften wir ertragen, was wir getragen haben! Wie durften wir mit ansehen, was da geschah! Immer wird in uns die furchtbare Frage bohren: Warum, o warum warfst du dich nicht tollkühn gegen das Furchtbare, was da heraufzog. Warum setztest du dein Leben nicht ein, als der Frevel ausbrach rings um dich selbst, als du verzweifelt warst und verzehrt von Scham! O Lauheit des Herzens trotz all seiner Not! O armes Ermatten vor dem vergeblichen Opfer! Nun würgt in uns die Scham. Nun mag sie uns läutern zur Sühne.

Versteht mich recht, Kameraden! Nicht von jenem Schuldigsein ist hier die Rede, wie es von manchen Anklägern draußen und auch drinnen uns aufgebürdet wird, wie es unter gellendem Hinweis auf Schandtaten Einzelner erwiesen werden soll. Nein, was der Abschaum eines Volkes verbrach, ward nie in der Geschichte und werde auch heute nicht als Verbrechen des ganzen Volkes gebrandmarkt. Hier geht es um eine geheimere Schuld, eine Schuld, die nur der ganz ermißt, der im Leid zu sich selbst gelangt ist. Vor solchem Spruch müssen wir uns schuldig bekennen. Doch unser Bekenntnis mag alle, die heute im Weltgewissen stehen, erzittern lassen. In unserem Volkskörper – ja – ist der Giftherd aufgebrochen. Aber durchsickerten die Gifte nicht lange schon auch jene anderen, die heute in ihrer Gerechtigkeit zu erblinden drohen? Treibt unter der unseren, die wir auf uns nehmen wollen, nicht eine tiefere, eine metaphysische Schuld, die alle anklagt, die ganze gesittete Menschheit, weil sie abfiel vom Eigentlichen, weil sie den Sinn ihres Daseins verriet, in leichtfertigem Vorwärtshasten und Zielen glaubte, von deren furchtbarer Zweideutigkeit sie nun überfallen wird.

Wir wollen nicht abwälzen, was uns belastet, nein: indem wir die Schuldzonen weiterzirkeln als auf unser Volk allein, wollen wir den schmerzhaften Druckpunkt nur um so stärker auf unserem eigensten Gewissen spüren. Wir wollen aufrichtig sein. Wir stehen im völligen Zerfall, im Abgrund der Sorge, im tiefsten Zweifel an uns selbst. In solcher Lücke der Zeiten, da zwischen beklagtem Geschehen und ungewissem Werden die dunkle Schlucht aufreißt, daraus das ewige Schicksal drohend ein kleines Jetzt umflammt, da gibt es kein Entweichen vor sich selbst. Da tönen die Hämmer des Gerichts. Da frage sich ein jeder, wo seine Schuld haust, wo seine Sühne wartet.

Unsere Schuld, die Schuld eines jeden einzelnen von uns vor sich selbst: unserem eigenen Gewissen wollen wir sie eingestehen. Im Grunde unseres Wesens lauert neben warmem Genüge und schönem Empor, oft innig in sie verschlungen, eine geheime Dumpfheit, ein Brüten und Gären, deren Ausbrüchen ins Wirkliche wir im Reich der Bewußtheit nicht jene Wachheit und Gemessenheit entgegenzusetzen haben, wie sie allein dem Unberechenbaren jener dumpfen Seelenschichten ein ausgewogenes Wirken sichern könnten. So treibt aus diesem Grunde manche Schroffheit, manch jäher Wechsel von übersteigertem Selbstgefühl und in Halbheiten zerrinnender Unsicherheit herauf in unser verantwortliches Leben, das dessen gelassenen Verlauf, jenen Verlauf, der ihm vom Schicksal gelassen ist, gefährdet, oft ins Sinnlose stürzt. Wir wissen wohl: diese Dumpfheit ist Mutterboden auch der herrlichen Aufbrüche ins Geistige empor, in ihm wartet das Chaos, das den Stern gebären soll, aus diesem Grunde herauf hat der Deutsche die Welt bereichert. Jedoch zu solcher Sternenzone schwingt es sich nur in Wenigen auf. Meist brodelt es stumpf in sich zurück und grübelt über erlittenes Unrecht nach. Unrecht von außen scheint ihm, daß es sich nicht entfaltet hat zu klarer Form, daß es der Wirklichkeit auswich, statt sich in ihr zu sichern. Anklägerisch und wirren Einspruchs umnebelt es die eigentlichen Ziele, verkennt den Wert, den es versäumt hat, und glaubt nun den eigenen Wert verkannt.

Ja, wir wollen uns die Schwächen unseres Wesens eingestehen. Es kann, was groß in uns ist, nicht verdunkeln. Nur klarer absetzen und dadurch retten. Groß ist unsere Liebe zur Idee. Warum läßt sie uns nicht glücklich werden? Weil sie aus jenem dunklen Grunde zuviel Gestrüpp mit hochreißt, Halbheit der Leidenschaften und verworrenes Streben. Weil sie so oft zur Flucht wird vor einer näheren, schwer zu bewältigenden Wirklichkeit. Groß ist unsere Fähigkeit, innig zu fühlen. Warum durchwärmt sie nicht unseren Alltag, unsere Beziehung zum anderen zu heiterem Genuß unseres Daseins? Weil sie aus jenem dunklen Grund herauf umflackert ist von Ungenüge und Angst, Ungenüge vor der Bescheidung und Angst vor allzu großer Erweichung. So wird sie oft zur Flucht ins Sentimentale oder schlägt in falscher Selbstwehr ins Brutale um. Groß sind wir in sorglicher Tüchtigkeit. Warum zimmert sie uns nicht ein wohnlich Heim auf Erden? Weil jener dumpfe Grund sie hetzt und treibt, daß sie im wilden Vorstoß die innere Stimme überhört, die die Arbeit klären, sie sinnvoll gestalten möchte. Weil sie so oft uns blind macht für das Eine, was nottut, weil sie oft Flucht ist, Flucht vor uns selbst.

Wir könnten noch eine Schicht tiefer steigen in diesem dunklen Schacht unseres Wesens. Wir würden erschrecken vor den dunklen Mächten, die da hausen, gegen die, was gut in uns ist, so spannungsreich ankämpfen muß. Ein jeder von uns, Kameraden, möge es still für sich tun, aber wirklich tun. Wer nie über das Böse in seinem eigenen Urgrund erbleicht ist, der hat noch die Kräfte nicht erprobt, die ihm geschenkt sind, es abzuwehren.

Erst jetzt, nach solchem Selbstgericht des Einzelnen, darf er aufschauen. Erst jetzt dürfen und wollen wir in der Geschichte unseres Volkes uns erkennen. Das verlangt viel Besinnung, viel aufklärende Zeit. Hier sei nur von dem einen gesprochen, wie diese Geschichte ihre stolzen Ideen zu bedenklichen Ideologien hat werden lassen, bis sie in übersteigerten Nationalismen erstarrten.

Gewiß, auch die anderen Völker haben ihre Nationalismen gepflegt, haben in ihrer Befriedigung Schuld auf sich geladen. Aber ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen dumpfem Wollen und vernünftiger Annahme der Wirklichkeiten hat ihnen erreichbare Ziele vorgezeichnet. So konnten sie ihr nationales Wünschen sättigen, ohne es als dauernde Bedrohung der anderen, als dauernde Bedrohung des eigenen Wesens fortzüngeln zu lassen ins Heute. Es sind nicht nur Fügungen der Geschichte, die unsere Lage so gefährdet und gefährdend haben werden lassen. Auch die Geschichte wurde gefügt. Wir müssen die dunkle Schichtung unserer Seele als die fügende Macht dieser unserer Geschichte erkennen, müssen erkennen, daß solche Schichtung nicht unabänderliches Schicksal ist, sondern Aufgabe in der Zeit, Aufgabe eben einer sich selbst klärenden Geschichte. Heute wieder ist der Augenblick für solche Klärung gekommen. Versäumen wir ihn nicht!

Wir seien ein junges Volk – so wurde uns bis zum Überdruß verkündet. Die Nationalisten errichteten auf solcher Überzeugung ihre ins Maßlose gesteigerten Zukunftsziele – ein Verstehen für so manche Unart des eigenen Volkes glaubten die Nationalen mit dieser Überzeugung zu begründen. Zu Unrecht beide. Wie sollten wir jünger sein als die westlichen Nachbarn. Zur gleichen Weltenstunde sind wir angetreten, Roms Erbe und einen neuen Glauben uns anzueignen. Aus ihrer und unserer Arbeit erstand das gewaltige Ereignis der abendländischen Kultur. Mit ihnen haben wir sie hinaufgetragen bis zu ihrer höchsten Bewußtheit im Heute, in tragischer Verschuldung des Tuns und entsühnenden Leiden aufs Tiefste mit ihnen verbunden. Daß wir noch immer in wilder Nacktheit uns dem Leben bieten, daß wir oft recht jugendlich grob und ungestüm uns gebärden – ist es Jugend? Ist es nicht vielmehr ein Nichtgereiftsein? Älterwerden ist Reifwerden. Ach, daß wir nicht verstehen, älter zu werden, uns zu bändigen, den Ausgleich zu finden zwischen schöner Unmittelbarkeit und ernster Verantwortung durch Wissen!

Unsere Unmittelbarkeit – sie blieb uns erhalten bis heute. Sie ist unsere schönste, ach, auch unsere gefährlichste Gabe. Oft läßt sie uns den Herzschlag des Wesens spüren – doch auch den Abgrund reißt sie auf, wo Trotz und Selbstvernichtung einander folgen. So hat sie, die uns hätte schützen sollen vor dem Mammonlauf des Jahrhunderts, so hat sie ihn uns vergötzen lassen, so hat der Giftherd, der durch alle Völker rann, in unserem Volkskörper ausbrechen müssen. Vor unserem eigensten Gewissen gestehen wir unsere Schuld.

Unsere Sühne – wir leisten sie in harter Arbeit an uns selbst. Jeder Einzelne muß sie leisten, gerade der Einzelne. Er muß sie durchsetzen auch im Anderen. Im Beisammen liegen die Gefahren. Dieses Beisammen darf nicht mehr ein Ausweichen sein in beschönigende und vernebelnde Gesten, wie es das so oft ist, wie es jüngst im grausigen Massenwahn mündete. Ist es nicht erschütternd, wie unser im Einzelnen so tüchtiges Volk als Ganzes ausgleiten konnte in Verhetzung, Stumpfheit der Instinkte und in Feigheit. Ja, Diktatur wurde von oben her geübt. Aber die furchtbarere Diktatur war diese Feigheit im Innern. Nicht die Feigheit des Einzelnen als Einzelnem, sondern als Glied eines Beisammen. Die drohte dem Einzelnen, die zermürbte ihn, in ihr hatte die listige Diktatur von oben ihre unfehlbare Waffe. Dies Beisammen müssen wir ganz neu aufbauen. Vom ehrlichen Einzelnen aus erweitern ins ehrliche Gegenüber, ins ehrliche Gespräch der Vielen. Wir müssen lernen, die Gegensätze, die sich dann bilden werden, zu ertragen, statt sie zu verheimlichen im ängstlichen Drohruf der Masse. Dies neue Beisammen muß erhöhte Verantwortlichkeit aller Einzelnen werden, gesteigerter Wille zu Klarheit und Verzicht.

Ja, zu Verzicht. Wir müssen verzichten lernen. Verzichten nicht nur auf billige Alltagsfreuden, auf gesicherte persönliche Zukunft, nicht nur auf nationale Geltung, auf nationalen Besitz heute und morgen. Wir müssen auf alte Hoffnungen verzichten, auf uralte Träume. Das wird die bitterste Leistung sein, die unsere Sühne verlangt. Wir müssen sie als Volk leisten. Der Einzelne im Volk muß sie vorleben. Euch, meine jungen Freunde, ist aufgegeben, sie hinaufzutragen ins Morgen.

Ihr steht nicht ohne Rüstzeug da für diese schwere Arbeit an euch selbst, an den Anderen. Ihr tretet nach harten, führungslosen Jahren jetzt wieder ein ins gefestigte Reich wissenschaftlicher Haltung. In ihm seid ihr mit uns vereint. Wissenschaftliche Haltung heißt, nicht sich Wissen aneignen zu bequemer Nutzung, Wissen, das andere errungen haben. Wissenschaftliche Haltung heißt: Wissen erkämpfen zur Durchsetzung der Wahrheit, zur Sicherung eines wahrhaftigen Lebens. Wissenschaft ist nicht geschmeidiges Instrument zu listiger Eroberung der Naturgeheimnisse, zu brutaler und so vordergründiger Beherrschung der Erde. Wissenschaft ist Zielsetzung und Zucht; Zielsetzung zu immer tieferem Eindringen in die dunklen Regionen außen und in uns, Zucht zu lauterem und uneigennützigem Erforschen des einzig Wahren. Wissenschaftliche Bemühung soll uns Rückgrat sein zu phrasenloser Durchleuchtung der Wirklichkeit, zu unerbittlicher Aufdeckung des Notwendigen, gegen alle Umtriebe dumpfgärender Wollungen und Instinkte. Wissenschaftliche Bemühung soll uns Symbol sein für höchsten Verzicht: denn immer erfährt sie in ihrem Vollzug die eigene Vorläufigkeit: daß ihr Ergebnis von der auf ihr aufbauenden Bemühung wieder umgestoßen werden muß, um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Verzicht im Vollzug und im stets erneuerten Bemühen, ein heiliges Trotzdem, das ist ihr Ethos. Es muß unser Ethos werden, wenn wir versuchen, unsere Sühne zu leisten.

Kommt es euch schwer an, dies schmerzensreiche Wort Sühne zu ertragen, seinen Sinn für euch zu bejahen? Ist es für manche unter euch nicht schon viel, ein Geirrt-Haben zuzugeben? Wo, liebe Freunde, ist die Grenze zwischen Irrtum und Schuld? Und steht es unserem Volk nicht an, sich auf Jugendlichkeit auszureden, so eurer Jugendlichkeit nicht, euer Irren als deren Vorrecht zu verbrämen. Viel eher solltet ihr deren Vorzug, noch näher am Urschoß, am naiv-guten Empfinden zu hausen, als Anklage gegen euer Irren verspüren. Wo also – ich wiederhole es – ist die Grenze zwischen Irrtum und Schuld? Ihr Anderen aber, die ihr des Irrtums früh oder spät einsichtig wurdet und auch ihr, die ihr ihm vielleicht nie verfallen seid – muß in euch, wie in so vielen von uns allen, nicht ein Selbsterhaltungstrieb sich wehren, gegen solche Forderung, zu sühnen? Habt ihr, haben wir alle draußen und drinnen, nicht schon durch Jahre hindurch nichts als Sühne gelebt! Sühne im Schrecken der Frontgespenster, im Schrecken der Bombennächte, Sühne in Verwundung und Schmerzen, im Verlust von Hab und Gut, im Verlust der Nächsten, Sühne unter der alltäglichen Drohung der Diktatur und – am tiefsten – Sühne unter der allnächtlichen Drohung des eigenen Gewissens. Haben wir nicht für Generationen voraus gesühnt, gelitten mehr als viele Generationen vor uns, sie alle zusammen gelitten haben! Wie noch Sühne?

Gelebtes Leben zu Ende führen unterm Stern von Sühne und Verzicht – es erschien den Geschlechtern je und je voller Sinn. Sinnlos muß es euch scheinen, ein Leben unter solchem Stern zu beginnen. Euer junges Blut lehnt sich dagegen auf, hartnäckiger noch als euer junges Denken. Und doch müßt ihr es fassen, daß eurer Generation die ganze Bürde des Opfers auferlegt ist.

Dies unser Leben, wie es sich durch die Zeiten fortwälzt, wirft Moränenschotter ab, Restbestände angeschliffener Gefühle, verkümmerter Wünsche, Taten, die unerlöst im Gestein stecken blieben. Solcher Schotter knirscht zuweilen auf, zwängt das Strombett ein, macht, daß die Wellen in die Tiefe wühlen oder die Ufer überfluten. Da bricht die Krise auf, die Not im Inneren, im Äußeren. Die zehrende Not, die in Krieg und Empörung und Verzweiflung den Schotter zermahlen muß, das Strombett zu befreien. Da steigt der Stern des Opfers auf, ein leidvoller Stern. Wehe der Generation und heil ihr, der er erscheint. Wehe ihr, wenn sie ihm flucht – wenn sie ihn demütig grüßt, heil ihr. Unter ihm zehrt das Unausgelebte sich auf, das die Zeit gestaut hat, verbraucht sich im Opfer der wirklich Tragenden. Unter ihm reinigt sich die Welt.

Von euch, Kameraden, fordert dies Opfer solchen Vollzug. Generationen vor euch schoben es vor sich her blind oder listig. Die meine hat es nur halb aufgebrochen, dann aber höhnisch verweigert. Jetzt duldet es kein Entrinnen mehr. Jetzt bricht es auf euch herein. Spürt ihr die heimliche Wendung: daß ihr nun anklagt, die ihr verklagt werden solltet. Jetzt heischt das Opfer eure Tat.

Ja, opfern ist Tat. Laßt euch nicht hinunterlocken in den süßen Todesruf, den wir Deutschen unterm Anruf des Opfers so oft vernehmen. Uns Abendländern wandelt sich die Kreuzesduldung zur Kreuzestat. Euer junges Tun wird aufgerufen. Tätig sollt ihr das Schwere ertragen. Der Welttag fordert Neubeginn, nicht nur von uns Deutschen. Uns Deutschen aber hat er die Not gesandt als Hilfe. Aus unserer Not heraus erhellen sich die Ziele der armen Menschen.

Ziele! Ehe wir uns ihrer erinnern, sei eurer Vergangenheit, eurer Gegenwart gedacht. Was tragt ihr an Vergangenheit in euch? Wie sollt ihr es als Gegenwärtiges tragen, auf daß eure Zukunft auf sicherem Grunde sich aufbaut?

Eure Vergangenheit war Krieg, war dauernde Kampfzeit. Ihr durftet kaum euch selber leben. Ihr wurdet beim ersten Erwachen zu euch selbst gleich hineingelockt, hineingezwungen in ein brutal reglementiertes Leben des Volkes. Schon euer Spiel war Volksspiel. Furchtbarer Volksernst war eure frühe Manneszeit. In solche weitgespannten Zwänge schlang euer persönliches, euer privates Leben nur wie bunte Arabesken sich ein, zu zag bei den meisten, um tragender Grund eines Lebens werden zu können. Zum Letzten, zum Heiligen fanden nur wenige hin. – Volksleben also in jeder seiner Regungen war euer frühes Leben, Volksmythos euere geistige und seelische Nahrung. In wirrem Trubel wurde er euch geboten. Heut gilt es, diese verworrenen Schichten abzubauen, zu klarer Erkenntnis des eigenen Volkes, seines Wesens, seines Gewordenseins zu gelangen. Wir versuchten es schon im Spiegel unseres eigensten persönlichen Lebens. Aber die verwitterten Blöcke des alten Mythos überschatten noch euren Blick.

Falsch wäre es, die alten Träume unseres Volks als Ganzes zur Lüge zu stempeln, sie roh zu zertrümmern. Das steigerte nur unsere Sehnsucht, unseren Trotz. Wir müssen behutsam zu Werke gehen, Stein um Stein untersuchen, die schadhaften herauslösen, sie gleich durch sicher tragende ersetzen, die morschen aber unerbittlich tilgen. Es wird viel Abschiednehmen sein, dieser Abbau der Mythen. Sei's denn!

Der von der Rasse war nie ein Mythos unseres Volkes. Eine mit höchster Verantwortlichkeit zu behandelnde Forschung war da als haßverzerrte Fratze in unser Volksdenken eingeschmuggelt worden. Sie erlischt in ihrer eigenen Unsinnigkeit. Ganz anders war der Mythos vom Reich in uns verwurzelt. Man wollte nicht sehen, daß er längst Vergangenheit war. Das »Reich« war der Auftrag unseres Volks in frühen Zeiten, als Würde und Stärke unseres Kaisertums die universale Idee verbürgten. Als aber der tragende Glaube erlosch und die Mission versiegte, da schwand mit dem Auftrag auch das geheiligte Recht. Es blieb nur der Anspruch der nackten Macht. Der aber zeugt nie einen echten Mythos, vermag ihn auch nicht zu nähren.

Ein anderes Streben rang sich, zunächst begrenzter, daraus hervor: das Streben, den Volksstaat zu begründen, seine Geltung zu sichern. Jahrhundertelang, noch als der alte Mythos mächtig schien, zum Teil im Ansturm gegen ihn, ward darum gerungen. Viel Sehnsucht der Besten, aber auch viel Machtdurst der Verbissenen nährte es über alles Mißlingen weiter in der Zeit. Es zeugte seine Märtyrer, aber es zeugte auch falsche Heroen. Manche dieser Heroen müßt ihr heute in eurem Denken stürzen.

Ihr sagt, jener Mythos vom Reich habe jenes wirklichkeitsnähere Streben zum Volksstaat nicht zur Auswirkung kommen, seine Verwirklichung versäumen lassen. Ein Mythos also hätte dem anderen das Lebensblut geraubt. So sei ein »Zu spät« das Schicksal dieses gerechten Strebens geworden, ein »Zu spät«, das heute in die Katastrophe hat münden müssen. Ihr kommt nicht los von solchen Gedankengängen, und seltsam vermengt sich in eurem Grübeln Irrtum und Recht: Ist der Versuch, Versäumtes nachzuholen, Unrecht? Als die große Ordnung des Mittelalters, die abendländische, zerbrach, als um neue Kerne weite Horizonte sich öffneten, da forderte ein neues Schicksal, das Schicksal »Europa«, die sichere Begründung der Nation im Kern des Staates; da ermöglichte solche Kräfteballung den Ausgriff in die neuerschlossene Weite. Uns Deutschen haben äußere und innere Zwänge verwehrt, dem geschichtlichen Anruf zu folgen. Ein Nachholen duldet die Geschichte nicht. Vor ihr wird ein »Zu spät« zur Schuld. Seit einem Jahrhundert stehen wir Deutschen unter dieser Schuld, einer tragischen Schuld, die aus unserem Wesen vordrang in unsere Geschichte.

Da gilt es hart sein gegen sich selbst: den Spruch der Geschichte erkennen. Das läßt vielleicht später die Einsicht reifen, daß auch dem berechtigten Streben die Fähigkeit sich zu erfüllen versagt sein kann, versagt von Natur aus, vom Wesen aus. Wir sprachen schon darüber. Jeder Einzelne von euch wird weiter darüber sprechen müssen, unablässig, bis ihm die andere Gabe bewußt wird, die eine höhere Macht dafür bietet: die Gabe, im Geistigen den Anspruch zu verwirklichen, den die Wirklichkeit unabdingbar versagt.

Ein irdisch Streben, das künstlich zum Mythos gesteigert wird, läßt die Stimmen aus geistigem Bereich nicht mehr vernehmen. Es hörten die Deutschen seit langem nicht mehr die Lehre ihrer Großen im Geiste. So tauschten sie die falschen Werte, und als dann die Not kam, wühlten sie sich in den letzten Mythos ein, der ihnen geblieben war: in den vom Vaterland. Daß ihr fürs Vaterland geopfert habt, Kameraden, – kein Richter droben und hienieden darf es euch verargen. Im Heilswort »Vaterland« rührt das Lebendige an heilige Erde. Wehe dem, der diese Erde beschmutzt! Ach, unser Vaterland war nicht so von außen bedroht als vielmehr von innen. Von innen her, in Mißtrauen und Haß, fraß sich der Brand in den Kern des Begriffs, so daß er denen schon zu zerfallen drohte, die ihn noch ehrlich lebten. Die ihn aber mit dem Tod weihten, die Ungezählten drinnen und draußen, die starben nicht für Wahrheit oder Betrug, für irdische Normen. Sie sanken ins Opfer am Leben. Da aber fängt das Heilige an.

In solchen Zeiten der Mythendämmerung zuckt das Chaos herauf, drohend und lockend. Wir sprachen vom Chaos in unserem Wesensgrund. Jetzt wittert es grausige Erfüllung draußen. Wir sprachen von der geheimen Lust zum Tode in unserem dumpfen Wollen. Jetzt vernimmt sie den verführerischen Geigenton. In panischem Schreckjubel taumelt die Herde in ihre Selbstvernichtung. Da zünden Ideen vom Untergang. Ein Endbewußtsein der Epoche strahlt seinen magischen Dämmerzwang aus.

Daß unser Sturz in ein solches Wissen fällt, vertieft ihn ins Bodenlose. Wir Deutschen stürzten oft. Immer riß ein gesundes Lebensgefühl die Betäubten wieder empor. Heute schüttet die graue Verzweiflung – so scheint es vielen – ein endgültiges Grab. Auch junge Kulturen tragen ihr Endbewußtsein. Sie schmücken es eschatologisch aus, erwarten die Wiederkunft des Gottes. Bleibt unserer späten Kultur nur der Verzicht? Wo sollte der Gott noch erscheinen? Wir stehen gelähmt. Das Nichts grinst uns an. Erfüllt sich das blinde Gesetz?

Ist es nur die Hoffnungslosigkeit unserer Lage, die uns Deutsche in solche Verzweiflungsstimmung treibt? Dringen von Ost und von West her nicht Stimmen an unser Ohr, die ein neues Gedeihen der Menschheit in froher Zusammenarbeit verkünden? Ist unser Blick nur verdunkelt durch die Mauern der Not, die rings uns umstehen? Auch beim Ausgang des vorigen Krieges geisterte die graue Sorge in unserm Denken und Empfinden. Damals war jenes Werk erschienen, das euch Jungen heute wieder unsere Hoffnungslosigkeit kühl bestätigt. Wir Älteren legten das Buch wohl beiseite, aber unter anderer Begründung sahen wir die unausweichliche Entwicklung doch weitertreiben, sahen die grausige Entsprechung ihrer beiden Linien: die Technisierung der Erde bis zur Entfesselung unheimlicher Energien, die unser Geschlecht zermalmen werden – die Vermassung der Menschen durch ihr sinnloses Tun, das sie dem Nichts überantwortet. Atombomben auf Seiten der Materie, auf Seiten des Geistes radikaler Nihilismus – blieb eine andere Sicht?

Der Geistige in dieser Zeit wird sein tragisches »Dennoch« leben. Der vitale Trieb aber muß sich auflehnen gegen die düstere Perspektive. Mögen die Fremden dort den »deutschen Mystizismus«, hier die »deutsche Sentimentalität« belächeln – wir müssen unser Wesen leben. Als einen Auflehnungsversuch von monumentaler Sentimentalität mag man tatsächlich den doktrinären Nationalsozialismus begreifen, als Reaktion des Spießers gegen die grausige Zukunftssicht. Halb Geltungstrieb des Untermenschen, halb tierische Angst vor dem Verhängnis – so ballte er ein groteskes »Zurück« auf als Rettung. Ideale des 19. Jahrhunderts, in billiger Romantik verwässert, tauchten gespenstisch wieder auf, nicht nur in der Kunstpolitik. Und weiter zurück bis ins Germanendunkel starrte der kulissengläubige Mythenhunger, um aus teils echten, teils verlogenen Phantastereien eine Verwurzelung des Daseins noch einmal zu begründen. Am einzigen Urgrund: am Göttlichen bog man vorbei.

Man möchte dieses Kitschmosaik als grotesken Ausklang einer Epoche begreifen – gellte einem das brutale Vorwärts nicht noch im Ohr, mit dem dieser Kleinbürgeraufstand sein reaktionäres Element doch wieder verneinte: Organisation der Vermassung war der andere Grundtrieb der nationalsozialistischen Praxis, auch er geschichtlich begründet, mit erstaunlichem Raffinement ersonnen, mit zynischer Konsequenz durchgeführt. So trieb diese Revolte zurück und hetzte zugleich vorwärts. Im Hohlraum, der dazwischen auftrieb, wucherte als erste und letzte Ausflucht das Verbrechen. An ihm zerbrach sie.

Jetzt stürzen, die ihm glaubten, in noch tiefere Verzweiflung. Alle wirkliche Zeitsubstanz scheint ihnen verbraucht. Jetzt spüren sie sich rettungslos der verhängnisvollen Entwicklung ausgeliefert.

Nein, Kameraden – diese Verzweiflung darf nicht eure Gegenwart bleiben. Noch seid ihr betäubt. Noch hört ihr die Stimme des gläubigen Lebens kaum unterm grollenden Abrollen der gestürzten Träume. Aber euer Fuß spürt die Erde. Euer Herz sehnt die Liebe herbei nach so viel Hassen. Trug hinter euch, um euch nur Trümmer. Aber in euch sucht das junge Leben seinen Weg. Es sucht hinunter in seinen wahrhaftigen Mythos.

Hat es uns in diesen grauenvollen Jahren nicht immer wieder furchtbar angerührt, dies Mythische im tiefsten Grunde unseres Seins! Stieß uns so mancher Augenblick nicht hinunter unter den verkrusteten Alltag, in jene Tiefen, wo das Leben in seiner Urgestalt sich rührt. Wie hieb das Dunkel der Nächte auf uns ein, voller Schrecken, voll unvorstellbarer Todesnot! Wie drang dann der erste Lichtstrahl übern Horizont ins ermattete Herz: o Sieg des Tages, des Lichtgotts, des wiedergeschenkten Vertrauens! Wie krallten wir uns oft ein in die Erde, spürten ihren mütterlichen Schoß, der uns retten sollte vor den eisernen Pranken, die in die Felder hieben. Wie tranken wir die Dämmerung ein, den kühlenden Trunk, die uns bergen sollte vor den Habichtsaugen des Todes! Und wieder: wie herrlich spannte sich unsere Seele im Augenblick der Gefahr, wie tausendfach spürte sich unser Leben unterm Anhieb der Vernichtung. Du lebst – so schrie ein dumpfer Wille in dir auf –, und plötzlich fandest du Raum in dir, das verspritzte Leben, das neben dir aus zerfetzten Leibern dich ansprang, aufzunehmen in deinen unheimlich gesteigerten Moment. Geburt im Sterben – habt ihr es nicht unzählige Male gelebt, Kameraden, am gewaltigsten in jenen Augenblicken, da ihr euch hingabt, da die Bereitschaft zum Opfer über euch selbst hinaufstieg ins Heilige. Da ließet ihr allen Dämmerschein jenes Dumpf-Mythischen unter euch zurück, da sprangt ihr auf zu euch selbst, wußtet euch in der unsagbaren Spannung, die das Ich ins Ewige bindet.

All dieses war eure Wirklichkeit. Sie ist es noch. Sie lagert in eurer Seele. Laßt diese Schicht des elementaren Lebens, wie sie das grausige Geschehen dieser Jahre in uns entmythisierten Menschen noch einmal, unheimlich flackernd, aufgrub, – laßt sie nicht wieder untergehen im Geröll des Alltäglichen mit seiner armen Sorge. Schaut um euch: wie haben die vielen dies alles schon wieder vergessen, dies Hinuntersinken ins Mythenreich von Tod und Geburt, von schreckvollem Sterben und vom Jubel des Lebendürfens. Schon wieder schient sich das Wunder ein ins Gewohnte. Vielleicht, daß eine Mutter noch aufbebt im Augenblick des Gebärens, daß sie auf ein Kurzes im Mythos lebt. Wenn sie das Grab des gefallenen Sohnes schmückt – reißt es ihr noch das Herz entzwei im Urprotest der Kreatur gegen die Vernichtung? Grauenvoll war, was geschehen ist. Was heute geschieht, dies matte »Überleben des Grauens«, dies Einebnen der gähnenden Trichter, die die Not auf den Feldern unserer Seele gerissen hat, dies armselige Stillen der Tagesnot – es ist nicht minder grauenvoll für ein Empfinden, das unterm Vorbruch des Elementaren – und sei es auch nur ein einziges Mal – erschauert war.

Haltet euch offen für diese Elementarschicht unseres Seins! Laßt sie nicht verschütten trotz aller Mühen um eure äußere Existenz, um Beruf und Familie. Laßt sie heraufwirken in den Neubau eures Lebens. Aus diesem Elementaren heraus müßt ihr es gestalten, wenn es echt werden soll.

Soviel Traditionen, diesen Neubau zu verankern, sind euch zerschlagen worden. Die hohe Tradition echter deutscher Kultur steht ungebrochen da. Ihr Erbe wird euch heute zu besonders dringlicher Aneignung geboten. Aber seht auch hier die Gefahr: Wenn ihr euch mit müßiger Bildungsmüh bescheiden wolltet, müßten die Tiefenbrände, die aus eurem jüngsten Erleben in euer neues Werden heraufzucken, ersticken. Wenn ihr Goethe lest, so tut's nicht, um euer Heute darüber zu vergessen. So ward bei uns »Bildung« so oft betrieben, so hat sie so oft spröde Krusten über die eigentlichen Nöte des Tages gelegt, Krusten, die dann, wenn Bildung sich hätte bewähren sollen, tönern zersprangen. Lest unsere Dichter, hört unsere Musiker, betrachtet die Bilder unserer Maler mit brennenden Herzen, vertieft euch in die Gedanken unserer großen Geister, sinnt den Gefühlen jener nach, die um Gott rangen. Aber laßt in all dies gestaltete Bildungsgut die Elementarempfindungen eingehen, die euch durchstürmten, auf daß ihr in ihnen die gleichen Brände, die gleichen elementaren Regungen vernehmt. Denn alle wahre Kultur ward aus elementarem Erleben gestaltet. Das Elementare in euch zu gestalten – das sollt ihr aus den ererbten Werken lernen. Dann und nur dann schafft ihr selbst weiter an einer lebendigen Kultur. Nur dann werdet ihr mit ihr wachsen.

Stärkt euch am gewordenen Geist unseres Volkes. Stärkt durch ihn euren Glauben an dieses Volk, an euch selbst. Aber laßt euch nicht gleich wieder in wirklichkeitsferne Träume locken. Nicht um »Humanismus« als Begriff soll's euch heute gehen, sondern um ein menschlich durchwirktes Leben. Nicht um »Sozialismus« als Parole, sondern um menschenwürdige Arbeit. Nicht um »Christentum« als Name, sondern um Hingabe an ein Höheres und um alltägliches Opfer. Theorien und Programme helfen aus dieser gespenstischen Gegenwart nicht heraus, nur der tapfere Griff ins Nahe, der mutige Schritt auf dem Weg zum nächsten Ziel. An eurer alltäglichen Arbeit packt an! Da greift ihr die Bausteine für euer künftiges Leben, mit ihnen die Bausteine des Lebens überhaupt.

Überall ist diese nahe Arbeit uns heute gewiesen: im Wegräumen des Schutts von unseren Höfen, in der Ausflickung des Daches, im Bestellen des Gartens für erste Frühlingsgaben. Ich meine es wörtlich, und ihr lebt es ja schon. Solch einfache Arbeit stärkt euch für die andere, die euch jetzt aufgegeben ist: für angespanntes Lernen, für die Einpfählung der Gerüste, die euer Wissen tragen sollen. Haltet euch fest an solchem nahen Tun, daß euch die Nacht nicht zurückreißt ins Grübeln über ein Warum, aus dem wir uns in mühsamer Klärung zu lösen versuchten. Haltet euch an diesen nahen Sinn eurer Arbeit. Und wenn ihr aufschaut, dann blickt ringsum. Schaut auf die Arbeit der anderen und fragt euch nach deren Sinn.

Wie wenige der heute Lebenden leisten sinnvolle Arbeit! Ob sie nun unter den Pranken des Verwaltungsuntiers stöhnen oder unterm Gestampf der Räder in den Fabriken. Sie sehen kaum, wohin ihre Mühe führt. Sie spüren nur, wie Fetzen aus ihrem Lebensganzen herausgerissen werden, auf daß eine ratternde Maschinerie sie zerstäube. Man predigt uns unablässig, daß der Fortschritt der Technik in wenigen Jahrzehnten ein Vielfaches der Millionen zu ernähren ermöglicht habe wie vorher. Daß ein Vielfaches der Millionen von früher heute hungert, leiblich und seelisch hungert, das verschweigt man nur zu gern. Mit Freizeitgestaltung und Madeira-Fahrten war es nicht getan. Das begreifen heute viele. Betäubungen am Rande des Daseins helfen da nicht. Im Kern muß angesetzt werden. Die Erneuerung muß sich in der Daseinsmitte vollziehen.

Daseinsmitte – einst war es der Glaube. Dürfen wir sagen: er ist es noch? – dies Sich-Beugen vor einer höheren Macht, von der wir uns schlechthin abhängig fühlen? Nein. Aber wir spüren: er tut not. Mit viel Eifer rufen die Kirchen es uns zu. Wo ist ein Weg? Nicht nur in Gebeten will Gott gefeiert sein. Zwischen Glauben und Alltagsleben darf keine Lücke klaffen. Auch Arbeit soll Gottesdienst sein. In gottferner Arbeit mußte der Glaube welken. Nur über einer neu mit Sinn erfüllten Arbeit wird er wieder gedeihen.

Wie kann heutige Arbeit der Vielen mit Sinn erfüllt sein? Diese stumpfbetäubende Arbeit am laufenden Band, am Hebel, an der Rechenmaschine! Ist sie nicht Lästerung unserer eigentlichen Berufung, sinnlose Vergeudung unseres Auftrages an uns selbst! Dürfen wir sie dulden?

Eine grandiose und furchtbare Entwicklung des Menschengeistes hat sie über uns verhängt, werdet ihr sagen. Da gibt's kein Entrinnen mehr. Nur die immer weiter getriebene Steigerung des Mechanischen kann dem Einzelnen noch Verringerung der Mühe und damit Freiheit für eigenes Leben weit außerhalb der Arbeitshölle erringen.

So ist die Arbeit des Teufels? So muß sie bekämpft werden als Daseinskern der Vielen, aus dem Leben der Einzelnen möglichst ausgeschaltet? Nur in der Arbeit von Wenigen, die solches durch ihre Denkleistung ermöglichen, triumphiert also noch der tätige menschliche Geist! Welch gefährliche Ausflucht kurzsichtiger Menschheitsbeglücker! Gespenstisches Leben, das kein Rückgrat mehr hat in der Arbeit, um die es sich aufrankt. Wie vereinsamt der Gott, zu dem nicht mehr in sinnvoll gestufter Arbeit die heilige Treppe führt! Nein, das kann nicht der Sinn sein, den wir suchen.

Wir wissen es alle, wir wissen es so gut: was wir heute leben, es ist die grausige Folge unseres Tuns. Gibt es wirklich kein Entrinnen? Sollten wir nicht die Kolosse der Fabriken zerschlagen, die unsere Erde erdrücken? Sollten wir nicht die Netze zerreißen, in denen ein listiger Verstand sich nun selber verstrickt? Sollten wir nicht …

Die Gedanken stocken. Unsere Ratlosigkeit spürt nur dies: Solche Bilderstürmerei der modernen Verzweiflung würde die Grundlagen zerschlagen, auf denen unser heutiges Leben nun einmal abläuft. Seine Technisierung ist die ins Außen gewandte Entsprechung zur Bewußtheit des modernen Geistes überhaupt. Entfaltungen der menschlichen Bewußtheit lassen sich nicht rückgängig machen – und mag man sie auch durchschauen als fragwürdige Güter, die nur auf Kosten der Lebensfülle selbst errungen werden. Die menschliche Forschung war, als ihr zu Beginn der Neuzeit die Messung der Naturerscheinungen als Methode aufgegangen war, zwangsläufig getrieben, der schweigenden Natur Geheimnis um Geheimnis zu entreißen. Die Nutzung ihrer Ergebnisse, auch sie zwangsläufig weitergetrieben, überrannte das Verantwortungsgefühl des Geistes, das Verantwortungsgefühl für das Maß, das dem Menschen auch hier gesetzt war, seine Selbstentfaltung zu sichern. So brach diese Hybris blinder Mächte über uns herein, der zu steuern uns nun unmöglich erscheint.

Besonnenheit vor allem tut not. Wir können in dieser Stunde erschreckender Bewußtheit unseres Lebens nur am gefährdeten und gefährdenden Triebwerk dieses technisierten Lebens selbst ansetzen. Wir können nur fragen: wie läßt sich die Arbeit der vielen, dieser erschreckende Leerlauf auch heute noch, ja heute wieder, auch unter den gefährlichen Gegebenheiten einer restlos technisierten Welt sinnvoll gestalten? Es ist die Lebensfrage der Menschheit heute und morgen. Es ist der Kern aller »sozialen Fragen«. Nur einer sinnvollen Arbeit der Einzelnen kann die sinnvolle Gemeinschaft der Vielen entwachsen.

Wir können es überschauend zurückverfolgen: alle sozialistische Bemühung seit zwei Jahrhunderten hat nur die Folgen einer sinnlos gewordenen Arbeit zu ändern versucht. Fast nie hat sie ihr Reformwerk damit begonnen, der Arbeit selbst wieder einen ihr innewohnenden Sinn zu geben. So mußte sie scheitern, mußte in Kriege nach außen umschlagen, um innere Katastrophen zu bannen, oder in Revolutionen die Massen erschüttern, ohne eine wirkliche Lösung zu finden. So war es auch gestern; so darf es morgen nicht mehr geschehen.

Doch wie ihm wehren? Unsere Wirklichkeit weise uns den Weg. Auch unser Volk hat tapfer ein Jahrhundert lang um einen wirklichen Sozialismus gerungen. Scheinerfolge – Fehlschläge. Verhängnisvoll schlang sich jenes andere tragische Ringen um den Nationalstaat immer wieder in diese ehrlichen Mühen um eine innere Ordnung. Vor zwei Jahrzehnten schien ihm noch einmal die große Aufgabe gestellt, eine menschlich-soziale Ordnung aufzurichten. Alle Auswege, wie die kapitalistischen Praktiken sie suchten, waren verstellt. Eine zu Tode gehetzte Wirtschaftsordnung hatte die Lebensgründe bloßgenagt, aus denen der Hunger nach Arbeit, nach sinnvoller Arbeit aufschrie. Dunkle Ahnungen trieben vorwärts. Keimzellen für eine neue Lebensordnung setzten an. Da aber hat der Verrat machthungriger »Führer« alle diese Ansätze jäh vernichtet.

Jetzt hat ein grausiges Weltgericht gesprochen. Unsere Städte liegen zerstört, unsere Fabriken zerschlagen, in Ruinen die Stätten der sinnberaubten Arbeit. Alle Räume nach innen, nach außen, in die eine gigantische Arbeitsplanung hätte auswuchern können, sind verschüttet. Man läßt uns die Arbeitskolosse nicht mehr in die Himmel türmen. Man zwingt uns zur Ohnmacht. Sie ist unsere unerbittliche Wirklichkeit.

Wird sie ihre heimliche Macht offenbaren? Unsere Not – wird sie uns helfen? Wie unsere innere uns helfen soll, zur Wahrheit unseres Seins zu gelangen, so muß unsere äußere uns beistehen, unserer Arbeit einen Sinn zurückzugewinnen. Das furchtbare Nein der Geschichte – wenden wir es zum schicksalhaften Ja.

So ist es doch, Kameraden: Wir werden unsere Industrie nie wieder zu den Machtvampiren von früher aufrüsten können. Wir werden mit kleineren Betrieben uns bescheiden, werden unsere Produktion umstellen müssen auf Erzeugnisse für ein einfacheres Leben. An die Stelle der Massenfertigung wird vielfach individuellere Qualitätsarbeit treten, bei der die Profitgier des Unternehmers einer verantwortungsbewußten Sorge für das wirkliche Bedürfnis des Verbrauchers weichen wird. Das wird eine sehr andere Arbeit als jene Massenindustrie verlangen. Kommt mir nicht mit dem Einwand, daß wir mit solchen Praktiken der Konkurrenz der anderen, in vollster industrieller Entfaltung weiterrasenden Völker unterliegen müssen. Wir sind ihr schon unterlegen. Zu erfolgreichem Wettbewerb in rationeller Massenfertigung wird man uns kaum irgend noch antreten lassen. Im Gegenteil: man wird uns mit Massenwaren von fremdher überschwemmen. Dem können wir nur unsere Sonderproduktion entgegenwerfen: hochwertige Feinfabrikate und elementares Gebrauchsgut, in dessen durchdachter Form ein sinnvoller Zweck sich ausdrückt. Das wird die Produktion sein, um die wir jetzt uns mühen müssen.

Ist damit nicht schon der Weg gewiesen zur neuen Sinnerfüllung der modernen, im Bannkreis der Technizität sich vollziehenden Arbeit? Diese von außen uns aufgedrungene, von innen uns zuwachsende Produktion wird von ihrer Fertigung aus den Kleinbetrieb fordern. Der Fertigungsprozeß wird überschaubarer werden. Das erstehende Produkt wird damit der Teilnahme des Arbeitenden wieder näherrücken. Vielfach wird die Hand wieder eingreifen in den maschinellen Arbeitsgang und mit ihr das Gemüt. Der Arbeitende wird sein Werk gedeihen sehen, und unter aller Freude am Schaffen und Bilden, die damit erwacht, wird jene elementare Empfindung wieder aufstehen, die scheu verehrt, was die Fülle des Seienden steigert. Hier, in solcher Durchdringung von elementarem Leben und sinnvoller Arbeit, könnte ein Mythisches ansetzen als gültige Deutung unseres Seins.

Ich weiß: was ich hier in wenigen Worten andeute, diese radikale Revolutionierung der Arbeit in unserer technisierten Zeit – sie erfordert die heißen Mühen von Generationen. Mit laienhaften Vorschlägen, mit Einfällen des Augenblicks ist da nichts getan. Da muß der Fachmann in immer neuen Überlegungen und Versuchen die Gleise der technischen Arbeitsgänge von Grund aus umbauen, muß auf Mittel sinnen, wie er den Stoff so beherrsche, daß er von sich aus dem Wunsche des Menschen sich fügt.

Der Fachmann – o nicht der Spezialist von gestern, in dessen fanatische Enge das wirkliche Leben nicht hineinpulst, dem nur der Rekord gilt, bestenfalls der Sieg der Konstruktion. Nein, der Fachmann, der hier ans Werk gerufen wird, muß zuvörderst Mensch sein, ein um menschliche Würde besorgter, mutiger Geist. Und um ihn müssen die anderen sich scharen, die sein Werk wollen, die sein Ziel ersehnen: jene Millionen, die heute noch unterm Maschinenbann stöhnen und denen doch dumpf bewußt ist, daß Arbeit ein anderes sein kann als erzwungene Fron. Sehnsucht und Tat müssen sich durchdringen, den Neubau einer morgigen Arbeitswelt aufzurichten.

Man hat unserem Volk die großen Ideen zerschlagen – so jammern viele. Waren es lebenswürdige Ideen? Hier steht die Idee auf, um die zu leben sich lohnt. In sinnvoller Arbeit das Leben der Vielen verankern, auf daß es vom Grunde her bruchlos hinauftrachte zu seinem ewigen Sinn – das ist die Aufgabe, die uns den Weg aus den Trümmern weist. Ist erst die Arbeit der Vielen wieder mit Sinn erfüllt, dann wird sie verbinden. Aus der Schätzung der Arbeit des Anderen wird die sinnvolle Schichtung aller Arbeitenden erwachsen, wie sie das Ziel eines echten Sozialismus sein soll. Dann wird nicht mehr der Haß des Klassenkampfes ein erzwungenes Beisammen so furchtbar veröden lassen, wie es gestern uns angrinste. Dann werden aus gegenseitiger Achtung jene Duldung und Liebe keimen, die aus einer echten Gemeinschaft die Symbole des Glaubens erlösen.

Heiße Mühen von Generationen! Wohlan, so beginnt! Ihr seid die Jugend. Ihr seid berufen, das Räderwerk eines künftigen Welthaushalts zu steuern. Aus Abgründen steigt ihr herauf, so haltet euch jetzt an eure künftige Tat. Noch seid ihr die Lernenden, bald werdet ihr die Lehrenden, die Baumeister, die Ingenieure, die Erfinder sein. Bereitet euch vor, nicht nur in eurem Fachwissen. Bereitet euer Menschentum vor. Was von euch verlangt wird, könnt ihr nur als ganze Menschen leisten.

Stellt euch hinein in die Reihen des arbeitenden Volks, helft ihm, seine Arbeit zu adeln. Kein Mißtrauen von außen darf das feste Band der Kameradschaft zerreißen, das die Front zwischen Student und Arbeiter geschlungen hat. Es muß hinüberführen zum Werk des Friedens, das euch alle ruft. Stellt euch hinein in die große Kultur unseres Volkes, auf daß ihr sein tiefstes Anliegen aus seiner Geistigkeit vernehmt. Bildet euch allseitig aus, und euer Fach sei dann das Ausfallstor, durch das ihr einst gerüstet hinaustreten sollt, euer Werk zu beginnen. Dies große Werk: dem Menschen eine Arbeit zu sichern, die ihn über den billigen Nutzen hinaufträgt zu Feier und Gebet.

Noch nie, meine Freunde, ward einer Jugend eine Aufgabe geschenkt, so notgedrängt, so heilig, wie eurer sie wartet. In ihr soll unsere Not sich weihen. Und sollte unser Bemühen doch scheitern, unser Wollen doch zerbrechen am harten Geschick, das der heutigen Menschheit verhängt ist, dann war es doch ein Glaube, des Einsatzes wert: noch einmal die Freiheit des menschlichen Willens zu wagen, noch einmal ihn einzusetzen gegen das dunkle Verhängnis. Vernehmt sie, die ewige Frage des Menschengeschlechts. Der Genius unseres Volkes hat sie immer wieder gestellt. Noch im drohenden Untergang soll er sie stellen, dies sein heilig Trotzdem! Dann wandelt sich dieser Untergang zu neuem, über uns hinauszielendem Werden.


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