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Die Odalisken.
Zweiter Theil.

* * *

Erstes Capitel.
Von der Wendung, so des Spaniers Anschlag nahm.

Die beiden Odalisken, Ablah und Fatimeh, hatten einen häßlichen, breiten, braunen Kopf vor dem Fenster auftauchen sehen, gerade in dem Augenblicke, wo der Viconde da Bojador sich dazu hinreißen ließ, einen Kuß auf die weiße Schulter des schönen Mädchens von der Insel Metellino zu drücken. – Der Spanier hatte vollständig richtig geschlossen, daß dieser Kopf niemand Anderem zugehören könne, als dem Baron Klein.

Klein war, wie wir früher sahen, dem Viconde heimlich gefolgt. Er hatte zwar das Thürchen geschlossen gefunden, welches aus dem Favoritagarten in Trautson's Garten führte: aber dies Hemmniß hatte ihn nicht aufgehalten; auf die Gefahr hin, seinem kostbaren Anzuge, dieser »tactvollen Vereinigung von Pracht und Geschmack« beträchtlichen Schaden zuzufügen, war er flink über die Hecke geklettert. Dann hatte er sich leise an den Pavillon herangeschlichen und an allen Fenstern gelauscht, bis ihm das Lautwerden eines Stimmenwechsels verrathen, hinter welchem er den Spanier zu suchen habe.

Nun kam es darauf an, vor diesem Fenster in die Höhe zu gelangen: denn Baron Klein war entschlossen, koste es was es wolle, einen Späherblid durch das Fenster zu werfen. Die Aufgabe war nicht gerade leicht, wenn weder eine Leiter da war, noch irgend ein anderes Ding, welches der Gestalt des kleinen Barons eine hinlängliche Erhöhung gewährt haben würde. Aber bekanntlich vermag der entschlossene Mensch Alles, was er ernstlich will. Es kommt eben nur auf die nöthige Hartnäckigkeit des Willens an.

An Hartnäckigkeit fehlte es dem kleinen Baron nicht, und so kam er denn auch richtig an Trautson's Pavillon in die Höhe. Er nahm zuerst einen Anlauf wider den Bau, gerade so als ob er ihn gänzlich niederzurennen, oder als ob er mit dem Kopfe durch die Mauer zu stürmen beabsichtigte. Statt jedoch einen solchen, nur der bedauerlichsten Verkennung des hier obwaltenden Verhältnisses zwischen Kraft und Widerstandsfähigkeit möglichen Versuch auszuführen, der jedenfalls unheilvoll für unsern Freund geendet hätte, that dieser etwas, das sich als unbedingt zweckmäßiger erwies. Er sprang nämlich im richtigen Augenblick so, daß er mit dem rechten Fuße fest und sicher auf den Vorsprung zu stehen kam, welchen die dem Pavillon als Unterbau dienende Plinthe oder Grundmauer bildete. Dort stehen zu bleiben wäre nun freilich ein dem geschicktesten Akrobaten unlösbares Kunststück gewesen. Die Gesetze der Schwere hätten ihn gezwungen, augenblicklich wieder hinunterzuspringen, wie wir das auch dem, in der löblichen Turnkunst weniger erfahrenen Theile unserer Leser, nicht zu erklären brauchen.

Aber Klein wußte dieser, seinen Plan mit völliger Vereitelung bedrohenden Nothwendigkeit zuvorzukommen. Rasch und sicher schlug er seine beiden Hände in demselben Augenblicke, in welchem sein Fuß auf den Mauervorsprung trat, auf das untere Stück des Fenstercasinos; und da diese beiden Hände den Vorzug hatten, sehr breit und sehr kräftig ausgebildet zu sein, so gelang es ihm glücklich, sich fest zu halten. Es bedurfte jetzt weiter nichts, als daß er sich mit den Armen in die Höhe hob, und sein Gesicht gelangte dahin, wo er es haben wollte auf ein und dasselbe Niveau mit der untersten Scheibenreihe des Pavillonfensters.

So kam es, daß Baron Klein Zeuge wurde der Vertraulichkeit, welche sich der Viconde da Bojador y Roccaberti mit der schönen Tochter des Hellenenlandes erlaubte. Aber welche Gefühle dieser Anblick wach rief in der Brust des Betrogenen, Verrathenen, in seinen schwärmerischesten und geläutertsten Empfindungen Verletzten, brauchen wir nicht zu schildern. Baron Klein schäumte Wuth. Hatte er sich eben noch wohl gehütet, den Pavillon mit seinem Kopfe einzurennen, jetzt hätte er den ganzen Bau wie Simson einreißen und über dem Haupte des falschen Spaniers zusammenschleudern mögen.

Er riß seinen Degen aus der Scheide. Er eilte dem Eingang des Pavillons zu, um hineinzustürmen und Alles zu erstechen, was ihm begegnete. Wie ein Malaie, der den Kreislauf macht, war Baron Klein anzuschauen, mit seinem rothflammenden Gesicht, seinen blitzesprühenden Augen, seinen wild gesticulirenden Armen.

Aber in dem Moment, in welchem er um die Ecke des Pavillons stürzte, sah er etwas, das seine Wuth mit zauberhafter Schnelligkeit beschwichtigte; etwas, das magisch seine Schritte hemmte. Er sah eine Gestalt in der Thür des Pavillons verschwinden. Von dieser Gestalt erblickte er zwar nur den Rücken; aber dieser von der Natur in einer Stunde launenhafter Vorliebe für quadratförmige Bildungen angelegte Rücken reichte hin, Jedermänniglich darin ein Stück von Veit Trautson erkennen zu lassen.

Dies gab den rachedürstenden Gedanken Klein's plötzlich eine andere Richtung. Auf Veit Trautson zu stoßen, die blanke Waffe in der Hand, das begehrte der zornmüthige Mann auch in diesem Augenblick höchster Erregung nicht. Er steckte den Degen ein, wischte sich mit dem Fazolett'l die schweißperlende Stirn, und, schnell einen andern Plan ergreifend, der ihm Rache verschaffen sollte, stürzte er davon.

Er verließ den Garten Trautson's auf demselben Wege, auf welchem er ihn betreten. Er kletterte wieder über die Grenzhecke in den Garten der Favorita. Er eilte durch die Allee, welche dieser Grenzhecke entlang lief, und bog dann rechts ein, auf dem geradesten Wege dem Schloße zu.

Aus der Ferne klangen noch immer die Schüsse von dem Schießstand des Kaisers herüber.

Hierhin eilte Klein.

Aber er sollte nicht an sein Ziel gelangen, ohne noch eine auffallende Begegnung an diesem abenteuerreichen Tage zu haben. Er hörte, als er eben an einer Taxuswand entlang ging, an der andern Seite leise Stimmen flüstern. Er hörte ein Rauschen wie von Frauengewändern. Er hörte leicht und rasch auftretende Schritte sich nähern.

Den Athem anhaltend, blieb er stehen; dann machte er sacht eine kurze Strecke seines Weges zurück, um an einen Ausschnitt in der Taxushecke zu gelangen, der ihm erlaubte, in den jenseitigen Gartengang zu schauen.

Wenige Augenblicke vergingen und er sah die Kommenden vorüberschreiten. Es waren ihrer zwei – die erste war das Kammerfräulein Juliane Bolagno und die zweite war deren getreue Zofe Resi; beide dem kleinen Baron von Person und Ansehn sehr wohl bekannt.

Gräfin Juliane Bolagno trug einen weiten weißen Ueberwurf; aber da sie sich unbeachtet wähnte und da dies Kleidungsstück beim Gehen zurückflatterte, so sah Klein's nicht wenig erstauntes Auge, daß sie darunter einen chamoisgelben Kaftan, ein meergrünes Unterkleid und weiße seidene Beinkleider trug. Ein kleiner Schäferhut, wie er damals Mode war, bedeckte ihre braunen ungepuderten Locken; die Zofe Resi jedoch trug einen, nur halb von einem Tuche verhüllten, grünen, mit weißen Perlenschnüren durchflochtenen Turban in der Hand.

»Pest!« sagte sich Klein – »was ist das?! Welche neue Entdeckung? Gräfin Juliane Bolagno – als Türkin verkleidet? Wo wandelt die hin – auch in den Pavillon? … laß doch sehen!«

Er folgte ihr leise, behutsam, sich hinter den Hecken und Gebüschen so versteckt haltend, daß er vor der Entdeckung sicher war.

Sie nahm den Weg, den er vermuthet hatte. Sie vertiefte sich in den hintern Theil des Gartens. Sie hielt hinter den Coulissen des Sommertheaters an, nahm ihren kleinen Federhut ab, und ließ sich von Resi den Turban auf das Haupt setzen und befestigen. Dann gingen beide weiter. Sie kamen an das Thörchen. Resi hatte einen Schlüssel. Sie schloß auf. Ihre Herrin schlüpfte hindurch. Resi blieb an dem Thörchen stehen, als ob sie hier Wacht halten solle.

Baron Klein hatte genug gesehen; er stieß einige fürchterliche Flüche aus und dann schlug er mit verdoppelter Eile den schon früher genommenen Weg in der Richtung nach dem Schlosse, oder vielmehr der Schießstätte des Kaisers, wieder ein.

Der Kaiser hatte eben einen meisterlichen Schuß gethan, und reichte gerade dem Büchsenspanner den abgefeuerten Stutzen hin, während sein Auge noch auf der gemalten Sau am Ende der Schießstätte ruhte, wo der Zeiger mit seinem Stabe jodelnd und hallohschreiend auf das von Seiner Majestät getroffene Blatt deutete, als Karl VI. plötzlich ein ziemlich starkes Gelächter hinter sich vernahm, welches ganz so lautete, als würde es noch viel schallender ausfallen, wenn die Gegenwart der Majestät es nicht gedämpft hielt. Er wandte sich und erblickte den Baron Klein, der sich durch die Gruppe der hinter dem Kaiser stehenden Herren drängte, mit rothem schweißtriefendem Antlitz, höchst aufgeregten Mienen und in dem früher erwähnten, ordendecorirten Anzug, was alles zusammen einen Anblick darbot, welcher die Heiterkeit der Herren vom Hofe vollständig rechtfertigte.

Aber Klein kümmerte sich um diesen Ausbruch von Heiterkeit, dessen Gegenstand er war, sehr wenig. Er trat dicht vor den Kaiser und in seiner Aufregung seine Hand ausstreckend, als wolle er ihn am Gewande ergreifen, rief er aus:

»Kaiserliche Majestät halten zu Gnaden, aber ich muß Majestät ein Paar Worte allein sagen.«

»Was hat Er denn, Klein? Er sieht ja aus wie ein Krebs, ein gesottener!«

Mit diesen Worten gab der Kaiser einen Wink mit der Hand und die umherstehenden Herren zogen sich weit genug zurück, um die jetzt beginnende Unterredung nicht verstehen zu können.

»Nun, sprech' Er! Was giebt's?«

»Majestät,« polterte Klein heraus, »ein schändlicherer Streich ist noch nie gespielt worden – es ist Alles, Alles erlogen … die ganze Sache ist nicht wahr!«

»Drück' Er sich kurz und geordnet aus, Klein, wenn Er's kann,« unterbrach ihn der Kaiser mit einer Ruhe, welche einen starken Contrast zu Klein's aufgeregter Redeweise bildete.

»Majestät, erlogen ist die ganze Geschichte mit den Türkinnen. Wissen's, wer die schönen Türkinnen sind, Majestät? Hofdamen sind es – Kammerfräulein der Erzherzoginnen, die sich maskiren, um das Vergnügen zu haben, sich als Odalisken fühlen zu können. So eben habe ich Gräfin Juliane Bolagno belauscht, wie sie im gelben Kaftan und grünen Turban in Trautson's Pavillon schlüpfte. Und da drinnen, was sie da drinnen treiben? Majestät, das erblickten vor wenig Minuten diese meine eigenen guten, gesunden Augen. Der Herr Viconde Don Perez da Bojador vergnügte sich damit, eine dieser falschen schönen Türkinnen auf sehr verfängliche Weise zu liebkosen.«

»Was behauptet Er da? Nehme Er seine Zunge in Acht! Wer, sagt Er?«

»Der Viconde da Bojador, kaiserliche Majestät – ich habe durch das Fenster in den Pavillon gesehen und gesehen, wie dieser verlogene Spanier die schönste von diesen Belialskindern, die an seiner Brust lag, mit seinen Caressen beglückte.«

»Wenn Er mich belügt, Klein, so lasse ich Ihm trotz der Orden, die er da umgehangen hat, den Staupbesen geben!«

»Ich betrüge Eure Majestät nicht. Klein weiß, was er seinem Kaiser und auch, was er sich selber als Cavalier schuldig ist!«

Diese Worte sprach der kleine Baron mit einem gewissen trutzigen Pathos, während doch seine Rechte sehr emsig die Decorationen, mit denen er Bahnesa zu blenden gehofft hatte, von seinem Rocke abzureißen und in seiner Hosentasche zu verstecken bemüht war.

»Also Er hat den Kämmerer da Bojador bestimmt erkannt?«

»Ja, Majestät.«

»Und unter dem türkisch gekleideten Frauenzimmer hat er ein Kammerfräulein der ältesten Erzherzogin wahrgenommen?«

»Die Gräfin Bolagno!«

Des Kaisers Antlitz hatte sich ganz bedeutend verfinstert; seine Brauen zogen sich in ungewöhnlicher Weise zusammen und jener Gleichmuth, der sonst auch durch die wichtigsten und inhaltreichsten Vorkommnisse wenig oder gar nicht erschüttert wurde, schien Karl VI. hier für einen Augenblick zu verlassen. Er fühlte sich an der empfindlichsten Seite berührt durch die Entdeckung, daß sich an seinem Hofe, dicht in seiner Nähe, eine Sache begeben, welche ihn persönlich demüthigte, weil er stolz darauf war, den sittenreinsten und würdevollsten Hof Europa's zu haben. Und nun gingen solche abominable Dinge an diesem anstandsvollen Hofe vor! Ja, der Mann selber, dem er die Untersuchung dieses Scandalums aufgetragen, von dem er voll Vertrauen eine officiell zuverlässige Aufklärung über das Ganze erwartete, der betrog ihn und charmirte in dieser deutschen Ausgabe eines Parc aux cerfs herum – das war zu viel, das war genug, um den Kaiser in einen wahren Zorn zu versetzen.

Sein Entschluß war rasch gefaßt.

Er winkte heftig mit der Hand nach der Gruppe der Herren bin, welche sich eben zurückgezogen hatten, um ihn unbelauscht mit Klein sprechen zu lassen. Die sämmtlichen Herren schossen höchst eilfertig herbei.

»Nein, nein!« rief der Kaiser unwillig aus – »ich meine die Herren nicht; ist denn der Martinitz da hinten blind!«

Die Herren fuhren wieder zurück. Es war wie eine hin- und herwogende Seewelle. Zugleich wurde der in größerer Entfernung und bescheiden im Hintergrunde stehende Trabanten-Lieutenant D. h. ein Leutnant der ›Trabantenleibgarde‹, einer von insgesamt fünf Gardeformationen des Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn. – Anm.d.Hrsg. Martinitz, der heute den Dienst beim Kaiser als Ordonnanz-Officier hatte, mit großer Hast darauf aufmerksam gemacht, daß ihm des Kaisers Wink gegolten habe.

Der Trabanten-Lieutenant Martinitz trat mit beschleunigten Schritten heran.

»Martinitz,« sagte der Kaiser, »nehme Er eine Patrouille von seinen Leuten. Verfüge Er sich in das Sommerhaus im Garten Veit Trautson's, hinter der Favorita. Hebe Er auf, was Er da von türkischem oder türkisch gekleidetem Frauenvolk findet. Transportire Er das in das Kloster der Salesianerinnen. Es ist da einzusperr'n bis auf unsern weitern Befehl. Findet Er Herren dort, so hat Er sie, wer es auch sein mag, in ihre Wohnung zu geleiten, und ihnen, ohne Ansehn der Person, dort Stuben-Arrest anzusagen. Verstanden?«

»Zu Befehl, Eure Majestät.«

»So geh' Er! Nachher rapportir' Er uns!«

Martinitz marschirte ab, um den Befehl des Kaisers zu vollziehen.

»Und Er, Klein, jetzt geh' Er seiner Wege. Wir verbieten Ihm, uns weiter mit der Sache zu behelligen. Alles, was wir darüber erfahren, kommt uns bislang von Ihm zu. Es wird Zeit, daß wir von einem reputirlichen und gescheuten Menschen Etwas darüber zu vernehmen bekommen.«

Klein verbeugte sich schweigend und entfernte sich, Triumph in allen Mienen.

Karl der Sechste winkte dem Büchsenspanner, ließ sich einen frisch geladenen Stutzen reichen und fuhr fort, der hölzernen Sau am Ende des Schießstands auf's Blatt zu feuern. – –

Unterdeß hatte Gräfin Juliane Bolagno ihren Weg zum Pavillon Trautson's fortgesetzt. Die Thüre zu demselben stand offen. Frau Afra hatte über ihrer Angst vor der Scene, welche ihr gestrenger Gebieter ihr machen werde, wenn er den Viconde da Bojador bei ihren Schutzbefohlenen fände, gänzlich vergessen die Eingangsthüre zu schließen und hatte sich in die Kammer zu ihrem getreuen Diener, dem angeblich kranken Vex geflüchtet.

Juliane sah sich deshalb, als sie in dem Vorraum des Pavillons stand, vergebens nach einem Führer um. Aber sie hörte Stimmen hinter der Thüre rechts und deshalb wandte sie sich hierhin. Sie öffnete die Thüre und blieb dann, wie eine Erscheinung, auf der Schwelle stehen.

Ein lautes Ah! aus einer derben männlichen und drei viel wohlklingenderen weiblichen Kehlen tönte ihr entgegen.

»Da fahr der Teufel mit 'nem Himmelkreuzmillionen-Donnerwetter drein!« schrie Trautson auf, als er so unvermuthet eine vierte Odaliske vor sich erblickte. – »Wer ist Sie – was will Sie?«

»Mein hochgebietender und erlauchter Pascha,« flötete das Kammerfräulein mit ihrer süßesten Stimme, »ich höre, Du bist der großen Schriftgelehrten Einer, und da ich auch zu den Erwählten mich zähle, die sich die Gläubigen Allah's und Mohamed ihren Propheten nennen, so komme ich, daß ich Theil nehme an Deiner weisen Auslegung der Sunna und des heiligen Korans. Verstatte, daß ich zu Deinen Füßen sitze, großer Mollah, und daß meine dürstende Seele sich labe an den Quellen der Erleuchtung, welche Deine Weisheit sprudeln macht aus dem Grunde geweihter Ueberlieferung.«

»Mich soll der Teufel holen, wenn das nicht die Bolagno ist« – antwortete Veit Trautson auf diese mit großem Pathos vorgebrachte Anrede – »aber ich will mich vom Satan in der Hölle klein stoßen lassen, wenn ich begreife, was Ihnen den Muth giebt, hierher zu kommen und den Veit Trautson zum Besten haben zu wollen.«

»Den Muth schöpfe ich aus meinem Durst nach Weisheit und meinem Drange, die Perlen der Wahrheit von Deinen Lippen gleich dem köstlichen Thaue des Morgens träufeln zu sehn, mein hoher Pascha – aber nun laß mich als Freundin treten zu meinen edlen Mitschülerinnen, die schon länger als ich so glücklich sind, sich des Anblicks Deines grenzenlos gelehrten Hauptes erfreuen zu dürfen!«

»Dies wird immer besser!« rief Trautson aus, und sah voll aufrichtigen Erstaunens Julianen zu, wie diese von einer der drei Mädchen sich zur andern wandte, und dieselben anscheinend mit größter Seelenruhe musterte und fixirte.

» Parlate italiano?« fragte sie dann die türkischen Mädchen.

Bahnesa sah, bevor sie zu antworten wagte, ängstlich Trautson an.

»Contessa Juliana Bolagno,« sagte dieser, »würden Sie wohl die Gnade haben, mir zu sagen, was Sie eigentlich hier wollen und was Sie auf die vermaledeite Idee gebracht hat, jetzt, in der Sommerzeit, wo der Fasching längst aus ist, so aufgedonnert, wie Sie da sind, einher zulaufen? Kreuzmillionen Türkenschädel, Fräulein Cameriera, ich muß sonst glauben, Sie haben sich im Wege geirrt, der Weg in den Narrenthurm geht nicht durch dies Sommerhaus! Heraus damit, was wollen Eure Gnaden hier, oder ich mache kurzen Proceß und brauche mein Hausrecht!«

»Ich hoffe, verehrungswürdiger Mollah Trautson,« entgegnete Gräfin Juliane, »Du wirst, bevor Du von Deinem Haus recht redest, eingedenk sein Deiner Haus pflicht, welche nach allen Gesetzen des Korans und allen Sitten des Volkes Allah's darin besteht, den Gast, der unter Dein Dach tritt, freudig zu bewillkommnen und zu ihm voll Demuth zu sprechen: Gnade widerfährt mir durch Deinen Eintritt, siehe dies Haus als das Deinige an!«

»Nun hat mir doch in meinem Leben ein Weibsbild nicht solchen Spott angethan,« rief Veit Trautson aus, indem seine Augen vor Zorn zu funkeln begannen und seine rothe Nase in einem bläulichen, höchst unheimlichen Lichte spielte. »Mich soll der Teufel mit Füßen treten, wenn ich mich länger foppen lasse.«

Damit machte er in drohender Haltung einen Stritt vorwärts auf Juliane zu.

Diese war längst erschrocken vor Trautson's zornigen Redensarten und Gesichtern. Aber sie suchte so lange als möglich in der Rolle zu bleiben, welche sie einmal angenommen hatte, und mit einer guten Wendung im Geiste dieser Rolle sich wieder davon zu machen.

»Mein großer Lehrer, ehrwürdiges Licht der Weisheit, hohe Leuchte der wahren Auslegung, kennst Du den Spruch: Gleiche der Palme, mein Sohn: wenn Du sie steinigst, wirft sie Dir Datteln als Kußfinger zu. Du wirfst die Steine Deiner zürnenden Worte nach mir: ich aber werfe Dir Kußfinger zu!«

Und indem Juliane Bolagno wirklich that, was sie sagte, indem sie ihn mit ironischen Lächeln Kußhände zuwarf, suchte sie rückwärtsschreitend den Ausgang zu gewinnen.

Aber Trautson, der jetzt, durch diesen neuen Hohn, vollständig in Wuth gebracht war, sprang zwischen sie und die Eingangsthüre.

»Halt – so ist's nicht gemeint, Contessa,« schrie er – »erst heraus mit der Sprache – was soll dies bedeuten, wer hat Ihnen von meinem Pavillon und wen ich darin einquartiert habe, geredet, was wollten Sie hier?!«

Und damit ergriff er den Arm Julianens, daß diese vor Schmerz laut aufschrie und vor Angst vergehend beim Anblick der durch den Zorn auf's Fürchterlichste entstellten Züge des alten Soldaten weinend ausrief:

»Um Gotteswillen lassen Sie mich – Hülfe! HHülfe!«

In diesem Augenblick wurde heftig der Vorhang auseinander geschlagen, welcher in der Ecke des Gemachs den Eingang zum Alkoven verhüllte.

»Graf Veit Trautson, lassen Sie augenblicklich diese Dame los!« rief eine drohende Stimme.

Veit Trautson wendete sich auf dem Absatz herum; seine nächste Bewegung war, daß er nach seinem Degen griff.

Der Viconde da Bojador stand vor ihm, ebenfalls die Hand an seinen Degengriff legend.

Mit einem lästerlichen Fluche fuhr der breitschultrige General heraus, dessen Antlitz jetzt vollständig dem eines Puters glich. –

»Wer ist das? Sie, Viconde – hier, in meinem Pavillon, im Zimmer dieser Weibsleute versteckt – ein Schuft will ich sein, wem ich diesem Spitzbuben von Spaniolen nicht den Schädel einschlage.«

»Sie führen nicht die Sprache eines Cavaliers, sondern die eines Sackträgers, mein Herr General Graf Veit von Trautson,« antwortete der Viconde, in welchem das blaue Blut des spanischen Edelmanns ebenfalls ins Kochen zu gerathen begann – »ich muß Ihnen den Rath geben, sich zu mäßigen und sich die Regeln des Anstandes zurückzurufen, welche Sie draußen bei den Kroaten und zwischen Ihren Panduren vergessen zu haben scheinen.«

»Und das bietet mir solch ein Hasenfuß, wie der da, der die Frechheit hat, sich hier …«

»Graf Trautson, kein Wort weiter!« fiel ihm der Viconde in die Rede. »Zuerst erlauben Sie mir, diese Dame unter meinen Schutz zu nehmen und ruhig nach Hause zu geleiten. Das Weitere findet sich nachher zwischen uns, vorausgesetzt, das Sie bei kälterem Blute nicht zu der Einsicht kommen, wie unwürdig Ihr Betragen war und damit zu dem Entschluß, dies frei einzugestehen und Ihre beleidigenden Ausdrücke zurückzunehmen!«

Die Voraussetzung, welche da Bojador mit diesen Worten aussprach, hatte nach dem Mienenspiel Trautson's zu urtheilen sehr wenig Aussicht sich je zu erfüllen. Graf Veit sah nämlich aus, als ob er aus Verwunderung über diese Zumuthung beinahe seinen Zorn vergesse und zu Stein erstarre.

Der Viconte da Bojador bot der Gräfin Juliane Bolagno den Arm.

»Kommen Sie fort von hier, Contessa Juliana,« sagte er.

Aber Contessa Juliana schien in diesem Augenblick den Wunsch, aus der Nähe des wüthenden Grafen fortzukommen, nicht mehr als den ersten und dringendsten zu fühlen. Dringender schien ihr der am Herzen zu liegen, Aufklärung über da Bojador's, ihres getreuen Verehrers, Anwesenheit und dazu noch so ungeheuer verdächtige, versteckte Anwesenheit im Zimmer der drei Türkenmädchen zu bekommen. Sprachlos vor Erstaunen hatte sie bis jetzt ihn angeblickt.

»Aber, Viconde, wie soll ich mir das erklären?« rief sie endlich aus. »Was hat das zu bedeuten? Sie hier? In einem Alkoven versteckt? Um's Himmels willen … wie kommen Sie hierher?«

»Gräfin Juliane, ich bitte Sie, nehmen Sie vor allen Dingen meinen Arm, daß ich Sie wegführe.«

»Keinen Schritt gehe ich mit Ihnen, bevor …«

»Ich werde Ihnen Alles auf's Genügendste erklären, nur nicht hier,« unterbrach der Viconde ihre Rede. »Sie werden über das seltsame Abenteuer, welches mich hierher führt, einen Aufschluß erhalten, der Sie vollständig beruhigen wird. Nur …«

Der Viconde da Bojador endete nicht, denn die Thüre wurde aufgerissen, und abermals trat eine Gestalt über die Schwelle, deren Erscheinung allen, außer Einem der Anwesenden, einen Ausruf der Ueberraschung entlockte.

Der neu Ankommende war der Herzog Franz Stephan von Lothringen.

Er blieb nach den ersten Schritten, welche er in dem Raum gemacht hatte, stehen und sah höchst verwundert um sich.

Graf Veit Trautson trat ihm hastig entgegen.

»Durchlaucht,« – sagte er, mit einer Stimme, die dem Prinzen gegenüber nicht das Mindeste von dem zornigen Tone verloren hatte, den sie eben vorher der Gräfin Juliane und dem Viconde da Bojador gegenüber gehabt, – »Durchlaucht, Sie sind sehr gnädig, mich mit Ihrem Besuche beehren zu wollen, wenn ich anders annehmen darf, daß der Besuch mir gilt, – aber wann, ich bitte, habe ich dem Herrn Herzog zu wissen gethan, daß ich meine Besucher hier, in diesem Sommerhause, empfange?«

»Graf Trautson,« versetzte der Prinz, »Sie sehen mich in hohem Grade überrascht über die Gesellschaft, welche ich hier finde.«

»Glaub's Ew. Durchlaucht,« schrie Trautson, der nicht mehr an sich halten konnte, heraus, – »daß Sie nicht erwartet haben, eine so zahlreiche Gesellschaft zu finden, ja daß Sie die Gesellschaft mindestens um die Hälfte zu stark finden, das glaub' ich schon, Durchlaucht, – ich bin aber eben im Begriff, die Gesellschaft hier zu vermindern, indem ich diesem Herrn da und dieser schönen Dame« und bei diesen Worten wies Trautson auf den Viconde und auf Juliane – »die Thüre zeige, und der Herr Herzog von Lothringen würde mich entschieden verpflichten, wenn Seine Durchlaucht denselben Weg einschlügen!«

Franz Stephan von Lothringen blickte den vor Zorn seiner nicht mächtigen Trautson mit der Miene äußerster Ueberlegenheit an, dann aber brach er plötzlich in ein lautes Gelächter aus.

Die Züge des Grafen Veit, welche kirschbraun und von Wuth entstellt waren, ohne daß Franz Stephan auch nur eine Ahnung davon haben konnte, weshalb und wozu Trautson sich dieser Berserkerwuth hingab, machten einen so komischen Eindruck auf ihn, daß er dies Gelächter nicht hatte unterdrücken können.

»Aber um des Himmelswillen, mein lieber Graf,« sagte er, »was in aller Welt bringt Sie denn so außer sich, daß Sie mich zur Thüre hinauswerfen? Ich bin ganz bereit, wenn dies hier Ihr unverletzliches Territorium, Ihr Sommerhaus ist, wie Sie sagen …«

»Ja, mein Herr Herzog,« schrie Trautson, »dies ist mein Haus, und ich hoffe, man wird die Befehle respectiren, die ich hier ertheile. Also …«

»Sie werden mir hoffentlich verstatten, Ihnen zu erklären, wie ich dazu komme, Ihre unantastbaren und geheiligten Eigenthumsrechte, vor denen Sie mich mit der größten Ehrfurcht erfüllt sehen, zu verletzen, mein Herr Graf!« antwortete der Herzog von Lothringen, jetzt gleichfalls gereizt und nicht mehr Willens, vor Trautson's Grobheiten so ohne Weiteres das Feld zu räumen.

»O, es bedarf der Erklärung nicht,« schrie Trautson. »Ich kann mir Alles schon selbst erklären; – Frau Afra, wo ist der abscheuliche Balg, der mir aus diesem Hause ein Haus …«

Graf Veit Trautson wurde daran gehindert, die anstandsvollen Redensarten und die Flüche, welche er im Begriffe stand zum Besten zu geben, so wie die Verwünschungen, mit denen seine schäumenden Lippen das Haupt seiner unsichtbar gewordenen Beschließerin bedrohten, laut werden zu lassen. Dies mochte als ein wahres Glück betrachtet werden; denn nicht nur hätten sich ohne Zweifel die Haare aller Anwesenden darüber gesträubt, sondern vielleicht wären die Wände des Pavillons erbebt, vielleicht wäre die Decke eingestürzt vor Schreck und Entsetzen bei dem erdbebenmäßigen Ausbruch, welcher im Anzuge war. Das, was Veit Trautson daran verhinderte, sich in einer so entsetzlichen Eruption Luft zu machen, war das laute Klirren von Sporen und von aufgestoßenen Hellebarden im Vorraum.

Er horchte hoch auf.

»Was ist das?« rief er aus und wandte sich, um die Thür aufzureißen.

Eine fremde Hand kam ihm zuvor. Die Thür wurde von außen geöffnet und der Lieutenant Martinitz von der Trabanten-Leibwache trat ein.

Die dienstmäßig strengen Züge dieses Officiers nahmen sehr rasch einen Ausdruck von Betroffenheit und Schüchternheit an, als er hier eine Gesellschaft erblickte, die er ganz sicherlich nicht erwartet hatte.

»Was will Er?« schrie Trautson ihm entgegen.

»Pardon, Herr General, ich habe einen Befehl Seiner kaiserlichen Majestät auszuführen,« versetzte der Officier.

»Geh' Er zum Teufel!«

»Herr General …«

»Scheer Er sich fort, sag' ich ihm! Kennt Er mich?«

»Zu Befehl, Herr General …«

»Nun, warum macht Er nicht, daß Er fortkommt?«

»Ich kenne den Herrn General, aber auch meine Pflicht,« entgegnete der Lieutenant, der über den Worten Trautson's vollständig seine frühere Haltung wiederfand. »Ich bin gezwungen, die hier anwesenden Herren in ihre Wohnungen begleiten zu lassen, wo ich ihnen auf kaiserlicher Majestät expressen Befehl Stubenarrest zu geben habe.«

»Stubenarrest?! Er! Uns?« schrie Trautson. »Ist Er toll?«

»Sie werden mir meine Pflicht nicht unangenehmer machen, als sie mir es schon ist. Ich bin im Dienst, Herr General, und bitte Sie, sich daran zu erinnern.«

»Erstreckt sich der Befehl auch auf mich? Ich komme erst in diesem Augenblick hierher und habe keine Ahnung von dem, was eigentlich hier vorgeht?« fragte Franz Stephan von Lothringen.

»Ich bedaure, Durchlaucht, daß ich keine Ausnahme machen darf,« antwortete der Lieutenant Martinitz.

»Sie haben Befehl, auch mir Stubenarrest anzukündigen?«

»Jedem, den ich hier finden würde, ohne Ansehen der Person,« versetzte der Officier der Trabanten-Leibwache. »Kaiserliche Majestät geruhten vor wenig Augenblicken, höchstselbst mir diesen Befehl zu ertheilen.«

»So bin ich in die räthselhafteste Geschichte hineingerathen, welche mir in meinem Leben vorgekommen ist! Wissen Sie, mein Herr Lieutenant, daß ich ein unabhängiger Regent und souverainer Fürst bin?«

Der Officier zuckte die Schultern.

»Durchlaucht, ich darf nur gehorchen,« sagte er.

»So muß ich wohl gar meinen Degen abgeben?« fuhr der Herzog mit einem ironischen Lächeln fort.

»Nein, Durchlaucht! Ich hoffe nicht, daß ich des Kaisers Befehl falsch deute, wenn ich dies nicht verlange,« versetzte der Officier.

»Nun wahrhaftig,« rief Trautson, »lieber würde ich meinen Degen zerbrechen und Ihm in's Gesicht werfen, als daß ich ihn abgebe!«

»Folgen Sie diesem Mann,« sagte der Lieutenant streng, indem er aus dem Vorraum einen seiner Leute herbeiwinkte. »Und der Herr Viconde da Bojador wird die Güte haben, sich von einem andern meiner Leute heimgeleiten zu lassen.«

Da Bojador, der während des ganzen Vorgangs still geschwiegen hatte, ängstlich bewegt und wie es nur zu natürlich war, über dies Alles sehr beunruhigt, verbeugte sich schweigend.

»Das hier anwesende türkische Frauenzimmer,« fuhr der Lieutenant fort, »wird in das Kloster der Salesianerinnen gebracht werden.«

»Um Gotteswillen« rief die Gräfin Juliane Bolagno aus – »man wird mich doch nicht darunter begreifen? Sie kennen mich, Herr Lieutenant Martinitz, Sie wissen, daß …«

»Gnädigste Contessa, ich weiß nichts, als daß ich buchstäblich meine Befehle auszuführen habe.«

»Aber das ist ja ganz entsetzlich!«

Der Lieutenant zuckte abermals die Achseln:

»Ich kann nichts thun, als die Herrschaften bitten, es nicht mich entgelten zu lassen.«

Der junge Herzog von Lothringen fand es am würdigsten, sich möglichst rasch und mit möglichst guter Miene in sein Schicksal zu fügen. Er grüßte mit einem leichten Kopfnicken und lächelnder Miene ruhig seine Schicksalsgenossen und ging.

Ein Trabant folgte ihm.

Trautson begann auf's Neue zu fluchen, aber es half eben nichts. Nachdem auch der Viconde mit seinem Trabanten an der Seite abgezogen war, mußte er sich wohl oder übel in sein Loos finden. Für den weiblichen Theil der Gesellschaft ließ Martinitz Sänften kommen.

Eine halbe Stunde später befanden sich Ablah, Fatimeh, Bahnesa – und Gräfin Juliane Bolagno, Kammerfräulein der Durchlauchtigsten Erzherzogin, unter der Obhut der Priorin des Salesianer-Nonnenklosters.


Zweites Capitel.
Erzherzogin und Kammerfräulein.

Es mochte eine Viertelstunde später sein, als die Erzherzogin Maria Therese durch die Meldung überrascht wurde, daß des Prinzen Eugen von Savoyen Durchlaucht vor der Favorita vorgefahren sei und der Erzherzogin aufzuwarten wünsche.

Den Besuch des berühmten Feldherrn zu empfangen mußte die junge Dame zu jeder Zeit als eine große Ehre betrachten. Heute war sie viel zu gespannt auf Julianen's Rückkehr, auf das was Juliane Alles berichten würde, als daß sie nicht jeden Andern hätte abweisen mögen, um ungestört zu sein, wenn ihr Kammerfräulein von der waghalsigen Expedition in die Höhle des Löwen zurückkomme. Aber dem Prinzen von Savoyen öffneten sich alle Thüren, und auch die der Erzherzogin flog auf einen von der jungen Dame gegebenen Wink, » à deux battants« vor ihm auf.

»Grüß Gott Ew. Liebden,« rief ihm Maria Therese entgegen, indem sie aufstand und ihm die Rechte reichte, welche der alte Degen respectvoll an seine Lippen führte – »was bringen Sie mir? Denn ich sehe es Ew. Liebden am Gesichte an – Sie haben etwas, das nicht alle Tage vorkommt etwas Neues etwas Wichtiges …«

»Durchlauchtigste Erzherzogin, da sehen Sie zu viel,« versetzte der Prinz, indem er sich Maria Therese gegenüber in den Lehnstuhl niederließ, auf welchen sie gedeutet hatte, »was sollt ich armer alter Mann meiner allerschönsten und holdseligsten Erzherzogin zu bringen haben? Nein, wer es wagt, sich in den beglückenden Lichtkreis zu drängen, dessen strahlende Sonne und lebenspendender Mittelpunct Ew. Liebden sind, der kommt nicht um zu bringen, sondern er will empfangen, er will etwas – haben!«

»Da haben nun Ew. Liebden in die galante Sprache der Courtoisie, für welche Prinz Eugen nicht minder berühmt ist, wie für seine Schlachten und Siege, etwas eingehüllt, was selten der Kern einer so verbindlichen Schmeichelei ist – eine Wahrheit nämlich. Es ist freilich nur zu gewöhnlich, daß Diejenigen, welche uns schmeicheln, etwas von uns wollen!«

»O, darüber klagen Ew. Liebden nicht,« antwortete der Prinz Eugen lächelnd. »Es ist das immer noch ein Vorrecht Ihrer erhabenen Stellung, daß Diejenigen, welche etwas von Ihnen haben wollen, Ihnen wenigstens dabei schmeicheln. Uns andern Sterblichen, die wir keine Götter der Erde sind, begegnet es oft genug, daß man von uns sehr viel haben will und noch grob obendrein ist!«

Maria Therese lächelte. »Aber,« sagte sie, »rechnet sich denn zu den Göttern der Erde nicht der unbesiegliche Prinz Eugenio, der unwiderstehliche Kriegsgott …«

»Ach, meine allertheuerste Erzherzogin, Sie sind sehr gnädig, mich mit dem weiland gepriesenen Gotte Mavors oder Mars zu vergleichen; in der That aber müssen Ew. Liebden, wenn Sie mich recht anblicken, gestehen, daß ich leider mehr dem von der Natur nicht so günstig behandelten Vulkano ähnlich sehe …«

»Darauf darf ich gar nicht antworten,« versetzte die Erzherzogin, »denn wollte ich es, so müßte ich fürchten, mit jedem Wort etwas zu sagen, was mir den unauslöschlichen eifersüchtigen Haß der unvergleichlichen Gräfin Lorel zuzöge.«

»Wagen es Ew. Liebden darauf immerhin – denn den Zorn meiner allergetreuesten und liebwerthesten Freundin gänzlich wieder zu versöhnen, brauchen Sie nur das zu thun, was ich eben von Ihnen zu bitten komme!«

»Und das ist, mein Prinz?«

»Eine ganz kleine Aufklärung zu geben.«

»Worüber?«

»Ueber die merkwürdigste aller Geschichten, die sich seit der letzten Türkenbelagerung in dieser geschichtenreichen Kaiserstadt ereignet hat.«

»Und die wäre?«

»Ach, ich sehe wohl, Ew. Liebden spielen die Verschwiegene, von nichts Wissende gegen mich. Das ist sehr grausam. Denken Sie sich, wenn ich sogleich zur Lorel fahre, um meine gewöhnliche abendliche Spielpartie bei ihr zu machen; wenn dann Graf Windischgrätz, Graf Tessin, Gräfin Lorel, alle diese lieben alten Damen mit den Piquetkarten in der Hand da sitzen, brennend vor Neugier, welche Erklärung ihnen Prinz Eugen mitbringen werde, und wenn ich dann sagen muß: meine theuren Freunde, ich weiß nichts, ich begreife nichts, ich habe keine Ahnung …«

»Aber wovon sollen Sie denn eine Ahnung haben, Prinz?«

»Ja, wüßten Sie denn wirklich nichts, gnädigste Erzherzogin?«

»Ich begreife auch nicht im Entferntesten, wovon Ew. Liebden die Gnade haben mit mir zu reden!«

»Es ist aber doch Ihr vertrautestes Kammerfräulein, Gräfin Juliane, dabei!«

»Wobei?« fragte Maria Therese hoch aufhorchend – »was ist denn um's Himmels willen vorgefallen?«

Der Prinz Eugen erzählte nun, was ihm eben begegnet. Er war heute wie alle Tage in seinem Palast in der Himmelpfortgasse in seine Carrosse gestiegen, aber nicht sogleich zur Gräfin Batthiani, seiner Freundin, die auf der Freiung wohnte, gefahren, sondern eines andern Weges, auf den die vier alten, in ganz Wien bekannten Isabellen mit dem rosafarbenen Spielzeug zu lenken es dem Kutscher bedeutende Anstrengung gekostet hatte. Denn die klugen Thiere glaubten am besten zu wissen, wohin sie um diese Stunde ihren Herrn zu bringen hatten, brachten sie ihn doch immer richtig an sein Ziel, sogar dann, wenn auch, wie nicht selten geschah, der Prinz im Wagen, der Kutscher auf dem Bock, der Heiduck am Schlag und die beiden Diener hintenauf eingeschlafen waren – die Gesellschaft zählte ja in der letzten Zeit ihres friedlichen Zusammenseins nicht weniger als 310 Jahre.

Heute aber war, wie gesagt, Prinz Eugen nicht gleich nach der Freiung, sondern zuerst nach Trautson's Lustgarten gefahren. Wenn er jedoch gehofft hatte, hier sein Auge an jugendlicher Schönheit zu laben, so hatte er sich sehr getäuscht gefunden, als er in dem Pavillon Niemanden anders angetroffen, als eine alte Beschließerin, die ihm mit einem Schwall klagender Worte ihr Entsetzen geschildert, daß eine Trabanten-Abtheilung vor wenig Augenblicken in dies friedliche Revier eingebrochen sei und gefangen daraus eine Reihe von Persönlichkeiten abgeführt habe, deren Verhaftung eine vollständige Scala des Erschrecklichen und Entsetzlichen darstellte, wenn man Frau Afra das Verzeichniß hersagen hörte. Denn danach waren es ja gewesen niemand Geringeres als:

Drei echte Türkinnen.

Eine unechte Türkin, das hochgeborne Kammerfräulein Gräfin Juliane Bolagno.

Der gnädige Herr Viconde da Bojador y Roccaberti.

Der hochgebietende Herr General, Graf Veit Trautson, Excellenz.

Der durchlauchtigste Herzog, Franz Stephan von Lothringen.

Als Maria Therese den letzten Namen hörte, wechselte sie rasch die Farbe. Sie faßte sich mit Mühe und ihre Lippe zitterte, als sie den Prinzen hastig fragte:

»Und haben Ew. Liebden wirklich von der alten Person gehört, daß der Herzog von Lothringen in dem Pavillon gewesen?«

»Und daß er wie die Andern in Arrest abgeführt,« antwortete der Prinz. »Und nun sagen mir Ew. Liebden, was kann dies zu bedeuten haben? Da Ihr Kammerfräulein bei der Gesellschaft ist, so habe ich mir vorgestellt, daß meine huldreichste Erzherzogin einen Schlüssel dazu haben müsse!«

»Ich versichere Sie aber, es ist mir Alles ein Räthsel,« entgegnete die Erzherzogin. – »Der Kämmerer da Bojador, Trautson, der Herzog von Lothringen verhaftet! Das ist ja eine Geschichte, die die ganze Stadt in Bewegung setzen wird. In der That aber, etwas Unerklärlicheres ist nie vorgekommen … Der Herzog von Lothringen verhaftet – o mein Gott – wie ist das möglich – wer hat das befehlen können…?«

»Nur Seine kaiserliche Majestät allerhöchstselbst,« entgegnete der Prinz Eugen, indem er mit einem gewissen kaustischen Lächeln die ganz außergewöhnliche Bewegung beobachtete, in welche seine Nachricht die Erzherzogin versetzt hatte, und welche diese mit allem Aufgebot ihrer Kraft vor seinem Auge zu verbergen strebte.

»Beruhigen sich Ew. Liebden,« sagte er dann: »es ist ganz gewiß ein Mißverständniß hier im Spiele. Wie würden sonst Seine kaiserliche Majestät etwas zu verfügen geruht haben, was so sehr die Rechte des Herzogs von Lothringen verletzt und so wenig mit der von Allerhöchste demselben dem jungen Herzog immer gewidmeten Huld und Gnade zusammen zu reimen ist!«

Der Ton, in welchem Maria Therese auf diese Worte erwiderte, zeigte, daß dieselben plötzlich einen vollständigen Umschwung ihrer Stimmung hervorgebracht hatten, oder wenigstens, daß ein solcher Umschwung sich vollzogen hatte, während Prinz Eugen sprach. Nicht mehr Erschrockenheit, Staunen drückte sie aus, sondern jetzt plötzlich eine zornige Gereiztheit.

»Seine Majestät werden nicht auf Mißverständnisse hin solche Maßregeln ergreifen lassen,« sagte sie. »Ich glaube, Seine Majestät haben das Recht, es den jungen Herzog scharf empfinden zu lassen, daß es sich nicht schickt, mit solchen Geschöpfen zu verkehren, wie Trautson sie uns hierher zu verpflanzen für gut befunden hat; – daß ein junger Mann von so hoher Abkunft sich sehr, sehr tief erniedrigt, wenn er so völlig vergißt, was er seinem Namen schuldig ist! … Wenn der Kaiser ein solches Wesen, das freilich an andern Höfen nicht so ungewöhnlicher Natur sein mag, aber hier, an unserm Hoflager, in unserm guten Wien, Gott sei Dank, etwas Unerhörtes ist …«

»Aber, Ew. Liebden,« unterbrach der Prinz Eugen die Erzherzogin, deren ganzes Gesicht sich bei ihren Worten geröthet hatte, »gehen Sie doch mit dem armen jungen Herzog nicht so erbarmungslos in's Gericht. Kann er denn nicht gerade so wie ich ganz zufällig oder von der bloßen Neugier dorthin geführt sein?«

»Wenn das vorauszusetzen wäre,« fiel die Erzherzogin ein, »so würde der Kaiser nicht haben sofort zu Maßregeln greifen lassen, deren Aufsehen erregender Charakter ihm nicht entgangen ist – das werden Ew. Liebden dem Kaiser von selbst zutrauen!«

»Das traue ich allerdings dem Kaiser zu, unsern erleuchteten und Alles wohl durchdenkenden allergnädigsten Herrn; was ich aber meiner gnädigsten Erzherzogin nicht zugetraut hätte,« fuhr Prinz Eugen fort, indem er seine klugen Augen mit dem durchdringenden Blick lächelnd auf Maria Theresia heftete – »das ist, daß sie gegen einen Angeklagten Partei nimmt, den, wie es scheint, die Strafe vor der Untersuchung getroffen hat!«

Maria Therese blickte ohne zu antworten auf den Boden.

»Also Sie wollen mich heimschicken, um nicht viel klüger als zuvor?« fragte der alte Feldmarschall sich erhebend.

»Lieber Prinz Eugen,« antwortete Maria Therese, indem sie dem Prinzen ihre Rechte hinstreckte, glauben Sie mir, ich wollte, ich wäre auch nicht klüger als zuvor. Leider aber bin ich's, und ich fühle, es thut dem Herzen nicht wohl, so durch's Leben klüger gemacht zu werden!«

Prinz Eugen sah, daß bei diesen Worten die Wimper der Erzherzogin einen feuchten Glanz bekam. Er drückte leise die kleine volle Hand, die er geküßt hatte.

» Sind Sie denn wirklich klüger, Erzherzogin?« sagte er dabei mit dem Tone tiefer Theilnahme.

Maria Therese wandte sich ab, um ihre Bewegung nicht zu zeigen.

»Vielleicht nur ein klein wenig ungerecht, ein klein wenig thöricht!« setzte er hinzu. »Urtheilen Sie wenigstens doch nicht, bevor Sie untersucht, bevor Sie des Angeklagten Vertheidigung gehört haben! Ich halte den Herzog von Lothringen für einen jungen Mann von irreprochablen Sitten!«

»Mag sein,« antwortete Maria Therese, sich dem Prinzen wieder zuwendend und mit stolzer Entschlossenheit ihn anblickend, »aber die Sache ist nun 'mal so, daß ich, was mich angeht, den Angeklagten nie mehr anhören werde! Mir bleibt nichts übrig, als mich an die Voraussetzung zu halten, daß mein kaiserlicher Vater Niemandem Unrecht thut! – Doch nun entziehen Sie sich der schönen Lorel nicht länger. Behüte Gott Ew. Liebden!«

Sie nickte ihm huldreich zu und der Prinz Eugen fand sich von dem jungen Mädchen mit einer Würde entlassen, als wenn er aus einer Audienz bei dem alten majestätischen Kaiser entlassen worden wäre.

Niemand hat Maria Therese belauscht während der Stunde, welche sie nach des Prinzen Eugen Weggehen in völliger Einsamkeit zubrachte. Als ihre Oberhofmeisterin kam, um sie zur Abendtafel zu begleiten, fand die würdige alte Dame die Erzherzogin ohne Licht, obwohl es bereits dunkel war. Maria Therese sandte die Oberhofmeisterin fort, ohne ihr zur Tafel zu folgen; gleich darauf aber klingelte sie, ließ sich Licht bringen und setzte sich an ihren Schreibtisch.

Sie schrieb ein Billet an den Kaiser und bat darin um sofortige Auslieferung ihres verhafteten Kammerfräuleins.

Wieder eine Stunde verfloß und athemlos, raschen Schrittes trat Gräfin Juliane Bolagno in das Cabinet der Erzherzogin.

Sie hatte, auf den Befehl des Kaisers aus dem Kloster der Salesianerinnen geholt, sich nur die Zeit genommen, ihre Verkleidung abzustreifen.

»Bolagno!« sagte Maria Therese, ihr entgegen eilend – »in welche Lage habe ich Sie gebracht!«

»Mein Gott,« antwortete diese, »was habe ich erleben, was erfahren müssen!«

»Sie sind leichenblaß, armes Kind – Sie sehen zum Erschrecken aus – fassen Sie sich und erzählen Sie mir Alles.«

»Dann müssen Sie mir erlauben, mich zu setzen, aller Etikette zum Trotz, Durchlaucht – meine Kniee tragen mich nicht mehr!«

Maria Therese schob rasch mit eigener Hand ein Tabouret herbei.

Juliane Bolagno begann zu erzählen. Sie erzählte Alles. Sie erzählte die Scene welche sie mit Trautson gehabt; sie erzählte, wer plötzlich hinter dem Vorhang aus dem Alkoven aufgetaucht und sie gegen die drohenden Gesten des Grafen Veit zu schützen unternommen habe. Sie erzählte die Katastrophe, welche sie in das Kloster der Salesianerinnen geführt; sie erzählte von Bahnesa und konnte nicht aufhören, gerade von ihr zu erzählen, von der jungen Griechin, die vertrauensvoll und rückhaltlos Juliane ihr ganzes Herz aufgeschlossen und nicht unterlassen hatte, in naivster Unbefangenheit dem Kammerfräulein zu schildern, welchen edlen und aufopferungsvollen Freund sie in ihrer Verlassenheit an dem spanischen Viconde gefunden habe.

Bahnesa hatte keine Ahnung davon gehabt, daß sie mit jedem ihrer Worte ihrer neuen Vertrauten einen Dolch in's Herz stieß. Diese aber hatte sich volle Revanche genommen. Sie hatte der Griechin ihren spanischen Freund mit Farben geschildert, wie sie nur die Rachsucht eines tödtlich beleidigten Frauenherzens finden kann.

Maria Therese hätte durch hundert Fragen die Mittheilungen ihres Kammerfräuleins unterbrechen mögen. Aber sie beherrschte sich.

Wie ein Knabe, der an einem Bache steht, auf die aufwärts schwimmenden Fische wartend, um sie mit dem Stachel zu spießen, ließ Maria Therese diesen Strom von Worten an sich vorüber rauschen, still harrend auf das, was ihr allein am Herzen lag, wofür allein der Egoismus der Leidenschaft ihr Sinn und Interesse übrig ließ und was doch so selten in diesem Redefluß daher geschwommen kam auf die Erwähnung, auf den Namen Franz Stephan's. Das aber, was sie wissen wollte, erfuhr sie dennoch zur Genüge: die Bestätigung der Thatsache, daß Franz Stephan von Lothringen in den Pavillon Trautson's gekommen und dort auf den ausdrücklichen Befehl des Kaisers verhaftet worden sei.

Sie suchte dann Juliane Bolagno zu beruhigen. Wäre sie nicht mit ihrem eigenen Kummer so beschäftigt gewesen, so würde sie Beredtsamkeit genug gefunden haben, dies zu können. Ihr eigenes Gefühl dieser Stunde hätte ihr es leicht gemacht, die rechten Worte zu sprechen, welche ihren Weg zum Herzen des Kammerfräuleins gefunden hätten, die ja von ähnlichen Emotionen, wie sie selbst, bestürmt war; nur daß das, was Juliane Bolagno bestürmte, mehr den Charakter der Erbitterung und Entrüstung hatte, mehr die rachsüchtige Empörung der gekränkten Südländerin in sich schloß.

Das Zwiegespräch der beiden jungen Damen wurde nach einer Weile unterbrochen. Die Oberhofmeisterin kam zurück, und die Erzherzogin fand kein Mittel mehr, für den Rest des Abends allein zu bleiben.

Juliane begab sich, von der Erzherzogin beurlaubt, in ihre Zimmer zurück. An der Thüre stand, ihrer wartend, Resi; statt ihre Gebieterin mit neugierigen Fragen zu belästigen, die sich Resi unter andern Umständen sicherlich erlaubt haben würde, flüsterte sie ihrer Contessa zu, daß der Viconde im Vorzimmer sei und auf sie warte.

Juliane erröthete bei dieser unerwarteten Mittheilung bis an die Haarwurzeln: aber es war kein Erröthen der Verlegenheit; sie trat wenigstens sehr rasch und entschlossen ein und sagte mit fester Stimme, als sie in der That da Bojador in ihrem Vorzimmer auf- und abgehend erblickte:

»Hat der Kaiser Ihnen Stubenarrest in meinem Vorzimmer gegeben?«

»Nein, Juliane,« versetzte der Viconde, – »ich habe mich von meinem Stubenarrest für eine Weile auf meine eigne Gefahr losgemacht. Einen kleinen Spaziergang in der Abendkühle schließt ein solcher Stubenarrest nicht aus, man muß nur eben Niemanden zu begegnen verstehen.«

»Und was wollen Sie hier, mein Herr Viconde? Ich finde es sehr seltsam, daß Sie für Ihre abendlichen Spaziergänge mein Vorzimmer gerade auszuwählen für gut finden?«

»Ich werde Ihnen ganz genau und ganz ausführlich sagen, was ich will,« antwortete da Bojador, »nachdem Sie Ihre Resi werden fortgesandt haben!«

»Die Person, welche ich in diesem Augenblick von hier entfernt wünsche, ist nicht Resi!« antwortete das Kammerfräulein.

»Juliane,« sagte da Bojador, »auf diese Art und mit gereizten Redensarten kommen wir nicht weiter …«

»Ich sehe durchaus nicht die Nothwendigkeit ein, irgend weiter zu kommen; da ich von diesem Tage an jede Beziehung unter uns, vorausgesetzt, daß je Beziehungen unter uns bestanden hätten, – als abgebrochen betrachte, so scheinen wir überhaupt alle weiteren Reden, gereizte oder ungereizte, überflüssig.«

Damit wandte Juliane Bolagno dem Spanier den Rücken und machte Miene, in ihr Wohnzimmer zu treten.

Aber der Viconde ließ sich nicht so rasch aus dem Felde schlagen; mit zwei Schritten stand er neben ihr und hielt sie zurück, indem er ihre Handwurzel ergriff.

»Halt, Juliane, – Sie müssen mich hören.«

»Wer will mich zwingen,« antwortete sie, indem sie mit zorniger Entrüstung ihren Arm loszumachen strebte.

»Ich – mit einem einzigen Wort.«

»Mit einem Wort? – o das lassen Sie doch hören, das Zauberwort, mein Herr Viconde; – glauben Sie etwa, daß Sie immer solche unglückliche, leichtgläubige Geschöpfe wie Ihre arme bethörte Griechin vor sich haben, auf welche freilich Ihre Worte einen sehr großen Eindruck gemacht haben?!«

»O nein, Juliane,« sagte mit einem gewissen Pathos der Viconde – »ich weiß sehr wohl, daß ich in diesem Augenblicke die Gräfin Juliane Bolagno vor mir habe, und daß für diese allein mein Wort die Macht hat, sie an diese Stelle zu bannen, wo sie mich anhören wird. Es gehört dazu eben das edle Selbstbewußtsein, der Stolz der Contessa. Denn wenn Sie nicht bleiben, so nenne ich es einfach Feigheit, daß Sie mich nicht anhören wollen.«

Juliane brach in ein erzwungenes Gelächter aus.

»Sie lachen?«

»Ueber den merkwürdigen Dünkel, womit Sie zu glauben scheinen, es könne von heute an noch irgend eine Tugend oder irgend ein Fehler bei mir in's Gewicht fallen, welchen Sie, Herr Viconde, mir anzudichten oder nachzusagen geruhen sollten!«

»Nun wohl, Juliane,« fuhr da Bojador fort, »so gestehe ich meinen Irrthum ein und verzichte darauf, Sie durch ein so einfaches Mittel hier festzuhalten. Ich habe geglaubt, wenn ich Ihnen zeigte, daß ich die Maske der Entrüstung, die Sie gegen mich vornehmen, durch schaute …«

»Maske?! Das nennen Sie Maske? meine tief innerste Empörung über die unerhörte Beleidigung, welche Sie mir zugefügt haben, über Ihre bodenlose, meineidige Falschheit …«

»Hören Sie auf, holde Juliane – Der Zorn entstellt nur Ihre schönen Züge und Sie bringen mich doch nicht dazu, mich durch ihn vernichtet zu fühlen, da Sie, wie Sie wohl wissen, gar kein Recht zum Zorne haben. Und darum nenne ich diese Entrüstung Maske, bloße Maske!«

»Aber weshalb, bei allen Göttern, sollte ich um eines Mannes wie Sie willen, mir die Mühe eines Maskenspiele machen, mein Herr Viconde? Das geht denn doch zu weit über die Grenzlinie hinaus, bis zu welcher meine schwachen Verstandeskräfte reichen!«

»Haben Sie nicht schon einmal heute zu einem anderen und zwar doch noch viel mühsamerem und gefährlicherem Maskenspiele sich bewogen gefunden – auch um eines Mannes von so grenzenlos tiefem Unwerth willen?«

»Um welches Mannes willen?«

»Nun, doch wohl aus argwöhnischer Eifersucht und das heißt am Ende, um Ihres unterthänigsten Dieners willen!«

Juliane brach abermals in ihr gezwungenes Gelächter aus.

»Welche bizarre Idee!« sagte sie. »Glauben Sie wirklich, um Ihretwillen wäre ich in den Pavillon gekommen?

»Nun, weshalb sonst?«

Juliane zuckte die Achseln und machte eine Miene unsäglicher Verachtung.

»Sie haben Ihren Zweck erreicht, Juliane,« fuhr da Bojador, unbeirrt dadurch, fort; »Sie haben sich in das Geheimniß meines rein freundschaftlichen Verkehrs mit dieser jungen Griechin eingeschlichen – der Himmel weiß, wer Sie auf die Spur desselben gebracht haben mag! Im Besitz dieses Geheimnisses mußten Sie sich aber doch zweierlei sagen. Entweder mußten Sie annehmen, ich benutze meine Bekanntschaft mit dieser Griechin zu der Ausführung des Planes, von dessen Gelingen Sie mein Lebensglück abhängig gemacht haben. Dann lag für Sie auch nicht die mindeste Veranlassung vor, darüber entrüstet zu sein. Oder Sie konnten sich sagen, ich liebe dieses schöne Mädchen aus dem Hellenenlande, ich mache ihr den Hof, ich verfolge › ma bonne fortune‹ bei ihr. Auch dann jedoch dürften Sie mir nicht zürnen; denn wie Sie sich erinnern, meine theure Juliane, haben Sie, Sie selbst, feierlich aus unserer Verbindung das Element des Herzens und der Gefühle ausgeschlossen und an deren Stelle ausdrücklich die Intrigue gesetzt. Was also ist denn eigentlich mein Verbrechen?«

Gräfin Juliane wechselte die Farbe und biß sich zornig auf die Lippen.

»Und doch,« fuhr da Bojador fort, »zeigen Sie mir Ungnade, Entrüstung, Verachtung, eine ganze Scala von Gefühlen, welche darauf berechnet sind, mich niederzuschmettern und zu vernichten. Sehen Sie, das ist, was ich Maske genannt habe, eine Maske, deren Annahme ich vorhin im Begriff war, als Feigheit zu bezeichnen.«

»Ich hoffe, die Beredtsamkeit, welche Sie entwickeln, Herr Viconde, wird nicht versiegt sein, wenn ich mir von derselben jetzt die Erklärung dieser für mich so schmeichelhaften Behauptung erbitten muß,« sagte das Kammerfräulein mit spöttischem Ton.

»Sie haben gesehen,« antwortete da Bojador, »daß ich in ein sehr schlimmes Imbroglio gerathen bin, in eine Lage, die ich freilich selbst nicht ganz überschauen kann, weil mir noch völlig dunkel ist, was eigentlich zunächst den Kaiser zu dem Gewaltschritt veranlaßt hat, der heute uns Alle betroffen. Wenn ich aber recht vermuthe, so ist es Klein gewesen, der mich auf's Heilloseste verschwärzt hat und dann droht mir die Aussicht, bei der ganzen Affaire zuletzt den Sündenbock abgeben zu müssen. Sie, Gräfin Juliane, sind klug genug, sich von einem solchen Unglücklichen zurückzuziehen, und um für dies muthvolle und hochherzige Betragen einen Vorwand zu haben, stellen Sie sich mir gegenüber wie tödtlich beleidigt durch mein Verhältniß zu jener Griechin, das Sie im Grunde gar nicht verletzen kann. Habe ich nicht Recht, ein solches Betragen feig zu nennen? Ihnen zu Liebe bin ich in meine fatale Lage gerathen. Nun reichen Sie mir auch die Hand, um mich daraus zu befreien. Das sind Sie mir schuldig.«

»Meine Hand wird immer willig sein, Ihnen die Palme der Beredtsamkeit zu reichen,« sagte Juliane bitter ironisch, »aber zu weiter nichts!«

Der Viconde ließ sich dadurch nicht irre machen. Er fuhr fort zu reden, und begann Julianen mitzutheilen, was er gethan, und was er beabsichtigt, um das Ziel zu erreichen, welches ihm von ihr selbst gesteckt worden. Sie konnte nicht anders als dieser Mittheilung die gespannteste Aufmerksamkeit schenken; da Bojador sah, daß er das Spiel gewinne. Ihre Entrüstung, ihr Zorn legten sich mehr und mehr: ihre beleidigte Frauen-Eitelkeit begann sich dem Troste zu öffnen, den er in seine Darstellung zu legen wußte; ihre Züge ließen nach und nach den Ausdruck der Verachtung und des Hochmuths fahren, welchen sie ihm bisher gezeigt hatte – aber sie verfinsterten sich plötzlich wieder, als der Viconde mit den Worten schloß:

»Und nun sehen Sie selbst, welches dringende Interesse wir haben, uns durch gemeinsame Anstrengungen aus der Lage zu retten, in welche wir gerathen sind!«

»In welche wir gerathen sind? Ich wüßte nicht, was ich zu befürchten haben könnte,« sagte sie; »mag man meinem Erscheinen in dem verwünschten Trautson'schen Sommerhause eine Deutung geben, welche man will. – Die Erzherzogin hat mich hingesandt und sie muß mich vor allen üblen Folgen schützen, die etwa daraus entstehen könnten!«

»Als ob nicht von Ihrer Hand das Billet geschrieben wäre, welches den Herzog von Lothringen in den Pavillon lockte; als ob er nicht desselben sich bedienen würde, um sich zu rechtfertigen; als ob nicht der ältesten Erzherzogin und einer Menge anderer Personen Ihre Handschrift bekannt wäre!«

»Was schadet es? habe ich es nicht blos auf Ihren Wunsch hin geschrieben, ohne eine Ahnung zu haben, was es bedeute?«

»Und das wollen Sie zu Ihrer Rechtfertigung vorbringen, um zugleich mir dadurch den Untergang zu bereiten – mir, dem der Kaiser den Auftrag gab, zu untersuchen, ob Lothringen in dem Pavillon verkehre und der dann darüber ertappt wird, daß er selbst den jungen Mann hinlockt?«

»Nun,« fiel das Kammerfräulein mit boshafter Ruhe ein – »weshalb haben Sie mich zu etwas beredet, was Sie so unrettbar verderben muß?«

»Es ist einmal geschehen, theure Freundin – deshalb bleibt nichts übrig, als sich über die geeignetsten Schritte zu verständigen, um den Folgen zuvor zu kommen, die auch für Sie sehr unangenehm werden könnten, wenn man z. B. auf den Einfall käme, Ihren Versicherungen den Glauben zu versagen! –«

»Und was kann geschehen?«

»Nur Eines – unser Schicksal liegt in der Hand der Griechin!«

»Der Griechin? Was kann sie …«

»Sie kann aussagen, daß das Billet von Ihnen auf ihren eigenen Wunsch geschrieben sei; daß sie in der That den Herzog von Lothringen habe um seine Verwendung ersuchen wollen; daß sie jedoch, nicht unterrichtet im Schreiben, Sie, Gräfin Juliane, habe bitten lassen, die Zeilen für sie aufzusetzen.«

»Wird sie das erklären?«

»Ich glaube, sie wird es, wenn Sie selbst mit ihr reden wollen …«

» Ich soll das thun?«

»Wer anders soll es? Ist es nicht Ihre Angelegenheit wie die meine – und ich, das wissen Sie, ich bin verhaftet!«

Juliane schwieg eine Weile.

»Aber was soll ich diesem Geschöpfe sagen, wenn es Aufklärungen verlangt?«

»Dann geben Sie ihm Aufklärungen. Ich denke, sie sind nicht schwer zu finden. Sie glaubt ja schon, daß ich für sie gehandelt, wie ich es für ihr Bestes gehalten; ich hatte noch eben Zeit, ihr diesen Schritt mitzutheilen, bevor die Ankunft Trautson's in seinem Pavillon mich zwang, – so rasch unsichtbar zu werden. Sie wird keine Schwierigkeiten machen.«

Daß Bahnesa keine Schwierigkeiten machen werde, war Julianen nicht so einleuchtend, wie dem Viconde. Sie wußte nur zu gut, daß sie selbst heute, während der Zeit, welche sie mit der Griechin im Kloster der Salesianerinnen zugebracht, Alles gethan hatte, um Bahnesa zu überzeugen, daß ihr treuer Freund und Beschützer nichts sei als der falscheste aller Männer. Sie hatte Bahnesa in einen Abgrund von Verzweiflung gestürzt, indem sie ihr mit rachsüchtiger Schonungslosigkeit alle ihre Neigung zu da Bojador, all ihr Vertrauen auf ihn, alle ihre frohen Zukunftshoffnungen, die auf der treuen Aufrichtigkeit des Viconde aufgebaut waren, aus dem Herzen gerissen, vernichtet, zertrümmert hatte.

Sie sah im Geiste Bahnesa in ihrer kleinen dunklen Klosterzelle sitzen, versenkt in namenloses Leid, in all den Schmerz, dessen eine leidenschaftliche Frauennatur nur fähig ist. Und jetzt sollte Juliane sich zu ihr begeben, um ihre eigenen Reden Lügen zu strafen, um ihr wieder so ganz andere Vorstellungen zu erwecken: sie sollte ihr den Viconde wieder im Lichte des aufrichtigen Freundes darstellen, der in ihrem Interesse thätig gewesen … wie war das möglich? … Und wenn sie das Unmögliche that, wenn sie wirklich sich zu der Griechin begab, war dann vorauszusetzen, daß Bahnesa's naive Harmlosigkeit und kindliches Vertrauen so weit gehen würden, um ihr zu glauben? War sie so alles eigenen Urtheils, alles Mißtrauens baar, um sich auf Liebe und auf Haß, auf Vertrauen und auf Argwohn stellen zu lassen, wie man eine Uhr auf eine beliebige Stunde stellt, oder ein Instrument stimmt auf eine beliebige Tonart?

Juliane mußte gegründete Zweifel daran hegen. Aber sie konnte den Grund dieser Zweifel da Bojador freilich nicht mittheilen. So mußte sie sich damit begnügen, ihm endlich zuzusagen, daß sie versuchen wolle, was er von ihr verlangte, nur um dies peinliche abendliche Tête-à-tête in ihrem Zimmer, das, wenn es ausgekundschaftet würde, ja vernichtend für ihren ganzen Ruf war, zu Ende gehen zu sehen.

»Ich danke Ihnen, Juliane,« sagte da Bojador, »daß Sie so viel für mich thun wollen. Zwar sind Sie viel zu klug, um nicht einzusehen, daß Sie es thun müssen, weil die Gefahr auch über Ihrem Haupte schwebt und weil Ihre Handschrift Sie jedenfalls blosstellt. Denn, wenn Sie auch unschuldig waren bei diesem fatalen Billet, so besitzt die Welt doch einmal die unangenehme Eigenschaft, alle Aufklärungen und Angaben, die von Jemanden kommen, der sich entschuldigen will, mit bedeutendem Mißtrauen aufzunehmen! Aber ich danke Ihnen dennoch. Und um dieses Dienstes willen, den Sie, sagen wir, mir erzeigen wollen, will ich mich anstrengen; die tiefen und grausamen Wunden zu verschmerzen, welche Sie mir geschlagen haben, indem Sie meiner Anwesenheit in Trautson's Lusthaus, meiner grenzenlos unschuldigen Bekanntschaft mit diesen Odalisken eine so bitterböse Deutung gaben!«

»Ich soll sie Ihnen zu guter letzt noch wohl abbitten, mein Herr Viconde,« versetzte Juliane, indem sie einen Theil ihres früheren Zornes zurückkehren fühlte. »Nein, mein kecker Senhor, darauf warten Sie nicht, Sie würden um den besten Theil Ihrer Nachtruhe kommen, wenn Sie bis dahin hier ausharren wollten.«

»Soll ich Ihnen denn schwören …«

»Schwören? darin mögen Sie freilich in den letzten Tagen sich eine anerkennenswerthe Uebung angeeignet haben …«

»Wie boshaft!«

»Aber ich erlasse Ihnen von ganzem Herzen den Beweis Ihrer Routine in diesem Artikel, wenn Sie mich mit etwas anderem zu Dank verpflichten wollen.«

»Was verlangen Sie?«

»Daß Sie jetzt augenblicklich gehen!«

Der Viconde da Bojador nahm seinen Hut und verbeugte sich.

»Ich gehe,« sagte er, »mit der Ueberzeugung, daß wenn es zum Friedensschlusse freilich zwischen uns noch nicht ganz gekommen, doch die Punctationen als festgelegt betrachtet werden dürfen! Ist's nicht so?«

Juliane antwortete nicht, sie schüttelte den Kopf und verschwand dann in ihrem Wohnzimmer. –

Der Viconde stahl sich über die dunklen Corridore ungesehen in seine Wohnung zurück.


Drittes Capitel.
Franz Stephan von Lothringen.

Kaiser Karl der Sechste war seit langer Zeit nicht in einer so ungnädigen und verdrießlichen Stimmung gewesen, als an dem Morgen, welcher auf die geschilderten Ereignisse folgte.

Am Abende des gestrigen Tages noch hatte ihm der Lieutenant von der Trabanten-Leibwache, welcher seinen Befehl ausgeführt, Bericht erstattet. Als er zu seinem großen Aerger erfahren, daß da Bojador nicht nur, sondern auch Trautson von seiner strengen Maßregel betroffen, und daß wirklich auch der Herzog von Lothringen von dem Lieutenant in dem Pavillon gefunden worden, hatte er alle drei Herren um eine bestimmte Stunde an diesem Morgen zur Audienz befohlen und zugleich dem Obersthofmeister einen Auftrag geben lassen. –

Trautson und da Bojador erschienen. Der Herzog von Lothringen erschien nicht.

Trautson gab in sehr bündig kurzen Worten Rechenschaft, was ihn veranlaßt hatte, die drei Odalisken von seiner Expedition mitzubringen; desto wortreicher wurde er, als er begann, vor dem Kaiser eine Fluth heftiger Anklagen auszuströmen. Der größte Theil derselben richtete sich wider da Bojador, den er in seinem Sommerhause versteckt gefunden, und der Rest wider die Behandlung, die er von einem Trabanten-Lieutenant in seinem eigenen Hause erfahren.

Der Viconte da Bojador vertheidigte sich wider die Beschuldigungen Trautson's mit scheinbar großer Ruhe. Er hatte ja einfach einem Befehle des Kaisers gehorcht, indem er sich in das Sommerhaus begeben, um dort den Beobachter zu machen!

Der Kaiser antwortete darauf weder durch ein Zeichen des Beifalls, noch der Mißbilligung. Mit düsterer Miene rührte er die kleine Silberschelle auf seinem Arbeitstische. Ein Officiant öffnete von außen die Thüre des Gemachs und ließ den Baron Klein eintreten.

»Rede Er jetzt, Klein,« befahl der Kaiser.

Klein verlangte nichts Besseres. Er sprudelte eine Fülle der giftigsten Anschuldigungen wider da Bojador hervor. Er sagte Alles, was er wußte und noch ein gut Theil mehr. Wenn man ihn hörte, so war es über alle Zweifel gewiß, daß die sämmtlichen Hofdamen als Türkinnen verkleidet sich mit sämmtlichen Hofherren Rendezvous gaben, und daß Trautson dazu seinen Pavillon herlieh. Da Bojador aber war der Anordner, der Leiter des Ganzen, der » Intendant des Menus-Plaisirs« der Antecamera.

Als er geendet hatte, wandte sich der Kaiser zu dem Viconde:

»Verdefendire man sich dagegen, Viconde da Bojador.«

»Majestät,« antwortete der Spanier mit der größten Sicherheit, »ich würde allerdings es unter meiner Würde halten, mich gegen Anschuldigungen zu vertheidigen, welche von dem Baron Klein ausgehen. Da kaiserliche Majestät allerhöchst selbst jedoch es befehlen, so bekenne ich, daß ich mir einen Scherz mit Eurer Majestät Hofnarren habe machen wollen, indem ich ihm zu verstehen gab, eine jener Odalisken habe ihr Herz an ihn verloren, und ihm dann Angst machte mit einem Nebenbuhler.«

Klein's Augen sprühten Blitze bei dem Wort Hofnarr, das so grenzenlos demüthigend für ihn war.

Aber auch der Kaiser schien es sehr ungnädig aufzunehmen. Seine Stirn runzelte sich.

»Er hat also Klein angegeben,« sagte er, »der Herzog von Lothringen sei dessen Nebenbuhler bei den Odalisken …«

»Halten zu Gnaden, Majestät, dies Wort oder vielmehr dieser Name ist nicht über meine Lippen gekommen!«

Klein's ganzes Gesicht glühte, seine Füßchen trippelten, seine langen Arme bewegten sich wie Mühlräder vor innerer Aufregung, während er schrie:

»Majestät, es ist doch wahr, es ist wahr bei dem Worte eines Edelmanns, Majestät, ich will sogleich lebendig in die Hände des glühenden Teufels fallen, wenn es nicht wahr ist …«

Der Kaiser beschwichtigte mit einer gebieterischen Handbewegung den Wuthausbruch des kleinen Barons. Dann sagte er:

»Wir haben hier von Seiner Liebden, dem Herrn Herzoge von Lothringen, ein Schreiben erhalten, worin dieselben uns unterbreiten, in was maßen sie sich persuadiret gesehen, das Sommerhaus Graf Veit Trautson's mit Dero Besuch zu favorisiren, in Anbetracht, daß sie in Form dieses anbeiliegenden Biglietto's eine geheimnisvoll lautende Einladung dahin erhalten hätten.«

Indem der Kaiser so sprach, nahm er vom Tische einen Brief und ein Billet auf; das letztere reichte er dem Viconde.

Es war das von Julianen's Hand geschriebene Briefchen. Da Bojador überflog es; dann sagte er mit etwas weniger Zuversicht:

»Es scheint an des Herrn Herzogs Durchlaucht von einer der Odalisken abgesandt, um den selben zu bewegen, für sie bei Eurer Majestät unterthänigst zu interveniren.«

»So scheint es allerdings,« sagte der Kaiser, »und da wir in die Versicherung des Herrn Herzogs Liebden keinen Zweifel sehen dürfen, wollen, oder mögen, ist das Erscheinen desselben im Sommerhaus Trautson's als völlig gerechtfertigt zu erachten – wie auch aus dem Biglietto unzweifelhaft herfürgeht, daß obgedachte herzogliche Liebden mit dem oder den Individuen, von denen dieses Schreiben an sie ausgegangen, in keinerlei früheren connexu gestanden sind!«

Der Kaiser wurde bei diesen Worten unterbrochen. Ein Officiant trat ein und überreichte Karl dem Sechsten ein ziemlich actenmäßig aussehendes Stück Papier, indem er ihm dasselbe auf einer kleinen Platte von Vermeille präsentirte.

»Des Oberhofmeisters Excellenz lassen allerunterthänigsten Respect vermelden,« sagte der Officiant: »sie hätten die Vernehmung des türkischen Frauenzimmers nicht von ihrem Justitiario bewerkstelligen lassen, sondern hochselbsten, um schärferer Eruirung des Casus willen, sich demselben unterzogen.«

»Des Oberhofmeisters Excellenz sind sehr gütig,« fuhr Trautson dazwischen: »Der Herr Graf Sinzendorf meinten wohl, ihrem alten Freunde Trautson bei dieser Gelegenheit etwas an's Leder flicken zu können!«

Der Kaiser winkte Trautson mit der Hand Schweigen zu. Dann warf er die Blicke auf das Actenstück und begann es halblaut zu lesen:

»Protocollum über die Vernehmung der im dahiesigen Jungfrauenstifte Salesianischen Ordens befindlichen …«

Das Weitere erstarb in dem unverständlichen Gemurmel, mit welchem Karl der Sechste die Seiten der Schrift herunterlas. Plötzlich jedoch zog er die Brauen, düsterer und drohender als je vorher, zusammen und erhob die Stimme; er lag die folgende Stelle des Protocolls vor:

»Item befragt, ob Inquisitin sich beigehen lassen, ein anonymes Brieflein an des Herrn Herzogs von Lothringen Durchlaucht aufzusetzen und abzusenden?

Deponirt Inquisitin wie folgt:

Dieselbe sei allsolchen Vergebens in alle Wege nicht geständig, auch, da sie Schreibens völlig unkundig, dessen bei bestem Willen nicht einmal fähig. Jedennoch müsse sie um Vermerk ad protocollum ersuchen, wie daß am heutigen Morgen dieselbe. Dame, welche am gestrigen Abende mit ihr zugleich arrestiret, darauf aber nach etlicher Stunden Verflöß wieder e clausura relaxiret worden, bei ihr in der Frühe erschienen sei und ihr das Ansinnen gestellt habe, auf etwa erfolgendes Befragen zu erklären: sie, Inquisitin, habe sich um gnädige Fürbitte an des Herrn Herzogs von Lothringen Durchlaucht brieflich zu wenden intendiret; was maßen aber sie selbst zu schreiben nicht vermögend, den Herr Viconde da Bojador, Kämmerer Seiner Majestät, ersucht, ein behufiges Schreiben an obgedachte Durchlaucht für sie aufzusetzen oder aufsetzen zu lassen: letztgenannter Herr Viconde nun habe, um dem Briefe den ductus weiblicher Handschrift zu geben, quästionirtes Schreiben von einer Dame des Hofes, das ist, ihr selbsten, der bei ihr erschienenen Person anfertigen lassen; welchem Ansinnen jedoch sie, die Inquisitin, sich in alle Wege refusiret, sintemal es nicht in Wahrheit bestehe, und sie niemalen den Gedanken gefasset, anmaßlicher Weise an einen durchlauchtigen Prinzen ein solches Schreiben sich beigehen zu lassen, um so weniger, als sie von demselben nie etwas vernommen und seiner hohen Person und erhabenen Charakters gänzlich unkundig und unwissend sei.

Schließlich bittet Inquisitin auf's Demüthigste, daß man sie als eine gute Christin und unschuldige Person nunmehro gänzlich aller Haft entlasse, auch ihr gestatte, nach ihrer Heimath zurückzukehren, allwo ihre Gefreundete sie ohne Zweifel, deß dürfe sie sich getrösten, bei sich aufnehmen würden.«

 

»Es geht also zur Genüge hieraus hervor,« fuhr der Kaiser fort, als er so weit gelesen hatte – »daß man des Herzogs von Lothringen Liebden in das Sommerhaus zu diesem türkischen Frauenzimmer zu kommen ersucht und verleitet hat, mittelst einer Apostille, die von dem Viconde da Bojador und der Gräfin Juliane Bolagno, unsrer ältesten Erzherzogin Tochter Kammerfräulein, verfertigt worden: welches uns um so mehr befremdlich zu erfahren, als wir just den Viconde selber beauftragt, uns über diese Angelegenheit aufzuklären« –

»Majestät«, fiel der Viconde, dem die hellen Perlen des Angstschweißes auf die Stirn traten, hier ein –

Der Kaiser befahl ihm mit einem Wink der Hand Schweigen und fuhr, zu Trautson gewendet und als ob der Spanier gar nicht anwesend sei, zu reden fort:

»Es geziemt sich unsrer Würde nicht, nach einer näheren Einsicht in die ganze hier gespielte Intrigue zu verlangen. Wir haben hinlänglich uns anitzo damit occupiret und befunden, daß ihm, Trautson, allerdings für die widerfahrene Kränkung eine Satisfaction gebühret. Diese Ihm zu gewähren des festen Willens, entlassen wir hiermit den Viconde da Bojador o Roccaberti, als einen in alle Wege unzuverlässigen Diener, des ihm übertragenen Ehrenpostens in unsrem Obristkämmererstab und gebieten ihm hinfüro Vermeidung unseres allerhöchsten Hoflagers, wo dasselbe sich befinden mag, bei unsrer Ungnade und anderer empfindlicher Pön.«

Der Kaiser nickte dem Grafen Trautson zu, um ihm zu sagen, daß er entlassen sei; den unglücklichen Kammerherrn traf keiner seiner Blicke; nur die Schadenfreude des Barons Klein, der mit grimassirendem Gesichte sich an da Bojador's erstarrten Zügen ergötzte, fand er für gut zu dämpfen, indem er zu ihm gewandt halb unverständlich murmelte:

»Ihn, Klein, laß ich in den Narrenthurm sperren, wann Er noch einmal sich erdreistet, uns falsche und lügenhafte, Ihm suggestirte Angaben zu machen und uns freventlich in derlei gänzlich unwürdige und inconvenante Geschichten verstricken zu wollen!«

Damit hatte die Audienz ein Ende und die drei Herren entfernten sich mit sehr gemischten Gefühlen aus der Gegenwart der Majestät.

Als sie das Gemach des Kaisers verlassen hatten, natürlich, um sich hier sogleich nach drei verschiedenen Richtungen zu trennen, wurde Karl dem Sechsten gemeldet, daß der Prinz Eugen um die Gnade bitte, vorgelassen zu werden.

»Ew. Majestät geruhen in mir einen Abgesandten zu empfangen,« sagte der Prinz, als er eingeführt war. »Ich komme mit einer Mission des Herrn Herzoge von Lothringen.«

»Und was lassen uns Seine Liebden, die wir selber und persönlich bei uns zu sehen erwartet hätten, durch Sie entbieten?«

»Etwas, das ich Ew. Majestät unterthänigst vorzutragen dem Herrn Herzoge nicht habe abschlagen dürfen, so schmerzlich es mir auch ist. Der Herzog von Lothringen betrachtet die ihm auf Ew. Kaiserlichen Majestät speciellen Befehl widerfahrene Behandlung als eine Verletzung seiner Rechte und seiner Würde als ein souverainer und unabhängiger Fürst – Majestät halten zu Gnaden, daß ich mich seiner Worte bediene …«

»Reden Eure Liebden nur weiter.«

»Und in Folge davon,« fuhr der Prinz Eugen fort, »sind dieselben des festen Willens, noch heute Ew. kaiserlichen Majestät Hoflager zu verlassen.«

Der Kaiser antwortete nicht, er blickte nur mit großen verwunderten Augen den Prinzen an, aber ohne den Ausdruck des strengen Unwillens zu zeigen, welchen Eugen erwartet hatte.

Nach einer stummen Pause sagte er:

»Ich glaube, lieber Prinz, der junge Mann hat Recht in dieser Resolution.«

»Ich kann keiner andern Ansicht sein, Majestät,« versetzte Eugen.

»Auch,« fuhr der Kaiser fort, »hätte ich keineswegs vermuthet, daß mein Arrestbefehl Seine Liebden treffen würde. Das zu erfahren ist mir höchlichst fatal gewesen!«

»Wenn Eure Majestät vielleicht, um ihm zu satisfaciren, vor dem ganzen Hofstaat dies erklären und dabei zu mehrerer Beruhigung des Herrn Herzogs, den Trabanten-Lieutenant wegen der Ueberschreitung seines Auftrags« – –

»Nimmermehr! Der Officier hat strict seine Pflicht gethan,« fiel der Kaiser ein.

»Auch,« meinte Eugen, »wäre es nicht gewiß, daß der Herzog sich dadurch beruhigen ließe. Er hat seinen festen Willen gegen mich ausgesprochen, noch heute abzureisen und ich habe von ihm weiter keinen Auftrag, als dies Ew. kaiserlichen Majestät zu notificiren.«

»Er will also die Hoffnungen, die ihn an unser Hoflager fesseln, ohne weiters fahren lassen?«

»Diese Hoffnungen und noch mehr … er hat eine edle Inclination für die Erzherzogin Maria Therese; aber er glaubt, daß die Ehre ihm gebiete, und mit einer Entschlossenheit, die ich nur achten kann, will er auf nichts hören, als auf dies Gebot feiner fürstlichen Würde.«

Der Kaiser schritt langsam einige Male im Gemache auf und ab.

»Ich hatte ihm nicht so viel Festigkeit und Stärke des Charakters zugetraut, Prinz Eugen,« sagte er dann. »Dieses deutet auf ein willenskräftiges Ingenium, das nichts von dem, was es sich selbsten schuldig ist, aufgeben wird. Es deutet darauf, daß ein tüchtiger Sinn in dem jungen Herrn präponderiret.«

»Und haben kaiserliche Majestät daran je Zweifel gehegt?« versetzte Eugen von Savoyen. »Der Herzog von Lothringen ist ein Prinz, wie es nicht gar Viele giebt; er ist ein Mann von redlichstem Herzen, von den reinsten Sitten und vom besten Willen beseelt, – daß nur das edelste Blut in seinen Adern fließt, das beweist er jetzt. Ich begreife wohl, daß man es auch eine zu tadelnde Hitze, eine große Unklugheit nennen könnte, so die glänzendste Zukunft in die Schanze schlagen zu wollen. Ich aber, Majestät, ich muß gestehen, daß ich es ritterlich, ja, noch mehr, daß ich es groß finde, wie der Herzog um seines Rechts und seiner Ehre willen weder auf die Stimme der Leidenschaft hört, welche in seinem Herzen für die älteste Erzherzogin wohnt, noch auf die Stimme des Ehrgeizes, welche ihm die Kronen und Ehren des Erzhauses Oesterreich vorspiegelt.«

»Wir sind deß gern geständig, Ew. Liebden,« antwortete der Kaiser, »daß eine solche Entschlossenheit unser ganzes väterliches Wohlgefallen erweckt.«

»Aber ich zweifle, Majestät, daß bei der Stimmung, in welcher der junge Herzog sich befindet, der bloße Ausdruck dieses Wohlgefallens hinreichen wird, seine verwundeten Gefühle zu heilen und zu beschwichtigen!«

»Was meinen Eure Liebden?« fragte der Kaiser.

Prinz Eugen sah ihn mit seinen durchdringenden Augen lächelnd an:

»Ganz dasselbe, was Eure Kaiserliche Majestät in diesem Augenblicke denken.«

»Nun,« antwortete der Kaiser mit einem leisen Anflug von Lächeln, »wann zwei ganz dasselbe im selben Augenblicke denken, so soll es ja wahr sein, sagt man!«

Der Kaiser rührte die Klingel.

Ein Officiant trat aus dem Vorzimmer ein.

»Kündige Er unsern Besuch unsrer ältesten Erzherzogin an,« befahl Karl der Sechste.

Zum Prinzen Eugen gewendet, sagte er dann:

»Begleiten uns Eure Liebden.«

Der Officiant reichte dem Kaiser den kleinen dreieckigen mit einer Federgarnitur und mit schmalen Goldborten besetzten Hut und eilte dann, den ihm geworbenen Auftrag auszuführen.

Der Kaiser und Prinz Eugen folgten ihm auf dem Fuße. – –

Während dieser inhaltschweren Unterredung, welche im Gemache des Kaisers statt fand zwischen dem Haupte und dem rechten Arme Oestreichs, hatte die Erzherzogin Maria Therese ebenfalls eine Audienz ertheilt, und zwar war es Niemand anders als der Herzog Franz Stephan von Lothringen gewesen, der um diese Audienz gebeten hatte.

Die Erzherzogin hatte darauf ihre Oberhofmeisterin hinausgesandt und dem Herzoge die Gunst, um welche er sich beworben, kurzweg abschlagen lassen.

Aber Franz Stephan war nicht so leicht abzuweisen gewesen.

»Er komme, um Abschied zu nehmen,« hatte er der Erzherzogin sagen lassen; und darauf hin hatte die Oberhofmeisterin ihrer jungen Gebieterin bemerklich gemacht, »daß, weil seine Durchlaucht selber in dem Vorzimmer anwesend und nicht, wie es freilich schicklicher gewesen, hochdero Kammerherrn oder ad latus gegebenen Officier herübergesendet, es doch nicht wohl thunlich und der Courtoisie, welcher der Herzog sich versehen dürfe, gemäß, ihn wiederholt abzuweisen.«

Maria Therese hatte darauf ihre Einwilligung gegeben, den Herzog zu sehen. Sie empfing ihn mit einem Gesichte, auf welchem die Spuren ihrer inneren Bewegung nicht zu verkennen waren. Sie verachtete jede Verstellung und gab sich nie rechte Mühe, es weit in jener diplomatischen Kunst zu bringen, welche die Sprache gegeben betrachtet zur Verbergung der Gedanken, das bewegliche Mienenspiel des Antlitzes zur Verbergung der Empfindungen.

»Sie wollen Abschied nehmen?« fragte sie den Eintretenden lebhaft.

»Ja, Erzherzogin; leider muß ich es – auf immer! Ich bin dazu durch den nur zu deutlichen Wink gezwungen, durch den mir die kaiserliche Majestät ihre Ungnade ausgedrückt haben. Was ich hier verbrochen haben mag, weiß ich nicht. Ich muß glauben, daß ich das Opfer einer Intrigue bin. Wenn aber eine Intrigue hinreicht, den Kaiser zu bestimmten, meine fürstliche Ehre anzutasten, meine Rechte als unabhängiger Souverain zu verlegen …«

»Sie nehmen die Sache sehr tragisch auf, Herr Herzog,« fiel ihm Maria Therese stolz in die Rede.

»Ich nehme sie auf, wie mein Gefühl es mir gebietet.«

»Es kommt darauf an, ob dies Gefühl das richtige ist.«

»Und können Sie, gnädigste Erzherzogin, behaupten, daß etwas Unrichtiges, Falsches in einem Gefühle ist, welches vor allen Dingen seine Ehre unangetastet erhalten will?«

»Das mag sehr ritterlich lauten,« entgegnete die Erzherzogin – »aber wenn ein junges Mädchen in solchen Dingen eine Meinung haben darf, so würde ich glauben, daß vor dem Ritter der Christ kommt, und daß der Christ mit Demuth und Gelassenheit aufnehmen soll, was ihm sein Gewissen als eine Folge seiner eigenen Handlungsweise darstellen muß.«

»Eine Handlungsweise, worüber das Gewissen uns Vorwürfe macht, pflegt man kürzer Schuld zu nennen. Haben Sie wirklich sagen wollen, ich habe eine Schuld begangen und mir sei ganz Recht geschehen?«,

»Wenn ich es nun hätte?«

»Wirklich?«

»Was brauche ich zu wiederholen, was Sie, wie ich sehe, so gut verstanden haben?«

»Aber um des Himmels Willen – welche Schuld habe ich denn auf mein unglückliches Haupt geladen?«

»Ich bin Ihr Beichtvater nicht,« versetzte Maria Therese kalt sich abwendend.

»Dann dürfen Sie mir um so weniger in's Gewissen reden, ohne mir zu sagen, was Sie dazu bewegt – berechtigt!«

Maria Therese erröthete. Sie fand ihre Lippen geschlossen durch den Charakter des Verdachts, den sie gegen den Herzog hegen mußte. Und doch drängte ihr ganzes Wesen, ihre ganze offne Natur sie, eine unumwundene Sprache zu führen und durch sie zu einer Verständigung zu kommen.

»Ich habe Ihnen schon einmal angedeutet,« sagte sie endlich nach einer stummen Pause, »daß Ihre abendliche Abwesenheit aus Ihren Gemächern aufgefallen ist. Vielleicht steht dies mit der Ungnade des Kaisers, über welche Sie sich beklagen, in einiger Verbindung.«

»Unmöglich – das ist ganz unmöglich,« fiel der Herzog erstaunt ein.

»Und doch muß ich es glauben!«

»Aber ich gebe Ihnen mein fürstliches Wort, daß meine abendliche Beschäftigung seit einiger Zeit nur darin bestanden hat, mir vom Baron Weber Vorlesungen im Staats- und Völkerrecht halten zu lassen. Da jedoch Baron Weber ein sehr ängstlicher Mann ist, und befürchtet, daß mein Vertrauen zu seiner Gelehrsamkeit und Erfahrung in diesem Fache ihm Neider bei Hofe erwecken könne, so haben wir diese Zusammenkünfte mit dem Mantel des Schweigens bedeckt.«

Die Erzherzogin sah den Redenden mit großen, verwunderten Augen an.

»Wie kann dies mit der Ungnade des Kaisers, mit meiner Verhaftung im Sommerhause Trautson's zusammenhängen?« fuhr der Herzog fort. »Es ist eben so räthselhaft, wie das Billet, welches ich gestern mit der Angabe, die Absenderin desselben erwarte mich in der Abendstunde in Trautson's Garten-Pavillon, durch einen fremden Lakaien überbracht erhielt. Ich begebe mich darauf harmlos dahin, wohin der Zettel mich zu kommen ersucht, und als ich komme – werde ich verhaftet!«

»Und dies Billet – wo ist es? fragte Maria Therese.

»In den Händen des Kaisers.«

Die Erzherzogin blickte in das Antlitz des jungen Mannes vor ihr. Niemals hatten die Züge eines Menschen mehr die vollständigste Unbefangenheit und Aufrichtigkeit ausgedrückt.

»Aber …« fiel sie betroffen und schüchtern ein – »Ihr Verkehr in eben diesem Pavillon war doch schon früher beobachtet …«

»Mein Verkehr in diesem Pavillon? Wer hat beobachtet, was nicht vorhanden war? Nennen Sie mir den, Erzherzogin, und wir werden bald auf den Grund dieser Intrigue kommen.«

Die Erzherzogin schwieg. Sie mußte sich gestehen, daß der Herzog mehr von ihr verlange, als sie beantworten konnte. Sie wußte Niemanden als Ankläger zu nennen.

»Nennen Sie mir den, der mich einer Handlung oder irgend eines Dings bezüchtigen kann, wodurch ich verdient hätte, so mißhandelt zu werden, wie des Kaisers Majestät es zu thun für gut gefunden hat. Wo nicht, durchlauchtigste Erzherzogin, so gestehen Sie ein, daß ich vollen Grund habe, mich empört zu fühlen.«

»Gesetzt, ich gestände dies Letztere ein,« antwortete Maria Therese, indem sie abermals erröthete.

»So würde mir wenigstens,« unterbrach sie der Herzog von Lothringen, indem seine Worte den Ton einer tiefen und innigen Rührung annahmen, »so würde mir wenigstens ein Trost werden bei dem nie heilenden und bittern Schmerz, womit ich von hier scheide. O gestehen Sie es offen und groß ein, Maria Therese – denn thun Sie es nicht – wahrhaftig, dann kommt eine Zeit, wo es Sie reut, daß der arme Franz Stephan so unversöhnt hat scheiden müssen, wo Sie etwas darum gäben, wenn Sie sich sagen könnten, Sie hätten ihm mit wenigen gütigen Worten Balsam auf sein ungerecht verwundetes Herz geträufelt. Denn, daß mein Herz blutet bei diesem Scheiden von Allem, was mir das Theuerste auf Erden von meinem Lebensglück, von allen Hoffnungen, die ich gehegt, von allen stolzen Aspirationen, zu denen mein Geist sich aufgeschwungen – das, Erzherzogin, brauch' ich Ihnen nicht zu schildern und will es nicht schildern, weil etwas zwischen uns steht, was Sie abhält, es mit der Huld und dem Wohlwollen anzuhören, die allein meine Sprache entfesseln könnten.«

Der Herzog stand in größter Bewegung auf. Er wandte sich rasch ab, und die Erzherzogin glaubte eine Thräne an seinen Wimpern schimmern zu sehn, welche er durch sein hastiges Aufstehen verbergen wolle.

»Aber mein Gott,« sagte sie tief erschüttert – »ich bin es ja nicht, der Sie fortsendet …«

»Sie sind es nicht, der mich fortsendet? wer Anders sendet mich denn fort – wer ist es denn, der mir den Stachel meiner Ehrenkränkung so tief in die Seele treibt, als der Gedanke, daß Sie, Sie, Maria Therese, es von ganzem Herzen billigen, was Ihr kaiserlicher Vater wider mich gethan hat. – Mit dem Kaiser würde ich mich, da er gerecht ist und edel denkt, verständigen können, aber daß Sie irgend einen elenden Verdacht, irgend einen bösen Argwohn gegen mich hegen können, daß Sie mich in Ihrem Herzen auf diesen Verdacht hin verurtheilen konnten ohne mich zu hören – das, Erzherzogin, vermag ich nicht zu überwinden.«

Maria Therese sprang auf. Sie streckte ihm ihre Rechte entgegen.

«Franz!« sagte sie mit einem unbeschreiblichen Tone, der dem Herzog durch die Seele zitterte – »ich will es glauben, daß ich Ihnen Unrecht gethan.« –

Er ergriff ihre Rechte und bedeckte sie mit Küssen.

In diesem Augenblicke trat rasch die Oberhofmeisterin ein:

»Seine Majestät der Kaiser kommen.«

Die beiden jungen Leute fuhren auseinander; sie überließen ihren Blicken, das unterbrochene Zwiegespräch fortzuführen.

Die Flügelthüren wurden aufgerissen und der Kaiser, gefolgt von dem Prinzen Eugen von Savoyen, trat ein.

Der Kaiser blieb zwischen seiner Tochter und dem Herzoge stehen. Er sah in die gerötheten Gesichter, die sprechenden Augen Beider und über seine strengen Züge flog ein Licht, das ein herzgewinnendes Wohlwollen ausdrückte.

»Herr Herzog von Lothringen,« sagte er dann, »Ew. Liebden haben uns am heutigen Morgen mit einem Schreiben zu favorisiren befunden, mittels dessen Sie uns die Absicht ankündigen, unser kaiserliches Hoflager zu verlassen. Wir können allsolcher Intention jedoch um so weniger unsere gnädigste Einwilligung ertheilen, als wir, abgesehen von dem Verdruß, einen so distinguirten Cavalier aus unsrer allerhöchsten Nähe zu verlieren, die Obliegenheit einer vorherigen Reparation d'honneur allerdings auf uns lastend fühlen. Da wir nun unversehens gerade Ew. Liebden allhier gegenwärtig finden, so wollen wir nicht länger säumen, und mit denselben zu verständigen und also kurzweg Ew. Liebden befragen, ob dieselben es als eine hinlängliche Reparation aufzunehmen geneigt sein, wenn wir Sie durch dieses, von unsrem Herzen unzertrennliche Band auf immerdar an uns und unsern Hof unlöslich zu ketten beschließen?«

Der Kaiser nahm bei diesen Worten die Hand seiner Tochter und legte sie in die des Herzogs.

Die beiden jungen Leute blickten, keines Wortes mächtig, in das majestätische und in diesem Augenblick so mild lächelnde Antlitz des Kaisers. Dann beugte Franz Stephan seine Kniee, um die Hand, die ihm ein so unermeßliches Glück schenkte, an seine Lippen zu drücken, Maria Therese warf sich im Uebermaß ihrer Bewegung schluchzend an die Brust ihres Vaters.

Der Prinz Eugen bekämpfte seine Rührung, indem er neben die Gruppe trat und scherzend sagte:

»Gott segne Eure Majestät und diesen Bund, für den wir hier« – und dabei schlug der alte Kriegsheld an seinen Degen – »für's erste ja auch die beste pragmatische und praktische Sanction haben!«

»Diese pragmatische Sanction, Prinz Eugen,« antwortete der Kaiser, »möge der Himmel Oesterreich noch lange erhalten. Und da Sie sich an diesem Morgen einmal in die diplomatische Laufbahn geworfen haben, als bevollmächtigter Unterhändler des Herzogs von Lothringen, so hoffen wir, daß Ew. Liebden in der rühmlich betretenen Bahn löblich beharren werden und daß Niemand anders, als dieselben demnächst als Ambasciator vor uns erscheinen werden, um in feierlicher Audienz für den Herrn Herzog von Lothringen um die Hand unserer geliebtesten ältesten Tochter, der Erzherzogin Maria Therese, zu werben


Viertes Capitel.
Ein Nachspiel.

Wir könnten hier den Faden unserer Erzählung fallen lassen, nicht allein weil wir glücklich angelangt sind an dem verhängnisvollen Schlußpuncte, an welchem die Erzählungen zu schweigen pflegen, mit einem wie das Hamlet'sche

The rest is silence

bedeutsamen Puncte; sondern auch weil in unserem Falle die weitere Erzählung überflüssig, ja, für unserer verehrten Leser wohlbegründetes Bildungsbewußtsein sogar verletzend sein würde. Denn könnten sie uns, wenn wir fortführen, sie von den Helden unseres kleinen Dramas zu unterhalten, nicht zurufen: aber in der That, du traust uns einen großen Ueberfluß an Zeit und einen nicht geringen Mangel an geschichtlichen Kenntnissen zu, wenn du uns von den weiteren Schicksalen einer Prinzessin unterhalten willst, die als die unvergleichliche Kaiserin Maria Theresia uns Allen ja so bekannt ist, als hätten wir, nicht eines ihrer zahlreichen Bilder etwa, sondern sie selber leibhaftig gesehen, gekannt und sprechen hören und als wären wir von ihr selber auf den Gassen Wiens, wo sie an uns in einfacher Chaise vorübergerollt, um sich nach Schönbrunn zu begeben, mit ihrem zutraulich freundlichen Lächeln, ihren Wohlwollen ausstrahlenden Blicken begrüßt worden.

Wir Alle kennen sie, diese große und edle Regentin, diese Mutter ihres Volkes, diese magna puerpera des Mönchs von Lehnin, diesen König, für den die Ungarn in den Tod gehen wollten, diese erleuchtete Frau, die bei der Theilung Polens klagte, daß sie nicht mehr » en vigueur« sei, um solch eine bedenkliche »Staatsaction« zu hintertreiben.

Und auch das wissen wir, daß sie stets die zärtlichste, liebendste Gattin ihrer fröhlichen lotharingischen Lerche geblieben, obwohl diese nach der Hand, als sie zu reiferen Jahren gekommen, allerdings nicht mehr ganz so hell und lustig, wie einst, in den blauen Lüften schöner Hoffnungen und jugendlicher Aspirationen schmetterte: aber wahrlich nicht, weil etwa das Leben, wie es sonst so seine Weise und boshafte Angewöhnung ist, diese Hoffnungen sammt und sonders zertreten, diese Aspirationen tückisch gedemüthigt hätte; sondern nur weil das Leben sie alle in einem Maße erfüllt hatte, wie sie nur je einem Menschen erfüllt worden sind; weil es den jungen länderlosen Prinzen, dem es eine Gattin wie Maria Therese, einen Brautschatz wie das Erbe von Oesterreich, einen Titel wie: »Wir Franz der Erste, erwählter Römischer Kaiser, durch Germanien König und allzeit Mehrer des Reichs« verliehen, so mit Glück überbürdet hatte, daß ihm darunter die Schwingen in der That müde sinken mußten. – –

In dieser Weise, wie gesagt, würden unsere Leser uns zurechtweisen, wenn wir uns anmaßten, sie von bekannten Thatsachen zu unterhalten. Aber neben unsern historischen Gestalten bewegten sich einige andere, welche, wenn auch keinenfalls unhistorischen und fictiven Charakters – dawider verwahren wir uns ausdrücklich bei dieser, den lautersten Quellen getreulich nacherzählten Geschichte – doch noch immer darauf harren, daß unsere vielthätigen Historiker endlich auch ihnen die verdiente Aufmerksamkeit zuwenden und nach so langer unverantwortlicher Vernachlässigung ihnen eine gründliche und gediegene, je nach Maßgabe ihrer respectiven Wichtigkeit ausführliche und bändereiche Bearbeitung widmen.

Charaktere von so vielseitigen Verdiensten und so ausgezeichneten Gaben des Geistes und Gemüths, wie wir in Veit Trautson, Don Perez Viconte da Bojador y Roccaberti und vor Allen in Baron Klein kennen zu lernen Gelegenheit hatten, sollten in der That nicht länger ohne ihre eingehende und erschöpfende Monographie bleiben. Und was Frau Afra und den Vex anbetrifft, so sind wir überzeugt, daß, wenn von diesen denkwürdigen Erscheinungen gesagt werden könnte, sie wären die Zeitgenossen des fabelhaften Aegypterkönigs Psammetich oder des Kaisers Kosroe I. Chosrau I» 531 bis zu seinem Tod 579 persischer Großkönig, der Gegenspieler des oströmischen Kaisers Justinian I. (527-565). gewesen, längst unsere Akademien Medaillen und Preise ausgeschrieben hätten für eine gründliche und auf Urkunden gestützte Untersuchung ihres Wirkens und Lebenslaufs; vorausgesetzt auch, es wäre nur noch ein Viertheil dessen von ihnen keilschriftlich oder palimpsestisch überliefert, was wir unsererseits jeden Augenblick bereit sind, den besagten Akademien, gegen einen namhaften Preis an goldenen Medaillen und so weiter, noch Ferneres zu suppeditiren und von beiden Individuen zu berichten.

Bis dahin aber, daß sich solche klaffende Lücken unserer historischen Literatur ausfüllen, legen wir hier einige vorläufige Angaben nieder, welche der forschenden Gelehrsamkeit späterer Zeiten vielleicht nicht unerheblich scheinen werden. Wir bitten unsere Leser, sich mit uns im Geiste zu versetzen auf eines der gesegnetsten Eilande, welches im fernen Osten die blauen Wogen umspülen, die von den genannten Akademien das »Aegäische Meer« getauft worden sind: auf jene Insel, die – wir bleiben dem akademischen Stile treu – das Waldgebirge des Olympos krönt, deren Boden geweiht ist durch den Fuß der Sappho, des Alkäos und des weisen Pittakos – auf das alte Lesbos, das heute Metellino heißt, weil die alten Griechen seine Hauptstadt Mytilene nannten.

Es war etwa um das Jahr 1755, an einem schönen Herbstabende, als die Bewohner der kleinen lesbischen Stadt Hiero, Türken sowohl wie Griechen, sämmtlich aus ihren Häusern und Hütten gelockt waren und den Strand des Hafens bedeckten; während man an beiden Seiten des weiten Meerbusens, in welchen der Hafen auslief, fernhin einzelne Gruppen von Menschen beobachten konnte, die auf den felsigen Bergabhängen sich bewegten, sämmtlich von dem großartigen und imponirenden Schauspiele gefesselt, das sich ihren Blicken darbot. Außerhalb des Hafens nämlich auf der Rhede, welche der Meerbusen bildete, waren zwei große Orlogschiffe in einem Kampf begriffen.

Das eine dieser Kriegsfahrzeuge war eine schwerfällige Galeere mit grüner Flagge, in welcher sich ein silberner Halbmond mit einem Sterne darüber zeigte.

Das andere war eine Galeasse des hohen Ritter-Ordens vom heiligen Johannes von Jerusalem. Auf der rothen Flagge glänzte das weiße achtspitzige Kreuz der Johanniter.

Das türkische Kriegsschiff war fortwährend in eine Wolke dichten Pulverrauchs gehüllt; es schien durch die Menge seiner Schüsse und durch den wahrhaft verschwenderischen Aufwand, den es an Pulver und Kugeln machte, ersetzen zu wollen, was ihm an geschickter Bedienung seiner Feuerschlünde und an Wirksamkeit seiner Schüsse abging.

Denn trotz der zahllosen Masse von Vollkugeln, die es um sich sprühte, sah man das Orlogschiff der Malteser nur wenig von seinem Takelwerk einbüßen, und konnte deutlich wahrnehmen, wie es sich dem Gegner unverzagt immer mehr näherte. Es hatte augenscheinlich die Absicht, sich mit dem Türken Bord an Bord zu legen und ihn zu entern.

Doch ward das Feuer des Türken darum nicht minder kräftig erwidert, und von Zeit zu Zeit sah man, wie bald eine Spiere, bald eine halbe Raa der mohamedanischen Galeere splitternd aus der Rauchwolke hervorflog, die das vielruderige Ungethüm umhüllte.

In dem Verhältnisse, wie die malteser Galeasse sich dem Feinde näherte, wurde aber auch das Feuer des letzteren wirksamer; eine volle Lage riß den ganzen Hintermast der Ordens-Galeere mit allem dazu gehörenden Tau- und Takelwerk fort.

Es war ein Kampf und ein Ringen voll drastischer Spannung. Die beiden Gegner waren einer des andern durchaus würdig, ebenbürtig an Maß ihrer Kräfte sowohl, wie an der Hartnäckigkeit, womit sie Gebrauch von diesen Kräften machten.

Nach dem Schlag, welchen das Schiff der Johanniter erhalten hatte, schien es einen Augenblick unschlüssig zu werden, ob es seinen Plan, zu entern, aufgeben oder verfolgen sollte; vielleicht hatte es, was sich vom Lande aus freilich nicht gewahren ließ, zugleich einen beträchtlichen Verlust an Mannschaft erlitten.

Sein Geschützfeuer aber setzte es ununterbrochen fort; es begann endlich auch seine Bewegung gegen den Feind wieder aufzunehmen und zwar jetzt mit der vollen Kraft aller seiner Ruder.

In dem Augenblick aber, wo dies sichtbar wurde, wo die Entscheidung mit raschen Schritten sich nähern mußte, wo die Spannung darauf ihren höchsten Grad erreichte, trat eine Katastrophe ein, die das Schauspiel urplötzlich beendigte. Die Gewässer von Metellino sind verhängnißvoll für den Halbmond. Der Sieg der Griechen von 1821 hat es zuletzt dargethan. Die große Galeere des Sultans erkrachte mit einem Male wie ein Vulkan, wie eine in Trümmer gehende Welt, und schon als dies Krachen an das Ohr der am Strande versammelten Bevölkerung schlug, war das mächtige Orlogschiff gar nicht mehr auf dem Wasserspiegel vorhanden, sondern in Gestalt von zerrissenen Planken, Balken, Masten, Flammen und Trümmern hundert oder gar zweihundert Fuß hoch darüber.

Es war ein furchtbares Schauspiel. Das Meer wogte davon auf, als ob es von einem Orkan gefaßt sei und wälzte schäumende Wellen ringsum dem Strande der Bucht entgegen.

Als der wirbelnde, wogende Rauch, der die Explosion begleitet hatte, sich verzogen, sah man das Schiff der Malteser unbeweglich nur noch mit einem Mast versehen, stumm daliegen. Ringsumher waren die Wellen mit Trümmern bedeckt.

Am Strande aber war die lebhafteste Bewegung entstanden. Alles was die Arme rühren konnte, stürzte den Booten und Fahrzeugen zu, die im Hafen oder an dem Ufer der Bucht entlang befestigt lagen, und eilte, sich dem Schauplatze des Ereignisse zu nähern – ob in der Absicht, gierig aufzufischen, was irgend von den Trümmern aufzufischen war, oder in dem menschenfreundlichen Gedanken an die Rettung der unzähligen Unglücklichen, die halbtodt zwischen den Trümmern umherschwimmen mußten, das blieb unausgesprochen. – –

Es war bereits tiefe Abenddämmerung geworden als von diesen Boten eines, das einen Mast mit dreieckigem Segel führte und mit zwei Männern besetzt war, zurückkehrte; es lief in eine kleine Ausbuchtung ein, welche vielleicht eine halbe Stunde von der Stadt Hiero entfernt war, und welche die Wogen des Meerbusens hatten entstehen lassen, indem sie sich hier in die Seite eines etwas vorspringenden verwitternden Felsens eingewühlt hatten, der jetzt überhängend den kleinen Landeplatz schützte.

Aus dem Hause, welches auf einer mit Olivenbäumen bedeckten Halde in der Nähe lag und den Anblick einer höchst poetischen Siedelei darbot, mit seiner Freitreppe, seiner offenen, auf kleinen Pfeilern ruhenden Gallerie, seinen Guirlanden von Maiskolben und getrockneten Früchten, – aus diesem Hause eilten zwei Frauen und mehrere Kinder dem anlegenden Schiffe entgegen, und zwischen ihnen und den zurückkehrenden beiden Männern erhob sich eine höchst lebhafte Unterhaltung, die durch wechselseitige Rufe schon auf beiden Seiten begonnen war, ehe man noch im Stande gewesen, wegen der Dämmerung des Abends sich recht zu erkennen, und wegen des Rauschens der Brandung sich zu verstehen.

Während dieser Unterhaltung waren alle Hände beschäftigt, die Fischerbarke ihres höchst mannigfaltigen Inhalts zu entleeren. Dieser Inhalt bestand aus einer Menge von Sachen der verschiedensten Art. Stücke Tau- und Segelwerk, Körbe mit Geflügel, eine Ziege, welche hart an ihren Wunden darniederlag, Kleidungsstücke, ein Paar vortrefflicher großer persischer Teppiche, wollene Decken, Fässer, das Bruchstück eines Divans – alles wurde aus dem Bauch des Schiffleins hervorgehoben, das einen so wunderbar guten Fang gemacht hatte.

Die Kleidungsstücke, welche türkischen Schnitt hatten, die Fässer, ein Theil des Tauwerks, so weit es sich ganz schadhaft und in kurze Stücke zerrissen zeigte, die verwundete Ziege wurden am Ufer auf einen Haufen zusammengeworfen. Man legte auch die Körbe mit dem Geflügel dazu, aber erst nachdem man die Capaunen und Hühner, welche darin waren, herausgenommen und ihnen, um ihr Geschrei zu ersticken, rasch die Hälse umgedreht hatte.

Dieser Haufen war bestimmt, den türkischen Strandwächtern überliefert zu werden, sobald diese kommen würden, um Alles das zu reclamiren, was aus dem Schiffbruch von Sr. großherrlichen Majestät Galeere gerettet worden.

Alles Uebrige rüstete man sich in das Haus zu schaffen, da unsere Schifferfamilie offenbar der festen Ueberzeugung lebte, daß alle diese schätzenswerthen Dinge ihr von unmittelbarerem Nutzen sein würden, als dem Beherrscher der Gläubigen in Stambul.

Während jedoch die Kinder, beladen mit den leichteren Gegenständen, bereits auf dem Wege nach dem Hause waren und voraufeilten, faßte der ältere der beiden Schiffer eine der Frauen am Arm und flüsterte ihr halblaut einige Worte zu, wobei er auf etwas im hintersten Raum seiner Barke deutete, das ungefähr wie ein Bündel Decken aussah.

Die Frau stieß einen leisen Ruf der Ueberraschung aus; dann wandte sie sich an die andere Frau, welche mit ihr gekommen, und beide stiegen noch einmal in das Schiff. Sie schlugen die Decken zurück und blickten in das Antlitz eines schlafenden Menschen, welches in der Dunkelheit des Abends von einer solchen Blässe erschien, daß man zu der Annahme geneigt sein mußte, der Schläfer sei in jenen Schlummer gefallen, aus welchem kein Erwachen ist.

Man suchte sich davon zu unterrichten, indem man ihn derb schüttelte. Dies brachte ihn dahin, ein Stöhnen wie der Angst und des Schmerzes auszustoßen. Nun faßte ihn der ältere Schiffer an den Schultern, sein Gehülfe sprang ihm bei, die beiden Frauen nahmen jede eines der Beine auf und so schaffte man den Unglücklichen zuerst zum Schiffe heraus und trug ihn sodann sachte die Anhöhe hinauf zu dem Hause auf der Halde.

Der kleine Zug mit dem Schiffbrüchigen verschwand im Innern der Wohnung. Gleich darauf kamen, mit Ausnahme der beiden Frauen, die sämmtlichen Mitglieder der Familie zurück und mit unglaublicher Hast wurde nun Alles, was von dem geretteten Gut noch geborgen werden sollte, bei Seite geschafft. – –

Als am andern Morgen die Sonne ihre hellen und warmen Strahlen in die kleine Schlafkammer sandte, welche in dem Häuschen auf der Halde das Fremden-, das Putz- und Empfangzimmer bildete und auf die offene Galerie hinausging, beleuchteten diese Strahlen eine Gruppe von zwei, sich mit erstaunten Blicken groß und forschend anstarrenden Menschen.

Eine dieser Personen war eine Frau in reiferen Fahren, aber von immer noch schönen, regelmäßigen Zügen; in einem Costüme, welches sich von der gewöhnlichen griechischen Volkstracht nur durch die Feinheit und Sauberkeit der Stoffe unterschied; den kleinen Fez auf den braunen Loden, saß sie vor einem alterthümlichen Himmelbett, aus dessen Decken ein gelbes, charakteristisches Männergesicht sie anstierte, ein Antlitz mit dunklen, schmalgeschlitzten Augen und dunklem, von Grau stark untermischtem Haar, welches letztere so kurz geschoren war, daß man augenblicklich erkannte, dieser Kopf war daran gewöhnt, eine Perrücke zu tragen, obwohl weder eine Perrücke noch Kleidungsstücke irgend einer Art sich in dem Stübchen befanden.

» Valga mi Dios!« sagte der Mann im Bett, nachdem er eine Zeit lang in das Frauen-Antlitz vor ihm gestarrt hatte – »ich weiß gar wenig davon, ob ich träume oder ob ich wache; ob ich in einer Kajüte zu Wasser oder in einem Hause auf dem festen Lande bin; ja, ich weiß kaum, ob ich überhaupt noch auf dieser irdischen Welt oder bereits in einer andern bin, welches Letztere jedenfalls das Wahrscheinlichere ist; denn ich erinnere mich deutlich eines Augenblicks, in welchem ich mein letztes Paternoster in periculo mortis sprach und dann die Reise in das bessere Jenseits auch wirklich antrat … so viel aber ist gewiß, ich habe dies Frauengesicht schon gesehen! …«

»Ich verstehe nicht, was Du redest,« antwortete die vor dem Bette sitzende Griechin auf diese Expectoration des Schiffbrüchigen, indem sie sich dabei der italiänischen Sprache bediente; »wenn Du aber,« fuhr sie fort, »Deine Gedanken sammelst und nachsinnst, wo Du mich gesehen … –«

»Bahnesa!« rief hier der Kranke aus, indem er versuchte, sich zu erheben, aber matt wieder in die Kissen zurücksank.

»So hieß ich einst,« entgegnete die Griechin, »damals als Du mich kanntest, mein Freund zu sein betheuertest und mich täuschtest! Hier bei den Meinigen heiße ich Anastasia.«

»Und Du erkennst mich wieder?« fragte der Fremde, ebenfalls in italienischer Sprache.

»Ich erkannte Dich gestern schon, als Du in dies Haus getragen warst und als die ersten Strahlen der Lampe auf Dein bleiches Gesicht fielen.«

»Welches Wiedersehen!« sagte der Viconte da Bojador – »welches abenteuerliche Wiedersehn. Mußte ich dazu in die Luft fliegen, um, statt in die tückischen Wogen in Deine weißen Hände zu fallen, Bahnesa, oder Anastasia!«

»Du bist darum nicht in die Hände einer Feindin gefallen!«

»Und doch warst Du einst meine Feindin! Deine Lippe hat das Wort gesprochen, woran alle meine Lebenspläne gescheitert sind.«

»Ich habe immer nur die Wahrheit gesprochen. Es war nicht meine Schuld, daß Dein Leben an der Wahrheit scheiterte!«

Der Spanier schwieg eine Weile, indem er seine Augen schloß und mit der bleichen Hand über seine Stirn fuhr.

»Anastasia,« sagte er dann, »ich bin sehr krank. Ich bin matt, ich bin gebrochen an allen Gliedern. Gieb mir zu trinken. Wein, Milch, Wasser – was Du hast.«

»Ich werde Dir die warme Milch holen, die eben von den Ziegen gemolken ist. Das wird Dir wohl thun.«

Sie ging und kam nach wenig Augenblicken mit einem Zinngefäß zurück, in welchem sie den Trank brachte, den der Spanier durstig schlürfte.

»Ich danke Dir,« sagte er dann. »Es hat mir Labung gebracht. Und jetzt laß mir Zeit, mich zu besinnen, was mit mir geschehen ist. Wo bin ich?«

»Du bist in dem Hause meines Oheims, der Fischer, Schiffer, Handelsmann, kurz Alles ist, was man sein kann, wenn man eine gute kleine Barke sein nennt und sie auf den Wellen zu lenken versteht. Er hat Dich auf dem Meere halb ohnmächtig und mit letzter Kraft gegen die Wogen ankämpfend gefunden und hat Dich in seine Barke genommen.«

»Gott segne ihn dafür! Das ist vorderhand der einzige Lohn, den ich ihm bieten kann.«

»Wie kamst Du auf die Galeere, die von den Christen in die Luft gesprengt wurde?«

»Ach, Bahnesa, da hätte ich viel zu erzählen. Am Ende bist Du es, die mich auf diese Galeere geschickt hat.«

»Ich, Herr?«

»Nur Du!«

»Wie ist das möglich?«

»Um Deinetwillen hat der Kaiser mich von seinem Hofe fortgeschickt. Um dieser Ungnade willen hat mich das Kammerfräulein Contessa Juliana Bolagno mit meinen Ansprüchen auf ihre Hand abgewiesen. Um dieser Treulosigkeit willen bin ich schwermüthig und ein Philosoph geworden. Um mir die Schwermuth zu vertreiben und weil ich als Philosoph die irdischen Güter verachten gelernt hatte, habe ich mein väterliches Erbe verspielt und verzecht, was um so weniger Anstrengung kostete, als es nie sehr groß war. Da sich bei dieser Beschäftigung, wie Du denken kannst, meine Weltverachtung unermeßlich gesteigert hatte, habe ich meine Seele dem Herrn gelobt und bin in einen Orden getreten, in welchem man Mönch ist und dennoch Cavalier bleibt. Ich bin in den Ritter-Orden der frommen und tapfern Herren von Malta getreten. Mit dem schwarzen Mantel und dem achtspitzigen Kreuze versehen, habe ich nach den Vorschriften des Ordens meine Caravane machen, das heißt wider den Erbfeind der Christenheit streiten müssen. Da mich aber das Loos traf, die erste Probe meiner Tapferkeit auf einem Ordensschiff abzulegen, welches sich im Uebermaß seines Muths und seiner Kampfbegierde vor einigen Tagen von einem türkischen Geschwader zusammenschießen und nehmen ließ, so bin ich als Kriegsgefangener an Bord einer Galeere des Großherrn gekommen. Hier harrte ich in ganz erträglicher Lage auf die Zeit, wo man mich und meine Schicksalsgenossen – denn noch zwei andre Ritter theilten mein Loos – gegen einige goldstrotzende Säcke aus der Ordenscasse friedlich auswechseln würde. Da begegnet sich unsere Galeere mit einem kreuzenden Kriegsschiff des Ordens. Mit ganz überflüssiger, mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit faßt dieses Schiff den Entschluß, für die Schlappe von neulich Rache nehmen zu wollen. Es überschüttet uns mit Kugeln, ohne die Gefahr zu beachten, worin es so würdige Ordensglieder wie mich und meine Gefährten dadurch bringt. Das Ergebniß weißt Du; es hat die bangen Ahnungen, welche bei den ersten über uns hinsausenden Wurfgeschossen mir das Herz beklemmten, nur zu vollständig gerechtfertigt. Unser ehrlicher Türke ist von den Geschützen der Christen in die Luft gesprengt worden. In diesem Augenblick wußte ich nicht, wen ich meinen eigentlichen Erbfeind nennen solle. Aber gewiß ist, wenn Dein Verwandter mich nicht aufgefischt hätte, so wäre ich jetzt da, wo ewiger Friede sowohl christliche wie türkische Erbfeinde vereinigt. Nun hast Du meine ganze Geschichte, Bahnesa, oder Anastasia. Und jetzt labe mich mit einem Bissen Speise; was meine Glieder angeht, so weiß ich nicht, ob sie gebrochen oder heil, und wie viele von ihnen ich wieder sehen werde, wenn ich erst die Kraft habe, die Anzahl derer, welche mir geblieben sind, mit einem Verzeichniß derjenigen zu vergleichen, die im Besitz eines unverstümmelten Menschen sein müssen. So viel aber ist gewiß, mein Magen ist heil, denn mich hungert.«

Die Griechin ging noch einmal, um sein Verlangen zu befriedigen. Sie brachte ihm Brot, Obst, Käse; sie brach das Brot und legte, was er zu sich zu nehmen wünschte, vor ihn auf das Bett; seine Kräfte waren in einem ganz unbeschreiblichen Maße erschöpft; er betheuerte, nicht im Stande zu sein, eine Fliege zu tödten. An einigen Stellen seines Körpers begannen sich Schmerzen einzustellen; aber sein Geist war frei, seine Zunge so beweglich wie je, und mit wunderbarem Glücke schien ihn das auffliegende Schiff in die Wogen geschleudert zu haben, ohne ihm einen innern Schaden, eine beträchtliche Verletzung zuzufügen.

»Wie ist der Himmel so blind in der Vertheilung der Schicksale,« fuhr der Viconde nach einer Weile zu reden fort. »Weshalb mußte mich das seltene Loos treffen, auf einer türkischen Galeere in die Luft gesprengt zu werden, ein Loos, für das ich auch nicht die leiseste Regung der Dankbarkeit gegen meinen Schöpfer empfinde! Weshalb wurde es nicht z. B. meinem theuren Freunde, dem Baron Klein, zu Theil, dem ich es so von Herzen gegönnt hätte! Hätten ihn dabei die Wogen verschlungen, so wäre Niemand auf Erden gewesen, der es ein unersetzliches Unglück genannt haben würde; hätte er es überstanden, wie ich es überstanden habe, so wäre er aus Stolz über dieses unvergleichliche Erlebniß, über diese unerhörte Heldenthat um drei Schuh, das heißt bis zur Höhe eines gewöhnlichen Menschen gewachsen!«

»Und er lebt immer noch,« fragte Anastasia, »dieser kleine Baron?«

»So viel ich weiß, ist sein leuchtender Stern nicht untergegangen, obwohl man ihn Anno 40, nach dem ewig beweinenswerthen Heimgang und Ableben Seiner kaiserlichen apostolischen Majestät, Kaiser Karoli Sexti, als überflüssiges Stück der Raritätenkammer des alten Herrn vom Hofe beseitigt hat. – Was aber Trautson angeht, den fürchterlichen Veit Trautson, so ist er elendiglichen Todes verblichen in Folge eines allzu copiösen Frühstücks, welches er unmittelbar nach einem heftigen Anfall von Zorn unvorsichtiger Weise zu sich genommen. Aber was kümmern wir uns um sie! Du, Bahnesa-Anastasia, gutes Geschöpf, welches Du vor mir auftauchst wie eine Verkörperung der schönsten Tage meiner Vergangenheit, der kecken, leichtsinnigen Jugendtage, – noch hast Du kein Wort von Deinen Schicksalen erzählt.«

»Du hast mich nicht nach meinen Schicksalen gefragt,« antwortete Anastasia.

»So thue ich's jetzt! Auf welche Weise ist Dein Wunsch erfüllt worden, in die Heimath zurückzukommen?«

»Die Dame, so Deine Freundin war …«

»Willst Du sagen Freundin oder Feindin? Das Letztere wäre richtiger. Diese schlaue Contessa Juliana hat mich auf eine unerhörte Weise verläugnet, sobald sie mich nicht mehr in dem Glanze erblickte, welchen einem armen Hofcavalier nur die Strahlen der allerhöchsten Gunst verleihen. Sie hat es verstanden, sich mit ihrer gewandten Zunge in ihrer Stellung zu erhalten, während ich als der Sündenbock ausgetrieben und den Dämonen der Wüste überliefert wurde. Daran siehst Du, Anastasia, wie hienieden immer die Tugend belohnt und das Laster bestraft wird.«

»Sie hat mich aus meinem Kloster geführt und zu der Erzherzogin gebracht,« erzählte Anastasia weiter. »Die Erzherzogin hat viel mit mir geredet. Sie hat viel von mir gefragt. Sie hat mehr Dinge von mir erfahren wollen, als ich selbst kannte und wußte.«

»Daran siehst Du, Anastasia, daß es Eigenschaften giebt, welche sich eben so stark ausgebildet auf dem Throne, wie in den Hütten finden. Wenn wir weibliche Neugierde zu diesen Eigenschaften zählen, so laufen wir nicht Gefahr, daß uns die Moralisten dies als eine unverantwortliche Verleumdung der weiblichen Natur anrechnen!«

»Dann hat mich Deine Freundin,« berichtete Anastasia weiter, indem sie den Ausdruck, gegen welchen der Spanier so eben sich verwahrt hatte, nichts desto weniger beibehielt, ja ihn jetzt lächelnd betonte – »dann hat mich Deine Freundin zu einem großen Handelsherrn der Hauptstadt geführt, von dem sie sagte, daß er Schiffe besitze, welche seine Waaren in die Levante führten. Sie hat ihm den Wunsch der Erzherzogin eröffnet, daß er mich nach Metellino bringen lasse; er hat mich freundlich in sein Haus aufgenommen, seine Gattin hat mich wie ihre Tochter behandelt, und endlich bin ich unter dem Geleit eines alten Dieners nach Triest gesandt und von dort auf einem Schiffe des Handelsherrn hierher, nach Hiero gebracht worden.«

»Und hier?«

»Hier fand ich meine Gefreundeten; der Bruder meiner Mutter nahm mich froh in sein Haus auf; ich stehe seinem Weibe bei, ihre Kinder zu erziehen, ich sorge und helfe so wie ich es vermag. Die Kinder lieben mich und ich bin glücklich.«

»Glücklich? Du bist glücklich?« wiederholte der Viconde mit einem bitteren Lächeln.

»Glaubst Du mir nicht?«

»Wenn Du es sehr wünschest, so antworte ich darauf mit einem ›lauten und vernehmlichen Ja,‹ und vermehre Dir dieses Glück, indem ich Dir schwöre, ich glaube daran. Aber, Anastasia, was hilft Dir die Selbsttäuschung? Du hast, als Du heimgekehrt warest, Dein Vaterland anders gefunden, wie Du es in der Fremde Dir geträumt hattest. Du fandest seinen Himmel weniger klar, seine Wellen weniger blau und seine Bewohner weniger tugendhaft und makellos, als sie in Deiner Erinnerung lebten. Seine Ziegenmilch hatte nicht ganz den Wohlgeschmack, das Fleisch seiner Lämmer nicht die weiche Saftigkeit, die Schüssel Deiner Muhme nicht die Sauberkeit, welche in Deinen Vorstellungen lebten und Dein Heimweh weckten. Der idyllische Frieden dieser Hütten trägt vielleicht auch nicht den Charakter unbedingter und poetischer Harmonie, welche sich einst in Deinem sehnenden Herzen abspiegelte. Ich will damit nicht behaupten, daß Dein würdiger Ohm im Trunke sein Weib und seine Kinder schlage, oder daß Eure Nachbarn Euch Verleumdungen nachsagen, obwohl dies Erscheinungen sind, die nach langjährigen Beobachtungen dem festen Lande und den Inseln, so weit sie von Menschen bevölkert, gemeinsam. Aber das, Anastasia, wenn Du aufrichtig bist, wirst Du mir gestehen, daß Du Dich langweilst auf Deiner schönen Insel Metellino und daß Du das Leben hier unerträglich findest.«

Die Griechin sah ihn mit ernsten Augen an und antwortete nicht.

»Komm mit mir, folge mir in das Abendland,« fuhr der Viconde fort. »Der Großmeister unseres Ordens wird mir ein Ordensgut zur Verwaltung und zum Genusse übergeben. Ich habe bereits die Anwartschaft darauf. Es liegt in Spanien; ein stolzes und schönes Schloß, inmitten einer blühenden Landschaft, deren Gebieter ich sein werde, als Comthur des Ordens. Folge mir dahin. Du sollst mir mein Haus führen. Du sonst über mein Gesinde herrschen und ich und alle, die über meine Schwelle treten, werden Dich behandeln als wärst Du meine Schwester!«

Anastasia schüttelte den Kopf.

»Du willst nicht?«

»Nein.«

»Du willst ein Leben in Reichthum, Glanz und Ehre nicht mit dem Leben in dieser Hütte vertauschen?«

»Ich will es nicht.«

»Bekommt Dein Dasein nicht einen Zweck, einen Werth, wenn Du Dir sagen kannst, daß Du es an eine bestimmte und würdige Aufgabe setzest?

»Ich arbeite, und dies giebt meinem Leben so viel Werth, wie ihm beschieden ist zu erreichen.«

»Aber weshalb willst Du nicht glücklicher werden, als Du bist, weshalb mir nicht folgen?«

»Ich könnte sagen, weil Du mich einmal betrogen hast, vertraue ich Dir nicht mehr. Aber dies wäre nicht die Wahrheit. Ich glaube Dir, daß Deine Verheißungen jetzt Dein Ernst sind.«

»Nun also!«

»Ich will Dir nicht folgen, weil Du mir fremd geworden bist. Deine Reden gefallen mir nicht. Vor Deinen in Spott getauchten Worten fürchte ich mich. Das Herz, aus dem sie quellen, stößt mich ab.«

Der Viconde lachte bitter auf.

»Also ich gefalle Dir nicht mehr! Du bist wenigstens offen, Anastasia! So müssen wir also allein fertig zu werden suchen, ich in meinem Ordensschloß und Du als Magd Deines Oheims. Wir haben uns wenigstens wiedergesehen und können in Frieden scheiden. Es fragt sich jetzt nur noch für mich, auf welche Weise diese Trennung zweier ruhiger Seelen stattfinden wird? Wie werde ich diese Insel verlassen können?«

»Du gehörst unserem Herrn, dem Padischah,« entgegnete Anastasia. »Mein Oheim muß Dich den Strandwächtern ausliefern, wenn sie kommen in Empfang zu nehmen, was von dem zerstörten Schiffe gerettet ist.«

»Diese Aussicht ist nicht tröstlich!«

»Nein; die Strandwächter würden Dich mißhandeln, weil die Türken wegen ihrer Niederlage gereizt sind. Deshalb habe ich meinen Oheim bewogen, solches Schicksal von Dir abzuwenden,« fuhr die Griechin fort. »Auf der Rhede liegt das Schiff Deines Ordens noch immer vor Anker« –

»Man wird darauf bemüht sein, die Schäden auszubessern, welche es im Kampf erhalten hat – so weit wenigstens, bis es sich aus diesen Gewässern entfernen kann,« fiel der Viconde ein.

»Mein Oheim,« fuhr Anastasia fort, »hat meinen Bitten nachgegeben und wird Dich in der Stille der nächsten Nacht heimlich an das Christenschiff bringen, wenn Du es willst.«

»Dein Oheim ist ein Ehrenmann,« versetzte da Bojador. »Ich werde in Zukunft mir lieber die Zunge abbeißen, als wieder Vermuthungen aufstellen, welche verletzend sind für den Ruf seiner fleckenlosen Moralität! Der Befehlshaber des Schiffs wird ihn reich belohnen.«

Was Bahnesa versprochen hatte, geschah. Der Viconde erholte sich im Laufe des Tages so weit, daß er um Mitternacht, als Alle ringsumher in der Nähe des kleinen Hauses in tiefer Ruhe begraben lag, sich erheben und verkleidet in einen Fischeranzug, einen Nachen besteigen konnte. Glücklich erreichte er in diesem Fahrzeuge das Ordensschiff, das am anderen Morgen mit Sonnenaufgang die Gewässer von Lesbos verließ.

Anastasia stand, mit der Hand ihre Augen gegen die Strahlen der Morgensonne schützend, unter der offenen Vorhalle ihres Hauses. Sie blickte dem langsam fortziehenden Schiffe der Malteser nach, bis es um das äußerste Vorgebirge verschwand. Ihr Herz schlug ruhig dabei und mit dem Gefühle eines tiefen inneren Friedens eilte sie, die Arbeit des Tages zu beginnen. –



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