Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Odalisken.
Erster Theil.

* * *

Erstes Capitel.
Von Kaiser Karl dem Sechsten,
glorwürdigen Gedächtnisses.

Unter den ehrwürdigen und hochachtbaren alten Herren, welche dereinst in den »guten alten Zeiten« mit römisch-kaiserlicher Majestät und hispanischer Grandezza unser liebes deutsches Vaterland regiert haben, war Kaiser Karl, der Sechste dieses Namens, sicherlich einer der respectabelsten. Er war ein Monarch, der die Wissenschaften und die Künste liebte und selber nicht geringe Kenntnisse sich erworben hatte; wenn auch im Ganzen mehr friedliebenden Sinnes als nach kriegerischem Ruhme begierig, hatte er doch in seiner Jugend stets den ritterlichsten Muth bewiesen.

Man kennt jenen Beweis seltener Unerschrockenheit, den Karl VI. ablegte, als er an Bord der englischen Flotte unter dem Admiral Rook im Begriff war, von Holland nach England und von dort in sein schönes Königreich jenseits der Pyrenäen zu reisen, welches doch nie das Seine werden sollte. Auf der Höhe von Vliessingen überfiel die Schiffe ein ganz entsetzlicher Sturm; haushohe Wellen stürzten über das Deck und drohten Alles wegzuspülen, was nicht geradezu an Mast oder Planke festgeschmiedet war oder auf Seemannsfüßen stand! Wie das Spielzeug eines Kindes wurde das Admiralschiff von den tobenden Wogen hin- und hergeschleudert.

Rook bot alles auf, den jungen Erzherzog und König vom Deck zu entfernen, und ihn in seine Kajüte zu schicken. Aber vergebens: »Ich werde mich nicht von hier wegbegeben, weil ich den Fleiß und die Mühe, so Ihr und Euere Officiere mir zu Liebe aufwendet, beobachten will!« sagte der unerschrockene königliche Passagier.

Das Unwetter nöthigte die Flotte, zu wenden und nach Holland zurückzukehren. Man rieth hier dem Könige, von dem Wagniß abzustehen, welches in der Reise nach England während der stürmischen Zeit des Februarmonats liege. Karl aber versetzte: »Hätte Wilhelm von Oranien« (auch diesen warf der Sturm im Jahre 1688 an die holländische Küste zurück) »hätte Wilhelm von Oranien also gedacht, würde er je die Krone von England erobert haben? – Ich will hinüber, und käme auch nur das Wrack meines Schiffes an die spanische Küste.«

Solcher Proben seiner Unerschrockenheit gab er zahlreiche während des Krieges, den er auf der pyrenäischen Halbinsel mit dem französischen Prinzen führte, welcher ihm die Krone bestritt. Als es aber galt sich in Madrid festzusetzen, sich der spanischen Hauptstadt zu bemächtigen und, dort von allen Organen der Gewalt umgeben, im Mittelpunkt des Reiches als Herrscher aufzutreten – da rührte sich Karl nicht aus Barcelona, seinem Hauptquartier. Er hatte nämlich keinen Galawagen bei sich, um mit königlichem Gepränge darin seinen Einzug zu halten!

Dieser Zug allein charakterisirt den Mann und sein Jahrhundert. Mit ritterlichem Muthe sein Leben zu wagen, es den Stürmen des Meeres und den Kugeln der Schlacht Preis zu geben – dazu fand ihn jeder Augenblick bereit; aber die Sitte zu verletzen, in einem Wagen ohne vergoldete Krone und geschnitzte Genien daran, ohne das große Wappen von Oesterreich und Ungarn, von Castilien und Leon auf dem Schlage in die Hauptstadt einzuziehen – das lag jenseits der Grenzen seiner moralischen Entschlossenheit.

Darüber aber wandte sich das Kriegsglück. Seine Heere verloren den Boden, den sie erobert hatten, die Feinde rückten näher und näher und schlossen endlich Barcelona ein. Die Residenz Karls schien verloren. Man rieth ihm, sich durch heimliche Flucht zu retten. Aber ernst wies er diese Zumuthung von sich: »Wie sollte ich,« war seine Antwort, »diejenigen verlassen, die Gut und Blut für mich daran gesetzt haben, und sollte aus der Ferne ihre Wohnungen sehen, wie sie in Rauchsäulen aufgehen, aus der Ferne ihr Wehegeschrei hören, das um Rache wider mich in die Wolken dringen würde! Kein solches Wort mehr! Mit ihnen will ich leben und sterben!« – –

So rechtfertigt es sich, wenn wir Karl den Sechsten den besten Habsburgern zuzählen und ihn den würdigen Enkel so großer Ahnen nennen, deren Reihe er als der letzte männliche Sprosse seines glorreichen Hauses schloß. Sein kaiserliches, vom gepuderten und gekräuselten Gelock der Alonge-Perrücke umwalltes Haupt umschloß edle und wohlwollende Gedanken; und seine männliche Brust bewahrte sich unter der goldbrocatnen Kaiserdalmatica und der blitzenden Kette des goldenen Vließes ein wahrhaft menschliches Fühlen.

Seine äußere Erscheinung war edel und imponirend. »Die allerhöchste Person,« – sagt eine aus späterer Zeit (1732) herrührende: ›Nachricht von des Kaisers Person‹ – »Sr. Majestät des Römischen Kaisers sind mittelmäßiger Taille, robuster Constitution und eines recht majestätischen Ansehens. Es sind dieselben den 1. Oktober 1685 geboren und sind ihnen in der Taufe die Namen Carolus Franciscus Josephus Wenceslaus Balthasar Johannes Antonius Ignazius beigelegt. Der Herr Vater war Leopoldus der Große und die Frau Mutter Eleonore Magdalena Theresia, Pfalzgraf Philipp Wilhelm von Neuburg Prinzessin Tochter. Es wurde unser Monarch von dero allerhöchsten kaiserlichen Eltern höchst sorgfältig und rühmlichst in allen fürstlichen Tugenden, Exercitiis und Wissenschaften erzogen und bei denenselben nichts gespart, was dieselben nur immer geschickt machen können, so viel Kronen zu tragen. Und weil dieselben auch in der Jugend von sich mit allem Ernst dahin bestrebten, diejenigen hohen Qualitäten zu erlangen, welche einem großen Monarchen nöthig sind, so applicirten sich dieselben nicht nur mit allem Eifer auf die Studia, Sprachen und andere Wissenschaften, sondern sie traten auch gar frühzeitig in die hohe Kriegsschule, in welcher dieselben dergestalt ausgelernt, daß ihnen kein europäischer Potentat hierinnen gleichkommen wird. Denn nachdem dieselben im Jahre 1697 das goldene Vließ bekommen und 1703 zum Könige in Spanien declarirt worden, so traten dieselben zugleich auch in des Martis Schule und gaben darinnen bei jeder Gelegenheit die unvergleichlichsten Proben von dero Großmuth, Standhaftigkeit und Tapferkeit bei dem abwechselnden Glücke des Krieges an den Tag.« –

Unsere Leser, und zumal die, welche den Keim und Ansatz zu einer kleinen Nationalgalerie im Römersaal zu Frankfurt am Main kennen, wo ja auch Karolus Sextus von kunstgeübter Hand abconterfeit zu sehen ist – haben sich jetzt ohne allen Zweifel bereits ein lebendiges Bild von diesem alten kaiserlichen Herrn entworfen. – Sie sehen ihn vor sich in der schwarzen spanischen Tracht, welche damals noch am österreichischen Hofe die herrschende war, in dem Mantel aus schwerem venetianischen Sammt, einherschreitend auf den hohen rothen Absätzen der abgestumpften Schuhe, das Haupt bedeckt mit dem kleinen goldbordirten aufgeschlagenen Hut, an welchem eine Agraffe aus großen leuchtenden Diamanten strahlt. Sie sehen die hohe habsburgische Stirn, das lange Gesicht, die gebogene, stark ausgebildete Nase; und am wenigsten vergessen sie die hängende Unterlippe, jenen denkwürdigen Zug in der Physiognomie aller Sprossen unsres alten Kaiserhauses, der ursprünglich ein Eigenthum der Jagellonin Cimburga, der Mutter Kaiser Maximilian's I. war und von ihr sich vererbt hat auf ihre sämmtlichen Enkel bis auf den heutigen Tag. Mit einem Wort – unsere Leser glauben hinreichend unterrichtet zu sein über die Sonne und den Mittelpunkt jenes Hofes, an den unsere, gewissenhaft den Quellen nacherzählte und historisch-diplomatisch beglaubigte Geschichte spielt. Sie verlangen also, daß wir diese selbst beginnen.

Aber wir bitten um Geduld. Wenn wir den Leser unterhalten, so möchten wir es ein bischen systematisch thun. Wir möchten ihn vor allen Dingen zuerst etwas von der Luft athmen lassen, welche an diesem großen, ceremoniösen, majestätischen Hofe herrscht. Wir möchten ihn erst mit jener Stimmung, mit jener ehrfürchtigen Scheu erfüllen, mit welcher die Menschen des achtzehnten Jahrhunderts, mit welcher auch die Gestalten unsres Dramas durch die goldstrotzenden, weiten, von schwerbewaffneten Arcieren-Garden, von Höflingen, von Kammerherren, von obersten Hofchargen und von Excellenzen erfüllten Vorgemächer der wiener Hofburg schritten. Wir möchten ihn einweihen in den Geist unerschütterlicher, zu einem wahren Cultus der geheiligten Herrscherwürde ausgebildeten Grandezza und Hoheit, welche souverain über diesem reichen, bunten, bewegten und doch so gemessenen, so strenge von den Fesseln der Etikette umschlossenen Hofleben thront.

Wir fahren deshalb fort ihn zu unterhalten von Kaiser Karl dem Sechsten glorwürdigen Gedächtnisses; aber da wir wissen, wo wir stehen, nämlich in der hohen, mit goldgepreßten Ledertapeten bekleideten, mit schweren Damastvorhängen verhängten Antecamera der apostolischen Majestät, so dämpfen wir unsere Stimme zu einem leisen Flüstern, und wer deshalb diese Einleitung zu überhören Lust hat – der mag sie eben überhören, respective überschlagen.

Karl der Sechste, das ist zunächst von ihm zu rühmen, theilte nicht den Fanatismus eines Ferdinand II» nicht die Unterwürfigkeit eines Joseph I. unter die geistlichen Einflüsse und die Macht eines ausschlußeifrigen kirchlichen Systems. Er schauderte nicht vom Scheitel bis zur Sohle, wenn in seiner Gegenwart die Worte Toleranz oder Gewissensfreiheit ausgesprochen wurden. Er schützte die Ungarn bei ihrer freien protestantischen Religionsübung; ja er überwies ihnen in Deckenburg sogar ein Nonnenkloster zur Kirche. Er hatte sich einer protestantischen Gemahlin vermählt, der Herzogin Elisabeth Christina, Herzog Ludwig Rudolf's von Braunschweig Tochter, die erst, als sie zur Königin von Spanien bestimmt wurde, zur katholischen Religion übertrat, und im Herzen dem Glauben ihrer Väter treu blieb. Aber er war doch von großer, ungeheuchelter Frömmigkeit beseelt und hielt strenge an den Cultusformen fest, in welchen er erzogen war.

So machte er in Spanien, nachdem die Nachricht von dem großen Siege eingelaufen, welchen der Herzog von Marlborough 1706 bei Ramelies über die Truppen des allerchristlichsten Königs erfochten hatte, eine Wallfahrt nach dem berühmten wunderthätigen Bilde der schwarzen Mutter Gottes im Benediktiner-Kloster von Montserrat, sechs Meilen von Barcelona entfernt. Umgeben von einem zahlreichen Gefolge von Geistlichen, Beamten, Officieren und Höflingen zog der König demüthig zu Fuße dorthin, und nachdem er vor dem schwarzen Heiligenbilde seine Devotion verrichtet, hing er neben demselben seinen ritterlichen Degen auf, wie die noch heute zu lesende Inschrift sagt: »zum immerwährenden Gedächtniß der österreichischen Frömmigkeit.«

Diese österreichische Frömmigkeit Karl's ließ sich jedoch später in Wien keineswegs so ausbeuten, wie die seines Vaters sich hatte ausbeuten lassen, der sich gar oft zu Andachtsübungen in die Klöster begab und danach eine Collation von den Mönchen anzunehmen geruhte, wobei denn »die Herren Geistlichen allemal glücklich das Tempo abpaßten und namhafte Schenkungen an Geld, Gütern, ja ganzen Herrschaften ausbettelten. Sothaner unnöthiger Devotion schien Ihre Majestät das Adieu zu geben gesonnen,« sagt ein alter Autor: »Sie wollten, als die Jesuiten am 7. Febr. den Namenstag ihres Stifters begingen, im Jesuiten-Collegio weder speisen, noch der von den Geistlichen angestellten Comödie beiwohnen.«

Was seine Bildung angeht, so war des Kaisers Sprachenkenntniß beachtenswerth, da er mit jedem seiner Unterthanen in dessen Sprache zu reden verstand; mit dem Ungar lateinisch, mit dem Mailänder italienisch, mit dem Böhmen slavisch, mit dem Spanier spanisch, mit aller Welt französisch – nur mit der lieben deutschen Muttersprache haperte es allerdings und hier mußte der wiener Dialekt aushelfen und mit seiner liebenswürdigen Gemüthlichkeit ersetzen, was ihm an hofmäßiger Gravität abging; bei Hofe sprach man kein Deutsch, sondern zumeist italienisch: die Klänge der melodischen Sprache » del bel paese, ove il si suona«, thaten dem musikalischen Ohre des Kaisers wohl und erinnerten ihn an sein römisches Kaiserthum deutscher Nation.

Zumeist und vor allem anderen aber war Kaiser Karolus Sextus ein großer Musikant. Er war ein Virtuos im Geigenspiel und componirte selbst Opern; dann war er ein Numismatiker und Münzensammler; ein Liebhaber der Baukunst, ein Gönner der Malerei, ein Mäcen für die Geschichtsforscher, denen er mit früher unerhörter Liberalität alle Archive öffnen ließ; und endlich ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn.

Tagelang führte seine Leidenschaft für das Waschwerk ihn durch Sumpf und Wald den Wasservögeln oder dem Hochwild nach. »Dös is a Schuß!« rief ihm einst sein Günstling Trautson zu, als der Kaiser sehr geschickt einen Hirsch getroffen hatte – »wär g'scheuter, Ew. Majestät wären a Jager worden!« – »Nu, nu, haben so a z' löb'n!« entgegnete Karl.

Ob der Kaiser bei dieser Antwort lächelte, finden wir nicht aufgezeichnet; so viel ist gewiß, gelacht hat er nicht dabei, denn nie hat Jemand Karl den Sechsten lachen gesehen – so weit schmolz die steinerne Grandezza seines Wesens nicht.

Kurz und mit einem Wort, unser Monarch war ein Herrscher auf den Oesterreich, das ihm so viel zu verdanken hatte, stolz sein konnte und dem es mit treuer Liebe anhing; denn er war wohlwollend und leutselig gegen alle seine Unterthanen, vorausgesetzt, daß sie ihn nicht in die Lage brachten, den Mund öffnen und sprechen zu sollen, was ihm äußerst unbequem war; er kaufte den Gelehrten Bücher, er baute den Reisenden treffliche Straßen, er schuf dem Handel den Freihafen Triest – er that Alles für sein Volk, was man im achtzehnten Jahrhundert für »das Volk« zu thun pflegte – daß dazu nicht gehörte säuberlich mit dem Geldsäckel desselben umzugehen, brauchen wir nicht zu sagen – ein Finanzier war der letzte Habsburger nicht. König Friedrich Wilhelm I. von Preußen erbot sich in seinem gutmüthigen Mitleid mit der wiener Geldwirthschaft des Kaisers Finanzminister zu werden und nach dem Muster seines General-Directoriums das gesammte Finanzwesen Oesterreichs zu reformiren, wofür sich aber die Excellenzen am kaiserlichen Hofe sehr eifrig bedankten.

Keinenfalls und am wenigsten jedoch zeigte sich Kaiser Karl als ein Mann, auf welchen die Bemerkung anwendbar war, welche mit eben so wenig Tact als Respect der Größte aller englischen Sonderlinge über ihn machte. Wir meinen den Earl von Peterborough, der Karl's englische Hülfstruppen in Spanien befehligte. Er trug das Bildniß des jungen Königs in seinem Ringe. Bei einer Zusammenkunft mit dem Schmutzigsten aller Franzosen, dem cynischen Herzog von Vendome, sah er, daß dieser das Bildnis des spanischen Gegenkönigs Philipp V. auf der Brust trug, und bei diesem Anblick rief er aus: »Sind wir nicht ein paar herzensgute alte Säue, daß wir uns für diese beiden Tröpfe herumschlagen?!«

Mit großer Strenge ließ Karl der Sechste am Hofe zu Wien auf die Beobachtung der Etikette halten. Sie war eine Fessel für jede Bewegung. Sie beherrschte jeden Tag, jede Stunde, jedes Thun, die »Staats-Action« und die große Botschafter-Audienz so gut wie das tägliche Aufstehen, das Essen, das zu Bettegehen. Unsere Geschichtschreiber und unsere Sittenschilderer nennen den Inbegriff der Regeln dieser Etikette das »spanische Ceremoniel,« indem sie den spanischen Hof verantwortlich machen für alles Leiden, alle die aufreibende Ermüdung, alle die tödtende Langeweile, welche diese Etikette über ihre armen gekrönten oder mit Orden, Kammerherrenschlüsseln und goldnen Ketten geputzten Schlachtopfer gebracht hat.

Die castilianische Gravität, der Hochmuth des Herrscherbewußtseins in den Thronfolgern der Ueberwinder der Kalifen Granada's und der Eroberer beider Indien sollen schuld sein an all den müden und eingeschlafenen Beinen der Hoffräulein, welche bei einer Cour stundenlang wie Säulen dastehen mußten, ohne sich regen zu dürfen; sie sollen schuld sein an all' den verlorenen Herzen der dienstthuenden Kammerherren, die während des Dienstthuns in den Antischambren aus purer Langenweile und reinem Müssiggang mit der ihr Schicksal theilenden Hofdame sich in zarte Beziehungen eingelassen haben. Sie sollen schuld sein an all' den schmerzlichen Kämpfen hochgestellter Persönlichkeiten wider das Gähnen und das Einschlafen während der nicht endenden mörderischen Lustbarkeiten und grausamen Vergnügungen eines großen Hoffestes in voller Gala.

Nichts kann ungerechter sein als diese Behauptung. Unsere Etikette und unser Hofceremoniel ist nichts anderes als eine Erbschaft, die in directer Ueberlieferung von einem ganz anderen, von dem alten burgundischen Hofe herstammt; sie ist eine Verbindung der galanten Rittersitte, der ceremoniösen Chevalerie mit byzantinischen Elementen, die sich am Hofe der mächtigen Herrscher zu Dijon und zu Nancy zu dem ausbildete, was noch heute die Grundlage jeder Hofmarschalls- und Ceremonienmeister-Wissenschaft ausmacht. Dies Erbe des burgundischen Hofes ging durch die Vermählung Mariens von Burgund mit Maximilian von Oesterreich auf das habsburgische Haus, das bald nachher eine habsburgisch-spanische Linie abzweigte, über.

Und so hat Spanien seine Hofsitte von uns, nicht wir sie von Spanien erhalten. Viel eher könnte man sie etwas ursprünglich Oesterreichisches nennen. und in der That; wenn man die österreichische Etikette näher betrachtet, so zeigt sich ein Schauspiel, dem Niemand wird nachjagen können, daß es nicht sehr originell gewesen: originell, wenn je auf Erden etwas dies Beiwort verdient hat.

Betrachten wir den armen Kaiser, zum Beispiel, wenn er sich eben aus dem Bette erhoben hat und im Begriffe ist, sich reine Wäsche überwerfen zu lassen. Ein Kammerherr hält das zarte Battistgewebe in der Hand und die apostolische Majestät beugt ihr majestätisches Haupt, um hineinzuschlüpfen; aber in diesem Augenblicke öffnet sich die Flügelthüre des Gemaches; der Oberkämmerer tritt ein, und der Kammerherr verneigt sich vor dem höheren Würdenträger und überreicht ihm das Hemde; dieser schickt sich an, dem Kaiser den Dienst zu leisten, zu dem der höhere Rang ihn berechtigt, – da tritt der Obersthofmeister ein – der Obersthofmeister ist höheren Ranges als sie alle; abermalige feierliche Ueberreichung des kaiserlichen Hemdes an den Neugekommenen, während der geduldige Monarch vor Kälte schaudernd harren muß, bis er endlich seines frischen Hemdes froh wird.

Will der Kaiser an den Galatagen speisen, so wandern die Schüsseln durch die Hände von Officianten, Truchsessen, Edelknaben, Kammerherren, endlich des Obersthofkuchelmeisters und des Obersthofstabelmeisters Der Obersthofkuchelmeister bzw. -küchenmeister war ein Adligen vorbehaltenes Hofamt an Fürstenhöfen. - Der Stabelmeister betätigte sich in den österreichischen Erblanden als hoher kaiserlicher Zeremonialbeamter bei der Hoftafel; das Amt zählte zu den so genannten Erbämtern. – Anm.d.Hrsg.; bevor ein Teller an Se. Majestät gelangt, ist er durch vierundzwanzig Hände gegangen und natürlich – kalt! Will der Kaiser trinken, so macht der Becher eine ähnliche Wanderung; zuletzt muß der Obersthofmundschenk den Wein mit spanischer Kniebeugung kredenzen.

Selbst auf der Jagd verfolgte den Herrscher das Ceremoniel. Nur dem Oberstjägermeister und den Jagdjunkern war verstattet, bei Reiherbaizen, Schweinsjagden und Pürschen im grünen Jagdkleid und mit dem Hirschfänger zu erscheinen; die andere Gesellschaft erschien in Hofkleidern. Keinem war gestattet, in Gegenwart des Kaisers ein Gewehr abzudrücken oder den Hirschfänger zu entblößen; so daß zwei Jagdjunker, welche es sich herausgenommen, einen Keuler, der Seine Majestät in Lebensgefahr zu bringen drohte, anlaufen zu lassen, sich eine tüchtige Reprimande zuzogen; »denn es schien, als ob man einem Eber eher gestatten könne, das Leben des Kaisers, als einem Kammerjunker das Ceremoniel zu gefährden.«

In den Tagen, in welche unsere Geschichte fällt, war Kaiser Karl seit vielen Jahren schon Wittwer. Elisabeth von Braunschweig, seine schöne, anmuthige, unvergleichliche Elisabeth von Braunschweig, eine der anziehendsten Frauen, die je auf einem Throne gesessen haben, war gerade von ihm geschieden, ohne ihm einen Sohn zu hinterlassen. Das reiche Erbe des habsburgischen Hauses mußte deshalb die Mitgift eines jungen Mädchens werden; es mußte sich verschenken lassen, als Zugabe zu einem verliebten jungen Herzen. Wer wird die Liebe dieses jungen Herzens gewinnen? Wer wird die reichste Mitgift, die je zu erfreien war, so lange die Welt bestand, mit sammt einer Braut gewinnen, welche sich in das Trauungsregister mit dem wohlklingenden Namen: Maria Theresia, königliche Prinzessin von Ungarn und Böhmen, Erzherzogin von Oesterreich und Infantin von Spanien eintragen lassen kann?


Zweites Capitel.
Von der pragmatischen Sanction.

Die Frage, welche wir einfach und klar formulirt am Schluß des vorigen Capitels zu Nutz und Frommen derjenigen unserer Leser ausgedrückt haben, die nicht recht wissen, was die berühmte und in unseren Geschichtswerken eine so große Rolle spielende »pragmatische Sanction« eigentlich für ein Ding ist – denn ganz unwidersprechlich war der Zukünftige Maria Theresia's »des Pudels Kern« – diese Frage beschäftigte damals alle politischen Geister und alle an dem Wohl und Wehe, an der unvergänglichen Gloria des durchlauchtigsten Erzhauses theilnehmenden getreuen Unterthanen-Gemüther.

Sie auch beschäftigte eben zwei junge Leute, welche an einem schönen Sommertage in den Gängen eines nach französischem Geschmacke angelegten Lustgartens wandelten, der das kaiserliche Lustschloß Favorita in der »die Wieden« genannten Vorstadt Wiens umgab. Die Favorita war ein ziemlich unwohnliches Schloß, ganz so wie es des Kaisers Jagdschloß Laxenburg auch war: aber wie von diesem der alte Reim geht:

Laxenburgo non è Castello,
Laxenburgo non è Città,
Ma è un luogo bello,
Che piace à sua Maesta –

zu Deutsch:

Laxenburg das edle hat
Weder Schloß noch eine Stadt,
Aber schön ist doch der Ort,
Der Majestät gefällt es dort –

so wählte dennoch Karl der Sechste jährlich im Juli-Monat seinen Aufenthalt in den engen und heißen Zimmern des dreistöckigen Gebäudes; mochten die Treppen schmal und finster, die Gemächer nur nothdürftig möblirt sein – der Kaiser liebte es, wie er den Aufenthalt in dem unwohnlichen Laxenburg liebte – er war hier dem Etikettenzwange der Hofburg weniger unterworfen. Dagegen blieb er eigenthümlicher Weise in den großen und schönen Prunkschlössern Schönbrunn und Ebersdorf nie über Nacht.

Die beiden jungen Leute nun, welche sich über die Kernfrage der »pragmatischen Sanction« unterhielten, während sie über den Kies der Gartenpfade zwischen einem Paar Taxushecken einherschritten, waren ein Herr und eine Dame. Sie schön und noch blühend, eine Gestalt mittler Größe, mit dem für unseren Geschmack etwas zu kräftigen Gliederbau italienischer Frauen, aber von classisch edlen Gesichtszügen. Er eine feine, zierliche Gestalt, die in allen Bewegungen elastische Kraft verräth, von schmiegsamen Wesen, dunklem Haar und dunklen Brauen, unter deren scharfgezeichneten und auffallend hoch gewölbten Linien tief eingesunken die feurig lebhaften Augen liegen; dies giebt seinem Gesichte einen Ausdruck von Leidenschaftlichkeit, während die Züge auch etwas von dem Gepräge der Ermüdung zeigen, das der blasse gelbliche Teint nicht vermindert.

Er ist in spanische Tracht von schwarzem Sammt und schwarzer Seide gekleidet – nicht eben zweckmäßig bei der Hitze, welche in dem, von den Zwergbäumen und Taxushecken wenig geschützten Garten herrscht. Da er aus Galanterie der Dame die Schattenseite zunächst neben der Taxuswand läßt, so erstreckt sich die wohlthätige Kühlung nur über seine wohlgebildeten und von einem feinen Seidengewebe umhüllten Beine, während die Sonnenstrahlen sich das Vergnügen machen, die obere Hälfte seiner Gestalt mit ihrem sengendsten Licht zu übergießen.

Wir brauchen ihn aber um dessentwillen nicht zu bemitleiden. Der Viconde Perez da Bojador y Roccaberti, Sr. römisch kaiserlichen Majestät wirklicher Kämmerer ist ein geborener Spanier, dem unsere sommerliche Hitze nichts anhaben darf.

Eben so ist die Dame, welche im paille-gelben seidenen Rock mit weißem Corsett auf hohen rothen Absätzen neben ihm wandelt, ein Kind des Südens. Juliane, Gräfin Bolagno, Kammerfräulein der Erzherzogin Infantin Maria Theresa, gehört einem italienischen Hause an. Ihr Vater, wie der des Viconde, hatte sich unter der großen Zahl getreuer Anhänger befunden, welche Kaiser Karl VI. aus Spanien mit herübergebracht, nachdem er dies Land seinem Gegner, dem französischen Prinzen Philipp von Anjou hatte einräumen müssen. Nicht weniger als 20 000 solcher Getreuen sollen damals mit nach Oesterreich gekommen sein, darunter die erlauchtesten Namen, denen eine sehr bevorzugte Stellung am Hofe gewährt wurde.

Wir haben das lustwandelnde Paar jung genannt. Dies Wort müssen wir dahin näher bestimmen, daß wir das Alter des Viconde auf dreißig, daß des Kammerfräuleins auf etwa 27 Jahr angeben. Die Unterhaltung Beider ist sehr lebhaft.

»Aber ich bitte Sie, allerholdseligste Signora,« sagte der Viconde da Bojador, »wie kann man einem von heißer Liebe entbrannten Herzen gegenüber eine so kühle, mit zahlreichen Wenn und Aber durchstickte und mit hundert Bedingungen durchwirkte Sprache führen!«

»Mein schöner Signor, wenn ich, wie Sie schwören, Ihr heißes spanisches Herz wirklich besiegt habe, so klagen Sie auch nicht, daß ich die Bedingungen mache. Das war, so viel ich weiß, das Recht des Siegers so lange die Welt steht!« versetzte die Dame lächelnd.

»Aber Bedingungen so feierlich ernster Natur, als gälte es eine diplomatische Staatsaction!«

»Kann man an diesem kaiserlichen Hofe etwas anderes als feierlich – darf man einem Manne gegenüber etwas anderes als diplomatisch sein?«

»Mir gegenüber dürfen Sie es, Juliane!« antwortete der Viconde, die Hand auf's Herz legend und mit dem Tone aufrichtigster Betheuerung.

»Nun wohl, so will ich Ihnen ohne diplomatische Umschweife Alles sagen. Sie werben um meine Hand. Ich soll Ihnen folgen, wenn Sie Ihr stolzes Maurenschloß, das in irgend einer Schlucht der Sierra Nevada oder der Sierra Morena höchst malerisch seine altersgrauen Thürme in die Lüfte streckt, und von seinen Zinnen eine liebliche Aussicht auf baumlose Bergöden, verbrannte Halden und staubige rothbraune Flächen darbietet, als gestrenger Herr und Gebieter beziehen. Dieser Ihr Wunsch, Senhor Viconde, ist für mich außerordentlich schmeichelhaft. Ich fühle im tiefsten Herzen, wie sehr er mich Ihnen verpflichtet. Aber, mein edler castilischer Ritter, ich bedanke mich dafür mit aller Entschiedenheit, welche mir zu Gebote steht. Man sagt wohl, daß für ein glücklich liebend Paar Raum in der kleinsten Hütte sei – niemals jedoch habe ich das Gleiche behaupten hören von einem einsamen, verfallenen Felsenschloß in Castilien, Aragon oder Catalonien, auf welches Uhus und Fledermäuse Miteigenthumsansprüche machen nach dem geheiligten Rechte der Verjährung …«

»Sie sind boshaft!«

»Gewiß! Würden wir sonst für einander passen?«

»Also, daß wir für einander passen – das gestehen Sie mir wenigstens zu, Gräfin!«

»Unter Umständen –«

»Und die sind? …«

»Hören Sie nur mein Geständniß zu Ende.«

»Ich verlange auf Gottes Welt nichts weiter als Ihr Geständniß!«

Gräfin Juliane Bolagno führte einen Schlag mit dem Fächer nach ihrem Anbeter. –

»Mein Geständniß, daß ich nicht die allermindeste Lust verspüre,« sagte sie, »das Schicksal, welches Sie mit ihrer beneidenswerthen Hand mir bieten, anzunehmen.«

»Also Sie verschmähen diese Hand, indem Sie noch obendrein Spott darauf häufen, und Sie verabscheuen Spanien, in das ich allerdings werde zurückkehren müssen, wenn ich das kleine Stammerbe meines mit irdischen Glücksgütern nie sehr gesegneten Hauses nicht unter den Händen ungetreuer Regidoren will verschleudert und zu Grunde gerichtet sehen!«

»Ich verabscheue Spanien nicht – keineswegs! im Gegentheil, ich liebe es, wie mein Vater es lieb gewonnen hat, der seit Jahren das Glück genießt, unsere kaiserliche Majestät als Botschafter am Hofe von Madrid zu vertreten. Und auch darin, mein vorschneller Freund, haben Sie Unrecht, daß Sie mir vorwerfen, ich weise ihre schmeichelhafte Bewerbung mit Hohn zurück. Das war meine Absicht keinesweges. Aber ebenso wenig ist es meine Absicht, meine sehr angenehme Stellung im Gefolge der Erzherzogin aufzugeben. Ich fühle keinen Beruf, mich jetzt schon aus der Welt zurückzuziehen, um die Donna Uraka auf einem alten Schloß mit hohen Mauern und Zugbrücken zu spielen, über welche die Freuden der Welt ihren Weg nicht finden, vor deren düsterer Physiognomie die Vergnügungen der Jugend davon fliehen, wie Zigeuner vor dem Gerichtspfahl mit dem Halseisen. Das allein ist, was ich nicht will, mein Herr Viconde!«

»Und werden Sie mir nun sagen, Königin meines Herzens, was Sie wollen!«

»Das habe ich Ihnen, meine ich, bereits gesagt. Ich will Ihnen nach Spanien folgen, wenn ich es thun – und zugleich im Gefolge der Erzherzogin bleiben kann!«

Damit geben Sie mir außerordentlich viel Hoffnung!« seufzte der Viconde da Bojador.

»In der That, ich thue es auch.«

Der Viconde schüttelte mit betrübter Miene den Kopf.

»Glauben Sie nicht?«

»Wird etwa die Erzherzogin nach Spanien ziehen?«

»Mein Vater wenigstens hofft es,« versetzte Gräfin Juliane Bolagno. »Er wenigstens läßt alle diplomatischen Künste, die ihm zu Gebote stehen, spielen, um es dahin zu bringen. Maria Theresa soll den Infanten Don Carlos von Spanien heirathen. Sie soll die Kronen Oesterreichs mit denen der spanischen Monarchie verbinden. Sie soll so der Welt Trotz bieten können, wenn der alte gnädigste Herr das Zeitliche segnet, und wenn es darauf ankommt, jene pragmatische Sanction aufrecht zu erhalten, welche ihr das Erbe ihrer Väter bestimmt, welche von allen Monarchen beschworen ist, und doch ganz allein von dem Schwerte wird vertheidigt werden müssen, sobald der verhängnißvolle Tag gekommen.«

»Sollten wir, Sie, Gräfin Juliana Bolagno und ich, der anspruchlose Viconde da Bojador, nicht auf unsre eigne Hand glücklich werden können, ohne unsre Zukunft mit dieser pragmatischen Sanction in Zusammenhang zu bringen?«

»Das kommt auf die Vorstellung an, welche wir uns vom Glücke machen.«

»Die Ihrige hat für mich sehr wenig Glückverheißendes.«

»Weshalb nicht?

Der Spanier antwortete nicht. Er seufzte blos.

»Wirken Sie nur für Don Carlos,« fuhr die Gräfin Juliane fort. »Zwischen ihm und dem Erfolge steht ja nur Einer, der – doch ich brauche ihn nicht zu nennen. Dieser junge Herr, welcher, ohne Land und Leute zu besitzen, die Augen nach dem schönsten Juwel und dem reichsten Throne der Christenheit aufschlägt, und den man deshalb beinahe versucht wäre, einen Abenteurer zu nennen, wenn sich für so hohe fürstliche Personen ein solcher Ausdruck schickte – dieser junge Herr, was hat er für sich, daß Sie daran verzweifeln könnten, ihn hier aus dem Sattel zu heben? Nichts, gar nichts; weder eigene Macht, noch politische Verbindungen; weder große kriegerische oder staatsmännische Talente, noch überhaupt eine Intelligenz, an welcher meine Erzherzogin einst einen Halt, eine Stütze, eine Zuflucht fände in den Stürmen, womit die Zukunft sie bedroht.«

»Das ist vielleicht wahr, aber …«

»Er hat die Neigung Maria Theresa's für sich, wollen Sie sagen.«

»Seine Persönlichkeit, sein Aeußeres, seine Anmuth!« fiel da Bojador ein.

»Was die Neigung der Erzherzogin angeht,« entgegnete Juliane Bolagno, »so weiß ich nicht, ob diese in der That so groß ist. So viel ist aber gewiß, daß, wenn er nichts weiter für sich hat als seine Persönlichkeit, es leicht sein muß, ihn um die Vortheile zu bringen, in welche er bei der Erzherzogin oder dem Kaiser sich gesetzt haben sollte. Denn gegen eine Persönlichkeit, Viconde, läßt sich immer viel, sehr viel vorbringen, – mit politischen Interessen wäre es eine andere Sache. Die lassen sich nicht umwerfen; desto leichter die Menschen. Da nun eine Verbindung der Erzherzogin mit Franz Stephan von Lothringen für das Kaiserhaus keine politischen Gründe für sich hat – eher Gründe gegen sich, so machen Sie den Versuch. Heben Sie den hoffnungsvollen jungen Herzog aus dem Sattel der kaiserlichen Gunst, und setzen Sie sich dafür – in die meine!«

»Wie eifrig, wie zuversichtlich das Alles ihr holdseliger Mund hervorströmt, angebetete Signora,« sagte lächelnd da Bojador.

»Ohne Eifer und Zuversicht ist auf Erden nichts durchzusetzen! Und nun, meine ich, habe ich Ihnen genug gesagt. Ihr Schicksal, mein stolzer Castilianer, liegt in Ihrer Hand!«

»Der Schicksalsspruch lautet also unabänderlich: wenn die Erzherzogin Maria Theresa dem Infanten Don Carlos von Spanien die Hand reicht, dann läßt auch ein gewisses Kammerfräulein ihre grausame Sprödigkeit unter den heißen Strahlen einer Leidenschaft schmelzen, in welcher das treueste aller Herzen lodert?

»So ungefähr!«

»Aber wenn nun das gefährliche Wagniß …«

»Darf ein verliebter Ritter von Gefahr reden?« unterbrach ihn die Gräfin Juliane.

»Sie haben Recht, also wenn das ungefährliche, das leichte Unternehmen gelänge,« fuhr der Viconde, die Worte ironisch betonend, fort – »wenn wir durch allerlei löbliche Thätigkeit und ingenieuse Betriebsamkeit es dahin brächten, die Stellung unsers besagten jungen Freundes hier am Hofe zu verderben, wenn aber nachher sich auswiese, daß wir dadurch nur den Plänen des durchlauchtigsten Generalissimus Seiner Kaiserlichen Majestät, des Prinzen Eugenio von Savoyen in die Hände gearbeitet hätten … wie dann?«

Die junge Dame schwieg einen Augenblick nachdenklich.

»Ich weiß,« sagte sie dann, »Eugen's Absicht ist, die Erzherzogin mit dem Kronprinzen von Preußen zu vermählen. Aber wider diesen Freier Friedrich hat Maria Theresa eine entschiedene Abneigung. Er ist ein Protestant, ein Atheist.«

»› Paris vaut bien une messe!‹ Das österreichische Erbe ist eben so gut eine Litanei zum Herzen Jesu oder ein paar Pater Noster werth. Daß die Verbindung zu einer großartigen politischen Constellation führe, wer würde es läugnen? Denken Sie Oesterreich und Preußen von einem Gedanken beherrscht, von einem Sinne gelenkt! Was ist aus Spanien geworden seit der Ehe der Castilierin Isabella und Ferdinand's von Aragonien! Was würde aus Deutschland werden durch eine Ehe zwischen Friedrich von Preußen und Maria Theresa von Oesterreich?«

»Ganz richtig,« versetzte Juliane, »es wäre vortrefflich, aber gerade deshalb wird es nicht dazu kommen. Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Aber wenn Sie es fürchten, Viconde – – nun wohl, so heben Sie doch den Prinzen Eugen hier am Hofe auch aus dem Sattel!«

»Wie Sie nur immer mich verspotten mögen!«

»Beschämen Sie meinen Spott!« antwortete lachend die Gräfin Juliane.

»Nun, wahrhaftig, das will ich auch, hoffährtige Condessa! Sie sollen Wunder sehn, obwohl Ihr kaltes, steinernes, politisches Herz gar nicht verdient, daß man sich solche Mühe macht, um es zu erobern!«

»Wunder verlange ich gar nicht. Nichts als höchst natürliche Dinge. Beobachten Sie den Herzog von Lothringen. Suchen Sie seine Bekanntschaft, sein Vertrauen. Haben Sie das, so haben Sie genug. Im Leben solch' eines jungen Herrn giebt es immer Momente, die man nur zu kennen braucht, um ihm ein junges Mädchen abspenstig zu machen, das wie eine Prinzessin im Feenmährchen erzogen ist.«

»Sind Sie so vertraut mit den kleinen Geheimnissen eines jungen-Herrenlebens?« fiel da Bojador ein.

Sie gab ihm abermals schmollend einen Schlag mit dem Fächer.

»Scherz bei Seite,« fuhr der Spanier fort, »ich versichere Sie, daß von diesem Augenblicke an der Herzog von Lothringen sich meiner besondern Attentionen wird rühmen dürfen!«

»Er wird wahrscheinlich entzückt darüber sein, weil er sich ziemlich einsam und verlassen an diesem Hofe fühlt.«

»Desto leichteres Spiel für uns!«

»Mich freut, daß Sie es einsehen,« sagte Juliane.

»O mein Plan steht bereits fest,« lächelte der Spanier.

»In der That? Und worin besteht er?«

»Den Herzog zu etwas zu verführen, was ihn bei der Erzherzogin Maria Theresa am sichersten verdirbt, weil sie selbst die Entdeckung seiner Peccadille machen, weil er sich unmittelbar unter ihren Augen ruiniren wird!«

»Ich bin neugierig, was das sein soll?«

»Ein Liebeshandel des jungen Herzogs!«

»Das kann ich mir denken; aber mit Wem?« fragte Juliane neugierig.

»Mit einem gewissen Kammerfräulein der Erzherzogin!« flüsterte de Bojador.

»Mit …? –«

»Mit einer gewissen verführerischen Signora, die den holdklingenden Namen Condessa Juliana Bolagno führt.«

»Viconde!

»Ich rede im Ernst!«

»Abscheulich! –«

»Abscheulich? Weshalb?«

»Sie schlug abermals mit dem Fächer nach ihm und wandte sich anscheinend mit großer Entrüstung ab.

»Ist das nicht ein guter Plan, Juliane,« fuhr de Bojador halb im Ernst, halb spöttisch fort. »Wenn ich ihm zuzuraunen wüßte, daß er die Eroberung eines so stolzen und spröden Herzens gemacht – sollte er nicht eitel genug sein, diese seltene Eroberung verfolgen zu wollen? Wenn er sich Ihnen näherte, sollten Sie ihn nicht mit den zarten und unsichtbaren Fäden jener gefährlichen Koketterie, in denen Ihr armer Sclave so fest und für ewig gebunden liegt, zu einigen Extravaganzen führen, zu deren Zeugen man im rechten Augenblick die Erzherzogin machte?«

»Viconde,« sagte die Gräfin Juliane Bolagno, »Sie sind vielleicht gescheuter und sicherlich unverschämter, als ich Sie geglaubt habe.«

»Ich danke für dies Compliment.«

»O danken Sie nicht dafür, es bergt sich eine recht schlechte Meinung dahinter.«

»Sie erschrecken mich. Womit hätte ich die verdient?«

»Mit Ihrer Perfidie!«

»Ich, das getreueste aller getreuen Herzen, die jemals für die anmuthigste …«

»Worte, nichts als Worte. Ich durchschaue Sie!«

»Worin?«

»Ihr Plan hat eine doppelte Schneide. Sie wollen den Herzog auf die angegebene Art in den Augen der jungen Erzherzogin verderben …«

»Nun freilich!«

»Aber Sie wissen doch, daß er die letztere liebt und höchst wahrscheinlich in seiner Tugendhaftigkeit der ihm vorgespiegelten und vorausgesetzten Neigung des Kammerfräuleins lachen, sich bei der Erzherzogin über sie lustig machen würde!«

»Unmöglich! Das wäre ja unritterlich!«

»Und gerade deshalb sehr möglich!« entgegnete das Kammerfräulein. »Auf die Ritterlichkeit des sogenannten stärkeren Geschlechts zu bauen, wäre sehr thöricht, wenn es sich um so ernste Pläne handelt, wie die unsrigen. Also das Ende vom Liede würde sein, daß die arme Juliane Bolagno in den Augen ihrer jungen Gebieterin compromittirt wäre, und daß ihr dann nichts anderes übrig bliebe, als sich vom Hofe zurückzuziehen und einem gewissen durchtriebenen Kammerherrn auf seine – spanischen Schlösser zu folgen!«

»Welche namenlose Bosheit, mir solche Absichten unterzuschieben!«

»Habe ich Unrecht?«

»Völlig – bei San Jago di Compostela!« betheuerte Bojador.

»Sagen Sie das nicht. Gestehen Sie! Seien Sie offen gegen mich!«

»Sie sind bodenlos ungerecht.«

Die Gräfin Juliane zuckte die Achseln.

»Es ist doch so,« bemerkte sie. »Und – aufrichtig gesagt – es schadet Ihnen bei mir nicht,« sagte sie plötzlich auflachend. »Es flößt mir Respect vor Ihrem diplomatischen Talente ein, auf welches wir ja eben …«

»Auf welches wir eben …? Sie enden nicht? –«

»Nun wohl, auf welches wir eben unsere Hoffnungen gebaut haben!«

»Ich danke Ihnen für dieses Wort, Juliane!« entgegnete da Bojador eifrig einfallend. »Also Sie zürnen mir nicht so, um mir diese Hoffnungen wieder zu des nehmen?«

»Nein – ich zürne Ihnen in der That nicht. Es bleibt bei unserer Verabredung oder besser bei meinem Wort. Nur bauen Sie nicht auf die Mitwirkung meiner – Koketterie

Und damit verbeugte Condessa Juliane Bolagno mit einem vieldeutigen graziösen Lächeln sich spöttisch tief vor ihrem Anbeter und schlug rasch einen Seitenweg ein, der eine schattige Allee, welche mehr im Hintergrunde des Gartens lag, führte. Hier kam nämlich eben eine Gesellschaft von Herren und Damen des Hofes dahergeschritten, in deren Reihe sich die Italienerin mischte.

»Madonna ist gescheut und durchtrieben wie ein kleiner Dämon!« murmelte der Spanier ihr nach blickend. »Ich habe eine Leidenschaft für die klugen Weiber! Wenn sie Einem nur mit ihrer Unruhe das Leben nicht so sauer machten – bei der Mutter Gottes von Atocha, bequemer sind die dummen! Aber ich habe mich nun einmal auf eine kluge Frau capricirt und nun soll sie auch mein werden, mag es kosten was es wolle!«


Drittes Capitel.
Von einer wunderlichen Kriegsbeute.

Mit allerlei Plänen zur Erreichung des Zieles, welches ihm das erzherzogliche Kammerfräulein gesteckt hatte, beschäftigt, schritt der Viconde da Bojador y Roccaberti in der Abenddämmerung durch einen stillen und wenig bevölkerten Theil der Vorstadt Wieden. Es war die Gegend, welche sich hinter dem Lustgarten des kaiserlichen Sommerschlosses Favorita erstreckte; eine Gegend, welche damals meist von Gärten eingenommen wurde; doch hatten einige große Herren, die zum Hofe gehörten, sich einzelne kleine Villen und Pavillons hier in mehr oder minder ansehnlichen und geräumigen Gartenanlagen erbaut – wie das in der Nähe sämmtlicher kaiserlicher Lustschlösser, besonders auch in Laxenburg der Fall war. Man fand es zu jeder Zeit räthlich, »Seine Majestät nicht aus den Augen zu verlieren, und auch von derselben nicht aus den Augen verloren zu werden.«

Einer dieser Pavillons, erbaut im Mansardengeschmack mit Risalits und reicher Verzierung der Fenstercasinos, aber klein, so daß die Fronte nur die Eingangsthür und zwei Fenster, die Seiten nur je zwei Fenster zeigten, lag nicht weit von dem Wege ab, den da Bojador dahergeschritten kam, nachdem er in einem weiter entfernt gelegenen Landhause einen Besuch gemacht hatte. Der Pavillon war hell erleuchtet; eben als da Bojador näher kam, sah er, daß eine Dienerin beschäftigt war, im Innern die Fensterläden zu schließen.

»Veit Trautson's Gartenhaus erleuchtet und bewohnt? was bedeutet das?« fragte sich da Bojador. Er wußte, daß der Eigenthümer dieses Hauses nicht in Wien anwesend, sondern auf einer militairischen Inspectionsreise an der türkischen Grenze beschäftigt war.

»Es scheint, sein Gesinde giebt hier, während der Herr nicht daheim ist, einen Bal champêtre oder eine Merenda Eigentlich: Verspermahlzeit; hier im Sinne einer höfischen Tee- bzw. Kaffee-Gesellschaft. Wie beim ›ländlichen Tanzfest‹ wurden hierzu entsprechende Kostümierungen getragen. – Anm.d.Hrsg. – oder sollte Trautson am Ende zurückgekommen sein, um uns am Hofe wieder mit seiner freundlichen Gegenwart zu beglücken? Man hat sich doch für einen ganzen Monat noch vor ihm sicher geglaubt!«

Während dieses Selbstgesprächs war der Spanier an dem Thore der Gartenanlage angekommen, in welcher der Pavillon des Grafen Veit Trautson lag. Die eisernen Gitterflügel dieses Thores standen halb geöffnet, und der Viconde trat neugierig ein, um sich der etwaigen Ankunft des um seiner fabelhaften Manieren willen gefürchteten Grafen Veit Trautson zu vergewissern; er konnte dann gleich die Gesellschaft, welche er am andern Morgen bei dem Lever in der Antecamera finden würde, mit der angenehm überraschenden Nachricht beglücken.

Ein kurzer Fahrweg führte unter dunklen Castanien bis an den Pavillon. Vor demselben standen drei Sänften.

»Der liebenswürdige Veit hat sich entweder ein für einen Türkenfresser von Profession seltsames Transportmittel gewählt,« dachte der Viconde bei diesem Anblicke – »oder es ist hier eine Damen-Reunion im Hause des alten Junggesellen. Die Sache hat jedenfalls etwas Remarcables. Wir müssen in eines der Fenster zu schauen versuchen, bevor sie alle so dicht geschlossen sind, wie hier auf der Fronte wo kein Lichtstrahl mehr seinen Weg durch die kleinste Ritze findet.«

Mit diesen Worten wandte da Bojador sich rechts, weil er von der rechten Seite des Pavillons her noch hellen Lichtschein auf das Gesträuch und die Baumstämme des kleinen Lustgartens fallen sah.

An der rechten Seite des Pavillons waren die Fenster in der That bis jetzt weder durch Läden noch durch niedergelassene Vorhänge verdunkelt. Aber sie boten den neugierigen Blicken des Spaniers ein anderes Hindernis dar; – um hinein zu schauen, mußte man ungefähr die Größe des berühmten Riesen Sanct Christophel Christophorus (»Christusträger«), frühchristlicher Märtyrer und Heiliger; eine historische Person hinter der Gestalt des Heiligen ist nicht greifbar. Seine Person wird in der westkirchlichen Ikonographie häufig als Riese mit Stab dargestellt, der das Jesuskind auf den Schultern über einen Fluss trägt. – Anm.d.Hrsg. haben, weil sie wenigstens 8 Fuß vom Boden entfernt waren. Da Bojador blickte spähend umher. War kein Gegenstand in seiner Nähe, welcher irgend geeignet schien, durch eine namhafte Erhöhung seiner zierlichen Leibesgestalt die fehlende Länge hinzuzusetzen? Nichts derartiges ließ sich entdecken in der immer tiefer dunkelnden Dämmerung, welche bereits in völlige Nacht übergegangen war unter dem Schatten der Castaniengipfel, die den Pavillon umgaben.

»Aber wir können ja eine der Sänften nehmen,« sagte sich da Bojador nach einer Weile und ging rasch entschlossen an's Werk. Er machte einige Schritte zurück, erfaßte die nächste der vor dem Pavillon stehenden leeren Porte-Chaisen, und indem er die Last halb trug, halb schleppte, hatte er sie nach wenig Augenblicken so an der Seite des kleinen Gebäudes aufgestellt, daß er auf dem Dache der Sänfte den vortrefflichsten Observationsposten haben mußte. Hinaufzukommen war nicht schwer; einer der eisernen Bügel, welche bestimmt waren, die Traghölzer aufzunehmen, diente als Treppenstufe. Da Bojador schwang sich mit der elastischen Geschmeidigkeit, welche in seinem ganzen Wesen lag, auf, und stand im nächsten Augenblick oben.

Als er nun in das erleuchtete Zimmer im Innern des Pavillons blickte, war sein erster Gedanke, daß er sehr wohl gethan sich zu beeilen; denn just begann auch hier ein weiblicher dienender Geist die Läden zu schließen. Sein zweiter Gedanke aber war, daß er noch wohler gethan, sich überhaupt die Mühe gemacht zu haben, einen Einblick in das Innere des Veit Trautson'schen Gartenhauses zu gewinnen.

Was er sah, war allerdings in hohem Grabe überraschend.

Das Gemach, welches er ganz so ungehindert und vollständig überschaute, als ob er mitten drinnen gestanden, war von mäßiger Größe. Es war mit alterthümlichen Möbeln besetzt, unter denen sich ein hoher geschnitzter, oben mit einer Garnitur von blauen japanischen Vasen besetzter Schrank, der sich dunkel im Hintergrunde aufthürmte, am meisten auszeichnete. Seitwärts stand ein großes Kanapee, in der Mitte ein runder Tisch, daneben standen einige Rohrstühle mit hoher Rückenlehne umher.

Nun hatten zwar weder Schrank, noch Kanapee, noch Stühle irgend etwas Auffallendes und Verwunderliches an sich, ebenso wenig wie das ganze, keineswegs luxuriös eingerichtete Gemach. Desto verwunderlicher und auffallender aber war die Gesellschaft, welche sich in diesem Augenblicke darin versammelt zeigte.

Diese Gesellschaft bestand aus drei Houri's aus dem Paradiese Mahomet's! – Das war in der That der erste Eindruck, den die drei Gestalten, welche da Bojador erblickte, auf die Phantasie des heimlichen Beobachters machten.

Es waren drei schlanke, volle, blühende Mädchengestalten, in orientalischer Tracht, welche der Viconde in dem Pavillon sah; und daß diese Tracht nicht etwa eine zum Scherz angenommene sei, unter der sich etwa drei lustige Wienerinnen bargen, das verrieth der Typus ihrer unverschleierten Gesichter, der Teint, der Schnitt der dunklen, mandelförmigen Augen, die ganze Haltung und das Wesen dieser verführerischen Erscheinungen.

Zwei von ihnen ruhten mit untergeschlagenen Füßen in den zwei Ecken des Kanapee's; die dritte hatte sich auf den runden Tisch in der Mitte des Gemaches geschwungen; sie saß in halb ruhender Stellung, den Ellbogen aufgestemmt, auf demselben; die Füße, von denen die auf den Boden liegenden Pantoffelchen abgeglitten waren, schlenkerten mit anmuthiger Bewegung hin und her.

»Alle Wetter,« sagte sich da Bojador – »hat Veit Trautson sich in den Gränzlanden zum Muhamedaner gemacht? Was zum Teufel bedeutet dieser kleine Harem in seinem Pavillon? Dies ist die merkwürdigste Geschichte, die je ein Kammerherr Seiner apostolischen Majestät so namenlos glücklich war, am Hofe in Umlauf setzen zu können!«

In diesem Augenblicke hatte der dienende Geist, der im Innern des Lusthauses beschäftigt war, die Fensterläden zu schließen, diese Arbeit nahezu vollbracht – bereits bewegte er den legten noch nicht zugeklappten Flügel; da Bojador machte eine Seitenbewegung, um den einzigen Blick, der ihm noch vergönnt war, auf den drei so eigenthümlich fesselnden Gestalten ruhen zu lassen – da gesellte sich ein neues Unglück für ihn zu dem, welches in dieser fatalen Verfinsterung der hellen Scheiben vor ihm lag. Es knickte nämlich plötzlich etwas unter seinen Füßen; er wankte; ein lautes Krachen folgte – die Decke der Porte-Chaise, die nicht darauf berechnet war, neugierigen Lauschern als Standort und Luginsland zu dienen, brach polternd ein und da Bojador fiel – nein, er fiel nicht – dazu war dieser gewandte Spanier viel zu katzenhaft geschmeidig – er machte einen behenden Sprung zur Seite und kam unverletzt auf dem Boden an, neben der zusammenbrechenden Sänfte; nur hatte die Höhe, von welcher er herab zu springen die Geistesgegenwart besessen, es ihm unmöglich gemacht, aufrecht auf seinen Füßen auf dem Boden anzukommen. Er war auf die Kniee gefallen und hingeschlagen; er lag auf dem weichen Kiessande, der den Pavillon umgab.

Als die Porte-Chaise zusammenkrachte, war im Innern des Gebäudes ein Schrei des Schreckens und der Ueberraschung laut geworden, der da Bojador nicht entging. Unter dem Einfluß desselben hatte er instinktartig sich erhoben, um sich bei Seite zu machen. Dichtes Gebüsch war so nahe, daß es ihm leicht werden mußte, ungesehen zu entkommen und unentdeckt zu bleiben.

Im nächsten Moment aber änderte der Spanier diesen Entschluß. Er legte sich ruhig wieder auf den Sand nieder, wie er zuerst darauf gelegen hatte, und begann ein leises Stöhnen auszustoßen.

In demselben Augenblick öffnete sich die Thüre des Pavillons; mit dem Ausruf: »I Du mein Herrgott, was hat's da gegeben? wer ist's?« eilte derselbe dienende Geist, der eben im Begriff gewesen, den letzten Fensterladen zu schließen, heraus, und kam mit schlürfendem Schritt auf da Bojador zu.

Es war eine Frau, die etwa 50 bis 60 Jahre haben mochte. Als sie einen Mann am Boden liegend erkannte, blieb sie einen Augenblick stehen.

»Vex,« – rief sie dann zurückgewandt – »Vex! – hörst' nit? – Komm und bring' ein Licht!«

»Meine liebe Frau,« rief der Spanier ihr jetzt entgegen, »sei Sie um Gotteswillen barmherzig und helf Sie mir auf; ich habe mir auf eine grausame Weise den Fuß gebrochen; o mein Heiland, welche Pein, welche Pein – o grundgütiger Gott, welche Schmerzen!«

»J Du mein – a Boan hob'ns gebroch'n – Vex, Du sakrischer Vex, warum kommst nit?!«

Das herbeigerufene Individuum, ein seltsames zwergartiges Geschöpf, erschien mit einem Lichte in der Hand. Die Frau nahm es ihm ab und trat jetzt unerschrocken dicht neben den noch immer am Boden liegenden und wie in furchtbaren Schmerzen sich krümmenden Kammerherrn Seiner Majestät.

»Ja, nu schau zu, Vex – wann's nit zu dumm wärst, d'Händ' thätst z'samm'n schlog'n,« sagte die Alte sich niederbeugend und dem Spanier in's Gesicht leuchtend. »A saubrer Herr vom Hofstaat – und da liegen's!«

»Helfe Sie mir auf, gute Frau – ich bitte um Gotteswillen, helfe Sie mir auf!«

Die Frau faßte den Viconde an einer Schulter, der »Vex« an der andern und so hoben sie den Verunglückten in die Höhe. Da Bojador fingirte dabei die wüthendste Pein in seinem linken Fuße.

»Dos is a schöne G'schicht',« sagte die Frau – »aber was Teufi hob'ns hier im Gorten z'thun und Ihna's Boan z'brech'n?

Vex sagte nichts. Sein breites Säuglingsgesicht drückte jedoch die unverholenste Theilnahme an dieser Scene aus. Er lachte nämlich mit dem großen immer grinsenden Munde, mit den ausdruckslosen flachen Augen, mit allen Zügen des anmuthigen Antlitzes. Da Bojador hatte in seinem ganzen Leben noch nicht ein so seltsames Wesen, zur Hälfte Mann, zur Hälfte Kind, gesehen!

»Führe Sie mich hinein, gute Frau, nur schleunig hinein,« bat der Spanier, »daß ich den Fuß in kaltes Wasser stellen kann – kaltes Wasser, oder ich sterbe!«

Die Frau schien Anstand zu nehmen, dies Verlangen zu erfüllen; sie blickte wie unschlüssig oder wie spähend, ob auch sonst Jemand in der Nähe sei, um sich.

»Jo, wer san's denn?« fragte sie darauf.

»Ich bin kaiserlicher Kammerherr,« entgegnete der Viconde. »Ich war drüben beim Grafen Dietrichstein, in seiner Villa unten. Als ich zurück und hier vorüberkam, sah ich den Pavillon da erleuchtet. Ich denke, Graf Veit Trautson ist zurück – das mußt Du noch heut Abend dem Kaiser mittheilen, denk ich – Sie weiß, welch großes Stück der Kaiser auf den Grafen Veit hält und so tret' ich in den Garten ein; es ist aber Niemand da, den ich fragen kann, und da seh ich, die Porte-Chaise stehn und spring' hinauf, um in's Fenster zu schaun, ob Graf Veit wieder da ist – aber das abscheuliche Ding trägt mich nicht und da bin ich mit dem Dach eingebrochen und so bös weggekommen. Nun führe Sie mich hinein, länger stehen kann ich nicht, bei Gott nicht!«

»Wenn's so ist, so kommen's halt in's Himmels Namen. Aber sagen's bei Leibe dem Grafen Veit net, daß i Sie hab' eini g'lassen. Er will's net. I glaub' derschlog'n thäten's mi. Nu kommen's. Vex, gib Obacht und mach' dein Sach' g'schickt!«

Da Bojador wurde von den beiden hülfreichen Wesen, die ihn unter die Schultern gefaßt hatten, in das Innere des Pavillons geleitet.

Die Alte führte ihn in einen kleinen Vorsaal, nachdem er mit erheuchelter Mühseligkeit langsam die äußere Treppe erstiegen hatte; von diesem Vorsaal führte rechts eine Thür in das Zimmer, in welchem der Spanier von draußen her die Türkinnen entdeckt hatte. An der Wand standen ein Paar Koffer, mit aufgeschlagenen Deckeln und mit Frauenkleidern gefüllt. Die Thüre zu dem Nebenzimmer war geöffnet und alle drei Houris standen auf der Schwelle.

Wie ein Drache, der einen Schatz zu hüten hat, fuhr die Alte ihnen entgegen: »Schert's enk hinein, geht's hinein!« schrie sie, indem sie versuchte, die Mädchen zurückzudrängen. Zugleich faßte sie nach dem Griff am Schlosse der Thüre, um diese vor ihnen zuzuschlagen. Die Mädchen leisteten ihr lachend Widerstand. Die Worte, welche sie dabei sprachen, waren in einem Idiom, von dem da Bojador eben so wenig verstand, als er hätte sagen können, welchem Volksstamm auf Erden es angehörte. Desto besser verstand er, als eine der drei räthselhaften Fremden ihn in italienischer Sprache lebhaft fragte:

»Seid Ihr verwundet, Signor?«

Auf der Stelle antwortete er in gleicher Sprache: »Nicht im Mindesten! Ich täuschte diese Alte hier ganz allein, um das Glück zu haben, Deines himmlischen Anblicks froh werden zu können. Wer bist Du, reizende Fee?«

Die italienisch redende Orientalin erröthete. »Ich bin eine arme Sclavin – wir waren im Gefolge des Pascha Suleyman von Widdin. Er sandte uns von dort nach Nissa. Da überfielen und die Soldaten des Kaisers. Sie trieben unsere Begleiter, unsere Schutzwache aus einander. Ihr Aga ließ uns hierher bringen. So siehst Du uns hier.«

»Und ich bin beglückt dadurch,« antwortete da Bojador auf der Türkin hastig hervorgestoßene Worte, – »meine Augen sahen nie etwas, was sie süßer erquickte und mein Herz hat nie höher geschlagen und lauter frohlockt als in dieser Stunde. Wie heißt Du, Engel des Paradieses?«

»Bahnesa!« antwortete das Mädchen, durch ihren hastigen Ton noch immer die Aufregung verrathend, in die entweder die Conversation mit dem Spanier oder ihr Bemühen, die alte Beschließerin von der Absperrung der Thüre zurückzuhalten oder beides zugleich, sie zu versetzen schien.

»Bahnesa! Ich werde Dich wiedersehen, Bahnesa!«

»Der Aga wird Dich hindern.«

»Dann werde ich ihn tödten,« rief da Bojador pathetisch aus.

Er stand dabei, als ob er ganz seine Rolle vergessen, wieder fest und sicher auf den Füßen.

»Meiner Six,« schrie die Alte, »san's denn alleweil schon curirt? Sie discurir'n ja in dem fremden Gewelsch mit dem Heidenmädel, als ob's niemalen auch nur a Pein wie'n Flohstich verspürt hätten am Ihrigen Fuß!«

Dabei schlug sie endlich glücklich die Thür in's Schloß, und der Anblick, der da Bojador so merkwürdig gefesselt hatte, war für ihn verschwunden.

»Ich fühle allerdings den übermäßigen Schmerz von vorhin nicht mehr, gute Frau,« antwortete der Spanier. »Es bessert sich bedeutend, ganz bedeutend – ich werde wieder gehen können – des kalten Wassers bedarf ich nicht mehr. Ich danke für die gute Absicht!«

Dabei fuhr er mit der Hand in die Tasche, um seine Börse hervorzuholen und seine Dankbarkeit durch ein ansehnliches Geschenk der Alten zu versinnlichen; er besann sich jedoch eines andern und ließ das Geld wieder hinuntergleiten.

»Ich habe meine Geldbörse nicht bei mir,« sagte er; »aber sei Sie ruhig, Sie soll ein schönes Douceur erhalten – Morgen bring' ich's Ihr – und der Kleine da –« da Bojador deutete auf das »Vex« benamsete Individuum – »der Kleine da soll nicht minder reich beschenkt werden. Merkwürdiger Patron, das! Ist das Ihr Sohn?«

Hatte der fremde Eindringling bereits einen großen Theil der Gunst der alten Dame durch die Substituirung eines bloßen Versprechens für die erwartete Baarzahlung eingebüßt, so war seine legte Frage nur geeignet, dem Faß den Boden auszuschlagen.

»Mein Sohn? wollen's wissen, ob das Wurm ein meiniges ist? Gott behüt' mich davor. Sie san ein g'spaßiger Herr, sa'ns! Merken's denn net, daß's a Vex is?«

»A Vex? Was ist a Vex?«

»Das wissen's net?«

Da Bojador schüttelte den Kopf.

»A Vex is – na schaun's nur an, a Vex is a Vex, a solcher!«

Das Individuum, welches den Gegenstand dieser lichtvollen Begriffserklärung bildete, stand ruhig dabei und grinste mit einer neidenswerthen Seelenheiterkeit den Spanier an.

»A Vex is a Vex!« wiederholte dieser – »so erweitert man doch alle Tage den Schatz seiner Kenntnisse und nun, denke ich, beenden wir diese gründliche Erörterung der Sache und fahren morgen darin fort. Auf Wiedersehn, Frau – wie heißt Sie denn, gutes Weiberl?«

»Afra haß i!«

»Also auf Wiedersehn, Frau Afra.«

»Ja, sagn's, wöllen's denn wirklich wiederkommen?«

»Morgen in der Frühstunde.«

»Dann kommen's net. I darf's net leiden, daß's kommen. Graf Veit mögt halt da sein!«

»Und Graf Veit hat Ihr verboten, Fremde in dies Haus oder diesen Garten einzulassen, wo er seine Beute aus dem letzten Türkenkrieg versteckt hat?«

»So is, Euer Gnoden! I darf Euer Gnoden net einlossen! Kan Mensch darf a Sterbenswörtl wissen von den Drei da drin – halt's mer nur d'Thür'n und d'Fenster zu, hoben's gesogt, der Graf Veit, oder's bekommt Ihr schlecht, Afra, hoben's gesogt, und Graf Veit, dös wissen's schon, san gar arg!«

»Wenn ich aber ein so wichtiges Geschäft hier habe als Ihr zwei blanke Ducaten für Ihre Hülfleistung und einen Ducaten für Ihre belehrende Erklärung von was ›a Vex‹ ist, auszuzahlen, wie dann?«

»Nu, dann kommen's um die Mittagszeit, dann werden's zu Hof sein, Graf Veit. Dann kommen's; aber wissen's, halten's Ihna a bisle fürsichtig bei Seit', bis i komm und nach Euer Gnoden ausschau.«

»Ganz wie Ihr wollt, Frau Afra und nun lebt wohl – auf Wiedersehn!«

»Geruhige Nacht, Euer Gnoden!« sagte die Alte, in dem sie hinter ihm die Thüre des Pavillons schloß »Du, geh mit, Vex, und mach's Gartenthor zu!«

»Das muß a g'sundes junges Blut sein,« setzte sie für sich hinzu, daß bei ihm d'Beinbrüch so g'schwind heil werden! hätt'st Dich net sollen anführen lassen, alte Person, die d'bist – die Weibsleut da drinn' hat er wollen begucken – nu, daß man's anschaut, wird sie a net abnutzen und drei Ducaten sind a gut's Trinkgeld. Wann's nur richtig ankommen morgen, die Ducaten, dann schad's nix, daß i'n hab' ein g'lassen – 's ist ja mehr Geld als alle drei werth san. Denn was san's werth, nix san's werth, und unser Herrgott woaß es, was der Graf Veit für'n Sparrn bekommen hat, daß's solche Leutlein aufgabeln und in die Christenheit bringen muß, wo unser Eins sein Geplag und die liebe Noth damit hat. Nu will i aber nachschaug'n, daß's zur Ruhe kommen, denn müd' san's schon von der Raß und hungrig a!« –

Der Viconde da Bojador war unterdeß in den zur Favorita gehörenden kaiserlichen Garten gekommen. Er schritt sehr eilig daher. Unter dem Einfluß der aufregenden Gedanken, die sich in seinem Hirne kreuzten, beschleunigten sich seine Schritte. Sein Erlebniß hatte in seinen Augen immer größere Verhältnisse angenommen. Zuerst schien es ihm nur ein pikantes Abenteuer. Drei so hübsche Geschöpfe erblickte man nicht alle Tage bei einander; noch weniger drei Huldgöttinnen dieser Art, welche in so hohem Grade der Reiz des Fremdartigen und des Seltsamen umgab, das ihre ganze orientalisch-märchenhafte Erscheinung hatte.

Dazu kam, daß er sich schmeicheln durfte, auf eine dieser drei Grazien in Kaftan und Mousselin-Beinkleid sofort einen günstigen Eindruck hervorgebracht zu haben. Er war eitel genug, sich zu sagen, daß dies Mädchen mit dem seltsamen Namen Bahnesa mindestens mit ihrem Vertrauen ihm entgegengekommen sei, und daß die Dankbarkeit des armen gefangenen Geschöpfes wahrscheinlich grenzenlos sein werde, wenn er es sich möglich mache, sie öfter zu sehen und in ihrer Verlassenheit ihr Tröster und Rather zu werden.

Diese Betrachtung führte da Bojador zu dem Entschluß, der Frau Afra und ihrem getreuen Dienstmann, dem Vex, am folgenden Tage ganz außerordentlich reich ihre Verdienste um die Heilung seines unverletzten Fußes zu belohnen.

Aber die Gedanken blieben hierbei nicht stehen. Sie gingen weiter. Sie fingen bald an, kühle Berechnungen zu machen. Die ganze Geschichte, diese merkwürdige Erscheinung, deren Seltsamkeit doppelt groß wurde, wenn man sie mit dem Rahmen verglich, innerhalb dessen sie auftauchte, mit diesem erhaben-feierlichen, majestätisch-gemessenen Hofe, der alles vorher nicht Berechnete, alles Fremdartige, Auffallende und Regellose von sich abzuhalten pflegte, gerade so ernst und strenge wie ein Kloster – diese Erscheinung, die sich obendrein noch in ein Mysterium hüllte, wie ja Frau Afra betheuerte – sie mußte sich von dem, der darein eingeweiht war, ausbeuten lassen können!

Graf Veit Trautson war ein mächtiger Mann bei Hofe. Er hatte die Gunst des Kaisers in einem so hohen Grade, daß er Karl dem Sechsten, wenn dieser bei guter Laune, ganz unglaubliche Dinge sagen durfte, ohne seinen Gebieter zu erzürnen. Denn Graf Veit Trautson war ein Grobian. Er erlaubte sich eine Sprache und hatte Manieren, wie sie nur je einem Menschen zu Gute gehalten worden sind, weil er so klug war, sie unter der Maske der Originalität vorzubringen.

Unter der Maske sagen wir. Vielleicht ist dies unrecht ausgedrückt. Vielleicht war Veit Trautson wirklich und von Natur ein Original. Jene bekannte Geschichte von seiner Unterredung mit dem Kaiser über das wiener Erzbisthum mag wenig mehr beweisen, als daß Graf Veit sich Impertinenzen unerhörter Art erlaubte. Er besaß eine Stiftspfründe zu Passau und machte einst im Namen des Capitels zu Passau dem Kaiser Vorstellungen wider dessen Absicht, ein Erzbisthum Wien auf Kosten des Bisthums von Passau zu errichten. Karl der Sechste pflegte in solchen Situationen, statt den Remonstranten verständliche Antworten zu geben, unverständliche Dinge in den Bart zu brummen. Trautson aber ließ sich nicht irre machen. Obgleich der Kaiser mit heftigem Kopfnicken die Audienz zu schließen suchte, fragte er einmal über das andre:

»Was sagen's, Majestät? Von der Brummerei versteh' ich kan Wort!«

Dem Kaiser riß zuletzt die Geduld und er erklärte rund heraus, daß es bei seinem Entschluß bleiben werde.

»Nu, nu,« antwortete Trautson, »so weiß i doch, was i mein'n Confratres zu Passau zu sog'n hob'; aber: Bäh, bäh, bäh – wer kann denn das verstehn?!«

Dagegen sprach für Trautson's angeborene Originalität entschieden sein Aeußeres. Er war eine derbe breitschultrige Figur, die auf sehr kurzen Füßen einherschritt, und mit seiner Kleinheit contrastirte in seltsamster Weise die Größe seiner Nase. Sie war ungeheuer; sie forderte die Phantasie des kecksten Carrikaturenzeichners heraus und besiegte sie: sie war eine Mitgabe der Natur, für welche sich Graf Veit Trautson an allen Mitgeschöpfen durch Impertinenz und durch seinen beißenden Witz rächte. Graf Veit Trautson hatte deshalb sehr viele Feinde, Feinde auf Leben und Tod, deren Gesinnungen wider ihn nur noch geschärft werden konnten durch den Umstand, daß er der erklärte Günstling des Kaisers war. –

Kaiser Karl der Sechste liebte überhaupt Menschen, deren Aeußeres carrikirt war oder deren Eigenheiten ihm Gelegenheit boten, sie zur Zielscheibe seiner Scherze zu machen!

Dem Allen nach war es nichts Geringes für einen Hofmann, der Inhaber eines solchen Geheimnisses des Grafen Veit Trautson zu sein, wie da Bojador es entdeckt hatte. Was würde der Oberstallmeister Graf Michael Johann Althann darum geben, wenn er es wüßte! Was würde bei dem Oberhofmeister Grafen Sinzendorf Alles sich durchsetzen lassen gegen das Versprechen, ihm eine solche neue Originalität von Graf Veit Trautson zu verrathen? Althann und Sinzendorf galten für Trautson's erbittertste Feinde.

Aber weshalb es durch Andre ausbeuten lassen wollen, dies allerliebste kleine Geheimniß? Hatte denn unser Viconde da Bojador und Roccaberti nicht seine eigenen Pläne und Absichten? Hatte er nicht eine ganz besondre, keinesweges leichte, in ihren Folgen bedeutungsschwere Aufgabe übernommen? Hing nicht von der Ausführung dieser Aufgabe für ihn sein Lebensglück ab – die Hand der schönen Gräfin Juliane Bolagno, deren Reichthum und Verbindungen diese Hand zu einem so neidenswerthen Besitzthum machten? Sollte er nicht vor Allem darüber nachsinnen, wie er sein Geheimniß zu seinem eigenen Nutz und Frommen ausbeuten könne?

In der That, das war jedenfalls das Allergescheuteste, was er thun konnte, und bei diesem Entschluß war er angekommen, als er seine Wohnung im kaiserlichen Lustschloß erreichte. –


Viertes Capitel.
Von einem erlauchten Liebespaare.

Wenn Kaiser Karl der Sechste große Tafel im Rittersaale der wiener Hofburg hielt, wie das vier Mal im Jahre zu geschehen pflegte, so speis'te er, von seinem ganzen kaiserlich königlich apostolischem Pomp umgeben, ganz allein. Die zur Tafel eingeladenen auswärtigen Botschafter und Gesandten, die Generalität und höchsten Staatsbeamten genossen die Ehre, stehend zuzuschauen.

Wollte der Kaiser in gastlicherer Weise Eingeladene bewirthen, so wurden die Diners verlegt auf »die Seite der Kaiserin,« d. h. in den von der Kaiserin bewohnten Theil der Hofburg. Hier verstattete die Etikette dem Kaiser, große Potentaten, fürstliche Fremde an seine Tafel zu ziehen; der ganze Prunk der obersten Hofchargen, der Oberst-Hof-Kuchel-Meister und der Oberst-Hof-Mundschenk, die Kämmerer, Edelknaben und Hartschiere Hartschier, ursprünglich ein Armbrustschütze (aus ital. arciere ›Bogenschütze‹); seit dem 15. Jh. Bezeichnung für die Leibgarde des bayerischen Herrscherhauses; hier auf das (österreichische) Herrscherhaus übertragen. – Anm.d.Hrsg. blieben fort und die Hofdamen der Kaiserin hatten die Aufwartung; die Capelle führte zur mehreren Ergötzung der Herrschaften große Musikstücke auf.

Noch ein höheres Maß solcher solamina regiminis oder Tröstungen für die »Regentensorgen,« wie man das damals nannte, durfte die Majestät sich angedeihen lassen, wenn Allerhöchstdieselben sich auf einem von Dero Lustschlössern zu befinden geruhten. Das ganze in der Stadt straff angezogene Band des Hofceremoniels wurde auf dem Lande abgespannt. Auf dem Lande fuhr die Kaiserin im Fond des Wagens neben dem Kaiser sitzend, während sie in der Stadt nur ihm gegenüber auf dem Rücksitz Platz nehmen durfte. Die Hofherren brauchten auf dem Lande nicht in spanischer Tracht neben dem Wagen des Kaisers zu reiten; es war ihnen vergönnt, demselben in deutscher Kleidung zu folgen. Ja, es war sogar vergönnt, in Laxenburg und in der Favorita sich so weit gehen zu lassen, in einer Perrücke mit einem Haarbeutel zu erscheinen – eine Tracht, welche in der Hofburg, wo Alles in gepuderter Alonge-Perrücke einherwandeln mußte, streng verpönt war. In der Favorita sah denn auch der Kaiser Gäste aus dem hohen Adel seiner Reiche an seiner Tafel, und einige Tage nach da Bojador's Entdeckung im Garten des Grafen Veit Trautson waren eine Anzahl von hochgestellten Personen zum Diner nach des Kaisers Sommersitz befohlen worden.

Es war eine zahlreiche Versammlung, welche sich, nachdem die Tafel aufgehoben war, theils noch in den kaiserlichen Appartements aufhielt, und dieser Theil bestand aus den eingeladenen Gästen; theils in den übrigen Räumen und in dem Garten sich zu Gruppen und kleineren Partien zusammengefunden hatte, und dieser Theil bestand aus dem heute den Dienst habenden Hofstaat.

Unter den ersteren befand sich eine jugendliche und blühende Gestalt, welche von allen zumeist die Aufmerksamkeit auf sich ziehen mußte, auch wenn man nicht gewußt hätte, daß diese fesselnde Gestalt die Erbin von einem halben Dutzend Königssceptern und mehreren Dutzend Herzogs-, Fürsten- und Grafenkronen, daß sie die Hoffnung, die ganze Zukunft der vornehmsten Monarchie der Welt sei. Die junge Dame nämlich war Maria Theresa, Erzherzogin von Oesterreich und Infantin von Spanien: Maria Theresa, die bestimmt war, der Welt ein so leuchtendes Vorbild einer Gattin, Mutter und Regentin zu werden, in einem Jahrhundert, wo die Elisabeth und die Katharinen von Rußland herrischsten und der Welt so reichlich Aergerniß gaben; Maria Theresa, deren schönster Ruhm ist, daß sie in ihrem Staate die Völker zu erblicken wußte, während ihre Zeit in den Völkern nur den Staat erblickte.

Das junge Mädchen, welchem die Geschichte eine so große Rolle vorbehielt, stand in der Fensterbrüstung eines der Säle, wohin sich die Gesellschaft aus dem Speisesaal zurückgezogen hatte. Ein schwerer grüner Damastvorhang verhüllte halb mit seinen mächtigen Falten ihre volle schlanke Gestalt, während der Reflex der grünen Farbe der Seiden-Draperie über ihr rosig glühendes Antlitz einen zarten Hauch von Blässe legte. Vor ihr stand ein reich gekleideter junger Mann, eine feine Gestalt von Mittelgröße, dessen Züge schön und edel waren, obwohl das blaue, große Auge mehr heitre Gutmüthigkeit als geistige Bedeutung verrieth.

Der junge Mann war Franz Stephan, Herzog von Lothringen und Baar oder jetzt vielmehr von Toscana. Denn sein Stammland Lothringen, nach welchem die französische Politik seit dem Cardinal Richelieu getrachtet hatte, war durch den wiener Frieden von 1735 Frankreich geopfert worden, der junge Herzog hatte es abtreten müssen, um statt dessen das sonnige Land am Arno zu erhalten, welches durch das Aussterben der letzten Nachkommen der großen Medicäer ohne Herrscher war.

Die großen blauen Augen des Herzogs Franz Stephan waren in diesem Augenblicke mit dem unverkennbaren Ausdrucke einer gewissen Verwunderung, oder besser vielleicht Unruhe, auf die Erzherzogin gerichtet.

»Ich weiß mir aber durchaus nicht zu erklären,« sagte er mit einer Naivetät des Tones, welcher auf Maria Theresens Lippen ein spöttisches Lächeln hervorrief, – »weshalb Ew. Liebden mich einmal über das andre auffordern, ich solle gehen und meine Siesta halten! Thun Sie das nur, weil die Siesta eine italienische Sitte ist, und ich nun ja auch eine Art von Italiener bin? Dann muß ich Ew. Liebden aber gestehen, daß ich mit der nationalen Umwandlung noch lange nicht zu Stande gekommen bin und einstweilen auch noch nicht viel Mühe und Fleiß darauf verwende. Noch bin ich ein guter Deutscher, und mein Herz, allerhuldreichste Cousine, mein Herz ist ganz in Deutschland, und da wird es auch bleiben für ewig!«

Bei diesen Worten legte der junge Herzog seine Hand auf die Brust und machte Maria Theresen eine Verbeugung, deren Sinn und Bedeutung nicht falsch auszulegen war.

Maria Therese erröthete dabei. »Sie haben mich mißverstanden, mon Cousin!« sagte sie mit einem offenbar etwas spitzen, ironischen Tone. Ich habe Sie aufgefordert, ein Ruhestündchen zu halten, weil Sie desselben sicherlich dringend bedürfen!«

»Es ist sehr grausam, meine durchlauchtigste Cousine, mich zum Ruhen aufzufordern, während Sie mir in der selben Zeit die größte Unruhe darüber in die Seele werfen, durch was ich diese kleinen Sticheleien verdient haben kann!«

»Macht es Sie unruhig, daß ich um Ew. Liebden Gesundheit besorgt bin?« entgegnete die Erzherzogin in demselben Tone wie früher.

»Immer noch derselbe Spott, von dem ich gar nicht weiß, wie ich ihn verdient haben soll!«

»Es ist aber mein völliger Ernst,« antwortete Maria Therese. »Wenn man sich so spät in der Nacht zur Ruhe begiebt, wie es gewisse junge Herren thun, welche mit den Vergnügungen und Ergötzlichkeiten, die jeder Tag ihnen bietet, nur fertig werden zu können scheinen, indem sie die besten Stunden der Nacht zu Hülfe nehmen, meine ich, muß man am Tage etwas nachholen. Sehen Sie nun, mon Cousin, daß ich nur um Ihre Gesundheit besorgt bin, indem ich Sie fortschicke, Siesta zu halten?«

Franz Stephan zeigte einige unangenehme Ueberraschung in seinen Zügen und erröthete bei diesen Worten der Erzherzogin. »Sie thun mir bittres Unrecht, ma Cousine,« sagte er. »Ich weiß nicht, wer mich bei Ihnen verläumdet hat. Aber Verläumdung ist es …«

»Daß der Herr Herzog von Lotharingien täglich während der Abendstunden in räthselhafter Weise aus höchstihren Gemächern verschwinden?«

»Wie doch meine Schritte bewacht sind!« rief Franz Stephan jetzt herzlich lachend aus.

»Eine besonders emsige Ueberwachung setzt dies eben nicht voraus!« meinte Maria Therese.

»Ich bin kein Kind mehr,« antwortete der junge Herr etwas unwillig.

»Verstehen Sie schon so viel von der Sprache ihrer neuen Unterthanen, um zu wissen, was: Chi so sa heißt?«

»So ungefähr!«

» Chi so sa ist ein angenehmes und sehr oft anwendbares Sprichwort und heißt: ›Wer weiß!‹« fuhr Maria Therese fort.

»Also ma Cousine geruhen allergnädigst, mich für ein Kind zu erklären!« entgegnete Franz Stephan.

»Verletzt es Sie?«

»Was von Ihren Lippen kommt, verletzt mich nicht, Maria Therese!« antwortete der junge Mann treuherzig. »Fahren Sie immer fort, mich als ein Kind zu behandeln. Sie wissen, daß die Kinder viele Rechte haben, und darunter einige, die neidenswerth sind.«

»Nämlich?«

»Erstens das, die Wahrheit zu sagen.«

»Und lieben Sie das?«

»Besonders dann, wenn meine allerhuldreichste Cousine die Wahrheit anzuhören geruht!«

»Welche Wahrheit?«

»Daß sie das Licht meiner Augen ist und daß ich ohne ihren allerhimmlischsten Anblick zu genießen nicht mehr leben könnte!«

Die Erzherzogin wandte sich halb schmollend ab.

»Das nennen Sie Wahrheit?«

»Wenn sie jemals › au pays du Tendre‹ ihren Thron aufgeschlagen hat!« betheuerte der Herzog.

»Daß sie gerade da einheimisch, hat noch Niemand zu behaupten gewagt! Das ganze pays du Tendre ist ja nichts als eine Erfindung der Poeten! Nein, wenn Ew. Liebden wahr sein wollen, so sollten Sie mir lieber die Wahrheit sagen, wo …«

»Wo – fahren Sie fort, angebetete Cousine!«

»Nun, wo eigentlich Sie so regelmäßig die spätesten Abendstunden zuzubringen pflegen.«

»Ich wandle in den verschwiegenen Schattengängen des Gartens umher,« antwortete lachend der junge Mann – »und klage als getreuer Schäfer dem milden Antlitz der Selene die Pein eines liebenden, aber grausam verschmähten Herzens!«

»Das ist eine Antwort, die freilich Ihre Ansprüche darauf, noch ein Kind zu sein, sehr nachdrücklich unterstützt. Aber, um ernsthaft zu reden, es ist unartig, meiner mit solchen Ausflüchten und Vorwänden zu spotten, Herr Herzog!«

»Als ob ich spottete! Hab' ich denn Jemand anderes, der theilnehmend und mitleidsvoll die wehmüthigen Seufzer eines tief verwundeten Seladon-Herzens anhört, als …«

»Ah, das ist Alles Geplausche, wie man's in der Schäfer-Komödie hört,« unterbrach ihn die Erzherzogin.

»Haben Sie etwas gegen die Schäfer-Komödie?«

»Ja, daß sie sehr langweilig ist, zum Sterben langweilig – wenn man nicht etwa selbst so etwas wie eine Schäferrolle spielt! – Ich habe nie eine Rolle in einer Schäfer-Komödie gespielt, mon Cousin

Die Erzherzogin sprach diese Worte mit vorwurfsvoller Betonung.

»Und ich?« versetzte Franz Stephan von Lothringen unbefangen. – »Wo hätt' ich's denn?«

»Ich habe Ihnen ja eben gesagt, daß ich alle Schäferei höchst langweilig finde, und deshalb verlangen Sie nicht, daß ich mich um irgend ein Detail kümmere.«

»Ich wünsche nur das Eine, daß ich verstände, weshalb Ew. Liebden heute geruhen, alle Ihre Reden so spitz wider mich zuzuschärfen!«

»Wenn ich Ew. Liebden damit sollte verwundet haben, so sehen Dieselben mich bereit, es wieder gut zu machen, indem ich Ihnen den Zoll meiner Bewunderung darbringe, wie weit Sie es allbereits in gutem Komödienspiel gebracht haben.«

»Es wird immer schlimmer!«

»Spielen Sie nicht meisterhaft den Unbefangenen, Unschuldigen, von Nichts Wissenden?«

»Aber was soll ich denn wissen? sagen Sie's doch um's Himmelswillen endlich, angebetete Prinzessin, die es so langweilig findet, daß sich ein treuer Schäfer wegen ihrer Grausamkeit härmt!«

»Was Sie wissen sollen, davon ist nicht die Rede, nur davon was ich wissen möchte!«

»Und das ist?«

»Wo der Herr Herzog so regelmäßig seine Abendstunden vertändeln!«

»Ich schwöre Ihnen, Erzherzogin,« antwortete der junge Mann erröthend, »daß ich sie nicht vertändle

Maria Therese wollte antworten, aber in diesem Augenblick trat das Kammerfräulein, Gräfin Juliane Bolagno, heran und das vertraute Gespräch der beiden jungen Leute hatte ein Ende. Das Kammerfräulein meldete, daß Seine Majestät die Begleitung der durchlauchtigsten Erzherzogin auf der Spazierfahrt wünsche.

Auf dem Hofe unten vor dem Schlosse fuhren zu gleicher Zeit die großen sechsspännigen Kaleschen vor, umgeben von der Livree in schwarzem Tuche mit gelbseidenen Borden, und in kleinen Mänteln à l'Espagnol. Hartschiere in rothen Jacken mit schwarzsammtnen Aufschlägen, darüber schwarze Oberkleider ohne Aermel, stellten sich zur Rechten und Linken des Portals auf. Maria Therese nahm den leichten Ueberwurf von hellgrüner, mit weißen Blonden besetzter Seide, den Gräfin Juliane über ihre Schultern legte, und machte dem Herzoge von Lothringen eine sehr flüchtige und etwas kokette Verbeugung, wobei er ein ironisches Lächeln auf ihrem Gesichte zu bemerken glaubte. Dann begab sie sich in die Gemächer ihres kaiserlichen Vaters.

Der Herzog Franz Stephan von Lothringen blickte ihr mit sinnenden Blicken nach.

»An diesem Hofe bat doch Alles Argus-Augen!« sagte er für sich. »Selbst mein und meines guten alten Baron Weber's kleines Geheimniß – sie haben es richtig ausgespürt und sich dessen bedient, um mich bei der Dame meines Herzens anzuschwärzen. Nur gut, daß sie kein ernstliches Gewicht darauf zu legen scheint. Ich will aber doch mit dem Baron Weber darüber reden!«

Und damit verließ auch der Herzog das Gemach und eilte in sein Zimmer, um schnell seine Toilette so weit zu verändern, daß er sich auf einem der gesattelten Pferde, die wiehernd und scharrend sich unten im Hofe in das bunte und bewegte Bild von Wagen, Thieren, Dienern, Escortereitern und Hofherren mischten, der Spazierfahrt des Kaisers anschließen konnte.

Nach einer Viertelstunde war der eben noch so geräuschvolle Schloßhof der Favorita ganz still und menschenleer geworden. Auch das Schloß selbst stand, so lange die höchsten Herrschaften entfernt, vergleichungsweise unbelebt und öde da und wenn einer der Bewohner irgend etwas zu thun beabsichtigte, wobei er unbeobachtet zu bleiben vorzog, so konnte er nicht verkennen, daß der gegenwärtige Augenblick dazu sich entschieden empfehle.

Dieser Ansicht schien nun auch ein schlank gebauter Herr in schwarzer Sammttracht, die von den Insignien der Kammerherrnwürde gehoben wurde, zu sein: er eilte mit raschem, jedes Geräusch vermeidenden Schritt über einen der Corridore im obersten Stockwerk des Schlosses, blieb vor einer der letzten Thüren stehen und legte spähend das Auge an's Schlüsselloch, nachdem er vorher um sich geblickt hatte, um sich zu vergewissern, daß er von Niemanden beobachtet werde. Dann pochte er leise an und ein tiefer Baß antwortete von innen kräftig, beinahe mit donnernder Stimme: Herein!

Unser schlanker Herr mit dem goldenen Schlüssel am Rockschoß – wir kennen ihn bereits, denn es ist Niemand anders als Gräfin Juliane Bolagno's ergebener Verehrer aus dem schönen Lande Hispanien, – öffnete die Thüre und trat in ein Gemach, in welchem ein eintretender Fremder in die rathloseste Verlegenheit kommen mußte, wohin er seine Blicke zuerst wenden solle, – ob auf die barocke Ausschmückung dieser Wohnung selbst oder auf die noch barockere Erscheinung des Bewohners.


Fünftes Capitel.
Vom Baron Klein.

Das ziemlich geräumige Gemach war ausstaffirt mit allerlei seltsamen Dingen, die durch ihre auffallende Farbe oder ihre ungewöhnliche Form wetteifernd die Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen schienen. Da waren höchst merkwürdige, hellgelbe, brennend rothe, grasgrüne, dick mit Gold besetzte Röcke von allen Stoffen und Arten, der Westen und der Beinkleider nicht zu gedenken; da waren mächtige galonirte Hüte mit hohen Federbüschen; da waren türkische Säbel, persische Yatagans und malayische Kris mit kunstreich geschnitzten Elfenbeingriffen; da waren Ritterschwerter von unermeßlicher Größe und gewaltige Reiterpistolen des dreißigjährigen Krieges; da waren schwere Stulphandschuhe, und Reiterstiefeln, an denen Sporen glänzten, die bei der Versteigerung des Nachlasses des Riesen Goliath erstanden schienen; Sättel von blauem Sammt mit silbernen Buckeln beschlagen und feurig-rothe Schabracken mit faustgroßen, nur leider falschen Edelsteinen besetzt; das alles lag in wirrer Unordnung auf den alten Rohrstühlen oder den abgenutzten ledernen Polstersesseln umher; es bedeckte den Boden; es blickte aus halbaufgezogenen Commodenschubladen; es hing über den geöffneten Fensterflügeln; mit einem Wort, es machte den Raum zu einer Art Altkäuferladen, zu einem Raritäten-Cabinet.

Aber wem dienten alle diese merkwürdigen und prunkenden Gegenstände; alle diese für ein colossales Maß, eine riesige Gestalt berechneten oder zugeschnittenen Kleidungs- und Waffenstücke?

Sie waren durch ihre Größe und ihre Weite eine lebhafte Versinnlichung des habessinischen Sprichworts: »Der Zwerg bückt sich am meisten, wenn er durch die hohe Pforte von Gondar tritt.« Sie dienten zur Garderobe und Armatur des Barons Klein.

Baron Klein – über seine genealogischen Verhältnisse und die nähere Beschaffenheit seiner Baronie haben wir in den Quellenschriftstellern der Epoche nichts wesentlichen Aufschluß Gebendes auffinden können; aber soviel ist sicher, mochte auch immerhin bei ihm vielleicht von » armes parlantes,« von sprechenden Wappen keine Rede sein können, sein Name war jedenfalls ein nom parlant; Baron Klein war auch klein, er war sogar etwas wie ein Zwerg– ja, er war der officielle und wohlbestallte Hofzwerg der kaiserlich königlichen apostolischen Majestät.

Wir haben schon früher die besondere Neigung dieser selben Majestät für derartige eigenthümliche Individuen erwähnt. Unter ihnen zählte auch Baron Klein. Er war der Hoflustigmacher, der Schalksnarr, die allgemeine Zielscheibe des Witzes. Aber er war dies nicht als » fou par titre d'office« wie man es ehemals nannte; und er hätte unzweifelhaft Jedermann, der sich erlaubt haben würde, ihn als eigentlichen lustigen Rath, als Collegen des weltberühmten Meisters Kunz von der Rosen, als »Hofnarren« geradezu anzureden und zu behandeln, auf Degen, Husarensäbel, Cuirassierpallasche, Pistolen, Wallflinten, kurz auf jede mögliche Waffe, mit Einschluß von Kanonen und Bombenkesseln gefordert. Denn Baron Klein war ein großer Krieger vor dem Herrn.

Die besondere Art seiner Narrheit hing auf's engste mit seiner besonderen Leibesgestalt zusammen. Er war ein kleiner koboldartiger, verwachsener Knirps, und es vereinigte sich in ihm aller Ehrgeiz, alle eifersüchtige Lebendigkeit sehr kleiner Leute, die es jedem Großgewachsenen gleich thun wollen, mit der Eitelkeit und jener Leidenschaft, die Blicke auf sich zu ziehen, welche die meisten Verwachsenen belebt. Er war in ewiger Spannung und Sorge, daß es irgend Jemandem unter denen, welchen gerade der Genuß seines Anblicks zu Theil wurde, einfallen könne, seine Gestalt unter der mittleren Leibesgröße zu finden, oder die Bemerkung zu machen, daß sein Bau und seine Taille dem Schneider Schwierigkeiten in den Weg legen könnten, wenn derselbe von ihm mit der Anfertigung eines neuen Rockes oder einer neuen gestickten Staatsweste beehrt sei.

Aus diesem Grunde zog Baron Klein die mächtigen Stiefeln an und stülpte die ungeheuren Hüte auf seinen breiten Kopf; aus diesem Grunde stolzirte er in den buntesten und schreiendsten Farben umher, damit Niemandes Auge ungefesselt bleibe und die Anmuth und Würde übersehe, womit Baron Klein sich trug; und einzig aus demselben Grunde umgab er sich stets mit allen möglichen Apparaten der Männlichkeit, mit allem Geräthe und allem Zubehör nobler Passionen, um der Welt zu beweisen, daß er nicht klein und nicht schwach, nicht ein Zwerg und nicht ein Poltron, sondern – geradezu ein Herkules sei.

Für manche Naturen ist das Lob ungesund. Für unsern Baron hätte es geradezu tödtlich werden können. Lobte man ihn bei einer der Schaustellungen, die er fechtend, reitend, schwimmend gar gern von seiner Ausdauer und Kraft Jedermann, der ihm nur zuschauen wollte, gab, so hörte er nicht auf und fand kein Ende und scheute die entsetzlichste Anstrengung nicht; wäre man erbarmungslos in diesem Lobe fortgefahren, so hätte er seine Heldenthaten fortgesetzt, bis er vor Ermüdung und Erschöpfung todt zusammengefallen wäre.

Im Uebrigen war er ein guter, dummer Mensch, leichtgläubig wie ein Kind von fünf Jahren, zu allem und jeden Dienst bereit, der ihm ein beifälliges Lächeln eines Andern eintragen konnte und nur zuweilen etwas von dem, was man in Wien gegiftet nennt, wenn man seine Eitelkeit gar zu grausam verlebt hatte. –

Dies war der Mann, welchen der Viconde da Bojador mit seinem Besuche beehrte.

Baron Klein war augenscheinlich auf diese Ehre nicht vorbereitet; er stand in nicht ganz saubern Hemdsärmeln in der Mitte des Zimmers und fuhr mit einer langen Nadel, an der ein noch längerer Faden von weißem Garn befestigt war, in einem namenlosen Etwas herum, welches er so blitzschnell bei des Spaniers Eintreten zusammen rollte, daß da Bojador über die nähere Beschaffenheit desselben keine Klarheit gewann. Zugleich hüpfte Klein durch eine offenstehende Tapetenthür in sein nebenan liegendes Schlafcloset, um nach einigen Augenblicken, angethan mit einem kurzen Schlafrock von veilchenblauer Seide, wieder daraus hervorzutreten.

»Verzeihen Sie, daß ich Sie so überfalle, mein verehrter Freund und Gönner!« begann da Bojador, sich tief verbeugend – »aber ich fand Ihren Kammerdiener nicht, um mich erst anzumelden.«

»Ach der Schlingel ist nie da, wenn man ihn braucht,« entgegnete Baron Klein mit seiner tiefen Baßstimme, die in Anbetracht des schmalen Brustkästleins, aus dem sie aufstieg, etwas sehr auffallendes hatte, dagegen besser harmonirte mit den breiten Lippen des höchst energisch quer durch sein Antlitz geschnittenen Mundes. – »Ich werde ihn einmal wieder nachdrücklich durchprügeln müssen!« setzte er hinzu.

»Wie, Sie züchtigen mitunter eigenhändig Ihren langen Johann?«

»So ab und zu! Man muß doch auch bei schlechtem Wetter seine Motion haben!« ließ Baron Klein großartig fallen.

Da Bojador konnte das Lachen nicht unterdrücken.

»So lassen Sie sich wohl von ihm verkehrt unter den Arm nehmen,« sagte er, »um auf das nöthige Niveau mit derjenigen Gegend seines Körpers zu kommen, an welche man derartige Ermahnungen zu gewissenhafter Pflichterfüllung zunächst zu richten pflegt?«

Klein runzelte seine mächtigen schwarzen Braunen bei dieser ironischen Frage des Spaniers. Er wies mit stolzer Handbewegung auf einen Sessel und fragte:

»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs, mein Herr Kämmerer?«

»Herr Baron, Sie sind eine zu einflußreiche Persönlichkeit an diesem Hofe, als daß es Sie Wunder zu nehmen braucht, wenn die in der kaiserlichen Gnade weniger hochstehenden Diener Sr. Majestät von Zeit zu Zeit sich Ihrer Gewogenheit zu versichern streben.«

Diese höfliche Rede hatte Klein's verletztes Gemüth vollständig versöhnt und die ironische Bemerkung von vorhin ganz und gar aus seinem Gedächtnisse getilgt.

»O sehr gütig, sehr gütig,« sagte er lebhaft – »aber bei Ihnen bedarf es dessen nicht. Ich kenne meine Leute. Die meisten Persönlichkeiten, welche den Hofstaat Sr. Majestät bilden, sind Charaktere, welche ich völlig durchschaue. Es sind hohle Menschen, possenhafte, spöttische Menschen. Für fremdes Verdienst haben sie keine Anerkennung. Sie sind neidisch auf jede ihnen überlegene Fähigkeit. Sie hassen jedes Talent. O ich kenne sie. Es ist charakteristisch für diese Zeiten, wie sehr der Ton aller Unterhaltung von seinem würdigen Ernst verliert. Man unterhält sich nur noch indem man spottet und verhöhnt. Ich bin immer ein Feind davon gewesen. Spott und Hohn sind mir sehr verhaßt. Ich kenne nichts widerwärtigeres als diese ewigen Witzeleien, in welche die tagtägliche Conversation der Herren vom Hofe aufgelöst ist. Wenn man nun das Unglück hat, diesen faden Spöttern überlegen zu sein, in ritterlichen Uebungen sowohl wie an Bildung des Geistes; wenn diese Ueberlegenheit noch dazu von den allerhöchsten Personen gnädiglichst anerkannt und bei jeglicher Gelegenheit huldreich hervorgehoben wird – Sie wissen Viconde, der Kaiser hält große Stücke auf mich – ich darf sagen, ich bin ihm nothwendig; wenn er mich nicht hätte …«

»Wir wüßten dann in der That nicht, wie die Staatsgeschäfte laufen sollten,« unterbrach da Bojador den Redestrom des kleinen Mannes – »ja, ja ich weiß, Baron Klein steht bei unserm allergnädigsten Herrn in neidenswerther Gunst – aber Baron, diese Gunst würde nicht die sein, auf welche ich an Ihrer Stelle gerade jetzt am stolzesten wäre – befände ich mich an Ihrer Stelle …«

»Was wollen Sie damit sagen? Nicht am stolzesten auf die Gunst des Kaisers?«

Da Bojador sah ihn eine Weile mit schlauem Lächeln an.

»Sie verstehen mich schon!« sagte er dann.

»Auf Ehre – ich verstehe Sie nicht.«

»Wie? Sie ahnen am Ende noch nichts von Ihrer neuesten Eroberung?«

»Neuesten Eroberung? Bei meinem Bart, wie der Türke schwört …«

»Nun ja, schwören Sie nur wie ein Türke – um ein wenig Türkenthum handelt es sich just.«

»Türkenthum?!«

»Sie spielen noch immer den Ueberraschten! Und doch habe ich Ihnen hinreichend angedeutet, daß ich – eingeweiht bin, daß Sie vor mir den Verschwiegenen nicht zu spielen brauchen!«

»Aber, mein Herr Viconde, ich bin starr vor Verwunderung; ich habe wirklich keine Ahnung davon, worauf Sie anspielen!«

»Nun, zunächst auf Ihr Glück bei den Damen. Sie haben ein immenses Glück! Haben Sie das immer gehabt, Baron Klein?«

»Immer? O zeitweise. Man hat seine Haltung. Man versteht Toilette zu machen. So macht man denn auch hier und dort seinen Eindruck. Nun ja, ich will es nicht läugnen. Ich stand sogar einmal in Begriff, mich zu vermählen. Es war eine sehr passende Partie. Eine ungarische Gräfin. Sehr schön, blendend schön. Als Aussteuer war ihr eine große Herrschaft im Banat bestimmt, von ihrer Mutter, die eine Erbtochter gewesen, her. Auch hatte ich bereits alle Einrichtungen gemacht. Ein Haus in der Stadt möblirt, wegen einer Villa in Laxenburg stand ich in Unterhandlungen« –

»Was Sie sagen! Und woran scheiterte diese ausgezeichnete Partie? Starb vielleicht Ihre Braut?«

Das nicht …«

»So wurde ihrer Neigung von den Eltern Gewalt angethan –«

»Auch das nicht, nein, die Sache lag viel einfacher.«

»Sie traten zurück?«

»Nein, sie erklärte, daß sie mich nicht wolle und ich achtete ihren freien Willen; um so mehr, da auch die Eltern gegen mich waren. Ich verzichtete edelmüthig!«

»Es war groß von Ihnen, Baron!«

»Nun, ich bin einmal so. Man muß jedem seinen Willen lassen. Aber fahren Sie fort … Erzählen Sie, was Sie im Begriffe waren, mir zu sagen.«

»Ich wüßte nicht, daß ich im Begriffe gewesen, Ihnen eine Eröffnung zu machen. Ich wollte nur meinem Neid auf Ihre neueste Eroberung etwas Luft machen, Sie etwas damit necken; aber da Sie vorhin sich hinreichend darüber ausgesprochen haben, wie sehr Sie die Neckereien und persönlichen Scherze in der Unterhaltung verabscheuen, so bleibt mir nichts übrig, als zu schweigen und von etwas Anderem zu beginnen.«

»In Beziehung auf Sie war das nicht gesagt,« fiel der kleine Baron ein, den da Bojador's mysteriöse Andeutungen auf die Folter gespannt hatten. »Nein, reden Sie – reden Sie!«

»Ich würde Ihre Gunst verscherzen!«

»Wenn Sie das befürchten, Viconde,« entgegnete Baron Klein mit Würde und Selbstgefühl, »so haben Sie ja nur den neckenden Ton fallen zu lassen und mir im Ernst zu erklären, was Sie eigentlich meinen.«

»Aeußerst scharfsinnig bemerkt! Also im Ernst, Baron Klein, im vollen Ernst – noch nie ist einem galanten und charmanten Cavalier ein glänzenderes, pikanteres, seltsameres, überraschenderes Glück in den Schooß gefallen. Eine Dame – schön wie der schönste Stern des Morgenlandes: gewachsen hoch und schlank wie eine Palme Syriens, blühend wie eine Rose aus den Gärten von Damascus …«

»O, gehen Sie mir,« unterbrach ihn Baron Klein, indem ein gewaltiges, düster dräuendes Stirnrunzeln den bisherigen Ausdruck gespanntester Neugier auf seinem Gesichte verdrängte – »gehen Sie mir mit Ihrer Palme Syriens, Ihrer Rose von Damascus – allen Ihren morgenländischen Hyperbeln – Sie reden von einem Judenmädchen, … irgend einem unglückseligen garstigen Kinde Israels, das Sie extra dazu aufgegabelt haben, um sich mit mir einen Spaß zu erlauben! Wir kennen das!«

»Baron Klein! Sie verkennen mich grenzenlos,« fiel der Spanier ein – »und Sie thun mir grenzenlos Weh dadurch! Was Jüdin! Um etwas ganz Anderes handelt es sich; vom Orient sprach ich, allerdings – ich weiß ja, wie Ihre poetische und blühende Phantasie das Fremdartige, das Phantastische, das Farbenglänzende liebt – aber die, von der ich rede, ist eine wirkliche, dunkeläugige Tochter des Morgenlandes – eine Blume des wollüstigen, berauschenden Orients, eine Houri aus dem Paradiese des Propheten …«

»Ei, ei, ei!« rief der kleine Baron aus, indem er durch ein leises Zappeln mit den Beinen an den Tag legte, daß er allmälig in einen Zustand gelinder Aufregung zu kommen beginne.

»Sie heißt Bahnesa,« fuhr da Bojador fort; »und, Klein, glücklicher Klein – diese Bahnesa hat Sie gesehen, liebt Sie, glüht für Sie!«

»Bahnesa! – Welcher Wohllaut! Sprechen Sie weiter. Bei meinem Degen, das Abenteuer reizt mich.«

»Nun, das mein' ich auch, oder Sie wären nicht der Cavalier, der Sie sind. Aber – es fordert Muth!«

»Herr Viconde!« fuhr Baron Klein auf – »an meinem Muth hat noch Niemand Zweifel geäußert, der nicht Lust hatte, seinen Leib zu etwas wie zu einem Nadelkissen für meine Degenspitze gemacht zu sehn!«

»Ich weiß, ich weiß, tapfer wie Amadis von Gallien und verwegen wie Sakripant!«

»Bahnesa!« wiederholte der kleine Baron still für sich mit schwärmerischer Betonung. »Bitte, fahren Sie fort in Ihrem orientalischen Mährchen!« sagte er dann.

»Es lautet allerdings wie ein Mährchen: aber Sie werden bald vernehmen, daß es die lautere Wahrheit ist, was ich rede. Sie kennen Veit Trautson –?«

»O, wer kennt den abscheulichen, unausstehlichen, flegelhaften Menschen nicht,« fuhr Baron Klein auf, der zwar viele Mitglieder des kaiserlichen Hofstaats haßte, weil sie ihn gar zu derb mißhandelt hatten, aber Niemanden wie den groben Trautson, der sich stets die ärgsten Späße mit ihm erlaubte und wider den er obendrein noch einen gewissen Brotneid hegte. – Veit Trautson war ja auch eine Art Concurrent für ihn, der ebenfalls das Privilegium hatte, den Kaiser zu erheitern, wie Klein es hatte – Veit Trautson war der active, der aggressive lustige Rath, Klein der passive, der duldende – jener machte Späße und schlechte Witze, und an diesem wurden sie gemacht. Daher war es nur zu natürlich, daß Graf Trautson und Baron Klein oft in die unmittelbarsten Berührungen wie Subject und Object kamen, wobei dann irgend eine boshafte, Klein gespielte Tücke die Copula bildete; und daß Klein den Grafen Veit Trautson mit seiner intimsten Feindschaft beehrte.

»Nun wohl,« fuhr da Bojador fort, »so wissen Sie auch, daß Trautson hinter der Favorita ein Gartengrundstück besitzt, mit einem von dichtem Gebüsch versteckten Pavillon.«

»Ich weiß es,« nickte Klein. »Das Grundstück grenzt unmittelbar an die hintere Heckeneinfassung des kaiserlichen Lustgartens, und ein kleines Gitterthor verbindet beide.«

»In diesem Pavillon – wahrhaftig, es ist eine höchst seltsame, eine fabelhafte, eine unglaubliche Geschichte, ein Stück aus Tausend und Einer Nacht unter die Castanienallee eines bescheidenen Gartengrundstücks in der Wiedenvorstadt gezaubert – ein Sagenbild, wie man sie in meinem Vaterlande von den drei schönen Königstöchtern in der Alhambra erzählt und in alten maurischen Romanzen sich überliefert – aber, Baron Klein, ich rechne auf das allerstrengste, das unverbrüchlichste Schweigen.«

»O das versteht sich!«

»Sie geloben es?«

»Feierlich!«

»Bei Ihrer ritterlichen Ehre?«

»Auf Cavalierparole!« sagte Baron Klein mit großer Emphase.

»Ihre Hand darauf!«

»Hier ist sie!

»Nun wohl: In diesem Pavillon befinden sich seit einigen Tagen die drei Königstöchter der Alhambra, die Perlen aus dem Harem Harun al Raschick's, die Houris aus dem Paradiese Mohamed's: drei Wesen zum Entzücken – und die schönste von ihnen …«

»Bahnesa?

»Ganz recht, Bahnesa ist – Ihre Eroberung!«

»Ah bah« – fuhr Klein auf – »dies Alles ist doch ein maliciöser Spaß von Ihnen. Sie sind wie die Andern, Viconde, um kein Haar besser!«

Der kleine Baron wandte dem Spanier unwillig den Rücken.

»Ich bitte Sie, Klein, hören Sie mich nur bis zu Ende. Das glauben Sie von mir, von Ihrem ergebenen, dankbaren Verehrer? Würde ich Sie täuschen, ich, dem so viel daran liegt, mir in Ihnen einen gewogenen Fürsprecher bei Seiner Majestät zu bewahren?«

Baron Klein wandte sich mit neugeglättetem und die aufrichtigste Spannung verrathendem Gesichte ihm zu.

»Sagen Sie mir,« fuhr da Bojador fort – »gingen Sie gestern Nachmittag gegen fünf Uhr in den hintersten Gängen des Lustgartens, hinter den Hecken-Coulissen des Sommertheaters spazieren oder nicht?«

»Ich ging in der That.«

»War es in der Nähe von Trautson's Pavillon oder nicht?

»Es war in der Nähe desselben.«

»Nun sehen Sie, daß Sie beobachtet waren! Aber freilich, Sie ahnten es nicht; Sie ahnten nicht, welche Augen flammend in dunkler Gluth durch die geschlossenen Jalousien des Lusthauses auf Sie niederblickten.«

»Wahrhaftig nicht!«

»Und doch war es der Augenblick, wo Bahnesa Sie sah.«

»Wirklich?«

»Ich versichere es Ihnen.«

»Laß sehen,« sagte Baron Klein, – »in welcher Toilette war ich denn? Richtig – ich trug mein violettseidenes Hofkleid; gelbe Beinkleider, die grünseidenen Strümpfe – ach ja, ich war gut gekleidet – eine gewisse Schwärmerei hatte sich, als ich unter den duftenden Lindengipfeln einherwandelte, halb unbewußt meiner bemächtigt – aber, Viconde, nun erklären Sie mir, wie diese drei Grazien, von denen Sie reden, in den Pavillon Trautson's gerathen sind?«

»Ganz einfach. Er hat sie hineingebracht. Frisch aus der Türkei.«

»Und was sollen sie dort?«

»Das fragen Sie Trautson selbst, wenn Sie Lust haben!«

»Fabelhafte Geschichte!«

»Ich weiß nur so viel: Trautson hatte eine militairische Inspectionsreise zu machen. Diese Inspectionsreise scheint er bis über die Grenze ausgedehnt zu haben, weit genug, um jenseits einem Aga, Bei oder Pascha in's Gehege zu gerathen und ihn ein wenig ausplündern zu können. So viel ist gewiß, vor einigen Tagen ist Graf Veit Trautson von seiner Expedition glücklich und zur namenlosen Freude aller seiner zahlreichen Freunde heimgekehrt: zu gleicher Zeit, in der Abenddämmerung halten drei verschlossene und dicht verhangene Sänften, die von einem halben Dutzend bärbeißiger Panduren begleitet werden, und die obendrein ein wahrer Bullenbeißer von einem invaliden Quartiermeister zu Pferde escortirt, vor dem Gartenhause Trautson's. Der Quartiermeister übermacht der Beschließerin den Befehl ihres Gebieters, den Inhalt der Sänften bei sich aufzunehmen, für denselben wohl zu sorgen, ihn aber fest eingeschlossen zu halten und vor Jedermanns Auge streng zu hüten. Bald darauf langt dann der Gebieter, der in seinem Stadthause abgestiegen ist, selbst in seinem Garten an und wiederholt seiner Dienerin diese Befehle, nachdem er sich überzeugt hat, daß seine Türkenbeute convenabel untergebracht ist.«

»Und der Inhalt dieser Sänften?«

»Waren eben jene drei geheimnisvollen verschleierten Töchter des Südens.«

» Il faut vivre pour voir des miracles!« bemerkte Klein. »Aber sagen Sie mir um Alles in der Welt, was hat dies zu bedeuten? Was hat Trautson mit den jungen Mädchen vor?«

»Was weiß ich, Klein. Vielleicht will er sie im Christenthum unterrichten – vielleicht will er fromme Klosterjungfrauen aus ihnen machen – vielleicht will er einen Nonnen-Orden stiften und beginnt dafür zu recrutiren.«

»Welche Idee! Aber reden Sie mir von Bahnesa – von ihr, der mein ganzes Herz zufliegt – von Bahnesa» die mich gesehen hat …«

»Als Sie im violettseidnen Hofkleide und in den gelben Beinkleidern am Pavillon vorüber gingen – als Sie bezaubernd waren, Baron!«

Ueber die von geschmeichelter Eitelkeit strahlende Stirn des kleinen Barons flog plötzlich eine Wolke. Er runzelte die Stirn, daß sich ganz erschrecklich tiefe und zahlreiche Falten darauf legten; er zog die Brauen überaus drohend zusammen und sprach mit großem Pathos:

»Senhor Viconde, hören Sie auf. Es giebt Stellen, wo ich keinen Scherz verstehe! Weh' dem, der sie berührt!«

Und damit legte er seine breite Hand mit heldenmüthiger Unerschrockenheit auf die entblößte Klinge eines großen Reiterdegens, welcher auf einem Tische zu seiner Seite lag.

»Wenn Sie es nicht versicherten, so würde ich dies nicht glauben,« antwortete da Bojador – »wahrhaftig nicht, Baron Klein. Und wo ist diese Achillesferse – von der Sie reden? Wo liegen bei einem so ungewöhnlichen Wesen wie Sie, die Fersen? Sagen Sie es, damit man sich hüten kann, dieselben zu verletzen und der Gefahr ausweicht, von Ihrem Zorn vernichtet zu werden!«

Klein's koboldhafte runzelige Stirn hatte sich nicht aufgehellt während dieser Worte da Bojador's. Die Ironie war zu stark gewesen, um ihm zu entgehen. Er ließ das Schwert, das er aufgehoben hatte, klirrend auf die Tischplatte fallen.

»Ihre ganze Geschichte ist erlogen, Don Perez da Bojador y Roccaberti. Der spanische Hochmuth begehrt sein Blut zu fühlen an der Ehre eines deutschen Edelmannes; vermessener Ritter aus Castilien, schlagt nicht an den Schild, den die teutonische Urkraft mit Speer und Schwert zu vertheidigen weiß. Don Perez, ich sage Euch, Ihr seid ein falscher Mann und ein treuloser Ritter.«

Der kleine Baron war ein Schauspiel für Götter in seinem Zorn und in seinem feierlichen Pathos.

Der Spanier lachte ihm in's Gesicht:

»Wo ist Euer berühmtes violettseidenes Kleid? Wo ist Euer Degen mit dem Filigranheft? Wo ist Euer dreieckiges Hütlein mit dem großen weißen Federbusch? legt es an, gestrenger und tapferer Baron, legt Alles an, was Euch so bezaubernd macht. Dann wollen wir selbander gehen und Ihr sollt mit eigenen Augen Euch überzeugen, wie gut es Don Perez mit Euch meint!«

»Wohin sollen wir gehen?«

»Ihr sollt die drei schönen Türkinnen sehen.«

»Bahnesa?«

»Auch Bahnesa. Und noch mehr. Ihr sollt auf unwiderlegliche Weise ihre Liebe zu Euch erkennen! Kommt!«

»Wahr und wahrhaftig?«

»Ich schwör' es Euch, mißtrauischer Ritter.«

»Nun dann wohlan,« versetzte Klein, und mit einem Gesichte, das seinen drohenden Ausdruck plötzlich wieder gegen die Miene der neugierigsten Spannung und heitersten Erwartung gewechselt hatte, begann er augenblicklich mit ganz wunderbarer Hurtigkeit Toilette zu machen. Seine langen Arme, seine breiten Froschhände flogen: seine kurzen Beine zappelten wie galvanisirt, während er von einer Ecke in die andere fuhr, um bald dies, bald jenes herbei zu holen, es über zu werfen, wieder auszuziehen, weil er in der Hast das unterste als oberstes, die innere Seite als die äußere genommen und dann von Neuem hineinzufahren, bis es saß wie es sitzen sollte.

Endlich war er bereit: er stülpte den Hut kriegerisch auf das linke Ohr; er zog die großen gemsledernen Handschuhe durch den Korb seines Degens; er blickte in den Spiegel; helle Selbstzufriedenheit erglänzte in seinen Augen; er machte da Bojador eine galante Verbeugung und sprach:

»Zu Euer Gnaden Befehl!«

»So gehen wir,« antwortete der Spanier, der, fortwährend mit der Versuchung ringend in lautes Lachen auszubrechen, seine Bewegungen verfolgt hatte.


Sechstes Capitel.
Von einer schönen Tochter des Orients.

Die beiden Herren machten sich auf den Weg; sie verließen die Favorita und schritten durch den Lustgarten, bis sie an das Ende desselben gekommen waren. Indem sie sich hier links in eine schmale und dunkle Allee vertieften, welche parallel lief mit der hintern, aus einer dichten und hohen Hecke und einem Gitterwerk bestehenden Umfriedigung, gelangten sie nach ein paar hundert Schritten an ein kleines Thor. Da Bojador zog einen kleinen Schlüssel hervor. Er hatte Mühe, das eingerostete Schloß zu öffnen. Endlich wich der Riegel und unsere beiden Herren traten in einen anderen Garten ein. Es war der Trautson's. Der Pavillon, welcher ihr Ziel bildete, schimmerte ihnen hier sehr bald durch das Gebüsch entgegen.

»Bleiben Sie hier jetzt stehen,« sagte da Bojador. »Ich will vorausgehen, um erst zu recognosciren. Halten Sie sich ruhig, bis ich wiederkomme!«

Klein machte eine höchst lächerliche Pantomime, die mit weit größerer Deutlichkeit wie nöthig seine Einwilligung ausdrückte, und blieb zurück. Seine Augen folgten, vor Spannung fast aus ihren Höhlen vortretend, der Gestalt des Spaniers, wie sie in dem Gebüsch vor ihm verschwand. Dann lüftete der Baron den Degen an seiner Seite ein wenig in der Scheide. Sein Gesicht nahm den Ausdruck einer überaus martialischen Entschlossenheit an.

» In omnia paratus! Gefaßt auf Alles!« sagte er.

Dies war seine Devise und Wappenspruch.

Wenige Minuten vergingen, bis da Bojador zurück kehrte. – Er winkte seinen Begleiter eifrig heran.

»Kommen Sie,« sagte er flüsternd, »aber sprechen Sie nicht laut und machen Sie kein Geräusch; es ist alles in bester Ordnung, nur müssen wir uns hüten, den Drachen zu wecken, der unsere Schätze hütet: Frau Afra, die Beschließerin Trautson's.«

Klein folgte dem Spanier. Trotz seiner courageusen Redensarten war er doch sehr beflissen, kein Geräusch zu machen. Er hielt sogar den Athem an und schritt auf den Fußspitzen einher, als ob der weiche Kiesgrund hätte laut aufdröhnen müssen, wenn seine Gestalt mit dem vollen Gewicht aufgetreten wäre. –

Sie standen bald auf dem freien Platze, der den Pavillon von den Baumgängen trennte, der Nebenseite des Pavillons gegenüber.

»Sehen Sie?!« sagte da Bojador triumphirend.

Baron Klein sah allerdings. Er war ganz Auge, nichts als Auge in diesem Moment. –

Das eine Fenster des Pavillons stand geöffnet: es war nur geschlossen durch die Flügel der venetianischen Blenden, oder »Jalousien,« deren Zwischenräume weit genug waren, die feine und volle Gestalt eines in orientalische Tracht gekleideten jungen Mädchens bemerken zu lassen.

»Nur näher, treten Sie nur näher, mein glücklicher Baron Klein, flüsterte der Spanier. »Bahnesa wird Ihnen den Anblick ihres Antlitzes nicht entziehen!«

Mit diesen Worten nahm da Bojador seinen Begleiter bei der Hand und indem er ihn ein paar Schritte dichter an den Pavillon heranführte, machte er vor dem jungen Mädchen eine Verbeugung, als ob er ihr den Baron Klein vorstelle.

Die Türkin nickte anmuthig mit dem Kopfe und zugleich schlug sie den leichten Schleier zurück, welcher ihre Züge verhüllte. Klein erblickte ein Antlitz von strahlender Schönheit. Ein leiser Ausruf der Ueberraschung entfuhr ihm.

»Habe ich Sie belogen, Klein?« fragte der Spanier triumphirend.

Klein war sprachlos.

»Nun seien Sie nicht blöde, – bringen Sie ihr Ihre Huldigung dar.«

»Kann ich türkisch?!«

»Sprechen Sie italienisch; sie versteht es.«

» O bellissima mia! La vita per ti!« sagte Baron Klein.

»Sehen Sie, wie sie erfreut über Ihren Liebesschwur ist, Klein? Sie streckt ihre reizende kleine Hand durch die Jalousie. Welche Gunstbezeugung! Sie sollen sie küssen, diese entzückende weiße Hand.«

»Ja, aber ich reiche bei weitem nicht bis dahin hinauf.«

Baron Klein sah sich dringend nach einem Gegenstande um, der zu ausreichender Erhöhung seiner kleinen Person hätte dienen können.

»Dafür ist leicht Rath zu schaffen,« antwortete der Spanier.

Im nächsten Augenblick hatte er Klein auf den Arm genommen, wie man ein Kind auf den Arm nimmt, und, dicht an die Mauer des Gebäudes tretend, schob er ihn kräftig daran in die Höhe.

»Sie sind jetzt am Ziel?«

Ein schallender Ruß, den der kleine Baron auf die Hand der Türkin drückte, beantwortete diese Frage.

Da Bojador ließ seine Last rasch wieder niedergleiten, – so rasch, daß Klein in etwas übereilter Weise auf dem Boden ankam; – er fiel nämlich nieder, so lang er war. Aber mit der Behendigkeit einer Katze stand er augenblicklich wieder auf den Beinen. Ein schnell hinaufgeworfener Blick sollte erkunden, ob der Gegenstand seiner bereits zu hellem Lodern entzündeten Herzensflamme den tückischen Unfall bemerkt habe. Gott Lob, es schien nicht; er athmete auf. Bahnesa war hinter den Jalousien verschwunden.

»Pest – weshalb ließen Sie mich fallen?!« fuhr Klein jetzt seinen Freund an.

»Weshalb sind Sie so schwer? Ist das meine Schuld? Ich konnte Sie nicht länger halten.«

In der Anklage des Spaniers, daß er zu schwer, lag etwas, das Klein augenblicklich, besänftigte. Er blickte noch einmal zu dem Fenster hinauf.

»Sie ist fort,« sagte da Bojador – »beschämt über das Zeichen ihrer Gunst, welches sie Ihnen im Drange der Gefühle zugestanden hat. Kommen Sie jetzt, Klein. Ich meine, ich habe mein Wort gelöst!«

»Das haben Sie, Viconde, das haben Sie!« rief Baron Klein aus, mit einem seiner raschen Uebergänge von Zorn oder von Mißtrauen zu völliger Gläubigkeit oder zu noch vollständigerem Vergnügtsein.

»So ziehen wir uns zurück.«

»Ziehen wir uns zurück; aber, Viconde …«

»Was fesselt Sie noch? haben Sie noch nicht genug, Sie Unersättlicher?«

»Es wäre doch gut,« flüsterte Klein verschmitzt lächelnd, »wenn man noch ein Wort mit ihr wechseln könnte, um über die Fortsetzung dieses angenehmen Verkehrs etwas auszumachen – um etwas Weiteres anzubandeln!«

»Kommen Sie nur, kommen Sie nur, haben Sie denn in Ihrem Liebesglück alle Vorsicht vergessen? Wir laufen Gefahr, hier von Trautson überrascht zu werden und dann: Wehe uns. Ich sage Ihnen alles Andere, während wir auf dem Rückzuge sind.«

Klein folgte da Bojador und Beide schritten auf demselben Wege, den sie gekommen waren, wieder zurück. Der Spanier verschloß sorgfältig das Thürchen, welches aus dem kaiserlichen Lustgarten in den Garten Trautson's führte.

»Nun sagen Sie mir aber endlich,« begann Klein, als sie glücklich wieder im Garten der Favorita waren, »wie sind Sie zu dieser Bekanntschaft gekommen? Wie soll ich es mir deuten, daß Sie so eingeweiht sind in diese merkwürdige Geschichte?«

»Das, mein Theurer, ist leicht erklärt. Sie müssen nämlich wissen – aber Klein, ich habe ihr Wort, daß Sie schweigen!«

»Sie haben es, soll ich es wiederholen?«

»Nein, nein, es genügt; also Sie müssen wissen, daß Veit Trautson sich mit besonderer Sorgfalt eine treue und zuverlässige Beschließerin ausgewählt hat, welche seinen Pavillon und jetzt seine orientalischen Perlen hütet.«

»Und diese Beschließerin?«

»Diese Beschließerin ist in legitimer, directer Abstammung die leibliche Mama meiner Wäscherin.«

»Ah – ich begreife.«

»Sie begreifen, daß die Mamas dieser Art keine Geheimnisse vor ihren Töchtern haben – schon beim gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht, wenn gar keine Geheimnisse vorhanden sind. Tritt aber der unerhörte und merkwürdige Fall ein, daß wirklich Geheimnisse und gar solche Geheimnisse auftauchen – dann haben sie erst recht keine Geheimnisse … vor einander!«

»Richtig, vor einander!«

»Und die Wäscherin nun …«

»O, diese excellente Wäscherin – senden Sie mir dieselbe zu, ich will sie mit meiner Kundschaft beehren.«

»Sacht, sacht, Klein, Sie sind in zu eroberungsdurstiger Laune heut – aber nun kennen Sie meine Quellen. In den Seifenblasen einer Wäscherin habe ich zuerst dies orientalische Mährchen sich spiegeln sehen – ich habe diese kleine Göttin der Reinlichkeit, deren Attribut eine gefältelte Manchette ist, zum Plaudern gebracht, ich habe dann die interessante Bekanntschaft der Frau Mama, der Beschließerin, gemacht. Die Beschließerin hat sich herabgelassen, außer Trautson's Sommerhaus auch noch einige neue kremnitzer Dukaten und alte ungarische Muttergottesthaler von mir in Beschluß zu nehmen, und – so erfuhr ich Alles – ja die geheimsten Herzensregungen Bahnesa's fanden auf diese Weise ihren Weg bis zu meinem Ohr!«

»So also hängt es zusammen!« rief Klein aus. »Aber ich muß sie wiedersehen, muß sie sprechen – sagen Sie mir, Viconde, wann kann das geschehen? Ich liege auf der Folter meiner unaussprechlichen Gefühle bis dahin!«

Nur Geduld, mein stürmischer Paladin. Das läßt sich nicht so über's Knie brechen. Wir müssen erst eines Augenblickes sicher sein, in welchem wir die Bürgschaft haben, nicht von Trautson überrascht zu werden. Aber vertrauen Sie mir. Lassen Sie mich das Weitere mit Frau Afra ausmachen.«

»Kann ich nicht selbst mit dieser …«

»Um Gotteswillen, feine voreiligen Schritte. Der alte Drache kennt Sie ja nicht.«

»O, mich kennt Jedermann!« rief Klein stolz aus.

»Aber nicht von allen Seiten, da Sie alle ja nicht zu zeigen lieben,« antwortete da Bojador maliciös.

»Was soll das heißen?« fuhr Klein zornig heraus.

»Daß Sie,« antwortete der Spanier mit einer spöttischen Verbeugung – »dem Feinde nur die Stirn bieten!«

»Ja so – das laß ich gelten!«

»Also bleiben Sie zuerst hinter der Coulisse. Vertrauen Sie mir. Weshalb hätte ich Sie zu der Scene von vorhin geführt, wenn ich es nicht gut mit Ihnen meinte? Ueberlassen Sie mir Alles. Ich sage Ihnen, diese Frau Afra ist ein schlimmer Kunde, den man erst richtig zu behandeln gelernt haben muß, bevor man etwas bei ihm erreicht. Versuchen Sie nicht, sich ihr zu nähern. Wollen Sie durch unvorsichtiges Handeln es dahin bringen, daß Trautson die Sache erfährt und daß ich mit compromittirt werde? Das wäre ein schöner Dank für die Freundschaft, die ich Ihnen bewiesen habe.«

»Nun wohl – ich überlasse Ihnen Alles – aber denken Sie an das Fieber meiner Ungeduld – Lassen Sie mich nicht zu lange warten auf eine längere, eine unbelauschte Zusammenkunft mit dieser himmlischen Bahnesa! Bahnesa – ach, wie der Name allein schon mein ganzes Herz gestohlen hat!«

Der Viconde da Bojador y Roccaberti gab dem kleinen Baron alle möglichen Zusicherungen, welche das verliebte Herz desselben nur verlangen konnte. Dann trennte er sich von Klein, um ihn seinen süßen Träumereien und Schwärmereien zu überlassen.

»Der Kaiser wird von seiner Spazierfahrt zurückkehren,« sagte er – »Sie wissen, ich habe den Dienst heute in der Antecamera also auf Wiedersehen, mein lieber Baron!«

»Auf Wiedersehen, mein lieber, theurer, uneigennütziger, mein vortrefflicher Freund!« entgegnete Baron Klein. – »Nie werde ich Ihnen vergessen, was ich Ihnen heute verdanke. Lassen Sie« – setzte er herablassend hinzu, – »eine Gelegenheit kommen, einen Augenblick, wo es gilt, Etwas für Sie zu thun, beim Kaiser eine Gnade für Sie zu erwirken – und Sie werden sehen, was Baron Klein für diejenigen, welche seinen wahren Werth zu erkennen wissen, auszurichten vermag!«

»Ich weiß es ja, Baron – ich weiß es! Und sicherlich, ich habe dies Alles nicht gethan, um es einem so einflußreichen, so mächtigen Manne wie Sie in alle Ewigkeit zu schenken. Für so uneigennützig halten Sie mich nicht!«

»O ich kann es mir denken, ich kann es denken!« antwortete Klein mit huldreichem und verzeihungsvollem Lächeln. Ja, so schlau sind wir auch! – Aber ich bin Ihnen deshalb nicht minder gewogen. Behüte Sie Gott, mein theurer Viconde!«

Die beiden Männer trennten sich. Klein zog sich in das Innere seiner Gemächer zurück und da Bojador schritt den Appartements des Kaisers zu.

Bald nachher kündigte Hufschlag und Räderrollen die Rückkehr des Kaisers und seines Gefolges an. Die Trabanten-Leibgarde trat vor dem Peristyl in's Gewehr und rührte ihre Trommeln. Der Schloßhof füllte sich wieder mit den malerischen und bewegten Gruppen, wie eine Stunde vorher; nur daß die Gruppen jetzt sich rascher auflös'ten, als sie früher sich gebildet. Im Innern des Schlosses flirrten die Spontons und Hellebarden der Hartschiere auf dem harten Estrich. Die Flügelthüren der Antecamera wurden aufgerissen, der Kaiser, an seiner Hand die älteste Erzherzogin führend, schritt durch den Raum, um mit seiner Tochter am oberen Ende desselben in seinen Gemächern zu verschwinden – der größte Theil des Gefolges, das ihn auf der Spazierfahrt begleitet hatte, blieb in der Antecamera zurück.

Auch Gräfin Juliane Bolagno war darunter.

Ehe fünf Minuten vergingen, stand diese dem Spanier gegenüber in der Brüstung eines der schmalen, die Aussicht auf den Garten bietenden Fenster.

»Nun, Viconde, Sie sehen aus, als glaubten Sie Ursache zu haben, heute mit der Welt oder mit sich selbst ganz ausnehmend zufrieden zu sein!«

»Das bin ich, auch, Reyna del mio corazon – der erste Faden des Gewebes, welches Sie zu Ihrem Brautschleier verlangen, ist eingeschlagen, meine himmlische Juliane!«

»So schnell haben Sie Mittel und Wege dazu gefunden?«

»Sie zweifeln daran? Ach, Sie wissen nicht, was Gott Amor in uns vermag, Sie eingefleischte Diplomatin – Sie, die ihre Hand zusagt, je nachdem eine Intrigue so oder so ausfällt! Juliane – könnten Sie in meinem Herzen lesen?«

»In Ihrem Herzen lesen? Danken Sie Gott, daß ich es nicht kann!«

»Glauben Sie, es sei nur ein Hauch, ein Gedanke, nur eine leiseste Regung darin, welche nicht Ihnen gehörte?«

»O, vielleicht sind ganze Landschaften mit eigenen Souveränetäten darin – Inseln, groß wie Barataria, die ganz andere Regentinnen haben, als Ihre ergebene Dienerin Juliane Bolagno!«

»Sie beginnen wieder Ihre Mißhandlungen!«

»Mache ich Ihnen denn Vorwürfe? Nein, wir sind ganz einverstanden. Sie haben Recht, wenn Sie mir vorwerfen, daß ich von der Macht Amor's, den Zaubereien der Venus und den kleinen Ränken ihrer jungen Nachkommenschaft, um deren Toilette sich die schöne Frau Mama so wenig Sorgen macht, gar nichts verstehe. Ich brüste mich aber auch nicht, wie gewisse Leute, mit Erfahrungen und Kenntnissen, die ich nicht besitze.«

Wenn Sie sie nicht besitzen, weshalb geben Sie sich denn nicht in die Lehre bei Jemanden, der sehr bewandert darin sein muß, weil er eben so traurige Erfahrungen darin macht!«

»Ach, schweigen Sie lieber. Sie würden auch in eine schwere Verlegenheit kommen, wenn Sie erklären müßten, was die Gefühle eines wahrhaft verliebten Herzens sind. Seien wir offen und aufrichtig das ist die beste Bürgschaft einer dauernden Freundschaft. Sie werben um meine Hand. Weil Sie ein kluger Mann sind, werden Sie Ihre Gründe haben, welche Ihnen eine solche Verbindung empfehlen. Ich, mein Herr Viconde, habe keine dringenden Gründe, Ihre Bewerbung zurückzuweisen. Sie ist ehrenvoll für meine Familie, schmeichelhaft für meine geringe Person. Aber die Klugheit gebietet mir, meine Bedingungen zu stellen, oder besser, meine Zusage an ein: Wenn zu knüpfen.«

»Unseliges Wenn!«

»Sie wissen es. Es lautet: Wenn die älteste Erzherzogin den Infanten Don Carlos heirathet!«

»Ja freilich weiß ich es – obwohl ich eigentlich Ihre Gründe doch nicht ganz weiß! Sie wollen bei der Erzherzogin bleiben, nicht aufhören, wenn Sie Gräfin da Bojador geworden sind, als einer der strahlendsten Sterne des Hofes zu glänzen. Wer aber bürgt Ihnen, daß die Erzherzogin, wenn sie Gattin des Infanten ist, nach Spanien zieht? Als Erbin von Oesterreich wird sie viel wahrscheinlicher hier in Wien bleiben.«

»So lange der Kaiser lebt? Ich glaube nicht. Denn Spanien wird seine künftige Königin zu sehen verlangen. Aber gesetzt auch, sie bliebe hier zurück, der Infant schlüge hier seine Residenz auf – so fordert doch mein Interesse Alles aufzubieten, daß diese Partie zu Stande kommt. Mein Vater, der Botschafter in Madrid, hat zu viel daran gesetzt, die Verbindung einzuleiten und zum Abschluß zu bringen. Ist damit nicht genug gesagt? Soll ich Ihnen erst auseinandersetzen, was die Triebfedern meines Vaters sind? Stehen Sie ihm nur bei. Wirken Sie hier, wie er dort. Wie freudig wird er nach gelungenem Werke einem solchen hülfreichen Schwiegersohne seine Arme öffnen!«

»Das ist freilich Alles sehr logisch und sehr richtig!« entgegnete da Bojador; »und, wie gesagt, ich habe ja schon begonnen, einen sehr hübschen Plan in's Werk zu setzen …«

»Sie haben begonnen – bravo! ce n'est que le commencement, qui coûte! Damit ist also schon viel gewonnen. Aber was haben Sie begonnen?«

»Eine Geschichte einzufädeln, welche den Herzog von Lothringen als Freier der Erzherzogin Maria Therese unmöglich machen würde.«

»Damit wäre Ihre ganze Aufgabe gelöst. Mehr bedürfen wir nicht! Und schwierig auszuführen kann es auch nicht sein. Er hat den Kopf voll thörichter Ideen. Er ist unerfahren, leichtgläubig, voll Vertrauen auf Jedermann, auf Jedermann hörend – Maria Therese dagegen stolz, reizbar, leicht verletzt, mißtrauisch. Sie macht unerhörte Ansprüche an die Weisheit und fleckenlose Tugend des Mannes, der ihr Ideal werden will. Es kann unmöglich schwer sein, dies Paar zu trennen. Deshalb lassen wir die Federn der Intrigue spielen! Da ist meine Hand. Nicht Amor's Seidenfäden sollen den Bund unserer Hände knüpfen; die großen Genien in capa y espada Ihres Vaterlandes Spanien, die Moreto, die Calderon mit ihren schlau ersonnenen Lustspiellisten sollen seine Götter sein, die Intrigue soll ihn mit ihren schlauen Verkettungen befestigen.«

»Himmlische Juliane,« rief da Bojador aus, indem er die dargebotene Hand des Kammerfräuleins küßte – »verlassen Sie sich ganz auf mich!«

»Seien Sie nicht so laut – man könnte aufmerksam auf uns werden,« flüsterte Juliane erschrocken.

»Es ist Niemand mehr anwesend,« beruhigte da Bojador sie, indem er sich aus der Fensterbrüstung vorbeugend das Gemach übersah.

»Aber nun sagen Sie, was Sie vorhaben?«

»Sagen? – Nein – es bleibt mein Geheimniß. Ich will Sie mit dem Ergebniß überraschen!«

»Ihr Geheimniß?« fragte Gräfin Juliane, nichts weniger als befriedigt von dieser Erklärung. »Aber wie kann ich dann Sie unterstützen? Es wird doch ein Augenblick kommen, wo Sie meiner bedürfen? Wo ich bei der Erzherzogin werde wirken müssen …«

»O nein, nein. Mein Plan ist so gut, ich bin dabei durch den Zufall so vortrefflich unterstützt – ich nehme den ganzen Ruhm der Sache für mich in Anspruch.«

»In der That!« entgegnete das Kammerfräulein. »Nun – vederemo

»Ja, Sie sollen es sehen, daß ich Wunder thun werde mit dem Restchen Verstand, welches mir meine Leidenschaft für die angebetete Juliane gelassen hat!«

»Ach, mit Ihrer Leidenschaft,« erwiederte Juliane Bolagno, noch immer etwas erkältet durch da Bojador's Verschlossenheit gegen sie – »gehen Sie mir damit – bei uns bleibt die Leidenschaft ein für alle Mal aus dem Spiele. Gleichheit der Neigungen, des Charakters, des Vermögens, der Geburt – vor Allem aber Gemeinsamkeit großer Zwecke, ehrgeiziger Bestrebungen – das macht die glücklichen Paare, das knüpft für's Leben aneinander mit Banden, die nie reißen. Aber nur ja in dies schöne Concert klar besonnener Herzen nicht die sentimentalen Panflöten schwärmerischer Gefühle, die affectirten Schäfermelodien sich selbst verhimmelnder schwacher Seelen gemischt! Liebe – Liebe – das ist die ärgste Thorheit, ein flüchtiger Rausch, der aushält einen kurzen Mondschein-Abend, aber einen Tag darauf voll Kopfweh und Langeweile macht. Addio, mein geheimnisvoller Freund – vergessen Sie das nicht!«

Und Gräfin Juliane Bolagno verabschiedete sich mit einem kurzen Kopfnicken von dem Viconde, der etwas betroffen ihr nach blickte.

»Sollte das in der That ihr Ernst sein?« fragte er sich. »Es ist jedenfalls von meiner Signora Braut eine sehr unumwundene Sprache. Nun, ich will mich darauf berufen, wenn der Teufel sein Spiel treiben sollte und ihr etwas von meiner Liebschaft mit dieser allerliebsten Türkin zu Ohren trüge. Wahrhaftig, meine angebetete Juliane, es soll Euch nicht vergessen bleiben!«


Siebentes Capitel.
Von der Eifersucht des Baron Klein.

Es war am folgenden Abende. Baron Klein liebte es sonst Gesellschaft aufzusuchen. Er fühlte sich gedrungen, möglichst wenige Augenblicke seines denkwürdigen Lebens der Bewunderung seiner Zeitgenossen zu entziehen, und vermied es deshalb, sich in Einsamkeit zu begraben. Heute dennoch war er etwas wie ein Einsiedler geworden. Der Hoftafel hatte er, wie es sein Dienst forderte, in der Nähe des Kaisers assistirt, aber ein paar Scherze, welche die Majestät an ihn richtete, mit so pathetischer Würde aufgenommen, daß Karl der Sechste ihm gesagt, es beschäme ihn, einen so großen Herrn stehen zu sehen und er könne sich in seine Gemächer zurückziehn.

In seinen Gemächern hatte Klein sodann seinem Schneider Audienz gegeben und eine stundenlange Unterhaltung mit ihm gepflogen. Jetzt, um die Abendstunde des langen Sommertages, wandelte er die mittlere und Haupt-Allee des kaiserlichen Gartens, die vom hintern Ausgang desselben auf das Portal des Schlosses zuführte, herauf. Er hatte augenscheinlich eine Entdeckungsreise in den geographischen Breiten des Trautsonschen Pavillons gemacht, aber wohl ohne die gehoffte ethnographische Ausbeute, wenn man anders aus seiner etwas mißvergnügten Miene schließen durfte.

Ihm entgegen, vom Schlosse her, kam langsam schlendernden Ganges der Viconde da Bojador. Als der Spanier sich auf ein Paar hundert Schritte dem kleinen Baron genähert hatte, bog er plötzlich ab und vertiefte sich nach rechts hin in eine Seitenallee.

Klein entging dies auffallende Ausweichen nicht; vielleicht war es auch gar nicht darauf berechnet, ihm zu entgehen. Er setzte seine kurzen Beinchen augenblicklich in die schnellste Bewegung.

»Hören Sie, Viconde! Senhor Viconde! Vortrefflichster Don – einen Augenblick!« rief nach wenigen Minuten eine keuchende Stimme hinter dem Spanier her.

Da Bojador blieb endlich stehen.

»O mein theurer Viconde, wenn Sie glauben, daß es so leicht sei, mir zu entgehen, so irren Sie!«

»Wollte ich Ihnen denn entgehen?«

»Es scheint wenigstens so!«

»Ich sah Sie nicht; ich muß ganz über Sie hinausgeblickt haben!«

»Machen Sie keinen Mißbrauch von meiner Geneigtheit Ihnen einen schlechten Spaß zu verzeihen. Wie weit sind wir?«

»Womit?«

»Seltsame Frage. Sie verstehen mich sehr gut.«

»Sie wollen wissen …?«

»Nun ja freilich! Also, wann kann ich Bahnesa wieder sehen, wann sie sprechen?«

»Baron Klein,« entgegnete da Bojador sehr ernst und sehr trocken – »Sie sind ein gesetzter, ein klar urtheilender Mann – Sie sollten deshalb längst gelernt haben, Ihrer Phantasie und Ihrem heißblütigen Herzen Zügel anzulegen. Ein Mann von Ihrer tiefphilosophischen Bildung weiß alle irdischen Güter nach ihrem wahren Werthe zu schätzen und weiß nöthigenfalls …«

»Und weiß nöthigenfalls? Was?«

»Darauf zu verzichten!«

»Was soll das heißen?« fuhr Klein erschrocken dazwischen.

»Ganz was die Worte sagen.«

»Zum Teufel, mein Herr Viconde,« schrie der kleine Mann mit einem Gesicht, welches sich wie das eines zornigen Puters geröthet hatte – »ich hoffe nicht, daß Sie mir jetzt ernstlich mit Redensarten von Verzichten kommen. Machen Sie mich nicht argwöhnen, daß Sie bei dieser ganzen Geschichte mich haben zum Narren halten wollen. Sehen Sie sich vor – es scheint, Sie kennen mich nicht!«

»Gemach, gemach, mein theurer Klein – verkennen Sie Ihre Freunde nicht – und erschrecken Sie mich mit Ihrem formidablen Zornesfeuer nicht auf eine Weise, daß mir Athem und Stimme ausgehen, die ich doch so nöthig habe, um Sie zu beruhigen. Denn es bleibt mir nichts übrig, als Ihnen die Wahrheit zu sagen.«

»So sagen Sie sie ganz! Haben Sie eine Fopperei beabsichtigt – dann wehe Ihnen – Sie werden sich mit mir schlagen, bis Einer von uns auf dem Flecke bleibt, und dieser Eine, mein kecker Don, das sage ich Ihnen voraus, werden Sie sein! Mein Degen ist schon mit anderen Leuten fertig geworden!«

»Ich bin unschuldig wie ein Säugling, Sie Entsetzlicher, aber dennoch sehe ich, ich habe kein anderes Rettungsmittel, als Ihrem Zorn eine Richtung zu geben, welche wenigstens keinen ganz Unschuldigen trifft. Bahnesa liebt Sie mit aller Gluth ihres südlichen Himmels, aller Hingabe ihres leidenschaftlichen Heimathlandes, aller Tiefe ihres schwärmerischen Herzens. Aber –«

»Aber – nun Aber? Welch ein Aber ist dabei?«

»Sie haben einen Nebenbuhler!«

»Einen Nebenbuhler? O, den vernichte ich, den lös' ich in Atome auf!«

»Sacht, sacht, heldenmüthiger Mann, Sie wissen nicht, was Sie reden.«

»Ich weiß immer sehr wohl, was ich rede, mein Herr Viconde – nur heraus mit dem Nebenbuhler, damit wir sehen, wie viel Federlesens mit ihm zu machen ist!«

»Sie machen mir viel zu sehr die Haut schaudern mit diesen schrecklichen Drohungen, als daß ich nicht Anstand nähme mit meiner Eröffnung. Es handelt sich hier um Niemand Geringes, müssen Sie wissen, und wenn ich Alles sagte, was ich weiß, so könnte daraus eine ganz entsetzliche Geschichte entstehen, eine Geschichte, welche ganz Wien in Bewegung brächte, ja in ganz Europa widerhallte!«

»Was soll das nun heißen?« fragte Klein betroffen; »eine Geschichte, die in ganz Europa widerhallte?«

»So sagt' ich!« bestätigte der Spanier und der Baron fuhr fort:

»Steht der Unglückliche, der es wagt, mein Nebenbuhler zu sein, etwa so hoch, daß ihn die ganze Stadt, daß ihn ganz Europa kennt?«

»Wenn es nun so wäre?«

»Ei, so mag ganz Europa sehen, wie Baron Klein seine Ehrenhändel erledigt – meinethalb. Ich will den Namen wissen!«

»Und ich will mit der Sache nichts mehr zu schaffen haben – nun gerade nicht!«

»So halte ich mich an Sie, mein Herr Viconde. Ueberlegen Sie sich das wohl!« fuhr Baron Klein überaus peremptorisch fort.

»Um Gotteswillen!« antwortete der Spanier, den Erschrockenen spielend.

»Ich halte mich an Sie!« wiederholte Klein stehen bleibend und zu da Bojador hinauflangend, um ihn am Knopfe seines Rockes festzuhalten.

»Ich bitte Sie bei allen Heiligen, beruhigen Sie sich, Klein – ich schwöre Ihnen, es ist für uns alle Beide das Beste, wenn wir diese Sache fallen lassen.«

»Fallen lassen? Ei sieh mir doch! Nein, nichts da – Sie sollen reden.«

»Reden werde, reden kann ich nicht. Aber Sie, ein Mann wie Sie, sollte der nicht längst geahnt haben, um Wen es sich handelt? Rathen Sie's selbst!«

»Rathen? Nun wohl! Es muß eine der höchstgestellten Persönlichkeiten des Hofes sein!«

»Ihr Scharfsinn ist bewundernswerth!«

»Der alte Prinz Eugenio di Savoie wird doch nicht seiner guten Lorel Bathiany abtrünnig geworden sein, um einer jungen Türkin den Hof zu machen?«

»So viel ich weiß, hat der alte Türkensieger es sich nie zu einer Ehrensache gemacht, auch Türkinnen zu besiegen.«

»Also Lothringen!« fuhr Klein heraus.

»Um Gotteswillen, nicht so laut!« rief da Bojador mit erheucheltem Erschrecken, seine Hand auf die breiten Lippen des kleinen Mannes legend.

»Der ist's! Lothringen! Nun wahrhaftig, solch eine lothringische Lerche aufzuspießen wird ein Kinderspiel für mich sein!« rief Klein aus, doch offenbar mit einem Tone, der nicht mehr ganz so kriegerisch und waghalsig lautete wie früher.

»Was wollen Sie thun?«

»Ihm die Abschweifungen in partes infidelium versalzen – das jedenfalls! Erst aber, mein Herr Viconde, stehen Sie mir Rede über das Nähere! Was ist geschehen?« rief Klein, der sich immer trutziger aufblähte, je länger der Spanier den Erschrockenen bei seinen verwegenen Redensarten spielte.

»Ich habe Ihnen bereits erklärt, daß ich mich wohl hüten würde, Ihnen in dieser Sache directe Angaben zu machen,« versetzte da Bojador. »Rathen Sie. Vielleicht hat Trautson wohl gewußt, was er wollte, als er die wunderliche Beute im Türkenlande drüben auftrieb; vielleicht hat er den jungen Herzog von Lothringen selbst in seinen Pavillon eingeführt und Ihrer Bahnesa vorgestellt – wer weiß es … Das nur kann ich sagen, daß Sie von heute an keine Aussicht mehr haben, hineinzukommen, denn der Pavillon wird doppelt scharf bewacht und ich vermag über den Ihnen bekannten ausgezeichneten alten Drachen, die ehr- und tugendreiche Frau Afra, nichts mehr!«

»Pest!« murmelte Klein zwischen den Zähnen.

»Daß Sie nun gehen werden, Lärm zu schlagen, Händel anzufangen, Klein, das habe ich im Ernst wohl nicht zu befürchten. Sich mit einem Nebenbuhler messen zu wollen, wie dem jungen Herrn, dessen Namen Sie genannt haben – wohlverstanden, Klein, Sie allein haben ihn genannt – dazu sind Sie viel zu besonnen und gescheut! Sie werden die Sache anders, Sie werden sie diplomatischer anfangen!«

»Ja, freilich, freilich! Wenn ich nur wüßte: wie?«

»Haben Sie nicht das Ohr des Kaisers?«

»Als ob es eine Geschichte für den wäre!«

»Und wenn nun gerade? Würde der Kaiser nicht augenblicklich den Entschluß ergreifen, den jungen Mann durch einige nachdrückliche Winke über die Verirrung seines Geschmackes zu belehren? Würden Sie nicht dadurch sofort von dem Nebenbuhler befreit sein? Und dann die Vortheile, welche solch' eine dem Kaiser zugeraunte Mittheilung sonst noch für Sie im Gefolge haben könnte … o das wird Ihr Scharfsinn von selbst durchschauen!«

»In der That, ich durchschaue Alles. Aber sagen Sie mir, wie denken Sie sich, daß solch' eine Mittheilung Vortheile für mich im Gefolge haben könnte – bloß, damit ich Ihre Meinung höre!«

»Sie wissen, der Kaiser beabsichtigt seine älteste Erzherzogin, seine Erbin zu vermählen – er schwankt zwischen einem spanischen Infanten und dem Herzog von Lothringen, der hier am Hofe sich aufhält, um seine Bewerbung persönlich zu betreiben. Vernimmt der Kaiser nun durch Sie von einem etwaigen leichtsinnigen Lebenswandel dieses sonst so vortrefflichen jungen Prinzen – wird er nicht dem Warner dankbar sein? Ist dann abzusehen, wie weit seine Dankbarkeit sich auch in Huld und Gnaden äußert? Wäre es unmöglich, daß wir einst noch einen ›Grafen‹ Klein als einen der strahlendsten Sterne dieses kaiserlichen Hoflagers einherschreiten sähen? Und wäre nicht jedenfalls – dies ganz sicherlich – Ihrem lieben Freunde Veit Trautson ein absonderlicher Liebesdienst geleistet, wenn man dem Kaiser nicht vor enthielte, welche seltsame Streiche er zu machen beginnt?«

»Richtig!« jubelte Klein – »es ist Alles richtig – Sie haben Recht, es geht nichts über Diplomatie! Nun lassen Sie mich nur machen – Senhor da Bojador, Sie sollen sehen, was ich, vermag!«

»Aber vergessen Sie nicht, daß ich keinen Namen genannt, daß ich mit der Sache nichts, gar nichts zu schaffen habe! Geben Sie mir Ihr Ehrenwort darauf, daß Sie es nicht vergessen wollen!«

»Mein Wort! das können Sie bekommen! Was brauch' ich Ihrer zu erwähnen? Wahrhaftig, ich kann allein mit der Sache fertig werden!«

»Daß man am Hofe bemerkt haben will, der Herr Herzog von Lothringen sei jeden Abend mehrere Stunden lang aus seinen Gemächern verschwunden, ohne daß man so recht weiß, wo er eigentlich steckt, das ist Ihnen nicht unbekannt und ebenso wenig entgeht Ihrem Scharfblick, wie trefflich dieser Umstand benutzt werden könnte, um dem Kaiser etwaige Zweifel an dem, was Sie ihm von der Aufführung des jungen Mannes hinterbringen wollen, zu benehmen!«

»Sie haben abermals Recht, vortrefflichster Viconde – es läßt sich benutzen – und, verlassen Sie sich darauf, es wird benutzt werden!«

»So trennen wir uns jetzt; unsere geheime Zwiesprache könnte beobachtet werden, ihre Dauer könnte auffallen!« meinte da Bojador.

»Ja, ja, trennen wir uns – kehren wir auf verschiedenen Wegen in's Schloß zurück. Addio, Viconde!«

Und der kleine Mann stampfte in großer Hast, unter heftigem Schlenkern seiner langen Arme, durch die Alleen dahin, der »Favorita« zu.

»Er beißt gierig in die Angel!« sagte mit satyrischem Lächeln da Bojador, während er einen andern Weg einschlug – »die kleine Schmeißfliege ist unbezahlbar. Ich bin überzeugt, noch heute Abend summt er Sr. Majestät alles um die Ohren, was ich ihm vorgesagt habe! Wenn er nur meinen Namen nicht nennt! Nun, im schlimmsten Fall bleibt immer die Ausrede: er ist ein Narr, der entweder gelogen oder mit dem man sich einen Spaß gemacht hat! Jetzt aber zu unserem schönen Kinde von der Insel Metellino.«

Da Bojador schaute um sich zu beobachten, ob er irgend bemerkt und besonders ob er noch von Klein gesehen werden könne. Da dies nicht der Fall war, so wandte er seine Schritte und eilte rasch dem Ausgang des Gartens zu, jenem Pförtchen, durch welches er vor Kurzem Klein zum Gartenpavillon Trautson's geführt hatte. Er öffnete mit dem Schlüssel, den er sich vom kaiserlichen Gartenmeister zu verschaffen gewußt hatte, und stand nach wenigen Augenblicken auf der Treppe des kleinen Gebäudes. Auf sein leises Anpochen mit dem Klopfer öffnete ihm Frau Afra.

»Ah, Sie san's,« sagte sie, offenbar über die Erscheinung des Hofherrn nicht sehr erfreut. »San's schon wieder da?«

»Gönnst Du mir nicht das Dasein, Alte?« antwortete da Bojador, und ließ Frau Afra etwas in die Hand gleiten – »schau' ich gönn' Dir doch nicht allein das Dasein, sondern alle möglichen, nur immer für Geld zu habenden Süßigkeiten desselben noch obendrein – Du kannst Dich darin baden, darin schwimmen, darin untertauchen, wenn Du willst!«

»Ad, gehn's – Süßigkeiten – wie's davon reden mögen! Von Süßigkeiten, schauen's, da kommt halt wen'g g'nug an unser Eins – alle Sonntag ein Tröpflein Goldwasser, oder ein Fingerhut voll Maraschino, oder ein Mund voll Ruster, wenn's hoch kommt. … Das ist Alles!«

»Gebe ich Dir nicht Geld genug, liebwertheste Afra, um diese kleinen Dosen verstärken zu können? entgegnete der Spanier. »Aber,« fuhr er fort, »ich glaube, Du hast einen so unermeßlichen Respect vor all diesen guten und kostbaren Dingen, die Du da aufzähltest, daß Du sie Dir immer in ganz kleinen Quantitäten vorstellst, weil Du vor lauter Ehrfurcht und Andacht auf den Rücken fielst, wenn Du sie massenhafter vor Dir sähst!«

»Na, hör'n's auf, Sie Schnackischer, Sie, und da's doch einmal da sind, so treten's eini.«

Mit diesen Worten öffnete Frau Afra die Thüre des Gemache, in welches da Bojador bei seinem erheuchelten Unfalle von neulich gebracht worden war und wo er zuerst die drei türkischen Schönheiten von Angesicht zu Angesicht erblickt hatte. An der Art und Weise, wie er ohne Aufenthalt und ohne sich lange zu besinnen hier auf die zweite Thüre zuschritt und sie öffnete, sah man, daß der Viconde seitdem Gelegenheit gehabt haben mußte, sich hier zurecht zu finden und vollständig über die Localitäten zu orientiren.

In dem zweiten Zimmer, welches der Spanier betrat, – begleitet von Frau Afra, die es nicht für räthlich zu finden schien, ihn ohne Aufsicht zu lassen, – sah es ziemlich orientalisch aus. Auf dem Boden waren Teppiche ausgebreitet; an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand vertrat das große Canapee den morgenländischen Divan. Shawls, Schleier, allerlei weibliche Kleidungsstücke lagen auf dem Teppich und auf dem großen Tische, der inmitten des Raumes stand; mit rothen und gelben Maroquin-Pantöffelchen aber schien der Boden wie übersäet.

In der Ecke des Gemachs hing ein großer rother Vorhang nieder; er hatte die Bestimmung, den Eingang in einen Alkoven zu verdecken.

Beim Betreten des Zimmers stellte sich dem Spanier eine eigenthümliche Gruppe dar. Das anmuthige Centrum derselben bildete die kleine breite Gestalt des Herrn Vex, die so komisch herausgeputzt war, daß auch der Ernsthafteste sie nicht ohne Lachen hätte ansehen können, und daß da Bojador frappirt vor ihr stehen blieb.

Ein Vex – es wird Zeit, dies aufzuhellen – ist eines jener eigenthümlichen Wesen, deren man in Oberösterreich, dem Herzogthum Salzburg, in der Steiermark so viele findet. Menschen, oft von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, mit der Gestalt und dem Verstande eines Kindes; Zwerge an Körper und an Geist, aber, den starkausgebildeten Kopf abgerechnet, in keiner Weise eine Mißform aufweisend, in keiner Weise verkrüppelt oder durch ihr Aeußeres den widrigen Eindruck hervorrufend, welchen die Cretins und dergleichen unglückliche und mißrathene Geschöpfe auf uns zu machen pflegen.

Der Vex also stand in der Mitte. Er trug auf seiner unermeßlich breiten Stirn eine hohe Bischofsmütze. Von seinen Schultern nieder floß ein weißer Talar, der um die Taille mit einem goldenen Gürtel festgehalten war; über diesem weißen Untergewande aber trug der Vex einen rothen Mantel, der aussah ganz wie ein Priestergewand, wie eine »Chorkappe.« Um seine Gestalt zu erhöhen, hatte man ihm einen Schemel unter die Füße geschoben; in seiner Linken hielt er einen Stab und in der Rechten ein aufgeschlagenes Buch.

Neben und vor ihm auf dem Teppich saßen in halb liegender Stellung zwei der türkischen Mädchen; sie lachten aus voller Kehle und trieben allerlei Possen mit ihm, die Herr Vex sich mit grinsender Gutmüthigkeit ohne irgend zu ermüden gefallen ließ.

Herr Vex freute sich augenscheinlich über sein schönes Gewand, das die Mädchen ihm aus ihren Kleidungsstücken bereitet hatten, und war eben so augenscheinlich erheitert durch die kleinen Püffe und Peinigungen, welche sie ihm von Zeit zu Zeit applicirten. Frau Afra, welche hinter da Bojador in das Zimmer der Türkinnen geschritten war, warf der Gruppe nur einen halben, aus Unwillen und Verachtung gemischten Blick zu.

»Ja, so san's, – solche Kurzweil treib'ns!« sagte sie. »Zu nichts Ordentlichem san's zu brauchen. Wann i sag, schämt's enk, geht's, da setzt's Euch hin und strickt Euch wollne Strümpf' für die Wink erzeit, so lachen's mi aus. A Kreuz, a elendiges ist's mit den Weibsleut'n. Kein Wort deutsch verstan's. Alleweil geh i schon Täge lang mit ihne um und noch verstan's mi net, so dumm san's! Die Andre in der Ecke da, die ist besser, a vernünftig Geschöpf is halt und net so obenhinaus und nirgends an, – arbeiten möcht's auch und lesen thut's halbe Täg' lang!«

Damit ging Frau Afra auf einen Lederstuhl zu, der unter dem Fenster stand, nahm ihren Platz in dem alten Möbel ein und griff zu einer weggelegten Näharbeit.

»Deine Schwestern sind sehr lustig!« sagte da Bojador in italienischer Sprache zu dem Dritten der Mädchen, auf welches Frau Afra eben beim Schlusse ihrer Rede gedeutet hatte.

Es war Bahnesa, die mit einem Buche in der Hand in dem Canapee ruhte, welches, wie wir sagten, an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand aufgestellt war.

Bahnesa unterschied sich in der That sehr vortheilhaft von ihren beiden Gefährtinnen. Diese waren sicherlich ganz einnehmende und hübsche Geschöpfe, besonders wenn man sie mit einem mehr türkisch als europäisch ausgebildeten Geschmack betrachtete; denn sie entsprachen weit mehr den orientalischen, als unseren Schönheitsbegriffen. Ihre Gesichter hatten ein schön gezeichnetes Oval, die mandelförmig geschnittenen Augen waren von langen Wimpern beschattet, schwarz, keck, bald lebhaft funkelnd, bald in ein mattes Erlöschen übergehend; aber ihr Teint war nicht rein, ihre Formen waren zu voll, ihr Wesen und ihr Betragen nicht anziehend, weil es hin und her schwankte zwischen Ausgelassenheit oder lärmender Lustigkeit und träger Ruhe. Sie trugen zu stark den orientalischen Typus ausgeprägt, als daß sie hätten unsern Anforderungen an weibliche Schönheit, Anmuth und Adel der Bewegungen genügen können. Ihre Erscheinung mußte den Beobachter fesseln, weil sie jene leidenschaftliche, zwischen Gegensätzen schwankende Natur verrieth, welche dem Vulkan ähnlich ist, der stumm schweigt oder Vernichtung und Schrecken austobt.

Solche Naturen haben etwas Katzenhaftes oder, um ein edleres Bild zu gebrauchen, sie erinnern an den Tiger, der sacht und unhörbar schleicht, der still seine geschmeidige Gestalt in dem Lager zusammenrollt und in indolenter Ruhe, in seinem brütenden Halbschlummer nichts als die harmloseste Trägheit verräth, bis er erwacht und mit einer plötzlich aufflammenden Wuth sich auf sein Opfer stürzt. –

Vom Tiger hatten nun zwar unsere beiden Töchter des Südens wohl nicht viel und sicherlich weder den Blutdurst, noch die Gefährlichkeit; aber ihr Wesen mahnte eben daran, daß sie Geschöpfe desselben heißen Klima's seien, wie er.

Bahnesa bildete einen auffallenden Contrast mit ihnen. Ihre Gestalt war weniger voll, aber höher, schlanker, feiner. Ihr Wesen hatte das Gemessene und Gehaltene, welches nur ein gewisses Selbstbewußtsein giebt; es sprach eine angeborene Würde aus. Ihr Gesicht war vollendet schön; es hatte die ganze Regelmäßigkeit des griechischen Typus; Nase und Stirn wie aus Marmor gebildet; die Augen und das Haar braun, der feine, weiße Teint an den Schläfen von blauem Geäder durchschlängelt; corallenrothe Lippen, welche um desto mehr hervortraten, weil ihr Antlitz im Uebrigen wenig Farbe zeigte; so bildete sie eine Erscheinung, die den fesselndsten Reiz ausüben mußte, mochte nun ein morgenländisches oder abendländisches Auge diese schöne Beute Graf Veit Trautson's zu bewundern Gelegenheit haben.

Auch ihr Costüme unterschied sich von dem der andern beiden Mädchen. Auf ihren reichen kastanienbraunen Flechten trug sie einen kleinen rothen griechischen Feß. Ein griechisches Leibchen von violettem Seidenstoff umschloß ihre Büste, über einem faltigen bis zum Halse geschlossenen Untergewand von feinem weißen Linnen; der Rock floß in den hundert Falten nieder, welche charakteristisch sind an dem Costüme hellenischer Frauen.

Sie hatte sich erhoben bei dem Eintreten da Bojador's; sie ging ihm entgegen und reichte ihm ihre Hand hin.

»Deine Schwestern sind sehr lustig!« hatte der Spanier beim Eintreten zu ihr gesagt.

»Nenne sie nicht meine Schwestern!« antwortete Bahnesa. »Sie sind nicht meine Schwestern!« Dabei flog über ihr liebliches Antlitz ein gewisser Ausdruck von Stolz und Selbstbewußtsein.

»Ich weiß, Bahnesa, nur Deine Schicksalsschwestern sind sie. Aber was treiben sie für Possen mit dem armen kleinen Burschen?«

»Sie nennen ihn ihren Harem-Stummen. Er muß ihnen zum Zeitvertreib dienen. Der kaiserliche Aga, in dessen Gewalt wir gefallen sind –«

»Graf Trautson.«

»Graf Trautson also hat mir gesagt, daß wir Christinnen werden sollen. Ich habe es ihnen verdolmetscht. Nun haben sie ihren Stummen zu einem christlichen Mollah herausgeputzt und verlangen von ihm, daß er sie belehre und weihe.«

Da Bojador schüttelte lachend den Kopf.

»Sie scheinen also nach der christlichen Taufe sehr begierig,« sagte er. »Und Du, Bahnesa?«

»Ich bin ja getauft! Meine Eltern waren Christen. Sie gingen mit mir in ihren Tempel und lehrten mich das Kreuzeszeichen machen und die heiligen Bilder der Ikonostase küssen. Ein Kalogeros, der in ihrem Hause ein- und ausging, unterrichtete mich im Glauben. Da kamen die Türken und erschlugen meine Eltern und raubten mich, um mich nach Stambul zu bringen, wo der Pascha mich kaufen ließ, in dessen Harem ich auferzogen wurde.«

»Und die beiden Mädchen dort –?«

»Abla und Fatimeh.«

»Wurden Abla und Fatimeh auch in Constantinopel erkauft?

»O, mit ihnen war es etwas anderes. Sie wurden nach ihrem eigenen freien Willen vor einem Jahre von ihren Brüdern aus Georgien nach Stambul gebracht und verkauft. Ich war erst sieben Jahre alt, als man mich gewaltsam raubte.«

»Und wie alt bist Du jetzt, Bahnesa?«

»Es sind zwölf Jahre verflossen seitdem: zwölf Jahre der Trauer und Gefangenschaft. Zwar der Pascha Suleyman war gütig gegen mich wie ein Vater; ich war das Licht seiner Augen, und was Niemand über ihn vermochte, das vermochte ich. Aber ich verlor den Gedanken nicht, daß ich eine Christin sei, daß ich aus hellenischem Stamme geboren und daß ich fern von meinen Freunden und von meinem Heimathland Metellino sei.« –

»So freutest Du Dich wohl, als Ihr den kaiserlichen Kriegern in die Hände fielet?«

»Ja, ein Strahl der Hoffnung begann mir zu leuchten. Aber der Aga des Kaisers ist roher und schlimmer als der Pascha Suleyman es war!«

»Leider! Trautson ist ein hartgesottener Grobian!«

»Als er mir sagte, daß wir Christen werden sollten, und ich ihm einwarf, ich sei es bereits, und bitte ihn, daß er mich in meine Heimath sende, zu meinen Freunden, da versetzte er, ich sei noch schlimmer als die Moslim, ich sei eine griechische Ketzerin und ich müßte bekehrt werden wie die Andern. Ist Christ nicht Christ?«

»Nein, armes Kind. Es giebt griechische Christen und römische. Wir sind römische.«

»So seid es, und uns laßt griechische sein.«

Da Bojador schüttelte lächelnd den Kopf.

»Ich habe im Hause des Pascha's Suleyman meinen Glauben bewahrt,« fuhr Bahnesa fort. »Wird man mir ihn im Hause des Christen nehmen wollen?«

»Ich fürchte es.«

»Weshalb? Wenn man betet, so wird man rein wie die Blume; das Gemüth des Menschen schlägt in seine Blüthe aus. Ist es nicht gleich, wie diese Blüthe sich gestalte, ob sie glühendroth sei wie die Sonne, die in's Meer niedersteigt, oder lichtblau wie der Mittagshimmel? Fängt die Rose Hader an mit der Lilie, weil diese weiß blüht und nicht purpurn gleich jener?«

»Ich kann Dir darauf nicht antworten, armes Mädchen,« versetzte da Bojador auf diese Frage Bahnesa's. »Ich kann Dir nur sagen, daß Graf Trautson ein hartnäckiger und eigensinniger Gebieter ist. Aber Du weißt, daß ich Dein Freund bin, daß es mein lebhaftes Verlangen ist, Deine Wünsche zu erfüllen, die Dich in Dein Heimathland zurückziehen, und daß ich Alles aufbieten werde, um Deine Freiheit zu erwirken. Dagegen hast Du versprochen, mir folgsam zu sein und Alles zu thun, was ich Dir heiße, ohne nach dem Warum zu fragen!«

»Du weißt, daß ich Dir vertraue!« antwortete Bahnesa.

»Ich verdiene Dein Vertrauen – Du wirst es inne werden.«

»Und der lächerliche kleine Mann, den ich auf Dein Geheiß meine Hand küssen lassen mußte?«

»Der kleine Mann, so lächerlich er ist, hat des Kaisers Ohr, und nun Du seine Gunst gewonnen, ist schon viel erreicht, holdes Kind. Aber wir müssen noch andere Männer, die dem Kaiser nahe stehen, gewinnen, daß sie für Dich beim Herrscher bitten. Wie ich sie geneigt dazu mache, das ist Tag und Nacht der Gegenstand meines Sinnens. Denn Tag und Nacht, das glaube mir, Bahnesa, bist Du der Gedanke, der mich begleitet. Noch steht bei mir kein Plan fest. Wenn es aber sein sollte, daß Herren dieses Hofes zu Dir kämen, so kannst Du annehmen, daß ich sie gesandt habe und Du wirst ihnen freundlich entgegenkommen, hörst Du?«

»Habe ich nicht dem kleinen Mann gegenüber gethan, was Du mich hießest?«

»Das hast Du. Er glaubt jetzt, Du liebst ihn und wird durch Feuer und Flammen für Dich gehen,« antwortete da Bojador lachend.

»Aber das ist nicht die Wahrheit!« fiel Bahnesa erröthend und beinahe zornig ein.

»Mein gutes Kind, auf die Wahrheit kommt es hier nicht an; wenn man etwas durchsetzen will, muß man die Mittel, die zum Zweck führen, gebrauchen, nicht lange betrachten!«

Bahnesa schüttelte ihren feinen griechischen Kopf, aber sie unterdrückte die Entgegnung, welche auf ihrer Lippe schwebte. Sie wollte ihren Freund nicht durch Vorwürfe kränken.

Ihre ganze Hoffnung beruhte auf ihm. Seitdem er sie zum ersten Male gesehen, hatte da Bojador fast täglich unter der habgierigen Frau Afra schuldvoller Nachsicht im Pavillon Trautson's Besuche gemacht. Dabei hatte er so listig und so beredt seine Freundschaft, seine innige und uneigennützige Theilnahme an Bahnesa's Loose zu schildern gewußt, daß auch Jemand, der mehr Welterfahrung und Menschenkenntniß besessen, als das arme Griechenmädden, dadurch getäuscht worden wäre. Sie war überzeugt, daß all' sein Dichten und sein Trachten darauf gerichtet sei, ihr die Freiheit und die Erlaubniß zu verschaffen, in ihr Heimathland zurückzukehren. Daß er auf's Edelmüthigste nichts Anderes beabsichtige, hatte er ihr hundertmal geschworen, ja er hatte es auch dadurch bewiesen, daß er ihr bereits die Geldsummen gezeigt, welche er ihr zum Geschenk für die Reisekosten bestimmt, so bald er die Nachricht, daß sie frei sei, bringen könne.

Wie er diese Freiheit für sie erwirken wolle, darüber hatte Bahnesa keine bestimmten Vorstellungen. Sie wußte nur aus seinem Munde, daß Graf Trautson ein mächtiger Vezier des Kaisers sei, und daß es nicht leicht sein werde, einen Befehl des Kaisers an diesen zu erwirken, seine Gefangene frei zu geben. Das, hatte nämlich da Bojador ihr gesagt, sei der einzige Weg, ihre Freilassung zu erwirken, und um auf diesem Wege Erfolg zu haben, müsse er bemüht sein, ihr noch einige Freunde zu gewinnen, welche seine Absicht unterstützten. Alles übrige überließ sie ihm, der ihr vom Himmel gesandt schien, ihre unverloschene Sehnsucht, zu ihrer hellenischen Muttererde zurückzukehren, endlich zu stillen.

Sie verträumte unterdeß ihre Tage, indem sie sich die Bilder ihrer frühesten Kindheit, so viel davon in ihrem Gedächtnisse haften geblieben, heraufbeschwor. Sie hatte sich nicht gerade unglücklich gefühlt in ihrer früheren Lebenslage. In dem Harem eines türkischen Großen auferzogen, wo der üppigste Reichthum sie umgab, wohin die Vorstellungen von Arbeit, Mühe, Sorge nie gedrungen, wo nichts auftauchte, ihre Intelligenz zu wecken und auszubilden, hatte ihr auch der Gedanke nicht nahe treten können, daß es eine andere und würdigere Bestimmung für sie geben könne, als die, welche Muhamed's Gesetz und moslemitische Sitte der Frau bestimmen.

Und doch hatte sie ein unbestimmtes Sehnen zurück in die Freiheit, in die Heimath, in sich gefühlt, das mit den Jahren nur gewachsen war. Sie hatte es gehegt, bis es wie eine süße und sanfte Schwermuth sich über alle Regungen ihres Geistes gelegt. Daß dieses Gefühl nicht mehr, daß es nicht zu einem stachelnden Verlangen, zu einer verzehrenden Bein geworden, das hatte wohl am meisten der Umstand verhütet, daß nicht die mindeste Hoffnung auf eine Erfüllung sich zu dieser Sehnsucht gesellte, woran sie hätte erstarken können.

Aber jetzt war dies anders geworden. Seit Bahnesa mit ihren beiden Schicksalsgefährtinnen trotz der Escorte, welche sie auf das Geheiß des Pascha Suleyman von Widdin nach Nissa überführen sollte, durch ein österreichisches Recognoscirungscorps aufgehoben worden war, seit sie sich in den Händen christlicher Glaubensgenossen befand, mußte ihr die Hoffnung der Freiheit aufleuchten. Seitdem standen die Bilder ihrer Kindheit auch mit verdoppeltem Glanze vor ihrer Seele.

Sie gedachte der kleinen weißen Siedelei mit dem von Rebenlaub überdachten Treppenvorsprung, worin die Tage ihrer ersten Jugend so friedlich verflossen; sie gedachte des Baumhofs daneben, wo unter dem Schatten eines alten breitgipfeligen Maulbeerbaums ihre Mutter so emsig die Spindel gedreht, während sie selbst sich im Grase getummelt zwischen den Lämmern und der kleinen Ziegenheerde ihres Vaters. Sie gedachte des blauen unendlichen Meeres, über das so oft die Blitze ihres fröhlich leuchtenden Kinderauges geflogen, wenn sie um die Abendstunde die Felsen, die über der elterlichen Hütte emporragten, erstiegen und wenn die Sonne durch golden flammende Wolken in die purpurn aufglühende Fluth des jonischen Meeres niedergesunken. Sie gedachte des Vaters und der älteren Brüder, denen sie beigestanden Trauben zu lesen an den Halden und Hängen der Berge; denen sie entgegengesprungen, wenn die Männer im leichten, von der Brandung geschaukelten Kahn vom Fischfang zurückkehrten an das Gestade ihrer heimathlichen Insel. Sie gedachte alles Dessen, dachte sein mit der Hoffnung der Rückkehr, und unbezwingbar wurde plötzlich ihre Sehnsucht nach dieser heimathlichen Insel in dem purpurnen Meere, mit dem blauen Himmel Joniens darüber.

Wie segnete sie nun die Stunden, wo sie von einer der Frauen des Pascha's Suleyman, welche fertig die im Orient weit verbreitete italienische Sprache redete, sich lernbegierig in einem Idiome unterrichten lassen, das ihr jetzt möglich machte, sich mit einem Beschützer zu verständigen, den ihr so offenbar der Himmel gesandt zu haben schien!


Achtes Capitel.
Von dem Spanier und seiner Freundin.

Am folgenden Tage hatte der Theil des Hofgesindes Sr. apostolischen Majestät, welcher durch seine Stellung das beneidenswerthe Vorrecht genoß, in alle Ereignisse des innern Familienlebens des Kaiserhauses eingeweiht zu werden, eine höchst wichtige Neuigkeit zu verarbeiten. Bei dem Lever hatte der Kaiser in auffallender Weise dem jungen Herzog von Lothringen seine allerhöchste Ungnade zu erkennen gegeben; Majestät hatten dessen Frage nach dem durchlauchtigsten Befinden gar nicht zu erwidern geruht, und dem jungen Prinzen sodann in sehr ausdruckvoller und expressiver Art den Rücken zuzuwenden befunden.

Aber noch mehr: es waren auch Stimmen laut geworden – doch nein, laut geworden waren sie nicht; es waren nur flüsternde Stimmen gewesen, die es behauptet hatten – leise raunende Stimmen, die hatten zu verstehen gegeben, daß die älteste Erzherzogin mit ihrem Durchlauchtigsten Vater eine Zwiesprache in der Morgenstunde, gleich nach dem Lever, gehabt und daß, als sie aus den innern Appartements »auf der Seite des Kaisers« wieder heraus gekommen, um ihre schönen blauen, sonst so stolz und muthig leuchtenden Augen ein röthlicher Schimmer gelegen; und daß sie doch, als sie sich am heutigen Morgen erhoben, von diesem bedeutsamen rothen Schimmer noch so frei gewesen, wie an dem fröhlichsten Tage ihres gottgesegneten und glückgekrönten Lebens.

Wenn nun auch, in den hastig gezischelten Unterhaltungen der Hofleute und Damen über diesen merkwürdigen Umstand, von manchen Stimmen der schwer wiegende Einwurf erhoben wurde, daß diese auffallende Röthe ihren Grund in einer katharrhalischen Affection haben könne, so stand doch fest, daß der Leibarzt der Erzherzoginnen zu einer Consultation am heutigen Tage nicht berufen sei; und somit war allen den Vermuthungen und Deutungen freier Lauf gegeben, welche sich im Kreise der Hofgenossen naturgemäß an das merkwürdige Zusammentreffen zweier so inhaltschwerer Thatsachen knüpfen mußten.

Was konnte der junge, durch die allerhöchste Gunst bisher unveränderlich und unwandelbar ausgezeichnete Herzog verbrochen haben, daß er des Kaisers Wohlwollen so plötzlich verloren? Was konnte der Kaiser seiner geliebten Tochter mitgetheilt haben, daß sie Spuren einer so ungewöhnlichen Gemüthserschütterung verrathen, wie sie Niemand bislang an ihr bemerkt zu haben sich erinnerte? Standen die beiden Ereignisse in unmittelbarem Zusammenhang?

Gewiß war es kein übereilter Schluß, wenn man diese Frage kühn mit einem Ja sich beantwortete. Dann aber durfte man auch bei diesem Schlusse nicht stehen bleiben. Noch andere Schlußfolgerungen ergaben sich dann, – zunächst die, daß es mit Franz Stephan von Lothringen's Hoffnungen und Aussichten schlecht stehen müsse: und in zweiter Reihe die, daß es doch nicht schlecht damit stehen könne, wenn er oder Etwas, das ihn beträfe, im Stande sei, die Wimpern Derjenigen zu röthen, um deren Neigung er sich bewarb.

Daß sie seinetwillen Thränen vergossen, das konnte sicherlich kein anderer der Bewerber um die Hand Maria Theresen's von sich behaupten! Das war aber auch etwas, was einen vorsichtigen Hofmann wohl zum Nachdenken bewegen konnte; und vielleicht lag darin der Schlüssel der sonst räthselhaften Erscheinung, daß trotz der Leverscene vom heutigen Morgen dennoch keiner der Herren, welche die Umgebung der allerhöchsten und höchsten Herrschaften bildeten, es heute an dem unterthänigen Empressement und der respectvollen Dienstbeflissenheit fehlen ließ, welche sie dem jungen Herzoge immer und allezeit an den Tag zu legen bestrebt waren!

Um die zehnte Stunde des Vormittags etwa begegneten sich der Viconde da Bojador y Roccaberti und Gräfin Juliane Bolagno in einem der Gemächer der Favorita.

Sie blickte ihn lange an, mit einem fragenden Blick, mit einem feinen Lächeln um die rothen, schwellenden Lippen. Da Bojador hielt diesen stummen Blick aus, ohne zu reden; nur blitzte ein stiller Triumph in den dunklen Augen, mit denen er den ihren begegnete.

»Nun?« sagte sie endlich.

»Ich hoffe, Sie sind mit mir zufrieden, Juliane!« entgegnete der Viconde flüsternd.

»Ist das – in der That, ist es Ihr Werk, ingenioso Hidalgo

»Zweifeln Sie daran?«

»Wenn Sie es mir versichern, – nein!«

»So versichere ich es Ihnen, Gräfin!«

»Aber sagen Sie mir um's Himmels willen, wie haben Sie es angefangen, – was ist eigentlich vorgefallen, – was hat der Kaiser wider unsern poverino? Und die Erzherzogin in Thränen, – wahrhaftig, Viconde, wenn das Alles Ihr Werk ist, so beuge ich mich vor Ihnen, so bewundere ich Sie, so –«

»Nun, sprechen Sie es aus, Gräfin Juliane, Sie Stern meines Herzens …«

»So könnt' ich beinahe unserm heilig und theuer besiegelten Pacte untreu werden!«

»Ah,« rief der Viconde da Bojador aus, und indem er rasch die Hand der schönen Gräfin erfaßte, drückte er einen glühenden Kuß darauf.

»Sie meinen doch den Artikel unseres Vertrages, welcher gewisse rosenfarbene, zärtliche, nur von einem grausamen und erbarmungslosen Herzen mit dem Bann belegte Gefühle ausschließt, meine allerholdseligste Contessa?«

Sie nickte erröthend.

»Nun, bei dem Worte halte ich Sie,« sagte der Spanier, indem er versuchte, sie sanft an sich zu ziehen.

»Gemach, mein übermüthiger Senhor,« rief die Dame aus, sich ihm entwindend und einigermaßen entsetzt über ein Beginnen, welches für ihre bauschigen Röcke, für den zierlichen Toupeebau ihrer Haares von den verhängnißvollsten Folgen hätte werden müssen. »So weit sind wir nicht. Ich habe gesagt: so könnt' ich beinahe unserm Pacte untreu werden, und dieses So hing von einem Wenn ab: wenn dies Alles Ihr Werk ist!«

»Wer hätte jemals bei einer Dame so viel systematische Philologie gesucht?!« scherzte da Bojador.

»Vielleicht finden Sie noch manches Andere, was Sie nicht in mir gesucht haben, – lassen Sie es sich gesagt sein!« antwortete Juliane lächelnd. »Aber bleiben wir bei der Sache –«

»Das heißt, bei der Liebe; Sie haben Recht, schöne Juliane,« fiel da Bojador ein, indem er die Gräfin noch einmal an sich zu ziehen versuchte, »ich bin völlig mit Ihnen einverstanden, bleiben wir bei ihr stehen.«

Juliane Bolagno gab ihm einen ziemlich fühlbaren Schlag mit ihrem Fächer.

»Was strafen Sie mich, zürnende Juno, – ist die Liebe nicht die Sache, die eigentliche, die einzige, die Hauptsache bei den Frauen?«

Sie wandte sich schmollend ab, als wenn sie sich entfernen wollte.

»Sie sind von Ihrem kleinen Erfolg so schwindlig geworden, mein unternehmender Senhor,« sagte sie, »daß ich vorziehe, Sie da stehen zu lassen; es wäre denn, Sie versprächen mir, von nun an vernünftig zu werden und mir einfach, mit all' der Ehrfurcht in Blick und Haltung, welche einem wohlgezogenen Ritter seiner Dame gegenüber zukommt, Rechenschaft abzulegen.«

»Man darf niemals jemand anders in sein Spiel blicken lassen – das ist eine alte Regel!«

»Den Gegner nicht – aber ich meine, wir spielten zusammen, auf halb Part!«

»Halb Part? Haben Sie überlegt, was Sie sagen, holde Juliane? Halb Part gilt bei Gewinn und auch – bei Verlust!«

»Bei Verlust? Nein. Das wissen Sie ja, wenn Sie die Partie verlieren, so habe ich nichts damit zu schaffen, nichts mit dem Spiel und nichts mit dem Spieler!« antwortete lachend die Gräfin.

»Also vollständig wie der Löwe treten Sie in die Gesellschaft. Und da ich längst weiß, daß Sie ein Tigerherz, haben, …«

»Lassen Sie diese Complimente aus dem Thierreich, bis wir einmal in die Menagerie zu Schönbrunn kommen, denn hier ist meine Phantasie nicht stark genug, sich all' die Ungeheuer vorzustellen, mit welchen ich mich revanchiren könnte. Entschlüpfen Sie mir nicht immer, sondern sprechen Sie endlich.«

»Rede ich nicht in Einem fort, um Sie in dem glücklichen und dreimal gesegneten Vorhaben zu bestärken, den verhängnißvollsten Artikel unsres Pacts zu beseitigen? Was kann ich mehr thun? Soll ich Ihnen auf den Knien schwören, daß ich der Glücklichste aller Sterblichen dadurch würde?«

»Ganz wie Ihnen beliebt,« versetzte Gräfin Juliane spöttisch. »Zieht ihr Gefühl Sie auf die Knie, so bin ich die letzte, welche so unbescheiden wäre, von Ihnen zu verlangen, daß Sie dem Drange Ihres Herzens Gewalt anthun sollen. Sie können aber auch stehen bleiben, wenn es Ihrem stolzen castilianischen Knie Ueberwindung kostet, sich zu beugen. Die Hauptsache ist, daß Sie meine Neugier nicht länger auf die Folter spannen. Beichten Sie. Was haben Sie eingefädelt? Weshalb zürnt der Kaiser auf Lothringen, was kann er der Erzherzogin gesagt haben, das dieser Thränen auspreßte?«

»Halb Part auf Gewinn und auf Verlust?«

»Nein!«

»So rede ich auch nicht!« antwortete da Bojador.

»Aber wenn ich vor Begierde brenne, dies Wie zu erfahren? Wenn ich nicht allein darum bitte –«

»Bitten Sie nicht. Ich könnte die Bitte nicht erfüllen.«

»Und weshalb nicht, wenn es Ihnen gefällig ist?« entgegnete die Gräfin ernstlich gereizt.

»Weil ich es mir geschworen – weil ich den Aberglauben habe, daß kein Plan gelingt, von dem man vor dem Endergebniß plaudert – weil –«

In diesem Augenblick wurde das Zwiegespräch des seltsamen Paares unterbrochen. Die Flügelthür des Gemachs wurde sehr geräuschvoll geöffnet und Baron Klein trat ein, mit den auf hohen rothen Absätzen ruhenden Schuhen krächzend wie ein ganzes Nest voll junger Staare.

»Herr Viconde – der Kaiser verlangt nach Ihnen!« sagte er.

Da Bojador schien diese Unterbrechung durchaus nicht unangenehm. Er machte eine tiefe Verbeugung vor der Gebieterin seines Herzens und verließ rasch, von dem Baron geleitet, das Gemach.

Die Züge der schönen Gräfin entstellten sich durch einen Ausbruch von bitterbösem Aerger, während sie dem schnell davon Eilenden nachblickte.

»Welch' triumphirend spöttisches Lächeln aus seinen Augen blitzte, daß er mir so durchgehen konnte,« sagte sie für sich. »O mein Herr Viconde, ich finde Sie impertinent übermüthig geworden, und das verlangt eine Züchtigung ernster Art. Ja, glauben Sie, mein stolzer Senhor, ich werde Mittel finden zu dieser Züchtigung.«

Damit verließ auch Juliane das Gemach, um sich in ihr Zimmer, das zu den Apartements der Erzherzogin gehörte, zurückzuziehen.

Sie fühlte sich tief verletzt. Ihre weibliche Eitelkeit war grausam verwundet. Sie grübelte darüber, auf welche Weise sie da Bojador es empfinden lassen solle, wie schmerzlich seine Zurückhaltung den Gegenstand seiner Anbetung kränke. Ein Plan nach dem andern wurde gemacht und verworfen, während sie wie die zürnende Juno, welcher der Spanier sie verglichen hatte, in ihrem Wohnzimmer auf- und abschritt.

Sie blieb zuletzt bei dem stehen, was einer gereizten Frauenseele bei solchen Gelegenheiten immer das nächstliegende sein wird. Sie wollte ihn eifersüchtig machen. Eifersüchtig in der That, war das nicht auch das Empfindlichste, was sich für einen Spanier ersinnen ließ? Keine Frage – an seiner wundesten Stelle mußte das ihn fassen – es kam nur auf ein passendes und unschädliches Individuum an, welches sich gutmüthig als Strafinstrument für den Herrn Viconde da Bojador verwenden ließ.

Juliane Bolagno dachte an den jungen Clam-Gallas, den sie oft bei Hofe sah, weil er Jagdjunker war; an den Lieutenant in der Arcieren-Leibwache, den Grafen Chotek, der so schwärmerische blaue Augen hatte, welche gewiß nichts besseres verlangten, als den kokettirenden Blicken eines Hoffräuleins zu begegnen, wenn er, während der Kaiser tafelte, säulengleich unbeweglich mit seinem Esponton neben dem Büffet paradirte. Clam-Gallas freilich war hübscher und amusanter – er hatte eine Zunge, welche sich für die Augenblicke, wo die Gegenwart des allerhöchsten Hofes und der Respect sie band, durch eine wunderbare Geläufigkeit zu entschädigen wußte, sobald er nicht im Dienste war. Allerlei lustige Bonmots von ihm gingen unter den Hoffräulein um; einige von den letzteren schienen auch sehr tief und genau in gewisse Pagenstreiche eingeweiht, die man ihm nachsagte – aber gerade deshalb schien dies Terrain etwas bedenklich. Man wußte ja nicht, ob man nicht in ein bereits occupirtes Gebiet sich verirrte, in welchem unbekannte Gefahren lauerten! Und bei Chotek war das am Ende nicht viel anders – Chotek's blaue Augen waren in der That viel zu schwärmerisch, als daß sie nicht längst irgend eine magnetische Kraft auf die Herzensregungen einer eindrucksfähigen jungen Dame hätten üben sollen! – Gräfin Juliane Bolagno verwarf sie endlich beide.

Sie beschloß, die Sache lediglich dem Zufall anheim zu stellen. Sie beschloß, mit dem ersten besten Cavalier, der ihr in Gegenwart da Bojador's eine Aufmerksamkeit erweisen werde, auf das augenscheinlichste zu kokettiren! Das, dachte sie, werde hinreichen, ihn zu strafen und ihn dahin zu bringen, Alles, auch seine Geheimnisse daran zu wenden, um nur ihre Gunst wieder zu erlangen.


Neuntes Capitel.
Vom Grafen Veit Trautson.

Als der Viconde da Bojador an der Seite des Barons Klein das Gemach verlassen hatte, worin er eben die Unterredung mit der Gräfin Juliane gehabt, hielt ihn der kleine Mann am Aermel fest.

»Ich habe den Kaiser noch gestern Abend gesprochen,« flüsterte er, sich auf den Zehenspitzen erhebend, um des Spaniers Ohr zu erreichen, und mit einem eigenthümlichen Spiel seiner sehr beweglichen Gesichtsmuskeln.

Da Bojador nickte ihm lächelnd zu.

»So ist's recht, Klein,« erwiderte er – »ich wußte ja, daß Sie nicht viel Umschweife machen würden. Und was sagte der Kaiser?«

»Sie machten ein äußerst ungnädiges Gesicht, die Majestät, blickten mich eine Zeitlang mit gerunzelter Stirn an und dann geruhten Sie huldreichst zu sagen:

›Woher weiß Er das, Knirps?‹

›Majestät, ich habe die Türkinnen in Trautson's Pavillon mit meinen eigenen Augen gesehen,‹ antwortete ich.

Darauf wandten sich Seine Majestät ab, schauten eine Weile stumm durch's Fenster, kamen dann zurück, durchbohrten mich wieder allergnädigst mit ihren Blicken und geruhten endlich huldreichst mich mit den Worten zu entlassen:

›Scher' Er sich fort, Klein. Halt Er's Maul. Will nichts wissen. Was, packt Er sich nicht?‹«

»Vortrefflich,« versetzte da Bojador. »Also der Kaiser wurde offenbar betroffen, und dann eben so offenbar zornig?«

Der Kleine nickte mit dem Kopfe.

»Offenbar,« sagte er. »Der lockere Zeisig …«

»Wenn Sie von Zeisig reden, so hat man darunter wohl einen gewissen anderen lustigen Vogel zu verstehen?«

»Das hat man,« antwortete Klein lachend. »Sie dürfen dabei auch an eine hochfliegende, lothringische Lerche Fünf Lerchen bilden das Wappen von Lothringen. denken – also die Lerche oder der Zeisig – es ist all' eins – wird es erfahren haben. Ich denke, die Passage ist frei von heute an, in den Pavillon der Schönheit und des Entzückens! Sehe ich heute endlich – Sie wissen, wen ich meine?«

»Teufel, Klein, Sie gehen mit wahrhaft unwiderstehlicher Verwegenheit im Sturm auf Ihr Ziel los« versetzte da Bojador und schien einer directeren Antwort ausweichen zu wollen, denn er schritt, um in die Gemächer des Kaisers zu kommen, so eilig daher, daß sich Klein mit seinen kurzen Beinchen längst in Trab gesetzt hatte, um ihm nur zur Seite zu bleiben. –

Klein hielt ihn endlich verschnaufend am Arme zurück.

»Nun, antworten Sie mir, Senhor Viconde. Heute Abend, hoffe ich, führen Sie mich ein bei der himmlischen Schönheit, daß ich ihr meine Huldigungen darbringe. Mein Anzug ist parat. Ich habe einen Capitalmenschen von Schneider. Er hat die ganze Nacht durch gearbeitet.«

»Der arme Schneider! Hatte es denn solche Eile?« fragte da Bojador spöttisch.

»Soll ich mich etwa noch länger gedulden? Keinen Tag mehr, keine Stunde mehr, das schwöre ich Ihnen.«

»Sie verlangen unmögliche Dinge! lassen Sie mich jetzt. Sie wissen, daß ich die höchste Eile habe, weil der Kaiser mich befohlen hat!«

Und damit schritt der Viconde da Bojador durch das letzte der Gemächer, durch welche ihn sein Weg führte, einer kleinen offenstehenden Säulenrotunde zu, welche unmittelbar vor dem Wohngemach des Kaisers sich befand. Sie diente einem Hartschier, der hier auf Posten stand, zum Aufenthalt, gewöhnlich auch einem Paar Officianten, Ordonnanzofficieren niedern Ranges und einem oder dem andern Bediensteten. Zur Linken von dieser Rotunde aus, öffnete sich eine Thüre, welche in das Gemach der Kammerherren, der den Dienst habenden Officiere, der Hartschier- und Trabanten-Wache und der aufwartenden Pagen führte. Rechts von der Säulenhalle blickte man durch eine rundbogige unverschlossene Oeffnung in einen Corridor hinab, an dessen Ende eine Treppe zur Erleichterung des Dienstes, » un escalier de service,« in das untere Stockwerk führte.

In dem Vorgemach, durch welches da Bojador, aus dem Innern des Schlosses kommend, mit Klein schritt, ging ein Stabelmeister in schwarzer Tracht, den Degen an der Seite und den silberbeschlagenen Ebenholzstab in der Hand, seines Dienstes wartend, auf und ab. Da Bojador hatte als wirklicher, im Dienst befindlicher Kämmerer das Recht, von dem Vorgemach der Kammerherren und Pagen aus, unangemeldet in die Wohnräume der Majestät zu treten. Der Stabelmeister beachtete ihn deshalb nicht; dem kleinen Baron gab er jedoch einen Wink mit seinem Stabe.

»Nicht eintreten!« sagte er mit einem befehlerischen Tone, der genugsam andeutete, daß Baron Klein sich einer nennenswerthen Hochachtung von Seiten des subalternen Hofgesindes entweder nie erfreut oder daß er sie längst entschieden verscherzt hatte.

»Lassen's mich ein, Herr von Lederer,« versetzte Klein, »ich habe dem Kaiser etwas zu sagen.«

»Der Kaiser will aber nichts von Ihm hören!« entgegnete doppelsinnig der Herr von Lederer.

Klein ergab sich in sein Schicksal; mit Herrn von Lederer war, wenn er sein letztes Wort gesprochen, nicht zu spaßen, und sein Amtsstab war ein gefürchtetes Ding. » Les petites entrées« zu allen Tagesstunden und Zeiten hatte der kleine Baron ja nicht; so machte er denn gute Miene zum üblen Spiel und wandelte in dem Vorgemach des Stabelmeisters auf und ab, um mit da Bojador weiter zu reden, sobald dieser vom Kaiser zurückkomme. Er hätte in das Vorzimmer der Kämmerer treten und dort eine heitrere und anregsamere Gesellschaft finden können, als die des Herrn Stabelmeisters; aber er liebte diese gewöhnlich von einigen Pagen bevölkerte Region nicht; der Muthwille der jungen Leute war durch die Nähe der Majestät wohl ein wenig gedämpft, aber nicht erstickt, und Baron Klein hatte Beispiele erfahren, welche ihm den Umgang mit ihnen überall nicht wünschenswerth erscheinen ließen.

So setzte er sich endlich still in eine Ecke, auf die an der Estrichwand entlang laufende Bank, und ließ seine Beinchen hin und her baumeln, bei welcher Unterhaltung er den Vortheil genoß, daß sie nicht die Länge hatten, um in eine hinderliche Reibung mit dem Fußboden zu gerathen.

»Herr von Lederer,« begann er nach einer Weile, als er dieser Beschäftigung und des Schweigens überdrüssig wurde.

»Was schaffen's, Herr von Klein?«

»Wie befindet sich die Frau Eheliebste?«

»Dank für die gütige Nachfrage. So passabel.«

»Ich glaub', Herr von Lederer, Sie haben ein Söhnlein!«

»A Sohn? Ach was, zwo san's!«

»Zwei? Schau, schau! Der Herr Lederer! Groß?«

»Nit gar. Ihnen bis unter d'Achsel gehen's schon!«

»Nun, Herr von Lederer, wenn sie nur so groß werden wie ich, kommen sie schon durch die Welt.«

»Ja, durch die Welt kommt man freili besser, wann man so groß ist wie der Herr von Klein. Denn findet man kein Nachtquartier auf der Reis' – ei, so nimmt man seine Tabaksdosen und legt sich hinein – da hat man gleich a Bettstatt!«

Klein überhörte großmüthig den Witz des Stabelmeisters.

»Auf die Kindtauf hätten's mich aber laden können, Herr von Lederer!« fuhr er fort.

»I, du mein, da hätten's just noch gefehlt! Nicht ausgekännt hätt' man sich und d' Wartfrau hätt' Sie am Ende auch noch dem Herrn Pfarr' zum Taufen vorgehalten!

»Hören Sie auf, Herr von Lederer, mit den schlechten Späßen. Ich sage Ihnen, es schadet nichts, wenn man ein paar Zoll weniger hat, wie die andern Leute. Die kleinsten sind oft die gescheutesten. Ich und der Prinz Eugenio sind zwar nicht so lang, wie der große Riese Schlagododro In Karl Immermanns ›Tulifäntchen‹ (1830) raubt der drollige-täppische jungfräuliche Riese Schlagododro, Ungeschlachts Sohn, eine Prinzessin, um bei ihr Unterricht in Französisch und antiker Mythologie zu nehmen. Anm.d.Hrsg., den man in Regensburg an die Wand gemalt hat. Aber gute Köpfe sind wir doch, Herr von Lederer, das lassen Sie sich nur sagen!«

»Sie und der Prinz Eugenio?! Nun ja, einen kleinen Verdruß haben's alle Beid', das ist richtig; und wenn die Gescheutheit darin sitzt, dann möchten's am End' freili noch ein klügerer Herr sein als der Prinz.«

»Von der Klugheit will ich nicht reden, Herr Stabelmeister,« fuhr Klein fort, indem er durch imponirende Haltung und Ton der Rede die Neigung des Herrn von Lederer, schlechte Späße zu machen, zu unterdrücken suchte. »Bei dem Mann kommt es auf die Tapferkeit an. Darauf allein kommt es an. Sehen Sie, mein Herr von Lederer, als wir Belgrad stürmten, da hätten Sie mich sehen müssen.«

»Waren's denn dabei? Sie?«

»Nun gewiß war ich dabei. Der erste auf den Mauern wär' ich gewesen– aber das wußte man wohl voraus und weil man mir es nicht gönnte, hatte man die Sprossen an den Sturmleitern so verdammt weit auseinander gemacht, daß ich nicht hinauf konnte! Ja, ja, sie wußten wohl, wer sonst zuerst oben gewesen wäre!«

»Nun lassen's mich aus, Herr von Klein. Sie san a Windmacher, san's; nimmt mich halt Wunder, daß Sie nicht längst schon weggeweht sind von Ihrem eigenen Wind!«

Der tapfere Baron zuckte die Achseln und begann den Herrn von Lederer durch sein Schweigen zu strafen.

Indessen hatte da Bojador das Wohngemach des Kaisers betreten. Dasselbe war charakteristisch für die Persönlichkeit seines Inhabers. Es war ziemlich geräumig, nicht sehr hoch, wie es alle Gemächer in der Favorita nicht waren, kühl, und durch breite, schwere Fenstervorhänge von gepreßtem Leder, mit großen goldenen Blumen darauf, stark verdunkelt. Auch die Wände waren mit braunen Ledertapeten bekleidet; dieses Vorherrschen einer dunklen Farbe erstreckte sich bis auf die zwei großen Gemälde, die einander gegenüber an den Wänden hingen und biblische Vorgänge darstellten. Sie gehörten nämlich der spanischen Schule an, jener durch ihre auffallende Vorliebe für düstere Tinten bekannten Kunstrichtung, der wir die schwarzen Zurbarans und Ribeiras verdanken. Die Rahmen bestanden aus geschnitztem und dunkel gebeiztem Eichenholz; eben so waren alle Möbel, die Tische, die Sessel mit den hohen Rückenlehnen, das mit schwarzbraunem Leder überzogene Ruhebett, die wuchtigen Tischgestelle mit den schweren Marmorplatten darauf, aus dunklem und einfach gebeiztem Eichenholze verfertigt. Das schöne und kunstreiche Schnitzwerk war der einzige Schmuck aller dieser Geräthe. Vergoldungen, glänzende Farben fehlten; der Fußboden war ohne Teppich, jetzt, wie er es auch im Winter in den kaiserlichen Appartements war.

Kaiser Karl der Sechste stand in der Mitte des Raumes, neben einem mit Papieren, Schreibmaterialien, Büchern bedeckten Tische; sein Aeußeres haben wir bereits beschrieben. Er war eine Gestalt von mittlerer Größe, aber nicht mehr schmal von Leib und Beinen, wie ihn einst ein Zeitgenosse beschrieb, der ihn in seiner Jugend sah. Nun war er zu einer ansehnlichen Fülle gediehen; sein Gesicht war lang, die Nase sehr regelmäßig gebildet, fast gerade, das Ganze aber unschön durch die hängenden Wangen und Lippen; die Augenbrauen waren bereits stark mit Grau gemischt, die Augen groß, braun, sehr ruhig, fast ausdrucklos starrend. Ein unerschütterlicher Ernst thronte auf diesem kaiserlichen Antlitz, das ja niemals in seinem Leben sich in die heitern Züge eines Lachenden verzogen haben soll. Die große Alongeperrücke diente nur dazu, ihm noch mehr das Gepräge feierlichen Ernstes und imponirender Würde zu geben. Seine Kleidung, die schwarze spanische Tracht, war ohne weiteren Schmuck, als der Schnallen mit großen Diamanten, welche an den Knien und auf den schwarzen, vorn stumpf abgeschnittenen Schuhen von Corduan glänzten.

Zwei Herren, der eine im reifen Mannesalter, der andere bereits ein vollkommener Greis, standen vor ihm. Der erstere war eine gedrungene, auffallend breitschulterige Gestalt auf kurzen stämmigen Beinen, mit blondem, ungepudertem, natürlichem Haar – d. h. ohne Perrücke – mit einem Gesichte, von dem sich nicht viel Anderes hätte sagen lassen, als daß es ein deutsches, derbes Soldatengesicht sei, wenn ihm nicht eine ganz fabelhaft große und stark geröthete Nase entschieden eine von wenig Sterblichen in diesem Maße getheilte Auszeichnung gegeben hätte. – Er trug Uniform – die noch nicht bis auf's knappste Maß zusammengeschrumpfte Uniform der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, welche noch die vollen Spuren ihrer Abstammung von den kleidsamen und malerischen Soldatentrachten des dreißigjährigen Krieges aufwies, und von jener weißen Farbe, die einst das unterscheidende Merkmal der Truppen katholischer Staaten war.

Der Herr in der Uniform war – der Leser hat ihn längst erkannt – General Graf Veit Trautson, welcher die erste Audienz bei der Majestät hatte, seitdem er von seiner Inspectionsreise im Banat und in den Grenzlanden zurückgekehrt war.

Neben ihm stand eine ganz eigenthümliche und auffallende Persönlichkeit, die, von der wir gesagt haben, daß sie dem völligen Greisenalter angehörte. Es war ein kleiner Mann mit hohem Rücken, eine Gestalt, der man auf den ersten Blick ansah, daß sie irgendwo im Süden daheim sein müsse. Das hagere Gesicht war durch eine merkwürdig lange leicht gekrümmte Nase entstellt und von zarter gelblich brauner Farbe. Die Augen waren schwarz und klein, aber ganz außerordentlich lebhaft; ihr Feuer hatte etwas Durchdringendes, das in der Seele Jedes, der vor ihm stand, schien lesen zu können und wie unwiderstehlich hinein flammte, – ein Flammen, sagte man wenigstens, hätten alle Frauenherzen empfunden, diesem magischen Augenpaar gegenüber – damals, heißt das, als noch die Jugend aus ihm leuchtete!

Mit Ausnahme dieser zauberischen und elektrisirenden Augen verrieth die kleine Gestalt jedoch weder viel Geist, noch irgend etwas Ungewöhnliches. Im Gegentheil, dieses Gesicht mit einer Nase, die an eine Pferdenase erinnerte, sah eigentlich einfältig aus, wenn sich, wie es gewöhnlich der Fall war, die Augen an die Decke hefteten, und die Hand mit hastiger Bewegung einmal über das andere in die Westentasche fuhr, um den Spaniol Spanischer Schnupftabak. – Anm.d.Hrsg. herauszuholen, zu dessen Aufbewahrung die Tasche diente, wie später bei dem großen König von Preußen.

Der Umstand, daß das Aeußere des alten Männleins, genannt »das Capuzinerl,« nicht schöner und einnehmender war, wird unseren Lesern sehr geringfügig erscheinen, und kaum der Mühe werth, daß wir dabei verweilen. Der alte Mann ist seit mehr denn hundert Jahren todt. Er wäre auch heute von der Welt so ziemlich vergessen, wenn nicht dann und wann ein ehrlicher Handwerksbursche, der allein seiner Straße wandelt und sich das Herz mit einem kräftigen deutschen Liede aufzuheitern begehrt, ihn wieder aufleben ließe in den Versen eines kriegerischen Gesanges, dessen derbe Reime aus dem alten dacischen Donaulande herüberklingen, wie das Klirren christlicher Streitäxte und Kolben auf saracenische Schilde, oder krummer Türkenschwerter auf kaiserliche Reiterhelme. Er ist todt, wie der alte Adler mit zwei Köpfen und Karoli Magni Krone auf jedem, der plötzlich wieder so furchtbare Krallen bekommen hatte, als dies alte Männlein ihn in die Hand nahm und im Felde fliegen ließ. Denn dieser alte zerzauste Adler, der auf seinen Schwingen einmal wieder – und zum letzten Male – die ganze Herrlichkeit des heiligen Reiches glänzend und stolz emportrug und wie von frischem jugendlichem Heldenmuth berauscht von Sieg zu Siegen flog – er hätte wohl nie diesen glorreichen Aufschwung genommen, sondern altersschwach die träumenden Augen zum ewigen Schlummer geschlossen, hätte nicht das »Capuzinerl« des Kaisers trutzig Federspiel auf seine Faust genommen und seine Flüge geleitet. Daß aber dies geschah, daran war nichts andres Schuld als daß »das Capuzinerl« eine wahre Pferdenase hatte und die dreisten schwarzen Augen, die auch einem Könige keck und fest in's Gesicht blickten. Daher kam es ja, daß Ludwig XIV. von Frankreich sagte, dies Gesicht sei ihm fatal und daß deshalb »das Capuzinerl« aus Frankreich fort ging mit den Worten: er werde wieder kommen, aber mit dem Degen in der Faust, und daß er darüber der Diener, der Feldherr, der Hort Oesterreichs und des deutschen Reiche wurde.

Das alte Männlein hieß mit seinem richtigen Namen Eugen, Prinz von Savoyen und Piemont, römisch-kaiserlicher General der Infanterie und des heiligen römischen Reichs Feldmarschall. »Das Capuzinerl« nannten ihn seine Soldaten, von wegen des kapuzinerbraunen Ueberrocks, den er zu tragen pflegte, wenn er im Felde war.

Der Kaiser hörte Veit Trautson's Bericht über dessen Dienstreise an. Dieser setzte etwas breit und ruhmredig seine Leistungen auseinander. Karl VI. hörte ihm mit der impassibeln Miene zu, welche bei ihm stereotyp war; um Eugen's Lippen spielte etwas wie ein satyrisches Lächeln. Endlich unterbrach der Kaiser den Redefluß seines Generals:

»Es ist gut, Trautson,« sagte er; »ich danke Ihm.«

Trautson verbeugte sich.

»In gar keine Händel mit den Türken gerathen?« fragte der Kaiser weiter.

»Hab' schon danach ausgeschaut, Majestät – aber war nichts anzustellen – sie hielten sich sauber jenseits.«

»Also hat es auch keine Beute gegeben?«

Bei dieser Frage schien das Auge des Kaisers doppelt ernst auf den berichterstattenden General gerichtet.

»Beute? Nein, Majestät, von Beute war da nichts zu sehen, ausgenommen ein armes Ganserl oder Hähndl, was den Leuten über den Weg lief!«

Der Kaiser nickte Trautson zu, um ihm anzubeuten, daß die Audienz zu Ende. Seine Züge zeigten dabei dieselbe von keinem Anflug von Freundlichkeit erhellte Starrheit; dem Prinzen Eugen, der als Hofkriegsraths-Präsident Trautson zur Audienz begleitet hatte, reichte er die Hand zum Kusse und nickte ihm ein huldvolles: »Behüt' Gott, Euer Liebden!« zu.

Die beiden Kriegsmänner entfernten sich.

Da Bojador hatte während dessen harrend an der Thür gestanden. Auf einen Wink des Kaisers trat er jetzt näher heran.

»Den Dienst heut, Viconde?« fragte Karl VI.

Der Spanier verbeugte sich.

»Wir entheben Ihn dessen. Wir haben einen andern Auftrag für Ihn. Trautson besitzt in der Wieden einen Lustgarten? …«

»Zu Befehl, Majestät,« antwortete der Spanier, nicht ohne all sein Blut zum Herzen zurückströmen zu fühlen und leicht die Farbe zu wechseln.

»Begebe Er sich dahin, Viconde da Bojador. Es ist uns von gewisser, jedennoch nicht ausgemacht zuverlässiger Seite berichtet worden, wie daß in dem Sommerhaus des besagten Lustgartens eine befremdliche und aus der Maßen anstößige Gesellschaft von drei jungen Geschöpfen einquartirt sei, so der Trautson aus dem Grenzlande mit sich herein gebracht, und daß diese Geschöpfe von etzlichen aus den Hofleuten oder andern Cavalieren zu ihrer Kurzweil besucht würden. Sollte ein solches ungehöriges und anstandwidriges, von uns mit höchster Ungnade zu vermerkendes Wesen und Treiben, wie wir doch nicht annehmen mögen, alldorten in Wahrheit bestehen, so würden wir uns gemüssigt finden, ihm ein schnelles Ende zu setzen. Was Maßen aber die Sache uns von einem Individuo zugetragen ist, dem wir Zuverlässigkeit und strikte Genauigkeit seiner Angaben nicht allerdings zuschreiben dürfen – so befehlen wir Ihm, da Bojador, diese Angaben im Stillen und Geheimen zu prüfen, auf daß durch eine offene Untersuchung nicht der Trautson, falls er ungerechter Weise bei uns verschwärzt worden, sich in seiner Ehre gekränkt fühle und uns mit seinen Klagen darüber angehe, wir auch nicht gemüssigt wären, zu seiner Satisfaction, den Denuncianten in scharfempfindlicher Weise zu bestrafen.

Nun gehe Er. Wir haben gnädiglich Ihm dies Commissorium zu übertragen befunden, dieweilen wir Ihn, Viconde, als einen gewandten und verschwiegenen Mann betrachten, der als nicht in unsern hiesigen Erblanden daheim, gegen die andern zu unserm höchsten Hofstaate gehörigen Signori am Besten – und darum wollen wir Ihn denn auch nachdrücklichst ersucht haben – am Besten wird wissen, das Maul zu halten.«

Mit diesen Worten, deren Derbheit vielleicht zum Theil auf Rechnung des Verdrusses kam, den Karl VI. darüber zu empfinden begann, daß er eine so lange Rede halten mußte, um sich verständlich zu machen, nickte er da Bojador das Zeichen, daß er entlassen sei, zu.

Da Bojador verbeugte sich tief:

»Eurer kaiserlichen Majestät danke allerunterthänigst für dies Vertrauen. Könnte schon jetzt die Gnade haben – –«

»Was kann Er schon jetzt?«

»Den Eurer kaiserlichen Majestät submissest gemachten Bericht über diese Affaire dahin zu bestätigen –«

»Bestätigen? Weiß Er von darum? Ist dies Scandalum allbereits ruchbar?«

»Majestät halten allerhuldreichst zu Gnaden, ich kann nur das bestätigen, daß ich selber, zufällig des Weges durch die Wieden daherkommend, vor dem Lusthause Trautson's drei Sänften bemerkt habe, von der Beschaffenheit, wie sich deren das reisende Frauenzimmer bedient.«

»Hat Er? Ei! Ei! –«

»Möglich jedoch, daß es blos dieser Umstand gewesen ist, welcher zu einem, für die Ehre und Reputation eines getreuen und langerprobten Dieners Euerer Majestät nachtheiligen und calumniösen Gerüchte den Anstoß gegeben hat.«

»Nun, das eben geh' Er zu untersuchen, Viconde.«

Damit wiederholte der Kaiser das Zeichen der Entlassung und da Bojador entfernte sich in einem Zustande nicht geringer Aufregung. Eigentlich frohlockte er innerlich – eine bessere, eine glücklichere Wendung, wie diese unverhoffte, hätte die ganze Angelegenheit, die er eingefädelt, ja gar nicht nehmen können: jetzt war sie ganz in seine Hand gelegt – zu dem A, welches er vor Klein gesagt, durfte er nur mit frecher Stirn das B vor dem Kaiser sagen – er durfte nur fallen lassen in seinem zu erstattenden Bericht, daß er den Herzog von Lothringen in Trautson's Sommerhaus ein- und ausgehen sehen, und bei dem ernsten sittenstrengen Monarchen war der junge Fürst für ewig und immerdar als Schwiegersohn unmöglich geworden!

Aber – den Kaiser so frech zu belügen, dazu reichte des Spaniers edle Dreistigkeit doch nicht ganz aus. Es war zu viel verlangt von einem Hofmann, aufgewachsen in Ehrfurcht und Scheu vor der Majestät des gesalbten Herrn und Herrschers! Und mochte er noch so sehr ein weites Gewissen haben, noch so sehr, wenn er mit südlicher Lebhaftigkeit einen Zweck verfolgte, in leichtsinniger Ruchlosigkeit sich der Mühe überheben, den moralischen Charakter der Mittel zu untersuchen, zu welchen er griff: eine freche Lüge vollständig aus dem Aermel zu schütten: eine Lüge, welche einem so hochstehenden, untadeligen, bisher von der vollen Sonne der kaiserlichen Huld und Gnade beschienenen jungen Fürsten das Leben vergiften, die gehoffte Zukunft verderben, ihm vielleicht, wenn er die Dame seines Herzens, der er »diente« – wie der chevalereske Ausdruck der Ritterzeiten war – aufrichtig und wirklich liebte, das Herz brechen mußte – nein, so hoch verstieg sich da Bojador's unternehmende Keckheit nicht.

D'arte et inganno
Si vive mezzo l'anno;
D'inganno et arte
Si vive l'altera parte,

sagt Macchiavelli und der Viconde war ganz der Mann dazu, solchen trefflichen Spruch als seine Wappendevise anzunehmen. Aber hätte er auch die nöthige Kühnheit besessen – er mußte sich sagen, daß es unklug, weil gefährlich sei, so zu handeln.

Bei der Art und Weise, wie er seine Intrigue eingefädelt, hatte er bis jetzt eine Deckung und einen schützenden Schild an der halben Verrücktheit Klein's gehabt. Auf Klein hätte er bei einem üblen Ausgange Alles wälzen können – Klein war ein Aufschneider, ein Lügner, Klein zu mystificiren war allgemeines Privilegium des gesammten kaiserlichen Hofhalts bis auf den Ofenheizer und den Parketreiber hinab. Jetzt aber würde der Viconde für eigene Rechnung und Verantwortlichkeit gehandelt haben. Welche Ausrede gab es für ihn, wenn er über das Ergebniß seiner Untersuchung dem Kaiser einen unwahren Bericht abstattete, und wenn hinterher auf irgend eine Weise entdeckt würde, wie er das allerhöchste Vertrauen schmachvoll mißbraucht habe?

Nein – er konnte es nicht wagen. Die Sache mußte vorsichtiger angefangen, es mußte die Bestätigung der Anklagen Klein's durch eine dritte Person vor den Kaiser gebracht werden. Wer aber sollte dies sein? Wer war noch da, der im Stande, sich so leicht und schnell wie Klein durch den Schein täuschen zu lassen und darauf hin zum Denuncianten zu werden?

Wie die Aufgabe zu lösen, darüber hätte der Spanier gar zu gern sich Raths erholt bei seiner frommen Taube, der listigen Schlange Juliane Bolagno. Aber was hätte die fromme Taube zu seiner allerliebsten kleinen Amourette mit der entführten griechischen Helena, der schönen Tochter der Insel Metellino oder Lesbos gesagt! Auf dieser Seite lag keine Hülfe!

»Nun, ich werde mir selber schon helfen,« sagte sich da Bojador endlich, das Haupt keck erhebend, welches eben noch unter der Wucht dieser Gedanken ziemlich tief gebeugt und niedergedrückt war und zu Boden geblickt hatte. »Es muß sich doch am Ende etwas ersinnen lassen, was dies lothringische Musterbild von einem tugendhaften jungen Manne wenigstens veranlaßt, einmal in Trautson's Pavillon einzukehren. Dann wäre ja schon das Meiste gewonnen: ich könnte dann feierlich wie der Alcalde von Zalamea Schauspiel (1651) des spanischen Dichters Pedro Calderón de la Barca. – Anm.d.Hrsg. Frau Afra zu Protocol vernehmen und die Aussagen des biederen Herrn Vex protocolliren – oder, ja, das ist der rechte Weg! Vortrefflich! Der Herzog von Lothringen selber muß der unfindbare dritte sein, der dem Kaiser Klein's Anklage bestätigt! Prächtiger Einfall das! So wird es am Besten, am Einfachsten und für mich selbst am Sichersten sein! Wahrhaftig, es kommt Alles nur auf einen glücklichen und gescheuten Einfall an! Andelante para Castilia y Leon!«

Während der Viconde endlich mit dem vollen Vorgefühl des Triumphs seinem eigenen Quartiere in der Favorita, das in dem oberen Stockwerk lag, zuschritt, – er hatte dabei einen Weg eingeschlagen, auf welchem er ein Zusammentreffen mit dem ihn immer noch erwartenden Klein vermied, – schritten in der Säulen-Rotunde und in dem anstoßenden Corridor vor des Kaisers Gemächern der Prinz Eugen und der Graf Veit Trautson im Zwiegespräche auf und nieder.

Trautson hatte sich beklagend die Bemerkung ausgesprochen, daß Seine kaiserliche Majestät heute über die Maßen »kurz angebunden« gewesen mit ihrem alten Diener und Waidgesellen, und daß er einen ganz andern Empfang erwartet habe. Der Prinz Eugen hatte ihn zu beruhigen gesucht, aber Graf Trautson ließ sich seine Ansicht nicht nehmen, wie er sich nie nehmen ließ, was einmal seine »Ansicht« war.

»Muß schon etwas verschüttet haben beim alten Herrn,« sagte er; »sein Sie ehrlich, Durchlaucht, haben Sie's doch selber wohl bemerkt! Der Henker weiß, was es ist.«

»Der kaiserliche Herr hat viele Sorgen, lieber Trautson.«

»Sorgen hin, Sorgen her – Ihnen hat er nichts davon gezeigt, daß er vor lauter Sorgen unser Einem kein gutes Wort gönnen kann! Schaun's, ich hatte noch was auf dem Herzen, was ich ihm sagen wollt, dem gnädigsten Herrn; aber weil er gar so verdrießlich ausgesehen hat, hab' ich's nimmer gewagt, damit heraus zu rücken!«

»Und was war das, wenn ich's wissen darf?«

»Nun, mein Gott, warum sollt ich's Ihnen nicht sagen, Durchlaucht?« entgegnete Trautson. »Ich habe da gar ein absonderliches Gepäck mit herein gebracht und nun weiß ich wahrhaftig nicht, wohin damit. Dem Bassen Bassa = Pascha. – Anm.d.Hrsg. von Widdin hab' ich drei von seinen Odalisken Europäische bzw. kaukasische Sklavinnen in einem türkischen Harem. – Anm.d.Hrsg. abgenommen; sie waren auf dem Transport nach Nissa; ein langer Zug von Saumthieren, Sänften, bewaffneten Dienern und Leibwächtern des Bassen zu Roß und zu Fuße. Ich war auf dem Wege von Semendria nach Orsowa, als wir uns in einem engen, durch die Hügelgegend von Barspleny sich schlängelnden Hohlwege plötzlich begegneten. Sie hatten nicht einmal die Vorsicht gehabt, Eclaireurs voraufzuschicken. Meine Panduren Im 17. und 18. Jh. wurden in der Habsburgermonarchie Soldaten von der Militärgrenze gegen das Osmanische Reich, zumeist Kroaten, Rumänen, Serben und Ungarn, als Panduren bezeichnet. – Anm.d.Hrsg., die ich meiner Escorte zur Sicherheit vorreiten ließ, hatten sich aber beim ersten Anblick des Zuges geduckt und verkrochen, um den ruhig daher kommenden Herrn Türk zu beobachten. Dann kamen sie zurückgesprengt, und wir waren so gut avertirt über das was sich begeben würde, wie ein Jäger, der seinen Hund in ein Dachsloch geschickt hat und ihn d'rin bellen hört. So kam denn mein Herr Türk auch nach einer Weile richtig um die Ecke herum, und machte verdammt große Augen, eine Schwadron Kaiserlicher von den Szeklern Ungarische Bevölkerungsgruppe in Siebenbürgen, Rumänien. – Anm.d.Hrsg. und ein halbes Bataillon Rothmäntel Die seit 1700 den früheren österreichischen Grenzregimentern an der Militärgrenze zugehörigen mit rotem Mantel bekleideten berittenen Mannschaften, die Aufklärungs- und Patrouillendienste durchführten (Serezaner). – Anm.d.Hrsg. quer über seinen Weg aufmarschirt zu finden. Er hielt, die Anführer steckten die Köpfe zusammen, dann kamen sie rasch auf mich zugeritten, und mir wurde wahrhaftig Angst …«

»Sie bekamen Angst vor den Türken, Trautson?«

»Angst, nicht vor ihren Säbeln, aber davor, daß sie am Ende gescheit genug sein würden, uns freundlich guten Morgen zu sagen und freie Passage zu verlangen, sintemalen ein gewisses Ding da ist, das der Passarowitzer Frieden Der Friede von Passarowitz beendete den Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg. Er wurde am 21. Juli 1718 in Passarowitz, dem heutigen Požarevac in Serbien, zwischen Karl VI. und Venedig einerseits sowie Sultan Ahmed III. andererseits abgeschlossen. – Anm.d.Hrsg. heißt. Darum ließ ich ihnen schnell aus den langen Flintenläufen der Kroaten zu verstehen geben, daß mir an ihrem höflichen guten Morgen den Teufel gelegen sei, und nun ging die ganze Bande heidih! Was Beine hatte lief und stob auseinander; da aber zu den mit Beinen begabten Individuen die Sänften nicht gehören, so blieben sie stehen – und …«

»In den Sänften fanden Sie Odalisken?«

»Drei saubere Mädel, – merkwürdig saubere Mädel, sag' ich Ihnen, Durchlaucht – aber ein Fund, über den ich alter Soldat auf dem Marsch doch ein verdammt saures Gesicht schnitt. Was sollte ich um Gotteswillen mit den Weibsleuten anfangen? Sollte ich sie frei laufen lassen? Weiß der Teufel, sie wären nicht weit gekommen, bis meine Kroaten sie sich im Stillen wieder eingefangen gehabt hätten. Unter den Augen muß ich sie schon halten. Und dann, die Geschöpfe in ihrer Angst und Hülflosigkeit dauerten mich. Ich dachte halt, kannst auch einmal ein gutes Werk thun, alter Sünder, nimm die Bagage mit und schick sie Deiner ehrwürdigen Frau Tante, der Priorin von Marienmünster in Mähren zu, die wird in ihrem Stift schon Platz dafür haben und dressirt drei vortreffliche christliche Seelen daraus; dann hat unser Eins doch auch einmal etwas für unsern Herrgott gethan! Also nehme ich sie mit und instradire unter gutem Geleit sie auf Wien. Als ich nun aber auf der Heimreise nach Raab komme, mein' ich, der Schlag trifft mich, denn ich finde einen Brief aus Marienmünster, des kläglichen und herzbrechenden Inhalts, daß meine hochwürdige Tante seliglich in dem Herrn entschlafen. In ihrem ganzen Leben hat sie nicht an Possenspiele gedacht und nun reitet sie der Teufel, daß sie mir mit ihrem Tode solch' einen Possen spielen muß – da verlaß sich einer auf alte Weiber! Nun habe ich die Türken-Bagage da drüben in meinem Sommerhaus untergebracht – in mein Haus in der Stadt konnt' ich sie freilich nicht nehmen – aber ich weiß in aller Welt nicht, was ich damit anfangen soll – wenn nicht der Kaiser mir die Gnade erweist, sie in irgend ein Kloster oder dergleichen zu schicken! Das ist meine Geschichte, Durchlaucht.«

»Eine absonderliche Geschichte, Graf Trautson! Wer in der Welt hätte geglaubt, daß ein so alter harter Kriegsknecht darauf ausginge, unter hübschen Heidinnen Propaganda für das Christenthum zu machen. Es glaubt's Euch auch Keiner!«

»Meiner Seel, ich befürch es« – fiel lachend Trautson ein, »und deshalb habe ich noch obendrein die Sorge, meine drei Candidatinnen für die himmlische Seligkeit ängstlich hinter Schloß und Riegel halten zu müssen.«

»Wäre denn nicht irgend eine verständige, zuverlässige Frau hier in Wien oder auf dem Lande zu finden, eine kinderlose Beamtenwittwe oder dem ähnliches, welche die Mädchen zu sich nähme und erzöge?«

»Wer wird sich damit befassen? sie reden ja nicht einmal deutsch – nur die eine spricht ganz gut italienisch.«

»Wenn man ein gutes Kostgeld zahlte, so fände man schon Jemand, dem man sie anvertrauen könnte!«

Trautson antwortete nicht gleich darauf. Er hätte vorgezogen, sein gottgefälliges Werk auszuführen, ohne viel Zahlens davon zu haben; so manche Charakterschwäche er auch haben mochte, eine übermäßige Bereitwilligkeit, sich seiner baaren Fonds zu entäußern, gehörte nicht dazu.

»Das wird die einzige Art und Weise sein,« fuhr jedoch der Prinz Eugen fort, »wie Sie sich der Last entledigen.«

»Aber ein Kostgeld für drei Weibsbilder, die mich doch eigentlich nicht angehen, auf Gott weiß wie viel Jahre zu zahlen –«

»Nun, nun, was wird's denn Großes sein? Wenn Sie wollen, lassen Sie einige Freunde, die sich für schöne Heidenkinder interessiren, zusammenschießen.« –

»Darf ich Euer Durchlaucht darunter rechnen?«

»Darauf könnt' ich nicht antworten, so lange ich Ihre Schützlinge nicht gesehen habe, Trautson.«

»So kommen Sie gleich, sie zu sehen!«

»Nicht jetzt, ich werde erwartet daheim. Aber in den Abendstunden, bevor ich zur Gräfin Bathiany fahre. So etwa um sieben oder acht Uhr.«

»Ich werde da sein, Ew. Durchlaucht zu empfangen,« entgegnete Trautson.

Und mit dieser Verabredung verließen die beiden Herren das Schloß. Sie schritten durch das Vorzimmer, in welchem der Herr von Lederer seinen silberbeschlagenen Amtsstab spazieren trug und Baron Klein noch immer auf die Rückkehr da Bojador's wartete. Baron Klein eilte, selbst und höchst eigenhändig vor dem Prinzen Eugen die beiden Flügel der Ausgangsthüren des Vorgemachs offen zu werfen; er kam nur leider damit nicht zu Stande, denn der obere Riegel war ihm zu hoch und Herr von Lederer sprang ihm zur Hülfe. Desto besser gelang ihm die abenteuerliche Grimasse, welche er hinter Trautson's Rücken machte, als dieser neben dem Prinzen hinausging.

»Was hab'n's denn gegen den Trautson,« fragte Herr von Lederer, während ein aus dem vorliegenden Zimmer herbeigekommener Lakai die Flügelthüren wieder schloß, – »daß Sie ihm ein gar so schönes Compliment hinter dem Rücken machen?«

»Gegen den Trautson?« antwortete Klein. »Nichts hab' ich gegen ihn! Wir sind gute Freunde, der Trautson und ich. Er hat mir sogar aus der Türkei ein Geschenk mitgebracht.«

»Schau, schau! Doch nicht gar einem Bassa seine drei Roßschweif'? Gratulir', Herr von Klein!«

»Und wenn's wär' – hab' schon Verwendung dafür, Herr Stabelmeister – ich habe ein Cabinet von Roßschweifen. Die meisten habe ich mit eigenen Händen erobert.«

»Da haben's auch wohl etlichen Bassen die rothen und gelben Röck' ausgezogen und die blauen Schabracken abgenommen?«

»Allerdings – wenn sie in meine Gefangenschaft geriethen!«

»Ich hab's mir immer gedacht,« entgegnete Herr von Lederer. »Wenn ich Sie so hab' herum stolziren sehen in dem blauen sammten Röcklein und dem rothen Höschen, da hab' ich mir immer gesagt, was muß der Herr von Klein 'nen Vorrath von alten Schabracken Satteldecke; umgangssprachlich auch abwertende Bezeichnung für Frauen. – Anm.d.Hrsg. und dergleichen haben!«

»Mein Herr Stabelmeister, ich habe nicht allein Schabracken, sondern auch Klingen und Pistolen den Türken angenommen,« entgegnete Baron Kein, indem er einen Blick unsäglichster Verachtung über seine Schulter bin, dem Officianten zuwarf »Man merke sich das, mein Herr von Lederer!« Und damit schoß er, kirschroth vor Zorn, zur Thüre hinaus.


Zehntes Capitel.
Von der Erzherzogin Maria Therese.

An diesem Tage waren zwei Häupter am Hofe Kaiser Karoli Sexti schwer von der Bürde ihrer sinnenden Gedanken. Das erste war das da Bojador's, des biedern castilianischen Ritters, der sich mit der Erfindung eines Mittels abplagte, um den Herzog Franz Stephan von Lotharingien zu veranlassen, noch heute einen Besuch in dem Sommerhaus des Grafen Veit Trautson zu machen. Das zweite war das rosige, anmuthige und von Liebreiz umflossene Haupt Marien Theresens, der jungen Erzherzogin Infantin, welche mit bekümmertem Herzen nachsann, wie sie sich Licht und Wahrheit verschaffen solle über das, was ihr am Morgen ihr kaiserlicher Vater mitgetheilt und was so tief, so schmerzlich ihr Herz verwundet hatte.

Maria Therese liebte den jungen Prinzen, der sich mit anscheinend so aufrichtiger und ungeheuchelter Neigung um ihre Hand bewarb; sie liebte diese offene, fröhliche Natur, mit dem jugendlich zuversichtlichen Lebensmuthe; die helle Stirn, die noch von keinem Anflug einer Leidenschaft, eines niederziehenden Bewußtseins oder eines unreinen und unwürdigen Gedankens entweiht schien; dies klare Auge, aus dem eine Seele blickte, die vielleicht nicht grenzenlos tief in ihrem Fühlen war, und ein Geist, der vielleicht nicht weltbezwingend in seinem Denken – das aber die höchste Summe von Wohlwollen, das wahrhaftigste Gemüth und gerade so viel Schwärmerei verrieth, wie die klare, aller Sentimentalität abholde und positive Natur des jungen Mädchens von demjenigen verlangte, dem sie ihr Herz gefangen hingeben konnte.

Kaiser Karl der Sechste, der mit einer innigen Liebe und Zärtlichkeit an seiner ältesten Tochter, der Erbin seiner Reiche, hing, war nicht blind gewesen für die wachsende Neigung der Erzherzogin. Er hatte diese Neigung auch nicht mißbilligt. Auch er wollte dem jungen Fürsten, der fröhlichen »lothringischen Lerche« von Herzen wohl. Doch hätte er lieber gesehen, wenn seine Tochter ihrem Herzen so völlig hätte gebieten können, daß es sich keinem der Bewerber um ihre Hand entschieden zugeneigt. Bei der endlichen Wahl eines Gatten für sie hätte er vorgezogen, eine Rücksicht auf die Gefühle seiner Tochter nicht in die Wagschale werfen zu brauchen. Kaum jemals hatte ein Herrscher bei der Vermählung seiner Tochter mehr und dringendere Gründe zu behutsamem Entschluß und kaltblütiger Abwägung der politischen Rücksichten und Verhältnisse. Und die politischen Rücksichten, das war längst von dem hellen Verstande des alten Kaisers klar genug durchschaut – die politischen Rücksichten, die Verhältnisse sprachen keineswegs mit Entschiedenheit für den jungen Herzog. Wohl hatte Kaiser Karl mit Mühe, Sorgen und Opfern nach jahrelanger Arbeit die pragmatische Sanction zu Stande gebracht: das heißt die Anerkennung des unbedingten Erbrechts Maria Theresen's auf allen und jeden Besitz des Habsburgischen Hauses, an Landen und Kronen, an Reichen und Rechten, von Seiten der europäischen Potentaten. Diese letzteren hatten sämmtlich für Maria Theresen's Recht sich verbürgt; wer aber bürgte dem Kaiser für solche Bürgschaft? Was galten am Ende die großmächtigen Unterschriften, die tellergroßen Staatssiegel, wenn nicht eine kräftige und gefürchtete, mit dem Degen bewehrte Faust da war, die es den Unterschriebenen für räthlich erscheinen ließ, bei ihren Handfesten zu bleiben? Und Franz Stephan von Lothringen – war das der Mann, die Faust für eine solche Aufgabe? War sein Charakter entschlossen genug, um sich gefürchtet zu machen, war sein Geist stark, elastisch, ausdauernd genug, um den Stürmen eines großen Successionskrieges die Stirn bieten zu können? War es nicht obendrein räthlich, die Hand der Erzherzogin in die eines Fürsten zu legen, dessen eigene Hausmacht eine Verstärkung der Hülfsquellen des Habsburgischen Hauses bot?

Das waren die Fragen, welche der sorgliche Sinn Kaiser Karl's erwog und prüfte, und die Antworten, welche er sich gab, waren nicht alle gleich vortheilhaft für Franz Stephan, deshalb hatte ihn die Beobachtung, daß Maria Therese dem jungen Fürsten eine zärtliche Neigung zuwende, nicht erfreut. Und gerade darum hatte er so rasch eine Gelegenheit ergriffen, wenigstens dem Wachsen dieser Neigung Einhalt zu thun, indem er seiner Tochter heute Andeutungen über den Lebenswandel des Prinzen gemacht, von welchen er glaubte, daß sie am besten geeignet seien, Maria Theresen's allzu vertrauendes Herz zum Innehalten auf einem Wege zu zwingen, an dessen Ende vielleicht für sie ein großer und ihr innerstes Leben verwundender Schmerz lag.

Aber er hatte sich über den Charakter der Gefühle seiner Tochter getäuscht. Was er für eine noch unentwickelte, noch im ersten Keimen begriffene Neigung gehalten hatte, das war bereits weit mehr – es war ein bewußtes, ein tiefernstes Gefühl, das in dem starken und willenskräftigen Geiste der jungen Erzherzogin nicht anders als mit der Intensivität der Leidenschaft sich hatte geltend machen können. – Deshalb hatte sich denn auch Maria Therese in tiefster Seele betroffen gefühlt durch das, was der Kaiser ihr von den Nachrichten, welche Klein ihm hinterbracht, mitgetheilt hatte – ohne ihr freilich die Quelle zu nennen. War es möglich, daß sie so schmachvoll getäuscht, daß ihre Neigung für den jungen Herzog so schändlich verrathen würde? –

Zehnmal sagte sie sich entrüstet und empört, daß es nicht möglich, daß eine abscheuliche Verleumdung, eine Hofintrigue, eine politische Absicht, Franz Stephan durch die unwürdigsten Mittel beim Kaiser zu verderben suche. Aber eben so oft mußte sie sich wieder sagen, daß man unmöglich gewagt haben könne, den Kaiser zu belügen.

In ihrem Kummer faßte sie endlich einen Entschluß. Sie mußte klar sehen, sie mußte unwidersprechliche Beweise von des Herzoge Schuld haben, ehe sie ihn verurtheilte. Wie aber diese Beweise sich verschaffen? Was konnte ein junges Mädchen, eine Prinzessin, eine Erzherzogin thun, um hinter die kleinen Geheimnisse eines prinzlichen Junggesellenlebens zu kommen? Es war eine Aufgabe, der gegenüber sie sich anfangs völlig rath- und hülflos fühlte. Sie mußte eine Dienerin in ihr Vertrauen ziehen. Aber dies widerstand entschieden ihrem Selbstgefühl, ihrem jungfräulichen Stolze. Sollte sie gestehen, oder mindestens errathen lassen, wie sehr ihr Herz betheiligt sei bei dem, was der junge Herzog thue und treibe? Es wäre ihr eine tödtliche Demüthigung gewesen, in dem Antlitze irgend Jemandes in der Welt in spöttischen Zügen geschrieben zu lesen: ich verstehe Dich, Du bist verliebt, und es ist die Eifersucht, welche Dich treibt, Beobachter und Spion zu werben.

Darum beschloß sie etwas Anderes; etwas, was seiner Natur nach unvorsichtig und unklug war; sie beschloß, ihre Zuflucht zu einer Vertrauten zu nehmen, aber ohne ihr zu vertrauen.

Sie ließ die gewandteste und listigste ihrer Damen zu sich rufen, und dann warf sie sich in einen Sessel, in welchem sie sich – Dank der anerzogenen Selbstbeherrschung – mit einer Miene ausstreckte, die nichts als einen hohen Grad von Müdigkeit und Gelangweiltsein ausdrückte.

»Liebe Bolagno,« sagte sie, als die Dame eingetreten war, »ich habe an diesem Morgen einen abscheulichen Kopfschmerz gehabt; das hat mir für den ganzen Tag die Nerven verstimmt und ich komme geradezu um, wenn man mich in diesem Zustande noch langweilt. Denken Sie, daß die gute Walzegk seit zwei Stunden ihr Bestes gethan bat, solchen Hochverrath an mir zu üben. Ich bin ihrer endlich unter einem Vorwande los geworden – trotz Reglement und Dienst! Sie müssen mich wieder curiren, Bolagno, von den mörderischen Attentaten der Walzegk auf meine Lebensgeister. Sie können so amüsant sein, liebe Bolagno!«

Die Gräfin Juliane Bolagno fühlte sich geschmeichelt durch diesen Huldbeweis ihrer jungen Gebieterin, obwohl sie sich nicht täuschen ließ durch das, was Maria Therese von ihrem Unwohlsein sagte. Durch einen Kopfschmerz war die junge Erzherzogin nicht gewohnt, sich niederbeugen zu lassen. Daß sie über ihre Nerven klagte, war bis heute in der That noch nie vorgekommen.

»O Durchlaucht, ich möchte mein Bestes thun, Sie zu erheitern,« antwortete sie, indem sie sich auf den Wink Maria Theresen's, dieser gegenüber, auf einem Tabouret niederließ – »aber die Heiterkeit und die guten Gedanken und Einfälle kommen leider nicht auf Commando. Eine Uhr, die gehen soll, muß aufgezogen werden!«

»Gut, so will ich Sie erst ein wenig aufziehen!« versetzte die Erzherzogin lächelnd.

»Nur nicht zu stark, Durchlaucht – ich möchte sonst verführt werden, ihnen zu zeigen – was die Glocke geschlagen hat!«

»Sie zeigen mir wenigstens jetzt schon, daß Sie im Gange sind, und mehr verlange ich nicht. Die Mühe des Aufziehens kann ich mir also ersparen und statt dessen können wir beide – Sie wissen, wie sehr das immer meine Leidenschaft war – spanische Schlösser bauen!«

»Luftschlösser meinen Durchlaucht!« versetzte Juliane Bolagno etwas erröthend.

»Wer baut sich mit seinen Gedanken Schlösser in die Luft? Die Phantasie stellt sich, wenn sie schafft, doch alle mal einen festen, bestimmten, ihr sympathetischen Boden vor, auf dem sie ihren Bau aufrichtet. Da giebt es nun sicherlich Gemüther, welche eine ganz besondere Liebhaberei dafür haben, diese poetischen Bauten auf spanischen Grund und Boden zu stellen! Meinen Sie nicht auch, Bolagno?« setzte die Erzherzogin neckend hinzu.

»Ich darf Eurer Durchlaucht nicht widersprechen. Aber den Grund, weshalb man seine Phantasiebauten, wie Jedermann sich deren zuweilen als den häuslichen Heerd für sein zukünftiges Glück aufrichtet, vorzugsweise nach Spanien verlegen sollte, sehe ich nicht ein!«

»Nicht? Ist Spanien nicht das Land der edelsten und stolzesten Ritterschaft der Welt? Das Land der vornehmsten Herzoge, wie der Manriquez, der mächtigsten Marquis, wie der Santa Cruz, der tapfersten Grafen, wie der Gonsalvo von Cordova, der galantesten Vicondes, wie der – wie der – nun, fällt Ihnen nicht einer ein, Bolagno?«

Gräfin Juliane Bolagno wandte wie ganz zufällig das Gesicht ein wenig ab.

»Es fällt mir wirklich keiner ein, Durchlaucht,« sagte sie lächelnd – »aber was hochgemuthete spanische Ritter und spanische Schildknappen angeht, so fallen mir Namen ein!«

»O Sie sind boshaft, Bolagno, aber Sie sollen mir dies Land nicht verachten – dafür bin ich Infantin von Spanien und beider Indien! Aber ich erinnere mich, Sie haben ja eine besondere Leidenschaft für ein ganz anderes Land, für die abscheuliche Türkei und den gotteslästerlichen Halbmond!«

»Ich hätte das? Weshalb, wenn es meiner gnädigsten Erzherzogin gefällt?«

»Nun, haben wir Sie nicht unvermeidlich bei allen ›kaiserlichen Wirthschaften‹ Maskenfeste am Hofe, wobei der Kaiser und die Kaiserin den Wirth und die Wirthin machten. in dem admirabelsten türkischen Costüme gesehen?«

»O, ich bin darum eine ganz gute Christin,« antwortete Gräfin Juliane.

»Aber eine höchst liebenswürdige und anmuthige Türkin, so oft Sie den chamoisgelben Kaftan anziehen: er war doch chamoisgelb, das letzte Mal, nicht wahr? Richtig, ich erinnere mich dessen sehr wohl. Er stand Ihnen vortrefflich zu Ihrem dunklen Haare und Ihrem feinen Teint. Wie war auch das Unterkleid noch?«

»Es war meergrün mit weißem Besatz,« antwortete Juliane Bolagno, die mit großer Lebhaftigkeit auf dies Thema einging; »der Besatz war von weißem Seidenplüsch.«

»Ganz recht, von weißem Seidenplüsch; auch der Turban war von meergrüner Seide und in Harmonie mit dem weißen Besatz des Oberkleides war der Turban mit weißen Perlenschnüren durchschlungen. Sie waren der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung, Bolagno! War nicht auch das Mieder, oder was es war, sehr hübsch?

»Ein dunkelrothes Leibchen gehörte zum Anzuge, gnädigste Erzherzogin.«

»Mit langen Schößen, glaub' ich?«

»Mit langen Schößen und langer Taille.«

»Das war wohl nicht ganz strenge im Costüm?«

»In der That, die Türkinnen tragen es nicht gerade nach diesem Schnitt; aber da …«

»Es Ihnen reizend stand, so hatten Sie ganz Recht, sich das nach Ihrem eigenen Gutdünken zu gestalten und sehr wenig um die Mode und den Geschmack der echten Stocktürkinnen zu kümmern; um so mehr, als Sie den letzteren oder vielmehr ihrer eigenen Costumiergewissenhaftigkeit zu Liebe in ein Paar weißseidne Beinkleider gefahren waren, welche Knöchel und Füßchen von außerordentlicher Feinheit sehen ließen.«

»Sie sind, glaube ich, noch immer beflissen, mich aufzuziehen, gnädigste Erzherzogin!«

»Es ist mein völliger Ernst. Nichts in der Welt steht Ihnen besser, als das türkische Costüm, Bolagno, und wissen Sie, da kommt mir ein superber Einfall!«

»Und der wäre?«

»Haben Sie das Costüm noch vollständig bei einander?«

»Ich habe es noch, allerdings.«

»Sie sollen es noch einmal anlegen, Bolagno, heute noch …«

»Heute noch? Wir haben weder kaiserliche Wirthschaft, noch Merenda heute …«

»Thut nichts – thut gar nichts zur Sache. Sie wissen, daß am Ende des Gartens der Favorita eine Besitzung des Grafen Veit Trautson liegt. Hinter den hohen Hecken, die als Coulissen des Sommertheaters dienen, muß ein besonderer Ausgang aus dem Favoritagarten unmittelbar in den Garten Trautson's führen?«

»Es ist möglich.«

»Es ist so – und was nun den Garten Trautson's angeht, so habe ich heute ganz im Geheim eine höchst merkwürdige Geschichte darüber erfahren. Denken Sie sich, dort hat der Graf eine kleine Colonie, von – rathen Sie einmal von was, untergebracht! O, Sie errathen es in hundert Jahren nicht!«

»Ich errathe es in der That nicht.«

»Er hat darin eine kleine Colonie von Türkinnen einquartiert.«

»Der gestrenge, biederbe, der grobe Trautson?«

»Er hat sich zwei oder drei hübsche jugendliche Pflanzen aus dem Garten Muhamed's mit hierher gebracht – ist es nicht zum Todtlachen?«

Die Miene der Erzherzogin bei diesen Worten verrieth nicht eben übergroße Lust zum Lachen. Aber Gräfin Juliane war viel zu sehr von dem, was sie vernahm, in Anspruch genommen, um die eigenthümliche Spannung wahrzunehmen, welche die Züge der Erzherzogin verriethen, trotz aller Mühe, welche die Letztere sich gab, recht heiter und gleichgültig auszusehen.

»Seltsamer Einfall!« rief die Bolagno aus. »Daß unsere tapfern Grenzcommandanten und berühmten Feldherren gefangene Türkenknaben mitgebracht haben, um sie hier taufen zu lassen und sich Diener daraus zu ziehen, ist wohl schon erhört worden; aber in meinem Leben habe ich nicht vernommen, daß Einer die Idee gefaßt hätte, diese Propaganda auch auf türkische Haremprinzessinnen auszudehnen!«

»Lächerlich ist die Sache jedenfalls, wenn man sich Trautson's Gestalt und Manieren dazu vorstellt,« sagte die Erzherzogin. »Wie mag er sich ausnehmen inmitten seiner kleinen Türkenschule, den Katechismus in der Hand!«

»Spricht er denn türkisch?

»Da fragen Sie mich zu viel, liebe Bolagno! Daß er sehr barbarische Redensarten zu führen versteht, weiß ich freilich, ob aber türkische – darum hab' ich mich nicht gekümmert.«

»Vielleicht redet er italienisch mit ihnen. Man spricht im ganzen Orient ja vielfach italienisch.«

»Das paßt ja vortrefflich in meinen Plan. Da können Sie sich mit ihnen unterhalten, Bolagno.«

»Ohne Zweifel würde ich mit ihnen fertig werden.«

»Nun, so hören Sie denn. Trautson glaubt, das tiefste Geheimniß umhülle diese eigenthümliche Manifestation seines christlichen Eifers. Aber wir müssen davon wissen, wir müssen ihm einen Streich spielen, mit dem wir dann den Kaiser auf's schönste erheitern können. Es kann eine Fundgrube von Neckereien für den ganzen Hof werden.«

»Vortrefflich,« entgegnete Gräfin Juliane, »und nun sagen Sie Ihren Plan, durchlauchtigste Erzherzogin.«

»Ich meine, das Beste wäre, wenn Sie, Juliane, in Ihr allerliebstes Costüm schlüpften, von dem wir sprachen; wenn Sie sich diesen Abend in den Pavillon Trautson's begäben und den Grafen mitten in seiner komischen Rolle überraschten; wenn Sie ihm versicherten, Sie seien vom Sultan abgesandt, um ihm, da er so erfolgreich als Mollah wirke, die Stelle des Groß-Mufti anzutragen! Er würde außer sich gerathen, wenn er sich so ertappt und überrascht sähe, aber die Hauptsache: Sie, liebe Bolagno, bekämen Gelegenheit, sich in seinem Pavillon umzuschaun, seine Türkinnen zu betrachten, sie kennen zu lernen und zu beobachten, was denn eigentlich dort vorgeht.«

Gräfin Juliane Bolagno war bereit, sich der Erzherzogin gefällig zu zeigen, indem sie auf den Wunsch derselben einging; die Sache schien ihr in hohem Grade pikant.

»Ich thue es mit Freuden, gnädigste Erzherzogin,« sagte sie – »aber ich kann doch nicht wohl so ganz allein in meinem abenteuerlichen Aufzug hingehen.«

»Sie umhüllen sich mit einem leichten Mantel, der Ihren Anzug bedeckt; Sie nehmen Ihr Mädchen mit, das Sie in der Nähe des Sommerhauses zurücklassen. Dann gehen Sie gegen Abend, etwa um sieben oder acht hier von der Favorita hinüber. Den Schlüssel zu der kleinen Pforte verschaffe ich Ihnen, indem ich dem Gartenmeister seinen Hauptschlüssel abfordern lasse – es ist also bei der Nähe des Pavillons weder Mühe noch Gefahr dabei.«

»Keine andere Gefahr, als von Veit Trautson vielleicht einige barbarische Redensarten hören zu müssen.«

»Er wird Spaß verstehen und jedenfalls wissen, was er einer Dame schuldig ist.«

»Wenn er nicht in meiner Verkleidung die Autorisation erblickt, den Türken gegen mich zu spielen! Aber topp, gnädigste Erzherzogin, ich lasse es darauf ankommen – ich wage es und ich hoffe, ich kann Ihnen die allerschönsten Geschichten erzählen, wenn ich zurückkomme. Darf ich eilen, nach meinem Costüme zu sehen, ob es in Ordnung ist?«

»Gehen Sie und bevor Sie Ihre Wallfahrt in's Morgenland antreten, kommen Sie, sich mir zu präsentiren, das mit ich schaue, wie Sie aussehen. Ich bin gespannt darauf. Ich werde dafür sorgen, daß ich allein bin um sieben Uhr, auch daß Sie hier den bewußten Schlüssel finden!«

Damit entließ Maria Therese ihr unternehmendes Kammerfräulein und dieses eilte mit beflügelten Schritten in ihr Zimmer.

Hier schellte Gräfin Juliane ihrem Mädchen und Resel, die flinke Zofe, brachte herbei, was ihre Gebieterin verlangte, ein Stück des Anzugs nach dem andern. Juliane Bolagno war, bevor noch eine Viertelstunde vergangen, mit rothem Kopfe in eine Welt von Chiffons versunken – untergegangen – wie nur je ein Philosoph in sein Gedankenchaos und den Wirrwarr seiner speculativenspeculativen Reflexion. Glückliches Frauennaturell! Als die Erzherzogin Maria Therese vorhin mit ihrem Kammerfräulein auf das Capitel der Leibchen und der Plüschbesätze gekommen, hatte ihr Herz sich eines großen Theils ihres Kummers entlastet gefühlt – Gräfin Juliane Bolagno vollends vergaß ihre hochfliegenden Pläne, ihre«spanischen Schlösser,« ja ihren getreuen Anbeter selbst beinahe, bei der Beschäftigung mit den Seiden- und Sammtstoffen, in welche sie sich hüllen wollte und die nach aller Welt Versicherung, nach dem ausdrücklichen Zeugniß ihres Spiegels, ihr so vortrefflich zu Gesichte standen.

Für einen großen Theil der Frauen ist das Leben nicht wie jener englische Dichter singt: » all a fleeting show;« es ist nicht, wie Calderon in seinem » la vida es sueño« behauptet, ein Traum. Es ist ein Puppenspiel. Das Kind spielt mit der Puppe von Papiermaché und das junge Mädchen macht sich selbst zu ihrer Puppe. Gräfin Juliane gehörte trotz ihres Ehrgeizes auch etwas zu dieser Art Frauen; wenn sie aber jetzt über ihrer eifrigen Beschäftigung ihren Anbeter vergaß, so konnte dies jedenfalls nur für kurze Zeit der Fall sein, denn sie wurde sehr plötzlich und sehr störend an ihn erinnert. Es klopfte an ihre Thür. Sie erschrak und sandte ihr Mädchen, zu sehen wer da sei. Resel ging hinaus und zog ängstlich die Thür hinter sich zu, damit kein neugieriger Blick in das Geheimniß dessen, was ihre Contessa trieb, eindringen konnte. Gleich darauf kam Resel zurück.

»Der Viconde da Bojador lassen um die Gnade bitten, das gnädigste Fräulein nur einen Augenblick sprechen zu dürfen!«

»O mein Gott, wie lästig – gerade jetzt« – rief Juliane aus, mit einer Miene, welche über ihren Verehrer einen Strom von Demüthigung ausgegossen hätte, wenn er diese verdrießliche Miene hätte sehen können.

Sie erhob sich, sie öffnete die Thür nur so weit, daß sie eben Raum bekam, hindurch zu schlüpfen und trat in das kleine Vorzimmer. Der Viconde erwartete sie dort.

»Contessa, Sie müssen mir eine kleine Audienz in Ihrem chez soi gewähren,« sagte er lächelnd und näherte sich in der Voraussetzung, daß Juliane ihn in ihr Wohnzimmer führen werde. – Aber sie schloß die Thür hinter sich und antwortete ziemlich ungnädig:

»Haben Sie mir etwas so Wichtiges wie den Sieg der spanischen Politik anzukündigen, daß Sie hier in die Gemächer der Frauen einbrechen? Ich muß es glauben, denn Sie sehen wie ein leibhaftes › veni, vidi, vici,‹ aus!«

»Nehmen Sie das wenigstens für das Vorgefühl des Sieges, meine huldreichste Contessa –«

»In der That? – Wenn Sie sich diesem Vorgefühl nur nicht zu vorschnell hingeben!«

»Wollen Sie mich nicht eintreten lassen?«

»Nein.«

»Und weshalb nicht? Ich störe doch kein tête à tête

»Wäre das unmöglich?« antwortete Gräfin Juliane ironisch.

»Ich hoffe es,« sagte der Viconde.

»Eifersüchtiger Hidalgo,« lachte das Kammerfräulein; aber beruhigen Sie sich. Sie stören kein tête à tête, ich lasse Sie nur nicht eintreten, weil ich mit einem Anzug für das nächste Hoffest beschäftigt bin.«

»Das nächste Hoffest? Haben wir eines zu erwarten? Und wann?«

»Das ist noch Geheimniß; und da Sie so verschlossen gegen mich sind, so nehme ich Revanche und sage Ihnen weiter kein Sterbenswort darüber. Aber nun sprechen Sie, weshalb kommen Sie?«

»Weil ich einsehe, daß es uns Männern nicht gegeben ist, ein schlau eingefädeltes Gewebe zu Stande zu bringen, ohne daß sich eine seine Frauenhand mit ihren kunstfertigen Fingern hineinmischt.«

»Aha« – fiel Juliane lebhaft ein – »merken Sie das jetzt, und trotz aller Ihrer Gelübde …«

»Die werden nicht gebrochen; das darf ich ja nicht – wer bürgte Ihnen dann für die Gelübde unerschütterlicher Treue und Liebe, welche ich Ihnen abgelegt habe, wenn ich die Gelübde bräche, welche ich mir selber ablegte? das verlangen Sie nicht!«

»Was verlangen Sie denn?«

»Daß Sie mir auf ein duftiges Briefblatt einige Zeilen niederschreiben, weiter nichts!«

»An wen?«

»Das gehört in den Kreis der Dinge, über welche sich meine Gelübde erstrecken.«

»Sie verlangen, ich soll ein Billet schreiben, ohne zu wissen an Wen?«

»Ich verlange es – Es hängt davon der Erfolg dessen ab, was ich auf Ihren Wunsch, Juliane, unternommen habe.«

»Und soll ich es mit meinem Namen unterschreiben?«

»Nein – dessen bedarf es nicht!«

»Was soll ich denn schreiben?«

»Sie sollen folgende Worte schreiben, in italienischer Sprache:

›Gnädiger Herr!

Eine Unglückliche, welche durch eine Verkettung der ungewöhnlichsten Schicksale sich in einer unaussprechlich traurigen Lage befindet, bittet Sie um Ihre Hülfe. Da sie sich an Niemand anders zu wenden weiß, so hat sie den Muth gefaßt, sich zu Ihrem Edelmuth zu flüchten, und hofft, daß Sie, gnädiger Herr, zu ihr kommen und von ihrem eigenen Munde die Erzählung ihres Unglücks vernehmen wollen. Der Ueberbringer wird das Nähere angeben!‹

 

Das ist Alles« – fuhr da Bojador fort – »was ich von Ihnen wünsche, Juliane. Bitte, schreiben Sie mir das … es muß eine Frauenhand sein, und von welcher anderen darf ich es verlangen?«

»Sie glauben im Ernst, ich würde so Ihr blindes Werkzeug werden wollen?«

»Es ist nothwendig, daß Sie es thun – das Gelingen unserer Pläne hängt davon ab.«

»Erklären Sie mir erst das Wie?«

»Ich kann es nicht! Haben Sie Barmherzigkeit mit mir.«

Juliane Bolagno schüttelte den Kopf.

»Sie wollen nicht? So hören Sie denn. Ich muß die Zeilen von Ihrer Hand haben, denn von Niemand anderem darf und kann ich sie verlangen, ohne eine Neugierde zu erwecken, welche uns verderblich werden würde. Deshalb werde ich Sie belagern, bis ich Sie bewogen habe. Ich verlasse Ihr Vorzimmer nicht eher.«

»Um Gotteswillen.«

»Ich warte bis zum Abend – ich bringe die Nacht hier zu, ich –«

»Sind Sie toll?«

»Nur entschlossen! Soll ich Ihnen schwören, daß ich meine Drohung ausführe?«

»Ich sehe, ich muß Ihnen nachgeben. Schwören Sie mir daher lieber, daß ich mit dem geheimnisvollen Billet, welches ich schreiben soll, nicht compromittirt werden kann.«

»Nicht im mindesten kann es Sie compromittiren. Sie bleiben ganz aus dem Spiele. Ich werde das Billet mit einem fremden Petschaft siegeln.«

»Wiederholen Sie es mir.«

Der Viconde wiederholte den Inhalt, wie er ihn wünschte, und Juliane Bolagno schlüpfte in ihr Wohnzimmer, um die Zeilen zu schreiben. Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück und brachte da Bojador das Billet, ohne Adresse und ohne Unterschrift.

Der Viconde küßte ihre Hand: »Tausend Dank!«

»Aber,« versetzte das Kammerfräulein, »compromittiren Sie mich damit, das lassen Sie sich gesagt sein, mein hartnäckiger Senhor, so sind wir geschiedene Leute!«

»Seien Sie ganz ruhig! es ist nicht dazu da, um uns zu scheiden, Juliane, ganz im Gegentheil! Ich hoffe, wir können es einst zu den Acten und Urkunden über die Vermählung der sehr hohen und sehr mächtigen Dame, Madame Juliana Contessa di Bolagno, und des sehr edlen, sehr illüstren Herrn, Don Perez Viconde da Bojador y Roccaberti, in unsern Archiven niederlegen.«

»Sie sind sehr gütig, mich so zu beruhigen,« antwortete das Kammerfräulein spöttisch, »aber jedenfalls habe ich jetzt keine Zeit, mich in diese Actenstücke zur Geschichte der Zukunft zu vertiefen, und Sie haben hoffentlich nicht die Absicht, Ihre Belagerung fortzusetzen!«

»Ich hebe sie auf, augenblicklich, zurückgeschlagen von Ihren – Ausfällen!«

Das Kammerfräulein winkte ihrem Verehrer lächelnd den Abschied zu und eilte in ihr Wohnzimmer zurück, um sich mit neuer Thätigkeit der Revision ihres Maskenanzuges hinzugeben. Aber ihre Gedanken weilten bei dieser Arbeit nicht mehr so ungetheilt wie vorher. Sie grübelte darüber nach, ob nicht ihre junge Gebieterin, welche anscheinend so harmlos unbefangen einem Einfall des Augenblicks gefolgt war, indem sie sie aufforderte, Trautson einen Streich zu spielen, damit eine tiefere Absicht verbinde. Das Billet, welches der Viconde von ihr verlangt hatte, erinnerte sie lebhaft daran, daß eine Intrigue im Werke war, deren Fäden ihr verborgen gehalten wurden.

An wen konnten die Zeilen gerichtet sein? Wollte da Bojador es irgendwo und irgendwem vorzeigen als sei es ihm selbst zugekommen? Oder sollte ein Anderer damit mystificirt werden? Vielleicht gar der Herzog von Lothringen? Und sie selbst – sie sollte doch nicht etwa in Trautson's Pavillon geschickt werden, um dort am Ende selbst die Rolle der Unglücklichen zu spielen, welche einen solchen Helfer und Retter zu sich lud? Aber dann hätte ja die Erzherzogin mit im Complot sein müssen. Das war nicht denkbar.

Juliane machte sich dennoch jetzt Vorwürfe, daß sie mit so bereitwilligem Eifer auf den Gedanken der Erzherzogin eingegangen war; daß sie so schnell die Lust verrathen hatte, einmal wieder in ihrem türkischen Costüme zu glänzen. Jetzt war freilich die Ueberlegung zu spät. Jetzt mußte Juliane jedenfalls ausführen, was sie übernommen.


Elftes Capitel.
Von dem Anschlage des Spaniers.

Ein Paar Stunden waren verflossen. Der Tag näherte sich bereits seinem Ende und unter den duftigen Linden-Alleen des Favoritagartens begann eine höchst wohlthätige Kühlung der Sommerhitze des Tages zu folgen.

Doch waren diese Alleen wenig belebt; nur an der einen Seite des Gartens, rechts wenn man aus dem Schlosse trat, in dem schönen hochgewölbten Berceau, war eine kleine Gesellschaft versammelt, deren Mittelpunct der Kaiser selbst bildete.

Unter diesem Berceau war nämlich der Schießstand angelegt und Karl der Sechste gab sich hier mit einigen Herren seines Hofes sehr lebhaft seinem Lieblingsvergnügen hin. Die Schüsse folgten sich sehr rasch. Sie waren nach einer beweglichen Scheibe gerichtet. Wenn der Kaiser geschossen hatte, so folgte gewöhnlich ein lautes, einen glücklichen Treffer ankündigendes Jodeln des Zeigers.

Diese Schüsse und diese periodischen Rufe waren das einzige Geräusch, welches die Stille unterbrach, die im übrigen Lustgarten herrschte.

An der entgegengesetzten Seite des Gartens, hinter den Taxushecken schritt eine höchst auffallend aussehende Figur auf und ab. Sie war auf's abenteuerlichste herausgeputzt; die Kleider, deren Stoffe in den lebhaftesten Farben schimmerten, waren sämmtlich zu weit und zu faltig für die Leibesgestalt des kleinen Menschen, der sich darin einquartiert hatte. Wir brauchen nur hinzuzusetzen, daß diese Leibesgestalt von der Natur mit gränzenloser Unbekümmertheit um Symmetrie und normale Anlage der Contouren geschaffen war, um unsere Leser in diesem Individuum mit dem großen Federhut, das auf mächtig hohen rothen Absätzen einherstolzirt, den Baron Klein erkennen zu lassen.

Klein war in einem Zustande bedeutender Aufregung. Er schritt bald sehr langsam, bald gerieth er in ein trippelndes Laufen; er zog bald stumm die groteskesten Gesichter, bald öffnete er seine Lippen zu kurzen Selbstgesprächen: » Ad omnia paratus«, sagte er dann – » ad omnia paratus! Mag daraus werden, was da will. Ich trotze ihm. Was kann mir Schreckliches begegnen? Trautson freilich könnte mir begegnen; er könnte mir grob begegnen – das allein ist's, was ich bedenken muß!«

Das war es denn auch, was Klein trotz aller energischen Ausrufungen und Betheuerungen doch nicht geradesweges auf sein Ziel losgehen ließ, sondern im Kreise herumführte. Veit Trautson konnte grob werden – das war's, was seine Schritte hemmte und diesem Moment seines denkwürdigen Lebens das Shakespearesche Motto gab:

Die frische Röthe der Entschlossenheit
Stirbt in der kranken blassen Ueberlegung,
Und jeder Plan der Kraft und Energie,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gerissen,
Verliert den Namen: That! –

In dieser zwischen heldenmüthigen Entschlüssen und völligem Verzagen schwankenden Stimmung traf Klein plötzlich auf da Bojador, der, eben vom Schlosse herkommend, raschen Schrittes in den von den Taxushecken umschlossenen Gang einbog, welcher die Maillebahn bildete und geradesweges auf das Sommertheater im hinteren Theile des Favoritagarten zuführte. Der Viconde stutzte, als er so unerwartet auf diese Gestalt traf – er wäre sehr gern unbemerkt an ihr vorübergeschlüpft – aber Klein war nicht der Mann, ihn so guten Kaufs vorüber zu lassen.

»Senhor Viconde« – rief er aus, »Senhor Viconde – ei sieh da, trifft man Sie endlich! Den ganzen Tag habe ich Sie gesucht, wie man eine Stecknadel sucht, ohne Sie auftreiben zu können. Wissen Sie, daß ich glaube, Sie haben sich vor mir verläugnen lassen? Das ist nicht schön von Ihnen, amigo

»Ich war mit Geschäften überhäuft: aber vor allen Dingen,« sagte der Viconde, lächelnd auf den kleinen Mann blickend – »vor allen Dingen lassen Sie mich Ihnen meine Bewunderung für Ihren äußeren Menschen ausdrücken. Wie Sie aussehen!«

»Gefall' ich Ihnen?« entgegnete Klein, selbstgenügsam an sich niederblickend. »Ja freilich, ich habe es darauf abgesehen, eine tactvolle Verbindung von Pracht und Geschmack zu erzielen.«

»Und das ist Ihnen glänzend gelungen. Aber woher haben Sie diese Ordens-Decorationen? So viel ich weiß, haben Ihre mannigfachen Verdienste um den Souverain und den Staat leider noch von keiner Hand eines Potentaten eine solche Anerkennung gefunden.«

»Die Orden,« versetzte der Baron, indem sein bräunlich gelbes Gesicht einen leisen Anflug verlegenen Erröthens zeigte – »die Orden, … die habe ich geerbt.«

»Geerbt?«

»Nun freilich. Das Stephanskreuz hier von einem Großonkel, der Stuhlrichter in Temeswar war, und diesen Stern des heiligen Grabordens von meinem Großvater von der Mutterseite.«

»Aber Klein!«

»Was wollen Sie? Ich bitte um Respect davor. Selbst einen Orden sich verschaffen, durch Connexionen, Protectionen, Augendienerei und so weiter … das kann Jeder. Es hat sehr wenig auf sich! Aber einen Orden erben, das ist ganz etwas anderes. Dazu muß man von anständigen Leuten abstammen. Das zeigt, daß man nicht hinter der Hecke gefunden ist. Nehmen Sie einmal alle die Ordensdecorirten und bebänderten Leute, die Ihnen begegnen, und untersuchen Sie, wie viele einen Orden zu erben gehabt hätten?«

»Ihre Theorie ist allerdings sehr scharfsinnig. Adel- und Ritterorden sind im Grunde dasselbe und doch sieht man bei'm Einen auf Alter und bei'm Andern auf Jugend. Aber Baron Klein, ich fürchte, man wird Sie nicht weit damit laufen lassen, mit Ihren alten Orden.«

»O ich will auch nicht weit damit laufen – rathen Sie nicht, wohin ich damit will?«

»Sie wollen doch nicht gewisse schöne Augen damit blenden? Um den Pavillon Trautson's lustwandeln?«

»Nein – das hab' ich satt. Ich will hinein!«

»Welche Idee!« fiel da Bojador besorgt ein.

»Ich habe gethan, was Sie gewollt haben,« versetzte Klein patzig. »Ich habe ganz nach Ihrem Rathe gehandelt, indem ich dem Kaiser meldete, was da vorgehe. Ich habe mir, meine ich, das Feld frei geschaffen. Nun will ich nicht länger mit Ihren Versprechungen mich vertrösten lassen. Ich werde noch heute Abend Bahnesa mich vorstellen. Muß das arme Mädchen nicht entrüstet sein, daß ich mich weiter gar nicht um sie kümmere? Welche Gedanken wird sie sich von meinem ritterlichen Muthe machen, daß ich gar nicht wage, wieder vor ihr aufzutauchen? Vielleicht auch härmt sie sich bitterlich, das arme Kind, und schwimmt in Thränen, weil sie ihre Neigung von mir verschmäht und verachtet glaubt!«

Der Viconde da Bojador war erschrocken über diese Eröffnungen des Barons, die derselbe mit so fester Entschiedenheit aussprach. Sie durchkreuzten in bedenklichem Grade seine eigenen Pläne, welche es ihm durchaus nothwendig machten, Bahnesa jetzt auf der Stelle allein zu sprechen. Trotz alle dem konnte er sich nicht enthalten, über die letzten Worte Klein's zu lachen.

»Vielleicht,« fuhr dieser fort, »bricht ihr das Herz, ob der kalten Gleichgültigkeit des spröden Christen, der schon so lange ihr nicht das mindeste Zeichen seines Lebens und seiner Liebe gab!«

»O welche kleinmüthigen Gedanken, mein theurer Freund!« spottete der Viconde. »Darüber seien Sie ganz ruhig. Sie können Bahnesa heute nicht sehen.«

»Weshalb nicht, mein Senhor Don Perez, Seiner apostolischen Majestät wirklicher Kämmerer?«

»Weil Sie heute Abend Gefahr laufen, auf Trautson zu stoßen und weil er Sie durch das Fenster werfen würde, daß Sie – unersetzlicher Schade für die Menschheit! – den Hals brächen …«

Wenn ich nicht sehr irre,« antwortete Klein mit listigem Blinzeln seiner schmalen schwarzen Augen, »so waren Euer Gnaden hochselbst just eben auf dem Wege, dieser Gefahr Trotz zu bieten.«

»Sie irren – ich dachte nicht daran, mich einer Begegnung mit dem formidablen Veit auszusetzen.«

»Ich aber will es darauf ankommen lassen und bin entschlossen, hinzugehen.«

»Wenn Sie wirklich sich von einem solchen gefährlichen Entschluß nicht wollen abhalten lassen, so warten Sie wenigstens so lange, bis ich vorausgegangen bin und Zeit gehabt habe, Sie der Frau Afra anzukündigen. Wenn ich bei dieser nicht für Sie ein Fürwort einlege, so kommen Sie nicht in den Pavillon, dafür stehe ich Ihnen.«

»Damit bin ich einverstanden,« entgegnete Klein. »Wollen Sie mir bei dieser unangenehmen alten Person die Wege ebnen, so werde ich Ihnen dankbar dafür sein. Ihr Vorschlag, ich muß es anerkennen, ist praktischer Natur. Nur täuschen Sie mich nicht damit. Ich schwöre es Ihnen, hinhalten lasse ich mich nicht länger. Selbst zu handeln habe ich beschlossen. Meine Würde verlangt es. Einem Anderen traue ich nicht mehr. Niemandem auf Erden. Auch Ihnen nicht, Senhor!«

»Was eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist!«

»Mag sein – beweisen Sie es aber! Geben Sie voraus. Eine Viertelstunde gebe ich Ihnen Zeit dazu. Ist diese Viertelstunde abgelaufen, so setze ich mich in Bewegung. Nichts auf Erden, und thürmte es sich so pyramidenhoch wie eine spanische Grandezza der letzten Klasse vor mir auf, wird mich abhalten, bis ich an meinem Ziele stehe und spreche: Bahnesa – holdester Stern des Morgenlandes – da bin ich!«

»Thun Sie das in Gottes Namen – denn ich eile also, um mit Frau Afra zu unterhandeln, damit sie Sie einläßt.«

»Auf Wiedersehn, mein Herr!« antwortete Klein mit stolzem Kopfnicken.

Der Viconde schritt eilig weiter, dem Sommertheater zu, hinter welchem sich die Allee hinzog, die an dem Eingangspförtchen in den Lustgarten Trautson's vorüberführte.

Baron Klein blickte dem Spanier mit gerunzelter Stirn nach:

»Ich fürchte,« sagte er für sich, »ich fürchte, er meint es nicht besser mit mir, wie die Andern alle. Nimm Dich in Acht, edler vertrauender Klein – die Welt wird von Tage zu Tage erbärmlicher. Niederdrückendes Bewußtsein. Wäre Einem das ungetrübte Vergnügen und die unverkümmerte Freude, welche man über sich selber empfindet, nicht gelassen« – und dabei blickte Klein mit selbstvergnügt lächelnder Miene an seinem äußern Menschen nieder – »wie könnte man es aushalten in solcher Welt!«

So lange da Bojador noch in der Maillebahn sichtbar blieb, ging Baron Klein langsamen Schrittes auf und nieder, wie er früher gethan. Sobald aber jener am Ende derselben verschwunden war, stellte er dies zwecklose Wandeln ein und folgte dem Spanier.

Dieser hatte unterdeß das Thürchen zu Trautson's Garten erreicht, hatte es mit seinem Schlüssel geöffnet, wieder verschlossen und war dann an dem Pavillon angekommen.

Die Art und Weise, wie er hier anklopfte, von Frau Afra eingelassen wurde und das Zimmer betrat, in welchem die drei Schützlinge Trautson's sich aufhielten, bewies, daß da Bojador hier längst wie eine Art Hausfreund betrachtet wurde.

Bahnesa sprang bei seinem Eintritt von einer Fußbank empor, auf welcher sie gesessen hatte, sehr eifrig mit einer Menge rund um sie her auf dem Boden liegender Blumen beschäftigt. Frau Afra hatte sie ihr verschaffen müssen, und sie wand Kränze daraus. Ein Gewinde von blauen Cyanen hatte sie sich auf ihre dunklen Locken gedrückt und dies stand ihr vortrefflich, der Kranz gab ihren feinen regelmäßigen Zügen den Charakter classischer Schönheit. – Die beiden andern Mädchen lagen sich gegenüber in den Eden des Kanapees, in apathische Ruhe und völliges Nichtsthun versunken.

Bahnesa streckte ihrem Freunde die Rechte entgegen.

»Du bringst mir Gutes,« sagte sie, »ich lese es in Deinen Augen.«

»Meine Augen,« antwortete da Bojador, »sind entzückt, weil sie Dich sehen, Bahnesa; auf Deine liebliche Stirn paßt nichts besser als dieser volle blaue Kranz.«

»Gefall' ich Dir?« entgegnete das junge Mädchen mit einem Anflug von natürlicher Koketterie, die etwas überaus Anmuthiges hatte.

»Wie fragst Du noch? Du weißt, daß Du in meinen Augen schöner bist, als die schöne Helena. Hast Du je von Helena gehört?«

Bahnesa schüttelte lächelnd ihr liebliches Haupt.

»Nein? Und doch war sie eine Tochter Hellas' wie Du.«

»Wer war sie?«

»Das anmuthigste Weib Griechenlands. Ein schöner Prinz kam und entführte sie in die Fremde.«

»Und ich« – antwortete Bahnesa, »wenn ich die Macht der Schönheit dieser Helena hätte, ich möchte gerade das Umgekehrte thun.«

»Was möchtest Du thun?«

»Ich möchte selbst Jemanden entführen – und nicht in die Fremde sondern in die Heimath.«

»Einen fremden Prinzen?«

Bahnesa sah ihm schwärmerisch in's Auge und legte dabei ihre schmale Hand auf seinen Arm.

»Süßes Geschöpf,« sagte da Bojador und widerstand, aus Rücksicht auf die Anwesenheit der beiden anderen Mädchen mit Mühe dem Drang, ihre lilienhafte Gestalt zu umschlingen und an sich zu drücken – »wären wir einmal allein, daß ich Dir ganz sagen könnte, wie sehr Du mein Herz bezaubert hast! Aber jetzt habe ich Dir Anderes zu sagen. Ich bin in der That glücklich gewesen, wie Du es mir ansahst. Ich habe den rechten Mann gefunden, der beim Kaiser Dein Fürsprecher sein wird.«

»Hast Du?«

»Höre mir zu. Du hast mir gesagt, daß Du nur sehr unvollkommen schreiben kannst. Deshalb habe ich von anderer Hand an diesen Mann ein Brieflein schreiben lassen, als wenn es von Dir käme. Der Inhalt ist, daß Du ihn bätest, zu Dir zu kommen, sich von Dir Dein Schicksal erzählen zu lassen und sich dann für Deine Freiheit zu verwenden. Habe ich Recht gethan?«

»Wenn der Mann das Ohr des Kaisers hat, sicherlich.«

»Das hat er. Er ist ein Prinz, der die höchste Gunst des Kaisers genießt. Wenn er sich für Dich verwendet, so erfüllt der Kaiser Deine Wünsche ohne Zweifel.«

»Und er wird zu mir kommen?«

»Vielleicht noch in dieser Stunde.«

»Ich erschrecke. Wie soll ich ihn empfangen – was reden, daß meine Worte sein Herz rühren?«

»Sei ohne Furcht. Er wird gerührt sein, wenn er Dich sieht, wenn Du mit einfacher Sprache Deine Lage ihm schilderst. Merke Dir nur zweierlei – zuerst, daß Du meiner nicht erwähnst und dann, daß Du, wenn der Prinz Dich fragt, ob Du ihm den Brief gesendet, antwortest, Du habest es gethan.«

»Weshalb soll ich Deiner nicht erwähnen und soll verleugnen, wie sehr Du mein Freund bist?«

»Weil es besser ist, der Prinz glaubt, Du habest ganz aus eigenem Antriebe gehandelt, indem Du Deine Zuflucht zu ihm nahmst. Dies wird ihn mehr für Dich gewinnen, als wenn er auf den Gedanken kommt, es habe irgend Jemand anders Dir zugeflüstert, Du solltest Dich an ihn wenden. Glaube mir das.«

»Ich glaube Dir.«

»Und versprich mir deshalb, meinen Namen mit keiner Silbe zu nennen!«

Bahnesa reichte ihm die Hand zum Zeichen des Gelöbnisses.

Während das junge Mädchen ihn dabei mit ihren schönen schwärmerischen Augen voll innerer Bewegung anblickte, während sie gerührt die Worte sprach: »Ich danke Dir, mein Freund, für Alles, was Du für mich thust,« fühlte der Viconde beinahe etwas wie schmerzliche Gewissensbisse über die Treulosigkeit, womit er Bahnesa bei diesem Allen täuschte und womit er etwas ganz Anderes beabsichtigte, als was er der jungen Griechin vorspiegelte – ihre Rettung aus der Art von Gefangenschaft, in welcher sie sich befand.

Er hatte das Billet, welches ihm Juliane Bolagno schreiben müssen, durch eine zuverlässige Hand dem Herzog von Lothringen überbringen und mündlich hinzufügen lassen, daß die Briefstellerin den Herzog im Pavillon Trautson's, hinter dem Garten der Favorita, erwarte. Er sah voraus, – und darauf beruhte sein Plan, wie er ihn jetzt nach langem Nachdenken zuletzt festgestellt hatte, – daß der gutmüthige junge Herzog nichts Eiligeres zu thun haben werde, als dieser Aufforderung zu folgen. Dafür bürgte ihm der ganze Charakter des ritterlichen und so arglosen jungen Mannes.

Die nächste Folge mußte dann sein, daß Franz Stephan von Lothringen von Trautson die Freilassung seiner Gefangenen verlangen werde. Es war Zehn gegen Eins zu wetten, daß Graf Trautson diesem Begehren des jungen Prinzen mit Heftigkeit widerstreben werde. Franz Stephan aber war nicht der Mann, wenn er sich einmal für seine schöne Bittstellerin begeistert hatte, darauf zu verzichten, ritterlich ihr beizustehen, ihre Wünsche zu erfüllen. Ein Zusammenstoß, ein heftiger Hader zwischen Trautson und dem Prinzen war etwas durchaus Unvermeidliches. War dieser Hader glücklich entbrannt, dann war es eine leichte Aufgabe für den Viconde, dafür zu sorgen, daß die Angelegenheit Aufsehen mache, so stark wie irgend möglich. Der ganze Hofstaat mußte davon erfüllt werden, hundert geschäftige Zungen mußten es dem Kaiser hinterbringen, daß Trautson mit dem Herzog von Lothringen in Streit gerathen wegen des menschenfreundlichen Eifers des jungen Herzogs für Trautson's schöne Odalisken.

Vorausgesetzt, daß Trautson nicht selber dem Kaiser die Angelegenheit brühwarm hinterbrachte!

Der Herzog von Lothringen war dann für immer verloren. Die eclatanteste Bestätigung der Beschuldigungen, welche Klein dem Kaiser schon zugeflüstert, war geliefert. Franz Stephan, und würde er eine zehnfach größere Beredtsamkeit entwickeln, als er besaß, würde sich dann in den Augen der Majestät nicht rein waschen können. Und noch weniger sicherlich in denen der Erzherzogin! Er war unrettbar verloren!

Das war der Plan, der das Handeln des Viconde da Bojador bestimmte. Er hatte dabei den Vortheil, daß er selbst in dem Hintergrund und für alle Fälle gesichert bleiben konnte. Er brauchte keine directen Beschuldigungen vorzubringen. Wenn der Kaiser ihm einen Bericht abforderte, Rechenschaft über das, was er gethan, um den ihm gewordenen Auftrag zu vollführen, so konnte er ganz bei der Wahrheit bleiben. Er konnte angeben, daß Trautson allerdings drei sehr verführerische Schönheiten in seinem Pavillon berge: daß aber Trautson's Absicht mit ihnen eine christlich-fromme und sehr der Unterstützung würdige sei; daß er gute Katholikinnen und andächtige Bräute des Himmels aus ihnen erziehen wolle. Des Herzog von Lothringen Humanitäts-Eifer aber mußte dann dem Kaiser nur noch in schwärzerem Lichte erscheinen.

Aber, wie gesagt, er fühlte in diesem Augenblicke Mitleid mit dem armen, so vertrauensvoll sich ihm hingebenden Opfer und Werkzeug seiner Intrigue. Wenn Trautson aus den beiden andern Geschöpfen in der Kanapee-Ecke dort dem Himmel Geschenke machte, so schien ihm der Himmel Ursache zu haben, sich für vollständig befriedigt und abgefunden zu erachten. Bahnesa demselben Schicksal anheim fallen zu lassen, schien ihm grausam. Er nahm sich vor, über Mittel und Wege nachzudenken, Bahnesa's Wünsche wirklich zu erfüllen.

In dieser Stunde aber war nicht die Zeit, darüber nachzusinnen. Es mußte ja auch abgewartet werden, welche Wendung überhaupt die Angelegenheit nehmen würde. Was für Bahnesa zu thun, ließ sich dann noch immer in Erwägung ziehen.

Der Viconde bereitete sich vor, zu gehen. » Addio, carissima mia!« sagte er, und indem er Bahnesa an sich zog, drückte er einen Kuß auf ihre Schulter.

In diesem Augenblick fuhren ganz zu gleicher Zeit die beiden Mädchen, welche in dem Kanapee ruhten, empor und stießen einen leisen Schrei der Ueberraschung aus.

Der Viconde glaubte im ersten Augenblick, dieser Schrei sei ein wider ihn gerichteter Ausbruch der Entrüstung über die Vertraulichkeit, welche er sich gegen Bahnesa erlaubt hatte. Aber diese wechselte hastig mit Ablah und Fatimeh einige Worte in ihrer Sprache und dann sagte sie, zu da Bojador gewandt:

»Ablah und Fatimeh haben hinter uns den Kopf eines Mannes am Fenster auftauchen sehen.«

»Den Kopf eines Mannes?

»Einen häßlichen, breiten, braunen Kopf!«

»Die Pest über ihn! Das kann Niemand anders sein, als Klein!«

Er trat an's Fenster und blickte hinaus.

»Es ist Niemand da. Aber Fußspuren sind da, die allerdings häßlich breit genug sind, um auf seine Anwesenheit zu deuten. Er muß an den Mauervorsprüngen wie eine Katze in die Höhe geklettert sein, der abscheuliche Knirps. Ich muß fort, um ihn einzuholen, um ihn abzuhalten, Lärm zu schlagen. Ich muß ihn mit Drohungen einschüchtern.«

Nachdem der Viconde rasch, mehr für sich als für das Ohr Bahnesa's, die ihn ängstlich anblickte, diese Worte ausgestoßen hatte, wollte er davoneilen, als plötzlich zu seinem Schrecken ein donnernd sonorer Schritt und eine ebenso donnernd sonore Stimme in dem Vorzimmer laut wurden.

»Altes wackeliges Gerüst, daß Ihr das Wetter über dem Kopf zusammenfahre und Ihr die Zunge im Munde verdorre« – rief diese Stimme draußen. »Laß Sie mich aus, mit all' dem unsinnigen Geschwätz, womit Sie mich aufhält. Ich werde schon selbst sehen, wie's ausschaut bei den Frauenzimmern da drin.«

»Aber Ew. Gnoden,« hörte man Frau Afra mit einem Tone sagen, in welchem so viel Angst und Beklommenheit lag, wie der Ton einer Stimme nur irgend ausdrücken kann – »was ich noch sagen wollt, Ew. Gnoden, thun's mir die einzige Gnode an und gengen's a Mol mit in die Kammer drüben, wo der Vex schlaft, der Vex is mir über d'Nacht krank worden.«

»Der Vex ist krank – nun meinethalb, laß ihn umkommen, ich kauf' Dir'n andern – Vexe sind wohlfeil bei uns zu Lande, alte Schachtel, und jetzt scheer Dich aus dem Weg.«

Dies war die kurze Unterredung, die drinnen, sehr deutlich vernommen, Schrecken und Bestürzung erregte. Sie verkündigte, daß Trautson, der sonst um diese Stunde nicht in den Pavillon kam, vom bösen Feinde hergeführt, leibhaftig vor der Thür stehe, und daß Frau Afra umsonst ihn abzuhalten versuchte, sogleich das Wohnzimmer der drei Mädchen zu betreten.

Beim ersten Laut des keinesweges wohlklingenden Organs des alten Degenknaufs war da Bojador wie elektrisirt zusammengefahren. Mit völliger Geistesgegenwart jedoch hatte er rasch überschaut, welche Ausgänge ihm übrig blieben, um einer Begegnung zu entgehen. Dieser Auswege waren zwei: durch das Fenster, oder durch die Draperie, welche in der Ecke des Zimmers den Eingang zu einem alkovenähnlichen Raum verhüllte. Im ersteren Falle, wenn er durch das Fenster schlüpfte, war er vollständig geborgen: im zweiten war er in dem Alkoven gefangen und mußte dort verharren, bis es Trautson gefiel, wieder abzuziehen. Dies war um so mißlicher, als da Bojador der Boden unter den Füßen brannte – er mußte ja durchaus hinter Baron Klein herlaufen, um diesen abzuhalten, ihm irgend einen Querstrich durch seinen fein überlegten Plan zu machen.

So war denn der Weg durch's Fenster ganz entschieden vorzuziehen; aber, er war leider nicht practicabel! Um die Espagnolett-Stangen aufzureißen, die Fenster-Flügel loszuwerfen, die venetianischen Blenden draußen aufzustoßen – dazu war ganz sicherlich mindestens die doppelte Anzahl von den Secunden nöthig, welche Trautson nöthig hatte, um aus dem Vorzimmer in das Wohnzimmer seiner weiblichen Schützlinge zu treten.

Das hatte der Viconde blitzschnell überschaut, und der Nothwendigkeit weichend, sprang er mit einem raschen Satz hinter den Vorhang, in den Alkoven.

Daß ihn keines der Mädchen verrieth, davor war er sicher. Allah und Fatimeh ordneten sich ihm freiwillig als einem Wesen höherer Art unter. Sie empfanden aber auch außerdem viel zu viel Vergnügen an solch einem kleinen Versteckenspiel, an solch einer Harem-Intrigue, als daß sie nicht alles gethan hätten, um dem Freunde Bahnesa's beizustehn, dem Gebieter und Herrn, dem »Christenaga,« aber einen Streich zu spielen.

Trautson, den die Absicht, den Prinzen Eugen zu empfangen, um diese ungewohnte Stunde hergeführt hatte, trat in das Zimmer. Er kniff Bahnesa väterlich gnädig in die Wangen, nickte den beiden andern Mädchen einen halben Gruß zu und sagte in italienischer Sprache zu jener:

»Nun, wie siehst Du aus? Immer schön und schmuck. Brava! Die andern beiden sind faule Thiere. Sag' ihnen, sie sollten sich darauf vorbereiten, die Musterung zu passiren. Der Prinz Eugen von Savoyen, des Kaisers erster General – begreifst Du, was das sagen will? Der Prinz Eugen wird hierher kommen und Euch die Ehre erweisen, Euch anzusehen. Woll'n dann einmal überlegen, was wir Gescheutes mit Euch anfangen! Zeit wird's, daß Ihr von hier fortkommt!«

»Wir sind Deine Gefangenen, Herr, und Du kannst über uns schalten,« versetzte Bahnesa. »Aber warum hast Du uns zu Gefangenen gemacht, wenn Du unsrer überdrüßig bist und sinnst, wie Du uns entfernest?«

»Warum? Weil ich ein Esel war! Hab' freilich nicht vorausgedacht, wie's mit der alten Klosterschachtel von Tante gehen würde und das sie so viel Eile hätte, zu ihrem himmlischen Bräutigam zu kommen. Hab' nicht vorausgedacht, daß ich selber Euch auf dem Halse haben würde!«

»Laß uns hier,« fuhr Bahnesa fort, die bei dem Gedanken erschrocken war, daß Trautson sie an irgend einen andern Ort senden könne, wo sie von ihrem Freunde getrennt war.

»Hier?« antwortete Trautson. »Nichts da; ist nicht der rechte Ort! Ist nicht gebaut zu 'nem Kloster. Und die alte Afra ist mir auch die rechte Aebtissin für einen Convent von thörichten Jungfrauen wie Ihr seid! Nichts da. Fort müßt ihr schon. Trau der alten Runkunkel nicht. Ihr nicht, mitsammt dem Vex. Warum kommt sie nicht? Warum ist sie nicht hier? Das Wetter soll ihr auf den Schädel fahren! Ist's wahr, daß der Vex krank ist? Kann denn so was auch krank werden wie ein ordentlicher Mensch? Am Ende habt Ihr ihn verführt, Ihr Teufelsbraten, den armen Vex!«

Und Trautson brach bei diesem Einfall in ein lautes Lachen aus.

Wir wollen ihn bei dieser Art von Unterhaltung, mit der er sich die Zeit bis zum Kommen des Prinzen Eugen zu vertreiben suchte, lassen, und unterdeß uns nach einem andern unsrer Bekannten umsehen.

Ende des ersten Theils.



 << zurück weiter >>