Ossip Schubin
Schatten
Ossip Schubin

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Ossip Schubin

Die Hoffnung.

L'espérance toute trompeuse qu'elle est, sert
au moins à nouos mener à la fin de la vie par
un chemin agréable.
Larochefoucauld.

Die höhere Vernunft hat beim lieben Gott die Hoffnung verklagt.

Der liebe Gott war sehr betrübt darüber, denn er fühlte eine besondere Zuneigung für die hübsche, gutmütige Närrin, die er an einem sonnigen Frühlingstag einst spielend zu seinem und der Menschheit Vergnügen erschaffen hatte, und zwar kurz nachdem die Verzweiflung während eines winterlichen Schneegestöbers, ohne sein persönliches Eingreifen, so mehr von selbst auf der Erde entstanden war. Doch durfte er sein Ohr gegen die anklagende Stimme der Vernunft nicht verschließen, und so forderte er sie denn auf, ihm über die Verbrechen der Hoffnung Bericht zu erstatten.

Wie die Vernunft einmal zu Worte gekommen, war sie nicht mehr zum Schweigen zu bringen. »Sie ist eine abscheuliche Gauklerin, Heuchlerin und Lügnerin!« rief sie. »Sie schmeichelt sich ein bei den Menschen, heftet sich ihnen ein Weilchen spielend an die Fersen, um sie dann, sobald sich ihnen ein ernstliches Unglück nähert, plötzlich zu verlassen. Durch ihr unsinniges Geplauder verhindert sie die Sehnsucht, einzuschlafen, und mehr als alles, sie verhindert die Menschen, auf mich zu hören – sie weisen mir alle die Thür! – –«

Der liebe Gott dachte bei sich, daß es den Menschen im Grund nicht sehr zu verübeln sei, wenn sie ungern mit der reinen Vernunft verkehrten; denn ein unliebenswürdigeres Frauenzimmer erinnerte er sich nicht im ganzen Umkreis seiner Schöpfung je gesehen zu haben. Anstatt der gewöhnlichen zwei Augen unter der Stirn hatte sie sechs Augen rund um den Kopf herum, so daß sie nach allen Seiten zugleich sehen konnte, und da sie die Augen nie schloß, ja nicht einmal damit blinzelte, so war es äußerst ermüdend, ihren Blick auszuhalten. Anstatt des Herzens trug sie vorsichtshalber ein Stück Eis in der Brust. Diesem unnatürlichen Umstand war es wahrscheinlich beizumessen, daß sie sehr fahl und blutleer aussah, und daß ihre Züge von erschreckender Schärfe waren. Ihre Stimme war hoch und schrill, und je länger sie sprach, desto lauter wurde sie. Da sie gar nicht aufhören wollte mit ihrer keifenden Beredsamkeit, wurde es dem lieben Gott endlich zu arg. »Nun hab' ich's genug!« rief er und hielt sich die Ohren zu. »Hol mir die Hoffnung her, damit sie sich gegen deine Anklagen verteidige. Gereicht sie den Menschen wirklich so sehr zum Unglück, wie du es behauptest, nun, so nehm' ich sie hinweg von der Erde und behalt' sie bei mir im Paradies!« –

Hocherfreut über den erzielten Erfolg, machte sich die reine Vernunft sogleich auf die Reise. Schon im Weggehen wendete sie sich jedoch noch einmal um und meinte: »Ich habe dich wohl etwas erzürnt, Allmächtiger, durch die Länge meiner Rede, aber die Menschen lassen mich so selten zu Wort kommen, daß es mir, wenn ich endlich einmal Gelegenheit finde, mich auszusprechen, schwer wird, den Mund zu schließen!«

»Sieh zu, daß du fortkommst,« befahl ihr der liebe Gott, und da sie sich seinem Gebote fügte, sagte er für sich: »Das Frauenzimmer muß ich entschieden im Zorn erschaffen haben!«

Indessen war die reine Vernunft bereits auf der Erde angelangt und beschäftigte sich eifrig damit, die Hoffnung zu suchen. Da sie jedoch mit ihrer geradeaus laufenden Denkungsweise nie zu erraten vermochte, wohin die launischen Zickzackeinfälle der Verklagten diese eben führten, so war's mit dem Finden nicht allzu rasch bestellt. – Nachdem die Vernunft sich eine Zeitlang vergeblich müde gehetzt, wurde sie ungeduldig und rief: »Gibt es denn niemand, der mir die Närrin finden und festnehmen hälfe?«

Kaum hatte sie das gesagt, so stand auch schon neben ihr eine hohe Gestalt mit einem schauerlich starren Blick in einem wunderschönen, todesbleichen Gesicht. Sie trug einen Kranz von eisbereiften, welken Blumen auf dem Haupt und ein von Reif glitzerndes weißes Gewand, und in jeder Hand hielt sie, fest zusammengepreßt, als suche sie die Flammen zu ersticken, ein brennendes Herz. Es war die Verzweiflung!

»Komm mit mir,« rief sie der Vernunft zu, »ich will dir helfen, die Lügnerin zu suchen, die meine Todfeindin ist. Komm, reich mir die Hand!«

Da die reine Vernunft ihrer hohen kritischen Fähigkeiten halber eigentlich mit niemand ganz zufrieden war, so hatte sie sonst auch an der Verzweiflung allerlei auszusetzen gehabt. Sie hatte sie stets »übertrieben« gefunden. Wenn es sich aber darum handelte, die Hoffnung zu Grunde zu richten, war ihr jeder Bundesgenosse gut genug, und sie reichte der Verzweiflung die Hand.

So machten sie sich denn vereint auf den Weg, die Verzweiflung mit der reinen Vernunft, um die Hoffnung zu suchen und aus der Welt hinauszujagen.

Erst hieß es, sie halte sich eben bei einem berühmten Gelehrten auf, der sich damit beschäftige, den Stein der Weisen zu suchen. Aber als die Bundesgenossinnen bei ihm eintrafen, war sie verschwunden, und man sagte, sie befände sich nun zur Abwechslung bei einem großen Imperator, der mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte um Reich und Krone kämpfe. Aber als die beiden ihn erreicht hatten, da hatte ihn die rastlose kleine Person auch schon wieder verlassen, und mit bösem Triumph warf sich die Verzweiflung über ihn, umschlang ihn und drückte ihn an ihrem Herzen tot, und dazu sang sie ein schaurig süßes Wiegenlied, das sie dem Sturmwind abgelauscht, während er einst klagend über ein leichenbedecktes Schlachtfeld fuhr.

»Halte dich nicht auf, komm!« rief die Vernunft.

Und die Verzweiflung ließ den toten Imperator liegen und nahm von neuem ihre Freundin bei der Hand. Ihre Augen leuchteten siegesmutig. »Wir sollten immer beisammen bleiben, mit dir vereint überwinde ich die ganze Welt,« sagte sie.

»Hilf mir vor allem andern die Hoffnung suchen,« gebot unzufrieden die reine Vernunft. »Dazu hab' ich mich mit dir verbunden, und zu nichts anderm!«

»Warte nur noch ein Weilchen,« tröstete die Verzweiflung, »ihre Spur muß ja zu finden sein, denn wo sie hintritt, sprießen die Blumen und wächst grünes Gras. Und wenn es zu kalt wird, um die Blumen aus der Erde zu locken, so malt sie wenigstens Eisblumen auf die Fenster hin!« –


*

Indessen saß die Hoffnung an dem Bette eines kranken Mägdeleins, dem sie Märchen erzählte. Ein reizendes Hexlein war sie, diese Schwerverklagte, das mußte man zugeben, und man konnt's dem lieben Gott gar nicht verübeln, daß sie sein Liebling war.

Sie trug ein grünes Kleid, das ihr der Frühling alle Jahr zum Geburtstag schenkte, und dessen Saum reichlich mit Johanniskäferchen besetzt war, zwischen die sich freilich auch hie und da ein Irrlicht hineingemischt. Ein Kranz von dunkelblauen Hyacinthen saß ihr auf dem Kopf, und in ihrem braunen Haar glänzte ein Sonnenstrahl, der sich einmal darin verfitzt und nun nicht mehr heraus wollte. Damit es mit ihren Reisen recht schnell von statten gehe, hatte ihr der liebe Gott ein paar mächtig große Flügel gegeben. Im übrigen sah sie ganz wie ein sehr junges und ungewöhnlich anmutiges Mädchen aus.

Sie hatte ein Paar zarte, weiche Hände, die nur zum Streicheln gemacht schienen, und ein so liebes, nichtsnutziges Kindergesichtchen, daß jedem warm wurde ums Herz, wenn sie ihn anlachte. Wer sollt' es ihr denn noch verübeln, wenn sie sich nicht immer allzuviel dabei dachte? Ihre Stimme war hell und süß, wie die eines Lerchleins, wenn es hoch im blauen Aether droben den Engeln im Himmel ein Ständchen bringt; und mit dieser Stimme sagte sie stets nur lauter liebe und freundliche Dinge. Wer sollt' es ihr verübeln, daß die Dinge nicht immer alle richtig waren? Das arme sterbende Mägdlein gewiß nicht.

Es war ein elendes Zimmerchen, in dem das Mägdlein lag. Die kleinen Scheiben des Fensters waren vielfach gesprungen und mit Papier verklebt. Der böse Dezembersturm schlich sich aus tausend unsichtbaren Wegen durch die Wände herein. Der letzte hölzerne Stuhl war zerbrochen worden und brannte nun in dem eisernen Oefchen. Das Bett war hart. Die Kranke rang mit Schmerz und Tod, aber sie lauschte den Märchen, die ihr die Hoffnung erzählte, und war glücklich. Plötzlich drang eine große Kälte in das Stüblein. Die Hoffnung fing an zu zittern. – Sie spürte die Nähe der reinen Vernunft und erschrak. Mit der Verzweiflung allein hätte sie's noch aufgenommen, aber gegen die reine Vernunft vermochte sie nichts.

Sie wollte fort, aber das kranke Mägdlein flehte ängstlich: »Bleib, bleib!«

Da hatte die Hoffnung nicht das Herz, davonzueilen. Sie nahm das kranke Kind in ihre Arme und schmeichelte es mit süßen Liebkosungsworten in den letzten tiefen Schlaf. Mit einemmal fühlte sie eine eiskalte Hand auf ihrer Schulter. Sie sah empor. Die Verzweiflung stand vor ihr, umschlang sie grausam und warf sie hohnlachend der reinen Vernunft in die Arme. – »Da hast du sie,« schrie sie ihr zu – »führe sie vor den Richterstuhl Gottes. Nun bin ich sie los – nun herrsche ich!«

Da führte die Vernunft denn die Hoffnung hinweg als Gefangene – und die Verzweiflung herrschte allein auf der ganzen weiten Welt!


*

Vor dem Richterstuhl Gottes stand die Hoffnung, und zu all den Anklagen, welche die reine Vernunft auf sie häufte, senkte sie ihr Köpfchen schuldbewußt. Daß sie eine leichtsinnige Fabulistin und Großsprecherin war und viel Böses veranlaßt hatte, konnte sie nicht leugnen. Und als der liebe Gott sie endlich stirnrunzelnd fragte, ob sie ihre Schuld bekenne, seufzte sie: »Ja!« –

Gleich darauf aber hob sie den Kopf und sah aus ihrem reizend schelmischen Gesichtchen gar lieblich zu dem Erzürnten auf.

»Ich kann nichts dafür, o Herr!« sprach sie, »du hast den Drang, die Menschen zu beglücken, in mein Herz gelegt und hast mir die Kraft dazu versagt. Ich bring's nicht über mich, die Menschen traurig zu sehen, und da ich nichts andres vermag, um sie froh zu machen, erzähl' ich ihnen wenigstens Märchen!«

Als der liebe Gott noch überlegte, wie der Machtlosigkeit der Hoffnung abzuhelfen sei, kam die Seele eines eben verstorbenen Menschen in den Himmel hinauf. »Wir wollen sie doch fragen, wie's auf der Erde geht,« rief er aus. Der Bericht war schrecklich! Auf der Erde geht es schlecht, hieß es, die Hälfte der Menschen hätte sich bereits, des Lebens überdrüssig, umgebracht – die Hölle muß schon bis an den Rand gefüllt mit Selbstmördern sein, die noch übrig gebliebenen Erdenkinder säßen stumpf und gleichgültig da und hätten nicht den Mut, noch irgend etwas zu unternehmen – die angefangenen Bauten blieben alle unfertig stehen, und die Kirchen leer! Die Hoffnung sei von der Erde verschwunden, sage man, und darum gehe alles zu Grunde. Sonst sei sie auch momentan von der Erde weggehuscht, aber nie auf lange, und noch jedesmal sei sie glücklich eingetroffen, um das neue Jahr aus der Taufe zu heben – aber jetzt blicke die Menschheit umsonst nach ihr aus – sie zeige sich nicht! –


*

Wie die Hoffnung von all' dem Jammer hörte, da wartete sie gar nicht darauf, entlassen zu werden – sie sprengte ihre Fesseln, und fort eilte sie mit mächtigen Flügelschlägen, um »das neue Jahr« aus der Taufe zu heben und den großen Jammer der Menschheit wie ehedem mit Märchen einzulullen.

Gott der Allmächtige ließ sie ziehen, so wie sie war, mit ihren großen Fehlern und ihrer unwiderstehlichen Herzensgüte. Da die Menschen sie nun einmal durchaus nicht entbehren konnten, war vorläufig nicht die Zeit, an ihrer Erziehung und allgemeinen Beschaffenheit herumzubessern. Das sparte er sich für späterhin auf.

Die reine Vernunft aber forderte er auf, sich zu trollen und ihn fürder mit ihren Klagen in Ruhe zu lassen.


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