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Zweiter Theil.
Deutscher und Ungar.

* * *

1.

In einem großen, aber zumeist aus ärmlichen Hütten bestehenden Dorfe am Ufer des Neusiedler See's war ein kaiserliches Husaren-Geschwader eingerückt; die Truppen kamen mehr aus dem Innern Ungarns, wo sie mit andern Abtheilungen zu großen Corps-Manövern versammelt gewesen waren und kehrten jetzt in ihr Standquartier Wien zurück. Da sie einen ermüdenden Marsch gemacht hatten und namentlich die Pferde von den anstrengenden Manövern sehr mitgenommen waren, sollten sie in Luszina, unserem Dorfe, acht Tage lang cantoniren, um sich völlig zu erholen, bevor sie den Marsch in die Kaiserstadt anträten.

Der größte Theil unserer Reiter-Division zwei Schwadronen – war in den von einer gemischten Bevölkerung von Magyaren und Slaven bewohnten Hütten des Dorfes untergebracht. Um in ihrer Nähe zu bleiben, quartierte sich auch einer der Rittmeister dort im Hause des Stuhlrichters ein; der andere schloß sich dem die Truppe commandirenden Major an, dem noch ein junger Officier, ein Adjutant folgte, und diese drei Männer bestiegen, nachdem Alles für die Einquartierung der Mannschaft gethan war, ihre Pferde wieder, um die Dorfstraße hinab zu reiten und am Ende derselben in eine Ulmen-Allee einzubiegen, welche auf ein etwa zehn Minuten entfernt liegendes »Castell« zuführte.

Das »Castell«, wie man in Ungarn die Herrensitze nennt, lag erhöht, am Fuße waldiger Hügel, die die ganze Gegend des Sees beherrschten und die Vorhöhen des Leithagebirges bildeten; es lag ziemlich malerisch unter alten Baumwipfeln da; wie man ihm näher kam, sah man, daß sich hinter ihm ein Park die Anhöhen hinauf erstreckte. Das Gebäude selbst war stattlich und umfangreich, es hatte wenig Aehnlichkeit mit den schlichten, einstöckigen und langweiligen Herrensitzen, welche man mehr im Innern Ungarns findet; es war ein Flügelbau im französischen Roccoco-Schloßstyl, und zeigte sich von den Zuckerhutdächern zweier Thürme überragt, die, aus älterer Zeit erhalten, an der hinteren Seite die Winkel füllen mochten, welche die Flügel bei ihrem Ansatz an den mittleren Hauptbau bildeten.

Als die drei Officiere etwa einen Büchsenschuß weit von dem Schlosse entfernt waren, hörten sie auf dem Hofe desselben eine schmetternde Trompeten-Fanfare blasen; ein Mensch im Pandurencostüme war auf den Perron der hohen Schloßtreppe getreten, um dies Signal zu geben.

Zu gleicher Zeit sahen unsere Reiter, wie das eiserne Thor, welches den Hof gegen die Allee hin abschloß, zugesperrt wurde.

»Das sind ja recht freundliche Anstalten zu unserem Empfange,« sagte lächelnd der Stabsofficier; »ich fürchte, wir werden erst eine Belagerung nehmen müssen, bevor wir zu einem Mittagessen kommen.«

Der Rittmeister zur Seite des Majors, welcher die Sache ernsthafter nahm, stieß einen ungarischen Fluch aus; es war eine alte Kriegsgurgel, der Herr Rittmeister, die seit einer guten Reihe von Jahren in kaiserlicher Majestät Diensten sich getummelt und geschwitzt, mit Türken und Preußen sich herumgeschlagen, darüber manche Schmarre und graue Haare bekommen, im Uebrigen aber sich bewundernswürdig conservirt und viel mehr Fett angesetzt hatte, als es dem unter ihm etwas schwerfällig einherschreitenden Eisenschimmel bequem sein mochte.

»Just nur a Minut'n san mer z'spat!« sagte der Rittmeister; »der Herr Graf geht all'weil zur Tafel; nun werden's uns halt warten lassen, bis d'Herrschaften zu End' san; und da kenn' i mi aus; a ungarisch' Diner geht halt nie z'End! Lassen's uns Kehrt machen, Herr Oberstwachtmeister, sonst kommen wir dort a z'spat!«

»Seien Sie ganz ruhig, Herr von Treißam,« entgegnete der Major, »wir werden schon noch zum Braten früh genug kommen.«

»Na 's ist nicht wegen meiner,« entgegnete Herr von Treißam, »'s ist mir nur wegen der armen Gäul', dem meinen rollt's und gurgelt's halt im hohlen Leib, als hätt' er die ganze Donner- und Blitzmaschine vom Lipperltheater Das sog. »Lipperltheater« war eigentlich eine Institution, die seit etwa 1797 in München ihren Sitz hatte. Lipperl entspricht dem Kasperle bzw. Hanswurst. Ein »Lipperltheater« in Österreich ist nicht nachweisbar; vermutlich überträgt Schücking den Begriff auf analoge Kasperletheater. – Anm.d.Hrsg. drein.«

Man war an dem geschlossenen Gitter angekommen.

»Ziehen Sie einmal die Glocke, Lieutenant Hahnbruder,« wandte sich der Major an den jüngeren Officier, der jetzt vortrabend dicht an einen der Thorpfeiler ritt und den Strang einer einwärts, nach dem Hofe zu, daran angebrachten Glocke in Bewegung setzte.

Das Läuten hatte zunächst nur den Erfolg, einige Hunde aus ihrer Mittagsruhe aufzuschrecken, die quer über den großen Schlosshof daher geschossen kamen, große, schmutzig weiße, zottige Bestien mit blutunterlaufenen Augen, von jener maliciösen ungarischen Schäferhundrace, die, an den Gitterstangen emporspringend, ein wüthendes Gebell erhoben; dann kam aus einem Nebenbau derselbe Mensch, der vorhin das Thor geschlossen hatte, ein schwarzhaariger Bursche in einem abgetragenen Pandurencostüme, glotzte durch das Gitter die drei Officiere an und fragte endlich, als der Major jetzt dicht vor dem Thore hielt:

»Was schaffen's?«

»Einlaß,« versetzte der Major mit ziemlich gebieterischem Tone. »laß deinem Herrn melden, der kaiserliche Oberstwachtmeister von Frohn mit zwei Officieren vom Husarenregiment ›Römischer König‹ ersuche auf seinem Durchmarsche um Aufnahme im Schloß!«

Der Mann zögerte, ehe er etwas unsichern Tones die Antwort gab:

»Schaun's, das darf i nit – der Herr Graf san an der Tafel, und derweil is halt g'sperrt!«

»Sind die Quartiermeister denn nicht hier gewesen, um uns anzumelden?

»Das san's schon – gestern!«

»Nun wohl, so geh ich, befehl Dir's –« herrschte ihn der Oberstwachtmeister in einer Weise an, welcher der Pandur nicht zu widersprechen wagte. Er ging quer über den Hof zurück und stieg die Schloßtreppe hinan; ein Mann in gepuderter Perrücke und schwarzem Anzug trat in diesem Augenblicke aus dem Portal heraus, wechselte einige Worte mit dem Panduren und kam dann auf die harrenden Reiter zugeschritten.

»Aha, der Haushofmeister,« sagte der Rittmeister, »wenn der Herr Graf selbst käm', sich zu excusiren, wär' schon höflicher!«

Der Haushofmeister hatte das Gitterthor erreicht; aber wenn der Rittmeister Treißam erwartet hatte, daß er eilig und dienstbeflissen die Hand ausstrecken würde, um das Thor schleunig aufzusperren, so hatte er sich getäuscht.

»Die Herren,« sagte der Mann in der gepuderten Perrücke mit einer gemessenen Verbeugung und einem etwas verlegenen und irren Lächeln – »die Herren werden's nicht ungütig nehmen – die Thore sind gesperrt sobald die Tafel aufgehoben ist – in einer guten Stunde höchstens – seine gräflichen Gnaden werden alsdann eine Satisfaction daran haben, die Herren bei sich zu seh'n!«

»Zum Teufel,« fiel hier der Rittmeister ein, und so lange sollen wir hier vor den Gitterstangen halten, mit nüchternem Magen, auf den müden Gäulen –«

»Sind wir dem Grafen gemeldet oder nicht?« fragte Frohn, zornig die Stirn runzelnd.

»Gräfliche Gnaden haben eben durch's Fenster die Herren ankommen seh'n – aber es ist halt einmal die Regel, während der Tafel wird gesperrt –«

»In der That – das ist die Regel auf Schloß Luszina – und davon wird unter keiner Bedingung abgegangen?«

Der Haushofmeister zuckte die Achseln.

»Auch nicht, wenn ein kaiserlicher Stabsofficier, müde von langem Marsch im Dienst des Kaisers, anklopft? –«

»Es ist überall so Sitte hier zu Land« – sagte der Haushofmeister, beschwichtigend und mit einem etwas scheuen Blick zu der dräuend gerunzelten Stirn der hochgewachsenen, kraftvollen Männergestalt auf dem hohen Rappen aufblickend.

»Sitte hin, Sitte her« fiel dieser laut und zornig ein – »melde er noch einmal seinem Grafen, der Oberstwachtmeister von Frohn halte mit seinen Officieren vor dem Thore und erwarte –«

»Ich darf's halt nicht – gräfliche Gnaden würden mir's verübeln –«

»Mann« – rief jetzt Frohn drohend aus, indem er seine Uhr zog – »ich gebe ihm drei Minuten Zeit; wenn binnen drei Minuten die Thore nicht gutwillig vor uns geöffnet sind, so werde ich Euch dazu zwingen!«

Auf den Haushofmeister schien diese Drohung Eindruck zu machen. Er wandte sich um und eilte über den Hof ins Schloß zurück. Der Pandur blieb, die Hunde beschwichtigend, in der Nähe. Frohn wandte sich in die Allee zurück; er sah die Reitknechte mit den Handpferden und dem Gepäck die Allee heraufkommen, und winkte ihnen, sich zu beeilen. Der Rittmeister ritt, einige Flüche in den Bart murmelnd, zur Seite, wo einige Stallungen, aus Fachwerk erbaut und mit Stroh gedeckt, einen bessern Schatten gegen die Mittagshitze gaben; sie lagen außerhalb des den Schloßhof abschließenden Gitters rechts in einer Gruppe bei einander. Eine Minute zwei vergingen der Haushofmeister kam nicht zurück.

»Wir werden ruhig wieder in's Dorf zurück müssen, Herr Oberstwachtmeister – da ist nichts zu machen – so san's, die Herren Ungarn!« sagte der Rittmeister.

»Wir werden sehr bald den Herren da oben tafeln helfen; haben Sie keine Sorge, Rittmeister,« entgegnete Frohn, indem er seine Uhr einsteckte. »Die drei Minuten sind vorüber.«

»Miklos,« wandte er sich an seinen Reitknecht, »Du hast Feuerzeug bei Dir?«

»Zu Befehl, Herr Oberstwachtmeister.«

»Steig' ab, schlag' Feuer an, und steck' hier dieses Stallgebäude in Brand.«

»Zu Befehl, Herr –« wollte Miklos in instructivem Diensteifer sagen, aber die Worte stockten vor Ueberraschung auf seinen Lippen, er blickte fragend zu seinen Gebieter auf.

»Thu', was ich Dir befehle,« rief ihm Frohn zu, in einem Tone, der keine weitere Zögerung zuließ.

»Herr Oberstwachtmeister,« sagte der Adjutant erschrocken, »wir sind in Ungarn!«

Auch der Rittmeister schaute einen Augenblick verwundert drein.

»Gott's Blut! Das Mittel wird zieh'n,« rief er dann hell auflachend aus. »Nur zu, Miklos!«

Miklos stand schon auf seinen Füßen. Während der Reitknecht des Rittmeisters ihm die Pferde hielt, hatte er bald seinen Zunder in Brand gebracht und daran einen Schwefelspan entzündet.

»Die wurmstichige alte Thür des Stalls wird am besten Feuer fangen,« sagte Frohn näher heranreitend.

Miklos raffte eine Handvoll umherliegenden Strohes und trockenen Laubes zusammen; er schob es unter die Thüre und eine hübsche kleine Lohe lockte und züngelte sofort an der alten Einfahrtsthür auf, die sich nicht lange bitten ließ, ebenfalls Feuer zu fangen. Dicker Qualm wirbelte gleich darauf in die Höhe, zu dem überhängenden Strohdach auf – ehe wenige Minuten vergingen, mußten auch die Flammen, dem Rauch folgend, bis dahinauf lohen und dann war die ganze Gruppe der Stall- und Oeconomiegebäude verloren.

Die Gefahr war bereits dringend und unsere Officiere sahen mit Spannung ihrem Wachsen zu, als es plötzlich auf dem stillen, wie ausgestorbenen Schloßhofe lebendig wurde.

Die Rufe: Zu Hilfe Janos – Laszlo – Wasser her – Feuer – Brand! ertönten in magyarischen, slowakischem und deutschem Idiom durcheinander, aus den Seitenflügeln des Schlosses stürzte das Gesinde hervor, – dahin mochte der Pandur zuerst die Schreckensbotschaft vom Beginnen der Officiere draußen gebracht haben – eine Glocke, die in einem der rückwärts stehenden Thürme hing, flog in hellen Sturmschlägen auf; die Hunde begannen ihr wüthendes Gebell von Neuem auf dem Perron der Haupttreppe wurden Lakaien in Livré, dann schon Herren und Damen der Herrschaft sichtbar – Alles eilte dem Thore zu, dessen beide Flügel weit aufflogen, um die ganze Schaar von zusammenlaufenden Menschen durchzulassen.

Sie stürzten an den kaiserlichen Reitern vorüber, dem Orte der Gefahr zu – diese drückten, ihrem Anführer folgend, ihre Pferde vor und ritten, ruhig und gelassen auf die erhitzten Menschen niederschauend, durch das jetzt weit aufklaffende Gitterthor in den Schloßhof ein.

An dem Fuß der Treppe stiegen sie ab und warfen ihren Dienern die Zügel zu. Als Frohn die erste Stufe betrat, sah er aus dem Portal eine reich nach ungarischem Schnitt gekleidete Männergestalt, dem ein junger Herr in französischer Tracht folgte, sich entgegenkommen – es war ein schlankgebauter Mann, der Ungar, etwa vierzig Jahre alt, stolzer Haltung und mit regelmäßigen schönen Zügen, auf denen in diesem Augenblicke zornige Erregung den Ausdruck verdrängt hatte, der gewöhnlich darauf liegen mochte, und der wohl kein anderer als des hochgesteigerten Selbstgefühls sein konnte.

»Zum Teufel, mein Herr Major, oder was Sie sein mögen«, schrie dieser Herr mit hochrothem Gesicht, dem Officier entgegen, »ich weiß, daß die Kriegsknechte, welche der apostolische König uns von Zeit zu Zeit ins Land schickt, der Constitution zu Trotz, sich viel für erlaubt halten; daß sie aber die Verwegenheit haben uns die Häuser über den Kopf anzuzünden –«

»Herr Graf von Luszina – ich muß annehmen, daß ich die Ehre habe, mit dem Hausherrn zu reden?« fiel Frohn, den zornigen Magnaten unterbrechend, mit einem kaltblütigen Lächeln ein. »Sie empfangen uns mit Vorwürfen, die wir nicht verdient haben. Wenn die ungarische Constitution, wie es den Anschein hat, befiehlt, armen müden Kriegsknechten die Thore vor der Nase zu schließen, damit der Graf von Luszina nicht beim Tafeln gestört wird, so wird sie doch nicht befehlen, daß dieselben verhungern sollen.«

»Was hat das mit Ihrer –«

»Still, Graf ich verlange, daß Sie meine Entschuldigung anhören. Da Sie uns nicht aufnehmen wollten, mußten wir daran denken – à la guerre comme à la guerre für uns selbst den Koch zu machen Kriegsleute verstehen das schon – wir haben damit begonnen, uns ein kleines Feuer anzuzünden – Sie werden das als die nothwendige Einleitung zu jeder Küchenoperation anerkennen – den Braten hätten wir in Ihrem Hämmelstall auch schon gefunden.«

»Sie werden mir Rechenschaft geben für Ihre Verwegenheit,« schrie der Graf kirschroth vor Wuth über diesen Spott, »Sie werden erfahren, daß Sie in einem Lande sind, wo nicht ein Despot, dessen Werkzeuge sich Alles erlauben dürfen, regiert, sondern die Gesetze – in dem freien Ungarn, mein Herr Oberstwachtmeister.«

Der Graf schlug an die Scheide des schönen türkischen Säbels, der, von einer rothen Seidenschnur gehalten, an seiner Seite klirrte.

»Ich bin völlig bereit, Ihnen persönlich jede Rechenschaft zu geben, welche Sie wünschen mögen, mein Herr Graf von Luszina,« sagte Frohn ruhig, und sich in seiner ganzen riesenhaften Gestalt dem erhitzten Schloßherrn gegenüber aufrichtend.

»Sie sind dem Gesetz verfallen, und ich,« fiel der Graf wie ablenkend von diesem Punkte ein, »ich werde darüber wachen, ich bin der Erbobergespan des Comitates.«

»Die ungarischen Gesetze sind mir auch bekannt,« entgegnete Frohn noch immer mit seinem kalten Gleichmuth, »der Hauptsache nach lauten sie dahin: Jeder Edelmann thut, wozu er die Macht hat; und da ich nun die Macht hier habe, das heißt zwei Schwadronen Husaren hinter mir, so kann ich nach ungarischem Grundgesetz auch Ihre Stallgebäude in Brand stecken, falls das nöthig ist, um Sie aufmerksam zu machen, daß einige Cavaliere vor Ihrem Thore halten und die berühmte ungarische Gastfreiheit in Anspruch nehmen.«

Der Magnat antwortete auf diesen Hohn nur mit einem stummen Blick der Wuth, den er auf Frohn warf, dann schoß er an ihm vorüber die Treppe hinab und eilte über den Hof, um sich an den Ort der Gefahr zu begeben. Mehrere Herren, die hinter ihm aus dem Portal getreten waren und sich um ihn gruppirt hatten, schlossen sich ihm an.

Frohn und seine Begleiter stiegen die freigewordenen Stufen empor und traten in einen geräumigen hallenartigen Flur, in welchen über den nach den Gemächern zur Rechten und linken führenden Flügelthüren Trophäen von kostbaren türkischen Waffen angebracht waren, während große Hirsch- und Elen-Geweihe an den Wänden, Jagdflinten, Büchsen, Genickfänger, Halb-Monde und Bärenspieße trugen; in den Ecken standen kleine reichverzierte alte Broncegeschütze auf zierlich gearbeiteten Lavetten; auf der Schwelle dieses Flurs trat den Officieren der Haushofmeister entgegen; mit einem erschrockenen Gesicht sagte er:

»Wenn die Herren befehlen, will ich Ihnen Ihre Zimmer anweisen?«

»Thun Sie das!« versetzte Frohn lakonisch.

Der Mann schritt voran, in einen Seitencorridor, der unter der großen Treppe mündete, hinein.

»Na, alter Mann,« konnte sich der Rittmeister nicht enthalten zu bemerken, »nun sind ja doch die Schloßthore während der Tafelzeit geöffnet!«

»Ach,« sagte der Haushofmeister, mit einem tiefen Seufzer, »wenn Ew. Gnaden nur der Frau Gräfin nicht solch' einen Schrecken eingejagt hätten!«

»Hat wohl die Vapeurs gekriegt, die gute Dame! werden schon vorübergehen, alter Mann, wir kennen das!«

Der Haushofmeister schüttelte den gepuderten Kopf.

»Sie könnte den Tod haben von so etwas,« versetzte er – er murmelte ein paar Worte hinterher, von denen Frohn nur: die arme Gräfin! verstand.

»Ist sie denn krank, Eure Dame?« fragte dieser nun.

Der Haushofmeister vermied eine Antwort, indem er eine Thüre am Ende des Corridors aufwarf. Sie führte in eine Folge von freundlichen Gastzimmern.

»Wenn Ew. Gnaden sich hier einrichten wollen,« sagte er mit einer Verbeugung; »ich werde die Diener mit den Sachen sondern.«

»Mit den Sachen eilt's nicht so wie mit einer kleinen Herzstärkung«, rief ihm lachend der Rittmeister nach – »damit wir unsere eigenen Kochanstalten nicht wieder aufzuschlagen brauchen!«

»Die Herren werden bedient werden,« wandte sich der Haushofmeister zurück und verschwand den Corridor hinab.

»Also mit einem übermüthigen Hausherrn und einer leidenden Dame werden wir zu thun haben, während unserer Rasttage hier,« sagte Frohn; »die Letztere macht mir einige Gewissensbisse über unsere brüske Manier uns einzuführen – – –«

»Der Henker werde mit diesen üppigen Ungarn auf andere Weise fertig!« brummte der Rittmeister, während er unter den Zimmern das, welches ihm an meisten behagte, aussuchen ging.

Frohn war an's Fenster getreten.

»Der Brand muß bereits gelöscht sein«, bemerkte der Adjutant, der ebenfalls nach den Stallungen hin spähte – »der Qualm hat aufgehört.«

In der That kam schon der Graf mit seiner Umgebung und ein Theil der Dienerschaft auf den Hof zurück.

»Desto besser«, sagte Frohn, »wenn nichts als das Scheuernthor verzehrt ist, – – – unser Magnat hat doch einen Wink damit bekommen, der hinreicht! –«

Nach einer Weile kamen denn auch Diener, die die Mäntelsäcke der Offiziere brachten und bald darauf andere, welche des Rittmeisters dringende Wünsche befriedigten – sie brachten ein reichliches Mahl, welches sie in dem ersten der Zimmer – der Oberstwachtmeister hatte es zu seinem Hauptquartier erkoren – servirten.


2.

Ein paar Stunden später ließ der Major von Frohn der Herrschaft melden, daß er ihr seine Aufwartung zu machen wünsche. Es wurde angenommen, der Haushofmeister empfing ihn am Fuße der großen Treppe in der Vorhalle und führte ihn in den ersten Stock, wo er eine Flügelthüre vor ihm aufwarf. Frohn betrat einen großen Salon, an dessen Ende zwei Damen und der junge Mann in französischer Tracht, welchen Frohn bereits im Gefolge des Hausherrn gesehen hatte, um einen runden Tisch saßen; von den Damen lag die eine ältere, offenbar leidend, auf einer Causeuse, die andere, ein junges Mädchen, deren tadelloser üppiger Gestalt die ungarische Tracht wunderbar gut stand, saß ihr gegenüber, mit einem kleinen gelben Windspiel beschäftigt, das sie neckte; das Thier sprang bellend an ihr auf, um die rothseidene Schleife am Ende ihrer weitherabfallenden Haarflechte zu erfassen, die sie ihm hinhielt; der junge Herr, der in einen Fauteuil neben ihr ruhte, warf eben ein Buch fort, mit einem verdrießlichen Gesicht, als ob er müde sei, mit dem Hunde sich in die Aufmerksamkeit zu theilen, die seiner Lectüre die junge Dame zu schenken sich herabgelassen haben mochte.

Frohn's raschem Blick machte wenigstens die Gruppe diesen Eindruck, er sah das übermüthige Lächeln, das auf den schönen Zügen des jungen Mädchens lag, welches jetzt mit einer stolzen Kopfbewegung die beiden langen Zöpfe ihres prächtigen schwarzen Haares zurückwarf und auf Frohn einen kalten fragenden Blick aus den dunklen großen Augensternen warf.

Der Graf von Luszina hatte auf einem Tabouret in einer Fensterbrüstung geruht, er kam den Officier entgegen und obwohl seine Züge mit der fein gebogenen Nase und der hochgetragenen Stirn, den blitzenden Augen nichts von dem Ausdruck hochmüthigen Eigenwillens verloren hatten, der Frohn beim ersten Begegnen aufgefallen war, schien er doch in einer friedlichen und zum Versöhnen entschlossenen Stimmung als er dem Eintretenden entgegenschritt. Er mochte bei reiflicher Erwägung zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß es am Ende das Politischeste sei, mit dem entschlossenen kaiserlichen Officier sich auf den Friedensfuß zu setzen. Ohne das Vorgefallene mit einer Silbe zu berühren, stellte er die Gesellschaft vor, indem er die ältliche Dame, die in ihrer ruhenden Stellung blieb und Frohn nur mit einem freundlichen Verneigen des Kopfes und einem milden Lächeln empfing, seine Gemalin nannte, die junge Dame Comtesse Laura von Uj-Szöny und den jungen Cavalier als Baron Gallenberg bezeichnete – – – auf ein verwandtschaftliches Verhältniß zu Beiden deutete er nicht hin, obwohl ihn Frohn bald nachher im Gespräch den Baron Vetter und die Comtesse Laura Cousin nennen hörte.

Frohn nahm den Sessel ein, auf den die Gräfin ihr gegenüber deutete und sagte:

»Ich muß Ihnen mein tiefstes Bedauern ausdrücken, gnädigste Gräfin, wenn ich so unglücklich gewesen bin, Sie heute Mittag zu erschrecken – – – es ist das eine trübe Seite an unserem Kriegerleben, daß wir nach und nach vergessen an die Rücksichten zu denken, die den gebildeten Menschen der guten Gesellschaft vom rohen unterscheiden, und es vergaßen, ob wir auch Andere verletzen, wenn wir nach unserem Sinne handeln und blind unsern Kopf aufsetzen. -«

»Sie haben sich freilich etwas geräuschvoll eingeführt, aber Gott Lob,« – sagte die Gräfin hier mit ihrer freundlichen Milde und einer weichen, zum Herzen tönenden Stimme – »der Schrecken war bald überwunden.

»Unterbrich unsern Gast in seiner Rede nicht, liebe Fanni,« fiel hier der Graf Luszina, seinen Schnurrbart drehend, mit etwas scharfer Betonung ein – »er ist ja eben in bestem Zuge mit einer Entschuldigung, die ganz wie eine kleine Strafpredigt für uns aussieht!«

»Und Sie verdient haben, Vetter Sandor,« bemerkte Comtesse Laura etwas spitzig, »wer sperrt auch sein Schloß vor einem Feldhaupt?nann zu, der noch aus der guten alten Schule Wallenstein's ist und seinen Brandmeister gleich mit sich führt.«

»Ich sehe, ich habe Sie mir zur Feindin gemacht, Comtesse,« versetzte Frohn lächelnd und mit einer verbindlichen Verbeugung, »das Recht, in Brand zu setzen haben die Männer Sie als Ihr ausschließliches Vorrecht zu betrachten gelehrt. –«

»O nein, durchaus nicht,« entgegnete Comtesse Laura – »die ungarischen Herzen glühen auch ohnehin schon. –«

»Wovon, wenn ich fragen darf?«

»Nun, von Patriotismus!« versetzte die junge Dame.

»Das heißt im Magyarischen?«

»Hat es da eine andere Bedeutung?«

»Doch wohl – im Deutschen heißt es Liebe zum Vaterlande; im Magyarischen drückt es mehr Haß aus.«

»Haß?« fragte die junge Dame.

»Nun, Sie verstehen mich, Comtesse,« entgegnete Frohn lächelnd.

»Die Liebe zum Vaterlande,« fiel hier der Graf ein, »hat freilich oft einen verschiedenen Wärmegrad. Der Ungar liebt es wie seine Braut, der Engländer wie seine Frau, und der Deutsche wie seine Großmutter!«

Alle lachten.

»Das könnte man schon gelten lassen,« fiel hier der Baron Gallenberg ein – »die Liebe zur Großmutter ist aber jedenfalls das stätigste, sich immer gleichbleibendste Gefühl. –«

»Richtig,« lächelte Frohn, »während eine Braut von ihrem feurigen Geliebten oft recht unglücklich gemacht wird. Das ist denn auch mitunter dem guten heißgeliebten Ungarlande geschehen, der Bräutigam war nicht immer vernünftig und besonnen!«

»Wer möchte einen Bräutigam, der immer vernünftig und besonnen ist?« fiel Comtesse Laura ein.

»Seien Sie nicht zu verwegen, Comtesse,« sagte Frohn, »eine Dame wie Sie wird schon noch einmal in die Lage kommen, nach solchen Eigenschaften bei dem Ihrigen zu seufzen!«

»Das ist eine Kunst, die ich nicht verstehe; seufzen,« entgegnete mit heiterem und etwas hochmüthigem Aufblitzen ihrer braunen Augen Comtesse Laura.

»Gott sei's geklagt,« flüsterte mit halb wehmüthigem, halb spöttischem Tone Baron Gallenberg.

»Der Vetter Ferdinand macht das für mich gut!« sagte sie mit einem neckischen Seitenblick auf diesen.

»Dafür ist er ein guter Deutscher,« fiel der Magnat ein mit einem Tone, der scherzend sein sollte, in dem aber etwas von Bitterkeit und Haß durchklang, das Frohn nicht entging. Er bewunderte auch die Sanftmuth des jungen Mannes, mit welcher dieser antwortete.

»Was haben Sie dawider, Vetter, wenn wir in unsern Mußestunden ein wenig weichmüthig sind, wir Deutschen; wir denken dann, wie viel Liebes und Gutes wir an Euch gefühllose Pußtenkinder gewandt haben, um Euch zu gewinnen, und wie schlecht Ihr's uns lohnt!«

Baron Gallenberg warf dabei einen bedeutsamen Blick auf die schöne Ungarin, der bei dieser nur ein ironisches Zucken der Mundwinkel zur Folge hatte.

»Ich meine,« nahm Frohn das Wort auf, »über unsere Weichmüthigkeit hat sich doch Ungarn nie zu beklagen gehabt; wir haben ihm immer mit tüchtigen Hieben Luft gemacht, wenn der Türke einmal wieder da war, und eben im Begriff stand, es an den Schwanz seines Pferdes zu binden.«

»Hoho,« brauste der Magnat auf, »die besten Hiebe theilten denn doch dabei die ungarischen Säbel aus – auch bei anderen Gelegenheiten in Deutschland, wo sie regelmäßig das Beste thun mußten, so oft der österreichische Staatswagen fest gefahren war. Was wäre aus Oesterreich in den schlesischen Kriegen geworden, wenn ihm Ungarn nicht zu Hilfe gesprungen wäre! Und doch ist es immer von den Habsburgern verdammt schlecht dafür belohnt worden, das kann ich Sie versichern, mein Herr Oberstwachtmeister. Es ist auch keine Hütte in dem schönen, reichen Ungarlande, wo man die unnatürliche Verbindung eines ritterlichen und edlen Volkes mit einer Nation nicht beklagt –«

»Die so wenig seinem magyarischen Schwunge sich hinzugeben geneigt ist,« fiel Frohn ablenkend ein, um eine verletzende Wendung des Gesprächs zu vermeiden – »lieber sollte man sich der Verbindung zwischen so viel jugendlich ritterlichem Schwung und so viel bedächtigeren Weisheit freuen!«

»Weisheit!« lachte der Magnat herausfordernd auf – »so betrachten wir die Sachen hier in Ungarn nicht!«

»Wohl mehr wir das Götterroß, den Pegasus, neben einem Stier vor den Pflug gespannt. –«

»Da kommen Sie der Wahrheit schon näher,« bemerkte hier bitter lächelnd Baron Gallenberg.

Frohn beobachtete bei diesem Gespräch, leise die Stirne runzelnd, den Magnaten, der es nicht bemerkte, weil er offenbar die Augen der schönen Comtesse Laura suchte, als ob er darin einen Lohn für seine kühne Sprache dem deutschen Kriegsknecht gegenüber suchen wolle. Die Frau vom Hause, die der Unterredung stumm gefolgt war, sah unterdeß mit einem gewissen Ausdruck von Spannung und Sorge zu ihrem hinter ihr stehenden Mann empor, der ihren bittenden Blick jedoch nicht beachtete.

»Diesem ungarischen Pegasus soll der deutsche Stier einen Streich spielen!« gelobte sich Frohn unterdeß, innerlich empört über den nationalen Hochmuth, der ihm so unverhüllt entgegentrat.

»Ich sehe,« sagte er dann zu dem Baron Gallenberg gewendet, »wir Beide bilden hier ein wenig die unterdrückte Nationalität – was meinen Sie, wenn wir ein Schutz- und Trutzbündniß zu gemeinsamer Vertheidigung beschlößen?«

Baron Gallenberg antwortete nur mit einem melancholischen Lächeln. –

Gleich darauf trat ein Diener ein, welcher meldete, daß die Pferde vorgeführt seien. Graf Luszina fragte den Gast, ob er sich dem Spazierritt anschließen wolle, aber in einem Tone, der Frohn hinlänglich andeutete, daß die Einladung eine bloße Höflichkeitsformel war. Er empfahl sich und der Magnat entließ ihn mit einer steifen Verbeugung und der kalten Redensart, während seines Aufenthaltes über sein Haus zu disponiren – weniger zu thun, wäre gegen alle Regel der ungarischen Gastlichkeit gewesen.

Von seinem Zimmer aus sah Frohn nach kurzer Zeit dem Grafen seine schöne, jetzt in ein graues Amazonenkleid gehüllte Nichte die Schloßtreppe hinabführen und mit lebhafter Dienstbeflissenheit auf's Pferd heben. Der deutsche Vetter folgte und gallopirte neben ihnen zum Hofthor hinaus.

Frohn fand seine Gefährten nicht in seinem Zimmer vor, sie waren in's Dorf hinunter gewandelt, um nach dem Treiben der Kameraden dort zu sehen; er selbst beschloß einen Gang ins Freie zu machen und zuerst nach den Pferden und Dienern, wie sie untergebracht seien, auszuschauen.

Als er dazu das Schloß verließ und die Treppe draußen niederstieg, kam ihm auf den Stufen eine feine, jugendliche Mädchengestalt in schlichter deutscher Tracht entgegen, in schwarzem, um den Hals viereckig ausgeschnittenen und mit einer Rüsche besetzten Kleide, ein zierliches weißes Häubchen auf dem vollen dunklen Haar – es war eine Gestalt so zierlich und hübsch, daß Frohn ihr sicherlich seine Aufmerksamkeit geschenkt haben würde, wenn das junge Mädchen auch nicht jetzt das beim Steigen gesenkte Haupt erhoben und einen leisen Schrei der Ueberraschung ausgestoßen hätte.

»Mein Gott, Sie sind's Herr von Frohn!« rief sie stehen bleibend aus.

»Und das ist ja – das Thereserl – die Demoiselle Fellhammer,« sagte Frohn ebenso überrascht, »grüß Sie Gott, Demoiselle – wie kommen Sie denn hierher ins Ungarland?«

»Sie haben recht, so zu fragen,« entgegnete das junge Mädchen, ihre zierlichen Finger in Frohn's dargebotene gebräunte Rechte legend, »Sie haben Recht, so zu fragen, und s'ist gar weitläufig zu erzählen.«

»Nun, desto besser; die Zeit haben wir ja – Sie müssen mir Alles erzählen, Demoiselle Therese … aber so ohne Weiters hier auf der Treppe, das geht nicht… kommen Sie mit mir …«

»Lassen's Ihnen sagen,« unterbrach Therese seinen Vorschlag, »wenn Sie ein wenig in den Schloßgarten gehen wollen – ich will nur eben die gnädige Gräfin fragen, ob sie was zu schaffen hat, dann komm ich gleich nach!«

»Gut,« versetzte Frohn – »aber ich hoffe, die Demoiselle hält Wort …«

»Ganz gewiß, gehen Sie nur voraus, hier um's Schloß herum.«

Während Therese nun die letzten Stufen hinaufsprang und in Schloßportal verschwand, folgte Frohn dem angedeuteten Wege und gelangte durch ein offen stehendes Thor in den großen nach französischem Geschmack angelegten Garten, der an der hintern Schloßseite lag und sich an der Vorhöhe des Leithagebirges hinauf zog. Eine breite Lindenallee führte durch die Mitte und schien sich im Gebirgswalde zu verlaufen; unmittelbar am Schlosse befand sich ein rundes Bassin mit einem wasserspeienden Tritonen in der Mitte; umher Statuen von Sandstein, die mythologische Wesen darstellten, Flora mit ihrem Füllhorn, Pan mit seiner Flöte … Im weiteren Umkreis um das Bassin waren Blumenparterres in den wunderlichsten Schnörkelfiguren mit Buchs ausgelegt, die wieder von hohen Taxushecken wie von einem schützenden Mantel im Kreise umstanden waren; an das dunkle Grün dieser Hecken lehnten sich weiße Bänke, von Orangen und Granatbäumen in mächtigen Kübeln zur Seite beschattet. Alles war wohl gehalten und bewies durch seine ganze Anlage, daß der Schloßbesitzer ein Mann von Geschmack war, wenn es auch nur der Geschmack war, den seine ganze Zeit mit ihm theilte.

Frohn nahm auf einer der Bänke neben einem prachtvollen Lorbeerbaume Platz, der die Strahlen der abendlichen Sonne von ihm abhielt und überblickte von dieser Stelle aus die Gartenfronte des Schlosses, das an dieser Seite viel deutlicher als nach dem Hofe hin verrieth, daß es ein recht altes Castell war, welches die neuen Flügel, die man ihm angelegt, doch nicht vermocht hatten, aus den Zeiten König Ludwigs II. oder Ferdinands I. in die von Louis quinze oder Le Nôtre's André Le Nôtre, bedeutender französischer Landschafts- und Gartengestalter; als oberster Gartenarchitekt Ludwigs XIV. konzipierte er den Stil des französischen Barockgartens und übte damit maßgeblichen Einfluss auf die Gartenkunst in Europa aus. – Anm.d.Hrsg. hinabzutragen. Es zeigte sich hier als massiven Bau mit unregelmäßigen Reihen kleiner Fenster; unten in der Mitte führte eine breite gewölbte Thüre in den Garten und zwar über eine Brücke, denn hier an der Rückseite lief ein schmaler, trockener, aber tiefer Graben dicht an dem Gebäude entlang, der auch noch die paar altersgrauen, massiven Eckthürme umfaßte, die rechts und links die einspringenden Winkel zwischen dem alten Bau und den nach der Hofseite vorspringenden Flügeln füllten. Das Ganze bildete immerhin ein recht hübsches Bild, eine malerische Staffage, nur etwas zu wild und trotzig für die zahme und geschorene Natur der nächsten Umgebung.

Während Frohn es mit Aufmerksamkeit überblickte und dabei an die Scenen dachte, welche in den verschollenen Tagen wilder Türken-Einbrüche oder den weniger verschollenen tollkühnen Wallungen des hitzigen Magyarenbluts und verzogener »Malcontenten«-Insurrectionen um solch ein ungarisch' Schloß gespielt haben mochten, kam die Demoiselle Therese raschen Schritts um den rechten Eckthurm daher geschritten. Frohn ging ihr entgegen um sie an seinen Platz zu führen.

»Da, bin i halt, sagte das Thereserl ein wenig außer Athem – »i hab der Gnädigen noch ihren Thee besorgen müssen … nun braucht sie mich aber nimmer und wir können zusammen recht Ein's plauschen, Herr von Frohn!«

»Das wollen wir, Demoiselle Therese, und zuerst sollen Sie mir erzählen, wie es zugeht, daß Sie aus der Mariahilf-Vorstadt – wo Sie doch ganz hübsch eingerichtet waren« – schaltete Frohn mit einem neckischen Seitenblick ein – »hier nach Ungarn in dies Luszina verwunschen sind!«

»Ja, schaun's, Herr von Frohn,« versetzte Therese hoch erröthend, »ich hab' halt viel Leid's und Bitteres seitdem erfahren daheim in dem Mariahilf und da hat's mich nicht länger gelitten in Wien und ich hab' hinaus wollen, fort, recht weit fort, und da hat der Herr Vater mir endlich eine Stelle ausgemacht bei 'ner ungarischen Herrschaft und so bin ich zu der Gräfin Luszina gekommen, die hat Eins nöthig gehabt, das immer um sie ist und ihr zur Hand, zur Gesellschaft und auch zur Pflege, denn sie ist gar schwächlich, die brave Frau …«

»Und Sie sind zufrieden hier in dieser Stellung bei der Gräfin?« fragte Frohn, der in die von Therese in Wien erlebten Schicksale nicht weiter eindringen wollte – er konnte sich ohnehin ein ungefähres Bild von dem Verlauf des kleinen Drama's machen, in welchem er Therese einst als erste Liebhaberin kennen gelernt … Die Katastrophe war wohl ohne Zweifel weniger neu als schmerzlich und bitter für das arme verlassene Thereserl gewesen, das denn doch wieder viel zu jugendmuthig und lebensfrisch war, um zu den gewöhnlichen Endrequisiten einer Tragödie, zu Gift oder Dolch zu greifen: und so war's eben ein Schauspiel geblieben, und das Thereserl war nun hier, nur ein wenig blasser aussehend wie früher, ein wenig feiner und schmaler, vielleicht aber nur noch hübscher und anziehender.

Sie antwortete sehr lebhaft auf Frohn's Frage:

»Mit der Gräfin bin ich schon zufrieden,« sagte sie, »wer sollte da nicht zufrieden sein, solch eine herzige gute Frau ist's, recht wie ein Engel … aber der Herr, der Luszina Sandor, der ist wild und wüst, Herr von Frohn, vor dem muß sich Ein's in Acht nehmen; im Anfang, schaun's, Herr von Frohn, da hat er nur auch so gemeint, die Therese, die müßt' im Sturm zu nehmen sein, der garstige Mensch, als ob's gar keine in der Welt gäbe, für die der Luszina Sandor nicht gut genug wäre … aber ich hab ihn schön ablaufen lassen …«

»Nun,« lächelte Frohn, »wenn er sich so abweisen läßt, so muß er doch nicht ganz so wild und wüst sein, wie Sie sagen …«

»Ja, schaun's, Herr von Frohn, das hat schon seine besondere Bewandtniß, denn zugleich ist die Comtesse Laura in's Haus gekommen, das ist die Base von dem gnädigen Herrn, der Vater, der Graf Nagy Turont zu Uj-Szöny, ist vor einem oder anderthalb Jahren verstorben und da ist sie hierher gekommen, gar reich soll sie sein und Freier sind auch genug da, in Oberungarn liegen die Güter, da bei Eperies herum, und der junge Baron Gallenberg, der gute Mensch ist gar bis über die Ohren verliebt in die Comtesse Laura – aber der Graf Sandor, ich fürcht' halt, er gefällt ihr besser und so viel ist gewiß, sie gefällt ihm besser als alle anderen; seitdem die auf dem Schloß ist, da hat's gute Weil mit seinen Sekaturen, und die Gräfin muß es halt den ganzen Tag lang anseh'n, wie er der Comtesse den Hof macht und von ihrem Stuhl nicht wegkommt, so ein recht schlechter, garstiger Mensch ist's, Herr von Frohn, werden's schon selbst merken, wenn Sie etliche Tage hier bleiben … wie lange werden Sie hier bleiben, Herr von Frohn?«

Wir haben acht Tage Quartier in Luszina bekommen,« versetzte Frohn.

»Acht Tage, da werden Sie's schon kennen lernen, Herr von Frohn, auch wie hart und bös er ist gegen die Leute, die Seinigen, geprügelt wird vom Morgen bis zum Abend drüben im Dorfe zwischen den Czikos und den Robotern Schücking gebraucht das Wort hier in der Bedeutung des tschechischen »robotnik«: Zwangsarbeiter. Erst 1923 kam es durch die englische Übersetzung des Schauspiels »R.U.R.« (›Rossum''s Universal Robots‹, 1920) von Karel Capek zu der heutigen Bedeutung. und den Kanaszen und wie all' das wüste Volk heißt!«

»In der That?« fiel Frohn ein … »nun ja, das ist ja ungarische Freiheit, jedem, dessen Nasenspitze uns ärgert, 25 aufzählen zu lassen,« setzte er hinzu, und dabei stieg nur desto dringender das Verlangen in ihm auf, diesem Luszina Sandor eine kleine Lehre beizubringen.

»Nun weiß ich Bescheid über die ganze Herrschaft im Schloß,« fuhr er dann fort, »die Demoiselle Therese hat mich in Alles eingeweiht … aber wer waren denn die vier, fünf Herren, die ich bei dem Brandlärm heute hinter dem Grafen her aus dem Schloß kommen sah, und die später verschwunden waren?«

»Die – ach Edelleute sind's, Nachbarn und Bekannte; meist bleiben sie bis tief in die Nacht droben und zechen und spielen, fluchen auf die Kaiserin und alles was gut österreichisch ist …«

»So, auch das thun sie …?«

»Ja, und lassen's Ihnen sagen, Herr von Frohn« … die Therese dämpfte bei diesen Worten ihre Stimme und blickte ängstlich um sich … »ich glaub' halt immer, daß Alles nicht richtig ist, … aber um Gottes willen, Herr von Frohn, daß Sie mich nicht verrathen – unglücklich wär' die Theres für ihr Leben lang … ermorden thäten's mich …«

»Nun, was ist's denn, Demoiselle Therese?«

»Schaun's, da in dem Thurm drüben, wo die zwei breiten neuen Fenster sind … eins können's nur sehen von hier, das andre steckt hinter der Mauerecke, da sind's alleweil zusammen in der Nacht, zu Haufen kommen's dann durch die Dunkelheit geritten, und in dem Gang vor dem Thurm, da muß der Oedy Laszlo …«

»Wer ist der Oedy Laszlo?«

»Der Haushofmeister, der muß Wach' halten, daß keiner in die Näh' kommt, und gar ein heimlich Treiben ist's dann und am Morgen in der Früh senden's dann Boten zu Pferd aus … es ist gar verdächtig, Herr von Frohn, lassen's Ihnen sagen!«

»Und was könnten sie treiben, Demoiselle Therese, in dem Thurmzimmer zu ebener Erde dort?«

»Der liebe Gott weiß es,« versetzte Therese scheu und ängstlich … »viel Gutes ist's nit!«

»Und haben Sie gar keine Ahnung?«

Therese schüttelte den Kopf.

»Wie soll unser Eins sich da auskennen,« sagte sie … »freilich, wenn's betrunken sind, da schwätzen's Manches heraus, was Eins, wenn's gescheut wäre, sich schon auslegen könnt …«

»Zum Beispiel?«

»Nun, der gute König Joseph« … das Thereserl wandte leise den Kopf ab, als sie mit ein wenig Widerstreben den Namen nannte »schaun's, Herr von Frohn, der ist ihnen ein rechter Dorn im Auge … und wenn ich für alle die Pereat, die dem da im Schloß droben schon getrunken sind, 'nen Kremnitzer hätt', dann braucht' ich kein armer Dienstbot mehr zu sein … und wenn ich sie dann dabei toben und mit den Säbeln und Sporen rasseln höre, als ob ihnen die Welt gehörte, dann mein' i halt immer, in ihrem Pereat, da läge so was, wie: du bist nimmer lang, was du bist und wir werden nun bald schon mit dir fertig werden!«

»Die Demoiselle Therese ist halt doch gescheit«, antwortete Frohn lächelnd und sinnend zu Boden blickend, wo er begann mit der Reitgerte, die er in der Hand hielt, Figuren in den trockenen Kies zu zeichnen. »Aber es wär' doch gut«, fuhr er dann fort, »es wär' gut, wenn wir ein klein wenig mehr davon erführen! Wie wär' das zu machen, Therese?«

Sie zuckte die Achseln.

»Therese«, fuhr er dringender fort, »Sie sind mir einigen Dank schuldig!«

»O, wem mehr auf der Welt, als ihnen, Herr von Frohn … auch wegen dessen, was Sie an dem Franz gethan haben, der sich jetzt so wacker hält … zum Offizier haben's ihn machen lassen, Herr von Frohn … glauben's nicht, daß ich's Ihnen je vergeß, was Sie an uns gethan haben … ich thu' Alles Ihnen zu lieb …«

Sie streckte ihm gerührt die Hand hin.

»Es gilt halt, Therese … es gilt: Sie müssen zuerst ein wenig spioniren für mich: der König muß wissen, was hier vorgeht, und wenn ich ihm sage, von der Therese hab' ich's, die Therese hat über Ew. Majestät Heil und Wohl gewacht in der Ferne und Verbannung vielleicht thut's ihm dann halt doch leid …«

Therese machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und wandte das Gesicht ab, um Frohn den feuchten Glanz zu verbergen, der ihr Auge füllte –

»Sagen's nur, was ich thun soll, Herr von Frohn, ich thu's schon Ihnen zu lieb, Alles was ein armes dummes Mädel, wie ich, thun kann!«

»Du mußt Dich ein wenig auf die Lauer legen«, versetzte Frohn vertraulich flüsternd, mit dem Oedy Laszlo anbandeln … vielleicht weiß der mehr wie Du; mit Deiner guten Gräfin plauschen, oder wenn das Alles nicht weiter hilft, – sind neben oder unter dem Thurmzimmer, das Du mir gezeigt hast, keine Räume, wohin Du mir möglich machen kannst zu gelangen? Ich möcht' gar gern einmal hinein!«

»Das möcht' schon eher geh'n«, versetzte Therese, »wart' der Herr von Frohn nur einmal vierundzwanzig Stunden … ich will seh'n, was ich thun kann … aber s' Beste ist, daß wir uns hier nicht kennen, Herr von Frohn …«

»Gewiß, Therese, das ist das Beste –«

»Und darum will ich jetzt zurück, daß Niemand sieht, wie wir zusammen hier planschen! Behüt' Sie Gott, Herr von Frohn …«

»Behüt' Dich Gott, Therese … wann sprechen wir uns wieder?«

»Morgen um diese Zeit … wann Sie dann allein drüben in Ihrem Zimmer sind, ich schlupf' schon hinein, ohne daß mich Jemand sieht!«

»Und ich werde schon allein sein!« versetzte er, ihr die Hand zum Abschied reichend, und dann der zierlichen Gestalt nachblickend, die jetzt leichten Fußes dahin schritt, und bald um die Ecke des nächsten Gebäudetheils verschwand.

Frohn erhob sich ebenfalls. Was Therese ihm angedeutet hatte, war ganz geeignet, ihn in Spannung zu versetzen. Er durfte nicht zweifeln, daß hier in diesem Schloß Luszina eine kleine Verrätherei gegen seinen Kriegsherrn gesponnen würde, daß ein Haufe unzufriedener und tollkühner Edelleute an einem jener rebellischen Pläne schmiedete, welche so oft in dem malcontenten Ungarlande zum Ausbruch kamen. In die ererbte und schon zur Nationaltradition gewordene Abneigung gegen das Regentenhaus hatte gerade jetzt König Joseph's erste Herrscherthätigkeit doppelten Haß bei einer Kaste gesäet, die gewohnt war, sich als die eigentlich allein zum Leben berechtigte im Lande zu betrachten, und deren ausschweifende Privilegien sich von dem ernsten Willen des künftigen Monarchen bedroht sahen, auch den andern Schichten der Bevölkerung eine menschenwürdige Existenz zu schaffen. Das erste Rütteln an den Fesseln, worin die misera contribuens plebs gebunden lag, rief in diesem spornklirrenden Junkerthum die hitzigsten Wallungen des Bluts hervor, welches seit Jahrhunderten schon von Zeit zu Zeit immer eines gelegentlichen großen Aderlasses durch deutsche Schwerter bedurft hatte, um von einem neuen hitzigen Fieberparoxismus curirt zu werden.

Frohn ging, als er sich der vordern Schloßseite wieder zuwandte, an dem Thurm her, welchen ihm Therese als Schauplatz der nächtlichen Zusammenkünfte bezeichnet hatte. Die Dämmerung, welche eingetreten war, ließ ihn nicht viel anders erkennen, als daß die breiten Fenster mit Läden von innen verschlossen waren, und daß der trockene Graben sich auch um die Fundamente des Thurmes zog, um dann aufzuhören, an dem anschließenden vordern Flügel. Der Graben war ausgemauert und völlig trocken; er wäre als unnütz gewiß längst zugeworfen, wenn nicht aus Souterrainräumen, die sonst kein Licht gehabt haben würden, vergitterte Fenster auf denselben gegangen wären. Zwei solcher vergitterter Luftlöcher befanden sich auch gerade unter den bezeichneten breiten Fenstern des ersten Stockes des Thurmes, Beweis genug, daß sich prakticable Räume da unten befanden.


3.

Am andern Morgen hatte Frohn mit seinen beiden Kameraden gefrühstückt, als der Haushofmeister den Herrn die Einladung des Grafen überbrachte, heute mit der Herrschaft oben zu Mittag zu speisen.

Frohn nahm sie an, obwohl er zu seinen Freunden bemerkte:

»Es wäre höflicher von unserm Luszina Sandor gewesen, wenn er selbst gekommen wäre, meinen Besuch zu erwidern … vielleicht steht uns diese Ehre noch bevor, wenn er seinen Aerger über unser kleines Petarden-Feuerwerk und sein gesprengtes Gitterthor verwunden hat … und es liegt mir daran, ihn bei guter Laune zu erhalten.«

Rittmeister Treißam war damit völlig einverstanden; es war gegen seine Grundsätze, um einer kleinen Etiquettenfrage willen sich von einem Magnaten-Diner auszuschließen; er beschloß die Zeit bis Mittag durch ein kleines Spiel todtzuschlagen, wozu er den Adjutanten einlud – Frohn nahm Mütze und die Reitpeitsche und machte einen Spaziergang in den Schloßgarten hinaus.

Draußen in der Lindenallee fand er den Baron Gallenberg, der langsam wandelnd, die Hände auf dem Rücken und das Haupt gesenkt, ihm entgegenkam.

Frohn begrüßte ihn und sich ihm anschließend sagte er:

»Der Graf Luszina hat eine neidenswerthe Besitzung hier; die Lage zwischen See und Gebirge ist wahrhaft prächtig und dieser Park so vortrefflich gehalten!

»Der Graf Luszina!« sagte mit einem tiefen Seufzer der junge Mann – »Was hat der Graf Luszina nicht!«

Frohn lächelte, als er antwortete:

»Doch wohl nichts, was am Ende ein Anderer nicht auch erreichen könnte, namentlich ein junger Mann aus so gutem Hause, wie Baron Gallenberg nicht …R

Das sagt ein Mann in Ihren Jahren, Herr Oberstwachtmeister, der doch gewiß schon erfahren hat, welche Launen die Glücksgöttin besitzt, die dem Einen Alles, dem Andern nichts verleiht, und gegen deren souveräne Willkür es keine Mittel gibt?«

»Ich glaube nicht an diese souveräne Willkür; ich glaube nicht an die Glücksgöttin!«

»Sie … ein Kriegsmann?«

»Eben als Kriegsmann bete ich zu einer andern Göttin.«

»Und die ist?

»Wer anders als die Courage!«

»Die nichts vermag, wenn das Glück nicht ihre Waffen feit?«

Frohn schüttelte lächelnd den Kopf.

»Glauben Sie mir, Herr von Gallenberg«, sagte er, »das sind Vorstellungen eines jungen Mannes, der mit seinem Muthe noch keine Erfahrungen gemacht, der ihn noch nicht auf die Probe gestellt hat, wie viel er damit ausrichtet, ohne sich darum zu kümmern, auf welchem Wind die Wetterfahne Glück steht. Sagen Sie mir z. B» um welches Gut Sie den Grafen Luszina beneiden … ich wette, ich bin im Stande Ihnen den Weg zu zeigen, auf welchen Ihr Muth Ihnen dasselbe verschafft!«

Baron Gallenberg antwortete nicht gleich.

»Darf ich rathen?« fuhr Frohn fort … »in Ihren Jahren beneidet man weder den Besitz, noch Ehren – der große Nerv des Gemüthslebens geht vom Herzen aus und zu ihm zurück … um das Herz handelt sich Alles um ein Herz, das ihm gewonnen scheint, beneiden Sie unsern Luszina Sandor.«

»Herr Oberstwachtmeister –«

»Finden Sie, daß ich mich unberufen in ihre Angelegenheiten mische, so schweige ich«, versetzte Frohn. »Wollen Sie den Rath eines erfahrenen Mannes, der Ihnen schon als Landsmann eine aufrichtige Theilnahme schenkt, so fahre ich fort …«

Gallenberg antwortete wieder nicht. – Frohn hielt sich also berechtigt, weiter zu reden, indem er neben dem jungen Manne langsam die Allee hinauf wandelte.

»Lassen Sie mich ganz offen sein. Luszina ringt mit Ihnen um die Neigung einer jungen Dame, deren Schönheit es allerdings sehr natürlich macht, daß alle Männer, welche in ihre Nähe kommen, nach ihrem Besitz trachten. Nun wohl, in diesem Wettkampf haben Sie einen unermeßlichen Vortheil: Sie sind frei, der Graf ist ein gebundener, verheirateter Mann; der Graf aber hat einen unermeßlichen Vortheil vor Ihnen voraus: er hat Muth!«

»Und das Glück!« seufzte Gallenberg.

»Nur weil Sie es ihm lassen!«

»Wie erring' ich es!« rief der junge Mann fast wie hoffnungslos aus.

»Auf dem alten, oft betretenen Wege, der bei Frauen, wie Comtesse Laura, sicher zum Ziele führt.

»Und das ist?«

»Freilich ein anderer als der, auf welchem ich Sie wandeln sah, lieber Baron von Gallenberg. Nehmen Sie nur eine kleine Metamorphose mit sich vor und Sie werden sehr bald den wunderbarsten Effekt bemerken.«

»Ich bin begierig, zu vernehmen, welche Verwandlung Sie mir rathen.«

»Die in einen Türken.«

»In einen Türken?«

»Nun ja, Sie lieben viel zu sehr als Deutscher. Der Graf liebt als feuriger Ungar. Schlagen Sie ihn, indem Sie als Türke lieben, mit einem Schritt weiter in's Orientalische hinein! Der Türke verachtet die Frauen; er stellt ihnen den vollen Hochmuth männlichen Bewußtseins entgegen …«

»Damit würde ich bei Comtesse Laura schöne Erfolge haben!« fiel ungläubig lächelnd der junge Baron ein.

»In der That würden Sie es; gerade bei dieser stolzen, von Allen unworbenen Comtesse; ein Türke würde ihr etwas sehr Neues und Pikantes sein. Machen Sie sich vollständig von ihrem Siegeswagen los … Sie werden sehen, wie rasch man trachten wird, Sie wieder einzuspannen!«

»Wie wenig kennen Sie sie!« rief Gallenberg aus. »Sie ist eine durchaus andere Natur als die Frauen, welche Ihnen auf Ihrem Lebenswege begegnet sein mögen, Herr Oberstwachtmeister.

»Natürlich«, lächelte Frohn, »welcher junge Mann wäre davon nicht bei seiner Geliebten auf's innerste überzeugt!«

»Sie ist es in der That, sie sehnt sich durchaus nicht nach den Huldigungen der Männer, im Gegentheil, sie verachtet sie, und in dem Augenblick, wo ich aufhören würde, ihr meine Neigung erkennen zu geben, würde sie aufhören, an mich zu denken.«

»Glauben Sie in der That? Nun, ich sehe, Ihre Herzenskrankheit hat den durchaus normalen Charakter, wozu nun einmal entschiedener Widerwille gegen die angerathenen Mittel gehört. Also schmachten, dienen, den Hof machen wollen Sie nun einmal? Nun, dann bleibt nichts übrig, als Ihren Nebenbuhler aus dem Felde zu schlagen, indem Sie ihn an Schwung, Kühnheit und Raffinement Ihrer Huldigungen übertreffen, indem Sie ihn weit hinter sich zurücklassen in den Beweisen Ihrer Leidenschaft.«

»Und wie wäre das möglich, gerade bei Luszina möglich, der im Stande wäre, sein Schloß anzuzünden, wenn Comtesse Laura den Wunsch ausspräche, eine tüchtige Feuersbrunst zu sehen.«

»Nun,« versetzte Frohn, »das müßte Ihnen doch noch leichter werden, da das Schloß nicht Ihnen gehört, sondern ihm. Sie müssen sich eben sagen, daß Sie Dinge ausführen, Wunder möglich machen müssen, welche diese Comtesse Laura stolz auf ihren Anbeter machen – dann haben Sie Alles gewonnen; es ist das der eine Schlüssel zu ihrem Herzen; – der andere bequemere ist, sie zu tyrannisiren und zu quälen, aber der sagt Ihnen nicht zu.«

»Der eine Schlüssel ist für mich noch unerreichbarer, als der andere unpraktisch.«

»Weshalb so muthlos,« fuhr Frohn fort. »Versuchen Sie's einmal! Wissen Sie nicht irgend einen besonders ausschweifenden Wunsch der Comtesse Laura? Erfüllen Sie ihn mit dem Aufgebot aller Ihrer Kräfte und Mittel – kennen Sie einen solchen Wunsch nicht, so erregen Sie selbst einen solchen in ihr – es ist nichts leichter als das – die Frauen sind – Kinder erregen Sie in ihr das Verlangen, die Favoritsultanin des Großherrn kennen zu lernen, und holen Sie ihr dieselbe aus dem Harem des Padischah heraus. – Ersinnen Sie etwas, wobei Sie sich dieses Luszina selbst als Ihres Mittels bedienen, ohne daß er ahnt, wozu er gebraucht wird, so daß er in einem lächerlichen Lichte als der Gefoppte erscheint – dann ist er vollständig aus dem Felde geschlagen.«

»Das sind Chimären – Unmöglichkeiten.«

»Unmöglich ist nichts, lieber Baron – man muß nur Verstand haben und wollen – das ist das Geheimniß zum Wunderwirken. Lassen Sie uns sehen, wissen Sie denn um keinen absonderlichen Wunsch der jungen Dame?«

»Um einen allerdings,« antwortete melancholisch lächelnd der junge Mann – »um einen, an dem Verstand und Wollen sogleich zu Schanden werden!«

»Und welcher wäre das?«

»Sie hat,« versetzte Baron Gallenberg, »im letzten Winter ein schönes Damenpferd in den Stallungen des römischen Königs gesehen – einen sogenannten Mohrenkopf; sie hat mehrmals den lebhaften Wunsch ausgesprochen, ein solches Thier zu besitzen. Aber Sie wissen selbst, wie selten Pferde dieser Art sind, und wenn es möglich wäre, eines zu finden, so fragt es sich, ob es zu einem Damenpferde zu schulen ist. Doch glaub' ich, daß der Graf Luszina auf seinen Gütern im Banate etwas der Art gefunden hat, und es dort für Comtesse Laura zureiten läßt – ich habe es aus einigen mysteriösen Andeutungen geschlossen.«

»So,« sagte Frohn gedehnt, »einen Mohrenkopf wünscht die junge Dame – nun,« fuhr er nach einer Pause stummen Nachsinnens fort, »wollen Sie mir versprechen, daß Sie mir dankbar sind, so werde ich Ihnen den Mohrenkopf verschaffen.«

»Wie – Sie könnten –?«

»Sie sollen Ihrer Dame binnen drei Tagen das gewünschte Thier vorführen lassen.«

»Unmöglich!«

»Wenn,« fuhr Frohn fort, »Sie mir versprechen, mein Freund zu sein, mir nöthigenfalls beizustehen, als Deutscher zum Deutschen, als treuer Vasall des Königs zum Soldaten des Königs zu halten.«

»Dann?«

»Verspreche ich Ihnen das Pferd!«

»Aber, mein Gott, wie kann ich das annehmen, wenn Sie den Preis nicht bestimmen –«

»Den Preis habe ich Ihnen genannt – der Preis ist Ihr Versprechen, daß ich nöthigenfalls an Ihnen einen Beistand habe und das Halftergeld ist Ihr Handschlag darauf!«

Baron Gallenberg blickte noch halb staunend, halb zweifelnd Frohn an.

»Ich werde Ihnen natürlich nichts Unehrenhaftes zumuthen, davon sind Sie überzeugt. Wollen Sie einschlagen?«

»Aber ein solches Geschenk anzunehmen –.«

»Dazu haben Sie nicht den Muth? Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß man wollen müsse – und nun haben Sie nicht die Energie, ein kleines Bedenken des anerzogenen Cavalierstolzes zu überwinden.«

»O, zürnen Sie nicht, ich will Sie gewiß nicht beleidigen, indem ich zögere.«

»So zögern Sie nicht – schlagen Sie ein – vielleicht ist der Preis, denn Sie mir zu zahlen haben werden, ein höherer, als Sie meinen.«

»Nun wohl, in der Hoffnung nehme ich Ihre Hand, Herr von Frohn!«

Frohn schüttelte die ihm dargebotene Rechte und verbeugte sich dann vor seinem neugewonnenen Verbündeten.

»So geh ich, dafür zu sorgen, daß der besagte Mohrenkopf bis übermorgen Abend seine Aufwartung mache. Denken Sie unterdeß irgend einer neuen unerhörten Ritterthat nach. – Auf Wiedersehen, Baron Gallenberg!«

Er schritt rasch die Allee hinab dem Schlosse zu, den jungen Baron in nicht geringer Aufregung und Spannung zurücklassend.

Frohn suchte sich in den Stallungen seinen getreuen Reitknecht, den Miklos, auf, und sandte ihn mit einem Befehle in's Dorf hinab. Dann begab er sich in seine Zimmer und schrieb hier den folgenden Brief an seinen königlichen Gönner:

»Ew. königlichen Majestät

getreuester Reitersmann bedarf im allerhöchsten Dienst des in den königlichen Ställen befindlichen Damenreitpferdes von weißer Farbe mit schwarzem Kopfe – sein gnädigster Herr und Gebieter weiß, daß er nicht für sich, sondern nur im Dienste seines Kriegsherrn darum zu bitten die Dreistigkeit besitzt. Sollte er damit nicht seines Königs Gnade verscherzt haben, so würde er sofort nach dem Einrücken seines Regiments in das alte Standquartier um eine huldvolle Audienz nachsuchen, darin Rechenschaft zu geben, welche Bewandtniß es mit seiner verwegenen Bitte habe!

Der römisch- königlichen Majestät
allergetreuester           
Knecht                 
v. Frohn, Oberstwachtmeister.    

Eine halbe Stunde später hielt der zuverläßigste Wachtmeister von Frohn's Truppe auf dem Schloßhofe. Frohn übergab ihm die Depesche, fügte die nöthigen mündlichen Instruktionen dazu, und der Wachtmeister ritt im schärfsten Trabe in's Dorf zurück, um von dort aus die Straße nach Wien einzuschlagen.

Frohn aber begann sich für die Tafel zu kleiden.

Als die Mittagstunde gekommen, der Pandur auf dem Perron geblasen, das Gitterthor, wie üblich, geschlossen worden, begaben die drei Offiziere sich hinauf; sie speisten mit der gräflichen Familie allein; unser Freund hatte alle Gelegenheit, seine Beobachtungen fortzusetzen, deren eine auch die war, daß Baron Gallenberg heute sich offenbar in einer ganz anderen Gemüthsverfassung als gestern befand, und einen gewissen Uebermuth an den Tag legte, der viel weniger die heitere Laune des Grafen, als die Aufmerksamkeit der Comtesse Laura für ihren jungen Bewerber steigerte. Wie es die Eigenthümlichkeit verliebter Gemüther ist, sich nur in den Extremen zu bewegen, »himmelhoch zu jauchzen«, wenn man sich nicht eben gedrungen fühlt, »zu Tode betrübt« zu sein, zeigte sich Baron Gallenberg heute in einer Stimmung, worin er nicht allein gesprächig, witzig und durch die ungewöhnliche Bildung, die er in seinem Geplauder verrieth, unterhaltend war, sondern auch eine Zuversichtlichkeit und Kühnheit der Dame seines Herzens gegenüber an den Tag legte, die als eine ganz neue Seite in seinen Charakter Comtesse Laura so pikant schien, daß sie sich in eine lange Neckerei mit ihm verstrickte. Er vermaß sich der ausschweifendsten Thaten; wäre Frohn so belesen gewesen, das Nibelungenlied zu kennen, die Erinnerung an König Günther, der den Siegfried hinter sich weiß, hätte ihm ein ironisches Lächeln auf die Lippen gelockt!

»Baron Ferdinand versteigt sich heute in die höchsten Höhen der Galanterie,« sagte Graf Luszina spöttisch, »er wäre im Stande, Ihnen einen ganzen Korb voll Edelweiß zum Sonntagsstrauß zu versprechen, Laura, wenn wir den Alpen etwas näher wohnten.«

»Das würde er schön bleiben lassen,« entgegnete lächelnd Comtesse Laura, »er würde den Schwindel fürchten und die Bären.«

»Wer sagt Ihnen, daß ich die Bären fürchte – bei denen, welche Vetter Sandor mir aufzubinden trachtet, habe ich doch immer ziemlich große Kaltblütigkeit bewiesen,« versetzte Gallenberg.

»Die sind auch nicht gefährlich – aber rechte Bären, solche wie der Vetter Sandor sie drüben im Zwinger hat. – Denken sie sich, solch eine alte Bärin mit drei Jungen begegnete Ihnen auf Ihrer galanten Streiferei durch die einsamen Regionen, wo das Edelweiß sich vor den Verfolgungen verliebter Schäfer zurückgezogen – hat was würden Sie beginnen, Baron Ferdinand?«

»Ich würde vorziehen, die Jagd auf das Edelweiß aufzugeben –«

»Das glaube ich,« fiel lachend Graf Sandor ein.

»Um,« fuhr Gallenberg ruhig fort, »der Bärin eines der Zungen abzunehmen, und dies Ihnen, Bäschen, als Huldigung zu Füßen zu legen!«

»Fanfaron!« rief Graf Luszina aus, während Frohn dem jungen Manne freundlich lächelnd zunickte.

»Nun, das gesteh' ich, Ihnen scheint die Courage über Nacht gekommen, Vetter,« sagte Comtesse Laura dazwischen. »Das wäre in der That eine ritterliche Huldigung, die ich mir gefallen ließe – wenn das ein Cavalier für mich wagte, an dessen Aufrichtigkeit würde ich glauben!«

»In der That?« fragte Graf Luszina seine schöne Verwandte mit einem bedeutungsvollen Blick.

»Nun,« sagte Frohn, bevor Comtesse Laura diese Frage noch anders, als mit einem Aufschlag ihrer feurigen Augen beantwortet hatte, »das wäre eine Gelegenheit, Ihre Ergebenheit zu beweisen!« und dabei nickte er dem jungen Manne mit einer nicht mißzuverstehenden Sprache seiner Mienen die Aufforderung zu, in diesem Tone fortzufahren. »Gibt es denn Bären hier in der Gegend?«

»In der Nähe und in dieser Jahreszeit nicht, außer denen, welche sich in meinem Park in einem Zwinger befinden,« versetzte Graf Luszina. »Da ist allerdings eine Bärin mit ihren Jungen d'rin, und wenn Vetter Ferdinand so von Begierde brennt, Comtesse Laura ein Cadeau zu machen – ich stelle ihm eines der Jungen dazu zur Disposition!«

Frohn zwinkerte seinem jungen Freunde wieder lebhaft mit den Augen zu, und dieser nahm nun keinen Anstand mehr, mit der zuversichtlichsten Miene von der Welt auszurufen:

»Ich danke bestens, Vetter Sandor, ich nehme die gnädige Erlaubniß an!«

»Bravo!« lachte Comtesse Laura!

»Bravo!« riefen auch der Graf und Frohn, jener mit einem unmaskirten Ausdruck der Verachtung solcher Prahlerei, dieser mit einem Blick, worin so viel heitere Theilnahme lag, daß Gallenberg bei seiner leichtsinnigen und vermessenen Rodomontade unerschütterlich blieb, trotz aller neckenden Redensarten, welche ihn jetzt umschwirrten.

»Ich weiß, worauf Vetter Ferdinand seine Zuversicht baut,« rief Graf Luszina; »er wird einen der deutschen Poeten, für die er bei Bäschen Laura kein Gehör findet, der alten Bärin vorlesen, und sie damit in die Flucht schlagen. Vielleicht krepirt sie gar dabei – Klopstocks Oden – das bringt auch einen Bären um.«

»Am Ende hat deshalb Vetter Sandor einen so großen Respekt davor!« bemerkte Gallenberg.

Die Gräfin, welche zu fürchten schien, daß das Gespräch sich erhitze, hob die Tafel auf, und reichte Frohn den Arm, um sie in das anstoßende Gemach, wo der Kaffee genommen wurde, zu führen; der Graf führte die Comtesse, und flüsterte ihr dabei zu:

»Machen Sie sich keine Rechnung auf den Bären – ich werde dem Wärter befehlen, die Thiere hungern zu lassen, und wir wollen dann sehen, ob Baron Ferdinand sich zu ihnen in den Zwinger wagt!«

»O, das ist abscheulich von Ihnen!«

»Weshalb? – Bestehen Sie darauf, Ihren Bären zu erhalten? Was wollen Sie damit machen, wenn er es wirklich zu Stande brächte?«

»Ich würde ihn zähmen lassen und mit mir nehmen nach Uj-Szöny als einen Beweis, daß es noch ritterliche Männer gibt, die für die Dame ihres Herzens ein wenig Gefahr nicht achten.«

»Ein wenig Gefahr? Und das sagen Sie mir? Laura! Warten Sie, Sie sollen Ihren Bären haben,« sagte der Graf mit zornigem Stirnerunzeln.

»Sie werden nicht im Ernst –?« fiel jetzt die schöne Comtesse ein, »um Gotteswillen, machen Sie mich nicht erschrecken – es ist ja nur ein einfältiger Scherz!«

»Es ist Ihnen Manches nur ein Scherz, Laura,« entgegnete Luszina mit vorwurfsvollem Tone, »was mir bitterer Ernst ist!«

»Ach, sagte sie,« ihm einen leisen Schlag mit dem Fächer auf die Schulter gebend, »Sie ärgern mich, Vetter Sandor; Sie wissen, ich will nichts hören vom Ernst – wenn mich der Ernst amusirte, so würde ich den Vetter Ferdinand mit seinem ›Messias‹ unter dem Arm zu meinem Grazioso annehmen.«

Frohn nahm die nächste Gelegenheit wahr, den Baron Gallenberg in eine Fensternische zu ziehen:

»Vortrefflich, Baron,« flüsterte er, »ich kenne Sie nicht wieder, Sie haben ganze Meilen zurückgelegt in der Gunst Ihrer Dame.«

»Glauben Sie?« versetzte der junge Mann mit strahlendem Gesicht. »Aber,« setzte er etwas kleinlauter hinzu, »meine Rotomontade wird mir schlecht bekommen. Sie haben mich verführt mit Ihrem Nicken und Winken.«

Frohn lachte. »Nur Muth! Bleiben Sie nur bei Ihrem Versprechen. Ich helfe Ihnen.«

»Das hoff' ich zu Gott – sonst –«

»Ich habe zwar keine Lust, die heißen Kastanien für Sie aus dem Feuer zu holen, und in den Bärenzwinger hinabzusteigen – die Rolle werden Sie schon selbst übernehmen müssen, aber den Souffleur werde ich schon machen. Darüber plaudern wir später. Für jetzt thun Sie nur Alles, um zu zeigen, daß es mit Ihrem Entschluß Ihnen Ernst ist, gehen Sie auch noch heute, den Bärenzwinger näher zu inspiziren.«


4.

Als Frohn wieder allein in seinem Quartier unten, im ersten Stock, war – seine beiden Kameraden waren wieder zu den andern Offizieren im Dorfe gewandert, um den Abend mit ihnen zuzubringen – ging er eine Weile nachsinnend auf und ab.

»Da heißt's sich den Kopf zerbrechen!« sagte er. »Wir dürfen den jungen Mann nicht stecken lassen, sonst ist er verloren – trotz Mohrenkopf – und leicht ist die Sache nicht, wenn es ehrlich zugehen soll. Nun, es wird uns ja über Nacht schon ein Einfall kommen, und – aber klopft es da nicht – das Thereserl wird's sein!«

Er machte die Thüre auf – richtig stand das Thereserl davor.

»Die Demoiselle Therese!« sagte er, »das heißt brav Wort gehalten; kommen Sie rasch herein!«

»Wenn mich nur Niemand gesehen hat,« flüsterte Therese ängstlich, »was würden's denken von mir!«

»Jedenfalls, daß die Demoiselle ein herzhaftes Mädel ist, sich zu einem so schnauzbärtigen Kriegsmanne hereinzuwagen,« versetzte lächelnd Frohn, »nun setzen Sie sich hier auf den Divan, meine kleine Spionin, und berichten Sie.«

»Etwas hab ich schon ausgekundschaftet,« sagte Therese, als sie Platz genommen hatte, »es ist wenig, aber etwas!«

»Und das ist?«

»Vom Oedy Laszlo hab' ich's gehört.«

»Ach, vom Oedy Laszlo – ich merke schon, wie die Demoiselle Therese es angestellt hat, den Laszlo zum Sprechen zu bringen.«

»Ach gehn's, Herr von Frohn, ich hab' ihm halt nur vorgeklagt, daß die liebe gnädige Gräfin die Unruhe nicht vertragen könnt', hier im Hause mit den vielen Gästen, die immer einkehren, und wenn er von der gnädigen Gräfin hört, da geht ihm's Herz auf, er ist mit der in's Haus gekommen und mit ihr aufgewachsen im Kärnthnerland drüben, sie ist 'ne geborne Gallenberg, wissen's Herr von Frohn, und da hat er gleich zu plauschen begonnen und gesagt, nächstens käm' der ganze Schwarm wieder, für den Freitag hätt's der Herr ihm angekündigt.«

»Für den Freitag also – nun, da werd' ich ja Gelegenheit haben, die Herren kennen zu lernen. Und weiter?«

»Und weiter weiß ich halt nichts.«

»Hast Du nichts ausgeforscht wegen der Räume, unter oder über dem Saal im Thurme?«

»Ja, schaun's, so viel weiß ich schon; oben wo die Herrschaften wohnen, da läuft ein Gang quer durch's Schloß –«

»Das hab' ich gesehn.«

»Und am Ende davon, nach dieser Seite zu, da ist eine schmale Thüre in die Mauer eingelassen – die Mauer ist so dick da – es ist ein ordentliches Kapellchen, in das Eins nur den Altar zu stellen brauchte, so tief steckt die Thüre in der Mauer.«

»Und diese Thüre?«

»Die führt auf eine alte schmale Treppe, 'ne Wendelstiege wird's sein, und von der, wenn Sie hinuntersteigen, können's in alle Räume im Thurme kommen – brauchen nur den Schlüssel zu haben.«

»Hat Dir das auch der Oedy Laszlo gesagt?«

»Hab's halt g'sehn,« flüsterte Therese leise, »der Graf hat heute Morgen selber die alte Thüre aufgesperrt und ist herunter gestiegen; da bin ich ihm nach, langsam und sacht, daß er mich nicht hören konnte, und während er in das Gemach unten gegangen ist, das mit den breiten Fenstern, wissen's, bin ich noch weiter hinab, und da bin ich in 'ne gewölbte Kammer drunten gekommen – hab' nur eben den Kopf hineingesteckt und bin flugs wieder hinauf und fort; es war gar schaurig da unten; denken's Ihnen, Herr von Frohn, was ich gesehen hab' drin, lauter altes rostiges Eisenzeug.«

»Und das war so schrecklich?«

»Lassen's Ihnen sagen, Herr von Frohn, Piken, Streitäxte, ganze Bündel Säbel waren's, große Karabiner lagen auf dem Tisch.«

»Also ein Tisch war auch da?«

»Ein allmächtig langer, schmaler Tisch, und an dem einen Ende auf dem Tische da standen wohl ein halb Dutzend kleiner Fässer; ich hab' mir halt gedacht, es sei lauter Geld darin.«

»Kleine Fässer?« fragte Frohn, »wie groß waren die?

»So groß,« versetzte Therese, indem sie ihre Hand etwa anderthalb Fuß hoch vom Boden hielt.

»Und war dieser Raum nicht durch eine besondere Thüre abgeschlossen?«

»Eine Thüre war schon da – aber es war halt nur ein Schubriegel daran, und der war nicht vor geschoben.«

»Dann, denk' ich mir, war auch kein Geld in den Fäßchen, Therese, abgesehen davon, daß ein Ungar sein Geld nicht bei alten Piken und Streitäxten im Keller verschimmeln läßt. – Also, Du bist gleich wieder fortgelaufen, und die Treppe hinauf?«

»I hatt' halt a Trema, i kann's Ihnen nicht sagen, Herr von Frohn!«

»Und die Schlößer oben an der Thüre, wie sind die?«

»Es ist ein starkes Schloß daran, weiter weiß ich nichts.«

Frohn sann eine Weile nach, dann sagte er:

»Steckte der Schlüssel, so lange wie der Graf unten war?«

»So lange schon – als er wieder heraufgekommen, hat er den Schlüssel abgezogen und zu sich gesteckt.«

»Wie weißt Du's, hast Du so lange oben auf dem Gang Dich auf die Lauer gestellt?«

»Behüt' mich Gott, ich hab' gemacht, daß ich weggekommen bin – aber eine Stunde später bin ich wieder über den Gang an dem Thürchen vorüber geschlupft, und da hab ich ihn nimmer geseh'n, den Schüssel.«

»Kannst Du mir den Schlüssel beschreiben, Therese?«

»Nun, ein schweres, altes Stück Eisen war es.«

Frohn zog seine Brieftasche hervor, und indem er sie Therese reichte, ließ er sie auf ein weißes Blatt die ungefähre Gestalt des Schlüssels zeichnen, wie sie sie im Gedächtniß behalten. Therese konnte natürlich mit ihrer in den zeichnenden Künsten ein wenig ungeübten Hand nur den Umriß darstellen; sie malte etwas hin, was einer Raute, an deren oberen Ecke sich ein Knopf befand, ähnlich sah; es schien jedenfalls ein alterthümliches Instrument.

»Ich danke Dir, Therese,« sagte Frohn, die Brieftasche zurücknehmend, »Du bist eine brave Spionin, was Du ausgekundschaftet hast, ist werth, daß ich Dir einen herzhaften Kuß dafür gebe!«

»O, Sie talketer Mensch, Sie –« wehrte ihn Therese ab.

Frohn lachte, und begnügte sich damit, ihre Hand zu küßen.

»Natürlich, einen Kuß auf die Hand!« sagte er.

»Gehen's, Sie sind auch nicht besser als die Andern, und jetzt fürcht' ich mich vor Ihnen und will fort.«

»Schon?«

»Geruhsame Nacht, Herr von Frohn!«

»Hör' noch!«

»Jetzt wissen's Alles jetzt lassen's mich aus.«

»Nun, wenn Du willst, Therese, ich danke Dir, ich weiß in der That genug. Behüt' Dich Gott, Mädel.«

Therese schlüpfte, als Frohn ihr die Thüre geöffnet hatte, in die Dämmerung des Corridors hinaus, und war bald verschwunden. Frohn folgte ihr, und trieb sich einen Diener auf, dem er befahl, ihn dem Baron Gallenberg zu melden und zu diesem zu führen.

Er wurde in den obern Stock geführt, und fand den Baron in zwei hübschen Fremdenzimmern am Ende des Ganges, der oben durch das Gebäude lief, einquartirt. Im Vorübergeh'n sah er die von Therese ihm bezeichnete kleine Thüre; sie lag links, während der Eingang zu Gallenberg's Wohnung weiter hinab rechts sich befand. Es war leider zu dunkel, als daß Frohn mehr als das Dasein der tief in eine gewaltige Thurmmauer eingeschlossenen kleinen Thüre constatiren konnte.

Gallenberg's Wohnzimmer war erleuchtet; der junge Mann erhob sich von einem mit Büchern und Papieren bedeckten Tische, an welchem er gearbeitet zu haben schien, und bewillkommte erfreut seinen Hast.

»Es ist sehr liebenswürdig, daß Sie zu mir kommen, Herr Oberstwachtmeister,« sagte er, »offen gesagt, ich sehnte mich just nach einer Unterredung mit Ihnen.«

Frohn lächelte.

»Kann's mir denken – ich soll Ihnen ein wenig Muth machen – der Bär liegt Ihnen auf der Seele.«

»Ich begreife allerdings nicht,« versetzte Gallenberg leis' erröthend, »wie wir's ausführen können.«

»Waren Sie nach Tische an dem Bärenzwinger im Park?«

»Freilich, sofort. Aber denken Sie sich, während ich noch dastehe, und auf die Stangen, die den Zwinger umgeben, gelehnt, hinabschaue und das Treiben der Thiere betrachte, kommt der Gyurgy, der Büchsenspanner meines Vetters Sandor, heran, ruft sich den Wärter aus seinem Häuschen herbei und befiehlt ihm, von jenem Augenblicke an der Bärin nicht das geringste Futter mehr zu reichen; für die Jungen soll er das Futter in kleinen Brod- und Fleischstücken an einem Strick in den Zwinger hinablassen und dafür sorgen, daß nur diese, die Jungen, es bekommen. Er will offenbar die alte Bestie durch Hunger so reizen, daß die Sache völlig unmöglich wird.«

»Das scheint beinahe so. – Doch haben Sie guten Muth, Baron Gallenberg. Amor hat schon schlimmere Dinge möglich gemacht, als einer alten Bärin ein Junges wegzunehmen; wer weiß, vielleicht sucht Ihnen Luszina zuvorzukommen, und besteht das Wagestück, so daß wir nur die Aufgabe hätten, ihm den Bären wieder abzujagen.«

Gallenberg schüttelte den Kopf.

»Bleiben Sie nur anscheinend bei Ihrem Entschluß – für das Andere fällt mir dann schon wohl das rechte Mittel ein.«

»Aber ich begreife nicht was Sie thun könnten?«

»Werde ich Ihnen nicht auch bis morgen Abend Ihren Mohrenkopf schaffen?«

Sie haben es mir so fest versprochen, daß ich wirklich glauben muß, Sie besitzen Zauberkünste –«

»In der That, einige besitze ich auch«, lachte Frohn auf – »ich kann z. B. wahrsagen.«

»Wahrsagen – wie ein Zigeuner?«

»Nicht ganz so – wollen Sie die Güte haben, mir eines Ihrer Bücher zu leihen.«

»Eines meiner Bücher?«

»Ein nicht zu dünnes, dabei nicht gebunden, sondern blos broschirt, wenn ich bitten darf.«

Gallenberg reichte ihm ein solches Buch.

»Ich danke Ihnen, es ist gut – jetzt bitte ich um einen möglichst alterthümlichen Schlüssel und einen Bindfaden, aber stark –«

»Einen alterthümlichen Schlüssel?«

»Der dort in Ihrer Thüre steckt wird hinreichen, obwohl er eigentlich nicht die rechte Zauberweihe durch Rost und Alter hat.«

Gallenberg zog den Schlüssel ab, Frohn nahm ihn und legte ihn in das Buch, so daß nur der Griff oben hervorstand. Dann schnürte er so stark wie möglich den Faden, den der junge Mann aus einem Fach seines Schreibtisches genommen, um das Buch.

»Ich begreife nicht, was Sie damit beginnen wollen«, sagte Gallenberg gespannt.

»Nur gemach. Sie werden es gleich sehen – ich werde damit wahrsagen.«

Er faßte mit dem kleinen Finger in den Griff der Schlüssels, berührte mit dem kleinen Finger der andern Hand die Spitze des ersten, und ließ nun Schlüssel und Buch ganz frei auf den zusammengebrachten Fingerspitzen schweben.

»Jetzt«, sagte er, »fragen Sie, was Ihnen am Herzen liegt. Sie werden untrügliche Antworten erhalten – freilich nur mit: ›Ja und Nein!‹«

»Der Schlüssel und das Buch werden doch nicht etwa die Gabe der Rede bekommen?«

»Gott bewahre, aber Sie werden entweder sich bewegen, und das heißt ja, oder unbewegt bleiben, und das bedeutet nein. Fragen Sie.«

»Nun wohl – ich will fragen: Werde ich den Bären bekommen?«

Das Buch machte eine Wendung.

»Sehen Sie«, sagte Frohn lächelnd. »Sie werden ihn bekommen.«

»Merkwürdig genug, wenn nicht etwa Sie durch eine kleine Bewegung mit den Fingerspitzen –«

»Versuchen Sie's selbst«, entgegnete Frohn, indem er das Buch mit dem Schlüsselgriff an Gallenberg's Fingerspitzen aufhing.

»Jetzt fragen Sie«, sagte Gallenberg.

»Freilich – wird der Mohrenkopf kommen?«

Das Buch bewegte sich.

»Ja!« rief der junge Mann lebhaft aus, »bei Gott, das ist seltsam, ich habe nicht im Mindesten mit den Fingern nachgeholfen!«

»Das weiß ich«, versetzte Frohn. »Lassen Sie mich noch mehr fragen, damit Sie sich überzeugen.«

Er stellte noch einige gleichgiltige Fragen, worauf das Buch sich entweder bewegte oder ruhig hängen blieb. Gallenberg fand die Sache immer wundersamer.

»Die Bewegung ist nicht so lebhaft und energisch wie sie sein sollte«, bemerkte Frohn – »das kommt daher, weil der Schlüssel nicht alt genug ist; es gibt eine Art Schlüssel mit rautenförmigem Griff und einem Knopf auf der oberen Ecke – das sind die eigentlichen Zauberschlüssel!«

»Ich erinnere mich nicht, sie gesehen zu haben«, entgegnete Gallenberg.

»Und doch sind sie nicht selten, ich wette, daß in einem so alten Schlosse, wie dies Luszina, sich einer oder der andere findet. Thun Sie mir einen Gefallen, Baron Gallenberg.«

»Befehlen Sie.«

»Zeigen Sie heute bei der Abendtafel den Herrschaften die neu erlernte Zauberkunst.«

Gallenberg war ohnehin dazu entschlossen, diese merkwürdige Procedur, sich wahrsagen zu lassen, den Damen zu zeigen und sie damit zu unterhalten.

»Die Damen«, fuhr Frohn fort, »werden sich dafür in hohem Grade interessiren, wenn ihnen die Sache noch unbekannt. Aber Sie dürfen als Schüler mir als Ihrem Meister keine Unehre machen. Sie müssen dazu vom Grafen Luszina verlangen, daß er Ihnen einen Schlüssel schafft, wie den beschriebenen. Sehen Sie, etwa so, ich hab' ihn mir aufgezeichnet, um die Gestalt nicht zu vergessen.«

Frohn zeigte dem jungen Manne in seiner Brieftasche Theresen's Darstellungsversuch des Schlüssels zu der kleinen Thurmthüre. »Ich bin ein schlechter Zeichner«, fügte er hinzu, »aber es wird hinreichen, Ihnen anzudeuten, welche Gestalt ich eigentlich meine. Und dabei muß der Schlüssel schwer sein.«

»Ganz gut«, versetzte Gallenberg.

»Und dann noch Eins«, fuhr Frohn fort, »Sie müssen ihn sorgfältig in das Buch einschnüren, mit dem Aufgebot Ihrer ganzen Kraft, so daß die Umrisse des Schlüssels sich auf den nächsten Seiten des Buches abdrücken.«

»So fest?«

»Das ist unerläßlich. Welches Buch wollen Sie nehmen.«

»Soll ich nicht dies nehmen?«

»Sie mögen dies Buch nehmen – es ist sehr passend dazu«, erwiderte Frohn, indem er den Faden losband und Gallenberg den eben gebrauchten Schlüssel zurückgab.

Der junge Mann erhob sich, den Schlüssel wieder in das Thürschloß zu stecken, Frohn betrachtete unterdes den Titel des Buches.

»Das ist ja der erste Band einer Uebersetzung von Sterne's ›Tristram Shandy‹, sagte er dabei, »ein Buch, das ich lange zu lesen gewünscht habe.«

Es steht Ihnen zu Dienst.«

»Ich danke Ihnen, Baron, aber ich will Sie nicht jetzt berauben, machen Sie erst Ihre Zauberkunst damit, dann, bitte ich, senden Sie es mir, daß ich mich damit in den Schlaf lese!«

»Wie Sie wollen!«

»Oder wollen Sie noch verbindlicher sein, bringen Sie es mir selbst und erzählen mir dabei, wie Ihre Zauberkünste abgelaufen sind!«

»Gern«, versetzte Baron Gallenberg.

»Nur sorgen Sie dafür, daß Sie den Schlüssel fest genug einbinden, Sie müssen recht starken Bindfaden nehmen und das Buch mit aller Kraft, welche Ihnen zu Gebote steht, einschnüren.«

»Sorgen Sie nicht dafür!«

»Und vergessen Sie nicht, dem Grafen zu zeigen, daß es Ihnen Ernst mit dem Bären ist!« setzte Frohn lächelnd hinzu und erhob sich um zu gehen. »Apropos«, fuhr er fort, ich verlange durchaus nicht, daß Sie d'rüben erzählen, wie Sie das Schlüsselgeheimnis so eben von mir gelernt haben – ich kenne das – der Dame seines Herzens glänzt man nicht gern mit erborgtem Lichte. Sie dürfen damit Furore machen, wie mit Ihrer eigenen Zauberkunst –«

»Uneigennütziger wie Sie kann man gar nicht sein!«

»Das ist wahr«, versetzte Frohn lächelnd, »das ist immer mein Hauptcharakterzug gewesen – deshalb bin ich denn auch ein armer Reiterknecht geblieben, der nichts hat als seinen Degen – aber Adieu, Baron – auf Wiedersehen!«

»Noch diesen Abend!«

Damit trennten sich die beiden Herren und Frohn wanderte langsam in sein Quartier zurück, wo bald nachher der Haushofmeister, der Oedy Laszlo erschien, um ihm sein Souper serviren zu lassen.

Ein paar Stunden später trat Baron Gallenberg bei ihm ein – sehr aufgeregt und strahlend – er hatte mit seinen Kunststücken Sensation gemacht – hundert Dinge hatten die Damen den Schlüssel gefragt und der Schlüssel hatte mit einer wunderbaren Bereitwilligkeit auf Alles höchst vernünftige Antworten gegeben, er hatte sich gedreht wie ein Wetterhahn.

»Haben Sie denn auch einen recht guten alterthümlichen Schlüssel gehabt?« fragte Frohn.

»Den allerbesten«, versetzte der junge Mann eifrig – »als ich die rechte Art beschrieb, sagte Vetter Sandor, daß er gerade einen solchen besitze und holte ihn aus seinem Kabinet.«

»Vortrefflich, es freut mich, daß Sie Ehre eingelegt haben – hatten Sie die Güte, mir den ›Tristram Shandy‹ mitzubringen?«

»Hier ist das Buch!«

Baron Gallenberg überreichte es mit der größten Arglosigkeit seinem Freunde; dieser legte es auf den Tisch und ließ sich geduldig noch lange von seinem Besuche vorplaudern, bis der junge Baron endlich sich verabschiedete, um sich zur Ruhe zu begeben. Sobald Frohn allein war, griff er gespannt nach dem Buche; es öffnete sich sofort an der Stelle, wo der Schlüssel eingebunden gewesen und Frohn sah lächelnd, mit welcher gewissenhaften Kraftanstrengung sein Schützling das eiserne Instrument hineingeschnürt haben mußte; die Umrisse des Schlüssels waren auf dem grauen weichen Makulatur-Papier so deutlich abgedrückt, als ob sie hineingeprägt worden. – Daß Frohn sie jetzt sogleich auf ein weißes Blatt mit großer Genauigkeit nachzeichnete, daß er sodann am andern Morgen in der ersten Frühe seinen getreuen Miklos mit der Zeichnung in's Dorf sandte, um dort den Schlosser aufzusuchen und durch ihn just einen solchen Schlüssel machen zu lassen – der Oberstwachtmeister habe seinen Kastenschlüssel verloren, mußte Miklos vorgeben, – das brauchen wir kaum anzudeuten.

Noch vor Abend war der Schlüssel in Frohn's Händen.

Und noch vor Mitternacht dieses folgenden Tages hatte er unserem Freunde seinen gehofften Dienst gethan. Um diese Zeit, wo Alles in Schlosse im tiefsten Schlummer begraben lag, hatte Frohn leise, mit einer kleinen Blendlaterne versehen, sein Zimmer verlassen und ohne Unfall die kleine alte Thür am Ende des Ganges oben erreicht. Der sorgfältig geölte neue Schlüssel öffnete das Schloß ohne Anstand und Frohn schritt nun behutsam die sich ihm zeigende Wendelstiege herab. Bald fand er sich vor einer zweiten Thüre, die unverschlossen, ihm Einlaß gewährte in einen alterthümlichen, mit rings an den Wänden herlaufenden Bänken und dunklem Holzgetäfel versehenen Raum. In der Mitte stand ein mit einer alten grünen Tuchdecke belegter Tisch; Frohn stellte seine Laterne darauf und sah sich ein wenig getäuscht in dem Raume um – bald aber erhellten sich seine Züge, als er die Decke aufschlagend, unter dem Tische eine Schublade entdeckte und, diese aufziehend, sie mit Papieren gefüllt fand. Eifrig durchmusterte er diese, zog seine Brieftasche, um in großer Hast einige Seiten mit Notirungen auszufüllen, und dann legte er Alles wieder, wie er es gefunden an seinen Ort.

Nachdem er noch eine Flügelthüre recognoscirt, welche den Haupteingang zu dem Gemache bildete, verließ er den Raum, um seine Entdeckungsfahrt fortzusetzen; die Wendelstiege führte ihn denn auch bald an die von Therese erwähnte Thüre in dem Souterrainraum; diese stand nur angelehnt, Therese mußte in ihrer Angst und Haft unterlassen haben, den alten Eisenriegel wieder vorzuschieben. Den Vorräthen alter Waffen, welche hier in der That aufgehäuft waren, wandte Frohn weniger Aufmerksamkeit zu, als den kleinen Fäßern, die auf dem langen, mitten in dem niederen Gelaß stehenden Schragen aufgestellt waren. Ueber die größere Hälfte derselben war ein altes Laken geworfen. Als Frohn eines derselben aufhob, zeigte es sich schwer, wie mit einem gewichtigen Inhalt gefüllt, freilich nicht schwer genug, um Theresens Vorstellung von lauter gemünztem Metall zu rechtfertigen. Frohn stellte das Faß vor sich und zog sein Messer hervor, um den Deckel zu lösen; mit einiger Anstrengung und mit der Nachhülfe der Säbelscheide gelang es ihm, den Inhalt, der sich dann zeigte, überraschte ihn nicht – er bestand aus dem, was er zu finden vermuthet hatte, es war Pulver.

Frohn legte den Deckel lose wieder auf, und schob das Faß unter das Laken, welches die übrigen bedeckte. – Dann zog er sich so behutsam und leise, wie er gekommen war, aus dem Raume zurück, schritt die Wendelstiege empor, schloß aber sorgfältig die Gangthüre wieder ab und war, bevor eine halbe Stunde verflossen wieder in seinem Zimmer, wo er noch lange hin und herschritt, ohne Ruhe finden zu können. Nur einer der großen bösen Schäferhunde auf dem Hofe des in den tiefsten Schlaf begrabenen Schlosses schien eine Ahnung davon zu haben, daß Alles nicht geheuer sei im Innern; er bellte von Zeit zu Zeit laut auf; aber nicht einmal seine Genossen und Mitwächter antworteten ihm anders als durch ein dumpfes Gemurr, – sie ließen ihn dann nach Herzenslust heulen. – –


5.

Am andern Tage, vor Tische, ließ Frohn den Baron Gallenberg bitten, ihn auf einem Spaziergange zu begleiten; als der junge Mann bereitwillig zu ihm herunterkam, schlug er ihm vor, ihn zu dem Bärenzwinger zu führen.

Gallenberg schlug mit ihm den Weg dahin ein und im Gehen verrieth er seinem verheißungsreichen Bundesgenossen seine lebhafte Begierde, etwas Näheres über dessen Leben und bisherige Schicksale zu erfahren. Frohn, dessen offene Weise gerne aussprach, was nicht eben zu verschweigen in seinem Interesse lag, gab ihn gerne in harmlosen Geplauder Rechenschaft darüber. Der junge Mann, der an der Wahrhaftigkeit seines Begleiters keinen Zweifel hegen durfte, – schon der ganze anspruchlose Ton und die Bescheidenheit, mit der Frohn erzählte, ließen den Gedanken, daß er es mit einem miles gloriosus Possenhafte Komödie des antiken römischen Dichters Titus Maccius Plautus, die etwa 206 v. Chr. zum ersten Mal aufgeführt wurde; die Titelfigur repräsentiert den Typus des lächerlichen, anmaßenden und aufgeblasenen Söldnerführers. – Anm.d.Hrsg. zu thun habe, nicht in ihm aufkommen, – sah mit immer größerer Ehrfurcht zu der hohen Gestalt des kaiserlichen Soldaten auf, der in so gutmüthiger, unbefangener Weise mit ihm plauderte und jetzt bei all' seiner Intelligenz, Kraft und Unerschrockenheit nichts Besseres zu thun, kein höheres Ziel seines Ehrgeizes zu haben schien, als einen ihm fremden Manne bei seinen Liebesangelegenheiten beizustehen. Daß ihn selbst der Beistand dieses Mannes jetzt mit doppelter Zuversicht erfüllte, war natürlich, und vielleicht war das gerade Frohn's Absicht, wenn er ihm zeigte, was ein Mann Alles vollbringen kann, wenn er sich's vornimmt, und was dann nicht einmal eine Kunst ist, man muß es eben versteh'n!

Sie schritten Anfangs in die große, den Schloßpark durchschneidende Allee hinein, bis zu einem linkshin sich abzweigenden Wege, der einen Berghang hinan durch Hoch- und Unterholz lief. Bald schimmerte ein schilfgedecktes, kleines Haus ihnen durch das Gebüsch entgegen; sie kamen dann auf eine Lichtung, die von einem Kranze von Ulmen und Eichen umstanden war. Im Hintergrunde dieser Lichtung stand das Gebäude, welches sie erblickt, ein wohlgehaltenes, von wildem Wein umranktes, am Fuße von einer Fülle blühender Kapuzinerkäppchen bekränztes Häuschen mit einigen Gartenbeeten davor; links zeigte sich eine hohe Umzäunung, hinter welcher ein paar Hirsche, ein Elen und ein Steinbock sich friedlich zusammengeschickt hatten; rechts deutete ein eisernes Stangenwerk, parallel mit dem Boden laufend, auf die Bärengrube.

Unsere Wanderer wandten sich dieser zu.

Es war eine etwa zwanzig Fuß breite und doppelt so lange Grube, die zwölf bis vierzehn Fuß tief unter den schützenden Stangen ausgemauert sein mochte. Am Ende derselben befand sich ein gewölbter Eingang zu einer kleinen dunklen Höhle, wohin sich Petz zurückziehen konnte, um vor Wetter und Wind geborgen, seine Siesta zu halten; in der Mitte war ein Baum mit abgestutzten Aesten eingerammt, bestimmt, den jugendlichen Mitgliedern der Familie als Turnanstalt und Mittelpunkt ihrer ausgezeichneten Leistungen in der Gymnastik und Acrobatik zu dienen. Die Frau Bärin befand sich heute in einer vorzugsweise ungnädigen Stimmung, die sie durch das heftige Grunzen an den Tag legte, mit dem sie rastlos in ihrem geräumigen Salon auf und ablief … es mußte etwas in hohem Grade ihr Mißfallen erregen, etwas das ihr zugleich die Ueberzeugung einzuflößen schien, daß ein ordentlicher Bär auf seinem Lebenswege gar nicht durchkomme, wenn er sich nicht von Zeit zu Zeit muthig »auf die Hinterbeine stelle«, ein Manöver, welches sie denn auch mit großer Energie ausführte, um einige Schritte weiter wieder auf die Vorderbeine zu fallen.

In einer Ecke des Zwingers, wohin warm die Sonnenstrahlen schienen, lag das nachwachsende Geschlecht, drei jugendliche graubraune Geschöpfe von der Größe eines Pudels, die sich mit vieler Anmuth die Tatzen an die Köpfe schlugen, mit den Zähnen an den Ohren zerrten, und mit ähnlichen angenehmen und ihrem jugendlichen »Ringelbären«-Alter geziemenden Neckereien die Zeit vertrieben.

Während Frohn und Gallenberg über die schützenden Stangen, welche den Zwinger umgaben, gelehnt, auf die Bewohnerschaft der Tiefe hinabschauten, entging jenen nicht, daß bei dem Anblick der zornig, brummend auf- und ablaufenden Bärin dem jungen Manne ein wenig der Muth entsank. Eine leichte Nuancirung wechselnder Gesichtstinten flog mit beweglichem Spiel über seine Züge.

Aus dem Wärterhaus aber trat Stenyi, dem die Obsorge über die Thiere anvertraut war, ein schwarzköpfiger Bursche in weißen Gachien, die Bunda Ungarischer Lammfellmantel. – Anm.d.Hrsg. über der Schulter.

»Der Alte verlangt nach der Jausen,« bemerkte Frohn zu dem Wärter gewendet.

»Glaub's schon, Ew. Gnaden,« sagte der Mann, »sie hat halt' seit acht und vierzig Stunden kein Biss'l mehr geschluckt.«

»Hat das der Graf so befohlen?«

Stenyi nickte mit dem Kopfe.«

»Und wann wird sie wieder gefüttert werden?«

»Wann's gnädiger Herr befehlen, eh' nit!«

»Aber die kleinen werden gefüttert?

»Die schon!«

»Aber wie macht Ihr's, daß die Alte ihnen das Futter nicht entreißt?«

»Ich geb's ihnen halt' an 'nem Strick, und paß' auf, wann die Alte am ander'n End' ist.«

»Es sieht nicht darnach aus,« bemerkte hier Gallenberg, »als ob etwa Vetter Sandor Anstalten träfe, das Wagstück selbst auszuführen, und mir zuvorzukommen.

»Sie haben Recht, ich hab's ihm halb zugetraut, aber es scheint wirklich, als ob dieß Hungern lassen der Bestie nur darauf berechnet wäre, Ihnen Ihr Vorhaben unmöglich zu machen!«

»Mein Vorhaben?« warf Gallenberg mit einer zweifelnden Betonung ein.

»Sie sind doch entschlossen, Baron Gallenberg? ich will nicht hoffen …«

»Sie haben gut hoffen!«

Frohn lachte.

»Nur nicht den Muth verlieren«, sagte er.

»Ich habe den Muth, den Sie von mir verlangen, noch gar nicht gehabt …, wer sagt Ihnen, daß ich entschlossen gewesen bin, meine Haut zu Markt zu tragen?«

»Verlangen Sie denn von mir, ich soll hinabsteigen und Ihnen den Bären holen, damit Sie sich bei Comtesse Laura liebenswürdig machen und eines Wagstücks rühmen, das Sie gar nicht ausgeführt haben?«

»Nicht im Traume,« versetzte Gallenberg, »nichts ist weniger meine Absicht!«

»Dann wird Comtesse Laura Sie verlachen und Graf Luszina Sie verspotten!«

Baron Gallenberg schwieg.

»Und sie werden Recht haben,« fuhr Frohn fort, »weßhalb haben Sie sich der Sache gerühmt?«

»Das that ich, weil Sie mich dazu verführten?«

Frohn lachte wieder:

»Nun«, sagte er, »ich will nicht, daß Sie mir mit Recht einen solchen Vorwurf machen. Ich denke, es läßt sich ohne zu große Gefahr ausführen, und dazu wollen wir Anstalten treffen. Aber hinunter müssen Sie, Baron!«

»Wenn Sie nicht etwa einen Zaubermantel haben, in dem ich mich unsichtbar machen und mit dem Bären Blindekuh spielen kann …«

»So weit geht meine Zauberkunst nicht,« fiel Frohn ein; »es wäre dann auch kein Verdienst dabei … und ein gewisses Verdienst wird immer dabei bleiben, darüber machen Sie sich keine Sorge, Baron Gallenberg!«

»O ich zweifle keinen Augenblick daran!«

Frohn zog seine Börse hervor und reichte Stenyi einen Dukaten.

»Küß' die Hand, Euer Gnaden«, sagte Stenyi, vor Dankbarkeit überfließend.

»Du wirst etwas mehr dafür thun, Mann«, sagte Frohn. »Welche Speisevorräthe hast Du für den Bären?«

»Ich hab' halt einen fetten Hammel, der gestern gefallen ist, parat liegen.«

»Gut, so hau' ein recht schönes appetitliches Stückchen daraus, und halte es bereit bis wir wieder kommen.«

»Ich weiß nicht, ob ich darf, Ew. Gnaden« –

Du darfst Alles, was ich von Dir verlange, Stenyi, – ich steh für Alles ein, hörst Du!«

»Ja, aber –«

»Du fürchtest eine Tracht Prügel.«

Stenyi machte eine bedeutsame Grimasse, indem er die Schultern zog.

»Sei ruhig, Mann ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß Dir nichts geschehen soll – weißt Du, was das Ehrenwort eines kaiserlichen Soldaten ist?«

»Kann's denken, Ew. Gnaden – aber –«

»Kein Aber mehr – wenn Du nicht gehorchst, bekommst Du die Prügel durch einen Husaren – verstanden?«

»Hab' verstanden, Ew. Gnaden!« sagte Stenyi.

»Hast Du Stricke bei der Hand?«

Der Wärter nickte.

»Laß' sehen – hole sie.«

Stenyi ging in sein Haus zurück, um sie herbeizubringen.

»Wie haben Sie vor, es möglich zu machen?« fragte Gallenberg jetzt.

»Gerade dadurch,« entgegnete Frohn, »wodurch Graf Luszina es Ihnen unmöglich zu machen beabsichtigte – durch den Hunger der Bestie. Sie werden sehen, es läßt sich ausführen und Ihr Vetter Sandor soll vor Wuth schäumen, daß gerade er Ihnen die Leiter zu Ihrer Ritterthat gehalten hat!«

»Aber ich begreife nicht –«

»Alles nach der Reihe – thun Sie mir den Gefallen, Baron Gallenberg, Ihre Phantasie in diesem Augenblick nicht weiter mit der Möglichkeit und den Chancen des Wagstücks zu beschäftigen, sondern ruhig heim zu gehen, und Ihre Pistolen zu holen; senden Sie mir zugleich meine beiden Officiere mit meinen Pistolen heraus – oder besser, bringen Sie dieselben gleich mit – sie sollen sich ebenfalls mit ihren Waffen versehen.«

Der junge Mann gehorchte der gebieterischen Autorität, die sich, wie keinen Widerspruch annehmend, über ihn aufwarf, und der Zuversicht, die Frohn damit zum Theil auch ihm einflößte – er wandte sich zum Gehen.

»Ich stehe für Alles, rief Frohn ihm nach behalten Sie deshalb Ihre ganze Ruhe, und kommen Sie mir nicht echauffirt und aufgeregt zurück. Denken Sie an sie, das heißt, nicht die Bärin, sondern Comtesse Laura.«

Der junge Mann nickte erröthend und schritt den Weg in's Gebüsch hinab.

Stenyi hatte unterdeß einen Arm voll Stricke herbeigebracht. Frohn untersuchte sie, und fand sie ausreichend.

»Jetzt,« sagte er dann, »bring mir eine Leiter her – Du hast eine Leiter zur Hand, die bis hinab reicht?«

Stenyi hatte eine, gerade zum Niedersteigen in den Zwinger bestimmte Leiter.

Als er ging, sie zu holen, rief Frohn ihn nach, noch einen Hammer und wo möglich noch ein tüchtiges Brecheisen herbeizuschaffen.

Stenyi schien mit all diesen Dingen versehen; er kam zuerst mit der Leiter, dann holte er den Hammer und eine unten gespitzte kleine Eisenstange.

»Nun geh und sorg' für die Futterstücke – einen tüchtigen Hammelbraten für die Frau Mama da unten, und einige kleinere Stücke für die Herren Söhne,« befahl ihm Frohn.

»Aber, Ew. Gnaden,« sagte der Mann noch einmal ängstlich. –

»Geh, Stenyi, gehorch' – Du hast gehört, was ich Dir gesagt habe.«

»Der gnädige Herr ist gar so schlimm,« flüsterte Stenyi angstbewegt.

Frohn streckte seinen Arm aus und legte die schwere Hand gewichtig auf die Schulter des Wärters.

»Du hast Recht, Mann, er ist schlimm – aber wenn ich nun noch zehnmahl schlimmer wäre – hm? wie dann?«

»Mag schon sein, Ew. Gnaden!« stammelte der Mann erschrocken vor dem zornigen Blicke, der ihn anfunkelte, während unter dem Drucke der Rechten Frohn's seine Knie sich bogen.

»So geh' und gehorch'!«

Stenyi ging und Frohn begann jetzt eine Arbeit, welche seine ganze Stärke in Anspruch nahm. Er hob an der einen Stelle des eisernen Geländers mit Gewalt die zwei horizontalen Querstangen aus, welche die Beschauer der Thiere vor dem Hereinfallen in den Zwinger schützen sollten. Neben diese Stelle legte er dann die Leiter. Dann setzte er sich auf den Rand der Mauer und erwartete nun die Zurückkunft Stenyi's, der nicht lange ausblieb, und des Helden in dem von ihm vorbereiteten Drama, der länger zögerte, wieder auf der Scene zu erscheinen.

»Ich will nicht hoffen, daß er zuerst in die Schloßcapelle gegangen ist, um der Mutter Gottes eine Wallfahrt nach Maria Einsiedel zu geloben,« flüsterte Frohn für sich. »Nun, es würde ja auch nichts schaden – jeder hat seine Manier zur Courage zu kommen – der Eine borgt sie sich bei diesem, der Andere bei jenem Glauben. – Der Glaube ist immer der, der von dieser Münze das Meiste ausleicht. – Bei mir ist's auch nicht anders, bei mir ist's nur der Glaube an mich selbst und an mein Schicksal – es steht aber Alles in den Sternen geschrieben und so wird's kommen, wie's da einmal von Ewigkeit bestimmt ist! hm Stenyi!«

»Em. Gnaden, was schaffen's?« rief Stenyi zurück.

»Hast Du die Fleischstücke an Stricke gebunden?«

»Ja, Ew. Gnaden.«

»So leg' sie hierher, und halte Dich zur Hand; bekommt die Bärin immer das Futter von Dir?«

»Ja, Ew. Gnaden – darum ist's auch so grimmig jetzt und grunzt und fletscht die Zähne, weil's mich sieht.«

Die Bärin war in der That, seitdem Stenyi sich blicken lassen, um Vieles wilder und zorniger geworden.

»So tritt ein wenig bei Seit'!«

Stenyi trat weiter von dem Zwinger zurück.

»Das Stangenwerk läßt Du hernach auf meine Kosten gleich wieder herstellen, hörst Du?«

»Wie Ew. Gnaden befehlen – aber da kommen die Herrschaften.«

Sie wurden in der That im Gebüsch sichtbar – voran Baron Gallenberg, hinter ihm Rittmeister Treißam und der Adjutant.

Frohn ging ihnen entgegen.

»Alles ist bereit, Baron Gallenberg,« sagte er; »Sie werden während des Weges die beiden Herren unterrichtet haben, welche Unternehmung wir vorhaben.«

»Eine teufelmäßige Geschichte,« sagte der Rittmeister – »ein Bärenbraten ist schon ein guter Bissen, besonders der Schinken – aber ihn mit Lebensgefahr da aus dem Loche zu holen – es wäre doch meine Sache nicht.«

»Es handelt sich auch nicht um einen Braten, Rittmeister,« sagte Frohn, »und noch weniger um das Fett, das allerdings eine treffliche Pomade für Ihre kahle Glatze sein würde.« –

»Könnte man nicht versuchen, einem der jungen Bären eine Schlinge überzuwerfen und ihn damit aus dem Zwinger zu ziehen?« bemerkte der Adjutant.

»Das wäre nur dann eine Kunst, wenn man so ungeschickt ist, wie gewisse Herren von meinem Corps,« gab Frohn lachend zur Erwiderung – »haben die Herren Ihre Waffen geladen?«

Sie waren sämmtlich geladen.

»Dann an unsere Plätze; Stenyi, Du stellst Dich dort drüben am obern Ende des Zwingers auf, läßt das Stück Fleisch an dem Strick herunter und hin und her baumeln, und wenn die Bärin darnach greift, so ziehst Du es rasch wieder in die Höhe, um es dann wieder ein wenig herabzulassen – Du mußt das geschickt machen, davon hängt Alles ab, begreifst Du?«

Stenyi versicherte, daß er seine Aufgabe sehr wohl begriffen habe.

»Wir, meine Herren,« fuhr Frohn fort, »bleiben hier am untern Ende; jeder von Ihnen nimmt einen der Stricke mit den kleineren Fleischstücken, um damit die jungen Thiere zu harceliren und hier im untern Theile des Zwingers zu halten. Nebenbei halten Sie Ihre Pistolen in Bereitschaft – wo haben Sie die meinen?«

Der Adjutant reichte ihm ein Paar lange Reiterpistolen; Frohn nahm sie, untersuchte die Pfannen und legte sie dann mit gespanntem Hahn auf die Brüstung der Mauer neben sich.

»Wenn Sie wahrnehmen, daß unsere Kriegslist mißlingt, daß die Bärin sich auf den Baron Gallenberg stürzen will, so brennen Sie ihr rücksichtslos auf den Balg – ich werde dann ebenfalls das Meinige thun, darauf verlassen Sie sich, Baron Gallenberg, und seien Sie ohne Sorge, meine Pistolen sind gut, und ich weiß, wo das Blatt ist – also auf Ihre Posten, meine Herren.«

Jeder folgte Frohn's Anweisungen, Baron Gallenberg auch, der seinen Rock abzuwerfen und seine Pistolen in einer Weste auf der Brust zu verbergen begann.

Stenyi stand schon am obern Ende des Zwingers; so wie die Bärin ihn erblickte, eilte sie dorthin, stellte sich grunzend an der Mauer in die Höhe, nach der Witterung des Fleisches schnuppernd, das Stenyi jetzt langsam niederließ.

Mit größter Schnelligkeit hatte Frohn jetzt die Leiter hinabgeschoben und hielt diese oben fest – gerade da, wo er die Stangen ausgebrochen, um den Weg nach unten um ein Bedeutendes abzukürzen.

»Jetzt hinunter, rasch, aber ruhig,« rief Frohn Gallenberg zu.

Der junge Mann war sehr bleich geworden bei allen diesen Vorbereitungen, aber mit gerunzelten Brauen und dem Gepräge einer festen Entschlossenheit, welche Frohn über den Ausgang des Abenteuers vollständig beruhigte, bestieg er die Leiter.

Die jungen Bären, die nicht, wie die oben im Zwinger mit Stenyi ein zorniges Zwiegespräch führende und wüthend nach dem lockenden, wie ein Tantalusapfel über ihrem Kopf schwebenden Hammelstück aufspringende Frau Mama von Hunger geplagt waren, hatten sich langsam erhoben, einer rannte bereits der alten nach, da wurde die Aufmerksamkeit der beiden andern durch das ungewohnte Schauspiel eines in ihren Wohnraum niedersteigenden Mannes in Anspruch genommen, und zugleich durch die Bissen, welche die beiden Officiere hinabließen, von dem tollen Springen und Gebahren der Alten am andern Ende abgelenkt.

»Jetzt gilt's,« rief Frohn dem Baron Gallenberg zu – »fassen Sie mit ruhigem, aber festen Griff eines der Thiere im Nacken und dann damit rasch die Leiter wieder hinauf!«

Gallenberg war schon unten … er zauderte nicht das Manöver auszuführen. … Der nächste der jungen Bären fühlte plötzlich, als er sich eben auf seine Hinterbeine erhob, um nach der über ihm tanzenden lockenden Speise zu fassen, die Hand des kühnen Eindringlings in seinem weiten Nackenfell. … Er begann ganz entsetzlich zu grunzen und mit den Füßen in der Luft um sich zu schlagen, … schon ward die Alte am anderen Ende des Zwingerraumes aufmerksam – schon wandte sie sich, um sich in raschen Sprüngen auf den Räuber zu stürzen, aber schon war Gallenberg auch wieder auf der Leiter – die sechs oder acht Stufen hinauf … Frohn, der sich mit dem Oberleibe auf die Mauerbrüstung gelegt hatte, faßte mit der ganzen Länge seines Armes hinab, packte den aufsteigenden Baron unter der Schulter und hob und schleuderte ihn fast mehr über den Rest der Leiter fort in die Höhe auf sichern Boden – seine andere Hand riß dann die Leiter in die Höhe, daß sie hoch aufflog … es war ein ängstlicher, beinahe der entscheidendste Moment – eine Sekunde später hätte die Bärin die Leiter erreicht gehabt und sich die Staffeln hinangestürzt … aber Alles ging wunderbar gut, Frohn's merkwürdige Körperkraft hatte den jungen Mann mit seinem Bären und die Leiter fast im selben Augenblick gehoben, – als Baron Gallenberg auf sicherm Boden stand, zog Frohn die mit ihrem untern Ende hoch in die Luft geschnellte Leiter ruhig heraus.

Baron Gallenberg drückte seine Beute auf den Boden, wo sie schrie, grunzte und entsetzlich um sich schlug … Rittmeister Treißam und der Adjutant, die mit ihren Stricken herbeisprangen, sie zu binden, kamen nicht damit zu Stande aus Scheu vor den Zähnen und den Tatzen der jungen Bestie.

»Das wird Stenyi besser verstehen,« rief Frohn aus – tief Athem holend und sich die Stirn wischend … »Stenyi, zieh jetzt das Fleischstück zurück und komm hierhin,« fuhr er fort, während der Wärter herbeigesprungen kam – »du kannst jetzt als ein gerechtfertigter Mann vor deinem Herrn bestehen, du hast die alte Bärin nicht gefüttert sie hat nichts bekommen – sieh jetzt, wie du damit fertig wirst, diesen unwirschen jungen Herrn zur Ruhe zu bringen – ein Strick um die Schnauze und einer um die Tatzen werden ihn wohl besänftigen.«

Stenyi machte nicht viel Federlesens; er ging mit dem jungen Juraten so wenig constitutionell zu Werke, daß derselbe bald ruhig auf dem Rasen lag und seine oppositionelle Gesinnung nur noch durch ein unschädliches Grunzen zu erkennen gab.

Es war an Baron Gallenberg die Reihe gekommen, Athem zu schöpfen – er that es aus tiefster Brust und trocknete den Schweiß ab, der über sein sich jetzt tiefroth färbendes Gesicht strömte.

Dann ordnete er seinen Anzug wieder und warf dabei die Pistolen, die er in der Weste getragen hatte, ins Gras.

»Wahrhaftig, das ist gut abgegangen,« rief der Rittmeister aus, indem er die Pistolen aufhob – »ein kleines Freudenfeuer wäre da schon am Ort.« –

Damit schoß er eine der Pistolen in die Luft ab – dann, da Niemand eine Einsprache erhob, das zweite.

Der Adjutant zog lachend und durch die stattgefundene Scene aufgeregt, jetzt auch seine Pistolen hervor, um sie ebenfalls in die Luft zu feuern.

»O bitt gar schön, Ew. Gnaden,« sagt Stenyi, »das verschreckt mir mein Viech zu Tod.«

Er wies nach den Palissaden hinüber, hinter denen allerdings ein toller Aufruhr unter den Bewohnern der kleinen umzäunten Matte ausgebrochen schien. – Die Hirsche tobten in Sätzen umher, als ob sie über die hohen Holzschranken fortfliegen wollten.

»Ruhig, meine Herren,« sagte Frohn deßhalb; »treten wir unseren Triumphmarsch zum Schlosse an – Baron Gallenberg, mit einem Eichenstrauß an Hut, als Held des Tages in unserer Mitte und Stenyi mit dem Bären auf seiner Schulter voran.«

Stenyi folgte der Weisung und belud sich mit dem gefesselten Thiere – Baron Gallenberg wollte die Ehre des Eichenzweigs ablehnen, aber Rittmeister Treißam hatte bereits ein kleines Büschel gepflückt und Frohn steckte es an den zierlichen, gallonirten, dreieckigen Hut des jungen Mannes.

So wanderte man dem Schlosse zu.

Als man die Lindenalleen erreicht hatte und darin einbog, wurden zwei von Schlosse herauswandelnde Gestalten sichtbar, die mit raschen Schritten daher kamen.

Es waren der Graf Luszina und Comtesse Laura; Laura am Arm des Grafen.

Diese vermochte kaum dem aufgeregten Mann zu folgen.

»Wahrhaftig,« sagt Luszina, als er der die Allee herabkommenden Officiere ansichtig wurde, »es sind diese Deutschen – diese frechen Soldknechte – ich will doch sehen, wer ihnen die Erlaubniß gibt, in meinem Park zu schießen!«

»Vetter Sandor,« versetzte Comtesse Laura, »wenn mich meine Augen nicht trügen, so geht ein Mann vor ihnen her, der eine Last – ein Thier trägt.«

»Ein Thier? – ich glaube – beim Teufel, Sie haben Recht, Laura – Gottes Blut – Sie werden doch nicht – die Frechheit wäre zu groß –«

»Und ich möchte darauf wetten, Sandor, daß es einer Ihrer Bären ist.«

»Meiner Bären – so wahr ich Augen im Kopfe habe – welche Unverschämtheit – sie haben einen der Bären erschossen und dann aus dem Zwinger geraubt – wartet, Ihr Herren – und der Vetter Ferdinand, ist der Teufel in ihn gefahren – das Wetter ihm auf den Kopf!«

Der Graf sprach diese Worte leise, bleich vor Zorn, und knirschend die Zähne zusammenbeißend.

»Um Gotteswillen, Sandor, mäßigen Sie sich, »bat Comtesse Laura erschrocken »bezähmen Sie Ihre Heftigkeit.«

»Uebrigens scheint mir auch,« fuhr sie nach einer Weile raschen Vorwärtseilens fort, »daß wir uns irren.«

»Was scheint Ihnen?«

»Daß der Bär lebt!«

»Lebt? beim Teufel – er lebt.« –

Die beiden sich entgegen eilenden Gruppen waren nun auf zwanzig Schritte sich nahe gekommen. Baron Gallenberg nahm schon seine Beute Stenyi ab, und legte jetzt mit einer tiefen Verbeugung das grunzende Thier zu den Füßen seiner Dame nieder.

»Was ist das, was haben Sie angefangen,« schrie der Graf, Einen nach dem Andern zornig mit den Augen anfunkelnd.

»Comtesse Laura,« sagte Gallenberg lächelnd, »möge das Schicksal stets so eifrig bestrebt sein, alle Ihre Wünsche zu erfüllen wie Ihr treuester Verehrer beflissen gewesen ist, Ihre Sehnsucht nach dem Besitz dieses anmuthigen kleinen Schooßhundes zu stillen!«

Comtesse Laura sah ihn sprachlos an, nichts als die ungeheucheltste Verwunderung in ihren großen, weit aufgerissenen braunen Augen.«

»Zum Teufel, Vetter Ferdinand,« schrie Luszina Sandor dazwischen, es ist unmöglich, daß das ehrlich zugegangen ist – ich will wissen, was Sie gemacht, was Sie sich mit meinem Eigenthum erlaubt haben!«

»Nicht ehrlich?« rief Baron Gallenberg stolz sich aufrichtend aus – »was berechtigt Sie zu der Behauptung? Haben Sie mir nicht selbst einen der jungen Bären zu Disposition gestellt?«

»Deß bin ich Zeuge« – fiel Frohn neben ihn tretend ein.

»Mein Herr, ich bedarf Ihres Zeugnisses nicht, ich weiß selbst, was ich gesagt,« rief der Graf ihm zu – »aber es ist unmöglich, daß Sie ihn sich holten,« wandte er sich zu seinem Vetter zurück – »Sie haben mir den alten Bären todt geschossen!«

»Dem alten Bären ist kein Haar seines zottigen Felles gekrümmt, Vetter Sandor, darüber beruhigen Sie sich,« entgegnete Gallenberg ruhig, wer befindet sich sehr wohl, wenn er nicht eben vor Hunger umkommt, da Sie verboten haben, ihn zu füttern.«

»Und Sie hätten in der That,« fiel hier Comtesse Laura ein, »dem bösen alten Bären getrotzt?«

»Ich habe den jungen Bären aus dem Zwinger geholt, wie es verabredet war!«

»Wie war das möglich?«

»Es wäre wohl nicht möglich gewesen, wenn mir Vetter Sandor nicht so wirksame Hilfe geleistet hätte.«

»Ich –?!« fuhr Graf Luszina auf.

»Vetter Sandor?« fragte Comtesse Laura.

»Unsinn!« rief Luszina in steigendem Zorn.

»Hatten Sie nicht, in der freundlichen Absicht, mir einen Besuch bei der Frau Bärin auf ihrem Grund und Boden unmöglich zu machen, die alte Dame durch Hunger in eine doppelt menschenfeindliche Stimmung versetzen lassen?«

»Ich habe allerdings verboten –«

»O, das war sehr böse von Ihnen, Vetter Sandor,« sagte Comtesse Laura mit einem strafenden Blick der Entrüstung auf den Grafen.

»Nun wohl,« fuhr Gallenberg fort, »das eben machte mir die Sache möglich.« –

»Baron Gallenberg,« fiel hier Frohn ein, »ließ nun der Bärin ganz einfach ein tüchtiges Stück Fleisch an dem einen Ende des Zwingers über der Nase tanzen und machte damit ihre mütterlichen Gefühle für ihre Jungen in den Hintergrund treten. Während sie sich also pflichtvergessen den Impulsen ihres glücklicher Weise grausam geschärften Appetits hingab, stieg Baron Gallenberg an dem entgegengesetzten Ende mittelst einer guten Leiter in den Zwinger hinab, packte sich eines der Jungen und holte es herauf. Sie sehen, Dank Ihrer vorbereitenden Hilfe, Graf Luszina, war es nun kein Wunder mehr, daß es gelang, wenn ich auch durchaus nicht zweifle, daß Baron Gallenberg nicht auch Wunder zu verrichten im Stande ist, um Comtesse Laura's schöner Augen willen.«

»Verdammt – infam,« flüsterte Graf Luszina, beinahe erstickt von seiner Wuth.

»Aber das arme Thier – wie ist es geknebelt!« rief jetzt Comtesse Laura aus. »Stenyi, trag' es gleich in's Schloß und bring es da in irgend einem Käfig oder Verschlag unter –«

»Stenyi,« schrie der Graf auf, »Du hast der Bärin also Fleisch gegeben – ich hatte Dir verboten –«

Frohn trat zwischen ihn und den Unglücklichen, auf den seine Wuth sich zu entladen drohte.

»Stenyi,« sagte er, »hat Ihre Befehle in nichts übertreten, Herr Graf – er hat der Bärin das Fleisch nur gezeigt, nicht gegeben; übrigens hat er mein Ehrenwort als Soldat erhalten, daß ihn keine Verantwortlichkeit treffen würde; ich muß sehr bitten, dies zu berücksichtigen, Herr Graf von Luszina.«

Frohn sagte das mit einem Tone und mit einer Haltung, von der er gewiß war, daß sie ihres Eindrucks nicht verfehlte. Graf Luszina, so zornig er war, wandte scheu die Blicke vor der mächtigen, drohend aufgereckten Gestalt des Officiers zur Seite.

Unterdeß hatte Stenyi den Bären wieder aufgenommen, um ihn in's Schloß zu tragen.

Comtesse Laura nahm rasch den Arm des Barons, und ihn fortziehend sagte sie:

»Kommen Sie, Vetter Ferdinand, erzählen Sie mir Alles ausführlich, und dann helfen Sie mir sorgen, daß wir das prachtvolle junge Thier gut unterbringen, ich bin so froh, daß ich es habe; es ist prachtvoll; ich will es zähmen lassen; in Uj-Szöny, meinem Schlosse, soll es dann im Hofe umhergehen. Kommen Sie.«

Beide folgten Stenyi nach, und während die Officiere sich anschickten, ebenfalls ihren Weg weiter fortzusetzen, machte der Graf Luszina eine brüske Wendung und schlug ohne Abschiedsgruß den Weg die Allee hinauf ein. Er ging zum Bärenzwinger, wie um den Schauplatz des Abenteuers zu inspiciren.

»Dir blüht für heute noch eine kleine Ueberraschung und Freude!« murmelte Frohn zwischen den Zähnen, indem er ihm lächelnd nachsah.

»Mein Herr Luszina Sandor will sich vermuthlich jetzt selber in dem Zwinger häuslich einrichten,« spottete Rittmeister Treißam ihm nach, »um seine Sammlung komplet zu erhalten!«


6.

Es war nach der Mittagstafel, an der heute nur die Dame vom Hause, Comtesse Laura, und Baron Gallenberg Theil genommen, denn Graf Luszina hatte sich gleich, nachdem er vom Bärenzwinger zurückgekommen, auf's Pferd geworfen, und war fortgeritten auf ein ihm gehörendes Vorwerk, wo er Geschäfte hatte, wie die Stallleute nach seiner Angabe erzählten, denn verabschiedet hatte er sich von Niemand im Schlosse.

Comtesse Laura war nach Tische in die Stallungen hinabgegangen, um nach ihrem Bären zu sehen; er war sehr gut untergebracht in einem leeren Pferdestand, wo man ihm ein Halsband umgelegt und ihn mit einer leichten Kette befestigt hatte. Sein Heimwehgefühl, nach den schützenden Armen seiner trauernden Mutter, drückte er in höchst energischen Tönen voll Unwillen über die ihm widerfahrene Behandlung aus; dies verhinderte ihn jedoch nicht, das Futter, welches ihm gereicht worden, bereitwillig entgegen zu nehmen und sonst alle Zeichen des Wohlbefindens zu geben.

Comtesse Laura hatte seinen Bewegungen und gelegentlichen Kletterversuchen die steilen Breterwände hinauf lange mit Vergnügen zugesehen, dann kehrte sie in's Schloß zurück. Als sie oben in den Wohnsalon trat, fand sie Gallenberg auf dem Balkon, der über dem Schloßportale angebracht war, sitzen; er rauchte aus einer kleinen türkischen Pfeife und blies nachdenklich die blauen Wölkchen des ungarischen Krauts in die warme Sommerluft.

Comtesse Laura trat zu ihm und lehnte sich auf die Brüstung des Balkons.

»Sie haben sich da in Ihrem Sessel hingestreckt wie ein Türke, mit Ihrem duftenden Tschibuk,« sagte sie.

»Finden Sie das, Laura? nun ja, ich mache eben Vorstudien.«

»Vorstudien? Worin, wozu?«

»Zum Türken!«

»Wollen Sie denn ein Renegat werden?«

»Kann man nicht auch ein christlicher Türke sein?«

»Sie?!«

»Christ beim Tokayer, Türke bei den Frauen!«

»Um Gottes Willen,« lachte das junge Mädchen laut auf, »Vetter Ferdinand, ich kenne Sie gar nicht mehr. Sie sind ja schrecklich demoralisirt! Wer hat Sie plötzlich so schauderhaft verdorben?

»Sie ganz allein, Comtesse Cousine.«

»Ich?«

»Nun ja, Sie, Laura; denn sehen Sie, seitdem ich Sie sah, habe ich mein Herz an Sie verloren – lachen Sie nicht so grausam spöttisch dazu, – und da habe ich alle meine Reste von Moralität zusammen genommen, um als sanfter, bescheidener, wohlerzogener junger Cavalier Ihr Herz zu gewinnen. Ich habe aber schmählich damit Schiffbruch gelitten. Ich habe gesehen, daß man bei Euch Ungarinnen viel mehr ausrichtet, wenn man Euch einen Bären fängt, als wenn man die schönsten und brillantesten Vorzüge des Geistes und des Gemüths entwickelt.«

»Das muß ich gestehen,« lachte Laura wieder auf, »Sie sind in bescheidener Laune. – Fahren Sie fort. – Ihr Uebermuth fängt an mich zu amüsiren.«

»Sehen Sie wohl – das ist's ja gerade, was ich voraussah, – jetzt als Türke amüsire ich Sie.«

»Wie so als Türke?«

»Nun, weil ich beschlossen habe, die Erkenntniß zu benützen, daß der Mann auf gut türkisch mit den Frauen umgehen muß im Gefühl seiner Ueberlegenheit über sie.«

»Lieber Cousin Ferdinand, so lächerlich Sie in diesem Augenblicke auch sind, so haben Sie darin nicht ganz unrecht Wir Frauen lieben auch die Ueberlegenheit des Mannes; nur haben Sie die Güte, sich dabei eine kleine Bemerkung hinter's Ohr zu schreiben.«

»Und welche könnten Sie mir dabei machen, die ich nicht längst viel gründlicher und tiefer überdacht hätte?«

»Vortrefflich! Sie werden immer übermüthiger!«

»Ich erlaube Ihnen, Ihre kindlichen Ansichten weiter zu entwickeln,« fuhr Gallenberg fort. »Sprechen Sie ohne Scheu, es wird mich jedenfalls erheitern, und da die Frauen ja nun einmal unzurechnungsfähig sind, so werde ich Ihnen auch über nichts zürnen.«

»Immer besser, – soll ich meine Unzurechnungsfähigkeit nicht dazu ausbeuten, Ihnen ungestraft einige tüchtige Schläge zu geben?«

»Weßhalb nicht, – Montaigne sagt, – vielleicht auch sagt es Rabelais, aber das ist ganz einerlei …«

»Das wird etwas Schönes sein, was Einer dieser beiden Bösewichte sagt, und was Sie Ihrem Gedächtnisse eingeprägt haben!«

»Er sagt, er achte den Mann nicht, der, mit einer schönen Frau allein, nach einer Viertelstunde nicht entweder einen Kuß oder eine Ohrfeige von ihr erhalten habe.«

»Soll ich Sie in Montaigne's Achtung wieder herstellen, Vetter?« fiel Comtesse Laura, scherzhaft drohend ihre Hand erhebend, ein.

»Es ist noch nicht nöthig, Cousine, denn wir sind noch keine Viertelstunde allein, warten Sie erst den Verlauf derselben ab.«

»Sie werden immer abscheulicher!«

»Kommen wir zur Sache zurück die Rede war an Ihnen,« versetzte lächelnd Gallenberg.

»Ich wollte Ihnen ganz einfach bemerken, daß die Frauen allerdings die Ueberlegenheit gern anerkennen, wenn sie da ist – daß das aber eben nothwendig dazu gehöre.«

»Die Ueberlegenheit ist immer da!«

»In der That,« versetzte sie ironisch, »dann müssen Sie gestehen, daß sie bei den meisten Männern mit der Tarnkappe bedeckt ist, man sieht sie nicht!«

»Der Frauen Verstand ist dazu zu kurz, sie zu sehen.«

»Meiner war freilich zu kurz, um zu sehen, um nur zu ahnen, was für Bosheiten in Ihnen stecken. Aber ich merke jetzt, Sie sind gerade ein so unausstehlicher Bär –«

»Ich bin ein Bär? Dann behaupten Sie auch wohl, daß ich meinen heutigen Erfolg nur meinen Familienverbindungen verdanke?«

Comtesse Laura lachte hell auf.

»Das ist ein bitteres Wort von Ihnen, gnädigste Cousine,« fuhr der junge Mann fort; »damit ist aller Effekt, den ich auf Ihr widerspenstiges Herz gemacht haben könnte, dahin – ich muß auf andere Beweise meiner männlichen Ueberlegenheit denken.«

»Das wird Ihnen schwer werden!«

»Weßhalb? Setzen Sie mir ein großes Ziel, etwas, das es Ihnen beweist –«

»Um einer unzurechnungsfähigen Person willen wollen Sie sich solche Mühe machen?«

»Nun ja – muß ich es nicht? Ein Mann würde meine verborgenen Gaben ohnehin zu schätzen wissen, – aber Sie, Cousine Laura, Sie –«

»Mein Verstand ist zu kurz dazu!«

»Richtig, und verlangt Beweise.«

»Ich verlange gar nichts von Ihnen, Vetter Ferdinand!«

»Und ich desto mehr von Ihnen!«

»Ist etwa die Viertelstunde abgelaufen, wo es Zeit wird,« erwiderte Laura ihre Hand erhebend.

»Ich glaube ja,« versetzte der junge Mann, erhob sich und schlang seinen Arm keck um die Taille seiner schönen Cousine.

»Vetter!« rief diese aus, ihn abwehrend, »ich rathe Ihnen, bleiben Sie vernünftig.«

»Bin ich das nicht?«

Er hielt, während er die Linke um ihre Taille gelegt hatte, mit der Rechten ihre ihn abwehrende Hand fest.

»Lassen Sie mich augenblicklich los,« – rief sie aus, »sehen Sie nicht, daß dort Leute herankommen!«

Ferdinand warf einen Blick über den Schloßhof.

»Ich sehe nur ein paar Hunde sich in der Abendsonne wärmen,« sagte er, »es ist ihnen vollständig gleichgiltig, was wir thun, – aber dort in der Allee, da kommen allerdings Leute – Cousine Laura!« rief er plötzlich mit einem merkwürdigen Tone von aufjubelnder Freude aus, »wenn Sie dulden, daß ich jetzt in Montaigne's Augen meine Ehre rein wasche, so schenke ich Ihnen auf der Stelle das, was Sie am meisten wünschen!«

»Daß Sie auf der Stelle der Henker hole, das wünsche ich am meisten!« rief Gräfin Laura sich loswindend.

»Boshafte Cousine!« versetzte Baron Gallenberg, schmollend ihre Hand fortschleudernd – »aber es ist gut so – ich verlange nichts mehr von Ihnen gar nichts – ich bin die reinste völligste Uneigennützigkeit – und doch thu' ich meinen Zaubergeistern nicht Einhalt, die ich eben bereits, bevor noch Ihr grausames Wort fiel, gerufen hatte, denen ich befohlen, Ihnen zu bringen, was Sie am meisten von allen Dingen erfreuen würde.«

»Was heißt das nun wieder, Vetter Ferdinand?« fragte Laura wie beschwichtigend.

»Was kann es heißen, als was die Worte sagen: ich glaubte, daß Sie den Vertrag annehmen würden, den ich eben Ihnen bot – einen Kuß gegen das theuerste Kleinod, welches Sie wünschen möchten – ich drehte meinen Zauberring.«

»Den dort?« sagte Comtesse Laura spöttisch auf den Siegelring an Gallenberg's Hand deutend.

»Diesen hier und dabei gab ich meinen Geistern ihre Befehle, auf der Stelle herbeizuschaffen, was Gräfin Laura's Herz sich wünscht. Den Kuß bekomme ich nicht …«

»Den bekommen Sie nicht, Vetter Ferdinand,« fiel triumphirend und spottend das junge Mädchen ein.

»Und nun laß ich groß- und edelmüthig dennoch meine Geister ausführen, was ich ihnen einmal aufgetragen. In der That, in bin begierig was es sein wird – neugierig, woran Ihr Herz am meisten hängen kann.«

»Davon werden Ihre Geister viel wissen!«

»Nun, wir werden es ja sehen – schauen Sie nur hin, Comtesse Laura« – er wies auf das Gitterthor des Schloßhofes, dem sich, durch die Allee heraufkommend, ein Reiter, welcher ein mit einer leichten Decke verhülltes Pferd am Zügel führte, nahte.

»Man bringt ein Pferd.«

»Ein Pferd also, das ist Ihres Herzens höchste Sehnsucht?«

»Ach, lassen Sie mich geh'n mit Ihren Geistern und Ihrem Geplausch von Sehnsucht.«

»Es ist für Sie, Laura, ich sage es Ihnen ja!«

»Sie sind unausstehlich – ich will nichts mit Ihnen mehr zu schaffen haben, weder mit Ihren Geistern noch mit Ihren Pferden.«

Sie wollte sich abwenden.

»Bleiben Sie, Laura, bleiben Sie, mit meinen Pferden sollen Sie nichts zu schaffen haben, es ist das Ihre, was dort gebracht wird und wenn ich die Geisterwelt mit der Mühe, die es ihr gemacht haben wird, es herbeizuschaffen, incommodirte, so sollen Sie es wenigstens ansehen.«

Der schönen Gräfin Aufmerksamkeit wurde jetzt in der That durch das Pferd gefesselt; sie sah gespannt auf das leicht und graziös einherschreitende Thier, welches noch von dem Reiter an seiner Seite halb verdeckt wurde – dieser nahte dem Portal des Schlosses, machte eine Wendung um abzusteigen, und –

»Vetter, was ist das?« rief Gräfin Laura überrascht aus, das ist ja solch' ein Mohrenkopf, gerade solch ein Thier, wie ich es im Marstall in Wien sah, und mir so sehr wünschte.«

»Haben Sie sich damals das Pferd im kaiserlichen Marstall gewünscht, so muß es auch dasselbe sein, und nicht blos gerade ein solches – oder meine Geister thäten ihren Dienst nicht!«

»Dasselbe?« rief das junge Mädchen staunend aus – »ich glaube beinahe selbst!«

Sie vollendete nicht, sie verschwand von dem Balcon, flog durch das dahinterliegende Gemach und eilte durch das Schloß auf den Hof hinab.

Gallenberg folgte ihr, selbst in nicht geringer Aufregung.

Er fand sie schon draußen neben dem Pferde stehend, dem der Reiter, der es gebracht, eben die Decke abgenommen hatte.

»Es ist dasselbe, dasselbe Thier,« jubelte sie, außer sich vor Freude und Ueberraschung, und eilte Gallenberg wieder entgegen. »Vetter Ferdinand, wie haben Sie das möglich gemacht?«

»Für Sie mache ich Alles möglich, Laura!«

»Ich will es wissen, wie war Ihnen das möglich, damit ich nicht zu glauben brauche, es ist ein Traum.«

»Es ist kein Traum, Cousine, es ist dasselbe Pferd, welches Sie wünschten und es ist Ihr Eigenthum. Die Träume, wissen Sie, sind leider nur meine Domaine, Ihnen gehört das Reich der Wirklichkeit.«

»Das war schön gesagt,« versetzte sie ihn halb schelmisch, halb mit einer zärtlichen Innigkeit anblickend vielleicht bringen Ihnen die Träume nächstens auch etwas Wirkliches.

Und dann eilte sie zu dem Pferde zurück und streichelte ihm die schwarze Stirn und den schlanken weißen Hals.

»Ich beginne demüthig an Ihre Ueberlegenheit zu glauben, Ferdinand,« wandte sie sich wieder lachend an den Vetter.

Das Pferd wurde jetzt von herbeikommenden Knechten in Empfang genommen.

»Stellt es neben meinen Bären ein,« sagte Comtesse Laura und folgte ihm, während sich Gallenberg zu dem Manne, der es gebracht hatte wandte und ihm ein Goldstück in die Hand drückte.

»Woher kommt Ihr?« fragte er diesen

»Habt Ihr das Pferd aus Wien gebracht?«

»Ich? nein, blos aus dem Dorf drüben, aus Luszina, Ew. Gnaden.«

»Und dort?«

»Dort hat ein Wachtmeister von den Husaren mich mit dem Pferd hierher gesandt für den Baron Gallenberg, Ew. Gnaden.«

Gallenberg begriff, weßhalb dies Arrangement. Frohn hatte vorsorglich verhüten wollen, daß sich, mit wessen Hilfe das Pferd herbeigeschafft worden, der Comtesse Laura gleich verrathe.

Der Bote schlug den Rückweg nach dem Dorfe ein, und Gallenberg folgte Laura nach den Stallungen.

»Es ist merkwürdig,« rief ihm diese von der Thüre her heiter entgegen, »nun habe ich heute von Ihnen einen Bären und ein Pferd bekommen, wenn das so fortgeht, wird eine ganze Menagerie daraus!«

»Wär' das nicht hübsch? zunächst, Laura, denke ich, nehmen Sie mich selber als Ihren Löwen.«

»O nein,« lachte sie, »als Löwe kann ich Sie nicht brauchen – vielleicht, wenn Sie gesagt hätten …«

»Nun was? Etwa als Phönix?«

Sie gab ihm einen leichten Schlag mit der Hand und entschlüpfte ihm, um ihrem Mohrenkopf nachzueilen.

Hinter ihnen auf dem Schloßhofe wurden Hufschläge laut; als Gallenberg sich wandte sah er, daß Graf Luszina Sandor heimkehrend eben in den Hof einritt. Er lenkte sein Pferd ebenfalls dem Stallgebäude zu, sprang ab und warf seinem Reitknecht die Zügel hin.

»Ah Gallenberg,« sagte er, »haben Sie den ganzen Tag hier in der Stallung zugebracht, um Ihren Bären zu pflegen, und sich Ihrer Heldenthat zu freuen?«

»Das nicht, Vetter Sandor,« versetzte der junge Mann – »Comtesse Laura hat mir die Gnade erwiesen, ein Pferd, welches sie sich gewünscht hat, und das eben angekommen ist, von mir anzunehmen, wollen Sie es sehen, Vetter?«

»Ein Pferd, von Ihnen, Gallenberg? ei zum Teufel, Sie sind ja in einer sehr generösen Laune heut, ich meine, Cousine Laura wird sich vor dem Uebermaß Ihrer Geschenke bedanken – sie kann für ihren Bedarf an Pferden mich als ihren Vormund oder ihre Leute sorgen lassen!«

»Diese würden ihr dies Pferd aber nicht haben verschaffen können, Vetter Sandor, und Sie auch nicht,« entgegnete Baron Gallenberg – »ich hoffe, Sie schlagen mir nicht ab, einen Blick darauf zu werfen.«

Graf Luszina trat in die Stallung ein, wo ihm Comtesse Laura mit jubelnder Stimme entgegenrief:

»Hierher, Vetter Sandor, hierher – sehen Sie diesen prachtvollen Mohrenkopf – Vetter Ferdinand behauptet, es sei der, den wir zu Wien sahen, – aber ich kann es nicht glauben, auch scheint mir dies Thier noch schöner zu sein!«

Luszina trat herein – als er das Pferd sah, wurde er bleich wie die Wand. Er stand wie an den Boden geheftet.

»Laura«, fuhr er dann auf – »das ist ein Geschenk – Sie werden das Pferd von Gallenberg nicht annehmen.«

»Nicht annehmen? weßhalb nicht? Sie wissen, wie verliebt ich in Wien damals in das Thier wurde.«

»Sie werden es nicht annehmen, weil ich ein solches für Sie« – er stockte, da ihm trotz seiner Entrüstung doch einfallen mochte, daß, was er sagen wollte, keinen Grund für das junge Mädchen bilden konnte, Gallenberg's Geschenk abzulehnen, »weil ich Sie darum bitte,« schloß er deßhalb.

»Aber Vetter Sandor, seien Sie vernünftig!«

»Ich will es nicht,« schrie Luszina im hellsten Zorn auf und stampfte sporenklirrend den Boden.

»Es thut mir leid,« entgegnete das junge Mädchen erschrocken zurückweichend und an Gallenberg's Seite wie Schutz suchend vor dem erbosten Mann – »ich habe es schon angenommen, und kann doch jetzt mein Wort –«

Graf Luszina stieß einen furchtbaren Fluch aus, der ihre Worte unterbrach, und sich zu Gallenberg wendend, schrie er:

»Scheeren Sie sich zum Henker mit Ihren Galanterien, Gallenberg, – ich werde ihnen ein Ende zu machen wissen, – ich dulde sie nicht mehr – am wenigsten in meinem Hause.«

Gallenberg war im Begriff eine zornige Antwort zu geben, aber Comtesse Laura hing sich an seinen Arm und:  –

»Um Gotteswillen – schweigen Sie – mir zu Liebe – Ferdinand« flüsterte sie mit einem Tone, dem am wenigsten der, welchem ihre Stimme nie noch so weich und innig getönt hatte, widerstehen konnte.

Er schwieg.

»Sie haben mich verstanden!« schrie Luszina, sich auf dem Absatz herumdrehend, und nun aus dem Stall fortstürmend.

Laura hielt noch immer Gallenberg's Arm gefaßt.

»Sie haben mir viel zugemuthet, Laura,« sagte Gallenberg tief aufathmend und mit von Zorn bebenden Lippen – »ihm feig zu erscheinen!«

»Ich bin auch dankbar dafür, daß Sie sich so beherrschten,« versetzte sie, mit einem bezaubernden Lächeln und einem beredten Blick zu ihm aufschauend – »mehr noch als für – die Menagerie!«

Ihre Stirn schwebte so nah seinem Munde, ihr Blick war so berauschend – er vergaß die Welt um sich her, und drückte einen heißen Kuß auf diese schöne Stirn.

»Um Gotteswillen,« flüsterte sie über und über erröthend – »denken Sie denn nicht, daß man uns steht!«

»Ich denke nicht daran und es kümmert mich nicht, Laura!«

»Ich fürchte mich zu Tode vor dem Vetter Sandor, von diesem Augenblick an,« sagte Laura; »das ist ja ein entsetzlicher Mensch – ich möchte gleich meinen Mohrenkopf besteigen und vor ihm in's Weite flüchten!«

»Das brauchen Sie nicht, Laura, ich werde mit ihm reden und –«

»Um Gotteswillen, was wollen Sie thun?«

»Mich mit ihm auseinandersetzen.«

»Das duld' ich nicht, das duld' ich durchaus nicht,« rief sie aufwallend aus.

Gallenberg hatte sie unterdeß auf den Hof und dem Schlosse zugeführt.

»Verbieten Sie mir es?«

»Ja – ich will es nicht – Sie sollen bedenken, daß er mein Vormund ist, daß –«

»Laura,« fiel der junge Mann bewegt ein, »daß er Ihr Vormund ist, weiß ich sehr wohl, und ich brauche wahrhaftig nicht daran erinnert zu werden, daß es mein höchstes Interesse ist, ihn zu schonen, statt mit ihm zu rechten. Aber Sie können nicht verlangen, daß ich auf diese Stimme des Interesses höre, wenn am Ende doch nur für mich dabei herauskommt, daß ich mit krankem Herzen und verwundeter Ehre zugleich vom Schloß Luszina abziehe. Geben Sie mir die Versicherung, Laura« – er sprach flehentlich und tief bewegt, »daß das nicht der Fall sein wird – eine Versicherung, die Sie berechtigt, von mir unbedingten Gehorsam zu fordern, wenn Sie nicht wollen, daß wir uns die Hälse brechen, wenn Sie wollen, daß ich Ihren Herrn Vormund respectire.«

Er hielt ihre Hand gefaßt, während er so sprach. Sie erröthete tief und entzog ihm diese Hand hastig wieder.

»Oho, Vetter Ferdinand,« antwortete sie, schelmisch lächelnd. »Sie glauben, weil Sie Ihren Mohrenkopf vorgespannt haben, jetzt sehr schnell fahren zu können – so leicht ergibt sich eine stolze Ungarin nicht einem Türken!«

Damit entschlüpfte sie ihm und eilte jetzt wieder lachend die hohe Schloßtreppe hinan, um im Innern zu verschwinden.

Baron Gallenberg folgte ihr in freudigster Aufregung – er hatte da einen kleinen Korb bekommen, in welchem doch das offenbarste, schönste ja in schelmische Worte eingewickelt auf dem Boden lag – was kümmerte ihn nun Luszina's Groll und Grimm – wenn er auch deßhalb gezwungen war, das Schloß zu verlassen! – Er konnte freilich jetzt unmöglich länger die Gastlichkeit dieses Hauses sich gefallen lassen, und das war in diesem Augenblick allerdings sehr schlimm; denn es war ja wieder geradezu unmöglich für ihn, zu gehen und dem Augenblick des Glücks, der so nahe war, den Rücken zu wenden!

Gallenberg beschloß endlich zu seinem Freunde und Gönner, dem Oberstwachtmeister hinüberzugehn und ihm sein ganzes volles Herz auszuschütten.

Er fand Frohn in seinem Zimmer am Fenster stehn – es herrschte schon tiefe Dämmerung darin.

»Herr von Frohn,« sagte der junge Mann, indem er seinem Gönner die Rechte hinstreckte – »wie soll ich Ihnen danken – Sie haben an mir mehr gethan wie ein Vater an seinem Sohne.«

»Ich habe es schon bemerkt,« antwortete lächelnd Frohn, »Sie haben in der Gunst Ihrer Dame wunderbare Fortschritte gemacht – ich denke mir, wenn Sie nun glücklicher Gemahl der schönen Gräfin sind, so lassen Sie sich ein Allianzwappen machen, worin auf der einen Seite ein Bär und auf der andern ein Mohrenkopf als Schildhalter stehen.«

»In der That,« entgegnete Gallenberg, »für das Allianzwappen wäre gesorgt, wäre nur die Allianz auch erst zu Stande gebracht.«

»Sie hegen noch Sorgen? habe ich Sie nicht eben von meinem Fenster aus im zärtlichsten Tète à Tète, Hand in Hand mit Comtesse Laura gesehen?«

»Auch das ist richtig und ich glaube in der That – aber weshalb sind Sie nicht in den Hof gekommen, um das königliche Geschenk, das ich Ihnen verdanke, anzusehen?«

»Weil ich eben im Hintergrund bleiben mußte, das begreifen Sie doch.«

»Sie hätten sich aber doch der Wirkung Ihres Geschenkes mit mir erfreuen können – und dann wären Sie zugleich auch Zeuge der Wirkung geworden, welche Ihr Pferd auf den Grafen Luszina machte.«

»Mich dessen zu berauben,« antwortete Frohn lächelnd, »das hat mir allerdings einige Ueberwindung gekostet – wie nahm er die Ueberraschung auf?«

»Mit einem Zorn, der ihn verleitete, die beleidigendsten Worte gegen mich auszustoßen.«

»Wirklich beleidigend?«

Gallenberg wiederholte ihm die Unterredung.

»Das ist allerdings so, daß Sie gezwungen sind, Luszina zu verlassen, mein lieber Freund.«

»Nicht wahr?« fiel Gallenberg niedergeschlagen ein.

»Und das ist sehr schlimm.«

»Es ist mir ganz entsetzlich – gerade jetzt!«

»Und mir ebenfalls höchst unangenehm.«

»Ihnen?«

Frohn antwortete eine Weile nicht, dann hob er wieder an:

»Es geht nicht – Sie dürfen das Schloß in diesem Augenblicke nicht verlassen.«

»Ich darf es nicht!« wiederholte mit einem Seufzer Gallenberg.

»Sie müssen Ihr Glück bei Gräfin Laura verfolgen.«

»Wer sieht das mehr ein, als ich selbst!«

»Und Sie müssen mir beistehen!«

»Ihnen beistehen? Wozu?«

»Hören Sie, Baron Gallenberg, ich will offen mit Ihnen reden – aber zuvor lassen wir uns auf den Divan dort nieder und nehmen Sie eine Herzstärkung auf die Aufregungen dieses Tages. – Oedy Laszlo, der Aufmerksame, hat hier einige Flaschen guten Rusters in dem Wandschrank deponirt, die uns bei unserem Kriegsrath beistehen sollen.«

»Also einen Kriegsrath gibt es?«

»Sie sollen gleich hören!«

Frohn holte Flaschen und Gläser herbei, stellte sie auf den Tisch vor den Diwan und zündete ein paar Kerzen an, die auf einem Spiegeltisch standen, dann schloß er die Thüre ab.

»Sie sagten vorher,« begann er dann, nachdem er die Gläser gefüllt, »ich hätte wie ein Vater an seinem Sohne gegen Sie gehandelt. Halten Sie meine Handlungsweise für ganz uneigennützig?«

»Das that ich vielleicht nur mit ein wenig Schadenfreude gegen Graf Luszina versetzt und gemischt.«

»Dani irren Sie – ich habe so gehandelt, weil ich von Ihnen einen Gegendienst geleistet haben wollte, wie ihn ein Sohn seinem Vater leistet.«

»In der That? dann reden Sie,« rief Gallenberg aus, »was könnte mir willkommener sein, als die unermeßliche Schuld der Dankbarkeit, welche auf meinem Herzen liegt, abzutragen. – Befehlen Sie über mich!«

»Gemach, gemach, junger Freund! Sie werden vielleicht anderer Meinung, wenn Sie gehört haben, um was es sich handelt – es ist kein Kinderspiel!«

»Davon bin ich überzeugt, wenn es etwas ist, was einen Mann wie Sie beschäftigt.«

»Hören Sie mir zu – Sie sind ein guter Deutscher – ein treuer Vasall Ihres Kaisers und Herrn –«

»Das hoffe ich, bei Gott!«

»Sie haben den Lehnseid geschworen, sein Bestes zu wahren, seinen Schaden zu wenden, wo und wie Sie es können.«

»Das habe ich, und werde es halten, wenn es mich den letzten Blutstropfen kostet.«

»Vielleicht, mein junger Freund,« antwortete Frohn mit ernstem Lächeln, »handelt es sich bei der Sache gerade um den viel mehr als Sie denken.«

»Um meinen letzten Blutstropfen?«

»Sie sehen mich mit großen Augen an – ja, ja, es ist so – doch nein, ich will nicht gleich das Aeußerste voraussetzen. Hören Sie, Sie waren lange genug hier in Luszina, um des Grafen Umgang kennen zu lernen.«

»In der That!«

»Es sind ein gutes Dutzend benachbarter Edelleute, die bei ihm aus- und einzuschwärmen pflegen.

»Wie es hier in Ungarn Sitte ist.«

»Nun ja, es gibt jedoch hier in Ungarn noch andere Sitten, und eine sehr böse ist darunter.«

»Sie meinen?

»Die Untreue gegen den Herrn. Solch ein ungarischer Edelmann ist wie ein amerikanischer Wilder. Bevor dieser nicht in einem Kriegszug gewesen, und einem Feinde den Schopf abgezogen hat, hält er sich für keinen Mann. So scheint ein ungarischer Edelmann sich nicht reif und voll, bevor er nicht bei irgend einer Rebellion wider seinen König und Lehensherrn eine Rolle gespielt und den Säbel gegen ihn gezogen hat.«

»Leider,« sagte Gallenberg, »die Meuterei steckt ihnen einmal im Blute.«

»Und glauben Sie, daß im Blute dieses Luszina nicht auch das Gift stecke?«

»Ich habe nur bemerkt, daß sehr viel Gift in seinen Worten liegt, wenn die Rede auf politische Verhältnisse kommt und daß er alsdann seine Freunde wo möglich an Rodomontaden überbietet – allein.«

»Sie haben nicht gemerkt, daß er und sein Freund sich mit Worten nicht begnügen, sondern auch Thaten vorbereiten?«

»Das hab' ich wirklich nicht bemerkt!« fiel Gallenberg ein.

»Und doch ist es so. Sie wissen also nichts von gelegentlichen geheimen Berathungen in dem Thurmgemach unten?«

»Nichts – keine Silbe!«

»Man sieht, daß Sie verliebt sind, Baron Gallenberg.«

»Oder daß Sie irrig berichtet, daß Sie von Jemand hintergangen sind.«

»Nein, nein – ich weiß was ich behaupte, mein junger Freund, und eine solche Versammlung, wo man hochverrätherische Dinge spinnt, wird morgen Abend stattfinden.«

»Ich falle aus den Wolken – was, um Gotteswillen beabsichtigt man denn – was ist der Zweck?

»Der ganz einfache Hochverrath!«

»Gegen den Kaiser?«

»Gegen den apostolischen König und das Gesetz, welches die Thronfolge ordnet.«

»Unglaublich!«

»Und doch wahr.«

»Aber beim Himmel, woher wissen Sie, Sie, Oberstwachtmeister, das Alles?«

»Ich weiß es – sei Ihnen das für den Augenblick genug – ich habe die Beweise für das, was ich Ihnen sage, in Händen gehabt.«

»Für einen Plan, eine Insurrection zu machen, die die Aenderung der Thronfolge zum Zwecke hat?«

»Für eine Insurrection vielleicht; zunächst geht man darauf hinaus, eine hinreichende Anzahl von Theilnehmern zu gewinnen, um den Landtag zu terrorisiren und auf demselben einen Beschluß durchzusetzen, daß das Thronfolgerecht nach dem Tode der Kaiserin auf deren zweiten Sohn, den Erzherzog Leopold, dem, wie Sie wissen, Toskana bestimmt ist, übergehen soll – nicht auf den rechten Thronerben, den römischen König Joseph, dessen erleuchtetes Streben nach Reformen, dessen Eifer für Menschlichkeit und Gerechtigkeit in den öffentlichen Institutionen, dessen warmes Herz für die Unterdrückten und Mißhandelten diese Edelleute hassen, wie die Pest und das Uebel.«

»Das sind ja ganz entsetzliche Dinge, Herr von Frohn –«

»Es ist der Kern dessen, was Graf Luszina betreibt, wozu er die Fäden in der Hand hat!«

»Und das Alles haben Sie erkundet in den paar Tagen, wo Sie hier waren?«

»Ich habe es entdeckt – wie, das ist meine Sache, und damit Ihr Erstaunen Sie nicht ganz überwältigt, nehmen Sie an, daß die stolze Sorglosigkeit und Unbesonnenheit dieser magyarischen Schnurrbärte das Beste dabei gethan hat.«

»Aber das streift ja dennoch an's Wunderbare!«

»Hören Sie weiter, Baron. Ich sagte Ihnen, daß wahrscheinlich morgen Abend wieder ein solches Conventikel stattfindet. Ich bin nun entschlossen, die Sache im Keime zu ersticken. Das aber hat seine Schwierigkeiten. Ich kann nicht einfach das Schloß mit meinen Reitern umzingeln lassen, um die Verschwörer aufzuheben. Ich habe keinen Auftrag dazu. Denken Sie, welch ein Brand in ganz Ungarn entstünde, wenn es hieße, kaiserliche Soldaten hätten das Schloß eines Magnaten überfallen. Wir sind ja eigentlich nur geduldet hier – ich habe nicht einmal ein Recht auf dies Quartier und müßte eigentlich mit den Hütten in dem Dorfe vorlieb nehmen – es ist nur Sitte, daß die Gutsherrschaften die Officiere bei sich aufnehmen, wenn Truppen auf ihrem Grund und Boden cantonniren, ein Recht haben wir nicht.«

»Aber so senden Sie nach Wien um Verhaltungsbefehle!«

»Dann läuft meine Botschaft durch ein halb Dutzend Hände und braucht einen Monat, bevor der Bescheid kommt – dann sind unsere Leute längst gewarnt und Alles ist zu spät – ich muß hier handeln, auf dem Fleck, und offen gestanden, es ist auch eine kleine persönliche Liebhaberei dabei, die mich zum Handeln treibt – es liegt das so in meiner Natur.«

»Den Hals zu wagen?«

»Wenn Sie's so nennen wollen, ja.«

»Was haben Sie vor?«

»Alles ohne Aufsehen, ohne Beistand meiner Leute und so zu vollbringen, daß dies unruhige Volk nicht über irgend eine Verletzung seiner curiosen und so wunderlich verclausulirten Constitution schreien kann – ich will bei der ganzen Sache nur meine eigene Haut zu Markte tragen, und will nur Einen Gehilfen dabei, der zugleich später als mein Zeuge für mich eintreten kann.«

»Und der soll ich sein?«

»Sie, Baron!«

Gallenberg schwieg betroffen.

»Aber,« hub er nach einer Pause an, »wie wird Comtesse Laura das aufnehmen, wenn ich gegen ihre Landsleute auftrete?«

»Ich denke, sie wird nur den Muth, den Sie beweisen werden, bewundern – und ich hoffe, ihre Sympathien stehen jetzt hinlänglich auf Ihrer und nicht mehr auf des Grafen Luszina Seite! Uebrigens haben Sie mir Ihren Beistand schon früher zugesagt, und mir eben versichert, daß Sie ein treuer Unterthan Ihres Kaisers seien!«

»Bei Gott – das habe ich – und ich werde dies Wort nicht widerrufen.«

»Brav so, Gallenberg – schlagen Sie ein – und trinken Sie einmal. Auf ein gutes Ende unseres Anschlags!«

»Den ich ja gar noch nicht kenne!«

»Sie sollen ihn hören.«

Frohn begann jetzt Gallenberg mit leise flüsterndem Tone eine Auseinandersetzung zu machen, welcher diesen auf's Gespannteste zuhörte.

»Ich kann Ihnen nicht verbergen,« sagte der junge Mann darauf, daß mir die Rolle, welche Sie mir bei diesem halsbrechenden Abenteuer zuweisen, keineswegs eine sehr angenehme ist – ich war so lange Luszina's Gast –«

»Das Verhältnis hat er selber heute aufgehoben –«

»Das entbindet mich der Verpflichtungen nicht!«

»Aber Ihre Verpflichtungen gegen Ihren Monarchen sind heiligere, die höher stehen!«

Gallenberg schwieg wie mit sich zu Rathe gehend.

»Nun wohl,« sagte er endlich – »Sie haben Recht, ich will wie ein Mann zu Ihnen stehen im Kampfe wider diese Verrätherei – aber ich kann Luszina's Gast von diesem Augenblicke an nicht länger bleiben.«

»Eigentlich waren Sie nie sein, sondern Ihrer Verwandten, der Gräfin Gast –«

»Die Unterscheidung ist mir zu subtil –«

»Mag sein, aber Sie können doch den morgigen Tag über hier bleiben, Ihre Abreise vorzubereiten. Daß Sie nicht auf der Stelle bei Nacht und Nebel verschwinden, gebietet Ihnen schon die Rücksicht auf die ›Dehors,‹ wie man es nennt. Sie haben gehört, daß ich Sie morgen nöthig habe und so müssen Sie morgen noch bleiben. Außerdem haben Sie sicherlich noch mit Comtesse Laura Verabredungen zu treffen, wie und wo sie sich wiedersehen werden – die Gesellschaft Luszina's können Sie ja meiden, Sie können verschwinden vor den Schaaren seiner ungarischen Freunde, die morgen das Schloß füllen werden.«

»Freilich,« sagte der junge Mann sinnend; die Erinnerung an die Nothwendigkeit, Gräfin Laura wiederzusehen hatte völlig hingereicht, dem Zünglein an der Wagschale seiner Entschlüsse den entscheidenden Stoß zu geben.

Erst spät am Abend trennten sich beide Verbündeten.


7.

Wie das Thereserl es Frohn angekündigt hatte, kam um die Nachmittagsstunde des folgenden Tages und gegen Abend, zu Pferde oder in ihren leichten mit drei schweißbedeckten Rossen bespannten Jagdwagen, ein ganzer Schwarm schnurrbärtiger Cavaliere in Dolmans, Attilas, Canas und bespornten Czismen Dolman: Männerjacke der ungarischen Nationaltracht; Attila: kunstvoll geflochtene ungarische Muscheljacke; Czismen: traditionelle ungarische Stiefel aus feinem Leder. Anm.d.Hrsg. auf dem Hofe von Schloß Luszina an, wo Graf Sandor sie mit lauten und lebhaften Bewillkommnungen empfing, während die ganze Dienerschaft für ihre gut ungarische Bewirthung in Bewegung war, die Pferde unterbrachte, mit den mitgekommenen Kutschern und Reitknechten sich begrüßte und, mit kräftiger Unterstützung der bellenden Hofhunde, das Ihrige that, um den Lärm zu vermehren.

Die Edelleute wurden zunächst in die obern Gemächer des Schlosses geleitet, um die Damen des Hauses zu begrüßen. Dort, oder in den Zimmern des Hausherrn, blieben sie den Abend über. –

Frohn sah von seinen, den Hof beherrschenden Fenstern aus wenig mehr von ihnen – nur zuweilen ließ der Eine oder der Andere sich blicken, über den Hof schreitend, den hier umherlungernden Dienern einen Befehl gebend oder in den Stallungen nach den Pferden sehend; auch Comtesse Laura erschien einmal, umgeben von einer Gruppe von ihnen, und mit denselben in dem Stallgebäude verschwindend – gewiß, um sie ihren prachtvollen Mohrenkopf bewundern zu lassen. Für Frohn's Verpflegung sorgte Oedy Laszlo in gewöhnlicher Weise; zur Gesellschaft wurde Jener nicht gezogen, er hätte es auch abgelehnt, aber Graf Luszina Sandor brachte ihn nicht in diese Nothwendigkeit; er überließ wie die vorhergehenden Tage die kaiserlichen Officiere sich selber – entweder zu stolz die kaiserlichen Kriegsknechte seines näheren Verkehrs zu würdigen, oder aus bleibendem Groll wegen der gewaltsamen Art und Weise wie dieselben sich zum Quartier bei ihm den Eingang erzwungen hatten. Seit dem Stücklein mit dem Bären hatte sich seine Stimmung gegen seine Einquartierung natürlich nicht gebessert – hätte er das Geheimniß des Mohrenkopfes entdeckt, so würde sie wahrscheinlich noch intensiver die Farben des Hasses angenommen haben – aber über die Art und Weise, wie er zu dem Pferde gekommen, darüber ließ Baron Gallenberg sich am wenigsten gegen ihn aus – Luszina hatte diesen ja auch den ganzen Tag über noch mit keinem Auge erblickt – und was Comtesse Laura anging, die hatte heute mit ihm geschmollt und war ihm ausgewichen, wo sie konnte; sie hatte den Morgen über lange Unterredungen mit der Gräfin gehabt in deren Zimmern, und Graf Sandor war nicht der Mann, sich da einzudrängen, über die Schwelle seiner Frau kam der Gebieter von Luszina so selten wie nur irgend möglich. –

Nach dem Abendessen bat Frohn seine Cameraden bei ihm zu bleiben, und bei einer Flasche Wein ein Spiel zu machen. Als vierter Partner nahm Gallenberg Theil, der den Tag über bei ihm aus und ein gegangen war, und auch das Abendmahl der Offiziere getheilt hatte, – doch mit sehr geringem Appetit, wie Frohn, der ihn beobachtete, nicht entging. Desto eifriger forderte er seinen jungen Freund zum Trinken auf, – aber auch dem guten Ruster sprach Gallenberg nur wenig zu – er schien dagegen sehr gespannt auf den Schlag der großen Schloßuhr zu horchen, wenn sie die einzelnen Viertelstunden, jetzt schon durch die größer werdende Stille des späten Abends verkündete.

Sie schlug zehn endlich, die Schloßuhr; nur noch zuweilen hörte man Knechte auf dem Hofe sprechen, einen der Hunde aufbellen, aus den Stallungen herüber eines der Pferde wiehern; sonst war mit dem wachsenden Dunkel der Nacht immer tiefere Ruhe im Schlosse und in seinen Umgebungen eingetreten. Die Dienerschaft saß wohl in irgend einer Gesindehalle bei den Weinkrügen, von der Herrschaften Treiben in den oberen Schloßräumen vernahm man ebenfalls nichts mehr; sie mochten es machen, wie die Dienerschaft unten, denn von dem Lärm, den eine große Gesellschaft beim Aufbruch und dem Abzug in die verschiedenen Schlafräume macht, war auch noch nichts vernommen worden.

Noch eine Viertelstunde verging – dem Rittmeister Treißam, der heute im Verlieren war, begann schon der Schlaf die Augenlichter zu senken, als plötzlich an die äußere, zu Frohn's Wohnzimmer führende Thüre dreimal leise, wie mit schüchternem Finger, geklopft wurde.

Der Adjutant sprang auf, um nach dem Einlaß Begehrenden zu sehen, aber Frohn machte ihm einen abwehrenden Wink mit der Hand. Zugleich erhob er sich.

»Lassen Sie, lieber Hahnbrucker,« sagte er; »der Geist, welcher uns dies Signal gibt, wünscht unsichtbar zu bleiben. Meine Herren, nehmen Sie ihre Waffen. Ich habe eine kleine Expedition hier im Schlosse vor, bei der ich Sie ersuche, mir als Reserve zu dienen! – Sie, Herr Adjutant, befehlen Miklos und Ihrem wie des Rittmeisters Reitknechte – sie werden sie im Stalle bei den gesattelten Pferden auf ihren Posten finden – unsere Thiere mit so wenig Lärm wie möglich an die Schloßtreppe zu führen; dann fassen Sie mit dem Rittmeister Posto in dem Eingangsflur und sorgen dafür, daß uns zu einem etwaigen Rückzuge das Hausthor offen und unverschlossen bleibt; warten Sie dort ruhig bis wir zurückkehren, Baron Gallenberg, der mich begleiten wird, und ich.«

»Was haben's denn vor, Oberstwachtmeister?« fragte der Rittmeister überrascht, während der Adjutant davon eilte, den ihm gewordenen Befehl zu vollziehen.

»Nichts als ein kleines Abenteuer, bester Rittmeister. – Sie sollen vollständige Aufklärung darüber haben, wenn es ausgeführt ist, – unterdeß halten Sie gute Wache!«

Frohn hatte seinen Säbel umgeschnallt, die Bärenmütze aufgesetzt und seine Pistolen zu sich gesteckt; Gallenberg trug nichts als einen starken Galanteriedegen, doch nahm er die zwei Pistolen zu sich, die Frohn für ihn bereit gehalten hatte und ihm jetzt überreichte.

»Wollen's halt wieder Bären fangen?« fragte der Rittmeister, der seine Neugierde, was diese Vorbereitungen zu bedeuten haben konnten, schwer zu bezähmen vermochte.

»Diesmal vielleicht einen für Sie, Rittmeister!« versetzte Frohn lächelnd und schritt jetzt den beiden Anderen vor aus dem Zimmer.

Als man in dem vorderen Hausflur angekommen war, sagte er:

»So, hier ist Ihr Posten, Rittmeister; sogleich wird der Adjutant aus den Ställen zurückkommen und Ihnen Gesellschaft leisten. Die Thüre nach Außen bleibt unverschlossen; sorgen Sie dafür, wegen des äußeren Gitterthors habe ich schon mit Miklos gesprochen.«

Die Schloßthüre war so eben vom Adjutanten beim Hinausgehen von Innen geöffnet worden; sie stand nur angelehnt.

Frohn schritt weiter mit Gallenberg die Treppe hinauf. Als sie oben angekommen waren, wandten sich Beide in den Gang zur Rechten. Der Gang war durch ein paar mattbrennende Wandlichter erhellt. Unter einem derselben standen ein paar messingene, mit Wachskerzen versehene Leuchter.

»Unser kleiner hilfreicher Geist hat seine Schuldigkeit gethan, bemerkte Frohn, indem er einen der Leuchter vom Boden erhob und die Kerze an dem Wandlicht entzündete. Gallenberg folgte seinem Beispiel und ergriff den andern Leuchter.

Am Ende des Ganges links lag die kleine alterthümliche uns bekannte Thüre. Frohn zog seinen Schlüssel hervor und öffnete sie. Dann, nachdem er die Thüre hinter sich geschlossen und den Schlüssel abgezogen, stiegen beide Männer behutsam die schmale Wendeltreppe hinab. Sie hätten kaum bedurft so geräuschlos aufzutreten – schon nach der ersten Wendung vernahmen sie einen lauten Stimmenwechsel und hitziges Durcheinanderreden, welches von Unten heraufscholl; es war so laut und vernehmlich, daß Frohn im ersten Augenblick daraus schloß, die von der Stiege in den Thurmsaal führende Thüre müsse offen stehen. Und doch war dies keineswegs der Fall, die Thüre war geschlossen, nur schimmerte Licht unten über die Schwelle.

Von den Gesprächen, welche drinnen geführt wurden, waren dennoch nur einzelne Worte, Namen und Ausrufe zu verstehen, – das Getöse, welches die Herren mit ihrem Durcheinanderschreien machten, war viel zu groß, um nur einen einzigen Satz zu verstehen.

»Wie die da drinnen auf diesem polnischen Reichstage einander verstehen, ist mir unbegreiflich,« flüsterte Frohn, nachdem er eine Weile horchend stille gestanden. »Kommen Sie, Gallenberg, jetzt an Ihren Posten!«

Baron Gallenberg schritt die Stiege bis an das Ende derselben hinunter, und trat hier in den von Waffen erfüllten Kellerraum. Frohn folgte ihm, und während Jener das Licht auf den langen Schragen stellte, rückte er das früher von ihm geöffnete Pulverfaß herbei, legte den Deckel bei Seite und sagte:

»Spannen Sie Ihr Pistol jetzt. Sie kennen Ihre Rolle. – Ihre Hauptaufgabe ist: Bleiben Sie ruhig, – es wird Alles gut gehen, ich stehe Ihnen dafür.«

Gallenberg nickte blos mit dem Kopfe – er war sehr bleich geworden, aber keiner seiner Züge verrieth, daß er vor der verwegenen Rolle, die ihm geworden, zurückbebe.

Frohn wandte sich und verließ den Raum, um die Treppe leise wieder hinaufzusteigen. Bald hatte er die Thüre in den Thurmsaal wieder erreicht, – er legte die Hand auf das Schloß und – warf sie auf.

Der Anblick, der sich ihm bot, konnte ihn nicht überraschen – er sah vor sich mehr als ein Dutzend ungarischer Edelleute, die um den großen runden Tisch versammelt waren, sitzend, stehend, rittlings auf den Stühlen, auf die Rücklehnen gestützt, rauchend, mit heftigen Gestikulationen perorirend und dabei Einer den Andern überschreiend, – desto mehr mußte die Versammlung überrascht sein, als so plötzlich die kleine Thüre aufflog und mit festem ruhigen Schritt die hohe, mächtige und bis an die Zähne bewaffnete Gestalt des kaiserlichen Offiziers in den Saal trat.

»Tod und Teufel!« schrie eine Stimme auf – »wer ist das?!«

» Magyar Isten! ein Verräther!« eine andere.

»Ein Spion ein kaiserlicher Soldat –!«

»Gottes Blut! Schlagt den Hund todt!« riefen Andere dazwischen. Alle waren aufgesprungen und hatten nach ihren Säbeln gegriffen.

Frohn hatte während dieser ersten Ueberraschung sich ruhig der Hauptthüre, die aus dem Thurmsaale in den davorliegenden Corridor führte und die eigentliche Verbindung des Raumes mit den andern Schloßtheilen bildete, zugewendet, den darin steckenden Schlüssel rasch umgedreht und ihn abgezogen. Dies war das Werk eines Augenblicks gewesen, ohne doch den Bewegungen und der Haltung Frohn's den Charakter selbstbewußtester Ruhe zu nehmen.

Als er sich zur Versammlung zurückwandte, stand todtenbleich vor Zorn Graf Luszina vor ihm.

»Baratom Menschenskind (ungarisch). – Anm.d.Hrsg., Herr,« schrie er auf, – »was bedeutet das? Was wollen Sie hier?!«

Seine Hand lag an dem Säbelgriff und entblößte die Klinge.

»Lassen Sie Ihren Säbel stecken, Herr Graf, und wenn die Herren da wünschen, meine Anwesenheit erklärt zu sehen, so bitte ich, mich zu Worte kommen zu lassen …«

Frohn sprach dies mit einer so vollen, mächtigen Stimme, daß sie den ganzen Tumult beherrschte; er hatte zugleich sich der kleinen Thüre, durch die er gekommen, wieder genähert, und deckte sie mit seinem Rücken.

»Laßt ihn nicht fort, haut ihn nieder,« schrie es wieder wild durch einander – »Tod dem deutschen Hunde! –«

Zugleich drangen Mehrere mit den Säbeln auf ihn ein.

»Ruhe!« tönte jetzt Frohn's Stimme gebieterisch durch den Lärm – »ich verlange, daß man mich anhöre. – Der Erste, der mich berührt, ist ein Kind des Todes, ich jage ihm eine Kugel durch den Kopf!«

Seine Rechte erhob ein aus der Brusttasche gezogenes Faustrohr mit gespannten Hahn.

Die Drohung wirkte. – Die Frohn zunächst Gekommenen wichen zurück.

»Hören Sie mich ruhig an, meine Herren,« – fuhr Frohn fort. »Ich bin nicht, ein einziger Mann, in Ihre Mitte gekommen, um mich Ihnen ganz wehrlos entgegen zu stellen. Ich habe meine Vorbereitungen getroffen, um gegen den Heldenmuth, der Sie vielleicht drängen sollte, zu mehr als Zwölfen über mich Einzelnen herzufallen, gesichert zu sein. Zuerst lassen Sie sich sagen, daß Sie hier eingesperrt sind; dort die Thüre ist abgeschlossen, oben die Treppe, über welche ich gekommen, ebenfalls. Wir werden also ganz ungestört hier verhandeln, und keiner wird sich der Verhandlung entziehen können, bis dieselbe zu Ende geführt ist. Damit Sie sich dabei ungestörter Gemüthsruhe erfreuen, gebe ich auch mein Ehrenwort, daß ich nicht etwa meine Husaren habe aufsitzen, nicht etwa dies Schloß habe umstellen lassen. – Sie haben von meinen Leuten nichts zu befürchten, – ich habe viel zu viel Respekt vor Ihrer Constitution, Ihren Privilegien und Ihren Gesetzen, um so etwas zu wagen; ich weiß, welch' unverletzliches ehrfurchtgebietendes Ding das Schloß eines ungarischen Edelmanns und welche heilige unantastbare Sache seine Person ist.«

»Sie scheinen also gekommen, uns zu verspotten, Herr!« brauste Graf Luszina hier auf.

»Zum Teufel, machen wir ein Ende mit dem Spion!« schrie eine rauhe Stimme aus dem Haufen und ein wildes, wüstes Geschrei fiel nun wieder ein.

»Ruhe!« donnerte Frohn's Stimme jetzt durch den Raum. »Lassen Sie mich reden – wenn Sie mich nicht ruhig anhören und dann gehorsam thun was ich befehle, so merken Sie sich das, meine Herren, so sprenge ich Sie, wie Sie da sind, mitsammt diesem Schlosse in die Luft – vor meinen Leuten schützen Sie Ihre Gesetze – wenn Sie aber heimliche Pulvervorräthe unter Ihren Füßen anlegen, und ich stelle einen zuverlässigen Mann mit gespanntem Pistol daneben, und dieser zuverlässige Mann neben den Pulverfässern schießt es auf meinen Befehl darin ab, so gehen wir sammt und sonders in die Hölle, trotz ihrer Privilegien, meine Herrn!«

Luszina fuhr schreckenbleich einen Schritt zurück – die Uebrigen verstummten plötzlich wie von Donner gerührt.

»Was wollen Sie thun?« schrie der Graf entsetzt, seinen Säbel zu Boden fallen lassend.

»Was ich Ihnen gesagt habe. Sie haben an der Weise, wie ich mir die so gastfreundlich gesperrten Thore Ihres Schlosses geöffnet habe, mein Herr Graf, gesehen, daß ich nicht der Mann bin, der viel Scherz versteht – nun wohl, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – eine feindliche Bewegung gegen mich, ein Versuch, mir bei dem was ich thun will, Gewalt entgegenzusetzen, und ich gebe das verabredete Zeichen und dieser Thurm fliegt in die Luft – entkommen können Sie nicht, die Thüren sind geschlossen – ergeben Sie sich in Ihr Schicksal, Sie sind in meiner Gewalt; ich weiß, daß ich mit Ihnen verloren bin – aber ich gebe mein Leben freudig dahin, wenn ich nicht anders eine böse und gefährliche Verrätherei gegen meinen Kaiser und Herrn ersticken kann. Lassen Sie sich das gesagt sein – ich denke, mein Ehrenwort wird Ihnen genügen, sonst bin ich bereit, einen der Herren sich nach Unten in den Kellerraum begeben zu lassen, damit er sich von der Gefahr, die Ihnen über den Kopf oder besser unter den Füßen, hängt, überzeuge. Ist Einer unter Ihnen, dem mein Wort nicht genügt?«

Frohn rief dies mit einem so drohenden Tone, daß schon Keiner mehr zu erwidern wagte: sie standen Alle von der entsetzlichen Eröffnung, die ihnen der verwegene, so tollkühn unter sie getretene Mann gemacht hatte, wie an den Boden gebannt, sprachlos – Luszina selbst bleich, schäumend vor Wuth und doch so rathlos und so gebändigt wie die Uebrigen.

Frohn mochte es nicht für politisch halten, diesen ersten Augenblick der Bestürzung unbenützt vorübergehen zu lassen – er trat auf den Tisch in der Mitte des Gemachs zu und legte die Hand auf einige Papiere, die hier vor Luszina's Platz lagen.

»Ich nehme diese Papiere an mich im Namen der Kaiserin,« sagte er. »Sie enthalten den Plan, mit dem Sie umgehen, die Namen Derer, welche ihm beigetreten sind. Ich kann sie der Kaiserin überbringen. Niemand in der Welt kann mich abhalten so zu handeln. Die Kaiserin wird Ihnen dann den Hochverrathsproceß machen lassen, und dieser Proceß wird mit Galgen und Rad für Sie enden. Aber ich will nicht, daß Ihre Frauen und Ihre Kinder mir fluchen und mir nachsagen, ich habe Sie auf's Blutgerüst geschickt. Ich glaube meiner Pflicht genug gethan zu haben, vor meinem Gewissen genügt es mir, wenn ich eine böse und gefährliche Verschwörung im Keime ersticke. Darum lasse ich Ihnen die Wahl – entsagen Sie diesem unsinnigen verbrecherischen Treiben – wollen Sie von diesem Augenblick sich als gehorsame treue Unterthanen Ihrer apostolischen Königin betragen, sich rückhaltlos dem Gesetze, das die Nachfolge regelt, unterwerfen – schwören Sie mir das – schwören Sie mir auch auf Ehre und Gewissen, auf Ihr Wort als Edelleute, daß Sie mich ungehindert mit den Meinen aus diesem Hause abziehen lassen – dann werde ich diese Papiere verbrennen, und Niemand soll die Namen erfahren, welche auf diesen Bogen geschrieben stehen. Entschließen Sie sich rasch. Auf Verhandlungen lasse ich mich nicht ein. Ihr Ja oder Nein?«

Die ganze Versammlung schien verstummt. Kein Laut wurde hörbar.

»Ihr Ja oder Nein?« wiederholte Frohn.

»In's Teufels Namen denn,« schrie eine Stimme jetzt aus dem Hintergrunde. »Was bleibt da anders übrig?«

»Sie schwören es?«

»Ich schwöre es,« versetzte derselbe Mann.

»Wir schwören es!« riefen Drei oder Vier kleinlaut und ängstlich durch einander.

»Nach der Reihe, jeder laut und ausdrücklich,« befahl Frohn.

Er wies dabei mit der Rechten auf den ihm zunächst Stehenden.

»Sie zuerst,« sagte er.

»Ich schwöre es!« versetzte der Ungar, die Hand erhebend.

»Nun Sie!«

Der Zweite folgte – bis zum Letzten – es war Luszina, an den sich Frohn zuletzt wandte. Er brachte mühsam die Worte:

»Ich schwöre es!« über die zornbleichen stammelnden Lippen.

Frohn hielt die Papiere an eine der auf dem Tische flammenden Kerzen und ließ sie dann auf dem Boden zu Asche brennen.

»Unsere Verhandlung ist zu Ende, meine Herren,« sagte er darauf, »leben Sie wohl und erinnern Sie sich Ihres Schwures – sonst könnten die vom Feuer verzehrten Namen leicht sich weniger vergänglich hier – er deutete auf seine Stirn – eingeschrieben wiederfinden! Seien Sie auch ein wenig gemäßigter in Ihren Ausdrücken von nun an, wenn Sie von uns Deutschen reden. Sie haben gesehen, daß ein entschlossener Deutscher ausreicht, ein Dutzend ungarischer Brauseköpfe zu besänftigen – das wollte ich Ihnen nebenbei zeigen, und ich hoffe, daß die Lection Ihnen wohl bekomme!«

Damit wandte er sich, warf den abgezogenen Schlüssel zur Hauptthüre vor Luszina auf den Tisch hin, und ging auf dem Wege, den er gekommen, aus dem Saal. Auf der Treppe rief er ein: »Kommen Sie herauf!« Gallenberg in seine stille Wacht hinab, und als dieser darauf, mit sehr raschen Schritten seinen gefährlichen Posten verlassend, bis zu ihm emporgekommen war, schritten beide Männer mit ihren Lichtern bis an's Ende der Wendelstiege empor.

»Alles ist vortrefflich abgelaufen,« flüsterte dabei Frohn – »aber nichtsdestoweniger wird es gut sein, wenn wir jetzt Schloß Luszina den Rücken wenden.«

Er öffnete die kleine Thüre oben und schloß sie wieder; den Schlüssel zog er ab, um ihn in den nächsten Graben zu werfen. Ueber den Gang oben und die Treppe kamen Beide unangefochten zu ihrer Reserve, den beiden Officieren im Hausflur, hinab – der Adjutant meldete, daß die Pferde auf dem Hofe hielten.

»So kommen Sie, meine Herren!« sagte Frohn; »unsere Mäntelsäcke können wir morgen von hier abholen lassen – für uns ist es das Räthlichste, uns ohne Säumen zu unsern Husaren zurückzuziehen und uns im Dorfe Luszina irgend eine Streu zum Nachtlager zu suchen. Baron Gallenberg wird wahrscheinlich vorziehen, uns zu begleiten?«

»In der That!« sagte Gallenberg, »es wird mir am behaglichsten sein, mich in Ihrer Nähe zu fühlen!«

»So kommen Sie – Miklos soll Ihnen sein Pferd überlassen!«

Damit verließen alle vier das Schloß, und befanden sich nach wenigen Augenblicken in gestrecktem Trabe auf dem Wege nach dem Dorfe Luszina.

Nach zwei Tagen trat die kleine Truppe Frohn's, erholt und gekräftigt von der Rastzeit, ihren Weitermarsch an, und konnte um die Mittagszeit des zweitfolgenden Tages in blankem Aufputz ihren Einzug in ihr altes Standquartier halten und durch die Thore der Kaiserstadt rücken.

Am Morgen nach der Ankunft hatte ihr Führer sich in der Hofburg eingestellt, in den Gemächern des römischen Königs. Nach kurzem Harren war der Oberstwachtmeister von Frohn bei König Joseph eingeführt worden, und nach einer kaum viertelstündigen Unterredung hatte dieser in der Gesellschaft Frohn's seine Gemächer verlassen und war mit ihm hinüber gegangen zu den Appartements der Kaiserin, wo Beide das Cabinet der Monarchin betraten.

Des Inhalts der dort stattgehabten Unterredung ist niemand Zeuge gewesen – das Ende musste jedoch für unsern Freund nicht unbefriedigend geblieben sein – er zeigte am andern Tage dem Rittmeister Treißam, als dieser mit einer dienstlichen Meldung zu ihm kam, ein kostbares Miniaturporträt der Kaiserin Maria Theresia, reich mit Diamanten besetzt, wie die Monarchin es nur als Beweis höchster Gunst zu verschenken pflegte!

Was Gallenberg angeht, so hatte dieser sich schon im Dorfe Luszina nach einem herzlichen Abschiede von Frohn getrennt. Er hatte dabei seinem hilfreichen Freunde nicht verschwiegen, daß er am letzten im Hause seines Vetters Sandor zugebrachten Tage nicht erfolglos in seinen Bemühungen gewesen, eine längere Unterhaltung mit Comtesse Laura zu finden. Das Ergebniß dieser Besprechung mußte ein sehr zufriedenstellendes für ihn gewesen sein, denn Baron Gallenberg betrachtete es jetzt schon nicht mehr als ein schweres Opfer, Schloß Luszina zu verlassen, wie er es noch am vorigen Tage gethan – im Gegentheil, er bewies großen Drang, in seine heimatlichen steierischen Berge zurückzukommen, wo, wie es schien, ihn die Aufgabe, allerlei Einrichtungen zu machen, erwartete, Einrichtungen der Art, wie sie die nächste Beschäftigung eines Mannes werden, der sein einfaches Junggesellendasein gegen die komplizirteren Lebensformen eines Familienvaters aufgeben will.

In der That erhielt Frohn nach etwa drei Wochen einen langen Brief aus der Steiermark, der sehr viel warmer Dankbarkeit ausströmte, sehr erregter poetischer Stimmung entflossen schien, und daneben seinem Empfänger verrieth, daß des jungen Mannes Muth, weit entfernt, Gräfin Laura's ungarischen Patriotismus zu verwunden, ihr Mädchenherz völlig erobert hatte. Sie war jetzt nach ihrem Uj-Szöny zurückgekehrt, wo sie den Mohrenkopf tummelte, sich an den anmuthigen Spielen ihres jugendlichen Bären auf ihrem Schloßhofe ergötzte, und der Zeit entgegensah, wo der Freiersmann kommen sollte, sie in die Steiermark zu entführen. Das mußte nicht mehr lang entfernt sein, denn – so schloß Gallenberg seine Mittheilung – das »Allianzwappen mit den beiden Schildhaltern ist schon in Arbeit; passender als Bär und Roß wäre dabei jedoch ein kaiserlicher Reitersmann, der auf die beiden Schilde vereinigend seine tapfere Hand legte!«

Was den Grafen Luszina Sandor anging, so hat Frohn nie wieder viel von ihm gehört oder gesehen. Unser Freund konnte annehmen, daß er seine Absicht, diesem übermüthigen Magyaren auf einer verhängnisvollen Bahn Einhalt zu thun, ohne ihn sammt seinen unbesonnenen Freunden und Verbündeten völlig und für immer zu verderben, ganz und gar erreicht habe. Der da unten am Fuße des Leythagebirges und um den Neusiedlersee sitzende ungarische Adel hat in den nächsten Jahren keine Zeichen illoyaler Gesinnung gegeben. Das Einzige was Frohn nach längerer Zeit von dort vernahm, war eine Mittheilung von der Demoiselle Therese, die ihm schrieb, daß die Gräfin gestorben sei, und ihn um seine Beihilfe bat, eine andere Stelle zu finden. Frohn war erfreut, durch die in Anspruch genommene Verwendung eines Kameraden diesen Wunsch ganz nach Theresen's Verlangen erfüllen und so ihr beweisen zu können, wie dankbar er sich ihr verpflichtet fühlte.



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