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Landeron.

Erzählung.


Erstes Capitel.

Es war an einem heitern Herbsttage des Jahres 1811.

In einem großen Wohnzimmer eines altfränkischen Edelhofes, das ziemlich bunt durcheinander mit alten Möbeln nach Rococcogeschmack und neuen Einrichtungsgegenständen im Style der Kaiserzeit angefüllt war, saß eine hübsche junge Dame; zwar nicht mehr sehr jung, und auch nicht mehr sehr frisch und blühend aussehend; aber immer noch eine anziehende fesselnde Erscheinung. Es war eine feine schlanke Figur, mit Zügen, welche den französischen Typus trugen, lebhaften dunklen Augen und einem sehr graziös gezeichneten Munde. Allein unter den Augen leicht eingegrabene blaue Striche und an dem Munde Züge, die von einer gewissen Ermattung und Abspannung sprachen, daß das Leben nicht an ihr vorübergegangen war, ohne Spuren von Leidenschaften oder von erschütternden Erlebnissen zu hinterlassen, so kurz auch das Leben, welches an ihr vorübergegangen war, bis jetzt noch sein mochte – sie konnte nicht älter als 26 bis 28 Jahre sein.

Sie saß auf einem Eckdivan, an einem runden Tische; eine weibliche Arbeit, eine bunte Wollstickerei, hatte sie zur Seite auf den Divan neben sich geworfen; sie war damit beschäftigt, ein Spiel Karten vor sich auf den Tisch auszubreiten.

Mißvergnügt warf sie endlich die Karten durch einander.

»Abermals nein!« sagte sie dann, »die Patience will's nicht, daß deine Wünsche erfüllt werden, arme Cornelie!« Dabei legte sie die Arme zusammen und lehnte sich gähnend in den Divan zurück.

»Die Patience will dir wahrscheinlich sagen, es sei undankbar von dir, daß du überhaupt noch Wünsche hast,« fuhr sie dann in ihrem Selbstgespräche mit einem leichten Seufzer fort. »Ja, es ist undankbar! Du hast ja Alles. Schloß, Dienerschaft, Wagen, Pferde, und einen Onkel« – sie betonte dies Wort in einem fast spöttisch klingenden Tone – »einen Onkel, der nur für dich lebt, nur für dich da zu sein scheint. Und wenn du dich noch nach einem andern Zeitvertreib sehnst, kannst du dem Räthsel nachsinnen, aus welchen Beweggründen all der Edelmuth dieses Onkels herfließt – dem Räthsel, das du immer noch nicht zu lösen wußtest … so viel du auch darüber grübelst! Ach,« setzte sie dann nach einer kleinen Pause hinzu, »ich bin sehr schlecht und mißtrauisch – er ist ja die Güte selber – weshalb soll es nicht einen solchen Mann geben können, der sich zur Aufgabe macht, ein armes verlassenes Weib vom Wege des Verderbens zurückzuführen, es gut zu machen, seinen Verstand zu bilden, es seine dunkle Vergangenheit sühnen zu lehren – weshalb soll es einen solchen Mann nicht geben? Freilich wir hätten dazu auch in Frankreich bleiben können es wäre nicht nöthig gewesen, uns in dies fremde seltsame Land, in diese todtenstille Einöde, in dies verzauberte Schloß zu vergraben … doch wer weiß! vielleicht war es nöthig mich so weit zu entfernen, so hoffnungslos weit von Allem, was früher mich umstrickte … er wird seine Gründe dazu gehabt haben, der gute Onkel, und ich will nicht dagegen murren!«

»Bei allem dem,« so spann die junge Französin ihre stille Unterhaltung mit sich selber weiter, »bei Allem dem ist es sehr wenig amüsant hier, so viel ist gewiß. Wenn ich nur für des Onkels Beschäftigungen mit seiner Landwirthschaft Interesse finden könnte! Nun, vielleicht kommt es – ich will mir Mühe geben! Ach, daß mir meine Erinnerungen so wenig sind, um mein Herz auszufüllen! Ich muß wohl sehr oberflächlich und leichtsinnig sein! Andere Frauen verstehen es doch, stundenlang, tagelang zum Himmel aufzuschauen, und über irgend ein verlornes oder geträumtes Glück zu brüten – über das Glück einer Woche, eines Tages; das gibt ihnen Gedanken, sagt man, für zwanzig Lebensjahre. Ich kann das nicht! O mein Gott, welche Erinnerungen hätte ich denn auch, über die ich sinnen und brüten sollte – ich habe ja kein reines Glück gekannt, nicht eine Woche, nicht einen einzigen Tag lang! Ich war zum Dienen erzogen, ich diente, unterwürfig, ergeben in dies Schicksal und doch mit dem Bewußtsein, daß es ein hartes Schicksal sei. Da kam jener Mensch, der mir ein anderes, ein besseres bot, von dem ich mich wie eine willenlose Pflanze in einen so ganz andern Lebensgrund versetzen ließ, der mich frei, sorglos, von Luxus umgeben machte, in dessen Liebe ich glücklich zu werden hoffte – und doch so unglücklich wurde – mit mir selbst zerfallen, gepeinigt und gemartert von all den Kränkungen, die mir täglich zeigten, daß mich die Welt verachte. Was hatte ich verbrochen? Daß ein reicher Mann mich, das arme, zum Dulden und zur Dienstbarkeit erzogene Mädchen liebte! Und doch – es war etwas in mir, was mir von Verbrechen sprach, was mich fühlen ließ, daß die Welt mit ihrer Verachtung ein Recht haben könne. Und als nun der Mann, der mir alles war, mir sein Herz, seine Theilnahme, seinen Schutz entzog: als ich mich verlassener und elender fühlte als ein Wesen auf Erden, als ich einen furchtbaren Abgrund vor mir aufgähnen sah … da, da kam dieser ›Onkel‹ und – rettete mich vor dem Abgrunde. Soll ich ihm nicht bis zum letzten Athemzuge meines Lebens dafür danken? Soll ich ihn nicht als meinen Schutzgeist verehren, soll ich nicht ergeben sein in Alles, was er thut und beschließt? Soll ich murren, wenn er für gut findet, mit mir irgend ein Land am Nordpol zu bewohnen? Soll ich grübeln, webhalb er so gütig für mich ist? O nein, nein – ich will vom Leben nichts, gar nichts mehr begehren – gar nichts als ein mal meinen armen Bruder wieder zu finden, wenn er noch unter den Lebenden ist!«

In diesem Augenblick wurde Cornelie in ihren Sinnen gestört, die Thür öffnete sich und es trat ein Herr in das Zimmer, dem die junge Dame entgegenging, um ihm die Hand zu reichen.

»Guten Morgen, mein theurer Onkel!« sagte sie, »Du hast Dich heute lange erwarten lassen.«

»Hab ich das?« versetzte der Herr, ein Mann in den Vierzigern, eine kräftige Gestalt mit dunklen Haaren und einem charakterisch ausgebildeten Kopf, dessen vortretende Backenknochen, buschige Braunen und breites Kinn auf eine entschlossene energische Natur deuteten. »Ich habe zu thun gehabt, Cornelie,« fuhr er fort: »der Rentmeister hat mich in die Geheimnisse des Fruchtwechsels, wie er hier zu Lande betrieben wird, näher eingeweiht; und dann war der Förster da, um mir einen Bürschgang, auf den Abend vorzuschlagen, er hat einen feisten Bock aufgetrieben und seinen Wechsel ausgekundschaftet … Deshalb Pardon, mein Kind – und was hast Du getrieben Cornelie, den ganzen Morgen?«

»Ich ich bin nicht sehr fleißig gewesen, lieber Onkel. Du wirst mich schelten. Ich habe nur drei Seiten in dem Buch gelesen, das Du mir gabst, ein Examen darfst Du also mit mir nicht anstellen. – Dann habe ich gestickt und endlich Patience gelegt! Bist Du mir böse?«

»Patience gelegt? Vortrefflicher, höchst nützlicher Zeitvertreib! Und was hat Dir die Patience gesagt?«

»Ach, es hat mich sehr ungeduldig gemacht, dass Geduldspiel, – es hat immer nein gesagt.«

»Also die Patience hat immer Nein gesagt,« erwiederte der Onkel mit gutmüthigem Spott. »Auf welche Frage? Gewiß auf die Frage: werde ich bald wieder in Paris sein? Oder: Werde ich auf dem nächsten Maskenballe im Opernhause tanzen? Wird der Onkel im nächsten Sommer mit mir in's Bad reisen? Werde ich da mit meiner Toilette« …

Das junge Mädchen hielt dem Onkel scherzend die Hand vor den Mund.

»O, wie böse Du bist,« sagte sie. »Traust Du mir denn gar keinen ernsteren Gedanken zu?«

Der Onkel schüttelte den Kopf.

»Bei der Patience – nein!«

»Also sonst doch?«

»Nun freilich; Du weißt, daß, wenn ich Dich zuweilen ganz müßig am Fenster sitzen und träumend den blauen Himmel anstarren sehe, ich sogar fürchte, Du beschäftigst Dich mit zu ernsten Gedanken, Du denkst an vergangene Dinge, die hinter Dir liegen, Du giebst Dich unnützem Sehnen nach einem Glück hin, das nun einmal nicht mehr das sein kann, das Dir beschieden ist. Cornelie, es liegt noch ein Glück, ein reiches Glück vor Dir, aber Du mußt lernen, es zu erfassen, es zu schätzen. Und das wirst Du, wenn Du gelernt hast, ernsthaft thätig zu sein. In der Thätigkeit, in der Arbeit liegt ein Heilmittel gegen Alles, womit uns die Welt oder unser eigenes Herz mit seinen Erinnerungen, mit seiner Sehnsucht, mit seinen Vorwürfen bedrängen mag. Du mußt ernster arbeiten lernen, Cornelie, Du mußt lernen, Dich um Haus und Hof zu kümmern; Du mußt es lernen, die Gebieterin hier machen zu können. Es kann sein, daß ich gezwungen bin, einmal eine weitere Reise zu machen. Ich muß dann Dir mit Ruhe die Verwaltung meines, unseres Eigenthums überlassen können. Wie denkst Du, würde das gehen, wenn ich jetzt schon es thäte?«

»O gewiß Onkel, ich würde mein Möglichstes thun, schon um Deine Zufriedenheit zu erwerben.«

»Ich danke Dir – das ist schon etwas; aber lieber wäre mir, wenn Du Dein Möglichstes thätest, um der Sache selbst willen, wenn Dir ein so schöner, ausgedehnter Besitz, wie dieses Schlebusch mit seinen herrlichen Waldungen wirkliches Interesse einflößte!«

»O, das thut es ja auch, gewiß, ganz gewiß!«

»Nun, das freut mich – aber eine Gewissensfrage, Cornelie. Wenn ich nun stürbe und Dir, als meiner einzigen Verwandten, diesen Besitz hinterließe, wenn Du die Herrin des Ganzen wärest – was würdest Du thun? Würde das Interesse, welches Du an Deinem Eigenthum nähmest, groß genug sein, um es auch dann festhalten zu wollen? Oder würdest Du es alsdann je eher desto lieber verkaufen und mit dem Gelde nach Paris zurückreisen, um Dich dort damit zu amüsiren? Sag' mir die Wahrheit mein Kind!«

»Ich brauche mich nicht zu besinnen, Onkel, um Ihnen die Wahrheit zu sagen. Ich würde das Gut schon deshalb behalten, weil es Ihnen so werth gewesen« …

»Nicht das wollte ich hören, ich will hören, was Du thätest, wenn Du ganz unabhängig und durch gar keine Rücksicht gebunden wärest.«

»Auch dann würde ich Freude an diesem Besitze haben, große Freude, und ich würde die Beschäftigung. die mir die Verwaltung gäbe, der Beschäftigung mit nichtigen Frauenintressen, mit den Chiffons und Coquetterien müßiger Salondamen vorziehen – ich würde die Stellung in der Gesellschaft, die Achtung der Welt, welche mir ein solcher Besitz verleiht, dem vergänglichen Lüstre vorziehen, welchen einer reichen, jungen Dame ihre Toilette und ihr mehr oder minder graziöses Geplauder in Paris giebt. Aber mein theurer Onkel, um mich nicht besser zu machen, als ich bin – ich würde zuweilen eine kleine Reise machen!«

»Das könntest Du, so oft Du Lust hättest, Cornelie; aber ist das, was Du sagst, Dein wirklicher, wohlerwogener Ernst?«

»Ganz gewiß!«

»Ich will es glauben,« sagte der Onkel. »Und Du machst mir damit eine größere Freude als Du denkst … Du wirst das erkennen, wenn wir weiter geredet haben – für jetzt ist es Zeit zu unserem gewöhnlichen Spazierritt. Bist Du bereit dazu?«

»Sogleich!« versetzte Cornelie und entfernte sich, um Toilette für den Spazierritt zu machen – und der Herr ging, um anzuordnen daß die Pferde gesattelt würden.

Als er draußen auf dem Corridor war, und sich der großen Stiege näherte, welche in das untere Stockwerk hinabführte, kam ein Mann in mittleren Jahren die Stufen heraufgeschritten, der sehr elegant gekleidet und in seinem ganzen Wesen jeder Zoll ein Franzose war. Er machte eine sehr tiefe, unterwürfige Verbeugung vor dem Schloßherrn und dieser sagte:

»Ah, Vincent, Sie sind's. Haben Sie mir etwas zu berichten? Kommen Sie mit hinab, ich muß im Hofe die Pferde satteln lassen; ich will mit meiner Nichte ausreiten. Was giebt es?«

»Ich habe Ferien, Herr, Baron,« versetzte Vincent lächelnd. »Es muß irgend eine große Schmuggelei im Werke sein, und Monsieur Aubertin, der Wind davon bekommen zu haben scheint, ist heute früh nicht zu sehen. Er ist in einem Eifer wie ein lancirter Schweißhund, der eine Fährte wittert.«

»Das freut mich. Sein Diensteifer hat also nicht nachgelassen?«

»O durchaus nicht – er hat sich eher geschärft; die ganze Veränderung, welche seit der Zeit, daß ich sein ›Freund‹ geworden, mit ihm vorgegangen ist, ist die, daß er, wo möglich noch kecker als zuvor, jedem hübschen Mädchen den Hof macht – das ist Alles!«

»Aber nicht gut!« sagte der Baron.

»Ah bah,« versetzte Vincent, »was schadet es! Es steckt im Blut – es ist französisches Naturell – die Galanterie gehört zu den Nationaltugenden unserer ruhmreichen Nation. Lassen Sie ihn.«

»Und das ist Alles?«, fragte der Baron flüsternd, weil sie eben auf dem Schloßhofe angekommen waren, wo ein paar Knechte sich umtrieben, denen der Schloßherr jetzt einen Wink gab, die Pferde zu bringen.

»Nicht Alles,« versetzte Vincent. »Ich bin zu Ende mit meinen Mitteln, ihm Geld zukommen zu lassen. Als ich ihm das letzte Mal anbot, mit ihm zu spielen, lehnte er es ab, weil ich immer verliere und er mich nicht ausbeuten wolle.«

»Das ist sehr redlich von ihm!«

»Aber ich weiß nicht, wie ich nun länger seine Vorsehung machen soll! Die zweitausend Francs, welche ich ihm, als von uns gemeinschaftlich im Lotto gewonnen, auszahlte, gehen auf die Neige; er hat, wie Sie wissen, auf mein Zureden sich davon ein Pferd angeschafft, eine bessere Wohnung bezogen.«

»Man müßte ihm durch seine Vorgesetzten eine Summe als Belohnung für eine pflichtgetreue amtliche Thätigkeit zukommen lassen. Das wird die beste Weise, ihm wieder Geld zufließen zu lassen, sein. Erkundigen Sie sich darnach, Vincent, auf welche Weise das zu geschehen pflegt, und wie es zu machen wäre.«

»Wir müssen vorsichtig sein, Herr Baron,« versetzte Vincent; »Sie haben ihm eben erst durch Ihren Einfluß beim Präfecten eine Rangerhöhung ertheilen lassen – nach ein paar Monaten schon eine besondere Belohnung – das würde sehr auffallend sein.«

»Sie haben Recht. Und am Ende, wozu jetzt auch noch! Es scheint, das Geld verführt ihn nicht! Mit dem, welches Sie ihm bis jetzt gegeben haben, hat er vernünftig gewirthschaftet, ohne bei einer Summe, wie er sie früher nie auf einmal besessen, den Kopf zu verlieren.«

»In der That, Herr Baron – ich muß ihm das Zeugniß geben.«

»Still, da ist Cornelie,« fiel der Baron ein; »ich will darüber nachdenken, Vincent, und gebe Ihnen später meine weiteren Aufträge.«

Cornelie war eben in ihrem Reitkleide, die Gerte in der Hand, aus dem Portal auf den Hof getreten.

Vincent verbeugte sich vor ihr und ging in einen der Nebenflügel des Herrenhauses.

»Da ist ja Vincent, Dein getreues Factotum, einmal wieder, lieber Onkel,« sagte die junge Dame – »Wo um's Himmels willen steckt er denn immer – seit Monden bekommt man ihn gar nicht mehr zu sehen.«

»Du weißt ja,« versetzte der Baron trocken, »daß er sich im nächsten Städtchen aufhält, um da meine Angelegenheiten bei den Behörden zu betreiben« …

»Kann denn das Monate lang nöthig sein?«

»Es wird von heute an wahrscheinlich überflüssig sein,« entgegnete der Baron.

Die Pferde wurden gebracht – der Baron half Cornelie in den Sattel und schwang sich dann selber auf. Beide verschwanden gleich darauf in dem Thorhause, das auf die Schloßbrücke und dann ins Freie führte.

Vincent war auf die Schwelle des Nebengebäudes getreten und hatte ihnen nachgeblickt.

»Hab' ich's recht gemacht oder mich betragen wie ein Gimpel?« fragte er sich dann nachdenklich – »der Henker werde klug daraus! Ist er zufrieden mit mir, daß ich einfach seine Aufträge ausgeführt habe, oder unzufrieden, daß ich nicht geschickter und erfolgreicher meine angenehme Mission, einen jungen Menschen zu debauchiren, vollzog? – denn darauf war's doch abgesehen, trotz aller frommen und redlichen Redensarten meines verehrungswürdigen Barons! … Daß dies Mädchen nicht seine Nichte ist, habe ich ja längst heraus – und wenn ich nun ihren Bruder auf alle mögliche Weise habe mit Geld versehen müssen – worauf kann das zielen, als auf etwas, was mir bis jetzt bei dem ehrlichen Burschen nicht gelungen ist! War ich ein Dummkopf, daß ich's gestanden habe? Ma foi, nous verrons!« –


Zweites Capitel.

Auf einem westphälischen Schulzenhofe, der etwa eine halbe Meile weit von dem Gute Schleburg, auf welchem wir uns eben befanden, und dicht an einem nicht unbedeutenden Flusse lag, herrschte um diese Zeit jene stille, durch nichts unterbrochene Ruhe, welche so charakterisch für eine westphälische Landschaft und ihre einzeln liegenden Höfe ist, wenn das Vieh auf die Kämpe ausgetrieben, das Gesinde auf den Feldern beschäftigt und das ganze Anwesen wie unter Obhut des lieben Gottes zurückgelassen ist.

Unter den hohen mächtigen Eichen, welche das lange Strohdach des Hauses beschatteten, zeigte sich nichts Lebendes als eine Gruppe Hühner, die sich im Sande badete; der große gelbe Hofhund saß aufgerichtet auf den Hinterbeinen daneben und schaute den Erholungsspielen der jugendlichen, diesjährigen Brut zu, wie ein ernster Mentor, der sie bewachte. Er schüttelte dabei von Zeit zu Zeit den Kopf über dies seltsame Gebahren des curiosen Hühnervogels, der bald wie in einem Anfall von Wuth mit dem Schnabel in den Sand hackte, dann beide Beine vor sich in die Höhe streckte und gleich darauf den einen Flügel schlug, als ob er den Veitstanz hätte.

Nur aus der Ferne hörte man ein paar Stimmen und ein plätscherndes Geräusch wie langsamen Ruderschlag. Es kam von der etwa hundert Schritte vom Hofe abwärts liegenden Fähre. Ein Nachen zog da langsam über das Gewässer; im Hintergrund desselben saß ein Mann in der Uniform der französischen Douaniers, die Ruder bewegte ein junges Mädchen in der landesüblichen Bauerntracht, im schwarzen Tuchmieder und dem gestreiften Wollrock; auf dem blonden gescheitelten Haar trug sie ein flach anliegendes Mützchen, von dem im Nacken eine Schleife von schwarzseidnem Band herniederhing. Sie hatte eines jener auffallend feinen Gesichter mit rosigem Teint und blauen, die aufrichtigste Gutmüthigkeit ausdrückenden Augen, die man so viel unter der Bevölkerung des Landes findet. Ihre Gestalt war schlank, groß und kräftig; die ganze Haltung und die Sauberkeit des Anzuges zeigte, daß es nicht etwa eine arme, auf dem Hof dienende Köttertochter war, welche hier die Fährmannsdienste verrichtete, sondern die Tochter des Schulzen selbst.

Der Kahn stieß an's Ufer, das junge Mädchen sprang heraus und beschäftigte sich damit, die Kette an den Pflock zu befestigen; der Mann in Uniform war unterdessen an die Spitze des Nachen getreten und sah ihr zu. Er war ein mittelgroßer, zierlich gebauter Mann von etwa dreißig Jahren, mit schwarzem Haar, gelber Hautfarbe und dunklen oval geschlitzten Augen, aus denen Muth, Leben, und eine gewisse Schlauheit blickten; die ganze Erscheinung war eine hübsche, gewinnende und gehoben durch die schmucke grüne Uniform.

Als das junge Mädchen fertig war, sprang auch er aus dem Kahn; dann sagte er im gebrochenen Deutsch, indem er sich ihr näherte und den Arm um die Taille zu legen versuchte:

»Ich gebe Ihnen einen Kuß zum Fährgeld, Demoiselle Gertrud,« …

Sie wehrte ihn unwillig ab.

»Nichts da,« versetzte sie trocken, hier wird nicht geküßt, hier wird bezahlt, ein Stüber die Person!«

»Sieh, sieh,« versetzte der Franzose – »Sie sind sehr genau, Demoiselle … hier ist ein Stüber. Und wenn ich nun noch einen zahle, wollen Sie mich dann mit ins Haus nehmen und mir ein Glas Milch geben?«

»Für ein Glas Milch wird nichts bezahlt.«

»Nicht einmal ein Dank?«

»Dank,« gab Gertrud zur Antwort – »das ist hier zu Lande auch eine bekannte Münze. Man sagt: Gott lohn's! Das ist Alles!«

Sie schritt voraus, dem Hause zu; der Franzose folgte ihr; der große gelbe Hund lief ihnen knurrend entgegen, beschnupperte mit einem feindlichen Haarsträuben den Fremden und schmiegte sich dann an Gertrud.

Sie traten durch die schmale Nebenthür ins Haus, in die große, weite Küche. Links lag die lange Tenne; ein mit Klee beladener Wagen stand in der Mitte und verbreitete einen honigduftigen Geruch durchs Haus; das Heerdfeuer war fast erloschen, durch die niedere Fensterreihe rechts fiel die Sonne auf die glimmende Asche.

Der Franzose setzte sich auf die Bank unter jener niederen Fensterreihe, warf die Mütze und den Degen auf den Tisch und streckte sich behaglich aus, während Gertrud die Milch zu holen ging; sie hatte mit einem gewissen Mißbehagen gesehen, wie bequem sich's der Fremde machte, als ob er auf lange Zeit da Posto fassen wolle.

Als sie zurückkam und ihm die Milch in einem hohen Stangenglase reichte, hielt er die Hand des jungen Mädchens fest.

»Lassen Sie das Tändeln sein, Herr Inspector,« sagte die Schulzentochter, das Glas so rasch auf den Tisch setzend, daß die Milch überfloß. »Trinken Sie und dann gehen Sie; ich mag nicht, daß Einer Sie hier sieht, wenn ich allein zu Hause bin.«

»Nicht so böse, Gertrud«, sagte der Franzose lächelnd; ich meine es gut mit Ihnen … ich habe Ihnen etwas zu sagen; etwas Wichtiges; ich warte nur darauf, daß Sie mir ein wenig den Hof machen, um mein Geheimniß zu erfahren.«

»Ah bah – ich bin nicht neugierig auf Ihre Geheimnisse.«

»Da haben Sie Unrecht, Gertrud … mein Geheimniß ist etwas werth für Sie!«

Gertrud wandte sich ab, und ging, die Kohlen auf dem Heerde zu schüren, wie eine Vestalin, die das heilige Feuer nicht erlöschen lassen will. Das Heerdfeuer auf dem westphälischen Bauerhof darf nie erlöschen.

»Das fehlte noch,« sagte sie halblaut und unwillig, »daß zwischen uns Zwei Geheimnisse wären!«

»Und wenn Sie wüßten,« fuhr der Franzose fort, »um was es sich handelt, Gertrud, Sie würden mir ein wenig den Hof machen – ma foi, Sie würden es!«

»Ich meine«, entgegnete Gertrud, »Sie machen schon genug den Mädchen in der ganzen Gegend den Hof, es ist nicht nöthig, daß man ihn auch noch Ihnen macht!«

Der Inspector lachte.

»Meinen Sie, Gertrude. Und nehmen Sie mir das übel? Sie müssen denken, ich bin ein verlassener einsamer Mann und suche mir eine Frau; und da mich keine bis jetzt wollte, so muß ich's weiter versuchen. Was ist das Leben ohne Frauenliebe? ein Hundeleben! Nichts als Mühsal und Qual; Dienst bei Tag und Nacht. In Sturm und Wetter müssen wir hinaus. Ganze Nächte draußen liegen, um auf diese verdammten Schmuggler zu lauern, die dann doch am Ende uns nicht den Gefallen thun, zu kommen. Dann schleicht man mißmuthig nach Haus, um die Morgendämmerung. Frostig, durchkältet, müde; und zu Hause, was findet man da? Eine kalte Wohnung und Niemanden darin, dem etwas daran gelegen wäre, ob man, durchnäßt, das Fieber bekommt oder nicht. Oh, es ist ein wahres Elend, so ein Mensch zu sein, wie ich, der Niemand auf der Welt hat, der wie vom Monde gefallen ist und bei Mondschein sein Spionenmetier treiben muß« …

Der Inspector plauderte dies in einem sorglosen Tone dahin, nicht als ob es Klagen, sondern ganz harmlose Mittheilungen wären. In Gertrud schien es dennoch eine gewisse Theilnahme hervorzurufen, sie fragte:

»Haben Sie denn Niemand auf der Welt, keine Verwandten?«

»Niemand. Ich hatte eine Schwester. Eine Schwester, so hübsch wie Sie, Demoiselle Gertrud; wir sind in einem Waisenhause auferzogen und wir hatten uns sehr lieb als Kinder. Dann bin ich zu einem Uhrmacher in die Lehre gekommen, und weil mir die Uhren zu langsam Tiktak machten, bin ich fortgelaufen. Sind Sie je in der Werkstube eines Uhrmachers gewesen, Gertrud? An allen Wänden hängen diese entsetzlichen Marterinstrumente, machen Tik-tak … Tik-tak, ohne Unterlaß, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, von da bis wieder zum Morgen. Kann ein Mensch das aushalten? Nein, es ist rein zum Verzweifeln; es war mir zu Muthe, als fiele mir bei jedem dieser ewigen Tiktak ein Tropfen eisig kalten Wassers auf den Kopf. Ich nahm endlich die Flucht aus dieser Hölle und ward Soldat, mit siebenzehn Jahren; dann wurde ich für das Corps der Douaniers tüchtig befunden, in die Pyrenäen geschickt, von da an die Schweizergrenze, vor da hierhin … ich habe es jetzt, und zwar sehr rasch, sagen meine Kameraden, bis zum Inspector gebracht … und ich wollte, Sie wären meine Frau, Demoiselle Gertrud, wahrhaftig, ich könnte darum wieder ein Uhrmacher werden.«

»Und Ihre Schwester?«

»Meine Schwester … fragen Sie nicht mehr nach der. Die ist aus dem Waisenhause nach Paris als Bonne gekommen – in ein vornehmes Haus, wo man sie zum Fräulein dressirt hat, zur vornehmen Dame, zur – ach, das verstehen Sie nicht, Gertrud, was man in Paris aus einem armen Waisenmädchen, wenn es hübsch und ein wenig gelehrig ist, Alles machen kann! Genug – für mich ist sie verloren … ich habe nichts, gar nichts mehr auf der Welt … als mein bischen Glück, das die Caprice hat, mich seit einiger Zeit zu verfolgen und mir nur bei Demoiselle Gertrud untreu wird!«

»Schreiben Sie denn gar nie Ihrer Schwester?« fragte Gertrud.

»Ich weiß nicht einmal, wo sie ist; schon seit Jahren nicht mehr.«

»So sollten Sie sich erkundigen und sie zu sich nehmen, jetzt, wo Sie eine Anstellung und Ihr Brod haben.«

»Sie sind sehr unschuldig, Demoiselle Gertrud! Die will nichts von meinem Brod! Die ist Besseres gewöhnt.« –

Die Schulzentochter fand für gut, nicht weiter zu forschen.

Der Inspector leerte sein Glas.

»Und mein Geheimniß?« sagte er dann aufstehend. »Wollen Sie's wirklich nicht anhören, Gertrud?«

»Ich muß in den Garten, Salat pflücken,« versetzte das junge Mädchen, indem sie eine blaue Kattunschürze aus einem an der Wand befindlichen Spind nahm und vorband.

»Das soll heißen: geh' jetzt endlich,« sagte der Inspector lächelnd; »Sie sind kurz angebunden, Gertrud. Aber wenn das Geheimniß nun einen gewissen jungen Mann, genannt Georg, beträfe?«

Gertrud sah betroffen rasch auf, faßte sich jedoch gleich wieder und fragte anscheinend sehr gleichmüthig:

»Was ist's mit diesem Georg?«

»Der Georg ist ein junger Mann, der sich des Nachts auf's Ohr legen und schlafen soll; der Jugend thut der Schlaf noth. Gertrud, sagen Sie ihm das, und wenn's sein kann,« setzte der Inspector pfiffig mit den Augen blinzelnd hinzu, »sagen Sie's ihm noch heute, hören Sie, noch heute!«

»Des Nachts aufs Ohr legen? Was soll das heißen? Treibt er sich denn etwa Nachts umher?« fragte Gertrud, ein leichtes Erschrecken jetzt nicht mehr verbergend.

»Pst, mein Schatz, so fragt man uns nicht aus,« gab der Douanier lachend zur Antwort, indem er die Dienstmütze aufnahm und den Degen einhing. »Was ich gesagt habe, das hab' ich gesagt! weil ich der Demoiselle Gertrud gut bin – weil mais c'est assez. Bekomm' ich zum Abschied wenigstens die Hand?«

Gertrude war über das, was der Franzose gesagt, wie es schien, sehr betroffen – so daß sie wohl ohne weiter viel daran zu denken, in die dargereichte Rechte des Fremden ihre Hand legte. Er hielt sie fest.

»Es ist doch Schade, daß ich nicht Georg heiße!« sagte er jetzt ihr ziemlich feurig in die offenen und unschuldig aufgeschlagenen Augen blickend.

Sie wollte ihm rasch, die Hand entziehen, aber er hielt sie immer noch fest, und so entstand ein leichtes Ringen, das plötzlich endete, als der große Hund anschlug und die Tenne hinuntertrabte.

Beide blickten auf; durch das offene Einfahrtsthor am Ende der Tenne war eben ein junger Mann getreten, der rasch heraufkam.

»Ah, da ist ja Monsieur Georg!« sagte der Inspector; »nun, vergessen Sie nicht, ihn zu warnen, Gertrude … Adieu!«

Er wandte sich und ging … durch die Seitenthüre, die aus der Küche in's Freie führte, so daß er dem Herankommenden nicht begegnete.

Gertrude blieb am Heerde stehen; ihr Gesicht hatte sich geröthet; so blickte sie dem jungen Manne entgegen. Es war ein auffallend hübscher Mensch, etwa zwanzig Jahre alt, blond wie Gertrud, und wie diese in der Tracht der Landleute der Gegend. Sein volles rundes Gesicht aber war blaß vor Zorn.

»Was hattest Du wieder mit diesem verdammten Franzosen?« sagte er, ohne sie weiter zu begrüßen, mit zitternder Lippe.

»Nichts,« sagte Gertrud trocken, offenbar von der Frage und der Art, wie sie gestellt worden, verletzt.

»Was hatte er hier zu thun, während Du allein zu Hause bist?«

»Er kam kam um ein Glas Mild zu verlangen,« versetzte sie in demselben Tone wie oben.

»Und mußte er darum mit Dir ringen?«

»Ich habe nicht mit ihm gerungen!«

»Nicht? er hielt Deine Hand gefaßt … ich hab's recht wohl gesehen!«

»Er wollte gehen – ich gab ihm die Hand; daß er sie fest hielt, ist nicht meine Schuld, und das darf Jeder sehen!«

»Du hättest ihm die Hand nicht geben sollen – Du sollst sie ihm nicht geben!«

Gertrude machte sich, ohne zu antworten, am Feuer zu schaffen. Georg warf sich zornig auf die Bank, wo vorhin der Franzose gesessen.

»Wenn ich diesen Franzosen noch einmal hier um's Haus lungern sehe, so giebt's ein Unglück, Gertrud, das sage ich Dir,« fuhr Georg fort, den Kopf auf den Arm stützend.

Gertrude schwieg. Sie machte sich in der Küche zu thun, verschwand in der Nebenkammer, kam zurück, band ihre Schürze wieder ab, die sie sorgfältig zusammenlegte und glättete und dann wieder in das Spind schloß – Alles mit anscheinend völliger Ruhe; und dann trat sie plötzlich an den Tisch vor den Jungen und mit flammender Röthe, als ob der Zorn in ihr bis jetzt Zeit gebraucht, um aufzukochen, sagte sie:

»Georg, es ist schlecht von Dir, daß Du so redest, Du weißt's recht gut, daß ich mit dem Franzosen nichts zu schaffen habe, und Du thust's nur, um mich zu ärgern und Streit mit mir anzufangen, und das laß ich mir nicht mehr gefallen, und Du kannst Dir eine Andere suchen, die sich's gefallen läßt, aber ich thu's nicht, ich will's nicht mehr hören, wie Du Dich wie ein böser, tückischer Mensch an mir versündigst, und wenn Du noch ein einziges Mal von dem Franzosen anfängst, so ist's aus mit uns, rein aus, das sag ich Dir« …

Georg blickt auf; er schien auf diesen zornigen Erguß etwas antworten zu wollen, was er dann doch verschluckte und sah störrisch vor sich nieder.

Gertrude ging wieder wie vorher bald hierhin bald dorthin in der weiten Küche; endlich sagte sie:

»Der Franzose ist nicht so unehrlich wie Du glaubst. Er hat mir etwas gesagt, das kam aus einem guten Herzen. Etwas über Dich!«

»Ueber mich, das aus einem guten Herzen kam?« antwortete Georg, Achsel zuckend und zornig auflachend.

»Ja … eine Warnung für Dich. Georg, was hast Du für die Nacht vor?«

»Für die Nacht? Nun, was anders als zu schlafen!«

»Bist Du ehrlich? Sagst Du die Wahrheit?«

Georg zuckte abermals die Achsel.

»Es mag sein,« fuhr Gertrude fort, »aber er sagt, ich solle Dich warnen, Du solltest die Nacht im Bette bleiben und das solle ich Dir noch heute sagen. Also ist wohl etwas im Werke, was dem Franzosen verrathen ist, und das für diese Nacht noch!«

»Ich weiß nichts davon,« versetzte Georg; ich habe mich nie darum bekümmert und werde es auch heute nicht!«

»Desto besser!« sagte Gertrude.

Gertrude war in den Garten gegangen, um endlich den Salat zu pflücken. Georg behauptete seinen Platz und seine Stellung, wie ein »stiller Wütherich« – das sind sie ja fast alle; diese anscheinend so ruhigen westphälischen Menschen mit ihren harmlosen blauen Augen!

Nach einer guten Weile vernahm er Hufschläge draußen. Als er aufstand und durch das Fenster über ihm blickte, sah er zwei Reiter, einen Herrn und eine Dame, neben dem Zaune halten, welcher den Garten umhegte, in dem Gertrud beschäftigt war. Gertrude trat eben an die innere Seite des Zaunes und sprach mit den Fremden.

Georg ging jetzt durch die Seitenthür hinaus und trat ebenfalls in den Garten. Er näherte sich, und während die Fremden von ihren Pferden herunter mit dem jungen Mädchen in sehr gebrochenem und französisch accentirtem Deutsch redeten, betrachtete er dieselben sehr aufmerksam.

»Also Sie sind nicht im Stande uns überzusetzen, liebes Kind,« sagte die Dame zu Pferde, die ein langes Reitkleid von grauem Stoff und einen coquetten kleinen Castorhut trug; »nun,« setzte sie hinzu, »es thut nichts, es war ein bloßer Einfall von mir; wir haben uns doch weit genug vom Hause entfernt und werden den Weg am Ende nicht wiederfinden. Die Wege sind so schwer zu finden in Eurem Lande, wo man zwischen den Wallhecken nicht rechts, nicht links sehen kann.

»Ich glaube es schon,« versetzte Gertrud, »Sie sollten einen Mann mit sich nehmen, der die Gegend kennt.«

»Mein Oheim liebt nicht, einen Reitknecht hinter sich zu haben,« versetzte die Dame, »und wir müssen uns finden lernen in das Land, wo wir nun einmal wohnen. Adieu, mein liebes Kind – vous êtes charmante. A revoir!«

Sie wandten Beide ihre Pferde und ritten den Weg zurück, den sie gekommen.

»Was wollten sie?« fragte Georg, indem er zu Gertrude trat, die ihnen nachschaute.

»Sie fragten, ob sie hier über den Fluß gesetzt werden könnten, ich sagte ihnen, daß wir nur Fußgänger übersetzten, keine Wagen und Pferde. Kennst Du sie?«

»Gewiß,« entgegnete Georg. »Du nicht?«

»Nein.«

»Aber Du hast von dem Baron Landeron gehört?«

»Der neuen Herrschaft auf Schleburg … davon hab ich gehört. Die war's?«

»Der Baron und seine … Nichte!«

»Warum spricht Du das so spöttisch aus?«

»Weil Niemand aus den Leuten klug wird,« antwortete Georg, der über dem kleinen Ereigniß ganz vergessen zu haben schien, daß er Getruden grollte, vielleicht auch die Gelegenheit zu unmerklicher Versöhnung gerne ergriff. »Du weißt, der frühere Herr von Schleburg ist vor Jahren amüsirenshalber nach Paris gegangen. Er hat nichts von sich hören lassen, als wenn er dem Rentmeister um Geld geschrieben; der hat ihm endlich geantwortet: ich habe geschickt, so lange ich hatte, jetzt aber ist es zu Ende, und für das Jahr müssen Sie mich in Ruhe lassen, denn alle Erträgnisse und Einkünfte sind schon auf ein Jahr und mehr im Voraus erhoben. Da hat der junge Herr nichts darauf gesagt und hat gar nicht mehr geschrieben und gar nichts mehr von sich hören lassen. Endlich, eines schönen Morgens, da kommt eine Postchaise auf den Hof gerollt, ein Herr und eine Dame darin, der Herr verlangt den Rentmeister zu sprechen und als dieser erscheint, überreicht ihm der Fremde einen Brief. In dem Brief aber, geschrieben von der eigenen Hand des Herrn von Schleburg, da steht drin: Betrachten Sie von diesem Augenblicke an den Ueberbringer dieses, den Baron Landeron, als Eigenthümer von Schleburg und Allem, was dazu gehört. Punktum.«

»Seltsam! Und das war Alles?« fragte Gertrud.

»Alles, was der Brief enthielt. Außerdem aber hatte der Baron noch eine Schrift in der Tasche, die hatte ein Notar in Paris aufgesetzt, und da stand drin, daß der Herr v. Schleburg für eine Summe Geldes, die ihm der Baron vorgeschossen, diesem das Eigenthum seines Gutes übertragen habe. Das Friedensgericht hat's untersucht und hat erklärt, es sei richtig!«

Gertrude schüttelte den Kopf.

»Der arme junge Mensch!« sagte sie. »Er hatte ja nichts weiter, als das schöne Haus, das sein Geburtshaus war, mit den vielen, vielen Aeckern, Wiesen und Wäldern dabei.«

»Er wird eben ein Gimpel gewesen sein,« sagte Georg, mit der ganzen Kaltblütigkeit des Landvolkes gegen Alles, was in den Kreisen der Adelsfamilien und Gutsherrschaften vorgeht. »Ein Gimpel, der das Seinige in Saus und Braus verthan, vergeudet, verspielt hat. Vielleicht hat dieser französische Baron die ganze Boutique im Kartenspiel gewonnen, mitsammt der Nichte, die mit ihm spazieren reitet!«

»Du bist böse, Georg, der etwas Uebles nachzusagen,« versetzte Gertrude, »es ist eine so freundliche Dame, die ist recht von Herzen gut, sie soll ja auch so viel Gutes an den Armen und Hilfsbedürftigen thun.«

»Pah!« sagte Georg … »ich nähme nichts von ihr, wenn sie mir etwas schenken wollte!«

»Nun,« lachte Gertrude plötzlich auf, »ich würde es Dir auch nicht rathen, daß Du Dir von ihr etwas schenken ließest!«

Georg mußte einen solchen Gedanken nicht so komisch finden; er sah noch immer sehr ernst darein und jetzt wie fragend in ihr Gesicht.

Gertrude lachte eigentlich nur aus Vergnügen, daß sie beide über dem Gespräch ihren Zorn ganz vergessen hatten und doch noch so ernste Mienen machten, indem sie sprachen. Es kam ihr komisch vor.

»Was lachst Du, Gertrud?« fragte er.

»Daß Du Dir von ihr etwas schenken lassen willst, und mich eben beinahe erdrosselt hättest, weil ich dem Franzosen die Hand gegeben!«

»Dich habe ich nicht erdrosseln wollen, Gertrud,« entgegnete Georg, die Stirn runzelnd: »aber den Franzosen – dazu hätt' ich Lust; und ich thu's auch noch – er mag sich wahrhaftig in Acht nehmen vor mir!«

»Meiner Seel', ich glaub' gar, Du fängst wieder von vorn an.«

»Hat das Franzosenvolk hier etwas zu schaffen?« fuhr Georg zornig fort. »Was thut das Gesindel hier? Es chicanirt uns, es plündert uns aus, es schindet die Leute nach Herzenslust; und was ein paar gesunde Arme hat, das muß mit in den Krieg, nach Spanien, nach Rußland, Gott weiß wohin, um sich todtschießen zu lassen. Das andere Jahr muß ich auch mit. Der Alte hat's gesagt: für meinen Bruder, den Rudolf, hätt' er das Geld geschafft zu einem Remplacanten Remplaçant: Ersatzmann. – Anm.d.Hrsg., aber wenn's an mich käm', dann ging's nicht mehr, er wüßt's nicht mehr aufzutreiben, weil's jetzt gar so theuer wär' und Keiner mehr Lust hätt' es für einen Andern zu riskiren; denn es kommt Keiner mehr zurück, den sie einmal gefaßt und mitgeschleppt haben! – Es ist eigentlich, wenn man's recht bedenkt, eine Sache, daß man ganz und gar des Teufels darüber werden und in die Lage kommen könnte und mit den Sensen und Heugabeln Alles todtzuschlagen, was von den Hunden im Lande ist! Die Spaniolen, hab ich mir sagen lassen, die wären eben dabei und thäten's Der Volksaufstand in Spanien gegen die französische Fremdherrschaft hatte im Mai 1808 begonnen. – Anm.d.Hrsg, … aber hier ist die Courage nicht, zu so Etwas!«

»Gott sei Dank,« sagte Gertrud, erschrocken über diese wilden Reden – »sprich doch nicht immer wie ein wüthender Mensch vom Erdrosseln und Todtschlagen … und was den Remplacant angeht, Georg,« setzte sie, ihre Stimme zum Flüstern dämpfend, hinzu, »so hab' ich schon meinen Plan.«

»Du? Nun?«

»Ich rede,« versetzte sie erröthend und zu Boden blickend – »ich rede mit dem Vater … Der hat's. Und ich denk' auch, er giebt's schon her!«

Georg schüttelte traurig den Kopf.

»Vielleicht gäb' er's schon,« sagte er, »aber dann müßte erst der meine andern Sinnes geworden sein … Du weißt, er will nichts davon wissen, daß ich um Dich freie, er denkt immer noch an den alten Streit, denn er mit Deinem Alten gehabt hat, und … wenn er sich etwas in den Kopf, gesetzt hat… Du weißt, wie er ist!«

Gertrude zeichnete nachdenklich mit der Spitze ihres Schuhes eine Figur in den Sand … dann sagte sie:

»Aber einmal muß er doch nachgeben, wenn er sieht, daß wir's nun 'mal nicht anders thun!«

»Ja, einmal,« antwortete Georg mit einem Seufzer; »aber es wird noch viel Wasser durch den Mühlenbach laufen bis dahin!«

Sie seufzte tief auf und legte ihre Hand auf George Schulter. Dann, wie die trüben Gedanken fortscheuchend, strich sie sich die blonden Haare aus der Stirne und sagte:

»Komm mit in's Haus. Die Leute kommen gleich zurück, und ich muß den Kaffee für sie kochen.« – – –

Als Georg den Schulzenhof verließ, war es Abend geworden. Er hatte eine halbe Stunde weit zu gehen bis zu seinem elterlichen Hause. Das war ein stattliches Mühlengehöft, das zwischen Aeckern und Kämpen und Wallhecken ziemlich versteckt dalag. An dem vorüberführenden Fahrwege lag das lange, stattlich aussehende Wohnhaus, eine Reihe Linden stand davor, oben zu einer Hecke geflochten und geschoren, die statt der Jalousien die Mittagssonne von den Fenstern abzuhalten bestimmt war. Unter der Thüre hing ein Wirthshausschild, das zur Einkehr einlud. Hundert Schritte weiter abwärts lag das Mühlengebäude, an einem schmalen Bachgewässer, das von hier aus in vielen Verschlingungen sich dem Flusse zuwandte.

Als Georg in die Küche trat, fand er den Müller, seinen Vater, und seinen älteren Bruder im Gespräch mit einem Gaste. Er kannte ihn, es war ein Kaufmann aus einer mehrere Stunden entlegenen Stadt, ein kräftiger Mann in mittleren Jahren. Er sprach lebhaft und wie mit unterdrückter Heftigkeit zu den beiden Anderen; als Georg eintrat und er diesen wahrnahm, verstummte er plötzlich.

»Es bleibt dabei,« sagte jedoch ohne sich daran zu kehren, der Müller. »Ich will nichts damit zu schaffen haben. Und Gott steh' dem von meinem Volke bei, der sich hineinmischt. Nachtquartier könnt Ihr gern bekommen, Herr Henrici, Eure alte Stube; aber um neun Uhr schließ ich die Hausthüren und es kommt Keiner mehr hinaus, dafür steh' ich!«

»Ich hätte nicht gedacht, Müller,« antwortete der Kaufmann, »daß Ihr mit den Franzosen halten und einen ehrlichen Landsmann ohne Hülfe lassen würdet!«

»Ich halte es nicht mit den Franzosen – meinethalben kann sie noch in dieser Nacht alle mit einander der Teufel holen,« entgegnete der Müller. »Aber ich will nicht um anderer Leute Sachen willen unglücklich werden, und will nicht, daß es Einer von den Meinigen wird. Ihr habt es gehört, Jungen. Richtet Euch darnach. Du auch, Georg!«

»Ich weiß ja noch gar nicht, wovon die Rede ist,« versetzte Georg ohne besondere Neugier. Er konnte denken, wovon die Rede war.

»Herr Henrici läßt diese Nacht einen Waarentransport hier vorübergehen … drei Wagen mit Contrebande. Er meint, er könne noch einen oder den andern Mann mehr zur Bedeckung brauchen und wir sollten ihm beistehen, wenn die Douaniers ihn angriffen« …

»Sie werden ihn angreifen,« versetzte Georg trocken.

»Woher wißt Ihr das?« fragte der Kaufmann.

Georg antwortete nicht. Erst nach einer Weile versetzte er:

»Ich mein's so. Ich bin dem Inspector begegnet, der just so aussah, als ob er eine Beute in der Witterung habe.«

Der Kaufmann zuckte die Achseln.

»Eine Beute,« sagte er, »hat Der immer in Witterung; es kommt nur darauf an, ob er sie bekommt. Und bekommen wird er sie nicht, dafür steh' ich Euch. Wir sind Mann's genug.«

»Wenn Ihr Mann's genug seid, dann habt Ihr ja uns nicht nöthig,« sagte der Müller.

»Nun, es ist um der größeren Sicherheit wegen,« versetzte Henrici. »Wenn Ihr's nicht wollt, könnt Ihr's ja bleiben lassen.«

»Ihr solltet die ganze Sache bleiben lassen,« fiel Georg ein; »ich sage Euch ja, die heutige Nacht ist nicht die Zeit dazu … glaubt mir's?«

»Dazu ist's zu spät; die Wagen werden sich um diese Stunde allmälig in Bewegung setzen; wenn ich ihnen jetzt entgegenliefe, so würde ich ihnen auf der Felltrups-Haide begegnen und da kann ich sie nicht stehen lassen; sie zurück schicken ist eben so gefährlich als vorwärts zu gehen, und außerdem ist einmal alles eingerichtet, um diese Nacht damit voran zu kommen; die Leute und die Pferde sind dazu gedungen und bezahlt.«

»Es ist Eure Sache,« sagte der Müller und wandte sich ab, um auf die Tenne zu gehen, wo das Gesinde, das von der Weide gekommene Vieh eben einstallte – er wollte ihnen dort wahrscheinlich seine gemessenen Befehle kund thun.

Der Kaufmann aber ging unruhig ab und zu, und verließ das Haus endlich, um in der Gegend der Mühle umherzuschlendern; es wurde eben ein Reparaturbau daran vorgenommen und zwischen dem Hause und der Mühle war eine Nothbrücke über den Bach gelegt, um Baumaterial herüberzuführen.

Als Georg aus dem Fenster sah, welches auf die Mühle hinausging, nahm er war, wie der Kaufmann auf dieser Nothbrücke hin und her ging, gleich als ob er die Festigkeit derselben untersuchen wolle – er mochte daran denken, daß es nöthig werden könne, von dem Wege abzulenken und die Wagen just an dieser Stelle über den Bach zu führen. Nach einer Weile kam der Mühlknecht aus der Mühle; der Kaufmann sprach mit ihm, dann gingen sie Beide den Fahrweg hinab eifrig mit einander redend. Der Mühlknecht war ein verwegener streitsüchtiger Mensch. Gewiß hatte der Kaufmann an ihm gefunden, was er suchte!


Drittes Capitel.

Unterdeß war die Herrschaft, welche wir vorhin im Gespräch mit Gertrude sahen, nach ihrem »Schlosse« heimgeritten, wie sie es mit französischer Emphase nannte.

Haus Schleburg war ein geräumiges altes Castell. umgeben von breiten Wassergräben und nur zugänglich von einer Seite, wo eine Zugbrücke über den Graben an ein Thorgebäude mit einer gewölbten Durchfahrt führte.

Durch diese Durchfahrt gelangte man auf einen viereckigen Hof, dessen Hintergrund von dem Hauptwohnhause gebildet war, während rechts Remisen und Stallungen sich befanden, links lag die Wohnung des Rentmeisters, zwischen ihr und dem Herrenhause schloß eine Mauer den Hof, und durch diese führte eine kleine Thür auf eine schmale Laufbrücke, welche die Verbindung mit dem weiten und ziemlich wüst aussehenden Garten herstellte. Als der Baron Landeron mit seiner Nichte auf dem Hofe angekommen war und der Letzteren aus dem Sattel geholfen hatte, sagte er:

»Der Abend ist so schön, ich hätte Lust, noch ein Promenade durch den Garten zu machen … ist es Dir recht, oder hindert Dich Dein Reitkleid im Gehen?«

»Nicht im Geringsten, versetzte das junge Mädchen, indem sie das graue Reitkleid aufnahm und die langen Falten desselben über ihren linken Arm schlug. Die Rechte legte sie in den Arm des Barons, und während die Knechte die erhitzten Pferde abführten, wandelten Beide dem Thürchen in der Ecke des Hofes zu und über die lange, unter ihren Schritten elastisch sich bewegende Brücke. Ein breiter Pfad, der rechts und links von Taxushecken begrenzt war, und in der Mitte eine Reihe von Sandsteinfiguren zum Schmucke hatte, führte der Länge nach dem Garten hinunter; der Baron und seine Nichte wandelten diesen Pfad hinab.

»Welche seltsame Idee,« sagte das junge Mädchen, »diese alten Steinfiguren in die Mitte des Weges zu stellen, wo sie den freien Blick hemmen; ich würde sie in Deiner Stelle rechts und links aufstellen, Onkel, und sie bei dieser Gelegenheit einmal von all dem Moos und Schmutz reinigen lassen, der sie bedeckt!«

Der Onkel antwortete nicht. Er ging schweigend neben ihr, offenbar von Gedanken eingenommen, die ihn auf das Geplauder seiner Nichte nicht hören ließen.

»Ich muß Dir überhaupt gestehen, daß mir dieser altfränkische Garten durchaus nicht gefällt,« fuhr diese fort. »Statt dieser Taxushecken, statt dieser in Pyramiden geschnittenen kleinen Obstbäume, statt dieser dunklen, feuchten Lauben, die der Gärtner so pittoresk ›Maikasten‹ nennt, würde ich eine hübsche, moderne Anlage machen lassen … wäre es zu theuer, einen Gärtner dazu aus Paris kommen zu lassen?«

»Wenn er Dir nicht gefällt, der Garten, Cornelie, so laß ihn anders machen,« versetzte der Baron jetzt beinahe brüsk.

»Was? ich?« sagte das junge Mädchen. »Du bist sehr gütig, mir das so ganz zu überlassen, aber ich möchte das Gesicht meines gestrengen Onkels sehen, wenn er eines Morgens einen Haufen Arbeiter hier erblickte, die auf meinen Befehl alles Oberste zu unterst kehrten.«

»Ich würde dem sehr ruhig und gleichmüthig zuschauen, mein Kind, ich würde sagen: Die Gebieterin hat es so befohlen!«

»Wie galant!«

»Es ist mein Ernst, Cornelie, mein voller Ernst, was ich sage. Du bist die Gebieterin hier, Du kannst befehlen, das alte Schloß dort drüben, wenn es Dir Vergnügen macht, in den Graben zu werfen und« …

»Halte ein, Onkel«, fiel Cornelie ihm ins Wort, »Deine Galanterie wird zu groß, und wenn Du so fortfährst, beginne ich mich wahrhaftig zu fürchten.«

»Vor was?«

»Davor, daß Du mir eine Liebeserklärung machest und plötzlich aus meinem strengen Mentor mein Mann werden wollest!«

Cornelie begleitete diese Worte mit einem gezwungenen Lächeln, während doch alle Farbe aus ihren Zügen wich und sie damit bewies, wie sehr diese Idee sie erschreckte.

»Du scherzest, Cornelie – ich glaube wenigstens nicht, daß ich bis jetzt Dir eine Sorge dieser Art erweckt habe,« versetzte der Baron sehr bewegt, mit einem Ton der Stimme, der fast traurig klang. »Uebrigens will ich,« setzte er, sich zu einem leichteren Tone zwingend, hinzu, »mit dieser Dich beunruhigenden Galanterie aufhören; Du magst Dir das, was ich gesagt habe, unterdeß ein klein wenig in Gedanken ausspinnen und Dir Luftschlösser aufbauen – träume Dich einmal recht lebhaft in den Gedanken hinein: ich wäre gar nicht da und Du wärest die alleinige Herrin dieses Hauses. Aber freilich, Du wirst zu solchen Träumereien nicht die ruhige Muße behalten, wenn ich Dir eine Nachricht mittheile, die all Deine Gedanken an sich reißen wird« …

»Und welche Nachricht könnte das sein?« fragte Cornelie lebhaft.

»Ich will es Dir sagen, nachdem Du mir vorher ein Versprechen gegeben hast.«

»Laß' hören!«

»Das Versprechen, ruhig zu bleiben und mich in dem, was ich zu thun vorhabe, nicht zu drängen, mich meinen Weg geben zu lassen!«

»Du wirst immer hieroglyphischer, mein Onkel – aber es sei; also, ich werde Dich Deinen Weg geben lassen … mein Gott, habe ich das nicht immer gethan?«

»So höre denn … ich habe Deinen Bruder ausfindig gemacht!«

»Meinen Bruder?!«

»So ist es.«

»O, mein Gott, wo ist er, was hast Du von ihm erfahren?!«

»Ich habe von ihm erfahren, daß er sehr wohl auf ist: daß er im Corps der kaiserlichen Douaniers dient; daß er es kürzlich bis zum Inspector gebracht hat« …

Cornelie war stehen geblieben und drückte ihre Hand auf ihr hochaufschlagendes Herz.

»Wie mich das freut,« sagte sie; »aber wo ist er?«

»In dem ungeheuren Kaiserreich, in welchem er Dir seit zehn Jahren verloren gegangen war, ist er Dir näher, als Du ahnst« …

»Hier in Deutschland?«

»Hier in Deutschland, und sogar in diesem Theile Deutschlands, in welchem wir uns befinden.«

»Großer Gott, so werde ich ihn sehen, bald sehen?«

»Ja, Cornelie aber denkst Du an das Versprechen, welches Du mir eben gabst?«

»Ich denke daran!«

»Gut – dann darf ich Dir auch sagen, Dein Bruder François Aubertin ist Douanen-Inspector im nächsten Arrondissementsort.«

»Wär's möglich?! Und seit wann erfuhrst Du das? Dann kann ich ihn morgen wiedersehen, o noch heute – noch heute – es ist noch nicht spät« …

»Du würdest ihn heute nicht finden – Du mußt Dich gedulden, bis ich den Augenblick gekommen finde, wo ich Euch zusammenführe – vielleicht morgen – spätestens übermorgen.«

»Du bist grausam, Onkel,« rief Cornelie bewegt aus – »ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen – meinen Bruder, meinen armen François!«

»Fordere ich mehr als für wenige Stunden Geduld?«

»Nun, ich will sie haben, … aber morgen, nicht wahr, Onkel, morgen führst Du mich zu ihm?«

»Nun wohl, morgen, wenn es möglich ist!«

Cornelie verlangte noch viel zu wissen von ihrem Onkel, wann er den Bruder entdeckt, weshalb er ihr erst jetzt diese Mittheilung mache, weshalb nicht gleich, wie lange schon ihr Bruder in dieser Gegend sei – aber der Baron war eigentlich schweigsam über dies Alles, und gab auffallend ausweichende Antworten.

Er führte Cornelie in's Haus zurück und diese ging in höchster Aufregung in ihr Wohnzimmer – der Gedanke an das Wiedersehen, das ihr bevorstand, ließ ihr nicht Zeit, darüber nachzugrübeln, was der Baron ihr sonst noch gesagt, und weßhalb ihm, wie es offenbar den Schein hatte, dies Wiederfinden so wenig Freude machte!

Es war Abend geworden. Der Himmel, der den ganzen Tag über so sonnig und heiter gewesen, hatte sich gegen Abend mit Wolken bezogen. Doch hob sich, um neun Uhr etwa, der Mond groß und voll über den Hügeln, welche im Osten den Horizont schlossen; er verbreitete sein mildes, blaugelbes Licht über die ganze wellenförmige, mit Wäldern, Aeckern, Waldbecken bedeckte und »coupirte« Landschaft, deren Mittelpunkt der alte Edelhof bildete.

Kurze Zeit, nachdem der Mond sich erhoben, schritten zwei Männer, die beide Doppelflinten auf dem Rücken trugen, über die lange Brücke, welche aus dem Thorhause von Schleburg an die andere Seite des breiten Schloßgrabens führte. Sie schlugen den Weg nach dem Walde ein, der zum Gute gehörte, und der sich etwa eine Stunde weit über die von Osten nach Süden streifenden Höhen hinzog. Der Schulzenhof, den wir kennen, lag südlich von diesem Walde, die Mühle westlich, dem Gute näher.

Die beiden Männer – es waren der Baron Landeron und der Förster von Schleburg – erreichten nach etwa zehn Minuten den Wald und dann vertieften sie sich in die Dunkelheit, welche die Wipfel der alten Buchen und Eichen, deren dichter Bestand das Unterholz niederhielten, hier verbreiteten. Doch wandelte der Förster sicheren Schrittes auf dem schmalen Fußpfad vorauf, den andere Augen als die seinen kaum hätten erkennen und in seinen Schlingungen verfolgen können. Landeron folgte ihm, einsilbig und, wie es schien, mit mehr Gedanken an fern liegende Dinge als an den Rehbock beschäftigt, dem diese nächtliche Expedition galt.

Man kam endlich an eine Lichtung, auf der es hinreichend hell war, um den Bewegungen eines Wildes folgen zu können und einen sicheren Schuß zu haben. Oben am Himmel kämpfte der Mond mit den Wolken, seine »wolkenzerstreuende Kraft« schien siegreich das Gewölbe, das ein leichter Nachtwind vor ihm hertrieb, zu bekriegen.

»Hier über diese Lichtung hat der Bock seinen Wechsel,« sagte der Förster; »da unten, am Ende der Blöße, zieht sich der Fahrweg entlang, aus dem steigt er auf und schlägt sich dann linkshin ins Gebüsch.«

»Wo ist der Fahrweg?« fragte der Baron.

Der Förster führte ihn an's Ende der Lichtung. Wo sie aufhörte, fiel das Terrain einige Fuß tief ab und unten zog sich an der ganzen Blöße entlang ein breiter und, wie es schien, ziemlich befahrener Weg hin. Drüben, jenseits des Weges, begann wieder dichter Wald. Aus diesem Dickicht war das Wild zu erwarten. Es überschritt dann den Fahrweg, kam auf die Lichtung herauf, wandelte quer über diese Fläche und verschwand dann seitwärts im Dunkel des Waldes wieder.

Der Baron nahm deßhalb seinen Stand an einer alten, allein auf der Blöße stehenden Buche, deren Stamm ihn, nach der Seite hin, woher das Wild kommen mußte, verdeckte. Der Förster aber kehrte in den Wald zurück, um weiter seinen Anstand zu nehmen für den Fall, daß sein Herr das Thier fehle.

Der Baron stand lange an seiner Buche. Das Mondlicht begann heller und heller in den Wald, auf das Haidekraut und den kurzen Gestrüppaufschlag, der die Lichtung bedeckte, zu scheinen. Es herrschte Todtenstille ringsumher. Nur in der Ferne wurde von Zeit zu Zeit der lang gezogene tiefe geheulartige Schrei einer Eule laut. In dem Wipfel der Buche flüsterte und klagte der Nachtwind und ließ die Schatten der Aeste zu den Füßen Landerons hin und herschwanken.

Endlich ertönte in der Ferne, in der Richtung, aus welcher der Fahrweg kam, ein Geräusch; es war wie das Krächzen und Seufzen von Wagenrädern, die sich im Sande bewegen. Der Baron wandte sich unwillkürlich; und indem er seine Augen die Waldstelle überfliegen ließ, wo der Fahrweg aus dem Dunkel hervorkam, um dann die Lichtung so zu sagen zu säumen, glaubte er eine Bewegung in den Büschen dort, etwa zehn Schritte rechts vom Wege, wahrzunehmen – als ob ein Wild da die Zweige durchbreche. Aber es kam kein Wild, es trat wenigstens keines in den Kreis der Hellung hervor. Auch das Geräusch wie eines fahrenden Wagens war verstummt. Dann tönte es auf wie ein leiser unterdrückter Ruf, aus derselben Gegend. Der Baron horchte auf; die Eule in der Ferne schrie auf's Neue; dann versank Alles wieder in das vorige Schweigen.

Noch drei, noch vier Minuten lautlosen Harrens; endlich mußte der Baron das erwartete Wild erblicken; er hatte die Flinte angeschlagen – er zielte jetzt, er drückte ab – der Schuß hallte weithin durch die stille Waldesnacht.

Gleich darauf, fast im selben Augenblicke ertönte – es mußte ganz nahe sein, ein zweiter Schuß.

Landeron machte ein paar Schritte vorwärts. Dann stand er plötzlich wie festgebannt still; vor ihm entstand mit einem Male ein Lärm, der losbrach, als ob der Schuß, oder die Schüsse die gefallen waren, das Signal zum Losbrechen eines Kampfes gewesen, der nun auf einmal den eben noch so stillen Wald mit einem räthselhaften Streit und Getöse erfüllte. Da wo der Fahrweg aus dem Wald hervorkam, zeigte sich eine heftig bewegte, aus dem Dunkel sich in die Helle vordringende Gruppe von rufenden, tobenden, Waffen und Knittel schwingenden Männern. Landeron eilte nun dahin – kaum hatte er aber vier oder fünf Schritte gemacht, als er zwei Männer – sie waren plötzlich wie aus dem Boden vor ihm aufgetaucht – auf sich zustürzen sah.

»Haben Sie geschossen?« schrie ihn der Erste an.

»Sie haben geschossen, Elender!« rief der Andere aus, und zugleich warfen sie sich auf ihn und entrissen ihm die Flinte.

»Ich begreife nicht … was wollen Sie von mir!« rief der Baron zornig … »was hab ich mit Ihnen zu schaffen?«

Aber ohne auf seine Protestation zu achten, ergriffen sie seine Arme, wanden sie brutal über seinen Rücken zusammen und fesselten sie da.

Das Alles war unglaublich rasch geschehen. Die beiden Männer – der Baron erkannte sie an ihrer Uniform als Douaniers – zogen ihren Gefangenen, ohne auf seine Zornesausbrüche zu hören, dem Schauplatze des Lärms zu.

Als sie diesem nahe gekommen waren, sah Landeron einen Mann, ebenfalls in der Douaniersuniform, in einen Mantel gehüllt auf dem Haidekraut am Boden liegen – er wand sich in heftigen Schmerzen und war offenbar schwer verwundet.

In diesem Augenblicke aber trennte sich die Gruppe der kämpfenden Menschen da unten im Fahrwege: es war ein wirres Durcheinander gewesen, ein Schwingen von blanken Waffen und Büchsenkolben und ein Ringen, ein hin und her, welches das unzulängliche Mondlicht noch haarsträubender und entsetzlicher machte – dazwischen erschollen deutsche und französische Flüche, Ausrufe, Verwünschungen. Es waren offenbar Schmuggler, die von Douaniers überfallen verzweifelten Widerstand leisteten; in dem Augenblicke aber, wo die letztern einen Succurs an den beiden Männern erhielten, die den Baron gefangen hatten, ergriffen die Schmuggler die Flucht – sie warfen sich nach der andern Seite hin, nach jenseits des Fahrwegs in den Wald hinein; ihre Gegner blieben ihnen auf der Ferse und feuerten ein paar Schüsse ab; der ganze wüste Haufe verschwand im Dunkel in wenigen Augenblicken.

Die zwei Douaniers, die Häscher Landerons, blieben zurück.

Während der Eine Landeron bewachte, wandte sich der Andere zu dem am Boden liegenden Verwundeten.

»Wie geht es – wo ist Ihre Wunde, Inspector?« fragte er, indem er sich niederbeugte,

»Hier an der Schulter,« gab dieser stöhnend zur Antwort – »ich habe entsetzliche Schmerzen. Wo ist Lafond? Er hat einige Wundpflaster bei sich, glaube ich.«

»Er ist mit den Anderen fort, die Schmuggler zu verfolgen«, versetzte der Douanier; zugleich richtete er sich auf und rief mit Leibeskräften in den Wald hinein: »Lafond, Lafond!«

In diesem Augenblicke kam der Förster des Barons über die Lichtung dahergestürzt. Er hatte den Lärm, das Schießen vernommen, und war nun, als er dicht herankam, zu Tode verwundert, seinen Herrn gefesselt zu sehen.

»Aber um Gotteswillen,« rief er aus, was ist denn vorgefallen – was ist – was bedeutet das Alles?! Das ist ja der Baron Landeron!«

»Das habe ich ihnen längst gesagt,« rief der Baron zornig, »aber es hilft eben nichts!«

»Es ist ein Elender, ein Mörder!« sagte der Douanier, indem er auf den Verwundeten hindeutete.

Der Förster sah sprachlos bald den Verwundeten, bald den Baron an.

»Dieser Mann scheint von dem zweiten Schuß verwundet,« rief der Baron aus, »von dem zweiten Schuß, der sogleich nach dem meinigen fiel!«

»Einem zweiten Schuß – ich weiß von keinem zweiten Schuß,« rief der Douanier dagegen, »ich beobachtete Sie ganz genau, ich sah Sie schießen und auf Ihren Schuß fiel der Inspector.«

»Dummes Zeug,« versetzte Landeron – »ich schoß auf den Rehbock – in einer ganz andern Richtung!«

Der Douanier wollte etwas erwiedern, als der Andere ihm zuschrie:

»Zank Dich doch mit dem Menschen nicht – nimm dem andern Burschen die Flinte fort, und dann versuch Du einmal, ob Du Lafond rufen kannst.«

»Lafond … Lafond!« brüllte jetzt der zweite Douanier in den Wald hinein.

»Hier! ich komme!« antwortete es von drüben; und bald nachher wurden dort einige der anderen Douaniers sichtbar, die zurückkamen und unter Flüchen und Verwünschungen meldeten, daß die Schmuggler ihnen entgangen seien. Mehrere von ihnen hatten Verwundungen und Beulen davongetragen. Einem strömte das Blut über das Gesicht.

Die andern, welche noch nicht zurück waren, hatten, nachdem sie die Verfolgung der Schmuggler aufgegeben, sich aufgemacht, die mit der Contrebande beladenen Wagen zu suchen und zu erreichen … mit wenig Hoffnung auf Erfolg, denn solche Wagen pflegten gut bespannt zu sein und fanden ein bergendes verschwiegenes Obdach bei den Bewohnern der Gegend, im ersten besten der überall zerstreut liegenden Häuser.

»Den Hauptschuft, den, der geschossen hat, haben wir wenigstens«, sagte der eine Douanier … »und nun, Lafond, pack Deine Heftpflaster aus, daß wir nach der Wunde des Inspectors sehen und vorläufig das Blut stillen.«

Lafond holte ein kleines Badet aus der Tasche seines Mantels hervor, die Andern zogen dem Verwundeten die Oberkleider ab; er stöhnte und ächzte dabei vor Schmerz – als man Brust und Schultern entblößt hatte, zeigte sich die linke Schulter zerrissen; das Blut quoll strömend daraus hervor; leider war kein Wasser zur Hand, man mußte sich mit einem hastigen mit Taschentüchern bewerkstelligten Verband begnügen. Eine Art Bahre war unterdeß von einigen der Männer aus Baumzweigen hergestellt worden. Der Verwundete wurde darauf gelegt.

»Aber wohin? Wohin tragt ihr mich?« fragte der Inspector mit matt flüsternder Stimme.

»In die Mühle … das ist das nächste Gehöft,« sagte einer der Douaniers.

»Es war einer von den Burschen aus der Mühle bei den Schmugglern,« fiel ein anderer ein.

»Nun, desto besser, dann können wir das Gesindel dort gleich im Auge behalten, bis wir die Autorisation zu einer Haussuchung haben.«

»Und die Gefangenen?« fragte Lafond.

Der Inspector richtete das Haupt auf – er wollte einen Befehl geben, aber es schien, die Sprache versagte ihm; er machte nur noch eine Bewegung mit der Hand, die anzudeuten schien, daß man die Gefangenen mitnehmen solle – dann sank sein Kopf auf die Bahre zurück.

Man setzte sich in Bewegung. Vorauf wurde der Verwundete getragen. Landeron und der Förster mußten dem Zuge folgen. Man nahm den Fahrweg durch den Wald und zwar links hinunter, der Richtung, aus welcher die Schmuggler gekommen, entgegengesetzt. Eine Viertelstunde lang gieng es noch durch den Wald fort. Dann kam man zwischen Wallhecken, über eine Haidestrecke, durch ein kleineres Gebüsch, endlich vor der Mühle an; der Weg mochte im Ganzen fast eine halbe Stunde betragen.

Der Verwundete gab unterdeß wenig Lebenszeichen von sich; zuweilen ächzte er auf, oder stieß einen schweren Seufzer aus, als man die Bahre vor der Thüre des Mühlengehöfts niederließ, sah man, daß er wie völlig leblos dalag; der Mond beleuchtete ein völlig starres, leichenhaftes Antlitz.

Mau pochte heftig an die Thüre und rief und schlug mit den Büchsenkolben dagegen; im Innern bellten und lärmten Hunde aus Leibeskräften; nach einer Pause wurden auch die Schritte von ein paar Männern laut; an einem Nebenfenster öffnete sich der Laden und ein Kopf schob sich heraus, um die Scene da draußen zu recognosciren. Dann wurde die Hausthüre geöffnet und man brachte den Verwundeten herein. Der Müller, der nebst einem seiner Söhne aufgestanden war, wies eine Kammer mit einem Bett an, auf das der Inspector gelegt werden konnte; einige von den Douaniers blieben bei ihm, verlangten nach Licht, nach Wasser nach einem Boten in's nächste Städtchen um einen Arzt herbeizuschaffen, und beschäftigten sich mit der Wunde des Inspectors.

Die Uebrigen blieben in der Küche zurück, schürten ein hochflammendes Feuer an, verlangten Branntwein, Wein, Schreibzeug und Papier und begannen dann, mit französischer Lebhaftigkeit, sofort über den Hergang ein Protocoll niederzuschreiben, das unter unendlichen Lärm und Widersprüchen und Dreinreden der Anderen von Lafond, so gut er's verstand, aufgesetzt wurde.

Der Baron, dem man seine Bande genommen hatte, so wie sein Förster, blieben, hinter dem Feuer sitzend, Zeugen der Scene.

Als die Douaniers endlich mit ihrem Protocoll fertig waren, forderte der Baron ziemlich gebieterisch die Erlaubniß, auch schreiben zu dürfen. Man gestattete es ihm unter der Bedingung, daß man lesen werde, was er geschrieben habe.

Der Baron nickte dazu und schrieb ein Billet an Cornelie, worin er sie bat, sogleich zu ihm zu kommen in die Willbringsmühle wo er verhaftet zurückgehalten werde – weshalb, werde der Bote ihr mittheilen.

Die Douaniers fanden diese Zeilen ungefährlich und der Müller übernahm, dieselben durch einen Knecht besorgen zu lassen.


Viertes Capitel.

Das ehrliche Westphalenland, in welchem der Schauplatz dieser Erzählung liegt, war in jener Zeit vollständig napoleonisch-französisch organisirt. Es war in Departements, in Arrondissements, in Cantons zerschnitten, Präfecten, Unterpräfecten, Maires verwalteten es, Friedensgerichte und Tribunale erster Instanz sprachen Recht, eine Schaar von Douaniers und »Kellerratten« hielten die drückenden Besteuerungsmaßregeln aufrecht und mißhandelten die Bevölkerung mit all den Vexationen, die aus der strengen Durchführung der Continentalsperre Eine von Napoleon 1806 verfügte Wirtschaftsblockade (bis 1813) über das Vereinigte Königreich und dessen Kolonien, durch die Großbritannien mit den Mitteln des Wirtschaftskrieges zu Verhandlungen mit Frankreich gezwungen und die französische Wirtschaft gegen europäische und transatlantische Konkurrenz geschützt werden sollte. Die Maßnahme begünstigte u.a. den Schmuggel; vor allem darf sie in letzter Konsequenz als der Anfang des Endes der napoleonischen Herrschaft betrachtet werden: Russland scherte 1810 aus der Kontinentalsperre aus, was den Warenfluss britischer Produkte von hier aus in die deutschen Lande ermöglichte, so dass Napoleon schließlich 1812 den Russland-Feldzug begann, der seiner Herrschaft dann beendete. – Anm.d.Hrsg. herflossen. Für die Uebertretung der Steuergesetze, für Schmuggelei, namentlich wenn sie mit Gewaltthaten und bewaffneten Widersetzlichkeiten wider die Beamten verbunden war, bestanden drakonische Strafgesetze; und nicht das allein, die solcher Vergehen Angeschuldigten wurden ihrem ordentlichen Richter entzogen. Um die schonungslose Durchführung der harten Gesetze zu sichern waren für den ganzen Umfang des Kaiserreichs zwei Specialgerichtshöfe eingesetzt, die Cours prévôtales des Douanes hießen, und deren einer zu Florenz, der andere zu Valenciennes seinen Sitz hatte. Unser Fall würde vor den Hof zu Valenciennes gehört haben.

Der Baron Landeron befand sich also in einer sehr mißlichen Lage, wenn die Beschuldigung der heftigen leidenschaftlichen und sanguinisch erregten, in ihren Urtheilen und Schlüssen so schnell fertigen Menschen, mit denen er zu thun hatte, aufrecht erhalten wurde. Und doch schien er sehr ruhig und sehr zuversichtlich.

Nachdem er sein Billet geschrieben, schien er den Schlummer zu suchen; er etablirte sich in den alten ledernen Polsterstuhl des Müllers, der neben dem Herdfeuer stand, drückte den Kopf in die Ecke der Lehne und schloß die Augen.

Die Douaniers suchten sich mittlerweile andere Ruhestätten auf. Ein paar blieben zur Bewachung ihres Gefangenen am Feuer sitzen, die anderen legten sich, in ihre Mäntel gehüllt, auf Bänken nieder, oder holten Strohschober herbei, auf welche sie sich mitten in der Küche betteten.

Landeron fand nach einer Viertelstunde wirklich den Schlaf, den er suchte; aber unruhige Träume quälten ihn; er erwachte wieder und als er die Augen aufschlug, sah er, daß ein grauer Morgendämmer durch die herzförmigen Ausschnitte der Fensterläden schimmerte. Dann begegnete er den auf ihn gerichteten weit offenen Augen seines Försters, der unfern von ihm auf einem Schemel saß und von Zeit zu Zeit, wenn er seine kurz Maserpfeife Pfeifen werden gern aus ›Maserholz‹ hergestellt, das entweder durch bakteriell bedingte Zellwucherungen oder durch massenhaftes Austreiben schlafender Knospen auf engstem Raum entsteht. – Anm.d.Hrsg. an die Lippen führte, paffte, während die Pfeife doch längst erloschen war. Er war offenbar in sehr beunruhigende Gedanken versunken.

»Staudtner,« sagte nach einer Weile der Baron flüsternd zu ihm, »Ihr scheint Angst zu haben, daß diese Geschichte eine gefährliche Wendung nimmt!«

»Ich meine, gnädiger Herr,« versetzte Staudtner, bedächtig das Haupt wiegend und die erloschene Pfeife in die Rocktasche steckend – »ich meine, das hat sie bereits.«

Der Baron schüttelte den Kopf.

»Laßt Euch nicht bange machen,« sagte er; »es ist mehr lächerlich als gefährlich« …

»Es ist immer gefährlich, mit diesen Franzosen – nichts für ungut, Euer Gnaden – zu schaffen haben,« antwortete der Förster. »Ich, was mich angeht, ich wollte lieber, ich hätte mir ein Bein gebrochen, während ich über die Schloßbrücke zu Schleburg ging, als in diese Geschichte zu gerathen!«

»Seid kein altes Weib, Staudtner; laßt mich nur erst, statt mit diesen unvernünftigen Douaniers, mit Gerichtspersonen reden und Alles wird sich aufklären; es kann ja nicht mein Schuß gewesen sein, der den Inspector traf, er ist offenbar von dem zweiten, der gleich nachher fiel, getroffen.«

»Ja, es fielen noch Schüsse,« sagte Staudtner, »doch erst viel später, und die werden aus den Büchsen der Douaniers gekommen sein; es ist aber nicht anzunehmen, daß die Douaniers auf ihren Inspector geschossen haben!«

»Aber die Schmuggler« …

Die,« versetzte Staudtner, »die werden das Schießen bleiben lassen; mit Knitteln kann man nicht schießen, und Flinten oder Büchsen haben sie nicht!«

»Weshalb sollten sie nicht Feuerwaffen haben?«

»Weil Niemand im ganzen Departement etwas haben darf, was wie eine Waffe aussieht; weil Galgen und Rad darauf steht. Das wissen Euer Gnaden ja selbst. Nur weil Euer Gnaden einen besonderen Permis von dem Präfecten bekommen haben, dürfen Sie und ich jeder eine Flinte im Hause haben; für andere Leute steht Galgen und Rad darauf.«

»Galgen und Rad wohl nicht,« versetzte lächelnd der Baron, »aber Galeerenstrafe – das ist wahr. Doch weiß ich nicht, weßhalb nicht manch' kecker Bursche im Lande sein sollte, der trotzdem in seinem Bettstroh ein Gewehr versteckt hat.«

»Galgen und Rad!« murmelte Staudtner, ungetröstet von dem Allen, und ohne darauf zu hören, in seinen Bart.

Nach einer Pause hub er wieder an:

»Wie war es denn mit Ihrem Schuß? Worauf schossen Sie denn?«

»Nun, auf den Bock!«

»Dann müßte er ja daliegen!«

»Nein; ich sah den Bock aus dem Wald jenseits des Fahrwegs kommen, dann etwa zehn Schritte den Fahrweg entlang gehen, dann mir gerade gegenüber auf die Lichtung emporsteigen – ich zielte nun und konnte gar nicht mehr fehlen; da, in dem Augenblicke, in welchem ich abdrückte, hört das Thier das Geräusch, das in den Büschen rechts von mir entsteht; es macht eine heftige Seitenbewegung und auf meinen Schuß, statt zusammen zu brechen, einen langen Satz, wie von einer Feder emporgeschnellt; dann sah ich es nicht mehr, da meine Blicke von dem ausbrechenden Lärm abgezogen wurden. Ist es nicht an Dir vorüber gekommen?«

»Nein,« versetzte Staudtner, »ich habe nichts von ihm wahrgenommen! – – – Es wäre besser gewesen,« setzte er nach einer Weile hinzu, »Euer Gnaden hätten es zusammengeschossen!«

»Freilich, da hast Du recht,« sagte Landeron.

»Aber,« fuhr nach einer Pause der Baron Landeron fort, »wenn die Sache sich auch für mich übler gestaltet, Dich wird man doch jedenfalls gleich entlassen müssen. Ich habe dann einen Auftrag für Dich. Du gehst alsdann sogleich zum Herrn Präfecten. Du läßt Dich bei ihm melden mit einem dringenden Auftrage.«

»Still!« rief hier einer der Douaniers, die die Gefangenen bewachten, dazwischen – er fuhr aus dem leichten Schlummer auf, in den er eingenickt war … vielleicht hatte das Geflüster ihn geweckt  … »Still da! die Gefangenen haben nichts heimlich mit einander zu verhandeln!«

»Monsieur,« versetzte der Baron ironisch lächelnd, »Sie sind sehr unhöflich zum Danke dafür, daß ich die Stimme senkte, um Ihren Schlaf nicht zu unterbrechen.«

Der Douanier antwortete nicht und der Baron schwieg jetzt.

Nach einer Weile vernahm man draußen den eiligen Hufschlag eines Pferdes. Die Thür wurde geöffnet und ein Mann im Mantel trat auf die Schwelle; hinter ihm wurde ein Pferd sichtbar, das er am Zügel hielt. Es war der gerufene Arzt. Ein Douanier eilte, ihm das Pferd abzunehmen.

»Schnallt die Satteltasche ab und bringt sie herein,« sagte der Arzt, ein kleiner lebhafter Mann, der eine Fuchspelzmütze und Klappstiefeln mit langen Sporen trug, die mehr Lärm machten, als es in einem Krankenzimmer nöthig gewesen wäre – »bringt die Satteltasche mit den Instrumenten herein und zeigt mir, wo der Verwundete ist.«

Man führte ihn durch einen saalartigen Raum, dann über einige Stufen in eine »Aufkammer,« die fast zur Hälfte von einem großen Himmelbett eingenommen wurde; zu Häupten des Bettes saß Lafond – er hatte offenbar geschlafen, denn er sprang, als die Thür geöffnet wurde und der Arzt, ein Douanier und hinter ihnen Landeron, der dem Doctor gefolgt war, eintraten, wie verwirrt in die Höhe.

Der Doctor trat zunächst an das Fenster, warf die Läden auf und ließ das anbrechende Tageslicht einströmen. Dann, während Lafond den Bettvorhang zurückzog, wandte er sich dem Verwundeten zu.

Dieser blickte ihn schweigend mit weit offenen glasigen Augen und todtenbleichem Gesichte an.

»Er hat einen Schuß in die Schulter bekommen,« sagte Lafond; »es sind mehrere Wunden da; mit Rehposten Schrot von bestimmter Größe zum Erlegen des Rehwildes. – Anm.d.Hrsg. muß geschossen sein. Wir haben ihn verbunden, so gut wir konnten.«

Der Arzt entfernte die Decken und den obersten Verband; er ließ sich kaltes Wasser und einen Schwamm bringen, um die festgeklebten Tücher ganz von der blutigen Schulter lösen zu können. Diese war von dem Schuß in arger Weise zerfleischt. Als der Doctor den Arm des Verwundeten aufhob, um zu prüfen, wie weit die Beweglichkeit desselben gelitten habe, ächzte und stöhnte der Inspector von dem entsetzlichen Schmerze, den ihm dies machte, auf. Der Doctor nahm nun die Sonde; er tastete damit eine Weile umher … dann zog er eine kleine Stange hervor und nachdem er eine Weile damit operirt hatte, holte er erst eine, dann eine zweite Rehposte aus der Wunde hervor.

Der Inspector sah sie nicht mehr. Er war ohnmächtig während dieser Operation geworden.

Der Doctor hielt mit seinem Handthieren inne. Er spritzte dem Verwundeten kaltes Wasser ins Gesicht, um ihn zum Bewußtsein zurückzurufen, dann holte er aus seiner Satteltasche allerlei Verbandzeug und Pflaster hervor und machte sich aufs Neue mit der Wunde zu schaffen, um den ersten regelrechten Verband anzulegen,

Der Baron Landeron hatte während der ganzen Procedur gespannt die Gesichtszüge des behenden kleinen Mannes beobachtet; jetzt nachdem der Arzt zu Ende gekommen, und sich abwendete, um auf einem kleinen Ecktische sein Geräth wieder zusammenzupacken, fragte er ihn flüsternd:

»Und was sagen Sie zu der Wunde, Doctor?«

Der Doctor zuckte die Achseln.

»Was soll ich sagen – sie sieht schlimm genug,« versetzte er in demselben Tone. »Aber der Verwundete ist jung und kräftig, er wird unverdorbene Säfte haben.«

»Sie halten sie also für bedenklich?«

»Nun, bedenklich ohne Zweifel – es kommt darauf an, wie sehr der Knochen zersplittert ist, was ich nicht genau ermitteln konnte, weil ich dem Verwundeten zu viel Schmerzen gemacht hätte; Rehposten werden nicht mehr in der Wunde sein, ich hoffe es wenigstens. Es kommt alles auf einen guten Eiterungsproceß an.«

»Und die Heilung wird lange währen?«

»Die Heilung! Wochenlang gewiß, vielleicht Monate lang  … und ganz geheilt wird so etwas nie – der linke Arm wird wohl immer lahm« …

In diesem Augenblick trat der Müller in die Kammer und zupfte den Baron am Aermel.

»Es ist Jemand da, der Sie sprechen will« … sagte er.

»Meine Nichte?«

Der Müller nickte.

Landeron eilte hinaus in die Küche, Cornelie stand da, von ihrem Mädchen begleitet; in Mantel und Kapuze gehüllt, hatte sie den Weg zu Fuße gemacht – aufgeregt, erschöpft, sank sie in die Arme ihres Onkels.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen, was geht hier vor?« rief sie ängstlich aus.

»Cornelie,« versetzte Landeron, indem er sie zu einem Stuhl neben dem Herde führte, »zuerst fasse und beruhige Dich – nimm dazu all Deinen Muth zusammen, denn Du wirst ihn nöthig haben, armes Mädchen. Ich muß Dir eine Eröffnung machen, die Dich erschüttern wird, und ich kann Dich nicht erst lange darauf vorbereiten. Dein Bruder ist hier.«

»Hier – mein Bruder – wo –?!«

«Du wirst ihn gleich sehen – vorher muß ich Dir sagen daß er, wenn auch nicht lebensgefährlich, doch schwer verwundet ist.«

»O mein Gott!«

»Er hat einen Schuß in die Schulter erhalten und mich hält man für den, der auf ihn geschossen habe!«

»Aber das ist ja entsetzlich« …

»Fasse Dich, Cornelie … denk' daran, daß Du ihm ruhig entgegen treten mußt, um ihn nicht in gefährlicher Weise aufzuregen.«

»O, ich bin ja gefaßt, fürchte nichts, fürchte nichts, Onkel, aber um des Himmels willen, führe mich zu ihm!«

»Das will ich, sobald Du Deinen Mantel und Deine Kopfbedeckung abgelegt hast.«

Cornelie warf die Hüllen von sich, Landeron führte sie durch den Saal in die Aufkammer.

Als sie eintraten, öffnete der Inspector, der ermattet wie im Schlummer dalag, die Augen und heftete sie verwundert auf die junge Dame – diese warf sich ungestüm, keines Wortes mächtig, vor dem Bette auf die Knie, ergriff die rechte Hand des Verwundeten, die auf der Decke lag, und bedeckte sie mit Küssen.

»O, mein Bruder, mein armer Bruder!« schluchzte sie dann.

Der Inspector zog langsam, mit einem Blick, wie ein Mensch, der zu träumen glaubt und seinen Sinnen nicht traut, die Hand zurück. Er sah bald in das Gesicht der Dame, bald in das Landerons – dann sagte er leise, mit zögernder Lippe, den Blick auf den Baron heftend:

»Wer ist die Dame?«

»Es ist Ihre Schwester, Aubertin, Ihre Schwester Cornelie!«

»Cornelie!« stammelte der Inspector – dann flog ein Ausdruck wie von Schmerz oder Wuth über sein Gesicht – er sah mit einem Blick voll zorniger Verachtung auf das weinende Mädchen.

»Ich habe keine Schwester!« sagte er, und versuchte ich von ihr abzuwenden und sein Gesicht der Wand zuzukehren. Die Bewegung aber machte ihm einen heftigen Schmerz – mit einem leisen Stöhnen gab er den Versuch auf und warf nur den Kopf auf die andere Seite.

»So dulden Sie, daß eine ›barmherzige Schwester‹ zu Ihnen kommt, um Sie zu pflegen, Aubertin,« sagte Landeron. »Sie bedürfen dieser Pflege und deshalb müssen Sie sie dulden!«

Aubertin schwieg. Er schloß die Augen und ließ die Hand matt auf die Decke fallen. Er fühlte sich zum Widerstande zu schwach.

»Ich will Dich allein mit ihm lassen, Cornelie,« sagte Landeron jetzt. »Sei behutsam in Deinen Mittheilungen, behalte alle Ruhe, die einer barmherzigen Schwester zukommt; Ihr werdet Euch verständigen, ich weiß es – so schrecklich es auch ist, das Ihr Euch so wiedersehen müßt, ist es doch vielleicht dazu gut, um Euch ohne weitere Scenen in einander finden zu lassen. – Adieu, Hubertin,« wandte er sich dann an den jungen Mann; »ich gehe und lasse Sie mit Ihrer Schwester allein – sie hat Ihnen viel zu sagen, viel zu erzählen, und wenn Sie sie angehört haben, werden Sie das harte und unnatürliche Wort bereuen, welches Sie eben gesprochen haben.«

Landeron verließ das Krankenzimmer und begab sich zu den Douaniern zurück, die, in dem Vorraum seiner wartend, standen und durch die offene Thüre ihn im Auge, behalten hatten.


Fünftes Capitel.

Es war am andern Tage. Der Baron und der Förster waren gestern am frühen Morgen, sobald von den Douaniers die nöthigen Verhaftsbefehle dazu eingeholt worden – der Sitz der nächsten richterlichen Behörde war von der Mühle nur eine Stunde entfernt – nach der Departementshauptstadt abgeführt; zu gleicher Zeit hatte man die Mühle mit Douaniers, Polizei und Gendarmerie überfallen und dem Müller die Autorisation des Friedensrichters zu einer umfassenden Haussuchung vorgewiesen. Der Müller hatte ruhig die Achseln gezuckt und über sich ergehen lassen, was er nicht ändern konnte. Man hatte jeden Winkel und jedes Gelaß durchforscht, auf dem Speicher jeden Heubündel durchstochen und jede Strohgarbe umgekehrt, jede Kiste jeder Magd durchstöbert, an jeden Ballen geklopft und auf jede Diele gepocht – man hatte nichts, gar nichts gefunden als – ein altes Militärgewehr, und dies Gewehr trug die Spuren, daß es kürzlich abgeschossen war, und dies Gewehr war gefunden worden hinter einer alten Holztäfelung in der Schlafkammer George und seines Bruders.

Das Gewehr gehörte eigentlich Keinem von den beiden jungen Männern, denn es war Eigenthum des alten Müllers. Aber Georg hatte es früher, bevor die Entwaffnung des ganzen Departements vorgenommen war, hauptsächlich gebraucht; er hatte zu Pfingsten damit nach dem Vogel geschossen, er hatte auch Wild damit zu schießen versucht. Dies räumte er ein; er gestand, das Gewehr sei sein und von ihm verborgen, aber geschossen habe er seit der Entwaffnung nicht damit.

Einer der Douaniers behauptete, unter den Schmugglern, mit denen der Kampf stattgefunden habe, einen der Burschen aus der Mühle wahrgenommen zu haben, obwohl er nicht genau bestimmen konnte, welchen. Es war mithin ein doppelter Grund vorhanden, weshalb gegen Georg ein Verhaftsbefehl erlassen wurde. Die Douaniers nahmen ihn gleich nach der Haussuchung mit sich.

Am heutigen Morgen war der Arzt dagewesen. Er hatte die Wunde aufs Neue durchforscht und noch eine dritte Rehposte daraus gezogen, die letzte, wie er sicher glaubte und hoffte, denn weitere Operationen wurden wegen der sich mehrenden Geschwulst fürs Erste unmöglich. Der Verband wurde neu angelegt und dann Mittel verschrieben, das Wundfieber, das sich seit gestern eingestellt hatte, zu mildern.

Als der Arzt dann den Verwundeten unter der Obhut seiner Schwester gelassen, die seit gestern keinen Augenblick von ihm gewichen, hatte er draußen den Friedensrichter mit seinem Greffier Hier: Protokollant von Gerichts wegen. – Anm.d.Hrsg. getroffen; der Mann der Justiz kam, um den Inspector über den Hergang seiner Verwundung zu vernehmen.

§Machen Sie's kurz, Herr Richter,« sagte der kleine Doktor »strengen Sie ihn nicht an, Sie steigern sein Fieber, wenn Sie länger als eine Viertelstunde ihn plagen.«

»Und doch muß ich ihn so lange wenigstens plagen, Doktor,« versetzte der Friedensrichter; »der Fall ist zu wichtig; Sie wissen wie streng uns Eifer eingeschärft ist bei allen Schmuggeleigeschichten, und nun gar bei einer solchen, wo der Baron Landeron eine Rolle spielt« …

»Oder gespielt haben soll,« versetzte der Doctor ungläubig lächelnd.

»Sie glauben nicht an seine Schuld?«

»Nicht im Mindesten. Der Mann hätte ja nicht das entfernteste Interesse gehabt.«

»Es ist wahr – bis jetzt wenigstens läßt sich keines erkennen. Aber die Untersuchung kann eines herausstellen; und jedenfalls muß diese Untersuchung rasch vor sich gehen, um ihn aus seiner unglücklichen Lage zu befreien, wenn er in der That nur durch ein Mißverständniß hineingerathen ist. Uebrigens werden Sie mir einräumen, daß doch dieser Baron Landeron eine etwas mysteriöse Persönlichkeit ist.« …

»Freilich, die Art, wie er so plötzlich eines schönen Morgens wie vom Monde gefallen und Besitz vom Erbe des leichtsinnigen Junkers von Schleburg nimmt« –

»Und,« fuhr der Friedensrichter fort, »dies ungesellige Wesen, das die Franzosen sonst durchaus nicht haben, dies ewige Alleinsein, das so ein wenig wie Menschenfeindschaft oder« …

»Wie ein übles Gewissen aussieht!« fiel der Doctor ein.

»Und welch ein merkwürdiges Verhältniß ist das zu der jungen Dame!« sagte der Friedensrichter.

»Freilich, zu dieser Nichte

»Ich habe mir erzählen lassen, er habe alle möglichen Aufmerksamkeiten gegen sie, wie man sie sonst gegen Verwandte nicht zu haben pflegt!«

»Verwandte,« rief der Doctor aus, indem er kaustisch lächelte … »das kennt man ja!«

»Es ist eine sittenlose Bande, die Franzosen!« flüsterte der Friedensrichter ganz leise.

»Sie werden sie drinnen finden,« sagte der Doctor.

»Sie? Wen?«

»Die Nichte!«

»Die Nichte bei dem Douanen-Inspector?«

»Der Baron hat sie gestern in aller Frühe sofort herüberkommen lassen, daß sie den Verwundeten pflege, sie ist seitdem keinen Augenblick von ihm gewichen, selbst nicht in der Nacht!«

»Das ist seltsam!« rief der Friedensrichter aus. »Es ist überaus menschenfreundlich … überaus … fast zu viel … meinem Sie nicht auch, Doctor? Sie hat die ganze Nacht bei ihm gewacht?«

»Die ganze Nacht!«

»Dann muß dieser Baron Landeron freilich ein außerordentlich großes Interesse daran nehmen, daß der Inspector gerettet wird und möglichst bald wieder auf die Füße kommt … seine eigene Nichte!«

»Ich muß weiter auf meinem Rößlein,« sagte der Doctor, »meine anderen Kranken warten auf mich; also – machen Sie es nur nicht zu arg mit dem Inspector, hören Sie?«

Damit trabte der Doctor von dannen und der Friedensrichter ging, indem er den Greffier herbeiwinkte, in das Zimmer des Kranken.

Er fand in demselben, zu Häupten des Bettes sitzend, Cornelie. Sie hat verweinte Augen, während der Inspector mit gerunzelter Stirne, ohne Notiz von den Eintretenden zu nehmen, zur Decke des Zimmers aufblickte.

Der Friedensrichter machte der Dame eine tiefe Verbeugung und drückte ihr dann denn Wunsch aus, für kurze Zeit mit dem Kranken allein gelassen zu werden.

»Sie wollen ihn verhören? Aber mein Gott, er liegt ja im Fieber,« sagte Cornelie unwillig.

»Der Arzt hat eine kurze Vernehmung, die gang unerläßlich ist, gestattet,« antwortete der Richter, während der Greffier sein Schreibzeug und seine Papier auf dem Tisch auskramte.

Cornelie entfernte sich und der Friedensrichter wandte sich an den Inspector.

»Wir wollen Ihnen so wenig lästig fallen, wie möglich, Monsieur Aubertin,« sagte er – »ich lasse deshalb alle Generalfragen fort, um sogleich zur Sache selbst überzugehen. Fühlen Sie sich im Stande, mir den Hergang Ihrer Verwundung zu erzählen?«

Der Inspector sah den Richter eine Weile an, als ob er sich zu sammeln und die Erscheinung des fremden Mannes zurechtzulegen suchte; dann fuhr er mit der rechten Hand über die Augen und erwiderte:

»Den Hergang meiner Verwundung wollen Sie hören? Er ist sehr einfach und kurz erzählt. Ich hatte einen geheimen Wink erhalten. Von W. sollten in der Nacht drei Wagen mit Contrebande kommen. Ich kundschaftete im Stillen den Weg aus, den sie nehmen mußten. Meine Leute wurden benachrichtigt und zusammengezogen. Wir postirten uns in dem Schleburger Walde, um dort den Transport zu überfallen. Wir waren da am sichersten versteckt. Der Weg führt in einer Art Vertiefung durch den Wald. Gegen 10 Uhr Abends hörten wir das Fahren von Wagen aus der Ferne. Dann leise Stimmen, sachte Schritte, die näher kamen. Von den Wagen hörte man nichts mehr. Sie hatten sie offenbar mit einem Theil ihrer Spießgesellen am Eingang des Waldes zurückgelassen, um erst den Weg auszukundschaften. Es war Mondschein. Die Schmuggler kamen. Ich gab meinen Leuten das verabredete Zeichen. Sie sollten von beiden Seiten des Wegs auf die unten in der Wegvertiefung kommenden Schmuggler sich stürzen und sie festnehmen. Ich selbst sprang aus einem Gebüsch, worin ich mit zwei Douaniers stand, über eine Lichtung auf die Gruppe zu, die eben Halt machte, da sie uns erblickte. Da fiel ein Schuß. Gleich darauf noch einer. Ich machte vielleicht noch drei oder vier Schritte. Dann erst fühlte ich mich getroffen. Ich fühlte einen Schmerz, einen Schwindel, ein Weichen meiner Kräfte. Ich sank auf das Haidekraut der Lichtung nieder. Das ist der Hergang.«

»Ihre Douaniers nahmen dann sofort den Baron Landeron gefangen, der in der Nähe stand, und dessen Schuß sie aufblitzen gesehen?«

»Ja. Die andern rauften sich mit den Schmugglern, welche ihnen sämmtlich entkamen.«

»Und von welchem Schuß wurden Sie verwundet, vom ersten oder zweiten?«

»Wohl schwerlich vom zweiten. Ich glaube, daß der zweite von einem meiner Douaniers ausging. Sie schossen später noch ein paar Mal.«

»Der erste Schuß war der des Barons?«

»So ist es!«

»Sind Sie dessen sicher?«

»So viel man dessen sicher sein kann, in einem solchen Augenblick der äußersten Aufregung. Die Schmuggler haben keine Flinten, um auf uns zu schießen.«

»Und doch ist hier im Hause ein frisch abgeschossenes Gewehr gefunden worden,« bemerkte der Friedensrichter.

»Hier im Hause?«

»Es gehört dem Georg, dem Sohn des Müllers.«

»Dem Georg gehört es? Und er hat geschossen?«

»Er betheuert freilich, bei dem ganzen Handel nicht betheiligt gewesen zu sein und die Nacht im Bette zugebracht zu haben.«

»Dem Georg!« wiederholte der Inspector nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf.

»Ich habe keinen Verdacht auf den Georg«, sagte er tonlos.

»Sie halten den Baron für den Thäter? Aber dann wird doch jedenfalls an Ihrer Verwundung eine Fahrlässigkeit des Barons, ein unglücklicher Zufall die Schuld tragen? Sie können weder annehmen, daß der Baron der Mitschuldige von Schmugglern sei, noch daß er dabei die Absicht Sie zu ermorden gehabt habe?«

Aubertin schwieg auf diese Frage. Es war, als ob er ein Bedürfniß habe, sich zu sammeln und auszuruhen.

»Sie sind ermüdet. Muß ich abbrechen?« fragte der Friedensrichter.

Aubertin machte eine Bewegung mit der Hand, wie um anzudeuten, daß der Richter bleiben solle.

»Hören Sie,« sagte er dann kurz. »Sie haben Recht, der Baron ist kein Schmuggler. Aber er konnte mit ihnen verbündet sein: in einem Kampf zwischen ihnen und mir mich aus der Welt zu schaffen, konnte sein Plan sein … Das wird Ihnen nicht mehr unglaublich scheinen, wenn ich Ihnen die Verhältnisse klar gemacht habe, die zwischen uns bestehen. Sie wissen, er hat eine Dame bei sich.«

»Dieselbe, welche eben das Zimmer verließ?« versetzte der Richter, gespannt aufhorchend.

»Dieselbe. Er nennt sie seine Nichte. Sie ist es nicht, obwohl sie entfernt mit ihm verwandt ist. Sie ist meine Schwester.«

»Ihre Schwester, Herr Aubertin?!«

»Noch gestern würde ich gesagt haben: leider! Heute, nachdem ich sie angehört, nachdem ich in alle ihre Schicksale einen Blick werfen konnte, sage ich es nicht mehr. Sie ist meine Schwester: sie soll einen Bruder in mir behalten.«

»Und deshalb,« rief der Friedensrichter aus, »glauben Sie, wäre der Baron zu einer Gewaltthat wider Ihr Leben übergegangen, weil er von Ihnen eine Störung seines Verhältnisses zu Ihrer Schwester befürchtete?«

»Nein,« gab Aubertin schmerzlich lächelnd zur Antwort; »so einfach liegt die Sache nicht … ich will sie Ihnen auseinandersetzen, so gut ich kann, so lange mir die Kraft dazu bleibt. Meine Schwester und ich sind frühe verwaist. Unsere Eltern waren beide von guter Herkunft, meine Mutter, die Tochter eines Landedelmannes, mein Vater der Sohn eines Parlamentsraths. Sie waren nichtsdestoweniger sehr arm, alle beide. Ihre Erbschaftsansprüche wurden durch die Revolution vernichtet, die Revolution nahm auch meinem Vater die Stelle, welche er im Haushalt des Königs bekleidet hatte – als er im Jahre 1791 starb, wurde ich sammt meiner Schwester in ein Waisenhaus gebracht; wir hatten keine Verwandte, die sich unserer annahmen, die Revolution hatte die Familien zersprengt, vernichtet, jeder dachte nur daran, in dem entsetzlichen Sturme, der über Frankreich hing, sich selbst zu schützen. So wuchsen wir auf, bis ich bei einem Handwerker in die Lehre gegeben werden konnte, meine Schwester blieb im Waisenhause zurück, um ein paar Jahre später in einer Familie als Bonne untergebracht zu werden. Als dies geschah, war ich bereits meinem Handwerksmeister, bei dem ich es nicht aushalten konnte, entlaufen und Soldat geworden; und ich muß nun bekennen, daß ich von diesem Augenblick an mich so wenig um meine Schwester zu bekümmern begann, wie sich früher unsere etwaigen Verwandten um uns bekümmert hatten. Mein Gott, ich war ein junger Mensch, fast immer im Felde, vor dem Feind, ehrgeizig darauf erpicht, mich in die Höhe zu arbeiten« –


Sechstes Capitel.

Aubertin unterbrach sich hier und schwieg eine Weile.

Das Sprechen greift Sie an,« sage der Friedensrichter.

»Es wird mich wenigstens erschöpfen, wenn ich so ausführlich fortfahre,« antwortete der Verwundete. »Also, fassen wir uns kürzer. Ich trat durch Vermittelung eines Stabsoffiziers, der mein Gönner wurde, zu den Douaniers über, als ich in der Linie Sergeant geworden. Ich wurde befördert, ich wurde hier angestellt, und so konnte ich mit meiner Carriere zufrieden sein, wenn mich nicht jetzt von Zeit zu Zeit der Gedanke an meine Schwester gepeinigt hätte. Was war aus ihr geworden? Ich erkundigte mich und erhielt die niederschlagendste Auskunft. Sie war in die Schlingen gefallen, die ein vornehmer junger Wüstling ihr gelegt hatte. Ich suchte sie nun zu vergessen; ihre weiteren Schicksale erfuhr ich erst gestern von ihr: sie war von ihrem Verführer verlassen worden und stand am Rande des Verderbens, ohne Hülfe, Schutz und Freund in dem großen sittenlosen Paris. Da eines Tages erscheint plötzlich ein Baron Landeron bei ihr; er nennt sich einen entfernten Verwandten, der zufällig von ihrer Lage erfahren habe. Er nimmt sie zu sich, er entwickelt alle möglichen Aufmerksamkeiten gegen sie, er umgibt sie mit Luxus aller Art, er eröffnete ihr, daß er hier in Deutschland ein großes schönes Gut erstanden habe, er führt sie auf dies Gut, er schließt sich darauf von der ganzen Welt mit ihr ab, er widmet sein ganzes Leben nur ihr.

Das währt etwa ein halbes Jahr, bis er ihr vorgestern plötzlich ganz unvermuthet sagt, das Schloß Schleburg gehöre ihr – sie sei die Eigenthümerin von Allem! Eine weitere Erklärung hat er ihr nicht gegeben, auch hat er ihre Gedanken sehr bald davon abgelenkt, indem er ihr weiter mitgetheilt hat, daß ich in dieser Gegend sei, und daß sie mich bald sehen werde!«

»Das ist eine seltsame Geschichte,« sagte der Friedensrichter. »Das Haus Schleburg soll Ihrer Schwester gehören?«

»Das hat er in vollem Ernst, wie meine Schwester mir erzählt hat, versichert,« entgegnete Aubertin. »Gehört es ihr, dann gehört es am Ende eben so gut mir. Und Landeron hat den Entschluß gefaßt, im Besitz dieses Vermögens zu bleiben. Es gab dazu ein einfaches Mittel. Meine Schwester zu heiraten und mich – nun Sie sehen ja, was mir widerfahren ist.«

Der Inspector schwieg. Der Friedensrichter machte ein sehr langes betroffenes Gesicht. Die Sache schien nicht viel Räthselhaftes mehr zu haben.

»Also, um Sie hat er sich nicht gekümmert, obwohl Sie in seiner Nachbarschaft lebten – Sie hat er von der Nähe Ihrer Schwester nie etwas ahnen lassen?«

»Nicht das Mindeste,« versetzte der Inspector – »aber gekümmert hat er sich um mich – das allerdings,« fügte Aubertin mit bitter ironischem Tone hinzu – »er hat im Stillen meine Wege ausgekundschaftet – hat seinen Späher gehabt, der sich an mich drängte; ich weiß das jetzt, seitdem ich von meiner Schwester dies Alles was ich Ihnen erzähle, erfahren – ich weiß mir jetzt so manche verdächtige Thatsache, die mir früher nicht auffiel, zu deuten – aber ich kann nicht mehr; lassen Sie mich zu Athem kommen – geben Sie mir Wasser!«

Der Friedensrichter holte das Verlangte herbei; dann sagte er:

»Ihre Aussagen genügen für die bloße erste Voruntersuchung, so weit sie mir obliegt; es ist nicht nöthig, Sie weiter zu quälen. Sie sind also der Ansicht, daß der Baron beabsichtigt habe, Sie aus der Welt zu schaffen, daß er dazu einen Kampf, in den Sie mit Ihren Leuten wider eine Bande Schmuggler gerathen, als Gelegenheit abgewartet und benützt, und die Hoffnung gehegt habe, wenn Sie in diesem Kampfe von seiner Hand um's Leben gekommen, würde man Sie als von den Schmugglern erschlagen betrachten?«

Aubertin nickte nur mit dem Kopfe, den er ermattet in die Kissen zurücksinken ließ.

Der Friedensrichter gab seinem Greffier einen Wink, sein Schreibgeräthe zusammen zu packen.

»Wir wollen das Protocol draußen redigiren,« sagte er. »Ich werde dann zurückkommen, um es von Ihnen unterschreiben zu lassen, wenn Sie können. Unterdessen will ich Ihnen Ihre Schwester wiedersenden.«


Siebentes Capitel.

Es waren etwa vierzehn Tage vergangen. Der Baron saß in der Departementshauptstadt gefangen, Georg in vorläufiger Haft noch immer im Gefängniß des nächsten Cantonsortes, weil die Gefängnisse in der Hauptstadt überfüllt waren.

Das von dem Friedensrichter über die Vernehmung Aubertins und Corneliens aufgenommene Protocoll – denn auch Cornelie hatte der Friedensrichter verhört – gab dem Instructionsrichter in der Hauptstadt einen Anhalt, der für Landeron über alle Maßen bedrohlich war.

Diesem Untersuchungsrichter gegenüber leugnete Landeron, daß er die Mittheilung an Cornelie, Schleburg sei ihr Eigenthum, ernst gemeint habe. Es sei das ein bloßer Ausdruck der Galanterie gewesen. Die Untersuchung aber richtete sich zunächst auf die Feststellung dieser Thatsache und hatte sich an die Behörden in Frankreich gewendet, um den früheren Lebenslauf des Barons aufzuhellen.

Man konnte sagen, es wäre, die bösen Absichten Landerons vorausgesetzt, natürlicher gewesen, daß er Cornelie möglichst bald zu seiner Frau gemacht. In der That aber standen einem solchen Vorgehen große Bedenken entgegen. Cornelie war kurz vorher von einem Manne, den sie geliebt, dem sie ganz angehört hatte, verlassen worden. Ihr Herz war von dem Bilde dieses Mannes so erfüllt, daß sie an eine Neigung für den viel älteren Verwandten, der plötzlich auf ihrem Lebenswege ihr entgegentrat, nicht dachte. Wenn dieser zu früh mit einer Werbung auftrat, so konnte Alles für ihn verloren gehen. Wies sie seine Hand zurück, so mußte er sich zurückziehen – es war viel sicherer zu warten, bis sie den Treulosen vergessen hatte, bis sie sich an den »Oheim« gewöhnt hatte, bis es diesem gelungen war, nach längerem Alleinsein mit ihr, sie an sich zu attachiren, ihre Neigung zu erwerben, ihre Gedanken, die noch bei ihrem früheren Leben waren, an sich zu fesseln.

Der Baron berief sich allerdings darauf, daß unmittelbar auf seinen Schuß noch ein zweiter Schuß gefallen war. Auch der Förster Staudtner gab an, daß er zwei Schüsse vernommen habe, die, da nur der eine Lauf der Flinte des Barons sich bei der Untersuchung entladen zeigte, nicht beide von diesem gekommen sein konnten. Aubertin selbst räumte ein, daß er einen zweiten Schuß habe fallen hören; die Aussagen der übrigen Douaniers waren schwankend, sich widersprechend in diesem Punkte.

Man hatte in der Mühle ein frisch abgeschossenes Gewehr entdeckt. Aber dieser Umstand kam Landeron wenig zu Statten. Es lag gegen Georg und gegen seinen Bruder kein Verdachtsgrund vor, daß er auf den Inspector geschossen habe, wenn einer von ihnen wirklich, was in der That nicht fest constatirt werden konnte, an dem Kampfe mit den Schmugglern Theil genommen hatte. Ein paar Douaniers glaubten einen der Müllerssöhne wahrgenommen zu haben. Aber sie vermochten nicht, diese Aussage auf ihren Amtseid zu nehmen. Der Müller aber schwur hoch und theuer und mit allen Zeichen der Wahrhaftigkeit, daß er, als der nächtliche Lärm vor seinem Hause sich erhoben, aufgestanden und zunächst seine Söhne zu wecken gegangen sei; und daß er sie dabei alle Beide ruhig in ihrem Bette schlafend gefunden.

Auch war es nicht eben Sitte der französischen Justiz in jener Zeit, sich einen Verdächtigen, den sie gefaßt hatte, aus den Händen winden und sich auf einen Dritten, weit weniger Gravirten, verweisen zu lassen.

Es ließen sich allerdings keine Inzichten Inzicht: Verdachtsmoment, Indiz. – Anm.d.Hrsg. gewinnen, daß der Baron Landeron mit den Schmugglern Verbindungen angeknüpft, daß er vorher gewußt habe, es werde in der betreffenden Nacht zu einem Zusammenstoß zwischen ihnen und dem Inspector Aubertin nebst seinen Leuten kommen; auch schien es, da die Douaniers ihren Hinterhalt selbst gewählt und den Angriff begonnen hatten, nicht möglich, daß der Baron die Stelle, wo dieser Kampf ausbrechen werde, vorher gewußt habe!

Aber auch das kam ihm wenig zu statten. Solche Verbindungen, wenn sie angeknüpft waren, entzogen sich natürlich der Beobachtung, und die Schmuggler konnte man darüber nicht verhören, man hatte sie nicht gefaßt und konnte der Baron nicht eben so gut auch mit einem oder dem andern Douaniers in eine geheime Beziehung getreten und dadurch unterrichtet gewesen sein?

Im Uebrigen schwebte über dem Haupte des unglücklichen Barons, während der Untersuchungsrichter gegen ihn procedirte, ein Competenzconflict zweier Behörden. Das Tribunal in der Departementshauptstadt wollte ihn wegen Mordversuche gegen die Person des Duanen-Inspectors François Aubertin an sein Geschwornengericht verweisen. Die Cour prépôtale zu Valenciennes aber forderte den Fall vor ihr Forum, da der Baron bei seinem Mordversuch sich auf die Seite der Schmuggler geschlagen, und also ein Fall vorliege, worin ausschließlich der Cour prévôtale zu richten zukomme. Auf die Anwendung von bewaffnetem Widerstand und Waffengewalt bei Contrebandefällen stand aber die Todesstrafe; der Hof von Valenciennes hatte noch kürzlich vom Kaiser Napoleon aus Rußland Wir befinden uns, wie Kapitel 1 anzeigt, im Jahre 1811; der Rußlandfeldzug wurde aber erst 1812 begonnen. – Anm.d.Hrsg. die strengsten Weisungen, unerbittlich zu strafen, erhalten. Eine Ueberweisung des Barons an den Hof von Valenciennes wäre mit einem Todesurtheil gleichbedeutend gewesen.

Der Zustand Aubertins hatte sich unterdeß wesentlich gebessert. Der Arzt sprach seine volle Befriedigung mit den Fortschritten der Heilung aus. Das Wundfieber war weder sehr heftig gewesen, noch hatte es lange gedauert, und die Eiterung der Wunde nahm den regelmäßigen Verlauf. Die ganze Beschaffenheit des Falls gab sogar die Hoffnung einer so vollständigen Heilung, daß Aubertin nicht einmal eine Lähmung des Armes davon behalten werde. Nichts destoweniger litt er von Zeit zu Zeit große Schmerzen daran.

Aubertin lag nicht mehr in der Mühle. Sobald die Heilung so weit vorgeschritten war, daß er transportirt werden konnte, hatte Cornelie ihn auf das Gut bringen lassen und dort pflegte sie ihn mit einer unnachlassenden Sorge und Aufmerksamkeit. Und Aubertin, was hätte er anders sein können, als vollständig mit ihr ausgesöhnt … sie hatten sich gegen einander ausgesprochen, Aubertin lag die ganze Vergangenheit seiner Schwester mit alten Motiven klar vor Augen – mit Allem darin, was sie entschuldigte … und wie hätte er auch einen Groll zurückhalten können gegen das einzige lebende Wesen auf Erden, welches ihm gehörte, ihn liebte, ihm täglich und stündlich aufopferungsvolle Beweise dieser Liebe gab! Es ist sehr leicht zu grollen, wenn der, dem wir Vorwürfe zu machen haben, von uns ferne ist; aber schwer, den Groll zu bewahren, wenn der Andere bewegten Auges und mit redenden Zügen vor uns steht, wenn der Eindruck seiner Persönlichkeit versöhnender auf und wirkt, als seine Gründe es können.

Nur in einem Punkte waren die beiden Geschwister innerlich noch getrennt, und das war in ihrer Anficht von der Schuld des Barons. Aubertin schien diese Schuld offenbar. Er sah in Landeron ganz einfach einen Verbrecher.

»Solch' ein armer Douanenbeamter wie ich,« sagte er bitter sarkastisch, »kommt so leicht ums Leben – alle Tage kann das vorkommen. Wie viele von uns sind nicht von Contrebandisten zu stummen Leuten gemacht worden … wer kümmert sich später viel darum! Die Menschenleben sind wohlfeil geworden, unter unserm glorreichen Kaiser! … Und wenn wir die Vergangenheit dieses Mannes kennten – wer weiß, welche Dinge sie verbirgt!« …

»Aber,« machte Cornelie dagegen geltend, »wir kennen sie eben nicht, und deßhalb haben wir kein Recht sie in Verdacht zu ziehen; wir haben nicht den mindesten Anlaß, schlecht darüber zu urtheilen« …

»Wir wissen freilich weiter nichts,« fiel Aubertin ein, »als daß er auf eine etwas zweifelhafte Art den Ankauf dieses Gutes gemacht hat, das einem leichtsinnigen jungen Menschen gehörte … der Notar in Paris, der, wie ich vom Friedensrichter weiß, den Verkaufs- oder Uebertragungsact aufgenommen hat, ist ein berüchtigter Mensch, der Spielern und Wüstlingen Geld gegen wucherische Zinsen beschafft … die Sache mag zugegangen sein, wie sie will, für den Edelmuth unseres ›Onkels‹ spricht sie nicht.«

Cornelie hatte zwar keine Gründe, die stark genug waren, ihres Bruders Meinung und Urtheil umzustoßen – Alles, was sie anführen konnte, war ihre Ueberzeugung von seiner uneigennützigen Redlichkeit, der tiefe Eindruck von Wohlwollen, Ehrlichkeit und aufrichtiger Theilnahme für sie, den das ganze Betragen, das ganze Wesen Landerons ihr gemacht hatte; sie fühlte in ihrer innersten Seele, dieser Mann konnte kein Schurke sein – aber was half Landeron diese tiefinnere Ueberzeugung, Aubertin ließ sich durch dieselbe in seinen Schlüssen nicht beirren, er betrachtete sie mitleidig als das Ergebniß des vollständigsten Mangels an Welt- und Menschenkenntniß in seiner Schwester; und noch weniger galt diese Ueberzeugung den Gerichten, vor denen Cornelie selbst nicht anders konnte, als die Landeron verdächtigenden Thatsachen bis ins Einzelnste einzugestehen!

Die Briefe, die Cornelie von Landeron aus dem Gefängniß erhielt, enthielten nichts, was Aubertins vorgefaßte Meinung erschüttert hätte. Er ging darin wie von der ganz natürlichen Ueberzeugung aus, daß Cornelie an seiner Unschuld nicht den leisesten Zweifel hege und beschränkte sich im Uebrigen auf Mittheilungen über seine Lage, über seine Verhöre, die Ergebnisse der Untersuchung, so weit sie ihm kund wurden und diejenigen Gegenstände, deren er in seiner Haft bedurfte, und von Cornelien begehrte.

So standen die Sachen, als eines Nachmittags Cornelie das Bedürfniß fühlte, einen weiteren Spaziergang zu machen und frische Luft zu athmen. Die Krankenpflege in den immer verschlossenen Räumen hatte sie angegriffen, der Kummer und die Sorge um Landerons Schicksal bedrängte in demselben Maße, in welchem ihre Sorge um ihren Bruder sich beruhigte, ihr Herz. Sie wanderte einsam über die Schloßbrücke und schlug den Weg nach dem Walde ein, der Schauplatz des verhängnißvollen Kampfes mit den Schmugglern gewesen war. Immer weiter vertiefte sie sich in den jetzt schon allmählig herbstlich sich färbenden Wald; ihr Fuß schritt auf den wenig betretenen Fußpfaden über einen Teppich von vergilbten und niedergefallenen Blättern einher. Sie folgte einem Pfade, der, quer durch den Wald laufend, den von Süden herkommenden Fahrweg in der Mitte kreuzte. Als sie diese Kreuzung erreicht hatte, und nach rechtshin den Fahrweg hinauf blickte, sah sie ein junges Mädchen in der Tracht des Landvolks herankommen … die Gestalt schien ihr bekannt zu sein, obwohl sie im Augenblick sich nicht besann, wer von den Leuten, mit denen, als zu ihrem Gute gehörig oder in dessen Nachbarschaft wohnend, sie in Berührung gekommen, es sei; sie blieb stehen und erwartete die Heranschreitende.

Als das junge Mädchen neben ihr war, sagte sie, sich plötzlich seiner erinnernd:

»Ah, das ist unsere Bekanntschaft von neulich – Sie sind von dem Hofe, wo man über den Fluß fährt, nicht wahr?«

Gertrude nickte bloß mit dem Kopfe.

»Aber was ist Ihnen, mein Kind, sind Sie krank? Sie sehen ja entsetzlich blaß aus!«

»Run, ich meine, es ist kein Wunder,« sagte Gertrud, die Augen zu Boden schlagend und dann wieder wie prüfend langsam zu der französischen Dame erhebend. – »es wäre auch kein Wunder, wenn man krank darüber würde … aber krank bin ich nicht, nur …«

Sie vollendete nicht, sie ließ sich wie todtmüde auf den schmalen Rain niederfallen, den die über dem Fahrwege aufsteigende Terrainerhöhung bildete; dann legte sie die Hände in den Schooß und sagte:

»Ach, Ihr gehört ja auch zu den Franzosen … Ihr könntet gewiß, wenn Ihr wolltet, etwas für ihn …«

»Für ihn? Für wen sollte ich etwas thun?«

»Ihr könntet mir wenigstens einen guten Rath geben für ihn …«

»Aber von wem redest Du, wer ist der Er, um den Du so bekümmert scheinst?«

»Mein Gott, Ihr wißt ja doch,« versetzte Gertrude, »daß auf den Inspector geschossen worden ist, und daß sie den Georg in's Gefängniß geworfen haben, weil seine Flinte gefunden ist, und daraus noch vor Kurzem geschossen war.«

»Das weiß ich« – fiel Cornelie ein – »aber der Müllerbursche Georg,« setzte sie lebhaft hinzu, »glaubst Du denn, der sei nicht die ganze Nacht hindurch zu Hause gewesen …«

»Wenn nur dieser abscheuliche Franzose, dieser Douanen-Inspector, nicht just den Tag auf unsern Hof gekommen wäre und mir schön gethan hätte,« rief Gertrud, jetzt in helle Thränen und Schluchzen ausbrechend, aus – »das ist an allem Unglück Schuld  … die Leute sagen jetzt gar, er sei Ihr Bruder, ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber, wenn er auch zehnmal Ihr Bruder wäre, Sie müßten doch Mitleid mit einem armen Mädchen haben, über das ein so entsetzliches Unglück ausgebrochen ist, und ich kann, ich kann ja doch so gar nichts dafür; ich bin ja doch so unschuldig, wie ein neugeborenes Kind – der Franzose kam und schwatzte mir allerlei vor, was ich längst vergessen habe, und ich war allein zu Hause, und als er meine Hand faßte und sie nicht wieder loslassen wollte, da just kam der Georg daher, die Tenne herauf, und erboste darüber und schwur, dem Franzosen Eins zu versetzen, wenn er ihn wieder träfe … sehen Sie, so ist's gekommen, so ist er ins Unglück gestürzt, in der schrecklichen Wuth, in die er geräth, wenn er eifersüchtig ist; und nun haben Sie Mitleid mit dem armen Menschen, der ja sonst so gut, so gut ist und keinem Kinde etwas zu Leide thut, und Ihr Bruder hatte ja doch die Schuld, was braucht' er schön mit mir zu thun, ich hatt' ihn nicht in's Haus geladen, und bin ja so gut wie versprochen mit dem Georg … und darum helfen Sie, helfen Sie uns, Sie können es, Sie können mit den Herren vom Gericht für ihn sprechen, mit all den Herren, die aus Frankreich gekommen sind, und nun das Land regieren, und mit denen Unsereins gar nicht einmal reden kann!« …

Wir brauchen nicht zu sagen, mit welcher Spannung und Aufregung Cornelie diese Herzensergießung des armen Bauernmädchens anhörte, das so in ihrer Noth und Angst alles, was ihr auf dem Herzen lag, gerade der Person ausplauderte, vor der sie es unter allen Menschen am tiefsten hätte verschließen sollen.

»Also, so ist es gekommen!« sagte Cornelie jetzt, indem sie sich ebenfalls auf den Rasen neben dem jungen Mädchen niederließ – »mein guter, armer Onkel,« setzte sie hinzu, und tief aufathmend fühlte sie wie eine Centnerlast von ihrer Brust fallen. Das Rätsel war auf einmal gelöst – es war für sie kein Zweifel mehr, wer den Mordversuch auf ihren Bruder gemacht habe und es konnte ja auch den Gerichten kein Zweifel mehr übrig bleiben, sie brauchten nur einmal das, was Gertrude so eben ihr gesagt hatte, anzuhören … ja, aber – Cornelien Gedanken nahmen plötzlich eine andere Richtung.

»Kind, hat man Dich denn verhört, hast Du das vor Gericht ausgesagt?«

Gertrude erschrak – »O nein, um Gottes Willen, machen Sie nicht, daß ich vor die Gerichte muß. ich hätte den Tod davon vor Schreck,« rief sie aus.

Cornelie sah sie schweigend an. Es kam eine unsägliche Angst auch über sie. Was wollte sie thun, was hatte sie eben schon beschlossen gehabt … Diese armen Menschen unglücklich machen, das Vertrauen des weinenden Mädchens mißbrauchen – o, das war entsetzlich – das konnte sie ja nicht! Und sie mußte es doch, sie war es dem schuldig, der ihr auf Erden nach ihrem Bruder am nächsten stand … was sollte sie beginnen!

Die beiden Mädchen saßen eine Weile in ihren Kummer versenkt schweigend neben einander.

»Sagen Sie mir etwas,« rief dann Gertrud wieder aus – »sagen Sie mir, daß Sie etwas für den armen Georg thun wollen – o mein Gott, geben Sie mir wenigstens einen guten Rath … wenn Sie wüßten, wie mir zu Muthe ist, Sie thäten es gewiß, ganz gewiß … Sie sind ja doch auch ein Mädchen, Sie müssen doch auch ein Herz haben, – Sie müssen ja fühlen können, wie das ist, wenn der, den man lieb hat, im Gefängniß bei Vagabunden und Spitzbuben sitzt und wenn sie ihm ans Leben wollen … o mein Gott, mein Gott, so jung noch und schon sterben zu sollen – sterben!«

Gertrud brach wieder in lautes Schluchzen aus.

Cornelie blickte auf sie mit Zügen, die noch viel bleicher und erstarrter waren, als die Gertrudens.

»Unglückseliges Geschöpf,« lispelte sie, – »wärst Du mir nie, niemals begegnet! Und doch – ich muß ja dem Himmel danken, daß Du mir begegnet bist … o, es ist entsetzlich!«

Nach einer Weile sprang sie auf.

»Höre, Kind, ich kann Dir nicht helfen, ich kann es nicht – ich kann Dir nicht den geringsten Rath geben – mein Weg ist mir gerade und einfach vorgezeichnet und ich muß ihn gehen, wenn mir auch Deinetwillen das Herz darüber bricht – mein Weg kann nicht der Deine sein – aber ich will Dich mitnehmen zu meinem Bruder. Mit ihm wollen wir reden – er wird Dich anhören und dann uns sagen, was zu thun ist, damit wir nicht von zwei Unglücklichen einen dem Andern opfern.«

»Ich – mit zu Ihrem Bruder – zu dem Inspector?! Nimmermehr!« rief Gertrude aus.

»Du willst nicht? Nun dann höre: mein Onkel ist im Gefängniß wie Dein Georg. Ihn muß ich zu retten suchen, und wenn auch zehn Burschen wie Georg darüber zu Grunde gehen. Ich darf nichts Anderes thun, als das, was Du mir gestanden hast, dem Gerichte mitzutheilen.«

»O, mein Gott,« rief Gertrude zu Tode erschrocken aus – »das wollten Sie thun! Das wäre ja abscheulich …«

»Es wäre denn,« fiel Cornelie ihr in die Rede, »mein Bruder wüßte eine Auskunft, ein Mittel, meinen Onkel zu retten, ohne Georg zu vernichten – er allein, der ein Mann ist, der die Gesetze kennt, der hundert Seiten an einer Sache erblickt, wo wir nur eine sehen – er allein weiß hier zu rathen. Willst Du mit mir gehen oder nicht?«

Gertrude erhob sich.

»Ich muß dann wohl,« sagte sie tonlos.

»So komme – komm' rasch!«

Beide Frauen schritten jetzt den Weg, den Cornelie gekommen, zurück durch den Wald. Cornelie ging raschen beflügelten Fußes voraus. In kurzer Zeit war Haus Schleburg erreicht. Als sie im Innern des Herrenhauses waren und die in die oberen Gemächer führenden Stiegen emporschritten, mußte Gertrud sich an dem Treppengeländer festhalten, um emporzukommen – ihre Arme brachen unter ihr.

Cornelie brachte sie in das Zimmer, in welchem wir jene im Anfange dieser Erzählung gefunden haben; – auf dem Eckdivan, in Kissen zurückgelehnt, über die verbundene Schulter einen Schlafrock von dunkelgrünem Sammt geschlagen, saß Aubertin – mit dem bleichen Antlitz eines Menschen, der eben von einem schweren Leiden genest. Er blickte verwundert auf, als er Gertrude eintreten sah – freundlich lächelnd nickte er ihr zu und sagte:

»Gertrude – Sie sind's? es ist hübsch, daß Sie zu mir kommen und nach mir sehen – Sie haben jetzt erfahren, daß ich's ehrlich mit Ihnen meinte, als ich Ihnen auftrug, den Georg zu warnen, nicht wahr? Der Georg aber hat sich die Warnung nur wenig zu Herzen genommen – er hat's doch nicht lassen können, sich in eine Geschichte zu mischen, die ihn jetzt ins Unglück gebracht hat – er ist ohne Zweifel auch unter den Schmugglern gewesen …«

»Du irrst, François, wenn Du glaubst, das Mädchen käme, um nach Dir zu sehen,« fiel hier Cornelie aufgeregt ein – »ich habe sie halb mit Gewalt hieher bringen müssen – Du sollst aus ihrem Munde hören, daß ich Recht habe, daß der Onkel Landeron unschuldig ist, daß Niemand anders als der Georg, von dem Du redest, auf Dich geschossen hat, weil Du diesem Mädchen den Hof gemacht hast, weil er eifersüchtig auf Dich war, weil er, nachdem Du den Hof verlassen, gelobt hat, sich an Dir zu rächen. Das ganze Geheimniß ist aufgeklärt, François, der gute arme Oheim ist völlig unschuldig, und nun sollst Du helfen rathen, wie wir ihm sofort die Freiheit verschaffen und wie auch diesem Georg zu helfen ist, denn Du kannst, Du darfst sein Verderben nicht wollen, Du hast ihn gereizt; und dies Mädchen hat mir Alles freiwillig im höchsten Vertrauen gestanden; wenn der junge Mensch über dieser entsetzlichen Geschichte unterginge, es würde mir ewig wie eine Blutschuld auf dem Gewissen liegen! Du mußt helfen, rathen, retten!«

Cornelie warf sich ungestüm, während sie diese Worte hervorsprudelte, auf ein Bänkchen, das vor dem Divan stand, auf die Knie, und legte ihre gefalteten Hände auf die Schulter Aubertins.

» Dieu des Dieux,« rief dieser aus – »war sagst Du mir da – helfen, retten, als ob das anginge, und als ob nun Alles so fest stände, wie die ewigen Sterne, was Du da von dem Georg behauptest.«

»O, es steht so fest wie die ewigen Sterne! Gertrude, sprechen Sie doch, erzählen Sie ihm, was Sie mir erzählt haben, daß es eine heftige Eifersuchtsscene zwischen Ihnen und dem Georg gegeben hat, als mein Bruder Sie verlassen hatte, daß Georg Drohungen ausgestoßen hat – o François, Du brauchst es ja nur einmal anzuhören, um überzeugt zu sein, daß Du dem armen Onkel fürchterlich, ganz fürchterlich und himmelschreiend Unrecht thust!«

Aubertin sah gespannt zu Gertruden auf, aber Gertrude erzählte, sie sprach nicht, sie brach nur in Schluchzen aus, und Cornelie mußte noch einmal wiederholen, was sie von ihr im Walde gehört hatte.

Aubertin sah dabei, die Stirnfalten zusammenziehend, sinnend auf die rothe Seidendecke, welche über seine Füße geworfen war. Dann sagte er:

»Es ist darnach allerdings möglich, daß Dein Onkel Landeron unschuldig ist, und weil es möglich ist, sind wir verpflichtet, etwas für ihn zu thun – wir würden sonst unser ganzes Leben hindurch eine Last auf dem Herzen haben, wenn wir uns sagen müssen, er sei untergegangen unsertwegen und habe es vielleicht um uns nicht verdient gehabt. Sende dies Mädchen zum Friedensrichter und laß sie dort sogleich ihre Aussagen zu Protokoll geben.«

Gertrude schüttelte heftig mit dem Kopf.

»Lieber beiße ich mir die Zunge ab, als daß ich das thue,« sagte sie schluchzend.

»Was ist dann zu thun!«

»Was ist dann zu thun!« rief auch Cornelie aus.

»Georg muß zuerst gerettet werden, er muß auf irgend eine Weise sicher gestellt werden gegen die Folgen ihrer Aussagen – dann wird sie schon reden!«

»Auf irgend eine Weise!« fiel Aubertin ein. »Wie leicht solch ein Frauenmund das ausspricht! Als ob das so ohne Weiteres zu bewerkstelligen wäre, als ob es anginge!«

»O denke nach, ersinne irgend ein Mittel – laß ihm zur Flucht verhelfen … er sitzt ja noch in dem Gemeinde-Gefängniß, in irgend einem schlechtverwahrten Thurm der kleinen Stadt« …

»Er soll übermorgen in die Hauptstadt transportirt werden,« sagte Gertrud.

Aubertin nickte nachdenklich mit dem Kopfe.

»Wenn ich ihm zur Flucht verhelfe, Gertrud,« sagte er nach einer Pause, »wollen Sie dann Alles was vorgefallen ist zwischen uns und zwischen Ihnen und Georg zu Protokol geben? Und wollen Sie mir bürgen, daß dieser böse Bursche nicht noch einmal eine Ladung Rehposten auf mich abschießt?« setzte er lächelnd hinzu.

»O, wie können Sie daran denken!« sagte Gertrud.

»Nun wohl und Sie wollen Ihre Aussagen beschwören? Bedenken Sie, wenn Sie es verweigern, so nimmt die Sache ihren richtigen Verlauf, und Ihr Georg kommt als Theilnehmer an einer Schmuggelei mit bewaffneter Widersetzlichkeit gegen die Beamten, als Besitzer eines Schießgewehrs, mindestens und im besten Fall für ewig auf die Galeeren – wenn Sie aber aufrichtig und ohne Rückhalt vor dem Richter reden wollen, nun wohl, dann gebe ich Ihnen ein Mittel an die Hand, ihn zu retten. Ich schwöre es Ihnen, Gertrud« …

»Dann will ich's thun … Ihre Schwester hat gehört, was Sie mir versprochen haben!«

»Zweifeln Sie nicht an dem Wort meines Bruders,« fiel Cornelie ein.

»Sende jetzt sofort zum Friedensrichter,« fuhr Aubertin zu seiner Schwester gewendet fort, »und einen andern Boten an den Douanier Lafond – ich müsse ihn augenblicklich sprechen – auch wenn er im Dienst ist; man muß ihn auftreiben, ich bedürfe seiner auf der Stelle. Sie, Gertrude, bleiben hier, bis der Friedensrichter kommt.«

Cornelie ging, um die Aufträge ihres Bruders auszurichten; Gertrude setzte sich an eines der Fenster, um zu warten, bis sie entlassen würde.

Es ward Abend, bevor der Friedensrichter sich einstellte. Aubertin eröffnete ihm, daß er ihm eine wichtige Enthüllung im Processe des Barons Landeron zu machen habe, die er zu Protokoll zu geben wünsche.

Er theilte ihm nun mit, wie er seit längerer Zeit bei seinen Dienstgängen auf dem Schulzenhof einzusprechen gewohnt gewesen, wie er dabei der Tochter des Schulzen angelegentlich den Hof zu machen gepflegt und wie er dadurch die Eifersucht des jüngeren Sohnes des Müllers, desselben, in dessen Besitz ein jüngst abgeschossenes Gewehr gefunden sei, in hohem Grade gereizt habe, wie ihm nicht unbekannt geblieben. Er erzählte dann, wie er am Tage seiner Verwundung selbst auf dem Hofe gewesen, mit dem jungen Mädchen ein tête-à-tête gehabt habe und wie er darin durch die Erscheinung des Georg gestört worden, vor dem er sich zurückgezogen.

Als Aubertin bis zu diesem Punkte gekommen, brach er ab und veranlaßte den Friedensrichter, zur Ergänzung dieser seiner Aussagen die Vernehmung des jungen Mädchens zu beginnen. Was Gertrud nun unter vorläufiger Versicherung an Eidesstatt über die Scene angab, die zwischen ihr und Georg stattgefunden, stand mit Aubertins Aussagen so in Uebereinstimmung, daß der Verdacht sich ganz entschieden vom Baron Landeron ab und auf Georg hinlenken mußte.

Gertrude war am Ende der Verhandlung, während welcher der Richter das meiste mühsam durch Fragen ihr abgewinnen mußte, so erschöpft und außer sich und in peinigender Noth und Qual darüber, ob sie auch Recht gethan, so gegen Georg zu sprechen und diesem Franzosen zu vertrauen, daß Aubertin darauf verzichten mußte, wie er vorgehabt, weiter mit ihr zu reden und ihr die Rolle klar zu machen, die sie nach seinem Plane bei der Rettung George spielen sollte.

Cornelie ließ einen Wagen einspannen, um das arme Mädchen auf ihren Hof zurückzubringen zu lassen.

Unterdeß war auch Lafond gekommen. Aubertin hatte eine geheime Zwiesprache mit ihm; beide verhandelten lange zusammen, dann wurde auch Cornelie herzubeschieden, und nahm an der Unterhandlung der beiden Männer Theil.

Nach einer Stunde, als Lafond sich mit einem Händedrucke von Aubertin verabschiedet hatte, sagte Aubertin zu seiner Schwester:

»Ich fühle heute zum ersten Male, welch' böses Ding es ist, reich zu sein. Lafond war bis heute ein grundehrlicher Kerl; von dem Augenblicke an, wo ich ihm vorhin versprach, daß Du ihm 1000 Francs zahlen würdest, wurde er zum Schelm. Bei wie viel Seelen kann man mit einer Million den Teufel spielen und sie kaufen! Aber,« setzte er hinzu, »es ist nicht meine Schuld, nicht meine Marotte, dem Burschen durchzuhelfen, der meinen Tod gewollt hat – ich spreche wie Adam: das Weib hat mich verführt!«

»Und das Weib« versetzte Cornelie lächelnd »nimmt, wie alle Lasten dieser Welt, ruhig auch diese auf sich.«

Am andern Tage ließ sich Cornelie nach dem Schulzenhofe fahren, um, wie sie sagte nach Gertruden zu sehen.


Achtes Capitel.

Es war zwei Tage später an einem überaus sonnigen schönen Tage des Spätherbstes, jener Zeit, die man den »Altweibersommer« nennt, und die so oft an Klarheit, Wärme und sonnigem Schmelz der Luft und an Beständigkeit die besten Tage der Hochsommerzeit bei uns übertrifft. Schon seit 7 Uhr Morgens war Gertrude draußen auf dem Hofe beschäftigt, ohne daß man eigentlich sagen konnte, womit sie beschäftigt war; sie ging ab und zu, sie fütterte die Hühner und warf ihnen mit unglaubiger Verschwendung ganze Hände voll von gelben Roggenkörnern hin, sie war im Holzschuppen und baute aus den Reißigbündeln eine Wand mit so wenig architectonischer Besonnenheit auf, daß die ganze Wand, als sie kaum Mannshöhe erreicht hatte, wieder zusammenstürzte – sie war im Garten und riß Rüben aus, und warf sie auf einen Haufen zusammen und packte sie auf einen Schiebkarren in solcher Menge und so hoch, daß sie nun den Schiebkarren, als sie ihn fortbringen wollte, nicht bewegen konnte. Sie rief einen Knecht, der über den Hof ging, an.

»Schieb mir einmal den Karren an's Wasser, Heinrich,« sagte sie, »er ist mir zu schwer geworden.«

Der Knecht kam; er hob den Schiebkarren auf und setzte ihn wieder nieder.

»Das ist mir auch zu schwer,« sagte er, und zugleich begann er, einen Theil der Last herabzuwerfen.

»Ach, ja so!« rief Gertrud aus und schob den Knecht bei Seite. »So kann ich's auch! Geh nur wieder an Deine Arbeit. Geh!«

Es war das Ei des Columbus. Gertrude packte einen Theil der Last wieder von ihrem Karren ab und den Rest schob sie durch den Garten, über ein kleines Stück Rasenland an das Ufer des Flusses. Dort begann sie die Rüben zu waschen. Aber es litt sie nicht lange bei der Arbeit. Sie erhob sich und lief den Weg, der nach dem Mairie-Ort führte, hinab; eine kurze Strecke nur; dann blieb sie stehen, und lauschte; und dann, dann fuhr sie heftig mit der Hand zum Herzen und athmete einmal, zweimal tief auf und wandte sich, und lief nun wie ein gescheuchtes Reh ihrem Platze wieder zu, und hockte am Flußufer nieder und wusch Rüben.

Anscheinend ganz ruhig. Es war, als ob das Nahen der drei Männer, welche den Weg von dem Mairie-Ort her kamen und jetzt auf die Fährstelle am Ufer zuschritten, sie durchaus nichts angehe. Diese drei Männer waren ein Gendarme, ein Douanier, beide in Uniform und mit Carabinern bewaffnet, und ein junger Bursche, dessen Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren und der zwischen ihnen ging.

Als sie am Flusse waren, sagte der Gendarme, sich zu Gertrude wendend:

»Wir wollen hinüber; ruft einen Eurer Knechte.«

»Die Knechte sind nicht da. Ich kann's schon selber,« versetzte Gertrud kurz. Damit kam sie heran und legte, indem sie Georg einen raschen Blick zuwarf, den Finger auf den Mund. Georg sah unbeschreiblich trotzig und verwildert aus. Die Haft hatte ihn blaß gemacht, das, was in ihm vorging, als er so, ein gefesselter Gefangener, den Augen Gertruds ausgesetzt war, mochte noch mehr dazu beitragen, ihn blaß zu machen. Er hielt die Augen starr auf den Boden geheftet und vermied es hartnäckig, Gertrude anzusehen.

»Steigen Sie ein!« sagte Gertrud zu dem escortirenden Gendarm – es kostete ihr Mühe, so viel Athem zu schöpfen, wie sie dazu nöthig hatte.

Der Gendarm stieg in den Kahn; nach ihm setzte Georg den Fuß auf den Rand des Nachens.

In diesem Augenblick blitzte ein Messer in einer rasch bewegten Hand – es war die Lafonds – Georg fühlte, daß plötzlich seine Bande schlaff geworden waren. Er sah sich rasch um, und begegnete einem bedeutsamen Blicke Lafonds, der ihn behutsam machte; er stieg ein und setzte sich hinten im Boot neben dem Gendarm auf die Bank; der Strick, der ihn fesselte, löste sich dabei vollends, er glitt ihm in die Hände; damit der Gendarm nichts davon bemerke, daß seinen Gliedern die Freiheit wieder gegeben war, hielt er die Arme auf dem Rücken und den Strick in den Händen fest.

Lafond blieb in der Mitte des Kahns stehen; Gertrude deutete ihm durch eine Handbewegung an, daß er in den Hintertheil treten solle; sie selbst kam, nachdem sie die Schaltstange aufgenommen, in die Mitte des Kahns und stieß ihn vom Ufer ab.

»Der Nachen geht tief ins Wasser, Kind,« bemerkte Lafond  … »soll ich Dir helfen?«

Gertrude antwortete nicht; sie zog anscheinend sehr mühsam die Schaltstange des Flußbettes auf, und stieß sie dann noch einmal ein – der Kahn schoß der Mitte des Flusses zu.

Aber die Schaltstange schien diesmal sehr fest im Grund zu stecken. Gertrude setzte ihren Fuß auf den Bord des Kahns, stemmte sich dagegen und machte nun eine heftige Anstrengung, um die Stange aufzuziehen … aber zu heftig, der Bord senkte sich bis unter's Wasser … ein Augenblick, ein leiser Aufschrei ein Sacré Dieu! und der Kahn war umgeschlagen!

Die vier Insassen desselben lagen im Wasser.

Der Fluß war nicht so tief, um nicht Grund darin fassen zu können. Auch waren von den vier Unglücklichen zwei glücklich genug, um bald auf die Füße zu kommen; es waren Gertrud und Georg. Gertrude arbeitete sich so bald als möglich watend der Uferstelle, von wo sie ausgefahren, wieder zu; Georg, der als Müllerssohn mit dem Elemente vertraut war, schwamm mit den so zur rechten Zeit befreiten Händen eine Strecke weit über den Fluß abwärts, dann faßte er Fuß, watete eine weitere Strecke rasch am Ufer entlang und verschwand in einem Erlengebüsch, das seine Zweige über die Gewässer streckte.

Schlimmer erging es den beiden Franzosen. Der Gendarm hatte bei dem Umschlagen des Kahns einen heftigen Schlag an den Schenkel erhalten, der ihn für einen Augenblick vollständig lähmte und als er dann in seiner Todesangst sich vom Grunde des Flußbetts, aufraffte, fühlte er sich am Fuße des andern Beines gehalten; schon glaubte er zu ersticken, er sah Flammen vor den Augen tanzen, er schlug mit den Armen krampfhaft um sich … da erfaßte ihn eine Hand unter der Achsel und riß in empor als er endlich zu Luft und Athem kam, stand er auf seinen Füßen im Wasser bis zum Halse und von Lafond gehalten – sonst hätte ihn die Strömung wieder niedergerissen.

» Sacré Dieu,« fluchte er, tief Luft schöpfend, »wo ist der Gefangene?«

»Zum Teufel, wahrscheinlich,« sprudelte Lafond mit einer ganzen Masse Wasser heraus – »denken Sie nicht an den Gefangenen, sondern unterstützen wir uns gegenseitig, damit uns die Strömung nicht umreißt!«

»Weshalb hielten Sie mich am Beine fest – ich wäre bald darüber ertrunken,« sagte der Gendarm, indem er dem Ufer zuzuwaten begann.

»Ei, weshalb! fragen Sie noch! Ich lag mit der Nase im Schlamm und griff nach dem, was ich packen konnte! – Ich bin zwar ein guter Schwimmer – aber einen Augenblick lang hatte ich doch die Geistesgegenwart verloren – der Teufel hätte auch darauf gefaßt sein sollen!«

»Gott Lob, der Grund wird fester.«

»Ja, kommen Sie nur wir sind bald in Sicherheit.«

»Da sind wir,« rief der Gendarm, den letzten Schritt zum Ufer machend … Haben Sie den Gefangenen gesehen?«

»Sie sind lächerlich, Lacharpe, mit Ihrem Gefangenen; ich kümmere mich jetzt den Teufel um ihn und mache mich in das Haus dort, damit ich meine Kleider trocken bekomme.«

»Aber, wenn er uns entwischt« …

»So entwischt er; wir bekommen drei Tage Arrest, weil wir keine Hechte sind und für den Polizeidienst im Wasser nicht dressirt, und damit ist die Sache abgethan. Ich bin viel mehr darum bekümmert, daß ich von diesem verfluchten kalten Bade kein Fieber bekomme.«

Sie hatten das Ufer erreicht und schüttelten den Strom von Wasser ab, der an ihnen niederrieselte.

Lafond fing an zu lachen.

» Ma foi,« sagte er, »sind wir die Leute, die jetzt eine Streife auf einen durchtriebenen Burschen machen können, welcher alle Wege und Stege hier kennt? Sie sehen schön aus, Lacharpe!«

» Mille tonnerres,« sagte Lacharpe, »das ist eine verfluchte Geschichte – die ganze Uniform ist verdorben – und dazu hat man noch einen tüchtigen Arrest in Aussicht!«

»Und einen tüchtigen Schnupfen!«

Die beiden Franzosen schleppten sich dem Schulzenhofe zu.

»Wo hat der Henker denn die Gans, die uns übersetzen wollte!« sagte Lacharpe, indem er seine Augen umherschweifen ließ.

»Verschwunden – die Gans wird fürchten, daß wir ihr ein wenig die Federn rupfen wegen ihrer Fahrkünste und darum wird sie fortgeschwommen sein,« gab Lafond zur Antwort.

»Sie wird doch nicht noch im Wasser liegen!«

»Ah bah,« versetzte Lafond, »sorgen Sie nicht. Ich habe gesehen wie sie an's Ufer watete und verschwand.«

Gertrude war in der That verschwunden. Sie war ins Haus geschlüpft, an der entgegengesetzten Seite desselben wieder hinaus, den Fluß hinauf durch ein Erlengebüsch, über eine Wiese, in ein dichtes Gehölz, das am Flusse lag, und hier, sich dicht am Ufer haltend, rief sie mit unterdrückter Stimme: »Georg – Georg!«

Die Richtung, welche Georg genommen, hatte sie beobachtet – er mußte in diesem Gehölz sein.

»Gertrud!« antwortete es in der That, nachdem sie einige Male ihren Ruf wiederholt hatte; er trat hinter dem Stamm einer Eiche hervor, und Gertrud schoß, ihm die Hand entgegenstreckend, auf ihn zu.

»Thatst Du das mit Willen?« fragte er, in freudiger Aufregung.

Sie war keines Wortes mächtig. Sie nickte blos mit dem Kopfe.

»Und der Douanier, der mir den Strick durchschnitt – war er von Dir bestochen? Du bist ein braves Mädchen, Gertrude – ich könnte mein Leben lassen für Dich!«

» Darum?!« sagte sie, mit einem Blick voll Innigkeit zu ihm aufschauend.

Georg verstand die Betonung, die sie auf die Frage gelegt hatte.

»Nein,« sagte er, »darum nicht blos. Du bist brav, Gertrud. Mein Leben laß ich doch für Dich!«

Er legte beide Hände auf ihre Schultern und blickte ihr schweigend tief ins Auge.

»Aber nun mußt Du fort,« sagte sie hastig. »Sie werden Dich suchen. Du mußt fort. Hier hast Du ein Papier. Damit kannst Du nach Bremen und dann über die See kommen. Und hier hast Du Geld.«

Bei diesen Worten zog sie aus der Tasche ihres Rockes etwas hervor, das sorglich in Wachstuch geschlagen war, um es gegen die Nässe zu schützen, und eine Rolle Geld.

»Es ist lauter Gold!« sagte sie.

»Gold? und woher hast Du das?«

»Von den Franzosen – die Demoiselle Cornelie, die Schwester des Inspectors, hat es gestern mir gebracht.«

»Die? Und was hat die bei der Sache zu schaffen?« fragte Georg, seine Stirn runzelnd.

»Nun, das Meiste; die Franzosen haben es so ausgedacht, die Art, wie Du fortkommen könntest.«

»Die Franzosen? Der Inspector mit seiner Schwester? Zum Henker, Gertrud … und Du glaubst« …

»Nun, was hast Du?«

»Du glaubst, ich nähm' dies Gold des Inspectors?«

»Weshalb nicht! Ist es nicht rechtschaffen und gut von dem Menschen, auf den Du geschossen hast, daß er Dir noch forthilft?«

»Auf den ich geschossen habe?! Das wird immer besser! Gertrud, Du glaubst wirklich, ich hätte ein Mörder werden wollen?« …

»Nun, gewiß, wer hätte es denn sonst gethan? Es war ja auch nur ein Franzose!«

»Franzose hin, Franzose her … ich habe nichts mit der Sache zu schaffen, und das Gold des Menschen nehm' ich nicht … was liegt ihm daran, daß ich fortkomme? … was bedeutet das Ganze, was hilft dieser Mensch mir, daß ich zum Lande hinauslaufen kann?«

»Mein Gott, er will seinen Onkel, den die Gerichte ja auch im Gefängniß haben, frei machen« …

»Den, der es wirklich gethan hat, den will er frei machen! Er giebt all das gute Gold dazu her? Dummes Zeug. Gertrude mach mir nichts weiß über diese Franzosen – die kenn ich besser. Er weiß, daß ich bald freikomme, weil ich ja auch ganz unschuldig bin, sie müssen mich freilassen. Das ist ihm aber sehr verdrießlich, denn wenn er wieder geheilt ist, so will er aufs Neue auf Euren Hof kommen und um Dich her scherwenzeln – dann soll die alte Geschichte wieder angehen und dabei stehe ich ihm ein wenig im Wege, und deßhalb soll ich fort, zum Lande hinaus, nach Bremen, über's Meer gar nach Amerika« …

»Georg, was sprichst Du da,« fiel Gertrude entsetzt ein.

»Ich spreche, was wahr ist. Ich bin kein Mörder, ich nehme von dem Franzosen kein Geld und ich gehe nicht!«

»Du willst nicht fliehen?« rief Gertrud zu Tode erschrocken aus.

»Nein!«

»Aber dann werden sie Dich ja wieder einsperren« …

»Mögen sie; sie müssen mich auch wieder loslassen. Ich habe nichts verbrochen. Ich will nicht, daß alle Leute rund umher sagen: des Müllers Georg ist durchgegangen, also muß er's gethan haben. Es ist gegen meine Ehre, daß ich durchgehe.«

»Aber, Georg, Du mußt jetzt« …

»Ich will aber nicht!«

Gertrud rang in Verzweiflung die Hände. Das hatte sie nicht erwartet.

»O mein Gott,« jammerte sie, dann ist alles, Alles verloren – sie werden Dich nun nicht mehr loslassen – ach, ich selbst habe Dich ja angegeben als den Thäter.«

»Du, Du hast mich angegeben?«

»Ja, ja, ja, ich glaubte ja, Du seist es, und das hab ich der Französin auch gesagt in meiner Herzensnoth … und dann dem Friedensrichter« …

»Sieh einmal an,« sagte Georg, mit düster gerunzelter Stirn und wüthenden Blicken auf das verzweifelnde Mädchen schauend, »Du hast gezeugt wider mich?!«

Gertrude bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen und begann laut zu schluchzen.

Georg blickte eine Weile wie völlig ungerührt auf sie nieder. Dann sagte er mürrisch:

»Wenn wir hier so bleiben in unsern nassen Kleidern, so können wir den Tod davon haben. Ich gehe nach Hause um mich zu trocknen.«

Er wandte sich zum Gehen.

»Georg, Georg!« schrie Gertrude in der hellsten Verzweiflung laut auf – »ich bitte Dich um Gottes willen, geh nicht nach Hause, fliehe, so weit Dich Deine Füße tragen, Du gehst sonst in den Tod, in den bittern, leidenvollen Tod – ich sag's Dir ja, ich habe Alles angegeben, was zwischen mir und Dir und dem Franzosen vorgefallen ist, und wenn Du's nicht gethan hast, Jedermann glaubt's jetzt, daß Du's gewesen bist, und Du bist verloren, verloren ohne Rettung.«

Gertrude war außer sich, indem sie diese Worte ausrief. Sie rang dabei die Hände, sie war nahe daran, sich vor Georg auf die Knie zu werfen.

»Du hast mich angegeben!« sagte Georg nur. »Du! Nun gut, wenn Du mich für einen Mörder halten, wenn Du mich angeben konntest, so sollst Du's nun auch davon haben, daß ich durch Dich zu Schanden werde und untergehe. Ich gehe nach Hause, Adieu, Gertrud!«

Sie antwortete nicht. Ihre Arme waren schlaff an ihrer Seite niedergefallen, sie blickte in starrem Schmerz den Boden an.

»Adieu, Gertrud,« wiederholte er.

»Adieu, Georg!« versetzte sie tonlos und wie mechanisch.

»Vielleicht sehen wir uns fürs Erste nicht wieder.«

»Vielleicht!« sagte sie.

»Daß Du mich hast retten wollen, will ich Dir nicht vergessen,« fuhr Georg, sich zum Gehen wendend, fort.

»Es ist gut, ich danke Dir,« antwortete sie leise, kaum hörbar.

Georg ging quer in den Wald hinein.

Gertrud machte eine Bewegung sie that einen Schritt vorwärts, als ob sie ihn halten wollte dann blieb sie wieder stehen, und dann, während Georg im Gebüsch verschwand, wandte sie sich gegen die nächste Buche, legte ihre beiden Arme gekreuzt gegen den glatten Stamm und drückte ihr Gesicht auf die Arme.

So stand sie lange, wie in eine Ohnmacht gesunken, wie ohne Sinne für das, was um sie her vorging. Sie sah nicht, wie ein dunkler Kopf, ein stämmiger Mensch in Bauerntracht, mit einem starken Knittel bewaffnet, aus dem nächsten Gebüsch auftauchte; wie er leise und vorsichtig die Zweige auseinander bog und behutsam näher trat; wie er sich dann bückte und rasch die Goldrolle und das kleine Wachstuchpacket aufraffte, welches Georg vorhin auf den Boden geworfen hatte; wie er es vorsichtig in der Brusttasche seines Wamses verbarg und nun im Gebüsch wieder verschwand.


Neuntes Capitel.

Welch eine eigensinnige Menschenrace sind diese Westphalen!« sagte am andern Tage der Inspector Aubertin zu seiner Schwester Cornelie, während er in deren Wohnsalon auf Haus Schleburg langsam und matten Schrittes auf und ab wandelte.

Cornelie saß am Fenster und sah erst zu den am Himmel vorüberziehenden weißen Wolkenbergen auf.

»Entsetzlich,« erwiederte sie; »das arme Mädchen ist bedenklich krank darüber geworden, sie liegt im Fieber, die Arme, die Leute auf dem Hofe aber konnten nur mit Mühe überzeugt werden, daß sie den Arzt holen lassen möchten.«

»Das kalte Bad wird daran übrigens eben so viel Schuld haben, als der Starrsinn dieses Georg,« sagte Aubertin.

Cornelie war am Morgen nach dem Schulzenhof hinausgefahren; der Verabredung nach wollte Gertrud am gestrigen Nachmittag zu ihr kommen, um ihr zu berichten, wie die verabredete Rettung Georgs ausgeführt sei … da aber Gertrud nicht erschienen, hatte Cornelie sich aufgemacht, und sie heute auf ihrem Hof aufgesucht. Sie hatte sie fieberkrank im Bette gefunden und von ihr alles erfahren.

»Nun, wir können diesen Leuten weiter nicht helfen«, hob Aubertin wieder an; »die Sache wird jetzt ihren Verlauf haben; man wird diesen Monsieur Georg, der zu eigensinnig ist, einen Paß und Geld zur Flucht von mir anzunehmen, in seiner Mühle schon finden. Nach allem Dem, was ich und das junge Mädchen zu Protocoll gegeben, wird ihn nun nichts retten, es wird ihm an Hals und Kragen gehen – ihm noch weit entschiedener und ärger, als es Deinem Onkel Landeron gegangen wäre; denn bei ihm ist kein Zweifel, daß er zu den Schmugglern gesellt, als Contrebandier sein Verbrechen begangen hat – er wird nach Valenciennes geschleppt, davor rette ihn kein Gott!«

»Es ist eine ganz unbegreifliche Hartnäckigkeit,« sagte Cornelie, »so aus Eigensinn in den Tod zu rennen!«

»Aber,« fuhr Aubertin fort, »nach dem, was Du mir sagst, scheint mir so viel gewiß, daß dieser Georg sich unschuldig fühlt, daß er es in der That nicht war, der auf mich schoß! Du siehst nun also doch, daß mein Glaube der richtige war, daß Dein sauberer ›Onkel‹ der ist, für den ich ihn gehalten habe – und ich bitte Dich, sag mir, was beginnen wir, wie verhalten wir uns, wenn er nun, da sich der Verdacht auf diesen Georg wendet, aus der Haft entlassen wird, und mit der unschuldigsten Miene von der Welt zu uns zurückkommt, hierher nach Schleburg?«

Cornelie seufzte tief auf.

»Ich,« – sagte sie nach einer Pause, »glaube dennoch nicht an seine Schuld – ich werde ihn freudig empfangen.«

»Freilich,« entgegnete Aubertin mit einem bittern Lächeln, »das magst Du thun – die Frauen haben das Privilegium, keine Vernunft anzunehmen!«

Cornelie warf ihrem Bruder einen halb bittenden, halb vorwurfsvollen Blick zu und verstummte.

»Ich,« fuhr Aubertin fort, »ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich ihm gegenüber auftreten soll; ich hätte große Lust, ihm vollständig auszuweichen und mich zu entfernen, wenn er zurückkommt.«

Nach einer Pause trat ein Mädchen ein und meldete, der Friedensrichter sei draußen und verlangte den Herrn Inspector zu sprechen. Gleich nach der Magd trat der Friedensrichter mit allen Zeichen einer bedeutenden Aufregung ein.

»Was bringen Sie?« sagte Aubertin, ihm entgegen gehend und die Hand reichend. »Sie scheinen einen ganzen Sack voll Neuigkeiten zu haben.«

» Eine Neuigkeit wenigstens, ein Novum, wie es gar nicht merkwürdiger sein kann,« versetzte der Mann des Gesetzes – »und dies Novum ist dieses saubere Stück Kalligraphie, dieser Brief hier!«

»Ein Brief und von wem?«

»Lesen Sie ihn selber,« entgegnete der Richter, indem er Aubertin einen langen, auf grobem Conceptpapier von einer dem Anschein nach der Feder wenig mächtigen Hand geschriebenen Brief übergab. Er lautete, mit Hinweglassung seiner orthographischen Schwächen copirt, folgendermaßen:

»Nun will ich Euch sagen. Herr Richter, da doch der Georg in dem Cachot darum gewesen ist und sie ihn in Verhör gehabt haben, als wäre er bei der Schmuggelei gewesen und hätte auf den Douanier-Franzosen mit der Flinte geschossen, was nicht wahr ist, sondern unschuldig wie unsere bunte Kuh daran, wer das gewesen ist. Das bin ich gewesen, aber nicht mit Rehposten, meint ich, sondern ich habe geglaubt, ich hätte Hasenschrot darin und an's Leben hab' ich ihm nicht wollen, das könnt ihr mir glauben, Herr Richter, sondern nur Ein's auf den Pelz brennen, daß er für eine halbe Stunde genug hätte. Denn wie ein sicherer Mann, was Sie nichts angeht, wie der heißt, Abends zu mir gekommen ist und mir gesagt hat, er wollte mich ein schön Stück Geld verdienen lassen, bei den Wägen, wo er noch nicht genug Mannschaft dabei hätte, da bin ich gleich resolvirt gewesen, als ein ordentlicher Kerl, wenn's sein mußt', die Franzosen auszuklopfen. So denk' ich, eh' du hingehst, nimmst du die alte Flinte, die du in der Mühle verborgen hast, mit, die für die Hasen gut, dann ist sie auch für die Franzosen gut, und um ein Uhr oder acht geh' ich meinen Weg und komm zu den Andern und dann geht's weiter und machen wir in das hinein, und da meinten sie, wir sollten erst allein ohne die Wägen durch das Holz gehen, ob da auch Alles richtig sei; und mitten in, da hat sie auf einmal der Teufel und fallen über uns her, als ob es da Franzosen regnen thäte, und da seh ich just aus den Buschwert linker Hand den Inspector herausspringen, wie eine wilde Katze so speh, denk' ich, wart, der soll daran glauben, wenn der Eins bekommt, daß er für's Erste genug hat, das ist der Oberste von ihnen, dann werden die andern verfehrt (entsetzt) und wir werden schon mit ihnen fertig! Also, Herr Friedensrichter, und so war es ein Unglück, weil ich die alte Flinte bei mir hatte, und als ich nach Hause kam und bald darauf das Volk alle in die Willbrinksmühle kam und die Jungen aufstanden und das Fenster sich von außen aufschieben läßt, wenn man's kennt, da dacht ich, in der Mühle, wenn sie bei dir visitiren kommen, sollen sie die Flinte nicht finden, du bringst sie in der Jungen ihre Kammer, in das Wandspind, was da ist, das kennt Niemand nicht.

Und da haben sie sie doch gefunden und der Georg hat dafür büßen müssen in das Cachot, was mir nicht lieb war und heute wollten sie ihn transportiren, so bin ich ihnen auf den Weg gegangen, um den Gendarm seine Wege zu weisen, aber der Gendarm hatte noch einen von den Douaniers bei sich und so konnte ich den Georg nicht frei machen; da ging ich ihnen nach bis zur Fähre und was da passirt ist, wissen Sie wohl, aber nicht was hernach in dem Holz der Georg und die Gertrud, ich weiß es auch weiter nicht, als daß der Georg nicht weg wollte, und weil ich nun Paß und Geld habe, um wegzukommen, und woher ich das habe, das sage ich Euch nicht und ist meine Sache – da gehe ich weg, daß Ihr Alle das leere Nachsehen habt, so ist es, diese Nacht gehe ich weg und bekommt mich auch keiner wieder, weil der Georg unschuldig ist, und die Westarps Grete, die Euch diesen Brief bringt, die kann es bezeugen, daß ich in der Nacht mit der Flinte aus war, die stand hinter ihrem Kotten, als ich da vorüber kam, und rief mir zu: ›Hendrik, woher kommst Du denn noch?‹ und so kann sie Alles bezeugen. Und damit ist es aus.

Euer dienstwilliger, wie zuvor,

Hendrik Maaßen,                   
Müllerknecht auf der Willbrinksmühle.«

Aubertin hatte dies Actenstück laut verlesen.

»O, mein Gott!« sagte Cornelie jetzt – »das ist eine ganz neue Wendung und damit ist ja Alles aufgeklärt – Alles gut!«

»An der Wahrheit der Sache ist nicht zu zweifeln,« fiel der Friedensrichter ein – »die Ueberbringerin dieses Briefes, eine Bauernfrau aus der Nachbarschaft der Mühle, Westarps Grete, hat mir bestätigt, daß dieser Müllerknecht, der ohnehin als roher, Schlägereien liebender Gesell bekannt ist, in jener Nacht, von dem Walde herkommend, und mit einer Flinte bewaffnet, von ihr gesehen und angeredet worden ist!«

»Dann habe ich allerdings Deinem Oheim fußfällig Abbitte zu leisten, Cornelia,« sagte Aubertin – »und ich danke dem Schöpfer für diese Wendung der Sache!«

»Ich aber,« fiel Cornelie ein, »ich werde augenblicklich zu ihm reisen. Ich werde mir Zutritt zu ihm verschaffen, ich werde mich durch nichts abhalten lassen, er soll diese gute Wendung durch mich selbst erfahren!«

Sie sprang auf und eilte hinaus, um ihren Wagen anspannen zu lassen.

»Und Georg?« fragte Aubertin den Friedensrichter.

»Es liegt jetzt nicht mehr die Nothwendigkeit vor, ihn zu verhaften, – er kann ruhig auf seiner Mühle bleiben, wenn er nicht vorzieht, seine Stunden auf dem Schulzenhofe zuzubringen« … versetzte der Friedensrichter lächelnd. »Ich will sogleich nach der Willbrinksmühle fahren und den Umstand, daß dieser Hendrik Maaßen die Flinte verborgen gehalten hat, nicht aber Georg, näher zu constatiren suchen – alsdann liegt gegen den Sohn des Müllers nichts vor.«

Der Friedensrichter steckte das merkwürdige Document, welches er überbracht hatte, wieder zu sich und ging, um seinen Vorsatz auszuführen. Bei den Verhören, welche er in der Mühle noch am heutigen Tage vornahm, stellte es sich in der That heraus, daß weder Georg noch dessen älterer Bruder etwas von der in ihrem Spind versteckten Flinte gewußt hatten. Georg hatte ich in dem ersten Verhöre nur dazu bekannt, um dadurch zu vermeiden, daß nicht auch sein Vater und sein Bruder mit ihm verhaftet würden – besser, es duldet Einer, statt Drei, hatte er sich gesagt. –

Dagegen waren jetzt mehrere Zeugnisse da, von Burschen, die darum wußten, daß Hendrik Maaßen bei der vorjährigen allgemeinen Entwaffnung des Departements eine alte Flinte des Müllers auf die Seite zu bringen gewußt und in der Mühle verborgen gehalten habe. Jetzt, wo Hendrik fort und, wie sich annehmen ließ, in Sicherheit war, sprachen sie. Georg gab noch an, daß er am Abende vor dem nächtlichen Ereigniß den Müllerknecht Hendrik Maaßen in langer geheimer Zwiesprache mit einem, wie er, um nicht den Verräther zu machen, sagte, ihm fremden Mann gesehen.

Kurz, die Erhebungen fielen so aus, daß der Friedensrichter Alles zusammen dem Untersuchungsgericht mit dem Antrage übersenden konnte, Georg auf freien Füßen zu lassen. Das untersuchende Gericht war damit einverstanden, und nachdem es den ganzen Incidenzfall, den der Brief des Müllerknechts bildete, geprüft und den Baron Landeron noch einmal ausführlich verhört hatte, beschloß es, die Anklage gegen diesen fallen zu lassen.

Es waren acht Tage seit dem Erscheinen des Friedensrichters auf Haus Schleburg verflossen, als eines Nachmittags eine Kalesche in den Hof rollte, aus der Cornelie und der Baron stiegen. Aubertin war so weit genesen und gekräftigt, daß er ihnen schon auf dem Hofe entgegenkommen konnte. Der Baron umarmte ihn mit tiefer Rührung, nahm dann seinen Arm und führte ihn in's Haus zurück. Nachdem die ersten Begrüßungsreden und die ersten Mittheilungen über alles, was geschehen, vorüber, nahm der Baron auf dem uns bekannten Eckdivan zwischen seinen beiden Verwandten Platz und sagte:

»So wäre denn so weit Alles gut – auch mit allem Schmerzlichen und Demüthigenden, was ich habe durchleben müssen, will ich mich ausgesöhnt erklären, ich will es als eine kleine Strafe betrachten, daß ich einen Fürwitz gehabt habe, der vielleicht thöricht war … welchen, das sollt Ihr sogleich hören … ich sehe Euch froh über meine Freiheit, und ich selbst bin über diese nicht mehr froh als darüber, daß ich Eurer Freude noch eine andere, eine größere hinzufügen kann.«e

»Eine größere? Das wäre nicht möglich, mein Onkel!« rief Cornelie aus.

»Wir werden sehen! Ich habe Euch wenigstens eine der angenehmsten Mitteilungen zu machen, die man im Leben erhalten kann und wahrhaftig, ich habe die Lust verloren, sie auch nur noch eine Viertelstunde aufzuschieben!«

»Das wäre?« sagte Aubertin erregt.

»Cornelie,« versetzte Landeron, »Du erinnerst Dich, daß ich Dir gesagt habe, dies Haus Schleburg mit Allem, was dazu gehört, sei Dein« …

»In der That – aber« …

»Aber Du hast es für galante Redensart gehalten, und dafür habe ich es auch vor dem Untersuchungsrichter erklärt; hätte ich die Wahrheit gesagt, so hätte ich meine Lage unendlich complicirt und mich viel verdächtiger gemacht, als ich leider schon war. Jetzt aber darf ich die Wahrheit sagen. Hört mich an. Was ich damals gesprochen, war mein voller Ernst. Schleburg ist wirklich Dein.«

»Es gehört in der That meiner Schwester?!« rief Aubertin aus.

»Mein?!« sagte Cornelie mit erblassender Lippe.

»So ist es; dies Schloß ist Dein; ich habe es für Dich aus Deinem Vermögen erkauft; außer der Summe, welche ich dafür gegeben habe, sind noch 100 000 Francs zu Deiner Disposition. Ich habe 300 000 Francs für Schleburg bezahlt, doch ist es weit mehr werth. Diesen Ankauf wirst Du deshalb jedenfalls genehm halten.«

»Ich glaube, ich träume,« sagte Cornelie aufspringend … »Du erzählst mir ein Märchen, Onkel« –

»Beruhige Dich, Cornelie, setze Dich und höre mir zu bis zu Ende.«

Sie setzte sich wieder, aber ihr ganzes Wesen verrieth, daß sie in einer unbeschreiblichen Aufregung war.

»Um Gottes willen, woher bin ich denn so reich geworden?« rief sie aus.

»Du bist so reich geworden,« fuhr der Baron Landeron fort, durch eine Erbschaft; ein Großonkel Deiner Mutter, ein alter Mann der vor beinahe einem Jahr in Montpellier starb, nachdem er ein langes, über achtzigjähriges Leben hindurch nichts gethan, als seine Schätze zu mehren, ohne sich irgend darum zu kümmern, ob er noch Angehörige in der Welt habe oder nicht, hinterließ ein Vermögen von 800 000 Frcs. Die Erben waren Du und Dein Bruder. Euer Aufenthalt war aber den Gerichten unbekannt. Sie wandten sich an mich, der als Verwandter Eures Vaters ermittelt wurde. Auch mir war Euer Aufenthalt – leider muß ich es gestehen, ich hatte es nicht viel besser gemacht als der alte Filz in Montpellier – unbekannt. Aber es gelang mir bald, Nachrichten über Euch zu erhalten. Du warst in Paris, Dein Bruder stand irgendwo in Deutschland, im Corps der kaiserlichen Douaniers.

In welchen Verhältnissen waret Ihr Beide! Ich mußte mir die heftigsten Vorwürfe über die Pflichtvergessenheit machen, daß ich, der einzige Verwandte, den Ihr außer jenem alten Manne auf der Welt hattet, so kummerlos Euer Schicksal dem Zufall überlassen! Ich versprach mir, diese Schuld zu sühnen. Ich stand allein in der Welt. Ich war von dem Leben übersättigt. Was konnte ich besseres beschließen, als – aber Du willst von Deiner Erbschaft hören, nicht von mir. Nun wohl, ich hatte das Gericht gebeten, bis Euer Aufenthalt ermittelt sei, mich zum Verwalter des Vermögens zu bestellen.

Ich setzte mein eigenes Vermögen zum Pfande dafür ein, und unter dieser Bedingung wurde mir die Erbschaft ausgehändigt. Ich suchte Dich auf – ich sah Dich und ich sagte mir, daß ich unmöglich Dir sofort eine halbe Million in den Schooß schütten dürfte. Was würde die Folge gewesen sein? Der Mann, der Dich eben treulos verlassen hatte, würde sogleich zu Dir zurückgekehrt sein. Er würde Dir Verzeihung abgeschmeichelt haben. Dein weiches Herz, hätte es ihm Widerstand geleistet? Er würde Dich ausgebeutet, Deine Schätze durchgebracht haben, wie er die seinigen durchgebracht hat. Und dann wärst Du wieder so elend gewesen wie zuvor. Vielleicht hätte er Dich zu seiner rechtmäßigen Frau gemacht. Nun ja, aber Du wärest dann nicht glücklicher gewesen. Nach einigen Jahren Du arm, ohne Treue und Liebe! Nein, Cornelie, ich durfte Dir nicht sagen, wie reich Du seiest. Ich mußte Dich erziehen für den Reichthum; ich mußte Dich hüten vor dem plötzlichen Glück und seinen gefährlichen Folgen. Du warst, vergieb mir meine offene Sprache, Du warst einer solchen Prüfung des Schicksals nicht gewachsen; Dein Charakter mußte ernster, Dein Blick in's Leben größer, ruhiger, Dein Herz weiser werden. Ich schlug den Weg dazu ein, der mir der beste schien. Ich entfernte Dich ganz von Paris. Ich suchte Dich mit dem praktischen Leben bekannt zu machen; es giebt keine bessere Schule dazu, als das Landleben. Ich suchte Dir Interesse für Habe und Besitz beizubringen. Ich verwandte den größern Theil Deines Vermögens zum Ankaufe dieses Gutes. Ein junger Verschwender trug ihn mir an – um mir nicht vorwerfen zu können, ich habe seinen Leichtsinn benützt, zahlte ich ihm 50 000 Francs mehr als er verlangte, und schloß doch einen höchst vortheilhaften Handel für Dich ab. Dies Gut gehört nun Dein. Du kannst es sobald als möglich wieder veräußern, wenn Du willst. Du kannst heimkehren in Deinen alten Lebenskreis, Du bist Deine eigene Herrin. Ich habe nichts weiter zu sagen, als: Vergieb mir, was ich gethan!«

Cornelie warf sich weinend an den Hals ihres Verwandten.

»O mein Gott, wie gut, wie gut Du bist, mein Onkel!« schluchzte sie.

»Also Du zürnst mir nicht wegen dessen, was ich gethan, Du wirst mir auch nicht den Kummer bereiten, mir zu zeigen, wie meine Hoffnung vergeblich war, dadurch, daß ich Dich an die Scholle fesselte, Deine Gefühle und Gedanken in die Bahn einer ernsten und würdigen Lebensanschauung leiten zu können, ihnen andere Wünsche, andere Sympathien geben zu können, als sie früher hegten?«

»Gewiß nicht, gewiß nicht, mein Onkel,« versetzte sie, »ich habe Dir das ja schon gesagt, und die überraschende Wendung meines Schicksals, die ich noch gar nicht fassen kann, ändert daran nichts.«

»Aber François,« sagte der Baron, sich jetzt an den Inspector wendend »Was sagen Sie mir? Zürnen Sie mir, daß ich mir herausgenommen habe, auf diese Weise auch bei Ihnen die Vorsehung zu spielen?«

»O mein Gott,« versetzte Aubertin, der sprachlos dies Alles angehört hatte, »ich bin so überrascht – ich möchte sagen niedergedonnert, daß ich gar nicht weiß, was ich sagen soll! Der Kopf schwindelt mir! Also ich hätte 400 000 Francs geerbt? 400 000 Francs? Das ist ja fabelhaft, ganz fabelhaft!«

»Aber darum nicht weniger wahr! Ich werde Ihnen noch heute die Summen und die Documente, die ich in Händen habe, ausliefern. Sie werden mir, Sie sowohl, wie Ihre Schwester, vor dem Friedensrichter Ihre Empfangsbescheinigungen geben, und ich bin froh, daß ich sie endlich dem Gerichte in Montpellier übersenden kann, welches schon lange mich wegen derselben bedrängt. – Aber sprechen Sie, erhalte ich auch von Ihnen die Absolution? Sehen Sie, der Umstand, daß ich Sie hier in der Gegend angestellt wußte, war ein großes Motiv mehr, weshalb ich für Cornelie dies Gut kaufte. Ich konnte von hier aus Sie kennen lernen, ich konnte, wie ich es gethan habe, so in Ihrer Nähe dafür sorgen, daß der Glückswechsel Sie nicht ganz unvorbereitet traf. Ich sorgte dafür, daß er Sie nicht traf als armen Douanier, der nie in seinem Leben mehr als 100 Francs auf einmal sein Eigen genannt. Ich ließ Sie befördern, ich spielte Ihnen größere Summen in die Hände  … Sie können sich jetzt erklären, warum ein gewisser Vincent, der nichts anders ist als mein Sekretär, Ihnen seine Freundschaft aufdrängte. Ach – ich kenne die Wirkung des Geldes – es ist eine Art Arsenik– wenn man sich nach und nach daran gewöhnt, lernt man endlich große Dosen vertragen, die ohne solche Vorbereitung tödten würden!«

»Und ich« – sagte Aubertin gerührt – »der wähnte, Sie hätten mich in feindlicher Absicht mit Spionen umgeben! Wie viel hab' ich Ihnen abzubitten!«

»O nicht, nichts,« sagte Landeron, »ich habe Ihnen abzubitten, daß ich über einen Mann, wie Sie, unberufen den Vormund machte, daß ich die Vorsehung über Sie beide gespielt … das ist, wenn auch kein schlechtes, kein verkehrtes, doch immer ein gefährliches Unternehmen und wie sehr, das habe ich in meiner Haft empfunden. Wäre dies ganze Verhältniß dem untersuchenden Gericht klar geworden – Gott sei Lob, daß es nicht geschehen ist – wäre ich dann nicht verloren gewesen – hätte dann nicht alle Welt einen Stein auf mich geworfen und gerufen: er hat der Erbschaft sich bemächtigen und deshalb Franz Aubertin tödten wollen – es ist klar!«

»Sie haben Recht« entgegnete Aubertin; aber wir, meine Schwester und ich, wir werden trotzdem gewiß nie aufhören, in Ihnen dankbar den besten aller Vormünder zu verehren!«


Zehntes Capitel.

Unsere Geschichte bedarf keiner weiteren Entwickelung. Wir fügen nur noch hinzu, daß am andern Tage der Müller auf der Willbrinksmühle, als er nach dem Frühstück seinen Georg allein auf der Tenne traf, fragte:

»Nun, wie geht's der Gertrud? Du warst am gestrigen Abende denk' ich, auf dem Schulzenhof?«

Georg sah ein wenig überrascht in die Züge seines Vaters; bisher war Gertrudens Name nie über des Alten Lippen gekommen; er war ja störrisch gegen eine Verbindung Georgs mit der Schulzentochter, weil er einen langen und bittern Proceß mit dem Wehrfester des Hofes geführt hatte.

»Es geht ihr besser!« sagte Georg; »ich war allerdings gestern da, und sagte ihr, daß ich frei sei. Sie wollte heute schon wieder aufstehen.«

»So!« antwortete der Müller trocken und gedehnt. »Ich will Dir was sagen, Georg. Du weißt, ich habe von Deiner Freierei mit der Gertrud nichts wissen wollen. Ich hätte auch nie mein Jawort dazu gegeben – wenn ich auch weiß, daß der alte Schulze damit einverstanden ist, und Du ihm als Anerbe für seinen Hof just recht bist! Gerade deshalb wollt' ich's nicht! Aber da Du Dich so ordentlich und brav benommen hast – mit der vermaledeiten alten Flinte, weißt Du – hättest Du's nicht auf Dich genommen, so wäre ich alter Mann selber noch den Franzosen in die Klauen gefallen – nun deshalb will ich die Sache gehen lassen, wie sie geht: Geh und heirathe, wenn Du Lust hast!«

Georg stand erschüttert und tief bewegt da. Er holte gerötheten Antlitzes tief Athem.

»Ich danke Euch, Vater,« sagte er.

Dann brachte er anscheinend ruhig die Arbeit, mit welcher er beschäftigt war, zu Ende. Als sie jedoch vollbracht war, fuhr er mit großer Eile in die Sonntagskleider und lief nun sehr hastig nach dem Schulzenhofe, um jetzt mit des Vaters Einwilligung seine feierliche Werbung anzubringen.

Georg ist noch heute der Wehrfester auf dem Schulzenhofe und schreibt sich nach westphälischer Sitte: Georg Schulze-Wetterstein, geborner Willbrink.

Der Baron von Landeron blieb bis zum folgenden Jahre auf Schleburg. Dann erforderten seine eigenen Angelegenheiten seine Anwesenheit in Frankreich, wohin er zurückkehrte, während Aubertin – dieser hatte den lästigen Douanierdienst quittirt – und seine Schwester auf dem Gut zurückblieben und es verwalteten, was namentlich Aubertin die größte Freude machte. Er hat sich später einen ähnlichen schönen Besitz zu erstehen gewußt, und dann auch, bei einem Besuch, den beide Geschwister dem Baron in Frankreich machten, das gefunden, wonach er, wie er einst Gertrud klagte, so lange vergeblich gesucht – eine Hausfrau!



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