Ossip Schubin
Schatten
Ossip Schubin

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Drei Stunden später . . .

O ja, sie ist gut, sie ist gut. Es weiß es wohl niemand außer mir und dem lieben Gott . . . aber sie ist gut.

Ich hatte meine Aufzeichnungen beendet und lag da müßig, träumerisch, den Kopf in meiner Fauteuillehne, den Blick im Himmel. Die laue Sommerluft schläferte mich ein, vage Träume umflatterten mich, und immer noch durchbebte meine Seele süß und schwermütig das kleine Lied.

Da höre ich ein leises Knistern und Rauschen, mir ist's, als schwebe ein Engel durch die Luft auf mich zu. Ein süßer Duft umgibt mich, ich rühre mich nicht vor Angst, aus meinem holden Traum zu erwachen – ich fühle, wie sich jemand über mich beugt, wie ein warmer Hauch meine Wange streift, dann legen sich zwei weiche Hände an meine Schläfen und ein leiser ängstlicher Kuß sinkt auf meine Stirn.

Ich schaue auf – mit niedergeschlagenen Augen und gesenktem Kopf, die ganze Gestalt voll flehender Angst steht vor mir – meine Mutter!

*

Sie will zurückweichen, auf ihren Lippen schwebt ein demütigendes Entschuldigungswort. . . . Da vertrete ich ihr den Weg, ich hasche nach Atem, ich will etwas sagen, aber ich kann nicht reden, nur schluchzen kann ich, und schluchzen nur das eine Wort: »Mutter!«

Dann liegt sie in meinen Armen . . . . O, es war schön! Es war schön! Ich war wieder ein Kind und glaubte wieder an das Glück und den lieben Gott!

Ein Schwindel überkam mich – ich brach zusammen und wäre zu Boden gestürzt, wenn sie mich nicht emporgehalten hätte mit ihren zarten Armen, die plötzlich so stark geworden waren, wie nur Mutterarme es werden können. Sie schleppte mich auf ein Sofa und wusch mir die Schläfen mit kaltem Wasser, band meine Krawatte los und knüpfte meinen Hemdkragen auf; dazwischen überschüttete sie mich mit Zärtlichkeiten, küßte mir die Haare, die Hände und murmelte ein Mal über das andre mit weicher, leiser Stimme: »Mein Sohn, mein Kind!« – und wie ich nichts sagte, nur in seliger Verwirrung alles geschehen ließ, da wurde sie ängstlich und murmelte: »ich gehe gleich . . . gleich, sobald dir besser ist . . . .«

Ich hielt sie an der Hand fest und richtete mich ein wenig auf.

»Was willst du?« flüsterte sie.

»Die Thüre zusperren.«

Sie that's, dann kam sie zurück – sah mich mit starren Augen langsam an: »Du bist's, du bist's, bist's wirklich,« sagte sie, wie einen Zweifel abschüttelnd, und da ich nur mit einem Lächeln antwortete, rief sie: »Ach, was brauch' ich zu fragen!« Dabei zog sie ein Medaillon aus der Brust, und zeigte mir ein kleines, liebliches Kinderbild . . . . »Das bist du!«

»Und das Bild hast du immer um den Hals getragen?« fragte ich staunend – »die ganze Zeit?«

»Ja, die ganze Zeit!« . . . Sie kauerte auf der Erde neben dem Sofa, auf dem ich lag. Große Thränen flossen ihr über die Wangen und fielen auf die Hände in ihrem Schoß.

»Es hat mich auf der Brust gebrannt wie eine glühende Kohle; manchmal hab' ich's fortschleudern wollen, weil ich mich unwürdig wußte, es zu tragen – und manchmal hab' ich's fortschleudern wollen, weil es mich hinderte, glücklich zu sein. Aber ich konnte doch nicht!«

»So hast du mich denn nicht ganz vergessen, hast manchmal an mich gedacht?« flüsterte ich.

Sie senkte den Kopf. »Für wie schlecht mußt du mich halten, daß du so fragen kannst . . . und du . . . hast du dich manchmal meiner erinnert?«

»Ach, ich!« sagte ich, und meine Lippen zuckten.

»Und ich dachte, du wüßtest längst nichts mehr von mir . . . . Dir läg' nichts an mir, oder du haßtest mich. – Ich tröstete mich damit . . . es war kein Trost! . . . 's ist nicht das erste Mal, daß ich dich seh'! – aber ich wagte nie, mich dir zu nähern . . . ich schämte mich; – ich wär' auch heute nicht gekommen, aber es zog mich zu dir, ich wollte wenigstens an deiner Thür vorübergehen . . . und dann stand die Thür offen – du lagst so still . . . ich dachte, du schliefst . . . . Da wollt' ich dir wenigstens einen Kuß geben, und so . . .« ein heftiges Schluchzen unterbrach sie . . . »du jagst mich nicht fort – und du weißt doch, daß ich schlecht bin,« rief sie plötzlich heftig. Ich küßte nur stumm ihre Hand. –

Es war spät geworden, die Korridore belebten sich – die Leute traten ihre allabendliche Wanderung zum Souper an.

Sie sprang auf. »Ich muß gehen,« rief sie.

»Warte, bis es draußen still wird.« Sie wandte sich noch einmal nach mir um, sie lachte fast mutwillig, obzwar ihr die Thränen noch auf den Wangen standen, legte mir die Hand unters Kinn und rief: »Wie schön du bist, wie stolz ich auf dich sein könnte! – und wie du mir ähnlich siehst – du hast dunkleres Haar, aber meine Augen, meinen Mund – auch meine Hand.« Sie legte die ihre auf die meine. – »Das sind meine Finger genau, genau!« Sie betastete mich mit zögernder Vertraulichkeit und fuhr neckisch über den Flaum an meiner Oberlippe. – »Aber blaß und mager bist du, mein armes Kind. Bist du krank?«

»Nein,« flüsterte ich.

Es war düster geworden, ein weiches, graues Halblicht durchschwebte das Zimmer. Es war, als mache die Sonne die stechenden Augen zu, damit wir ganz ungestört sein könnten, meine Mutter und ich.

»Nein!«

»Was hat dir denn gefehlt?«

Da richtete ich mich auf und sah ihr voll in die Augen und sagte: »Meine Mutter!«

*

Eine Woche ist vorüber seit unsrem Wiedersehen. Seither bin ich oft mit meiner Mutter beisammengewesen, beinah' alle Tage, aber die Seligkeit unsres ersten Zusammentreffens habe ich nie mehr empfunden. Ehe sie an jenem Abend von mir schied, bat sie mich, sie den nächsten Morgen heimlich im Walde zu erwarten – bei irgend einer von ihr bestimmten Bank oder Quelle. Und an jenem Morgen war sie die erste bei unsrem Stelldichein – und den folgenden auch – und nach und nach wurde sie unpünktlich und zuletzt . . .

Es war ein schöner Morgen, der erste, den wir zusammen verbrachten im Wald. Die frühen roten Sonnenstrahlen durchschnitten das grüne Waldzwielicht. Der Tau hing an den Gräsern und aus der Erde stieg ein feuchter, kräftiger Duft.

Meine Mutter war blaß und schien wie gelähmt von Verlegenheit; sie fragte mich, wie ich geschlafen habe, und machte eine Bemerkung über das Wetter, dann ging sie stumm neben mir. Sie hielt einen großen indischen Shawl am Arm, und als ich ihn ihr abnehmen wollte, wehrte sie mir und flüsterte: »Den habe ich für dich mitgebracht.«

Nach einer Weile fragte sie: »Bist du müde?«

»Nein, und du, Mama?«

»Auch nicht,« – nach ein paar Schritten fragte sie wieder: »Bist du müd'?« Diesmal ihre Hand schüchtern auf meinem Arm, den Blick zärtlich in meinen Augen: »Du bist blaß, du solltest ausruhen.«

Sie wünschte offenbar, ich solle müde sein, auf daß sie mich hätscheln und pflegen könne. Ich gab ihr nach. Sie breitete den Shawl, ohne die geringste Barmherzigkeit für seine Schönheit, über das tauige Moos, hieß mich niedersitzen, nahm aus ihrem kleinen Arbeitskorb ein mit Wein gefülltes Fläschchen, das früher ein Flacon gewesen war, und einen silbernen Becher.

»Du mußt etwas frühstücken,« sagte sie; ihre Scheu fing an von ihr zu weichen, und ihre Stimme klang jetzt lustig, so lustig, daß mich's eigentlich befremdete.

»Die Waldluft ist zwar sehr nahrhaft, aber doch nicht nahrhaft genug für den großen, langen Burschen, der kaum aufgehört hat zu wachsen.«

Nachdem ich ihr zulieb etwas Wein getrunken und Gebäck gegessen hatte, bestand sie darauf, ich solle mich ausstrecken. Auch darin gab ich ihr nach, obgleich mir's unbequem war und lächerlich erschien, mich so verzärteln zu lassen. Unterdessen beugte sie sich über mich und sang mit halber Stimme, bald herb klagend, bald todeszärtlich, slowakische und kroatische Volksweisen! – zuletzt tiefinnig, von einer großen Sehnsucht durchschauert kam's von ihren Lippen – »das kleine Lied«!

Ich richtete mich halb auf, meine Augen hefteten sich an ihr Gesicht, und als sie geendet, murmelte ich: »Mutter, willst du mir etwas versprechen?«

»Was, mein Kleinod?«

»Singe das Lied nie, nie jemand mehr vor, außer mir.

»Hast du's denn gar so lieb?« Sie lächelte, weil sie sich freute, mir einen Genuß bereitet zu haben.

»Ob ich's lieb habe? . . . Es ist ja mein Lied, mein Wiegenlied, mit dem du mich immer in den Schlaf gesungen hast – damals vor endlosen Zeiten. Erinnerst du dich noch?«

Sie schauderte zusammen und wendete ihr blaß gewordenes Gesicht von mir ab.

Den nächsten Augenblick machte sie einer Lerche ihren Triller nach, und dann – sang sie einen Walzer von Arditi.

*

Ja, es war eine süß verträumte Stunde, aber als sie vorüber, als ich mich von meiner Mutter getrennt hatte, blieb mir zur Erinnerung daran nur ein Gefühl dumpfer Niedergeschlagenheit und Mattigkeit, wie man sie nach einem Opiumrausch empfinden mag.

So war's den ersten Tag, den zweiten trug sich dasselbe zu, nur daß die Niedergeschlagenheit und Mattigkeit mich diesmal schon mitten zwischen den Liebkosungen meiner Mutter befielen. Den dritten erfüllte mich eine unsägliche Traurigkeit; dieser tändelnde Verkehr mit meiner Mutter stieß mich ab durch seine unnatürliche, ungesunde Sentimentalität.

Wir waren den Tag nicht so tief in den Wald hineingegangen als gewöhnlich – meine Mutter war spät bei unserm Zusammenkunftsort eingetroffen, und uns blieb keine Zeit zu einem langen Spaziergang übrig. Müde, mich wie ein fünfjähriges Kind verhätscheln zu lassen, suchte ich ein vernünftiges Gespräch anzuknüpfen. Ich fragte sie das und jenes über ihre Reisen; sie wußte fast nichts zu antworten, und bewies sehr viel von dem eigentümlichen Talent, das schöne, sentimentale Frauen so oft auszeichnet – dem Talent, mit geschlossenen Augen durch die Welt zu reisen.

Sie hatte sich endlich und mit Anstrengung erinnert, daß die Straßen von New York schmutzig sind, und daß man dort um fünf Dollars täglich sehr gutes Unterkommen finden kann.

Da schlenderten ein paar Spaziergänger an uns vorbei, sahen uns mit rücksichtslos neugierigen Augen mißtrauisch lächelnd an und zuckten mißbilligend die Achseln . . . . Ich hätte sie erdrosseln mögen!

Zu meinem großen Erstaunen preßte meine Mutter ihr Taschentuch an den Mund und brach, sobald sich die Leute entfernt hatten, in mutwilliges Lachen aus.

»Die halten uns natürlich für Liebesleute,« rief sie und lachte wieder.

Ich wendete den Kopf ab. Ich fühlte, wie ich errötete bis unter die Haare.

»Aber Mama! . . .« stotterte ich schaudernd.

Sie lachte noch immer. »Ich muß wirklich sehr jung aussehen für mein Alter.«

Ehe ich noch geantwortet, richtete sie sich plötzlich halb auf und stierte unverwandt etwas an, das ich noch nicht sah. Mein Blick folgte dem ihren. Zwischen den Bäumen kam auf uns zu ein großer, gebückter Mann mit vernachlässigten, schlotternden Kleidern und langem schlecht gestutzten Haar unter einem breitkrämpigen Panamahut. Er hielt die Augen spähend, halb zugekniffen und schien aus alter Gewohnheit beständig etwas zu suchen, was er nicht mehr zu finden hoffte. In der Ferne sah er beinah wie ein Landstreicher aus; als er näher kam, bemerkte ich jedoch etwas sehr Vornehmes an ihm. Er erinnerte mich auffallend an den Rembrandtschen Christus in Emmaus, der im Louvre hängt. Er hatte etwas Unheimliches und Rührendes, etwas Anziehendes und Abstoßendes – etwas von einem geächteten König, von einem Irrsinnigen und einem Gott.

Als er an uns vorüberschritt, starrte er uns mit derselben forschenden, objektiven Aufmerksamkeit an, wie früher die Steine und Gräser auf seinem Weg, nahm seinen Hut ab und ging weiter. Meine Mutter zitterte wie ein Baum im Sturm. Ihr Gesicht war alt und grau geworden, und ihre Augen brannten wie die einer Willis, die sich nach einer letzten Freude sehnt.

»Es wird spät! Ich muß nach Hause,« flüsterte sie hastig mit erstorbener Stimme, reichte mir, anstatt mich wie sonst zu küssen, eine eiskalte Hand und eilte fort.

 
24. August.

Heute suchte ich meine Mutter wohl zwei Stunden lang im Walde, fand sie aber nicht; dann ging ich lange vor ihren Fenstern auf und ab. – Ich hörte tolles Klaviergeklimper, eine Männerstimme sang ein paar Couplets in einer Sprache oder mit einer Aussprache, die ich nicht verstand, und die mir sehr häßlich vorkam, den andern aber höchst geistreich und unvergleichlich komisch erscheinen mußte, denn nach jeder Strophe schlugen sie in die Hände und lachten. Tabakrauch quoll aus den offenen Fenstern. Als der Gesang aufgehört, vernahm man laute und kecke Stimmen und dazwischen von Zeit zu Zeit ein Geflüster, wie wenn jemand einem andern etwas ins Ohr sagt.

Das alles zerschnitt mir das Herz, und doch mochte ich keinen Laut davon verlieren. Ich setzte mich auf eine der grün angestrichenen Holzbänke ihren Fenstern gegenüber.

Nach einigen Minuten trat sie mit einem auffallend schön und arrogant aussehendem jungen Mann, der die Hände in den Taschen hielt, plaudernd ans Fenster. Der kleine Commis Voyageur oder Bankier, dessen ich schon Erwähnung that, und der eine Art Tanzmeisterdressur statt guten Manieren besitzt, und in die Sitten der großen Welt durch seinen Kammerdiener eingeweiht worden sein mag, versuchte hie und da ängstlich ein Wort in die Konversation hineinzuschieben.

Meine Mutter rauchte eine Cigarette, sie hielt den Kopf zurückgebogen, ihr Lachen, ihre Augen, die Grübchen in ihren Wangen, das mutwillige Geringel ihres Haares – alles war tausendmal verführerischer als je. Sie war wie neu belebt und sah in der undeutlichen Rauchatmosphäre wie zweiundzwanzig Jahre alt aus. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß dies Wesen sie viel natürlicher und ungezwungener kleidete als die Sentimentalität.

Mir wurde sehr häßlich zu Mut – zehnmal nahm ich mir vor, fortzuschleichen, dann konnte ich's doch nicht über mich gewinnen. Ein Gefühl hündischer Wachsamkeit hielt mich zurück, und mehr noch als das, eine traurige Müdigkeit.

Da erblickte sie mich, wurde erst etwas verlegen, grüßte mich dann sehr freundlich und wendete sich rasch zu den beiden Herren, denen sie nun etwas erzählte, wobei sie mich von Zeit zu Zeit ansah.

Ich weiß, sie hat ihnen eine Lüge, hat ihnen nicht gesagt, daß sie meine Mutter ist.

O, hundertmal lieber wäre es mir gewesen, sie hätte gethan, als kenne sie mich gar nicht!

Ich stand auf und schleppte mich, nicht ein einziges Mal vom Pflaster aufsehend, nach Hause, auf mein Zimmer, wo ich, den Kopf in meinen Händen, ohne zu denken, in stumpfer Traurigkeit sitzen blieb – bis meine Tante mich durch ihren Bedienten zu sich bitten ließ.

Ich mußte sie in ein Symphoniekonzert begleiten.

Symphoniekonzert heißt man in F . . . bad eine musikalische Produktion, bei der eine Symphonie von Beethoven zwischen einem Walzer von Strauß und einem Potpourri von Offenbach dem kaffeeschlürfenden Publikum – in einem Lustgarten unter freiem Himmel zum besten gegeben wird.

An unserm Tisch saßen außer meiner Tante, die elegant in verschossenen Farben gekleidet war, eine kleine, sehr lebhafte und sehr bunte Militärbaronin, Fräulein Rosa und Gustl Beyer.

Die Unterhaltung gestaltete sich sehr geistreich! Die bunte Baronin zankte mit dem Kellner wegen schmutziger Kaffeetassen; das heitere Fräulein und Gustl Beyer sangen ein lautes Zufriedenheitsduett, in welchem sie die verschiedenen Vorzüge F . . . bads aufs glänzendste herausstrichen; meine Tante rümpfte die Nase über die schlechte Musik und kritisierte das Publikum.

Im ganzen fand die musikalische Produktion sehr wenig Beifall, und daran trug wohl hauptsächlich ein Husar schuld, der heute vormittag auf seinem »Werkl« mit ein paar Freunden angekommen war und auf die allgemeine weibliche Aufmerksamkeit Beschlag gelegt hatte.

Ich war sehr stumm und zerstreut. Gustl Beyer stieß mich zuweilen unter dem Tisch mit dem Fuß, um mich aufzurütteln, und das Fräulein versuchte unverdrossen immer von neuem in gutmütiger Absicht ein Gespräch mit mir anzuknüpfen.

Schließlich forderte sie mich auf, sie und die bunte Baronin noch denselben Abend in die »Reunion« zu begleiten. Ich erwiderte natürlich: »Mit Vergnügen!«

*

Der beinahe allwöchentliche F . . . bader Tanzabend, dem ich bis dahin noch nie beigewohnt, war diesmal als »Galareunion« angesagt. Als ich den unternehmenden Junggesellen fragte, ob in diesem Falle »Gala« eine weiße Krawatte bedeute, antwortete er nur mit einem Lächeln.

Dennoch hielt ich mich schon der Damen wegen, die ich begleitete, für verpflichtet, meinen Frack anzuziehen, was ich später bereute.

Der Saal, in den ich die bunte Baronin führte – Gustl Beyer folgte mit dem heiteren Fräulein – war nicht ganz dunkel und nicht ganz hell. Ein wenig Gaslicht und ein wenig Tageslicht stritten miteinander.

Auf dem glänzenden Parkett drehte sich ein Paar – ein einziges! Eine kleine in Rosa gekleidete Sächsin mit sehr viel Rosen und zwei Perlmutterschnallen auf dem Kopf, und ein Herr, dessen Pomade den ganzen Saal durchduftete, und der sich zugeschworen zu haben schien, mit der Hand seiner Dame den Lüster einzustoßen. Er durchwirbelte den Saal mit der jugendlichsten Energie, jeden pas scharf accentuierend, zum großen Mißbehagen des Parketts, das unter seinen Fußtritten mißbilligend wimmerte.

»Er ist Familienvater und hat acht Kinder!« murmelte, betrübt die Achseln zuckend, Fräulein Rosa.

Gustl Beyer rieb sich vergnügt die Hände und meinte schmunzelnd: »Das verspricht gemütlich zu werden, hahaha!« Er war kurz vor der Reunion in meiner Wohnung aufgetaucht, um sich seine Manschettenknöpfe und ein weißes Hemd von mir auszuborgen. Bald hatte er sich allen anwesenden tanzlustigen Damen, die er mit bewunderungswürdigem Kennerblick von den andern zu unterscheiden wußte, vorstellen lassen und drehte sich lustig im Kreise. Es schien, als tanzten die sämtlichen Kammerjungfern und Saisonladenmädchen, um den gelangweilten Kurgästen ein Schauspiel zu bieten.

Der Husar stürmte mit einer kleinen französischen Modistin einen Galopp herunter und spießte seine Reitsporen dabei rücksichtslos in verschiedene Damenschleppen.

Als man ihn bat, eine Quadrille zu kommandieren, nahm er zwar das Kommando an, aber zu träg, die Quadrille mitzutanzen, kommandierte er sie sitzend, die Hände in den Taschen.

An und für sich hätte mir das wenig angehabt, wäre ich nicht durch die muntere Gutmütigkeit der bunten Baronin gezwungen worden, diese Quadrille mit ihr zu tanzen. Infolgedessen faßte ich das Benehmen des Husaren als eine persönliche Beleidigung auf. Gustl Beyer, der sich nicht beleidigt zu fühlen brauchte, da er nicht mit einer ihm bekannten Dame tanzte, schnitt indessen die komischsten Grimassen und gab bei der fünften Figur eine Art Cancan zum besten, dem der Husar ein lautes Bravo zollte.

Kaum hatte ich in Verzweiflung meine gutmütige Tänzerin auf ihren Platz zurückgeführt, so klopfte mir etwas leicht auf den Arm. Es war ein hellgelber Schildpattfächer. Ich wendete mich um, erblickte meine Mutter, mutwillig, unbefangen zwischen den zwei alternden Potentatentöchtern, und umgeben von zahlreichen Mitgliedern des Galbrizziklubs.

Sie, sowie ihre ganze Umgebung, trug in der Toilette die herausforderndste Einfachheit zur Schau – die beiden alternden jungen Damen, die ich eine Stunde zuvor auf der Straße mit rosa Schleifen wie die »Kindsmörderin« von Schiller geschmückt gesehen, trugen jetzt rot und gelb gestreifte Jockeyblusen, die ihre fahlen Gesichter schlecht kleideten, dafür aber ihre Verachtung des Publikums aufs energischste ausdrückten.

»Tiens, tiens!« rief meine Mutter lustig, »wer ist denn dieses Kaleidoskop, mit dem Sie die Quadrille getanzt haben, mon petit cousin?«

Nie hatte mir die süße Stimme so weh gethan! Ich wurde dunkelrot, nicht weil ich mich meiner Tänzerin und meines Fracks schämte – ich wurde rot, weil mich meine Mutter »mon petit cousin genannt hatte.

»Das Kaleidoskop ist eine sehr liebenswürdige, brave Frau. Sie tanzte nur mit mir, weil sie sah, daß ich mich langweilte,« sagte ich mit dem unklaren Bewußtsein, eine edle Pflicht zu erfüllen, und einem ebensolchen Bewußtsein, mich lächerlich zu machen.

In der That lachten die Damen ganz laut, während die Herren sich damit begnügten, zu lächeln.

Nur ein einziger lächelte nicht . . . ein großer, hochschultriger Mann mit schlotternden Kleidern und einem schöngewesenen Leichengesicht. Es war kein Mitglied des Galbrizziklubs – es war der Mann, den ich gestern zum erstenmal im Walde gesehen, bei dessen Anblick meine Mutter so blaß geworden war!

»Und wie Sie sich schön gemacht haben!« spöttelte eine der alternden jungen Damen.

»Es scheint hier nicht Sitte«, stotterte ich.

»Nein,« mischte sich der Mann mit dem Leichengesicht ins Gespräch – »einige von unsern jüngeren Stutzern unterlassen es, hier im Frack zu erscheinen, aus Angst, für Kellner gehalten zu werden. Da Sie aber diese Angst nicht zu haben brauchen, so können Sie sich trösten« – dabei glitt sein Blick verächtlich über die Mitglieder des Galbrizziklubs.

Meine Mutter sah ihn dankbar an; er hatte aber plötzlich die Gesellschaft verlassen und folgte einem jungen Mädchen, das mit einer älteren Dame durch den Saal promenierte und das er in der indiskretesten Manier – den Kopf weit vorschiebend – von allen Seiten angaffte.

»Qui m'aime me suit!« ruft meine Mutter – sie sprach französisch mit ihrem ganzen Kreis, der eine kosmopolitische Gesellschaft, außer den zwei alternden jungen Damen, die Schwestern sind, keine zwei Landsleute enthielt. . . . »Wer will den Abend bei mir zubringen? Ich habe zwar nichts anzubieten als eine Tasse Thee und ein Lied.«

»Solche bescheidene Einladungen sind eine Pression,« sagte der hochschultrige Mann, von seinem Ausfluge zurückkehrend . . . »man muß ihnen Folge leisten, um seine Uneigennützigkeit zu beweisen.«

»Tant mieux!« sagte die Galbrizzi – ich kann mich in diesem Augenblick nicht entschließen, sie anders zu nennen – und führte lachend und den Arm eines schönen, schwarzhaarigen jungen Griechen nehmend, den Rückzug aus dem Saal an. »Und Sie kommen nicht?« wendete sie sich immer französisch redend zu mir. –

»O, ich wußte nicht . . .« sagte ich und fühlte, wie mein Gesicht zuckte und wie die Bitterkeit meines Herzens meine Stimme durchklang.

»Habe ich denn nicht gesagt, wer mich liebt, folge mir?« sprach die Galbrizzi.

Und ich wurde rot . . . rot aus Angst darüber, wie man ihr Wesen mir gegenüber mißdeuten könne.

»Ich muß mich doch erst bei meinen Damen entschuldigen,« entgegnete ich.

»Welch' lobenswerte Pflichttreue!« sagte irgend jemand. Die Galbrizzi nickte mir lächelnd zu und rief: »Kommen Sie uns nach,« und verschwand mit ihrem Gefolge.

Als ich mich bei der Galbrizzi einfand, war ihr Salon schon voll Rauch und Lärm. Sie empfing mich sehr freundlich, stellte mich ihren Gästen als »ihren Cousin« vor und nannte mir einige davon. Der Mann mit den hohen Schultern ist ein Russe, Fürst Wladimir Suworin. Der junge Grieche Kara mit dem schönen, sentimentalen Troubadourgesicht – einem Gesicht, das man sich sozusagen nicht ohne Mandolinenbegleitung denken kann – ist irgend einer Gesandtschaft attachiert und schreibt an einer Oper.

Er saß beinahe den ganzen Abend am Klavier und spielte von Zeit zu Zeit ein acht Takte langes Ritornell zu einer griechischen Romanze, die er komponieren will, bis er mit dem Gedicht dazu fertig ist. Als man ihn bat, zu singen, wehrte er sich lang und zäh, ließ sich aber endlich herbei, den »alten König« vorzutragen. Als er geendet, drehte er sich mit unglaublicher Flinkheit auf seinem Klavierstuhle um, griff nach seiner Cigarre und rief: »c'est horrible!«

Man war höflich genug, ihn. zu widersprechen und ihn zum Weitersingen zu zwingen.

»O, singen Sie noch, es thut dem Herzen so wohl!« rief Mlle. Litschka, die jüngere der Potentatentöchter – ein gutmütiges Frauenzimmer, das beständig Thränen in den Augen hat.

»O, singen Sie noch, es thut dem Herzen so wohl!«

»Ja und es animiert die Konversation,« sagte Suworin schläfrig, mit seiner immer weichen, fast elegischen Stimme, die nicht zu ihm paßt.

Kara fing an, mit großem Gefühl »Gretchen am Spinnrade« vorzutragen. Bei der Stelle: »und ach sein Kuß«, drehte er abermals dem Klavier mit bewunderungswürdiger Flinkheit den Rücken, haschte abermals nach seiner Cigarre und schrie abermals: »c'est horrible!«

Suworin rief: »Hören Sie auf, Kara, Ihr Gesang ist arg genug, aber Ihr Gejammer ist unerträglich.«

Mlle. Pahtsch, die ältere der Potentatentöchter – anfangs bildete ich mir ein, sie heiße mit dem Familiennamen Pahtsch, und bemitleidete sie deshalb, bis ich erfuhr, daß Pahtsch die freiwillige Verstümmelung ihres Taufnamens Barbara sei, – warf den Kopf zurück, und sagte: »O, Suworin what a terrible man you are! Ich fürchte mich vor Ihnen!« und lachte – ein feines, gespenstisches Koboldlachen.

Suworin starrte sie an, als habe er sich die Aufgabe gestellt, ein Inventar ihrer Vorzüge aufzuzeichnen. Er saß sehr nahe neben ihr, die Hand auf ihrer Stuhllehne.

Unterdessen beschäftigte sich meine Mutter hinter einem großen silbernen Samowar damit, Thee zu machen. Sie hielt eine Tasse in der Hand und sah geistesabwesend vor sich hin. Ich mußte an den Nachmittag denken, damals vor langen Jahren, als sie, das heiße Gesichtchen an die Fensterscheiben gedrückt, hinausstarrte in die graue Herbstluft. –

Die Stimmung wurde immer animierter. Ein türkischer Diplomat – ohne Fez und mit einer christlichen Berliner Erziehung – stritt mit einem preußischen über die Orientfrage – Kara trank ein Glas Grog nach dem andern, um seiner Stimme wohlzuthun; der Abenteurer mit den langen Favorits machte Fräulein Litschka den Hof – und der Bankier befliß sich, um auch etwas zur allgemeinen Heiterkeit beizutragen, geistreiche Rebusse aufzugeben, und versuchte einen Sechser auf einer Nadelspitze zu balancieren, wobei ihn ein langer, gutmütig blöder Ulan bewunderte.

Da wendete sich Suworin mitten aus seinem Gespräch mit Mlle. Pahtsch heraus an meine Mutter: »Wenn Sie etwas sängen,« begann er.

»Um die Konversation zu animieren?« fragte sie, seine Phrase wiederholend, gezwungen.

»Eher um sie zu dämpfen.« Meine Mutter klapperte unentschlossen mit den Tassen.

Ihr Blick streifte Suworin scheu und flüchtig, sie stand auf und trat langsam wie schlafwandelnd an das Klavier – dann sang sie.

Mlle. Pahtsch hatte versucht, die Konversation flüsternd fortzusetzen, Suworin sie aber mit einem Achselzucken zum Schweigen veranlaßt. Er hatte sich in seinem Sessel vorgeschoben und hielt den Ellenbogen am Knie, das Kinn in der Hand. Seine Haltung drückte ein eigentümliches Wohlbehagen aus.

Als das Lied meiner Mutter geendet, sagte er: »Sonderbar, Ihre Stimme ist die einzige in der Welt, die mir nicht wehe thut!« Kein Wort mehr, und doch lächelte meine arme Mutter wie verklärt.

»Sie haben neulich ein slovakisches Lied gesungen,« sagte jetzt Kara, der sich wieder ans Klavier gesetzt hatte und klimpernd seine noch nicht komponierte Romanze aus einem Chaos unorganischer Harmonie herauszufischen versuchte. »Singen Sie's doch.«

»Ich weiß nicht, welches Sie meinen«, sagte meine Mutter unruhig.

Ich wußte gar wohl, welches er meinte.

»Ach, das, das Sie neulich sangen« – er tastete mit einem Finger auf dem Klavier herum.

»Ich habe es verlegt,« sagte meiner Mutter verdrießlich.

»Da ist's,« rief Kara triumphierend und es aus einem Notenstoß hervorziehend.

»Aber ich werd's nicht singen,« sagte meine Mutter trotzig.

Sie nahm die Noten, zerriß sie hastig von oben bis unten und warf die beiden Stücke auf den Boden.

Mein Herz jubelte, sie war so schön in diesem Moment, so schön und so gut, daß ich den Kopf verlor und, auf sie zustürzend, ihre Hand küßte.

Sie brach mit großer Geistesgegenwart in helles Lachen aus.

»Es scheint Ihnen ganz besonders zu gefallen, wenn eine Frau Capricen hat,« sprach sie, mir auf den Arm klopfend. »Er ist ein Narr – finden Sie nicht, Suworin?«

»Wie alle Leute, die einen Groschen wert sind,« sagte er, mich scharf fixierend.

Je weiter der Abend der Nacht entgegenging, desto lebhafter wurde das Gespräch zwischen Suworin und Mlle. Pahtsch.

Meine Mutter wurde blässer und blässer, ihre Augen loderten.

»Was meinen Sie, wenn wir Champagner kommen ließen?« sagte sie mit kurzer, harter Stimme zu Kara. »Kümmern Sie sich darum.«

Der Champagner kam – aus der Tasse Thee mit einem Lied gewürzt, wurde ein wildes Bacchanale. Die Pahtsch spritzte Suworin ein paar Tropfen Champagner ins Gesicht und warf sich hierauf lachend und seufzend mit einem Citat aus der Perichole in ihrem Fauteuil zurück: »J' suis grise,« murmelte sie, »j'suis grise!«

Der gutmütig blöde Ulan mit den langen Beinen und dem bereitwilligen Gelächter setzte sich ans Pianino und spielte mit großem Pedalaufwand und sehr falschen Bässen einen Walzer. Es wurde lauter und bunter. Ein paar Sessel fielen um, eine Theetasse zerbrach. Kara tanzte, nachdem er vergeblich mit dem preußischen Diplomaten im Takt zu walzen versucht hatte, ein neugriechisches Solo, das übrigens nicht im stande war, seine klassisch schöne Gestalt lächerlich zu machen.

Meine Mutter klopfte applaudierend mit ihrem Champagnerglas auf den Tisch, mischte sich aber noch nicht ins Gewühl.

Da bat die Pahtsch um einen Galopp. Der Ulan fuhr sich mit seinen großen, weißen Händen nachdenklich über den Hinterkopf und stürzte sich sodann mit noch falscheren Bässen in schwindelndes Tempo.

Zu meinem Erstaunen tanzte jetzt Suworin mit der Pahtsch, und zwar mit mehr Energie, als ich seiner müden Erscheinung zugetraut hätte, und als man bei uns civilisierten Europäern auf dies unschuldige Vergnügen verwendet.

Es wurde lauter und bunter.

»Sie halten mich für zu alt zum Tanzen, Kara?« rief meine Mutter. . . .

Das letzte, was ich sah, war Kara, einen grünen Lampenschirm auf dem Kopf durchs Zimmer wirbelnd – in seinen Armen, ein bacchantisches Lächeln auf den Lippen, die wundervollen Haare verworren den Rücken herabfallend – die Galbrizzi –

Ich schlich mich fort.

Ich schämte mich ihrer, ich verachtete sie – ich haßte sie.

Am nächsten Morgen sah ich sie am Brunnen, sie sah so elend aus und reichte mir mit solch zärtlichem Lächeln die Hand, daß mein Zorn schmolz. Kaum hatte ich jedoch drei Worte mit ihr gewechselt, so kam Kara, grüßte mich flüchtig, küßte ihre Hand und reichte ihr ein großes weißes Rosenbouquet.

»Ich habe die Pferde auf neun Uhr bestellt – werden Sie bereit sein, Gräfin?« sagte er.

Meine Mutter lachte. »Warum zweifeln Sie?«

»Weil Damen immer unpünktlich sind,« sagte er und sah sie durch sein Monocle, das zu seinem klassisch geschnittenen Alexanderkopf absurd steht, zärtlich verschlafen an.

»Hoffentlich glauben Sie nicht, daß es sich um eine Entführung handelt,« ruft meine Mutter, sich zu mir wendend. »Wir haben vorläufig nur einen Spaziergang projektiert. Kommen Sie mit?«

»Ich protestiere!« rief Kara – »ich kann einen Spazierritt mit ungeraden Zahlen nicht leiden.«

»O, fürchten Sie nichts,« rief ich heftig, »ich habe nicht die geringste Lust, Sie zu stören.«

Kara sah mich groß an. »Tiens, il est jaloux, celui-là,« sagte er gedehnt.

Meiner Mutter Lippen zitterten – schon wähnte ich, sie würde alle weiteren Bemerkungen durch das eine Wort: »Er ist mein Sohn!« abschneiden. Aber nein, sie lachte nur gezwungen und sagte, mir die Hand reichend: »Morgen reite ich mit Ihnen.«

Ich nahm ihre Hand nicht und entfernte mich stumm.

Während ich mich mißmutig durch die Menge schlich, bemerkte ich einen Mann mit langem, schlecht gestutztem Haar, gebückten Schultern und schleppendem Gang sich der Quelle nähernd. Sein Glas, das ihm lose am Finger hing, entglitt ihm und fiel auf den weichen Sand. Ich hielt ihn für einen Greis, hob das Glas auf und reichte es ihm. Indem erkannte ich Suworin.

»Comment ça va?« rief er, mir die Hand reichend.

»Ich danke, gut,« murmelte ich.

»Es scheint nicht gerade,« sagte er, mich neugierig anblinzelnd. »Haben Sie sich gestern unterhalten?«

»Es war amüsant,« stotterte ich.

»Ja, es erinnert etwas an den ersten Akt der Kameliendame, aber es war sehr amüsant.« Er bot mir eine Cigarette an, nahm mich unterm Arm, und wir marschierten zwischen der Menge weiter. Er starrte beständig nach rechts und links, sah leicht blinzelnd den Damen ins Gesicht, ohne eine Spur wirklichen Interesses, als ob er zu zerstreut wäre, eine alte Gewohnheit zu ändern, obwohl sie längst jeden Sinn für ihn verloren.

»Es wird einem angst unter diesen halblebendigen Weibern . . . kein Körper, keine Seele!« murmelte er.

Indem sprengten rasche Hufe an uns vorbei, ich sehe auf und erblicke meine Mutter auf einem Rappen und neben ihr auf einem Schimmel Alexander Kara.

Sie sieht unvergleichlich schön aus. Das knappe Reitkleid umschmiegt zärtlich ihre Gestalt, der gradkrempige Männerhut wirft einen verführerischen Schatten über ihre großen, müden, leidenschaftlichen Augen, über ihr schmales, totenbleiches Gesicht.

Suworin grüßt gleichgültig. Meine Mutter nickt kaum mit dem Kopf und gibt ihrem Pferd einen Hieb, daß es sich bäumt.

Kara streckt die Hand nach den Zügeln ihres Pferdes aus; ich sehe die beiden Köpfe, den blonden und den schwarzen, so nahe nebeneinander, daß ihre Haare einander berühren, dann verschwinden sie zwischen dem grünlichen Gezitter der dunklen Blätterschatten.

Mir war das Blut in die Wangen geschossen, Suworin merkte aber meine Aufregung nicht. Er hatte meinen Arm fahren lassen und sich auf eine aus Birkenästen gezimmerte Bank gesetzt, von wo aus er der Galbrizzi nachstarrte. »Hat Glück, der kleine Kara,« murmelte er.

Mir wird immer heißer, es saust mir in den Ohren und flimmert mir vor den Augen. Am liebsten möchte ich mich auf den Boden niederwerfen und mein Gesicht verstecken und kühlen in dem grünen, tauigen Gras.

»Kennen Sie die Galbrizzi genau?« rufe ich, plötzlich zu dem Fürsten aufsehend.

»Wenn sie überhaupt jemand kennt.«

»Von was lebt sie denn eigentlich?« frage ich düster.

»Jetzt? . . . Von ihren Renten. Sergei Golgonsky hat ihr sein Vermögen vermacht, er ist im vorigen Herbst in Nizza gestorben.«

Es ist alles still um uns, nur die Insekten flüstern im Gras, und durch die Bäume schwirrt ein leiser, trauriger Wind.

»Hab' ich ein Attentat auf Ihre Illusionen verübt?« fragt Suworin.

Statt aller Antwort stöhne ich heftig auf.

Er starrt mich befremdet aus seinen schönen, halbverschleierten Augen an, dann nimmt er mir den Hut vom Kopfe und dreht, mich beim Kinn fassend, mein Gesicht nach rechts und links. »Wie mir das entgehen konnte!« murmelte er. »Sie sind der Sohn der Galbrizzi!«

Ich verstecke meinen Kopf in die Hände und weine bitterlich.

Und er versteht mich! . . . Ich dachte schon, er habe sich entfernt, mich allein gelassen; da legte er mir die Hand auf den Nacken. »Nehmen Sie sich zusammen,« ruft er, »ein paar Thränen thun gut, aber zu viele taugen nichts.« –

»O, wenn ich nur sterben könnte, das Leben ekelt mich!«

»Sie werden sich daran gewöhnen,« versicherte er, »die meisten jungen Leute, die etwas wert sind und Zartgefühl genug besitzen, um vor der schönsten der Welten zu erschrecken, haben Momente solcher Lebensunlust, und uns allen fällt das Sterben in der Jugend leichter als im Alter.«

»Sie haben nie gelitten wie ich,« grollte ich.

Er lachte nur leise und sagte dann: »Daß doch alle jungen Leute den Montblanc des Schmerzes allein erstiegen haben wollen!«

Er strich mit einem Zündhölzchen wie ein Bettler über den struppigen Aermel seines Paletots und zündete sich eine frische Cigarette an. Dabei blickte er weit vor sich hin. Dann sagte er: »Schütteln Sie den Staub von den Füßen, gehen Sie in die Welt, arbeiten Sie hart, unterhalten Sie sich, wenn Sie können, lieben Sie, wenn Sie nicht anders können. Diesem Recept folgend, werden Sie bei ihrem Temperament das Leben zwar nie sehr schön, aber erträglich finden.«

»Gibt es nichts andres?« entgegnete ich.

»Es gibt Opium! Das Glück ist die Fähigkeit, sich zu täuschen, und wenn es Ihnen einerlei ist, wie Sie sich diese Fähigkeit aneignen, so . . .«

»Ach, um mich handelt sich's ja gar nicht mehr, aber sie . . . muß ich sie verlassen . . . in diesem Leben lassen, könnt' ich sie nicht losreißen davon und langsam an etwas Besseres gewöhnen? – Sie schütteln den Kopf, Sie meinen, daß sie nie einwilligen werde, eine einsame, langweilige Existenz mit mir zu führen? – Aber ich versichere Sie, manchmal – ja manchmal hat sie mich lieb!« rief ich, dann wendete ich den Kopf ab aus Angst vor seinem skeptischen Lächeln.

Ich hatte mich umsonst gefürchtet.

Suworin erhob sich und reichte mir die Hand. »Thun Sie, was Ihnen Ihr Herz eingibt,« sprach er, »es wird immer besser sein als alles, was ich Ihnen raten könnte.«

Dann entfernte er sich.

Denselben Vormittag sah ich ihn wieder im Park, er dankte kaum, als ich ihn grüßte, und maß mich mit einer mehr als gleichgültigen – einer kalten, gelangweilten Miene. Seine ganze Haltung trug den Stempel krassesten Cynismus, auf seinen Lippen war ein häßliches Lächeln – in seinen Augen kein Licht!

*


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